BULLETIN DER BUNDESREGIERUNG - Nr. 99-2 vom 1. Oktober 2020

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BULLETIN
                               DER
                         BUNDESREGIERUNG
                           Nr. 99-2 vom 1. Oktober 2020

Rede der Bundesministerin der Justiz und für
Verbraucherschutz, Christine Lambrecht,

zum Haushaltsgesetz 2021
vor dem Deutschen Bundestag
am 1. Oktober 2020 in Berlin:

Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Mit einem Volumen von 952 Millionen Euro ist der Haushalt für Justiz und Verbrau-
cherschutz verhältnismäßig klein. Auf ihn entfallen nicht einmal 0,25 Prozent des ge-
samten Bundeshaushalts. Doch diese Zahlen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen,
mit welch wichtigen, relevanten Fragen wir uns mit diesen bescheidenen Mitteln den-
noch beschäftigen und auch die Lösungen dafür bieten.

Die Fragen liegen auf der Hand: Wie schützen wir unsere Demokratie vor Vergiftung
und Hass? Wie sorgen wir dafür, dass unsere Kinder in Sicherheit aufwachsen? Wie
verwirklichen wir die Gleichstellung von Frauen und Männern? Wie erreichen wir es,
dass die ehrlichen Kaufleute nicht die Dummen sind? Und wie stellen wir sicher, dass
niemand wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten aus der Gesellschaft ausgeschlossen
wird? Das sind nur einige der drängenden Fragen, mit denen mein Ressort befasst ist.
Ich werde Ihnen zeigen: Das Haushaltsgeld, diese 952 Millionen Euro im Geschäfts-
bereich sind gut angelegt. Denn wir verfolgen eine zeitgemäße Rechtspolitik.

Was tun wir konkret? Wir haben den Kampf gegen Hass im Netz aufgenommen. Der
freie Meinungsaustausch ist ein Lebensprinzip unserer Demokratie. Doch diese freie
Meinungsäußerung, dieser Austausch wird bedroht, bedroht von hemmungslosen Be-
schimpfungen in den sozialen Netzwerken, bedroht von verbaler Gewalt, mit der Men-
schen mundtot gemacht werden sollen, und bedroht von Worten des Hasses, die im
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schlimmsten Fall zu Taten werden. Gegen solche verbale Gewalt gehen wir entschlos-
sen vor.

Wir werden die sozialen Netzwerke stärker in die Pflicht nehmen. Wir verpflichten sie
nämlich, in Zukunft schwere Hassäußerungen an das Bundeskriminalamt zu melden.
Darüber hinaus stellen wir Hassäußerungen konsequenter und härter unter Strafe.
Wer Beleidigungen öffentlich begeht, wer Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpo-
litiker verleumdet oder herabwürdigt, wer seine Mitmenschen bedroht oder Straftaten
billigt, der wird künftig härter bestraft.

Dieses Haus hat unseren Gesetzentwurf im Juni mit großer Mehrheit verabschiedet,
und auch der Bundesrat hat es gebilligt. Aber wie Sie wissen, ist danach eine Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts ergangen, die Anpassungen erforderlich macht,
und diese Anpassungen werden wir sehr zügig vornehmen; denn wir sind es den Op-
fern von Hass und Hetze schuldig.

Was tun wir noch, um das Leben der Menschen in unserem Land zu verbessern? Wir
müssen unsere Kinder konsequenter schützen, ohne Wenn und Aber. Dabei liegt das
ganze Augenmerk auf dem Kampf gegen die sexualisierte Gewalt an Kindern. Diese
widerlichen Taten fügen Kindern unermessliches Leid zu. Wir werden diese Gräuelta-
ten deshalb strenger bestrafen – als Verbrechen. Auch den Besitz von Kinderporno-
grafie werden wir künftig als Verbrechen bestrafen.

Außerdem werden wir besondere Qualitätsanforderungen für Familienrichter und Ver-
fahrensbeistände festlegen und so auch die Präventionsarbeit stärken. Und schließlich
werden wir den Verfolgungsdruck massiv erhöhen. Bereits im Januar haben wir den
Verfolgungsbehörden neue Instrumente an die Hand gegeben; ich nenne nur das
Stichwort „computergenerierte Bilder“. Damit ist es den Ermittlern in Zukunft möglich,
in Chatrooms, beispielsweise im Darknet, solche widerlichen Täter aufzuspüren und
damit Kinder vor weiterem Missbrauch zu schützen. Das ist ein ganz wichtiges Ermitt-
lungsinstrument.

Doch dabei werden wir es nicht belassen. Die Möglichkeiten zur Anordnung von Un-
tersuchungshaft für solche Täter werden wir erweitern, und wir werden den Ermittlern
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auch die Möglichkeit an die Hand geben, die Vorratsdatenspeicherung zu nutzen, so-
weit dies mit deutschem und europäischem Recht vereinbar ist.

Der Kampf gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder duldet keinen Aufschub. Deshalb
werden wir auch unseren Gesetzentwurf alsbald in das parlamentarische Verfahren
geben. Wir senden damit ein klares Signal: Kein Täter kann sich in diesem Land vor
einer Entdeckung sicher fühlen.

Wenn es um besseren Schutz von Kindern geht – auch das will ich an dieser Stelle
klar sagen –, darf man sich freilich nicht auf den Kampf gegen sexuelle Gewalt be-
schränken. Die Belange der Kinder müssen umfassende Berücksichtigung finden.
Deshalb reformieren wir das Kindschaftsrecht. Deshalb passen wir das Familienrecht
an die neuen Lebensbedingungen, Lebensrealitäten an und sichern Kinder besser ab.
Deshalb müssen auch Kinderrechte endlich in das Grundgesetz aufgenommen wer-
den.

Im Koalitionsvertrag haben die Regierungsfraktionen den richtungsweisenden Be-
schluss gefasst, dieses Vorhaben anzugehen, und ich weiß ja, dass ich den Kollegen
Seehofer da ganz eng an meiner Seite habe. Herr Seehofer, ich habe einen sehr ab-
gewogenen Vorschlag vorgelegt, der das Kindeswohl in den Blick nimmt, aber eben
nicht, was oftmals befürchtet wird, die Elternrechte beschneidet. Deswegen kann ich
in Richtung des Kollegen Seehofer und auch der Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU nur sagen: Lassen Sie den Worten aus dem Koalitionsvertrag endlich Taten
folgen! Wir sind es unseren Kindern schuldig, dass die Kinderrechte endlich im Grund-
gesetz verankert werden.

Nicht nur beim Schutz von Kindern ist in unserem Land noch manches zu tun. Auch in
Sachen Gleichstellung brauchen wir konkrete Verbesserungen, und auch das packen
wir noch an in dieser Legislaturperiode. Noch immer sagen viele große Unternehmen:
Wir wollen keine Frauen in unserem Vorstand. 70 Prozent haben bei der Abfrage er-
klärt: Keine Frauen im Vorstand. Ich sage Ihnen: Das ist ein Schlag ins Gesicht der
vielen hochqualifizierten Frauen in unserem Land, und daran muss sich etwas ändern.
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Deshalb brauchen wir endlich auch für die Vorstandsebene von Unternehmen eine
verbindliche Quote, wie wir sie für Aufsichtsräte schon seit vier Jahren haben. Wir
brauchen eine Regelung für große börsennotierte Unternehmen, die vorschreibt:
Wenn der Vorstand aus mehr als drei Personen besteht, muss mindestens eine Frau
mit am Tisch sitzen. Ich denke, das ist im Jahr 2020 keineswegs zu viel verlangt.

Ich komme zu einem weiteren Thema. Unsere Gesellschaft hat seit Beginn der
Coronapandemie viel Solidarität und Charakter bewiesen. Diesen Geist der Fairness
und des Zusammenhalts gilt es zu bewahren. Auch dazu leisten wir mit unseren Vor-
haben einen Beitrag. Ich erwähne nur das Sanierungs- und Insolvenzrecht. Dazu ha-
ben wir einen Vorschlag vorgelegt, der alle Belange in den Fokus rückt. Außerdem
verkürzen wir die Dauer der Restschuldbefreiung für überschuldete Verbraucher und
Unternehmer. Denn jeder und jede hat eine zweite Chance verdient, wenn er oder sie
einmal in wirtschaftliche Schwierigkeiten gekommen ist.

Wir haben die Mietpreisbremse stärker angezogen und die Belastung durch Makler-
gebühren gesenkt, damit sich alle Menschen eine Wohnung, ein Zuhause leisten kön-
nen. Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen, weil das vorher schon ausführlich
Thema war: Das Umwandlungsverbot beziehungsweise das Anheben von Hürden,
dass man eben nicht einfach so Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umwandeln
kann, wie man das möchte, das haben wir miteinander vereinbart.

Deswegen ist dieser Entwurf, wie er auf dem Tisch liegt, keineswegs ressortabge-
stimmt. Ich kann Ihnen sagen, Herr Seehofer: Da ist das letzte Wort noch nicht gespro-
chen. Bei dieser Umwandlung werden wir sehr wohl darauf drängen, dass das, was
vereinbart wurde, auch umgesetzt wird.

Wir haben ein Gesetz für faire Verbraucherverträge vorgelegt, gegen telefonische
Überrumpelung und Knebelverträge etwa mit Mobilfunkanbietern oder Fitnessstudios;
denn in einer Gesellschaft, die solidarisch ist und zusammenhält, zieht man sich nicht
einfach so über den Tisch. Außerdem machen wir Schluss mit überhöhten Inkassoge-
bühren, gefälschten Produktbewertungen und mit Abmahnmissbrauch. Und: Wir sor-
gen dafür, dass die Geldwäsche effektiv bekämpft wird.
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Wenn wir von Wirtschaftskriminalität sprechen, dann kommen wir nicht umhin, auch
das Thema Unternehmenssanktionen anzusprechen. Das ist ein ganz wichtiges
Thema, das im Koalitionsvertrag ausbuchstabiert wurde wie kaum ein anderes Thema;
es wurde en détail klar geregelt. Ich habe daraus einen Gesetzentwurf entwickelt; er
liegt auf dem Tisch. Ich kann nur sagen – auch da wieder an die Kolleginnen und
Kollegen von der Union und auch an die Kollegin aus dem Kabinett –: Pacta sunt ser-
vanda. Wir haben uns darauf verständigt, ich habe vorgelegt, und jetzt müssen wir das
auch beschließen. Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein. Wer sich an Recht und
Gesetz als Unternehmer hält, darf keinen Wettbewerbsnachteil denen gegenüber ha-
ben, die tricksen, täuschen und betrügen.

Eine zeitgemäße Rechtspolitik, die Fairness und Solidarität fördert, die klare Grenzen
zieht, wo es notwendig ist, dafür steht mein Haus, dafür stehe ich.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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