EINSTELLUNGEN ZUR INTEGRATION IN DER DEUTSCHEN BEVÖLKERUNG VON 2014 BIS 2020 - STUDIENBERICHT DER VIERTEN ERHEBUNG IM PROJEKT ZUGLEICH ...
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EINSTELLUNGEN ZUR INTEGRATION IN DER DEUTSCHEN BEVÖLKERUNG VON 2014 BIS 2020 STUDIENBERICHT DER VIERTEN ERHEBUNG IM PROJEKT ZUGLEICH – ZUGEHÖRIGKEIT UND GLEICHWERTIGKEIT Andreas Zick und Nora Rebekka Krott
INHALT DEUTSCHLAND NACH DER WILLKOMMENSKULTUR: EINSTELLUNGEN ZUM ZUSAMMENLEBEN IN EINER VIELFÄLTIGEN UND VERÄNDERTEN GESELLSCHAFT 4 ZUGLEICH – ZUGEHÖRIGKEIT UND GLEICHWERTIGKEIT 7 1 ZWISCHEN GEMEINSAMER GESTALTUNG UND ANPASSUNGSVORSTELLUNGEN: AKKULTURATIONSORIENTIERUNGEN 2020 8 2 WILLKOMMENSKULTUR 2020 15 3 ZUGEHÖRIGKEIT: WAS GEHÖRT DAZU, UM DAZUZUGEHÖREN? 18 4 ETABLIERTENVORRECHTE UND ÜBERVORTEILUNGEN 21 5 KULTUREN DER ABWEHR 24 EIN FAZIT ZUR ZUGEHÖRIGKEIT UND GLEICHWERTIGKEIT 2020 28 LITERATUR 34 IMPRESSUM 35 3
DEUTSCHLAND NACH DER WILLKOMMENSKULTUR: EINSTELLUNGEN ZUM ZUSAMMENLEBEN IN EINER VIELFÄLTIGEN UND VERÄNDERTEN GESELLSCHAFT Nach aktuellen amtlichen Statisti- und Anerkennung der Zu- und Einwan- wozu Erfahrungen von Ausgrenzung ken besitzen rund 21,2 Millionen der derung scheint es einen gesellschaftli- und Diskriminierungen gehören. Diese in Deutschland lebenden Menschen chen Konsens zu geben, dass Migration Wahrnehmungen werden als Belas- eine Einwanderungsgeschichte. Das 1 zur deutschen Gesellschaft dazugehört tung und Hürde untersucht, aber auch heißt, mehr als jede_r vierte Einwoh- und diese prägt. als Chance und Möglichkeit. Migration ner_in (26 %) oder mindestens ein und Integration als Prozesse, die die Elternteil wurde mit einer anderen als Der Widerstand gegen diese Feststel- Normalität der Einwanderungsgesell- der deutschen Staatsangehörigkeit lung wird vor allem in ultrakonservati- schaft beschreiben, auch wenn sie von geboren oder ist in einem anderen ven, rechtspopulistischen, neurechten Gruppen abgelehnt werden, sind die Land als Deutschland geboren. Mehr wie rechtsextremistischen Gruppierun- zentralen Themen von ZuGleich. Radi- als die Hälfte unter ihnen haben bisher gen, Parteien und analogen wie digita- kalisierung dagegen wird als Blockade die deutsche Staatsangehörigkeit len Milieus als Mittel gegen stilisierte von Zugehörigkeit und Gleichwertig- angenommen (52 %) und etwa ein Bedrohungen der „Überfremdung“ keit verstanden. Mit diesem Blick lässt Drittel teilt zwar eine Einwanderungs- oder gar der „Umvolkung“ ausgegeben. sich eben feststellen: Auch wenn die geschichte über die Eltern, aber keine Er schlug sich in der Zeit der erstark- Bundesrepublik Deutschland von vielen eigene Migrationserfahrung mehr. Ein ten Fluchtbewegung in einem Anstieg Bürger_innen nicht als multikulturelle Viertel der Menschen mit einer Einwan- an Gewalttaten gegen Asylsuchende Gesellschaft wahrgenommen wird, ist derungsgeschichte ist muslimischen nieder sowie im Erstarken rechtspopu- doch die Selbstbeschreibung als Ein- Glaubens. Die neuen Mitbürger_innen listischer und neurechter Bewegungen wanderungsland weit geteilt. stammen laut aktuellen Zahlen des und Wahlerfolge. In Studien zu Hass- Jahres 2019 aus mehr als 15 Ländern, botschaften gegen Medienschaffende Auch die Vorstellungen darüber, wer die meisten davon aus EU-Ländern. Die haben wir ermittelt, dass Stichworte aus Sicht der Bürger_innen zur Gesell- Zuwanderung von Geflüchteten und wie „Migration“, „Flüchtlinge“ und „Inte- schaft dazugehört und welche (kul- Asylsuchenden in den Jahren 2015 und gration“ immer noch jene Worte sind, turellen) Identitäten und Gruppen als 2016 hat noch einmal das Land verän- die am meisten Hassnachrichten nach gleichwertig anerkannt werden, gehen dert. Deutschland ist von zunehmender sich ziehen (Zick & Preuß, 2021). Wir in medialen und politischen Debatten, kultureller, ethnischer und religiöser könnten die Reihe destruktiver, diskri- beispielsweise um die öffentlich sicht- Vielfalt geprägt und die Annahme von minierender, rassistischer oder gewal- bare Religionsausübung, immer wieder Deutschland als Einwanderungsland hat torientierter Ideologien und Taten „ge- weit auseinander. Nicht zuletzt hat sich sich in den letzten Jahren durchgesetzt gen die Einwanderung“ von Menschen der Ausbruch der Corona-Pandemie – wenn auch langsam und konflik- fortführen und wir müssen auch darauf zu Beginn des letzten Jahres als eine treich, wie auch die ZuGleich-Studien verweisen, dass die jüngsten Atten- große Herausforderung für den Zusam- dokumentieren konnten. Die jüngste tate von Halle (Saale) und Hanau sich menhalt und die Solidarität in Deutsch- Fachkommission zu den Rahmenbedin- gegen das Judentum, den Islam, gegen land herausgestellt, da die getroffenen gungen der Integrationsfähigkeit, die nicht weiße Menschen, aber auch Maßnahmen mit Einschränkungen der die Bundesregierung eingesetzt hat, gegen die Einwanderung und gegen Grund- und Freiheitsrechte einhergin- teilt diese Auffassung und beruft sich Einwander_innen richteten. Uns geht gen, um die körperliche Gesundheit auf die Befunde. Nach zum Teil von es in der Studie ZuGleich jedoch nicht und Unversehrtheit der Bürger_innen vorurteilsbasierten Hasskampagnen um ein Verständnis der radikalisierten zu schützen. Während die Auswirkun- und -taten begleiteten Jahrzehnten Gruppen und Menschen, sondern um gen der Corona-Maßnahmen noch der Konflikte, wie auch der politischen, Wahrnehmungen und Erfahrungen zum einmal deutlich die Ungleichheiten im rechtlichen und sozialen Bewertung Alltag von Migration und Integration, Land gezeigt und verschärft haben, 1 Wir folgen den Empfehlungen der Fachkommission zu den Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit des Landes und verwenden explizit den Begriff der „Einwanderungsgeschichte“ statt den oft missverstandenen Begriff Migrationshintergrund. 4
indem sie die größten Auswirkun- land, ist dabei nicht gleichbedeutend geworden – spätestens seit der Flucht- gen auf bereits zuvor benachteiligte mit einer tatsächlichen Anerkennung migration, als politische Gruppen das Gruppen hinsichtlich Beruf, Bildung von Zugehörigkeit, Gleichwertigkeit Thema auf ihre Kampfagenda gesetzt und gesellschaftlicher Teilhabe hat- und einer Normalität von Migration haben. Sie übertönen in Teilen eine Zi- ten, zeigt das Integrationsbarometer dort, wo Vielfalt erlebbar und sichtbar vilgesellschaft, die am Prozess beteiligt des Sachverständigenrats deutscher wird: in den Ansichten, Meinungen und ist und teilnimmt, um dem Land einen Stiftungen für Integration und Migrati- Haltungen der deutschen Bürger_in- besseren und weniger destruktiven und on, dass in der Gesamtbevölkerung im nen. Gesellschaften zeichnet dabei spaltenden Weg in die Einwanderungs- Laufe der Corona-Pandemie bis August immer ein dynamischer Charakter aus. gesellschaft zu bieten. 2020 das Vertrauen in die Politik und Sie reagieren auf Veränderungen, wie die Zufriedenheit mit der Demokratie es die derzeitige Pandemie-Situation Welche Vorstellungen die Bevölkerung insgesamt angestiegen sind – sowohl zeigt. Werden Veränderungen jedoch in ihren unterschiedlichen demogra- bei Menschen mit als auch ohne Ein- zurückgewiesen oder verleugnet, fischen, sozialen und politisch orien- wanderungsgeschichte. Auch wenn indem sich Menschen gegen einen tierten Gruppen zur Migration und derzeit coronabedingt kaum Migration Wandel und für den Erhalt der ver- Integration hat, worauf Ablehnungen stattfindet, gehen wir davon aus, dass meintlichen Vormachtstellung positi- wie Befürwortungen recht unterschied- die hier berichteten Überzeugungen onieren, kann dies zu unlösbaren und licher Konzepte zur Migration und nicht nur stabil sind, sondern unseres eskalierenden Konflikten führen. Somit Integration beruhen und welche Folgen Erachtens auch die Wahrnehmungen spricht die Studienreihe ZuGleich eine diese haben, dazu wurde die Studie und Verhaltensweisen heute prägen. der Kernfragen der Zukunft der Bun- ZuGleich durchgeführt. Die Einstellungen, die wir hier zumeist desrepublik Deutschland und der Euro- als Überzeugungen im Sinne gene- päischen Gemeinschaft an. Kein Thema Zentrale Beobachtungen der Studien- ralisierter Einstellungen messen und hat den gesellschaftlichen Zustand der reihe ZuGleich. Die erste ZuGleich-Stu- berichten, prägen Absichten, anderen Republik so herausgefordert und in Tei- die 2014 zeigte bereits, dass mit einem zu begegnen und sie wahrzunehmen. len gespalten wie die Migration und die Anstieg der Flucht- und Asylmigration Fragen, wie Integration gelingen kann nach Deutschland auch Überzeugungen Bereits vor der erstarkten Fluchtbewe- beziehungsweise ob sie überhaupt einer notwendigen „Rückeroberung“ gung in den Jahren 2015 und 2016 hat erwünscht ist. Die Themen Migration unter der deutschen Bevölkerung die Studienreihe ZuGleich gezeigt, dass und Integration sind Konfliktthemen. zunahmen. Integration ist ein Aushand- das Zusammenleben in einer Einwan- Sie werden kontrovers diskutiert und lungsprozess von Werten, Ressourcen derungsgesellschaft mehr erfordert das gehört zu einer lebendigen Demo- und Identitäten, aber eigentlich kei- als das Erfüllen formaler rechtlicher kratie. Sie prägen aber auch divergente ne einseitige Frage danach, welche Voraussetzungen. Vielmehr geht es um und zum Teil hassgetränkte politische Gruppe sich wem und was anpassen die Akzeptanz von Vielfalt und Unter- Positionen, wie die hohe Zahl an vorur- muss. Integration ist eine Orientierung schieden in Identitäten, Lebensweisen teilsgeleiteten Hasstaten in Deutsch- 2 im Prozess der Akkulturation, das heißt und Werten sowie die Anerkennung land zeigt, und das beeinflusst erheb- der Aneignung von neuen kulturellen von wirklicher Zugehörigkeit, die be- lich Prozesse der Integration und der Umgebungen, die durch Migration deutet, dass Menschen in Deutschland Akkulturation, das heißt des Umgangs entstehen, durch alle Gruppen, die sich nicht nur willkommen sind, sondern mit Veränderungen, die durch Migration begegnen. Die Ergebnisse der Zu- langfristig ankommen und sich behei- zustande kommen und „normal“ sind. Gleich-Studie des Jahres 2016 zeigten maten können. Die politische Erklärung, Über Migration und Integration öffent- zudem, dass mit der erstarkten Flucht- Deutschland sei ein Einwanderungs- lich zu sprechen, ist zudem schwieriger bewegung auch die Skepsis gegenüber 2 Laut aktuellen Zahlen des BMI haben die Straftaten im Themenfeld Hasskriminalität im Jahr 2020 mit 10.240 Fällen gegenüber dem Jahr 2019 (8.585) um etwa 19 % zugenommen. 5
der Integration und die Migrationsfeind- Unterschieden in den Einstellungen von Wie in den Vorjahren wurde für Zu- lichkeit in der Bevölkerung zunahmen. gesellschaftlichen Gruppen sensibili- Gleich 4 eine repräsentative Bevölke- Im Jahr 2018 lag der Fokus nach einem sieren und andererseits reale Abgren- rungsumfrage durchgeführt. ZuGleich 4 Rückgang der Fluchtbewegung nun zungen und fehlende Anerkennung in schreibt somit die Befunde der Vorjah- auf dem gesellschaftlichen Zustand der zentralen Bereichen der Aushandlung re fort und ermöglicht einen Vergleich Migrationsgesellschaft Deutschland. Im von Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit der Meinungen und Einstellungen Rahmen der dritten Erhebung zeigte benennen. Damit schlägt es den gesell- zur Integration seit 2014. Das Projekt sich eine Stabilisierung der Willkom- schaftlich notwendigen Bogen zwischen macht es sich weiterhin zur Aufgabe, menskultur und der Integrationsori- der wissenschaftlichen Grundlagenfor- zum Verständnis von Integrationspro- entierungen in Richtung vermehrter schung und der praktischen Erkenntnis- zessen beizutragen. Es geht um eine Akzeptanz von Vielfalt, die sich dem nutzung in Form eines Orientierungs- Abschätzung der Potenziale für ein Niveau von 2014 wieder annäherte. Des und Referenzrahmens. Klima der Gleichwertigkeit. Es widmet Weiteren zeigte die dritte Erhebung, sich den integrativen Potenzialen in dass strikte Kriterien der Zugehörigkeit Das Projekt ZuGleich erstattet über der deutschen Gesellschaft und soll zu Deutschland an Relevanz verloren einen Zeitraum von mittlerweile sechs die notwendige Sensibilisierung und und dass die Menschen die Zugehörig- Jahren Bericht; die hier beschriebene Kompetenz für eine Wahrnehmung von keit von Migrant_innen zunehmend an Erhebung schließt damit an die Er- Perspektivendivergenzen schaffen. Vor prinzipiell erwerbbaren Kriterien, wie gebnisse der Studienreihe ZuGleich diesem Hintergrund wurde für ZuGleich dem Erwerb der deutschen Sprache, der Jahre 2014 bis 2018 an. Fokus der 4 eine überproportionale Stichprobe bemaßen. In der mittlerweile vierten vierten Erhebung sind Veränderun- (32,2 %) an Menschen mit Einwande- Erhebung des ZuGleich-Projekts sollen gen der Meinungen zur gemeinsamen rungsgeschichte (Einwander_innen und nun konkrete Fragen zum Zusammen- Gestaltung von Integrationsprozessen ihre direkten Nachkommen) erhoben. leben in einer durch Vielfalt geprägten und zum Zusammenleben in einer von Somit bietet ZuGleich ein repräsentati- Gesellschaft erweitert werden. Vielfalt geprägten Gesellschaft. Auch ves Bild der persönlichen Perspektiven die vierte Erhebung soll somit einen der Bürger_innen sowie einzelner ge- Der Fokus von ZuGleich 2020. Im Jahr Beitrag zur Analyse von aktuellen sellschaftlicher Gruppen. In der Studi- 2020 stellt sich die Frage, wie – mittler- Integrationspotenzialen und Hindernis- enreihe werden die Menschen konkret weile fünf Jahre nach der Fluchtbewe- sen, zur öffentlichen Debatte über die dazu befragt, was es für sie persönlich gung – nun das Zusammenleben gestal- Integrationsgesellschaft Deutschland bedeutet, zur Gesellschaft zu gehören, tet wird und wie es gelingen kann. Es leisten und Vorschläge und Antworten wie sie sich eine Integration in den geht um die Erfassung von Hürden und zum Policy Making beitragen. für sie relevanten Lebensbereichen Potenzialen für ein Klima der Gleich- vorstellen und wie sie Vielfalt in ihrem wertigkeit und Zugehörigkeit in einer alltäglichen Leben erfahren und be- sich wandelnden Migrationsgesellschaft. werten. ZuGleich setzt somit da an, wo Zudem geht es explizit auch um den Zu- Integration und Zusammenleben aktiv stand der deutschen Gesellschaft fünf ausgehandelt und gestaltet werden: Jahre nach der Willkommenskultur und bei den Wahrnehmungen, Meinun- damit verbunden um die Frage, wie aus gen und Gefühlen der in Deutschland dem ursprünglichen Willkommen eine lebenden Menschen. gesellschaftliche Kultur des Ankom- mens und der Beheimatung geschaffen werden kann und wo diese ihre Hürden und Schranken findet. Das Projekt soll einerseits für die Wahrnehmung von 6
ZUGLEICH – ZUGEHÖRIGKEIT UND GLEICHWERTIGKEIT Das Forschungsprojekt ZuGleich des In- mehr von der globalen Pandemie- Entsprechend sind die Kernfragen, die stituts für interdisziplinäre Konflikt- und Situation geprägt. Die etablierten Kon- ZuGleich auch 2020/2021 an die Bür- Gewaltforschung (IKG) der Universität strukte der Studienreihe wurden weiter ger_innen richtet: Bielefeld ist eine repräsentative wieder- gemessen, um die Entwicklung der (1) Welche Form der Akkulturation wird kehrende Befragung, die in zweijähr- Integrationsgesellschaft weiterzuverfol- von den Bürger_innen gefordert und lichen Abständen durchgeführt wird. gen und Veränderungen in Meinungen wer soll sich in der Gesellschaft wem Seit 2014 erhebt ZuGleich die Meinun- und Einstellungen sichtbar zu machen. anpassen? gen, Einstellungen und Wahrnehmun- Die zentralen Elemente bilden dabei (2) Welche Relevanz hat im Jahr 2020 gen der Menschen in Deutschland mit (1) die Akkulturationsorientierungen noch die Willkommenskultur unter den und ohne Einwanderungsgeschichte. und Anpassungsvorstellungen, (2) die Bürger_innen? Somit lassen sich Entwicklungen Willkommenskultur, (3) Zugehörigkeits- (3) Was ist für die Bürger_innen beobachten, die sich auf verschiedene kriterien, (4) Etabliertenvorrechte und wichtig, um zur deutschen Gesellschaft Zeitpunkte und Ereignisse beziehen, (5) die Facetten der gruppenbezoge- zu gehören? Welche Kriterien sind die mehr oder weniger von Migrations- nen Menschenfeindlichkeit als Kulturen relevant? und Integrationsdebatten geprägt der Abwehr. (4) Wie stark fordern die Bürger_in- waren. So bildet beispielsweise die nen Vorrechte und Vorteile für sich als Fluchtbewegung der Jahre 2015 und vermeintlich Etablierte ein? 2016 einen Meilenstein, der sich auch (5) Welche Facetten der gruppenbe- in der Entwicklung der Einstellungen zogenen Menschenfeindlichkeit bilden der ZuGleich-Erhebung ablesen lässt. eine Schranke der Integrationsbereit- Der Erhebungszeitraum zwischen 2020 schaft? Wie verbreitet sind Vorurteile und 2021 ist nun weniger von medialen gegenüber Gruppen, die im Zentrum Debatten um die Einwanderung als viel- der Integrationsdebatten stehen? Empirische Datengrundlage der Studienreihe ZuGleich 2014 ZuGleich 2018 • Telefonische Befragung von 2.006 repräsentativ • Telefonische Befragung von 2.009 repräsentativ ausgewählten Personen ab 18 Jahren ausgewählten Personen ab 18 Jahren • Datenerhebung: November 2013 bis Januar 2014 • Datenerhebung: März bis Juli 2018 (Sozialwissenschaftliches Umfragezentrum (SUZ) Duisburg) (Sozialwissenschaftliches Umfragezentrum (SUZ) Duisburg) • Daten von insgesamt: 1.069 Frauen (53,3 %), 937 Männern • Daten von insgesamt: 1.172 Frauen (58,4 %), (46,7 %) 836 Männern (41,6 %) • Altersdurchschnitt: 49 Jahre • Altersdurchschnitt: 56 Jahre • 371 Befragte mit Einwanderungsgeschichte • 341 Befragte mit Einwanderungsgeschichte ZuGleich 2016 ZuGleich 2020 • Telefonische Befragung von 1.505 repräsentativ • Telefonische Befragung von 2.005 repräsentativ ausgewählten Personen ab 16 Jahren ausgewählten Personen ab 18 Jahren • Datenerhebung: Dezember 2015 bis Februar 2016 • Datenerhebung: November 2020 bis Januar 2021 (Sozialwissenschaftliches Umfragezentrum (SUZ) Duisburg) (GMS Dr. Jung GmbH, Hamburg) • Daten von insgesamt: 798 Frauen (53 %), • Daten von insgesamt: 1.047 Frauen (52,2 %), 707 Männern (47 %) 958 Männern (47,8 %) • Altersdurchschnitt: 52 Jahre • Altersdurchschnitt: 51 Jahre • 485 Befragte mit Einwanderungsgeschichte • 646 Befragte mit Einwanderungsgeschichte 7
1 ZWISCHEN GEMEINSAMER GESTALTUNG UND ANPASSUNGSVORSTELLUNGEN: AKKULTURATIONSORIENTIERUNGEN 2020 Zentral für die Studienreihe ZuGleich Kombination der Befürwortung versus sogenannten Aufnahmegesellschaft, ist die Analyse der Zumessung oder Ablehnung von Beziehungen und die sich von Integration und Margina- Ablehnung von Zugehörigkeit und Identitäten ergeben sich vier Akkultura- lisierung unterscheiden, sind dagegen Gleichwertigkeit von Menschen, die tionsorientierungen. eindimensional, das heißt, sie beschrei- neu nach Deutschland hinzugekommen ben Akkulturationsvarianten, in denen sind, hier Heimat wie auch Zuflucht Der Idealfall von Zugehörigkeit und die Anpassung nur von einer Seite finden durch die Aufnahmegesellschaft. Gleichwertigkeit entspricht der Integ- erfolgt. Die Assimilation ist die Über- Zudem ist es ein wichtiger Fokus der ration, welche jedoch auch die meisten zeugung, dass es angemessen ist, wenn ZuGleich-Studie, die Perspektiven der Aushandlungen und Bemühungen von Zugewanderte zwar Beziehungen und sogenannten Mehrheitsgesellschaft mit beiden Seiten benötigt. Sie manifestiert Teilhabe in der Mehrheitsgesellschaft den Perspektiven und Meinungen derer sich aus Sicht der Mehrheitsgesell- haben, sie fordert dabei aber auch die zu vergleichen, die selber über eine schaft in einer positiven Einstellung zur Aufgabe der eigenen kulturellen Iden- Einwanderungsgeschichte verfügen. Anerkennung des Bedürfnisses nach tität im Sinne einer absoluten Anpas- Bei der Erfassung der Überzeugungen Aufrechterhaltung kultureller Merkmale sung an die Mehrheitsgesellschaft. Die zur Art und Weise, wie neu Hinzuge- und Identitäten aufseiten der neu Hin- Separation entspricht aus Sicht der kommene sich in Deutschland einleben zugekommenen und akzeptiert darüber Aufnahmegesellschaft einer Akkultura- können, wie sie teilhaben und sich hinaus die Gelegenheit, in Beziehung tionsorientierung, die den neu Hinzuge- anpassen können, folgt das Projekt der mit der Mehrheitsbevölkerung zu kommenen zwar ihre Eigenständigkeit klassischen wie international intensiv treten und teilzunehmen. Aus Sicht von und kulturelle Identität zuspricht, je- untersuchten Unterscheidung von Ak- Eingesessenen wie Eingewanderten doch die gesellschaftliche Teilhabe der kulturationsorientierungen nach Berry verlangt Integration sowohl von allen neu Hinzugekommenen verweigert, die und Kolleg_innen (1986, 1997; Zick, Gruppen Anpassungsleistungen und Gruppen von der Mehrheitsgesellschaft 2010). Zentral für die Akkulturationsori- dies, wenn möglich, im gegenseitigen abtrennt und so Parallelgesellschaften entierung ist also die Frage, ob Kontak- Austauschprozess, eben zugleich. Im oder Isolation einfordert. Eine Über- te und Beziehungen zwischen Zuge- Gegensatz dazu steht die Überzeugung sicht der Akkulturationsorientierungen, wanderten und anderen gewünscht von der Marginalisierung der neu die sich aus der Zustimmung bezie- sind und ob die Aufrechterhaltung von Hinzugekommenen, die sowohl die Bei- hungsweise Ablehnung zu Zugehörig- kulturell prägenden Identitäten akzep- behaltung der eigenen Kultur als auch keit und Gleichwertigkeit ergeben, ist in tiert und gewünscht wird oder Gruppen die Teilhabe an der Kultur der Mehr- Tabelle 1 dargestellt. erwarten, dass andere ihre kulturellen heitsgesellschaft verwehrt. Zwei wei- Prägungen aufgeben sollten. Aus der tere Akkulturationsorientierungen der Tabelle 1 Die vier Akkulturationsorientierungen in ZuGleich Identitätserhalt Zustimmung Ablehnung Teilhabe Zustimmung Integration Assimilation Ablehnung Separation Marginalisierung 8
Tabelle 2 Zustimmung zu Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit unter den Befragten des Jahres 2020 in Prozent 2020 Indikatoren Ablehnung Zustimmung n Zugehörigkeit (Teilhabe) Menschen, die nach Deutschland 7,4 % 73,7 % 1.899 eingewandert sind, sollten an unserem gesellschaftlichen Leben teilhaben. Gleichwertigkeit (Identitäten) Menschen, die nach Deutschland 21,8 % 53,2 % 1.908 eingewandert sind, sollten das beibehalten, was ihnen kulturell bedeutsam ist. Anmerkung: Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten. Befragte, die sich auf der Mittelkategorie verorten, sind nicht abgebildet. In Tabelle 2 sind die Zustimmungswer- den. Zudem teilen wir die Gruppe der fünf Jahre nach Deutschland zugewan- te zu Zugehörigkeit und Gleichwertig- Menschen mit Einwanderungsgeschich- dert ist (Zustimmung: 79 %).4 Das heißt: keit unter den Befragten von ZuGleich te noch einmal spezifischer auf in dieje- Je länger die Menschen in Deutschland abgebildet. Eine stabile Mehrheit der nigen, die bereits vor 2015 in Deutsch- leben, desto skeptischer zeigen sie sich Befragten (74 %) spricht sich für die land lebten (N = 375, 74,5 %), und gegenüber dem Erhalt unterschiedlicher gesellschaftliche Teilhabe von Zuge- diejenigen, die im Zeitraum seit 2015 kultureller Identitäten und damit der wanderten aus, das heißt dafür, dass nach Deutschland zugewandert sind (N Gleichwertigkeit. Diese Befunde stehen neu Hinzugekommene am gesellschaft- = 122, 25,5 %). Während sich Menschen im Einklang mit dem sogenannten lichen Leben teilhaben. Schaut man mit und ohne Einwanderungsgeschichte Integrationsparadox: Zu Integrationspro- jedoch auf die zweite Dimension der nicht in ihren Einstellungen gegenüber zessen gehören auch immer Konflikte Akkulturation, die Gleichwertigkeit von der gesellschaftlichen Teilhabe von zwischen denen, die schon länger da kulturellen Identitäten, steigt die Ableh- Einwander_innen unterscheiden, zeigen sind, und den „Neuen“ (El-Mafaalani, nung deutlich: Hier sind es noch knapp sich Unterschiede in der Befürwortung 2013), zumal die Bürger_innen mit über 50 %, die sich dafür aussprechen, der Gleichwertigkeit von kulturellen Einwanderungsgeschichte häufig selber dass Menschen, die nach Deutschland Identitäten. Unter den Menschen ohne Erfahrungen der Assimilation an die kommen, ihre kulturellen Identitäten Einwanderungsgeschichte sind es etwa Mehrheitsgesellschaft gemacht haben beibehalten sollen. Etwa jede_r Fünfte 48 %, die sich für die Gleichwertigkeit und vielleicht nun ebenfalls eine Anpas- lehnt dagegen die Gleichwertigkeit aussprechen; dieser Anteil steigt unter sung der „Neuen“ fordern. im Sinne der Anerkennung kultureller den Zugewanderten auf knapp 65 %. 3 Identitäten ab. Ein ähnlicher Trend findet sich innerhalb Für ZuGleich 4 haben wir, wie bereits der Gruppe der Zugewanderten: Dieje- in den Erhebungen der Jahre 2014 Die Studienreihe ZuGleich legt einen nigen, die schon länger in Deutschland und 2016, die Zustimmungen be- Fokus darauf, inwiefern sich die Pers- sind (mehr als fünf Jahre), zeigen sich ziehungsweise Ablehnungen zu den pektiven der Menschen mit und ohne skeptischer gegenüber dem Identitäts- Dimensionen der Zugehörigkeit und Einwanderungsgeschichte in ihren Ein- erhalt (Zustimmung: 68 %) im Vergleich Gleichwertigkeit zu den vier Akkultura- stellungen und Meinungen unterschei- zur Gruppe, die innerhalb der letzten tionsorientierungen zusammengefasst. 3 Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte: c2(2, N = 1.908) = 73,94, p < 0,001. Die Signifikanztestungen berücksichtigen stets alle Befragten, also auch jene, die die Mittelkategorie gewählt haben. 4 Unterschied zwischen Zugewanderten > 5 Jahre und < 5 Jahre: c2(2, N = 473) = 5,12, p = 0,077. Die Prozentzahlen unterscheiden sich aufgrund dessen, dass nicht alle Befragten mit Einwanderungsgeschichte ihre Aufenthaltsdauer in Deutschland angegeben haben und sich die Gruppe für diese Berechnung dadurch dementsprechend verkleinert. 9
Tabelle 3 Akkulturationsorientierungen unter den Befragten von 2014 bis 2020 in Prozent 2014 2016 2020 Integration Assimilation Integration Assimilation Integration Assimilation 59,9 % 29,3 % 51,1 % 21,8 % 47,7 % 31,0 % Separation Marginalisierung Separation Marginalisierung Separation Marginalisierung 5,9 % 4,8 % 16,3 % 10,9 % 10,8 % 10,5 % Integration = + Zugehörigkeit, + Gleichwertigkeit Assimilation = + Zugehörigkeit, - Gleichwertigkeit Separation = - Zugehörigkeit, + Gleichwertigkeit Marginalisierung = - Zugehörigkeit, - Gleichwertigkeit Anmerkung: Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten. Befragte, die sich auf der Mittelkategorie verorten, sind nicht abgebildet. In Tabelle 3 sind die Akkulturationso- Wie bereits 2016 sprechen sich Men- Menschen mit und ohne Einwande- rientierungen der Befragten zwischen schen mit Einwanderungsgeschichte rungsgeschichte, während die Assimila- 2014 und 2020 abgebildet. Die Daten 5 stärker für die Integration aus (Zustim- tion der Zugewanderten von einem im- zeigen deutlich: Unter den Befragten mung: 56 %) verglichen mit Menschen mer größeren Teil gefordert wird (siehe nimmt die Zustimmung zur Integration ohne Einwanderungsgeschichte Abbildung 1). Insgesamt scheinen die seit 2014 kontinuierlich ab und sinkt (Zustimmung: 44 %). Innerhalb der 6 Fluchtzuwanderung der letzten Jahre im Jahr 2020 erstmalig unter 50 %. Gruppe der Zugewanderten zeigen und die öffentliche Auseinandersetzung Gleichzeitig fordert etwa ein Drittel der sich dagegen keine Unterschiede in der um Fragen der Integration zu einem Befragten die Assimilation und damit Integrationsbefürwortung. Insgesamt Anstieg an Assimilationsforderungen an die einseitige Anpassung seitens der wird deutlich: Die Zustimmung zur neu Zugewanderte geführt zu haben. Zugewanderten. Integration sinkt seit 2014 unter 5 Es fehlen die Werte des Jahres 2018, da wir in diesem Jahr die Akkulturationsorientierungen nicht erhoben haben. 6 Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte: c2(3, N = 1.841) = 58,75, p < 0,001. Abbildung 1 Entwicklung der Akkulturationsorientierungen zwischen 2014 und 2020 in Prozent 70 60 50 40 30 20 Integration Assimilation 10 Separation 0 Marginalisierung 2014 2016 2020 Anmerkung: Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten der Zustimmung in Prozent 10
Neben den abstrakten Akkulturations- wohl der Mehrheitsbevölkerung als auch bevölkerung. Neutralität bedeutet im orientierungen werden in ZuGleich den neu Hinzugekommenen. Dagegen Sinne der Marginalisierung, dass gar kei- auch die konkreten Einstellungen und würde eine Adaption bedeuten, dass ne Anpassungsanstrengungen verlangt Meinungen der in Deutschland lebenden sich allein die neu Hinzugekommenen werden. Eine Übersicht der Anpassungs- Menschen erfragt, wer sich zuerst auf anpassen, und entspräche damit einer vorstellungen, die sich aus der Zustim- wen zubewegen soll. Im Sinne der Inte- einseitigen Assimilation. Eine Öffnung mung beziehungsweise Ablehnung der gration wären diese Anpassungsvorstel- bezeichnet die Anpassungsanstrengun- Anpassung der zwei Gruppen ergeben, lungen die einer Annäherung von so- gen vermehrt vonseiten der Mehrheits- ist in Tabelle 4 dargestellt. Tabelle 4 Die vier Anpassungsvorstellungen in ZuGleich Anpassung Deutsche Zustimmung Ablehnung Anpassung Zustimmung Annäherung Adaption Migrant_innen Ablehnung Öffnung Neuralität In Tabelle 5 sind die Zustimmungswerte gebildet. Über 60 % der Befragten mei- seitens der Deutschen deutlich ablehnt. zur Anpassung seitens der Zugewan- nen, die Zugewanderten müssten sich Lediglich etwa 15 % der Befragten derten und der Mehrheitsgesellschaft anpassen, während ein ähnlich großer stimmen einer Anpassung seitens der unter den Befragten von ZuGleich ab- Anteil der Befragten diese Anpassung Mehrheitsgesellschaft zu. Tabelle 5 Zustimmung zur Anpassung unter den Befragten des Jahres 2020 in Prozent 2020 Indikatoren Ablehnung Zustimmung n Anpassung Migrant_innen Die Migranten müssen sich mehr an 10,4 % 62,8 % 1.894 die Deutschen anpassen. Anpassung Migrant_innen Deutsche müssen sich mehr an 63,2 % 14,6 % 1.890 die Migranten anpassen. Anmerkung: Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten. Befragte, die sich auf der Mittelkategorie verorten, sind nicht abgebildet. 11
Die Forderung einer einseitigen Anpas- fordern sie eine einseitige Anpassung te. Gleichzeitig fordern im Jahr 2020 sung seitens der Zugewanderten wird seitens der neu Hinzugekommenen an beinahe zwei Drittel der Befragten die besonders von denjenigen gefordert, die Mehrheitsgesellschaft. einseitige Anpassung seitens der Zuge- die keine Einwanderungsgeschichte Für ZuGleich 4 haben wir, wie bereits wanderten. Damit liegt die Zustimmung aufweisen (Zustimmung: 66 %), wäh- in den Erhebungen der Jahre 2014 und dieser einseitigen Anpassung noch rend sie unter der Gruppe der Zuge- 2016, die Zustimmungen beziehungs- deutlich näher an dem hohen Niveau wanderten auf 56 % sinkt. Identische 7 weise Ablehnungen zu den vier Anpas- zu Zeiten der Fluchtbewegung und hat Unterschiede bestehen innerhalb der sungsvorstellungen zusammengefasst. sich seitdem nicht merklich reduziert. Gruppe der Zugewanderten: Diejeni- In Tabelle 6 sind die Anpassungsvor- Erwähnenswert scheint jedoch auch, gen, die schon länger in Deutschland stellungen der Befragten zwischen dass die Zustimmung zu einer Öffnung sind (mehr als fünf Jahre), fordern 2014 und 2020 abgebildet. Unter den seitens der Mehrheitsgesellschaft eine stärkere Anpassung seitens der Befragten nimmt die Zustimmung zur höher ist als in den Vorjahren, wenn sie Zugewanderten (Zustimmung: 57 %) im gegenseitigen Annäherung seit 2014 auch durchweg niedrige Zustimmungs- Vergleich zur Gruppe, die innerhalb der deutlich ab und sinkt im Jahr 2020 werte erfährt. letzten fünf Jahre nach Deutschland auf etwa 14 %, während im Jahr 2014 zugewandert ist (Zustimmung: 47 %). 8 noch etwa ein Viertel der Befragten Das heißt: Je länger die Menschen die gegenseitige Anpassung zwischen in Deutschland leben, desto stärker Zugewanderten und Deutschen forder- 7 Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte: Anpassung Zugewanderte: c2(2, N = 1.895) = 41,35, p < 0,001; Anpassung Deutsche: c2(2, N = 1.824) = 43,93, p < 0,001. 8 Unterschied zwischen Zugewanderten > 5 Jahre und < 5 Jahre: Anpassung Zugewanderte: c2(2, N = 468) = 10,03, p = 0,007; Anpassung Deutsche: c2(2, N = 463) = 4,71, p = 0,095. Tabelle 6 Anpassungsvorstellungen unter den Befragten von 2014 bis 2020 in Prozent 2014 2016 2020 Annäherung Adaption Annäherung Adaption Annäherung Adaption 26,6 % 44,0 % 14,3 % 62,8 % 13,8 % 57,0 % Öffnung Neutralität Öffnung Neutralität Öffnung Neutralität 4,0 % 25,3 % 3,6 % 19,3 % 8,4 % 20,7 % Annäherung = + Migrant_innen, + Deutsche Adaption = + Migrant_innen, - Deutsche Öffnung = - Migrant_innen, + Deutsche Neutralität = - Migrant_innen, - Deutsche Anmerkung: Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten. Befragte, die sich auf der Mittelkategorie verorten, sind nicht abgebildet. 12
Wie bereits im Jahr 2016 sprechen sind (mehr als fünf Jahre), fordern eine Mehrheitsgesellschaft. Insgesamt zeigt sich Menschen mit Einwanderungsge- stärkere Adaption seitens der Zuge- sich, wie schon bei den Akkulturations- schichte stärker für die gegenseitige wanderten (Zustimmung: 50 %) im orientierungen: Die Zustimmung zur Annäherung zwischen den Gruppen Vergleich zur Gruppe, die innerhalb der gegenseitigen Annäherung sinkt seit aus (Zustimmung: 18 %) verglichen mit letzten fünf Jahre nach Deutschland 2014 deutlich; die einseitige Anpassung Menschen ohne Einwanderungsge- zugewandert ist (Zustimmung: 36 %).10 seitens der Zugewanderten ist und schichte (Zustimmung: 12 %). Inner- 9 Das heißt: Je länger die Menschen bleibt die am meisten befürwortete An- halb der Gruppe der Zugewanderten in Deutschland leben, desto stärker passungsvorstellung der Bürger_innen zeigt sich ein ähnlicher Trend: Diejeni- fordern sie eine einseitige Adaption sei- (siehe Abbildung 2). gen, die schon länger in Deutschland tens der neu Hinzugekommenen an die 9 Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte: c2(3, N = 1.847) = 47,84, p < 0,001. 10 Unterschied zwischen Zugewanderten > 5 Jahre und < 5 Jahre: c2(3, N = 452) = 6,55, p = 0,088. Abbildung 2 Entwicklung der Anpassungsvorstellungen zwischen 2014 und 2020 in Prozent 70 60 50 40 30 20 Annäherung Adaption 10 Öffnung 0 Neutralität 2014 2016 2020 Anmerkung: Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten der Zustimmung in Prozent 13
• 2020 befürwortet noch eine Es scheint, als verbinde die Mehr- • Die Gleichwertigkeit scheint, im Mehrheit die Integration als rich- heit den Erhalt kultureller Identi- Vergleich zur gesellschaftlichen tigen Weg in die Gesellschaft be- täten mit vorurteilsbehafteten, se- Teilhabe, mehr Skepsis in der Be- ziehungsweise Akkulturationsvari- paratistischen Tendenzen seitens völkerung hervorzurufen und stellt ante; die Zustimmung sinkt jedoch der neu Hinzugekommenen. sich damit als zentraler Aspekt seit 2014 kontinuierlich; konkret der Integrationsdebatte dar. ist und bleibt die einseitige An- • Die Assimilationsforderung zeigt passung der Zugewanderten die sich vermehrt auch unter Zu- am meisten befürwortete Anpas- gewanderten: Je länger sie in sungsvorstellung. Werden kultu- Deutschland sind, desto eher for- relle Identitäten unwichtiger oder dern sie von neu Zugewanderten wächst die Nichtanerkennung? die einseitige Anpassung. Soziodemografische Unterschiede in Akkulturationsorientierungen und Anpassungsvorstellungen Mit Blick auf die soziodemografischen Gruppen und ihre Akkulturationsori- entierungen zeigt sich im Jahr 2014 ein Einfluss des Alters der Befragten: Personen im Alter von 36 bis 60 Jahren zeigen sich dem Integrationskonzept offen gegenüber, wohingegen ältere Befragte eher die Assimilation von neu Hinzugekommenen befürworten. In den Jahren 2016 und 2020 sind diese Altersunterschiede jedoch nicht mehr statistisch signifikant. Mit Blick auf die Anpassungsvorstellungen zeigt sich über alle Jahre hinweg: Jüngere spre- chen sich stärker für eine gegenseitige Annäherung aus verglichen mit älteren Befragten. Zudem zeigt sich über alle Jahre hinweg: Je höher das Bildungsni- veau der Befragten, desto stärker fällt auch deren Zustimmung zur Integration als Akkulturationsvariante aus. Auch stimmen Menschen mit einem hohen Bildungsgrad der gegenseitigen Annäherung zu allen drei Datenerhebungen stärker zu als Menschen mit niedrigen oder mittleren Bildungsgraden. Befrag- te, die sich politisch links orientieren, zeigen zu allen Zeitpunkten eine stärkere Befürwortung der Integration und der beidseitigen Annäherung verglichen mit Befragten, die sich in der Mitte oder rechts orientieren. Bei Befragten im rech- ten politischen Spektrum fällt die Marginalisierung, verglichen mit Befragten der anderen politischen Orientierungen, deutlich höher aus.11 11 Alle Ergebnisse zu den dahinterliegenden Tests auf Gruppenunterschiede können beim Projekt angefragt werden. 14
2 WILLKOMMENSKULTUR 2020 Zu Zeiten der erstarkten Aufnahme von Im Projekt ZuGleich wurde erstmals Zugewanderte aus. So gefällt es knapp Geflüchteten in den Jahren 2015 und ein zuverlässiges Messinstrument zur der Hälfte der Befragten, wenn sich 2016 war die Willkommenskultur ein Erfassung der Zustimmung zur gesell- Zugewanderte für Deutschland als zentrales Konzept gesellschaftlicher schaftlichen Willkommenskultur im neue Heimat entscheiden. Gleichzeitig Aufmerksamkeit sowie medialer und Jahr 2014 entwickelt. Das Messinstru- lehnt jede_r Fünfte mehr Vielfalt in politischer Debatten. Die Willkom- ment umfasst weniger Aktivitäten, die der deutschen Gesellschaft ab. Stabil menskultur ist einerseits ein soziales, sich als Willkommenskultur manifestie- scheint zudem die Kluft zwischen den kulturelles und politisches Schlüssel- ren, wie etwa konkretes Engagement Meinungen, die Deutschland als Heimat konzept der Zivilgesellschaft, das sich für Geflüchtete, sondern eine offene denjenigen zugestehen, die bereits in einem starken Engagement und und akzeptierende Grundhaltung „hier sind“, während gegenüber jenen, Ehrenamt ausdrückt. Auf der anderen gegenüber Vielfalt sowie ein Heimat- die „noch kommen“, eine reservierte Seite ist die Willkommenskultur auch konzept, das Migration als selbstver- Haltung fortbesteht. Etwa 15 Prozent- eine Hauptangriffsfläche für rechts- ständlichen Kern einbegreift; also punkte weniger Befragte äußern im populistische Bewegungen geworden, eine Werteorientierung. Es wird unter Jahr 2020 Gefallen daran, dass sich da sie ein Bekenntnis zu Migration und anderem danach gefragt, wie positiv Migrant_innen für Deutschland als neue zum Einwanderungsland Deutschland es bewertet wird, dass Zugewanderte Heimat entscheiden (45 %), während bedeutet. Im Jahr 2020 ist nun, fünf in Deutschland heimisch werden und deutlich mehr Befragte (60 %) sich da- Jahre nach der Fluchtbewegung, vom sich für Deutschland als neue Heimat rüber freuen, dass sich Migrant_innen ehemals politischen „Kampfbegriff“ entscheiden. Seit 2016 werden die in Deutschland zu Hause fühlen. Diese der Willkommenskultur kaum mehr dementsprechenden Aussagen auch deutliche Differenz bestand auch schon die Rede. Gerade zu Zeiten der Coro- Zugewanderten vorgelegt. in den Jahren zuvor. na-Pandemie und der geschlossenen Grenzen stellt sich die Frage, wie In Tabelle 7 sind die Zustimmungswerte relevant die Willkommenskultur heute zu den einzelnen Fragen der Willkom- noch ist und wie aus dem Willkommen menskultur unter den Befragten von von Zugewanderten nun ein dauer- ZuGleich abgebildet. Eine Mehrheit haftes Ankommen und Beheimaten der Bürger_innen spricht sich im Jahr realisiert werden kann. 2020 für eine Willkommenskultur für Tabelle 7 Zustimmung zur Willkommenskultur unter den Befragten des Jahres 2020 in Prozent Indikatoren Ablehnung Zustimmung n Es gefällt mir, dass sich so viele Migranten für 27,0 % 44,7 % 972 Deutschland als neue Heimat entscheiden. Ich freue mich darüber, wenn sich immer mehr 21,6 % 59,6 % 970 Migranten in Deutschland zu Hause fühlen. Ich freue mich, Deutschland noch vielfältiger 20,4 % 62,4 % 971 und bunter wird. Anmerkung: Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten. Befragte, die sich auf der Mittelkategorie verorten, sind nicht abgebildet. 15
Die Zustimmung zu den einzelnen In Abbildung 3 ist die Entwicklung der der damit einhergehenden Beschrän- Aussagen der Willkommenskultur fällt Zustimmung zur Willkommenskultur kung von Mobilität stellt sich die Frage, unter Menschen mit Einwanderungs- der Befragten zwischen 2014 und welche Relevanz die Befürwortung ei- geschichte höher aus im Vergleich zur 2020 abgebildet. Die Zustimmung zur nes Willkommens für Zugewanderte im nicht migrantischen Bevölkerung. So Willkommenskultur erreicht im Jahr Jahr 2020 besitzt. Dies auch vor dem steigen unter ihnen die Freude über 2020 einen Höchstwert; zum ersten Hintergrund, dass der Zuspruch zur Deutschland als neues Zuhause für Mal sprechen sich über die Hälfte der Willkommenskultur in der Erhebung Zugewanderte sowie der Zuspruch zu Befragten für eine stärkere Willkom- des Jahres 2020 keine signifikanten mehr Vielfalt auf etwa 70 %. Inner- 12 menskultur aus. Auch die Ablehnung Zusammenhänge zu Einstellungen zur halb der Gruppe der Zugewanderten sinkt im Vergleich zu den Vorjahren; Integration zeigt.13 bestehen keine Unterschiede im Zu- gerade verglichen mit 2016 sind es spruch zur Willkommenskultur zwi- heute deutlich weniger Befragte, die schen denjenigen, die vor fünf Jahren sich klar gegen eine Willkommenskultur nach Deutschland gekommen sind, aussprechen, mit einem Unterschied und jenen, die kürzer als fünf Jahre in von etwa 10 Prozentpunkten. Vor dem Deutschland sind. Hintergrund der Corona-Pandemie und 12 Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte: Heimat: c2(2, N = 973) = 14,59, p = 0,001; zu Hause: c2(2, N = 970) = 11,65, p = 0,003; Vielfalt: c2(2, N = 971) = 12,98, p = 0,002. 13 Korrelation zwischen Willkommenskultur und Zuspruch zur Zugehörigkeit, r = 0,05, n.s.; Willkommenskultur und Zuspruch zur Gleichwertigkeit, r = -0,02, n.s. Abbildung 3 Zustimmung zur Willkommenskultur unter den Befragten von 2014 bis 2020 in Prozent 25,7 % 27 % 21,7 % 29,5 % 22,2 % 34,5 % 35,8 % 32 % Ablehnung Neutral Zustimmung 56,1 % 39,8 % 38,6 % 37,2 % 2014 2016 2018 2020 Anmerkung: Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten in Prozent 16
Wie bereits im Jahr 2016 befürworten Befragte mit Einwanderungsgeschichte Soziodemografische Unterschiede in der Zustimmung 2020 eine Willkommenskultur stärker. zur Willkommenskultur Während die Willkommenskultur unter ihnen im Jahr 2018 noch einen Einbruch Mit Blick auf die soziodemografischen Daten und den Zuspruch zur Willkom- verzeichnete um rund 10 Prozentpunkte menskultur zeigt sich bis auf das Jahr 2014 kein Unterschied zwischen den Ge- und sich damit an das Niveau der Be- schlechtern. Anders verhält es sich mit dem Alter der Befragten: Während sich fragten ohne Einwanderungsgeschichte 2014 und 2016 noch keine Altersunterschiede in der Zustimmung zur Willkom- anglich, ist in der aktuellen Befragung menskultur feststellen lassen, zeigt sich 2018: je jünger die Befragten, desto der Unterschied zwischen den Gruppen größer der Zuspruch zur Willkommenskultur. Im Jahr 2020 ist dieser Unter- wieder hergestellt, sodass sich Men- schied zwischen den Altersgruppen jedoch wieder verschwunden. Weiterhin schen mit Einwanderungsgeschichte weisen Befragte mit hohem Bildungsgrad im Vergleich zu niedriger Gebildeten wieder mehr für ein Willkommen aus- in allen Jahren signifikant häufiger eine positive Haltung zur Willkommenskul- sprechen im Vergleich zur autochthonen tur und einem offenen Heimatkonzept auf, während zwischen den Befragten Bevölkerung. mit niedrigem und mittlerem Bildungsgrad keine signifikanten Unterschiede vorliegen. Auch die politische Orientierung spielt eine Rolle: Menschen aus • 2020 nimmt der Zuspruch zur dem rechten politischen Spektrum lehnen die Willkommenskultur eher ab Willkommenskultur unter den verglichen mit Menschen, die sich politisch links oder in der Mitte einordnen. Bürger_innen zu, hängt aber nicht mehr mit den Einstellungen zur Integration zusammen. Es stellt sich die Frage nach der Bedeutung einer Willkommenskultur im Jahr 2020 zu Zeiten eingeschränkter Mobilität; sie ist gerade weniger gefordert, weil es kaum Immigrati- on gibt und die Grenzen geschlos- sen sind. • Auch im Hinblick darauf, dass die Gleichwertigkeit in der Bevölke- rung skeptischer betrachtet wird als die gesellschaftliche Teilha- be, scheint das Willkommen von Zugewanderten im Jahr 2020 nicht mehr zu genügen. Im Jahr 2020 geht es – fünf Jahre nach der Fluchtbewegung – nun um die Aushandlung des Zusammenle- bens und ein wirkliches Ankom- men, das gleichwertig und auf Augenhöhe gestaltet wird. 17
3 ZUGEHÖRIGKEIT: WAS GEHÖRT DAZU, UM DAZUZUGEHÖREN? Die Frage, wann Einwander_innen zur auf, was aus Sicht der Bürger_innen zu In Tabelle 8 sind die Zustimmungswer- Gesellschaft gehören, ist ein zentrales erfüllen ist, um zur deutschen Gesell- te zu den einzelnen Kriterien des ge- und immer wiederkehrendes Thema schaft dazuzugehören, und wir legen samten Katalogs unter den Befragten in Migrationsdebatten, jenseits aller hierfür eine Reihe an Kriterien vor, die von ZuGleich 2020 abgebildet. Zahl- rechtlichen Bestimmungen. In den von den Befragten in ihrer Wichtigkeit reiche Kriterien finden im Jahr 2020 öffentlich kontrovers diskutierten bewertet werden. Neben rein formalen eine starke Zustimmung unter den Debatten drückt sich die Relevanz der und gleichsam exklusiven Merkma- Befragten. Wie schon in den Vorjahren Zugehörigkeit aus, indem der Frage len (beispielsweise das Geburtsland bleiben die deutsche Sprache, die Er- nachgegangen wird, ab wann Menschen Deutschland) wurden und werden werbstätigkeit und die Achtung der po- mit Migrationsgeschichte deutsch oder weiterhin graduelle, also erwerbbare litischen Institutionen und Gesetze von vielmehr deutsch genug sind. Das ist Kriterien angeführt, die eine weichere hoher Wichtigkeit, mit Zustimmungs- nicht nur eine staatsrechtliche, sondern Definition deutscher Zugehörigkeit werten über 80 beziehungsweise 90 %. eine hochpolitische sowie soziale Fra- zulassen (etwa Erwerb der deutschen Weniger Relevanz scheint kategorial- ge, die viele Bürger_innen beschäftigt Sprache). Je umfassender der Maßstab exklusiven Kriterien wie Geburtsland, und gleichzeitig durch rechtspopulisti- und damit auch die Kriterienzahl, deren verbrachte Lebenszeit in Deutschland sche und -extremistische Gruppen und Erfüllung die Befragten für das „Dazu- oder Religionszugehörigkeit beigemes- Parteien besetzt wird. Welche Kriterien gehören“ verlangen, desto stärker sollte sen zu werden, die von 25 bis 30 % als müssen Menschen erfüllen, um dazu- auch die Ablehnung und Abwertung bedeutsam erachtet werden. Allerdings zugehören? Gehören jene 2,7 Millionen verschiedener Gruppen ausfallen. Vor entscheidet sich die Zugehörigkeit Menschen, die arbeitslos gemeldet dem Hintergrund der ethnischen und zur deutschen Gesellschaft für 40 % sind, oder jene, die nicht dem Chris- kulturellen Homogenisierung wird damit der Befragten immer noch klar an der tentum angehören (etwa 40 Millionen), die Zugehörigkeit respektive Integration deutschen Staatsangehörigkeit; ein weniger zur deutschen Gesellschaft in die aufnehmende Gesellschaft erheb- Wert, der im Vergleich zu 2018 um als andere? Braucht es das Gefühl, lich erschwert. Zudem birgt das Aufstel- etwa 10 Prozentpunkte angestiegen ist. Deutsche_r zu sein, um als „Mitglied“ len strikter Kriterien auch die Gefahr Auch das erstmals erhobene Kriterium, anerkannt zu werden? einer Internalisierung dieser Anforde- das fordert, dass neu Hinzugekomme- rungen seitens der Zugewanderten. So ne nicht von Sozialhilfe leben sollen, Seit 2014 misst ZuGleich den Katalog zeigten die bisherigen ZuGleich-Befra- erfährt eine starke Zustimmung; etwa der Zugehörigkeitskriterien. Er zeigt, gungen, dass sich Bürger_innen mit und acht von zehn Befragten stimmen die- wie geschlossen oder offen die Einstel- ohne Einwanderungsgeschichte in der sem Kriterium zu. lungsschranke der Bürger_innen ist, wie Befürwortung von Kriterien für eine Zu- eng, hart oder weich, erwerbbar oder gehörigkeit zur deutschen Gesellschaft nicht ihre Zugehörigkeitsanforderungen und damit den eigenen Assimilations- sind. Wir stellen einen Katalog dafür forderungen zum Teil stark ähneln. 18
Tabelle 8 Zustimmung zur Willkommenskultur unter den Befragten des Jahres 2020 in Prozent Kriterien Ablehnung Zustimmung n 1 In Deutschand geboren 57,2 % 26,1 % 958 2 Deutsche Staatsangehörigkeit 41,1 % 41,6 % 967 3 Leben in Deutschland 53,2 % 32,5 % 976 4 Deutsche Sprache 3,2 % 94,3 % 967 5 Erwerbstätigkeit 6,2 % 85,8 % 955 6 Pol. Institutionen und Gesetze 2,6 % 92,7 % 953 7 Deutsche Werte und Traditionen 13,3 % 69,7 % 983 8 Einsatz für die Allgemeinheit 4,1 % 81,7 % 961 9 Sich Deutsch fühlen 28,6 % 52,7 % 943 10 Christ sein 50,6 % 27,7 % 927 11 Keine Sozialhilfe 12,3 % 81,5 % 961 Anmerkung: Das Kriterium 11 „Nicht von Sozialhilfe leben“ wurde im Jahr 2020 erstmalig erhoben. Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten. Befragte, die sich auf der Mittelkategorie verorten, sind nicht abgebildet. Der Zuspruch zu strikten Kriterien schiede: Hier sind es Kriterien wie das gleichzeitig 30 % eine klare Ablehnung für eine Zugehörigkeit zur deutschen „Sich-Deutsch-Fühlen“, die deutsche zeigen.15 Hier scheint also jede gesell- Gesellschaft wird besonders von den- Sprache sprechen, aber auch das Ge- schaftliche Gruppe die für die eigene jenigen gefordert, die keine Einwande- burtsland Deutschland, die in der Grup- Zugehörigkeit relevanten und brisanten rungsgeschichte aufweisen, etwa im pe der Menschen, die länger als fünf Kriterien als wichtig zu erachten. Hinblick auf die deutsche Staatsangehö- Jahre in Deutschland leben, zu mehr rigkeit. Während etwa 36 % der Men- Polarisierungen führen, verglichen mit In Abbildung 4 ist die Entwicklung der schen mit Einwanderungsgeschichte den neu Zugewanderten. In der Grup- Zustimmung zum Katalog der Zugehö- diesem Kriterium zustimmen, steigt die pe der Zugewanderten, die länger in rigkeitskriterien unter den Befragten Zustimmung unter der autochthonen Deutschland leben, finden sich sowohl zwischen 2014 und 2020 abgebildet. Bevölkerung auf 44 %. Auch die Forde- stärkere Zustimmungswerte als auch Die Zustimmung zum Gesamtkatalog rungen, die meiste Zeit in Deutschland stärkere Ablehnungswerte in Bezug auf der Kriterien erreicht im Jahr 2020 ei- gelebt zu haben, deutsche Werte und diese Kriterien, was darauf hindeutet, nen Wert, der beinahe an den Höchst- Traditionen zu achten, sich deutsch zu dass gerade Themen der deutschen wert des Jahres 2016 heranreicht. Für fühlen und Christ zu sein, werden von Identität in dieser Gruppe ausgehandelt die Gesamtzustimmung berechnen Befragten ohne Einwanderungsge- werden. Während beispielsweise eine wir dabei den Mittelwert der Zustim- schichte stärker befürwortet im Ver- Mehrheit der Zugewanderten seit 2015 mungen zu allen elf Kriterien. Damals gleich zu Befragten mit eigener Einwan- ablehnt, dass es nötig ist, sich deutsch forderten 66 % der Befragten strikte derungsgeschichte. Auch innerhalb 14 zu fühlen, sind es in der Gruppe der Zu- Kriterien für eine Zugehörigkeit zur der Gruppe der Befragten mit Einwan- gewanderten vor 2015 etwa 40 %, die deutschen Gesellschaft; in der aktuellen derungsgeschichte zeigen sich Unter- diesem Kriterium zustimmen, während Befragung sind es 60 %. 14 Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte: Deutsche Staatsangehörigkeit: c2(2, N = 967) = 6,21, p = 0,045; Lebenszeit in Deutschland: c (2, N = 975) = 6,57, p = 0,037; deutsche Werte & Traditionen: c2(2, N = 982) = 9,72, p = 0,008; sich deutsch fühlen: c2(2, N = 942) = 55,45, p < 0,001; 2 Christ sein: c2(2, N = 927) = 24,69, p < 0,001. 15 Unterschied zwischen Zugewanderten > 5 Jahre und < 5 Jahre: in Deutschland geboren: c2(2, N = 224) = 11,04, p = 0,004; deutsche Sprache: c2(2, N = 226) = 6,56, p = 0,038; sich deutsch fühlen: c2(2, N = 223) = 18,82, p < 0,001; Christ sein: c2(2, N = 221) = 15,50, p < 0,001. 19
Abbildung 4 Zustimmung zu Zugehörigkeitskriterien unter den Befragten von 2014 bis 2020 in Prozent 2,8 % 5% 4,8 % 11,8 % 31,3 % 41,9 % 34,6 % 40,8 % 66 % Ablehnung 53,1 % 60,6 % 47,3 % Neutral Zustimmung 2014 2016 2018 2020 Anmerkung: Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten in Prozent Im Vergleich zur Erhebung im Jahr • 2020 nimmt der Zuspruch zum Ka- • Sowohl die Einwanderungsge- 2018 liegt in der aktuellen Erhebung talog der Zugehörigkeitskriterien schichte als auch die Aufenthalts- eine Zunahme der Wichtigkeit aller Kri- im Vergleich zu 2018 deutlich zu dauer in Deutschland haben einen terien vor. Besonders die Zustimmung und erreicht beinahe wieder das Einfluss darauf, welche Kriterien zu Kriterien wie der christlichen Reli- Niveau des Jahres 2016. Wie schon als besonders wichtig für die gion oder dem Geburtsland steigt im in den Vorjahren werden graduell Zugehörigkeit zur deutschen Vergleich zu 2018 um mehr als 10 Pro- erwerbbare Kriterien, wie der Er- Gesellschaft erachtet werden. Es zentpunkte. Zudem zeigen sich, im werb der deutschen Sprache oder scheint, als erachte jede Gruppe Gegensatz zur Erhebung 2018, wieder die Achtung der Institutionen und die für die Aushandlung der eige- Unterschiede zwischen Menschen mit Gesetze, stärker befürwortet als nen Identitäten relevanten Kriteri- und ohne Einwanderungsgeschichte, kategoriale Kriterien. en als bedeutsam. mit einer stärkeren Zustimmung zum Kriterienkatalog seitens der autochtho- nen Bevölkerung. Soziodemografische Unterschiede in der Zustimmung zu den Kriterien der Zugehörigkeit Es zeigen sich wie in den Erhebungen zuvor keine Geschlechtsgruppenunter- schiede in den Zugehörigkeitskriterien. Anders verhält es sich mit dem Alter der Befragten. Wie in den Befragungen zuvor steigen die Ansprüche an eine Zugehörigkeit mit dem Alter. Auch der Bildungsgrad spielt außer im Jahr 2018 eine signifikante Rolle. Die drei Bildungsgruppen unterscheiden sich signifikant voneinander, indem mit zunehmendem Bildungsgrad ein weniger restriktives Zugehörigkeitskonzept vorliegt. Für 2018 zeigt sich jedoch kein signifikanter Unterschied zwischen Befragten mit niedrigem und mittlerem Bildungsgrad in der jeweils beigemessenen Wichtigkeit der Kriterien. Letztlich spielt auch die politische Orientierung eine Rolle: 2014 bis 2018 befürworten Menschen aus dem rechten politischen Spektrum die Zugehörigkeitskriterien mehr, vergli- chen mit Menschen, die sich politisch links einordnen. Im Jahr 2020 sind es dagegen besonders Menschen aus der politischen Mitte, die Kriterien für eine Zugehörigkeit fordern. 20
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