Computereinsatz in der Newton'schen Mechanik-Vergleich von Modellbildung und Videoanalyse-PhyDid

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Computereinsatz in der Newton'schen Mechanik-Vergleich von Modellbildung und Videoanalyse-PhyDid
Physik und Didaktik in Schule und Hochschule
 1/19 (2020), S. 43 - 56

 Computereinsatz in der Newton’schen Mechanik
 – Vergleich von Modellbildung und Videoanalyse –
 Jannis Weber, Thomas Wilhelm

 Max-von-Laue-Str. 1, 60438 Frankfurt am Main
 weber@physik.uni-frankfurt.de
 (Eingegangen: 08.06.2020; Angenommen: 25.11.2020)

 Kurzfassung
 Die Grundaussagen der Newton’schen Mechanik sind aufgrund vielfältiger und dazu scheinbar wi-
 dersprüchlicher Alltagswahrnehmungen für Schülerinnen und Schüler nur schwer zu erlernen. Dies
 zeigt sich in einem nicht angemessenen Kraftverständnis und hartnäckigen Schülervorstellungen im
 Bereich der Mechanik. Hier wird eine Vergleichsstudie vorgestellt, bei der die durchgeführten In-
 terventionen die Verbesserung des Konzeptverständnisses der Newton’schen Mechanik zum Ziel
 haben. Es wird mit realen Experimenten gearbeitet und Reibungseinflüsse werden bewusst thema-
 tisiert und diskutiert. Vertieft werden dabei die grundlegenden Gesetze der Mechanik. Es wird ei-
 nerseits der Ansatz gewählt, dass Lernende reale Bewegungen am Computer selbst modellieren und
 mit der Realität vergleichen und diese andererseits mit Videoanalyseprogrammen analysieren. Die
 Ergebnisse deuten an, dass die Interventionen wirksam für das Verbessern des Konzeptverständnis-
 ses der Newton’schen Dynamik sind. Außerdem wird auf die spezifischen Unterschiede zwischen
 beiden Interventionen eingegangen.

 Abstract
 Students experience many difficulties learning the fundamental relationships in Newtonian Mechan-
 ics, partly due to many pre-existing students’ conceptions that originate from everyday life. These
 misconceptions often persist even after instruction in mechanics and lead to a supposed incompati-
 bility between physics lessons and personal experiences. This article presents a comparative study
 that tries to enhance students’ concept knowledge in the field of dynamics after their regular lessons
 in school by discussing real experiments with friction and by an intensive use of computers. One
 intervention uses modelling software whereas the students in the other intervention work with video
 analysis software. The results suggest that the interventions are both effective in teaching Newtonian
 mechanics. Additionally, differences between the interventions are discussed in the article.

1. Einleitung einem bestimmten Tempo zu fahren, und auch im
Schülervorstellungen halten sich in der Mechanik be- Auto wird das Gaspedal konstant betätigt, wenn es
sonders hartnäckig und sind sehr gut erforscht [1]. Ein sich mit einer gleichbleibenden Geschwindigkeit be-
Erklärungsansatz dafür ist die Tatsache, dass sich die wegt. Ohne eine Thematisierung der Reibung ist für
Mechanik mit der direkten Lebenswelt der Schülerin- Schülerinnen und Schüler die Notwendigkeit nicht er-
nen und Schüler beschäftigt und sich die Schülervor- sichtlich, von ihren Konzepten auf die der New-
stellungen somit im Laufe des Lebens der Lernenden ton’schen Mechanik überzugehen.
festigen konnten. Eine Thematisierung von Reibung stellt den Physik-
Die Schulmechanik steht also vor der Aufgabe, den unterricht aber vor mathematische Probleme. Es ist
Schülerinnen und Schülern physikalisch korrekte und nicht möglich, reale Bewegungen, bei denen mehrere
tragfähige Konzepte zu liefern, sodass sie neben ihren Kräfte wirken, die möglicherweise geschwindigkeits-
bestehenden Präkonzepten die physikalisch er- oder ortsabhängig sind, ohne Hilfsmittel quantitativ
wünschten Konzepte aufnehmen und diese in Aufga- zu betrachten. Der Computer kann allerdings ein sol-
ben nutzen. Dies erweist sich erfahrungsgemäß als ches Hilfsmittel sein.
schwierig. Einerseits können mit dem Computer Bewegungen
Schülerinnen und Schüler gehen zu einem Großteil modelliert werden. Dabei muss sich der Nutzer bzw.
davon aus, dass eine Kraft in Bewegungsrichtung die Nutzerin Gedanken über die auf einen Körper wir-
wirken müsse, damit sich etwas bewegen kann. Dies kenden Kräfte machen und so das zu einer Bewegung
ist aus Alltagssicht naheliegend, da man z. B. auf dem gehörende mathematische Modell erstellen. Der Nut-
Fahrrad dauerhaft in die Pedale treten muss, um mit zer bzw. die Nutzerin sollte selbst entscheiden, ob

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Reibung in einem konkreten Fall einbezogen werden Gerade wenn Lernende die Software selbstständig
muss oder nicht. Es wird also ein theoretisches Mo- nutzen sollen, ist eine intuitive und einfache Bedie-
dell erstellt, was dann mit der Realität verglichen wer- nung wichtig. Daher wird hier der Einsatz des glei-
den kann. chungsbasierten Modellbildungsprogramms „New-
Andererseits kann der Computer zur Messung und ton-II“ [13] erforscht, zu dem es bisher keine empiri-
Auswertung von Experimenten genutzt werden. Da- schen Untersuchungen gibt. Bei „Newton II“ steht der
bei werden Messdaten dargestellt und interpretiert, Zusammenhang zwischen Kräften und Bewegung im
wobei der Einfluss von Reibung qualitativ bespro- Mittelpunkt, während die kinematischen Zusammen-
chen werden kann. Ein Beispiel hierfür ist die Video- hänge vom Programm automatisch berechnet werden.
analyse, die mit einfachen Mitteln eine Analyse von 2.2. Videoanalyse
alltäglichen Bewegungen ermöglicht. Hier wird also Videoanalyse ist eine kontaktlose Messmethode, die
von Messdaten eines Experiments ausgegangen und es erlaubt, zweidimensionale Bewegungen auf eine
diese mit der dahinterliegenden Theorie verknüpft einfache Art zu analysieren und die gewonnenen Da-
und erklärt. ten auf vielfältige Weise darzustellen. Im Vergleich
 zu Messwerterfassungssystemen sind gerade diese
2. Theoretischer Hintergrund
 einfach zu nutzenden Darstellungsmöglichkeiten ein
2.1. Mathematische Modellbildung großer Vorteil. Die Videoanalyse wird bereits seit
Mathematische Modellbildung bezeichnet die „Kon- vielen Jahren im Physikunterricht eingesetzt [14] und
struktion eines Netzwerks physikalischer Begriffe sie hat sich in den letzten Jahren, auch durch verbes-
und Beziehungen, mit denen das Verhalten eines phy- serte Software, zunehmend etabliert [15; 16]. Video-
sikalischen Systems beschrieben und vorhergesagt analyse kann an Laptops, Tablets und Smartphones
werden kann“ [2]. Mathematische Modellbildung für durchgeführt werden, die unterschiedliche Vor- und
den Physikunterricht ist keine neue Idee und wurde Nachteile mit sich bringen.
schon in den 1980er-Jahren eingesetzt. Die verwen- Insgesamt haben Studien zur Videoanalyse gezeigt,
dete Software hat sich seitdem grundlegend verändert dass Probandinnen und Probanden bei der Nutzung
[3]. In den frühen Jahren wurde die Software nahezu einen Vorteil beim Interpretieren von Bewegungsgra-
ausschließlich von der Lehrkraft bedient. Dabei phen [17] und dem Konzeptverständnis zum Brems-
wurde meist auf die Nutzung von Programmierspra- vorgang haben [18]. Außerdem wurden positive Ef-
chen wie „Basic“ oder „Pascal“ zurückgegriffen. fekte auf Motivation und Neugierde gemessen [19].
Möglich ist die mathematische Modellbildung auch Es wurde gezeigt, dass das Konzeptverständnis ins-
mit Tabellenkalkulationsprogrammen wie Microsoft besondere bei anspruchsvollen Aufgaben in der Kine-
Excel, wobei in beiden Fällen die sogenannte „Me- matik durch den Einsatz von Videoanalyse stärker als
thode der kleinen Schritte“ genutzt wird. Graphische durch normalen Unterricht verbessert wird [20]. Die
Modellbildungsprogramme bieten hingegen den Vor- Nutzung von multiplen Repräsentationen [21], wie
teil, dass die zugrundeliegende Struktur des mathe- bspw. Graphen oder Vektorpfeilen in Kombination
matischen Modells visuell dargestellt wird. Außer- mit Videos, kann sich positiv auf den Lernzuwachs
dem gibt es gleichungsbasierte Modellbildungssoft- auswirken [22]. Insgesamt sind die Forschungsergeb-
ware, in der lediglich die wirkenden Kräfte, die An- nisse zur Videoanalyse aber weitestgehend auf den
fangsbedingungen und die Masse eines Objekts ein- Bereich der Kinematik beschränkt. In dieser Studie
gegeben werden müssen, was die Bedienung verein- wird der Einsatz der Software „measure dynamics“
facht. Jede dieser Arten der Modellbildung bringt [23] für Laptops im Bereich der Dynamik erforscht.
Vor- und Nachteile mit sich und sollte je nach Ziel-
setzung des Unterrichts eingesetzt werden. 2.3. Cognitive Load Theory
Untersuchungen zum Einsatz der mathematischen Die Cognitive Load Theory (CLT) [24; 25] postuliert
Modellbildung zeigen, dass insbesondere in der Se- eine limitierte Kapazität des für Lernprozesse wichti-
kundarstufe die zum Teil weitreichenden Erwartun- gen Arbeitsgedächtnisses. Zudem ist die Zeit be-
 grenzt, in der die zu verarbeitenden Informationen zur
gen bisher nicht erfüllt wurden [4; 5]. Dennoch
 Verfügung stehen. Das Arbeitsgedächtnis ist für die
konnte gezeigt werden, dass der Einsatz von graphi-
schen Modellbildungsprogrammen im Vergleich zum Konstruktion von neuen Schemata wichtig und sollte
 daher nicht überlastet sein. Dies sollte bei der Erstel-
normalen Unterricht eine Verbesserung der halb-
 lung von Lernumgebungen beachtet werden.
quantitativen Beschreibung von mechanischen Bewe-
gungen bewirkt [6]. Benacka konnte einen motivie- Es werden drei Arten der kognitiven Belastung unter-
renden Effekt von Modellbildung mit Excel bei Ober- schieden [26]. Die intrinsische kognitive Belastung
stufenschülern zeigen [7-9]. In Universitäten hat sich (intrinsic cognitive load/ICL) hängt von der Komple-
„VPython“ [10] etabliert, eine Software, die auf der xität der Informationen ab, die verarbeitet werden
Programmiersprache Python beruht und mit der für müssen, und ist damit von der Lernaufgabe und dem
die Modellbildung einfach 3D-Animationen erstellt Vorwissen des Lernenden abhängig. Sie kann durch
werden können [11]. In Schulen scheint der Einsatz die Lernumgebung also nicht beeinflusst werden. Die
von VPython mit mehr Problemen daherzukommen extrinsische kognitive Belastung (extraneous cogni-
[12]. tive load/ECL) wird maßgeblich durch die Gestaltung

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der Lernumgebung beeinflusst und sollte nach der Da Modellieren im Mechanikunterricht eher selten
CLT möglichst reduziert werden, da sie für den Lern- Anwendung findet [16] und das Modellverständnis
prozess nicht förderlich ist. Die lernbezogene kogni- bei vielen Schülerinnen und Schülern nicht zufrieden-
tive Belastung (germane cognitive load/GCL) ist die stellend ist [29], wird untersucht, ob eine Intervention
für den Lernprozess relevante Lernbelastung, die für zum mathematischen Modellieren eine Veränderung
die Konstruktion und Automatisierung neuer Sche- der Einstellung zu Modellen in der Physik mit sich
mata verantwortlich ist und möglichst groß sein bringt, ohne dass dies in der Intervention explizit the-
sollte. matisiert wird:
Die CLT ist eine Theorie, die eine Begründung dafür • Kann durch das aktive Modellieren eine Verände-
liefern kann, welche Lernumgebungen lernförderlich rung der Einstellungen gegenüber Modellen er-
sind und welche zu einer unnötigen kognitiven Belas- reicht werden, ohne dass die Eigenschaften von
tung führen, die eine Konstruktion von neuen Sche- Modellen aktiv thematisiert werden?
mata behindert. Im Kontext der Videoanalyse wurde
gezeigt, dass eine Reduktion des ECL mit einem hö- 4. Studiendesign
heren Lernzuwachs einhergeht [27; 28]. Um die Forschungsfragen zu beantworten, wurde
 eine quasi-experimentelle Studie im Prä-Post-Design
3. Zielsetzung der Studie und Forschungsfragen durchgeführt [30]. Dazu wurde eine Intervention zur
Die Studie betrachtet Schülerinnen und Schüler, die Dynamik mit mathematischer Modellbildung (mit
im normalen Schulunterricht die Newton’schen Ge- „Newton-II“) und eine mit Videoanalyse (mit „mea-
setze bereits behandelt haben. Sie soll untersuchen, sure dynamics“) erstellt, welche sich nur im Einsatz
inwiefern eine anschließende Intervention zur New- der Software unterscheiden. Dabei werden jeweils
ton’schen Dynamik mit mathematischer Modellbil- vier Experimente durchgeführt (Fallbewegung mit
dung bzw. Videoanalyse wirksam für das weitere Er- Reibung, abschnittsweise beschleunigte Bewegung
lernen bzw. Vertiefen der Dynamik ist: eines Wagens, schiefer Wurf mit und ohne Reibung,
• Führt eine computergestützte Intervention mit Kreisbewegung), die daraufhin in Partnerarbeit mit
 mathematischer Modellbildung oder Videoana- dem Computer modelliert oder analysiert werden.
 lyse nach dem Erlernen der Newton’schen Ge- Die Probandinnen und Probanden arbeiten nach einer
 setze zu einem messbaren Zuwachs im Konzept- Einführung in das Programm selbstständig. Die Klas-
 verständnis? sen (E-Phasen/11. Klassen) besuchen dazu das Schü-
 lerlabor der Goethe-Universität Frankfurt und werden
Neben der Wirksamkeit der Interventionen ist außer-
 klassenweise zu einer der beiden Interventionen zu-
dem eine differenziertere Betrachtung von Interesse,
 geordnet. Der Vortest wird etwa eine Woche vor der
bei der es darum geht, ob sich die Interventionen im
 Intervention in der Schule durchgeführt, während der
Lernzuwachs unterscheiden und ob es Unterschiede
 Nachtest direkt im Anschluss an die Intervention
in verschiedenen inhaltlichen Bereichen oder vorhan-
 folgt. Die Interventionen nehmen ca. 3,5 Stunden in
denen Schülervorstellungen gibt:
 Anspruch, wonach sich direkt der Nachtest anschließt
• Welche Unterschiede lassen sich zwischen einem (Abb. 1).
 modellierenden Vorgehen mit mathematischer
 Modellbildung und einem messenden Vorgehen
 mit Videoanalyse beim Erlernen der New-
 ton’schen Mechanik erkennen?
Die Ergebnisse sollen dabei in die Cognitive Load
Theory eingebettet werden.
Da zum Vertiefen der Grundaussagen der Dynamik
ein von der Theorie ausgehender (Modellierung) und
ein vom Experiment und dessen Auswertung ausge-
hender (Videoanalyse) Zugang gewählt wird, besteht
die Hypothese, dass Lernende, die eher an theoreti-
schen Zusammenhängen interessiert sind, einen grö-
ßeren Lernzuwachs bei der Modellbildung erzielen, Abb. 1: Ablauf der Vergleichsstudie. Die Zuordnung er-
während Lernende, die am Experimentieren interes- folgt klassenweise.
siert sind, bei der Videoanalyse mehr lernen. Daraus
könnten sich folglich Empfehlungen für den Einsatz 5. Testinstrument
der beiden Methoden im Schulunterricht ableiten, Für die Studie wurde ein Testinstrument mit verschie-
weshalb gefragt wird: denen Abschnitten erstellt und pilotiert.
• Ist es für den Lernzuwachs in einer jeweiligen In- 5.1. Konzeptverständnis
 tervention entscheidend, wie groß das Interesse an
 Theorie bzw. Experiment bei den Probandinnen Der Hauptteil des Testinstruments besteht in der Tes-
 und Probanden ist? tung des Konzeptverständnisses. Von den insgesamt
 23 Items (davon vier Kontrollitems) des Tests sind 13

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aus dem FCI-Test [31]. Davon wurden sieben original zum Lernen von Physik und der Wunsch des Einsat-
übernommen, vier geändert und zwei durch eine zes im Schulunterricht abgefragt. Die Skala zur Rele-
zweite Stufe (Begründung der Antwort) ergänzt. Vier vanz des behandelten Themas enthält Items, die die
Items sind aus dem FMCE-Test von Thornton & So- Wichtigkeit des Gelernten und den Wunsch, mehr zu
koloff [32] in der Version von Wilhelm [21] (siehe erfahren, abfragen, während es in der Skala „Spaß an
auch [33]), drei Items sind eigens erstellt, zwei von der Intervention“ um die erlebte Freude an dem Tag
Wilhelm [34] nach Flores et al. [35], und eins ist von geht. Die Items werden auf einer fünfstufigen Likert-
Warren [36] in veränderter Form übernommen. Alle Skala beantwortet. Die Pilotierung fand hier ebenfalls
Items werden dichotom ausgewertet und ein zweistu- mit N = 85 Schülerinnen und Schülern statt (siehe
figes Item gilt als richtig, wenn auch die Begründung Tab. 2).
richtig gewählt wurde. Skalenbezeichnung Items !
Der FCI-Test ist der bekannteste Test für das Kraft- Bewertung der Software 5 0,85
verständnis. Er testet reliabel das Kraftverständnis Relevanz des behandelten Themas 3 0,78
[37] und bietet eine hohe Vergleichbarkeit zu anderen Spaß an der Intervention 4 0,85
Studien [38]. Allerdings lassen sich die Items im FCI- Tab. 2: Skalen zur Bewertung der Intervention
Test nicht reliabel verschiedenen Inhaltsbereichen zu-
ordnen, die eine differenziertere Betrachtung erlau- 5.4. Cognitive Load
ben würden [39]. Da der FCI-Test aber geeignete Um die kognitive Belastung zu messen, wurde ein
Items enthält, diente er auch hier als Grundlage für Testinstrument von Becker et al. [27] übernommen,
die Erstellung des Tests. das auf einem englischsprachigen Test von Leppink
Nach einer Pilotierung mit N = 85 Schülerinnen und et al. [43] basiert. Die Items werden auf einer sechs-
Schülern wurden durch einen Scree-Test vier inhalt- stufigen Likert-Skala beantwortet. Tabelle 3 gibt die
liche Dimensionen mit guten Cronbachs Alphas iden- Reliabilitäten nach Becker et al. [44] an.
tifiziert (siehe Tab. 1). Skalenbezeichnung Items !
 Inhaltsbereiche Items ! Instrinsic Cognitive Load (ICL) 3 0,86
 Beschleunigungsdiagramme 4 0,91 Extranous Cognitive Load (ECL) 3 0,55
 1. Newton’sches Gesetz mit Kräfte- 4 0,75 Germane Cognitive Load (GCL) 4 0,93
 kompensation Tab. 3: Skalen zum Cognitive Load
 Kraft bei bekannter Bewegung 5 0,74
 Bewegung bei bekannter Kraft 6 0,70 5.5. Kontrollvariablen
Tab. 1: Dimensionen zum Konzeptverständnis Um die Gleichheit der Gruppen in möglicherweise
 lernrelevanten Variablen zu überprüfen, wurden zu-
Aus dem FCI-Test wird zudem der Inhaltsbereich dem verschiedene Kontrollvariablen erhoben. Dazu
„drittes Newton’sches Gesetz“ mit vier Items als gehören die Mathematik- und Physiknote, das Fach-
Kontrollskala hinzugenommen, die bereits im FCI- spezifische Selbstkonzept [45], das Fachinteresse
Test eine hohe interne Konsistenz aufweist [40; 41]. [46], das Interesse an theoretischen Zusammenhän-
Das dritte Newton’sche Gesetz ist nicht Teil der In- gen (eigene Items), das Interesse am Experimentieren
tervention, weswegen hier keine Änderung zu erwar- (eigene Items) und das Interesse an Computern [47]
ten ist. Der Test weist also bezüglich der Art der Items (siehe Tab. 4). Alle diese Items werden auf einer fünf-
eine große Ähnlichkeit zum FCI-Test auf. stufigen Likert-Skala beantwortet.
5.2. Modellverständnis Skalenbezeichnung Items !
Um die Einstellungen der Probandinnen und Proban- Fachspezifisches Selbstkonzept 4 0,93
den gegenüber Modellen in der Physik messen zu Fachinteresse 4 0,87
können, wurden eigene Items erstellt und pilotiert. Interesse an theoretischen Zusammen- 5 0,76
Die Items decken dabei verschiedene Eigenschaften hängen
ab, die Modelle innerhalb der Physik annehmen kön- Interesse am Experimentieren 3 0,78
nen und testen deklaratives Modellverständnis. Die Computeraffinität 4 0,72
Antworten erfolgen auf einer fünfstufigen Likert- Tab. 4: Kontrollvariablen
Skala. Diese Skala mit sieben Items über verschie-
dene Eigenschaften von Modellen wurde mit N = 116 6. Interventionen
Probandinnen und Probanden pilotiert, wobei sich ein Die Interventionen bestehen jeweils aus vier Experi-
Cronbachs Alpha von 0,72 ergab. menten, die die Grundaussagen der Newton’schen
5.3. Bewertung der Intervention Mechanik verdeutlichen sollen. Der gesamte Prozess
Um die affektiven Merkmale zur Intervention testen wird in beiden Gruppen von einem Arbeitsheft be-
zu können, wurden Items von Laukenmann et al. [42] gleitet [48]. Allen gemeinsam ist, dass Reibungsein-
übernommen. Zusätzlich wurden eigene Items zur flüsse bewusst thematisiert werden und damit der Un-
Bewertung der verwendeten Software erstellt. In die- terschied zwischen einer idealisierten Situation und
sen Items wird die Nutzerfreundlichkeit, die Eignung einer realen Bewegung herausgearbeitet wird. Es

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wurden dazu bewusst verschiedene Bewegungen aus- horizontalen Ebene fährt und von einem Gewicht, das
gewählt, die sich ergänzen und damit den Kern der über ein Seil mit dem Wagen verbunden ist, zunächst
Newton’schen Mechanik verdeutlichen sollen. In bei- beschleunigt wird. Etwa bei der Hälfte der Bewegung
den Interventionen stellt die Durchführung des Expe- kommt das Gewicht allerdings auf dem Boden auf,
riments den Ausgangspunkt jeder Arbeitsphase dar. wodurch nur noch Reibungskräfte auf den Wagen
Die Arbeitsphase selbst findet anschließend in Zwei- wirken. Auch ohne eine Kraft in Bewegungsrichtung
ergruppen am Computer statt. bewegt sich der Wagen weiter und wird lediglich
In der mathematischen Modellbildung werden da- durch Reibungskräfte gebremst.
raufhin Hypothesen formuliert, welche Kräfte wäh- 6.3. Schiefer Wurf
rend der Bewegung auf das sich bewegende Objekt Die erste zweidimensionale Bewegung ist ein schie-
gewirkt haben könnten. Diese Hypothesen werden fer Wurf, der von einem Katapult ausgeführt wird.
dann mithilfe der Software expliziert und ausprobiert. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass der Flug
Nach einer ersten Prüfung des Modells können die einer Stahlkugel, bei der ein Modell ohne Luftreibung
Hypothesen angepasst werden. Danach findet ein die Realität hinreichend genau beschreibt, mit dem
Vergleich des Modells mit Realdaten statt, die in das Flug einer Styroporkugel verglichen wird, deren
Programm eingefügt werden. Nach einer erneuten Flugbahn stark von Luftreibung beeinflusst wird. Die
Anpassung des Modells beantworten die Modellierer Form der Flugbahn ist sekundär. Der Fokus liegt nach
mit dem Modell Fragen, die die Zusammenhänge wie vor auf dem Zusammenhang zwischen Beschleu-
zwischen den vorkommenden Größen betreffen. nigung und der Summe der wirkenden Kräfte.
Die Gruppe der Videoanalyse geht von dem Video 6.4. Kreisbewegung
des Experiments aus, aus dem mithilfe von „measure
 Der letzte Versuch ist eine Kreisbewegung, bei der
dynamics“ Daten gewonnen werden. Diese Daten
 eine Stahlkugel von einem Elektromagneten festge-
können in unterschiedlicher Weise aufbereitet und
 halten und so im Kreis beschleunigt wird. Nach einer
angezeigt werden (Geschwindigkeits- und Beschleu-
 gewissen Zeit wird der Elektromagnet ausgeschaltet
nigungspfeile im Video, synchron zum Video entste-
 – die Kugel rollt geradeaus weiter. Typische Schüler-
hende Graphen und Stroboskopbilder). Sie verdeutli-
 vorstellungen sind hier, dass die Kugel durch die
chen den Zusammenhang innerhalb der kinemati-
 Zentrifugalkraft nach außen gedrückt werde oder
schen Größen und erlauben auch, von der Beschleu-
 auch, dass während der gleichförmigen Kreisbewe-
nigung auf die wirkende Gesamtkraft zu schließen.
 gung keine Beschleunigung vorhanden sei. Die Ler-
Der fundamentale Unterschied zwischen beiden nenden sollen vor dem Ausprobieren die Bahnkurve
Gruppen besteht neben der verwendeten Software in nach Ausschalten des Elektromagneten voraussagen.
der Argumentationsrichtung. Eine Gruppe nähert sich Das geradlinige Weiterrollen mit (nahezu) konstan-
von der Theorie und modelliert die Realität, die an- tem Tempo soll im Laufe der Arbeitsphase durch die
dere Gruppe geht von den Daten aus und analysiert (nahezu) Kräftefreiheit der Kugel (in der Ebene) er-
diese. Dieses Vorgehen ist für alle in der Intervention klärt werden.
durchgeführten Experimente identisch.
6.1. Fallkegel 7. Ergebnisse
Der Einstiegsversuch ist ein Fallkegel. Die relevanten Für die Durchführung der Studie wurde für das erste
Kräfte, die auf den Fallkegel wirken, sind eine kon- Halbjahr 2020 eine Teilnahme von 33 Klassen mit
stante, nach unten wirkende Gravitationskraft und insgesamt ca. 630 Schülerinnen und Schülern organ-
eine zunehmende, nach oben wirkende Luftreibungs- siert. Als die Hälfte der Klassen teilgenommen hatte,
kraft. Verdeutlicht werden soll vor allem, dass sich gab es infolge der Corona-Krise eine Schulschließung
der Fallkegel am Ende der Bewegung mit konstanter und die Vorgabe, dass im ganzen Schuljahr keine au-
Geschwindigkeit bewegt, da die Luftreibungskraft so ßerschulischen Aktivitäten mehr stattfinden dürfen.
lange zunimmt, bis ein Kräftegleichgewicht besteht Nach der Durchführung der Intervention mit 17 Klas-
und die Summe aller auf den Körper wirkenden sen haben N = 246 Lernende (davon 106 weiblich) an
Kräfte null ist. Dadurch soll die Proportionalität zwi- Vortest, Intervention und Nachtest teilgenommen.
schen Kraft und Beschleunigung verdeutlicht werden, Mit diesen Daten sollen einige Ergebnisse vorgestellt
da Schülerinnen und Schüler häufig von einer Propor- werden.
tionalität zwischen Kraft und Geschwindigkeit ausge- Um die Vergleichbarkeit der beiden Gruppen zu über-
hen. Der Versuch wird zudem zum Kennenlernen des prüfen, wurden neben dem Konzeptverständnis im
jeweiligen Programms genutzt, wobei die Zweier- Vortest weitere Kontrollvariablen erhoben. Dabei
gruppen zwar an ihrem eigenen PC arbeiten, die Lehr- handelt es sich um das fachspezifische Selbstkonzept,
kraft aber über einen Beamer zeigt, wie mit dem Pro- das Fachinteresse, das Interesse am Experimentieren,
gramm umzugehen ist. das Interesse an theoretischen Zusammenhängen, das
6.2. Wagen Interesse an Computern und die Noten in Mathematik
Nach der Einführung wird bei allen Experimenten und Physik. In keiner dieser Skalen gab es einen Un-
selbstständig gearbeitet. Der zweite Versuch ist ein terschied zwischen den Gruppen.
Wagen, der auf einer geradlinigen Fahrbahn in der 7.1. Konzeptverständnis

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Zum Testen des Konzeptverständnisses wurde ein • 1. Newton’sches Gesetz: d = 0,66 [0,55;0,78]
Test mit 19 passenden Items erstellt und pilotiert (mittel)
(siehe Abschnitt 5) [49]. Wenn damit der Zuwachs im • Bewegung bei bekannter Kraft: d = 0,61
Konzeptverständnis betrachtet wird (Abb.2), können [0,49;0,75] (mittel)
beide Interventionsformen als erfolgreich angesehen
 • Kraft bei bekannter Bewegung: d = 0,89
werden.
 [0,76;1,02] (groß)
 Dabei ist ersichtlich, dass die Konstrukte, die Inhalte
 der Dynamik überprüfen, alle einen Zuwachs mit
 mittlerem oder großem Effekt verzeichnen, während
 sich die einzige kinematische Skala mit geringerer Ef-
 fektstärke verbessert.

 Abb. 3: Anteil an richtigen Antworten für beide Gruppen
 in den Skalen in Vor- und Nachtest mit Standardfehler.
 Signifikanzniveau: *** p < 0,001
Abb. 2: Boxplots der erreichten Punktzahlen beider Grup- Während der Zugewinn bei den ersten vier Skalen
pen in Vortest t1 und Nachtest t2 (maximal 19 Punkte den Erwartungen entspricht, erstaunt zunächst der
möglich) Zugewinn bei der Kontrollskala „3. Newton’sches
Da die Daten als ausreichend normalverteilt angese- Gesetz“ (Abb. 3). Wenn man sich die Items der Kon-
hen werden können, wurde mit dem t-Test für ge- trollskala einzeln anschaut, ergibt sich ein differen-
paarte Stichproben der Unterschied der Mittelwerte zierteres Bild. Es ist zu erkennen, dass die Verände-
der Punktzahlen im Vor- und Nachtest auf Signifi- rung der Skala nur auf ein Item zurückzuführen ist
kanz überprüft. Dieser Test fällt in beiden Gruppen (Abb. 4). In diesem Item wird nach den Kräften auf
höchst signifikant (p < 0,001) aus. Bortz [50] emp- einen PKW und einen LKW gefragt, während der
fiehlt für diese Situation eine Effektstärke, in die ne- PKW den LKW mit konstanter Geschwindigkeit vor
ben der Streuung der Differenzen die Korrelation sich herschiebt (FCI-Item). Eine Hypothese zur Er-
zwischen beiden Messwertreihen als Korrekturfaktor klärung des größeren Anteils richtiger Antworten ist
eingeht.1 Dabei ergeben sich Effektstärken von hier, dass die Probandinnen und Probanden durch die
d = 0,96 (95 %-KI: [0,81;1,14], Modellbildung) bzw. Intervention gelernt haben, dass eine konstante Ge-
d = 1,1 [0,91;1,36] (Videoanalyse), was jeweils ei- schwindigkeit immer mit einem Kräftegleichgewicht
nem großen Effekt entspricht [51], obwohl es sich bei einhergeht, und dass sie diese Erkenntnis fälschli-
den Interventionen nur um eine Vertiefung nach dem cherweise auf die Gleichheit von zwei an unterschied-
eigentlichen Unterricht der Newton’schen Gesetze lichen Körpern angreifenden Kräften übertragen ha-
handelte. ben (Wechselwirkungsprinzip), was eine typische
 Schülervorstellung ist [1].
Dabei lassen sich die Test-Trainingseffekte als gering
einstufen, da dieser Effekt bei Tests wie dem FCI ge-
ring ist [40], und da etwa eine Woche zwischen den
Testzeitpunkten verging und sich außer bei einem I-
tem keine Änderung in der Kontrollskala „3. New-
ton’sches Gesetz“ zeigte (siehe unten). Bei allen in-
haltlichen Dimensionen des Tests gibt es höchst sig-
nifikante Zugewinne in beiden Teilgruppen (siehe
Abb. 3). Es ergeben sich mit analoger Berechnung
folgende Effektstärken in den Inhaltsbereichen:
• Beschleunigungsdiagramme: d = 0,23 [0,1;0,36]
 (klein)

1 = ! ⁄$ "# + ## − 2 " #

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Abb. 4: Anteil an richtigen Antworten für beiden Gruppen Gruppen kommt. Alternativ kann eine zweifaktorielle
in den Skalen in Vor- und Nachtest mit Standardfehler. Kovarianzanalyse (ANCOVA) durchgeführt werden,
Signifikanzniveau: *** p < 0,001, n. s. nicht signifikant die versucht, mögliche Unterschiede in den Vortest-
 ergebnissen (oder anderen unabhängigen Variablen)
7.1.1. Vergleich der Lernzuwächse
 zu kontrollieren und damit zu berechnen, welche
In beiden Gruppen ergeben sich also Lernzuwächse, Nachtestergebnisse in den Gruppen zu erwarten wä-
die wahrscheinlich auf die Intervention zurückzufüh- ren, wenn diese mit einem gleichen Vortestergebnis
ren sind. Um den Lernzuwachs zwischen den Grup- gestartet wären. Die Bedingungen für eine Durchfüh-
pen vergleichen zu können, gibt es verschiedene Me- rung der zweifaktoriellen Varianzanalyse sind zu den
thoden. Eine Möglichkeit ist, den Lernzuwachs als bereits in Kapitel 7.1.1 überprüften Bedingungen zu-
Differenz zwischen Vor- und Nachtestergebnis anzu- sätzlich noch die Homogenität der Regressionsstei-
sehen und mit einer Varianzanalyse zu überprüfen, ob gungen und die Unabhängigkeit der Kovariate
diese von der Gruppenzugehörigkeit abhängt [50]. (= Vortestergebnis) vom Gruppeneffekt [53].
Die Varianzanalyse, die die Zeit als „within“-Faktor
und die Gruppenzugehörigkeit als „between“-Faktor
enthält, wird auch zweifaktorielle Varianzanalyse mit
Messwiederholung (ANOVA) genannt. Für diese
muss nach Bortz und Döring [50] eine Intervallska-
lierung der abhängigen Variablen, eine Normalvertei-
lung der Messwerte in allen Stichproben sowie Vari-
anzhomogenität und Sphärizität gegeben sein. Bis auf
die Normalverteilung der Daten, welche nur bedingt
gegeben ist, sind die Bedingungen in den vorliegen-
den Daten erfüllt. Nach Rasch et al. [52] sind Vari-
anzanalysen aber robust gegenüber der Normalvertei-
lungsannahme, weswegen eine ANOVA gerechnet
werden kann.
Dabei hat nur der Faktor Zeit (also der Messzeit-
punkt) einen signifikanten Einfluss auf die Punktzahl.
In beiden Gruppen lernen die Probandinnen und Pro- Abb. 6: Lineare Regressionen für beide Gruppen
banden also dazu, der Lernzuwachs unterscheidet
sich aber nicht zwischen den Gruppen (Abb. 5). Abb. 6 zeigt die Homogenität der Regressionsstei-
 gungen. Das Vortestergebnis unterscheidet sich zwi-
 schen den Gruppen nicht signifikant. Die ANCOVA
 bestätigt das Ergebnis der zweifaktoriellen Vari-
 anzanalyse mit Messwiederholung (Abb. 7): Der
 Lernzuwachs unterscheidet sich nicht.

Abb. 5: Durchschnittliche Punktzahlen im gesamten Test
(von 19) zur Newton’schen Dynamik in Vor- und Nachtest
von beiden Gruppen mit Standardfehler
7.1.2. Kontrolle der Vortestergebnisse
 Abb. 7: Geschätzte Mittelwerte beider Gruppen bei einem
Die Betrachtung des absoluten Lernzuwachses ist Vortestergebnis von 6,03 Punkten mit 95%-Konfidenzin-
problematisch, wenn eine Korrelation zwischen Vor- tervall
testergebnis und Lernzuwachs vorliegt, was in der
Regel der Fall ist. In diesem Fall liegt die Korrelation 7.1.3. Parallelisierung
bei r = -0,19, was bedeutet, dass Probandinnen und Auch wenn die Vortestergebnisse durch Regression
Probanden, die im Vortest gut abschneiden, weniger kontrolliert werden, kann eine „echte“ Gleichheit der
dazu lernen (können). Beim Vergleich zwischen zwei Gruppen, wenn diese nicht durch das Setting gegeben
Gruppen ist dies insbesondere problematisch, wenn ist, durch eine Parallelisierung erreicht werden.
es durch eine nicht vollständig randomisierte Zutei- Ziel der Parallelisierung ist, dass die Gruppen bezo-
lung der Probandinnen und Probanden zu den Grup- gen auf gewisse Merkmale übereinstimmen, um die
pen (die hier auch nur klassenweise möglich war) zu interne Validität zu erhöhen. Es gibt verschiedene
einer unterschiedlichen Verteilung verschiedener un- Möglichkeiten, parallelisierte Gruppen herzustellen.
abhängiger Variablen oder Covariaten in den beiden

 49
Weber, Wilhelm

Hier wurde durch Entfernung derjenigen Probandin- der Lernzuwachs als Differenz zwischen Vor- und
nen und Probanden, die einen sehr hohen oder sehr Nachtestergebnis zwischen den Geschlechtern nicht
niedrigen Lernzuwachs hatten, Gleichheit in beiden unterscheidet, die ANCOVA aber von einem höheren
Gruppen bezüglich des Vortestergebnisses herge- Nachtestergebnis bei den Jungen ausgeht, wenn beide
stellt. Nach dem Entfernen der nicht passenden Pro- Geschlechter mit demselben Vortestergebnis gestar-
bandinnen und Probanden sind noch N = 99 Lernende tet wären.
pro Gruppe in der Stichprobe. Auch nach einer Paral- 7.2. Modellverständnis
lelisierung zeigt sich kein Unterschied zwischen den
 Der durchschnittliche Score in der Skala zum Modell-
Gruppen (Abb. 8).
 verständnis ist bei der Gruppe der Modellbildung im
 Nachtest signifikant höher als im Vortest (p < 0,001
 mit Effektstärke von d = 0,45 [0,27;0,67] [50]), wäh-
 rend sich in der Gruppe der Videoanalyse nichts än-
 dert (Abb. 10). Es lässt sich also sagen, dass das ei-
 genständige Modellieren von Bewegungen zu einer
 Veränderung der Ansichten über Modelle führen
 kann, auch wenn die Eigenschaften von Modellen
 nicht explizit thematisiert werden.

Abb. 8: Lernzuwachs nach Gruppen bei einer Parallelisie-
rung der Stichproben durch Entfernung extremer Lernzu-
wächse und Standardfehler (N = 99 Probandinnen und
Probanden pro Gruppe)
In den Inhaltsbereichen „Beschleunigungsdia-
gramme“, „1. Newton’sches Gesetz“, „Kraft zu Be-
wegung“, „Bewegung zu Kraft“ und „3. New-
ton’sches Gesetz“ ergibt sich ebenfalls kein Unter- Abb. 10: Durchschnittlicher Score (von 5) in der Skala
schied zwischen den parallelisierten Gruppen. "Modelle in der Physik" in Vor- und Nachtest von beiden
 Gruppen mit Standardfehler
7.1.4. Einfluss des Geschlechts
Ebenfalls von Interesse ist, ob das Geschlecht einen 7.3. Einschätzung der Lernenden
Einfluss auf den Lernzuwachs hat. Eine zweifaktori- Die Probandinnen und Probanden wurden im Nach-
elle Varianzanalyse ergibt auch unter Kontrolle des test zu verschiedenen Aspekten der Intervention be-
Vortestergebnisses ein höheres Nachtestergebnis der fragt (siehe Abschnitt 5.3). Dabei wird die Software
Jungen mit einem kleinen Effekt von ηg2 = 0,02 zur Videoanalyse („measure dynamics“) signifikant
[0,00;0,07] [51] (Abb. 9), während sich in einer besser bewertet (mit Effektstärke von d = 0,55
ANOVA keine Interaktion zwischen Geschlecht und [0,3;0,82]) als die Software zur Modellbildung
Lernzuwachs zeigt. („Newton-II“). In den Skalen zur Relevanz des be-
 handelten Themas und zum Spaß an der Intervention
 zeigen sich keine Unterschiede (siehe Abb. 11).

Abb. 9: Geschätzte Mittelwerte beider Geschlechter bei
einem Vortestergebnis von 6,05 Punkten mit 95%-Kon-
fidenzintervall. Signifikanzniveau * p < 0,05
 Abb. 11: Durchschnittlicher Score (von 5) in den Skalen
Die unterschiedlichen Ergebnisse beider Verfahren zu Ansichten zur Intervention mit Standardfehler. Signifi-
(siehe Lords Paradoxon [54]) liegen in einer unter- kanzniveau: *** p < 0,001; n.s. nicht signifikant
schiedlichen Konzeptualisierung von Änderung.
 7.4. Cognitive Load
Beide Verfahren haben Befürworter und Gegner [55-
57] und es gibt eine lange Diskussion darüber, wel- Wie im Abschnitt 2.3 dargelegt kann die Cognitive
ches Verfahren in einer solchen Situation besser ge- Load Theory einen Erklärungsansatz für den Erfolg
eignet ist. Ohne diesen Konflikt abschließend auflö- einer gewissen Unterrichtsmethode liefern. Dabei
sen zu können, lässt sich zusammenfassen, dass sich wird zwischen dem Intrinsic Cognitive Load (ICL),

50
Computereinsatz in der Newton’schen Mechanik – Vergleich von Modellbildung und Videoanalyse

dem Extranous Cognitive Load (ECL) und dem Ger- herauszufinden, ob ein primäres Interesse am Theo-
mane Cognitive Load (GCL) unterschieden. retisieren bzw. Experimentieren einen Einfluss auf
Im Mittel erreichen die Probandinnen und Probanden den Lernzuwachs in den jeweiligen Interventionen
in der Modellbildung einen Score von 3,33 im ICL, hat.
2,15 im ECL und 4,35 im GCL (jeweils von 6), wäh- Hierbei ist nicht zu erwarten, dass sich die Lernenden
rend in der Videoanalyse der Durchschnitt bei 2,93 eindeutig in eine bestimmte Anzahl an voneinander
im ICL, 1,90 im ECL und 4,58 im GCL liegt. Dabei verschiedenen Gruppen aufteilen. Dementsprechend
unterscheiden sich die Werte im ICL und ECL nach werden für die Wahl der Anzahl an Clustern statisti-
dem t-Test für unabhängige Stichproben signifikant sche Verfahren mit inhaltlichen Überlegungen kom-
zwischen den Gruppen. Da nicht von der gleichen biniert. Für die Wahl der optimalen Anzahl an Clus-
Streuung in beiden Gruppen ausgegangen werden tern gibt es kein eindeutiges Kriterium. Es stehen ver-
kann, empfiehlt Bortz [50] hier mit gepoolter Stan- schiedene Verfahren zur Bestimmung der optimalen
dardabweichung zu rechnen. Dabei ergeben sich Ef- Anzahl an Clustern zur Verfügung [z. B. 58-60], wo-
fektstärken von d = 0,38 [0,12;0,68] und d = 0,28 bei neben den statistischen Verfahren auch die inhalt-
[0,02;0,54], während im GCL kein Unterschied vor- liche Interpretation eine Rolle spielt. Hier wurde das
liegt (siehe Abb. 12). Das lässt vermuten, dass die In- Ellenbogenkriterium [61] herangezogen. Dabei wird
tervention zur Modellbildung für die Lernenden her- die Variabilität innerhalb der Cluster über der Anzahl
ausfordernder ist. Das äußert sich vor allem im Un- an Clustern aufgetragen – die optimale Anzahl an
terschied der beiden Gruppen in einem Item, in dem Clustern befindet sich dort, wo der Graph einen Knick
die Komplexität der verwendeten Formeln bewertet macht. Dieses Verfahren ist nicht eindeutig, ver-
werden soll („Die Formeln zur Dynamik empfand ich schafft aber einen ersten Einblick. Es deutet hier auf
als sehr komplex“; d = 0,52 [0,26;0,77]). Das ist nicht drei Cluster hin. Die sich ergebende Zuteilung zu drei
verwunderlich, da hier verschiedene Reibungsarten Clustern ist aus inhaltlicher Sicht nicht sinnvoll, da so
(Luftreibung, Rollreibung) quantitativ modelliert Personen, die in beiden Skalen sehr niedrig scoren,
werden, während sie bei der Videoanalyse nur quali- mit denjenigen Personen in eine Gruppe eingeteilt
tativ betrachtet werden. Der Unterschied im ICL ist werden, die großes Interesse an theoretischen Zusam-
fast ausschließlich auf dieses Item zurückzuführen. menhängen haben. Inhaltlich erscheint eine Wahl von
Auch die Lernumgebung scheint bei der mathemati- vier Clustern sinnvoller.
schen Modellbildung eine höhere kognitive Belas- Die Zuteilung zu den Clustern erfolgte mit dem K-
tung ausgelöst zu haben, was nach den Lernenden vor Means-Verfahren [62], das eine möglichst große
allem an mehr „unklaren Begriffen“ lag („Die Aufga- Ähnlichkeit innerhalb der Cluster und eine möglichst
ben und Arbeitsaufträge waren voll von unklaren Be- kleine Ähnlichkeit zwischen den Clustern anstrebt.
griffen“; d = 0,32 [0,07;0,58]). Dies könnte daran lie- Erzeugt wurden die Cluster nach einem Algorithmus
gen, dass bei der Modellierung u. a. mit bedingten von Hartigan & Wong [63] mit euklidischer Distanz-
Variablen gearbeitet werden muss. Der Germane metrik. Bei der Zuteilung zu vier Clustern ergibt sich
Cognitve Load, der für die Konstruktion neuer Wis- ein Silhouettenkoeffizient von 0,37, was einer schwa-
sensschemata entscheidend ist, ist in beiden Gruppen chen Strukturierung entspricht [64].
gleichermaßen hoch und deckt sich mit dem Ergeb-
 Ein Cluster besteht aus Schülerinnen und Schülern,
nis, dass beide Gruppen gleichermaßen viel dazuler-
 die deutlich lieber Hypothesen aufstellen und über
nen.
 theoretische Zusammenhänge nachdenken, als zu ex-
 perimentieren („Theoretisierende“). Ein Cluster be-
 steht aus Schülerinnen und Schülern mit den gegen-
 teiligen Einstellungen („Experimentierende“). In ei-
 nem Cluster sind Schülerinnen und Schüler, die bei-
 des gerne mögen („Interessierte“), und ein weiteres
 Cluster besteht aus Schülerinnen und Schülern, die an
 beiden Bereichen ein gleichermaßen geringes Inte-
 resse zeigen („Desinteressierte“). Bei den „Interes-
 sierten“ und „Desinteressierten“ ist das Experimen-
 tieren beliebter als das Theoretisieren – es besteht
Abb. 12: Durchschnittlicher Score (von 6) in den Skalen also insgesamt eine Schiefe in den Daten in Richtung
des Cognitive Load von beiden Gruppen mit Standardfeh- des Experimentierens (Abb. 13).
ler. Signifikanzniveau: ** p < 0,01; * p < 0,05; n.s. nicht
signifikant
7.5. Theoretisierende versus Experimentierende
Mit den Scores im Interesse an theoretischen Zusam-
menhängen in der Physik und im Interesse am Expe-
rimentieren wurde eine Clusteranalyse durchgeführt,
um Typen von Lernenden zu identifizieren und um

 51
Weber, Wilhelm

 passt auch das Ergebnis, dass der Germane Cognitive
 Load in beiden Gruppen gleichermaßen hoch war.
 Das bedeutet, dass hier im Gegensatz zu vielen bishe-
 rigen Studien mit Software zur mathematischen Mo-
 dellbildung auch bei der selbstständigen Nutzung der
 Software keine großen, für den Lernprozess hinderli-
 chen Schwierigkeiten beobachtet wurden [3], was
 wohl vor allem auf die Art der verwendeten Software
 und die damit verbundene Zielsetzung zurückzufüh-
 ren ist. Das Programm „Newton-II“ mit der glei-
 chungsbasierten Modellbildung scheint bei Bereit-
 stellung der nötigen Hilfen für den Einsatz im Schul-
 unterricht geeignet zu sein. Es bietet sich aber, im Ge-
 gensatz zu anderen Modellbildungsprogrammen, nur
 für das Lernen der Dynamik an. Nach kurzer Einar-
 beitungszeit waren die Schülerinnen und Schüler in
 der Lage, das Programm zu bedienen, wobei es bei
 der eigenständigen Bedienung scheinbar dennoch
 mehr Probleme gab als bei dem Videoanalysepro-
 gramm „measure dynamics“. Gleichzeitig ist es mög-
Abb. 13: Zuteilung der Probandinnen und Probanden zu lich, die Einstellungen der Lernenden zu Modellen
den Clustern anhand des Scores der Skalen "Experimentie- implizit zu verändern, wenn diese im Unterricht mo-
ren" und "Theoretisieren" dellieren, was ein Argument für den Einsatz der ma-
Unter Kontrolle des Vortestergebnisses haben diese thematischen Modellbildung ist. Die mathematische
Cluster einen Einfluss auf das Nachtestergebnis mit Modellbildung wird aber als komplizierter wahrge-
einer mittleren bis großen Effektstärke von ηg2 = 0,13 nommen und besitzt einen höheren Intrinsic Cogni-
[0,05;0,20] [51]. Dies kann man an den geschätzten tive Load als die Videoanalyse, da eine quantitative
Mittelwerten der Cluster im Nachtest sehen Betrachtung der wirkenden Kräfte unumgänglich ist.
(Abb. 14). Die Videoanalyse und deren Möglichkeiten zur Auf-
 bereitung von Daten scheint für das Lernen der Dy-
 namik ebenfalls geeignet zu sein. Auch wenn die
 Software die Verknüpfung zwischen Bewegung und
 Kräften nicht selbst herstellt, kann die Analyse der ki-
 nematischen Größen mit den richtigen Fragen zu ei-
 nem besseren Kraftverständnis führen und Schü-
 ler(fehl)vorstellungen reduzieren. Die Software
 „measure dynamics“ wurde von den Schülerinnen
 und Schülern gelobt. Die Ergebnisse decken sich mit
 anderen Studien zur Videoanalyse, bei denen die lern-
 hinderliche kognitive Belastung durch die Videoana-
 lyse geringgehalten werden konnte. Während diese
 Studien auf mobile Endgeräte im Bereich der Kine-
 matik setzten, scheinen die grundsätzlichen Ergeb-
Abb. 14: Geschätzte Mittelwerte der Cluster im Nachtest nisse auch auf die Nutzung von Laptops im Bereich
bei einem Vortest-Ergebnis von 5,99 Punkten mit 95 %- der Dynamik übertragbar zu sein.
Konfidenzintervallen. Signifikanzniveaus: *** p < 0,001,
 Die großen Unterschiede zwischen Vor- und Nach-
* p < 0,05
 testergebnis in beiden Gruppen sprechen dafür, auch
Eine Hypothese war, dass die „Theoretisierenden“ in im Unterricht komplexe Bewegungen, welche auf
der Intervention zur mathematischen Modellbildung Basis bekannter Schülervorstellungen ausgewählt
mehr lernen, während die „Experimentierenden“ in werden, zu thematisieren und dazu den Computer als
der Intervention zur Videoanalyse einen größeren notwendiges Hilfsmittel heranzuziehen. Reibungs-
Lernzuwachs verzeichnen. Diese Hypothese ließ sich einflüsse sollten bewusst und aktiv thematisiert wer-
auf der Basis der Daten nicht bestätigen. den.
8. Fazit und Diskussion Es lassen sich zudem Typen von Lernenden unter-
 scheiden, was das Interesse am Experimentieren bzw.
Es scheint, als seien beide Interventionen zum Vertie- an theoretischen Zusammenhängen angeht, wobei
fen der Newton’schen Dynamik geeignet, wobei Experimentieren generell beliebter ist. Diese Typen
keine Unterschiede im Lernzuwachs zwischen den lernen bei den Interventionen unterschiedlich viel
beiden Methoden gefunden werden konnten. Dazu dazu. Vor allem scheint das Interesse an theoretischen

52
Computereinsatz in der Newton’schen Mechanik – Vergleich von Modellbildung und Videoanalyse

Zusammenhängen den Lernerfolg positiv zu beein- Einsatz der beiden Methoden im Physikunterricht er-
flussen. Es konnte aber nicht bestätigt werden, dass geben. Dazu wird in einer weiteren Untersuchung die
Theorieinteressierte beim Modellieren mehr dazuler- Arbeitsweise der Probandinnen und Probanden be-
nen, während „Experimentierer“ bei der Videoana- trachtet: Sie werden mithilfe von Bildschirmvideos
lyse mehr dazulernen. während der Arbeit beobachtet. Neben den auftreten-
Da die Ergebnisse der Studie in einer intensiven ein- den Schwierigkeiten ist vor allem von Interesse, wie
maligen Intervention erzielt wurden, lässt sich die ex- beim Modellieren und bei der Videoanalyse vorge-
terne Validität der Studie diskutieren. Die Übertrag- gangen wird, wie zielgerichtet gearbeitet wird, wel-
barkeit auf den Schulunterricht ist nicht unmittelbar che Schwierigkeiten auftreten und zu welcher Art von
gegeben und sollte durch Folgestudien überprüft wer- (physikalischen) Gesprächen die beiden Herange-
den. Insbesondere wäre eine Studie sinnvoll, die über- hensweisen anregen.
prüft, inwiefern ein Curriculum, das konsequent auf Wie bereits diskutiert, wäre ein möglicher nächster
komplexe und alltagsnahe Probleme setzt und dazu Schritt für eine weitere Studie, mit den gewonnenen
den Einsatz von gleichungsbasierter mathematischer Erkenntnissen in den Schulunterricht zu gehen und
Modellbildung verstärkt, im Vergleich zu anderen ein Studiendesign mit einer höheren externen Validi-
Unterrichtsformen abschneidet. Dies ergäbe auch die tät anzustreben und zu erforschen, welche Effekte
Möglichkeit, die beobachtete Steigerung im Modell- durch den konsequenten Computereinsatz in der
verständnis aufzugreifen und die Rolle von Modellen Newton’schen Mechanik im Unterricht erzielt wer-
in der Erkenntnisgewinnung intensiver zu diskutie- den.
ren. Dazu gehört, dass Physiklehrkräfte in der Nut-
zung der Programme geschult werden müssen, um 10. Danksagung
diese eigenständig im Unterricht einsetzen zu können. Wir danken der gemeinnützigen Stiftung GIERSCH
Da sich beide untersuchten Methoden in gewisser für die Finanzierung des Goethe-Schülerlabors Phy-
Weise ergänzen und entsprechende Kurskonzepte an sik, ohne das die vorgestellte Studie in dieser Form
Universitäten bereits einigen Erfolg erzielen konnten nicht durchführbar gewesen wäre.
[z. B. 65], erscheint eine Kombination aus beiden 11. Literatur
Methoden für den Physikunterricht vielversprechend.
Verschiedene Autoren konnten bereits zeigen, dass [1] Schecker, H.; Wilhelm, T. (2018): Schülervor-
Computereinsatz (sowohl mathematische Modellbil- stellungen in der Mechanik. In: Schecker, H.,
dung als auch Videoanalyse) zu einem schüler- bzw. Wilhelm, T., Hopf, M., Duit, R. (Hrsg.). Schü-
studentenzentrierten und alltagsnahen Physikunter- lervorstellungen und Physikunterricht. Ein
richt führen kann, der erfolgreicher ist als herkömm- Lehrbuch für Studium, Referendariat und Un-
liche Varianten [38]. Diesbezüglich kann diese Studie terrichtspraxis, Berlin: Springer Spektrum
als ein Ansatz angesehen werden, der zeigt, dass glei- [2] Schecker, H. (1998): Physik modellieren. Gra-
chungsbasierte Modellbildungsprogramme wie fikorientierte Modellbildungssysteme im Phy-
„Newton-II“ die technischen Hürden so reduzieren, sikunterricht, Stuttgart: Klett-Verlag
dass sie sinnvoll in ein Curriculum eingebaut werden [3] Weber, J.; Wilhelm, T. (2020): The benefit of
können und sich für die Lernenden weniger Probleme computational modelling in physics teaching: A
ergeben als bei Programmiersprachen [12] oder gra- historical overview. In: Eur. J. Phys. 41
phischen Modellbildungsprogrammen [4; 5]. 034003. https://doi.org/10.1088/1361-
 6404/ab7a7f
Zu kritisieren ist die geringe Probandenzahl, die [4] Hucke, L. (1999): Handlungsregulation und
durch die Unterbrechung der Erhebung zustande kam. Wissenserwerb in traditionellen und computer-
Im Optimalfall sollten weitere Klassen an den Inter- gestützten Experimenten des physikalischen
ventionen teilnehmen, um belastbare Daten zu erhal- Praktikums. Berlin: Logos
ten. Insbesondere für die Analyse von Subgruppen ist [5] Sander, F.; Schecker, H.; Niedderer, H. (2001):
die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer als ge- Wirkungen des Einsatzes grafikorientierter Mo-
ring einzuschätzen. Eine größere Klassenzahl hätte dellbildung im physikalischen Praktikum. In:
auch den Vorteil, dass statistische Verfahren wie die Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaf-
Mehrebenenanalyse besser mit einer größeren Anzahl ten, 7, 147-165
an Objekten auf der höheren Ebene durchführbar [6] Schecker, H.; Klieme, E.; Niedderer; Ebach, J.;
sind, und damit die hierarchische Struktur der Daten Gerdes, J. (1999): Abschlussbericht zum DFG-
berücksichtigt werden könnte. Projekt "Physiklernen mit Modellbildungssyste-
9. Ausblick men". Förderung physikalischer Kompetenz
 und systemischen Denkens durch computerge-
Neben den hier vorgestellten Ergebnissen, die auf ei- stützte Modellbildungssysteme. Bremen: Uni-
ner quantitativen Erhebung mittels Fragebogen basie- versität Bremen
ren, ist es von Interesse, wie Schülerinnen und Schü- [7] Benacka, J. (2015a): Projectile general motion
ler mit dem Computer arbeiten. Es würde sich ein um- in a vacuum and a spreadsheet simulation. In:
fassenderes Bild für die Eignung und den geschickten

 53
Weber, Wilhelm

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