EINSTELLUNGEN ZUR INTEGRATION IN DER DEUTSCHEN BEVÖLKERUNG VON 2014 BIS 2020 - STUDIENBERICHT DER VIERTEN ERHEBUNG IM PROJEKT ZUGLEICH ...

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EINSTELLUNGEN ZUR INTEGRATION
IN DER DEUTSCHEN BEVÖLKERUNG
VON 2014 BIS 2020

STUDIENBERICHT DER VIERTEN ERHEBUNG
IM PROJEKT ZUGLEICH – ZUGEHÖRIGKEIT
UND GLEICHWERTIGKEIT

Andreas Zick und Nora Rebekka Krott
INHALT

DEUTSCHLAND NACH DER WILLKOMMENSKULTUR: EINSTELLUNGEN ZUM
ZUSAMMENLEBEN IN EINER VIELFÄLTIGEN UND VERÄNDERTEN GESELLSCHAFT    4

ZUGLEICH – ZUGEHÖRIGKEIT UND GLEICHWERTIGKEIT                        7

 1		 ZWISCHEN GEMEINSAMER GESTALTUNG UND ANPASSUNGSVORSTELLUNGEN:
 		 AKKULTURATIONSORIENTIERUNGEN 2020                               8

 2 WILLKOMMENSKULTUR 2020                                           15

 3 ZUGEHÖRIGKEIT: WAS GEHÖRT DAZU, UM DAZUZUGEHÖREN?                18

 4 ETABLIERTENVORRECHTE UND ÜBERVORTEILUNGEN                        21

 5 KULTUREN DER ABWEHR                                              24

EIN FAZIT ZUR ZUGEHÖRIGKEIT UND GLEICHWERTIGKEIT 2020               28

LITERATUR                                                           34

IMPRESSUM                                                           35

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DEUTSCHLAND NACH DER WILLKOMMENSKULTUR:
EINSTELLUNGEN ZUM ZUSAMMENLEBEN IN EINER
VIELFÄLTIGEN UND VERÄNDERTEN GESELLSCHAFT
Nach aktuellen amtlichen Statisti-                      und Anerkennung der Zu- und Einwan-                   wozu Erfahrungen von Ausgrenzung
ken besitzen rund 21,2 Millionen der                    derung scheint es einen gesellschaftli-               und Diskriminierungen gehören. Diese
in Deutschland lebenden Menschen                        chen Konsens zu geben, dass Migration                 Wahrnehmungen werden als Belas-
eine Einwanderungsgeschichte. Das        1
                                                        zur deutschen Gesellschaft dazugehört                 tung und Hürde untersucht, aber auch
heißt, mehr als jede_r vierte Einwoh-                   und diese prägt.                                      als Chance und Möglichkeit. Migration
ner_in (26 %) oder mindestens ein                                                                             und Integration als Prozesse, die die
Elternteil wurde mit einer anderen als                  Der Widerstand gegen diese Feststel-                  Normalität der Einwanderungsgesell-
der deutschen Staatsangehörigkeit                       lung wird vor allem in ultrakonservati-               schaft beschreiben, auch wenn sie von
geboren oder ist in einem anderen                       ven, rechtspopulistischen, neurechten                 Gruppen abgelehnt werden, sind die
Land als Deutschland geboren. Mehr                      wie rechtsextremistischen Gruppierun-                 zentralen Themen von ZuGleich. Radi-
als die Hälfte unter ihnen haben bisher                 gen, Parteien und analogen wie digita-                kalisierung dagegen wird als Blockade
die deutsche Staatsangehörigkeit                        len Milieus als Mittel gegen stilisierte              von Zugehörigkeit und Gleichwertig-
angenommen (52 %) und etwa ein                          Bedrohungen der „Überfremdung“                        keit verstanden. Mit diesem Blick lässt
Drittel teilt zwar eine Einwanderungs-                  oder gar der „Umvolkung“ ausgegeben.                  sich eben feststellen: Auch wenn die
geschichte über die Eltern, aber keine                  Er schlug sich in der Zeit der erstark-               Bundesrepublik Deutschland von vielen
eigene Migrationserfahrung mehr. Ein                    ten Fluchtbewegung in einem Anstieg                   Bürger_innen nicht als multikulturelle
Viertel der Menschen mit einer Einwan-                  an Gewalttaten gegen Asylsuchende                     Gesellschaft wahrgenommen wird, ist
derungsgeschichte ist muslimischen                      nieder sowie im Erstarken rechtspopu-                 doch die Selbstbeschreibung als Ein-
Glaubens. Die neuen Mitbürger_innen                     listischer und neurechter Bewegungen                  wanderungsland weit geteilt.
stammen laut aktuellen Zahlen des                       und Wahlerfolge. In Studien zu Hass-
Jahres 2019 aus mehr als 15 Ländern,                    botschaften gegen Medienschaffende                    Auch die Vorstellungen darüber, wer
die meisten davon aus EU-Ländern. Die                   haben wir ermittelt, dass Stichworte                  aus Sicht der Bürger_innen zur Gesell-
Zuwanderung von Geflüchteten und                        wie „Migration“, „Flüchtlinge“ und „Inte-             schaft dazugehört und welche (kul-
Asylsuchenden in den Jahren 2015 und                    gration“ immer noch jene Worte sind,                  turellen) Identitäten und Gruppen als
2016 hat noch einmal das Land verän-                    die am meisten Hassnachrichten nach                   gleichwertig anerkannt werden, gehen
dert. Deutschland ist von zunehmender                   sich ziehen (Zick & Preuß, 2021). Wir                 in medialen und politischen Debatten,
kultureller, ethnischer und religiöser                  könnten die Reihe destruktiver, diskri-               beispielsweise um die öffentlich sicht-
Vielfalt geprägt und die Annahme von                    minierender, rassistischer oder gewal-                bare Religionsausübung, immer wieder
Deutschland als Einwanderungsland hat                   torientierter Ideologien und Taten „ge-               weit auseinander. Nicht zuletzt hat sich
sich in den letzten Jahren durchgesetzt                 gen die Einwanderung“ von Menschen                    der Ausbruch der Corona-Pandemie
– wenn auch langsam und konflik-                        fortführen und wir müssen auch darauf                 zu Beginn des letzten Jahres als eine
treich, wie auch die ZuGleich-Studien                   verweisen, dass die jüngsten Atten-                   große Herausforderung für den Zusam-
dokumentieren konnten. Die jüngste                      tate von Halle (Saale) und Hanau sich                 menhalt und die Solidarität in Deutsch-
Fachkommission zu den Rahmenbedin-                      gegen das Judentum, den Islam, gegen                  land herausgestellt, da die getroffenen
gungen der Integrationsfähigkeit, die                   nicht weiße Menschen, aber auch                       Maßnahmen mit Einschränkungen der
die Bundesregierung eingesetzt hat,                     gegen die Einwanderung und gegen                      Grund- und Freiheitsrechte einhergin-
teilt diese Auffassung und beruft sich                  Einwander_innen richteten. Uns geht                   gen, um die körperliche Gesundheit
auf die Befunde. Nach zum Teil von                      es in der Studie ZuGleich jedoch nicht                und Unversehrtheit der Bürger_innen
vorurteilsbasierten Hasskampagnen                       um ein Verständnis der radikalisierten                zu schützen. Während die Auswirkun-
und -taten begleiteten Jahrzehnten                      Gruppen und Menschen, sondern um                      gen der Corona-Maßnahmen noch
der Konflikte, wie auch der politischen,                Wahrnehmungen und Erfahrungen zum                     einmal deutlich die Ungleichheiten im
rechtlichen und sozialen Bewertung                      Alltag von Migration und Integration,                 Land gezeigt und verschärft haben,
1   Wir folgen den Empfehlungen der Fachkommission zu den Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit des Landes und verwenden explizit den Begriff der
„Einwanderungsgeschichte“ statt den oft missverstandenen Begriff Migrationshintergrund.

4
indem sie die größten Auswirkun-                       land, ist dabei nicht gleichbedeutend                   geworden – spätestens seit der Flucht-
gen auf bereits zuvor benachteiligte                   mit einer tatsächlichen Anerkennung                     migration, als politische Gruppen das
Gruppen hinsichtlich Beruf, Bildung                    von Zugehörigkeit, Gleichwertigkeit                     Thema auf ihre Kampfagenda gesetzt
und gesellschaftlicher Teilhabe hat-                   und einer Normalität von Migration                      haben. Sie übertönen in Teilen eine Zi-
ten, zeigt das Integrationsbarometer                   dort, wo Vielfalt erlebbar und sichtbar                 vilgesellschaft, die am Prozess beteiligt
des Sachverständigenrats deutscher                     wird: in den Ansichten, Meinungen und                   ist und teilnimmt, um dem Land einen
Stiftungen für Integration und Migrati-                Haltungen der deutschen Bürger_in-                      besseren und weniger destruktiven und
on, dass in der Gesamtbevölkerung im                   nen. Gesellschaften zeichnet dabei                      spaltenden Weg in die Einwanderungs-
Laufe der Corona-Pandemie bis August                   immer ein dynamischer Charakter aus.                    gesellschaft zu bieten.
2020 das Vertrauen in die Politik und                  Sie reagieren auf Veränderungen, wie
die Zufriedenheit mit der Demokratie                   es die derzeitige Pandemie-Situation                    Welche Vorstellungen die Bevölkerung
insgesamt angestiegen sind – sowohl                    zeigt. Werden Veränderungen jedoch                      in ihren unterschiedlichen demogra-
bei Menschen mit als auch ohne Ein-                    zurückgewiesen oder verleugnet,                         fischen, sozialen und politisch orien-
wanderungsgeschichte. Auch wenn                        indem sich Menschen gegen einen                         tierten Gruppen zur Migration und
derzeit coronabedingt kaum Migration                   Wandel und für den Erhalt der ver-                      Integration hat, worauf Ablehnungen
stattfindet, gehen wir davon aus, dass                 meintlichen Vormachtstellung positi-                    wie Befürwortungen recht unterschied-
die hier berichteten Überzeugungen                     onieren, kann dies zu unlösbaren und                    licher Konzepte zur Migration und
nicht nur stabil sind, sondern unseres                 eskalierenden Konflikten führen. Somit                  Integration beruhen und welche Folgen
Erachtens auch die Wahrnehmungen                       spricht die Studienreihe ZuGleich eine                  diese haben, dazu wurde die Studie
und Verhaltensweisen heute prägen.                     der Kernfragen der Zukunft der Bun-                     ZuGleich durchgeführt.
Die Einstellungen, die wir hier zumeist                desrepublik Deutschland und der Euro-
als Überzeugungen im Sinne gene-                       päischen Gemeinschaft an. Kein Thema                    Zentrale Beobachtungen der Studien-
ralisierter Einstellungen messen und                   hat den gesellschaftlichen Zustand der                  reihe ZuGleich. Die erste ZuGleich-Stu-
berichten, prägen Absichten, anderen                   Republik so herausgefordert und in Tei-                 die 2014 zeigte bereits, dass mit einem
zu begegnen und sie wahrzunehmen.                      len gespalten wie die Migration und die                 Anstieg der Flucht- und Asylmigration
                                                       Fragen, wie Integration gelingen kann                   nach Deutschland auch Überzeugungen
Bereits vor der erstarkten Fluchtbewe-                 beziehungsweise ob sie überhaupt                        einer notwendigen „Rückeroberung“
gung in den Jahren 2015 und 2016 hat                   erwünscht ist. Die Themen Migration                     unter der deutschen Bevölkerung
die Studienreihe ZuGleich gezeigt, dass                und Integration sind Konfliktthemen.                    zunahmen. Integration ist ein Aushand-
das Zusammenleben in einer Einwan-                     Sie werden kontrovers diskutiert und                    lungsprozess von Werten, Ressourcen
derungsgesellschaft mehr erfordert                     das gehört zu einer lebendigen Demo-                    und Identitäten, aber eigentlich kei-
als das Erfüllen formaler rechtlicher                  kratie. Sie prägen aber auch divergente                 ne einseitige Frage danach, welche
Voraussetzungen. Vielmehr geht es um                   und zum Teil hassgetränkte politische                   Gruppe sich wem und was anpassen
die Akzeptanz von Vielfalt und Unter-                  Positionen, wie die hohe Zahl an vorur-                 muss. Integration ist eine Orientierung
schieden in Identitäten, Lebensweisen                  teilsgeleiteten Hasstaten in Deutsch-
                                                                                       2
                                                                                                               im Prozess der Akkulturation, das heißt
und Werten sowie die Anerkennung                       land zeigt, und das beeinflusst erheb-                  der Aneignung von neuen kulturellen
von wirklicher Zugehörigkeit, die be-                  lich Prozesse der Integration und der                   Umgebungen, die durch Migration
deutet, dass Menschen in Deutschland                   Akkulturation, das heißt des Umgangs                    entstehen, durch alle Gruppen, die sich
nicht nur willkommen sind, sondern                     mit Veränderungen, die durch Migration                  begegnen. Die Ergebnisse der Zu-
langfristig ankommen und sich behei-                   zustande kommen und „normal“ sind.                      Gleich-Studie des Jahres 2016 zeigten
maten können. Die politische Erklärung,                Über Migration und Integration öffent-                  zudem, dass mit der erstarkten Flucht-
Deutschland sei ein Einwanderungs-                     lich zu sprechen, ist zudem schwieriger                 bewegung auch die Skepsis gegenüber

2   Laut aktuellen Zahlen des BMI haben die Straftaten im Themenfeld Hasskriminalität im Jahr 2020 mit 10.240 Fällen gegenüber dem Jahr 2019 (8.585) um etwa
19 % zugenommen.

                                                                                                                                                               5
der Integration und die Migrationsfeind-     Unterschieden in den Einstellungen von   Wie in den Vorjahren wurde für Zu-
lichkeit in der Bevölkerung zunahmen.        gesellschaftlichen Gruppen sensibili-    Gleich 4 eine repräsentative Bevölke-
Im Jahr 2018 lag der Fokus nach einem        sieren und andererseits reale Abgren-    rungsumfrage durchgeführt. ZuGleich 4
Rückgang der Fluchtbewegung nun              zungen und fehlende Anerkennung in       schreibt somit die Befunde der Vorjah-
auf dem gesellschaftlichen Zustand der       zentralen Bereichen der Aushandlung      re fort und ermöglicht einen Vergleich
Migrationsgesellschaft Deutschland. Im       von Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit   der Meinungen und Einstellungen
Rahmen der dritten Erhebung zeigte           benennen. Damit schlägt es den gesell-   zur Integration seit 2014. Das Projekt
sich eine Stabilisierung der Willkom-        schaftlich notwendigen Bogen zwischen    macht es sich weiterhin zur Aufgabe,
menskultur und der Integrationsori-          der wissenschaftlichen Grundlagenfor-    zum Verständnis von Integrationspro-
entierungen in Richtung vermehrter           schung und der praktischen Erkenntnis-   zessen beizutragen. Es geht um eine
Akzeptanz von Vielfalt, die sich dem         nutzung in Form eines Orientierungs-     Abschätzung der Potenziale für ein
Niveau von 2014 wieder annäherte. Des        und Referenzrahmens.                     Klima der Gleichwertigkeit. Es widmet
Weiteren zeigte die dritte Erhebung,                                                  sich den integrativen Potenzialen in
dass strikte Kriterien der Zugehörigkeit     Das Projekt ZuGleich erstattet über      der deutschen Gesellschaft und soll
zu Deutschland an Relevanz verloren          einen Zeitraum von mittlerweile sechs    die notwendige Sensibilisierung und
und dass die Menschen die Zugehörig-         Jahren Bericht; die hier beschriebene    Kompetenz für eine Wahrnehmung von
keit von Migrant_innen zunehmend an          Erhebung schließt damit an die Er-       Perspektivendivergenzen schaffen. Vor
prinzipiell erwerbbaren Kriterien, wie       gebnisse der Studienreihe ZuGleich       diesem Hintergrund wurde für ZuGleich
dem Erwerb der deutschen Sprache,            der Jahre 2014 bis 2018 an. Fokus der    4 eine überproportionale Stichprobe
bemaßen. In der mittlerweile vierten         vierten Erhebung sind Veränderun-        (32,2 %) an Menschen mit Einwande-
Erhebung des ZuGleich-Projekts sollen        gen der Meinungen zur gemeinsamen        rungsgeschichte (Einwander_innen und
nun konkrete Fragen zum Zusammen-            Gestaltung von Integrationsprozessen     ihre direkten Nachkommen) erhoben.
leben in einer durch Vielfalt geprägten      und zum Zusammenleben in einer von       Somit bietet ZuGleich ein repräsentati-
Gesellschaft erweitert werden.               Vielfalt geprägten Gesellschaft. Auch    ves Bild der persönlichen Perspektiven
                                             die vierte Erhebung soll somit einen     der Bürger_innen sowie einzelner ge-
Der Fokus von ZuGleich 2020. Im Jahr         Beitrag zur Analyse von aktuellen        sellschaftlicher Gruppen. In der Studi-
2020 stellt sich die Frage, wie – mittler-   Integrationspotenzialen und Hindernis-   enreihe werden die Menschen konkret
weile fünf Jahre nach der Fluchtbewe-        sen, zur öffentlichen Debatte über die   dazu befragt, was es für sie persönlich
gung – nun das Zusammenleben gestal-         Integrationsgesellschaft Deutschland     bedeutet, zur Gesellschaft zu gehören,
tet wird und wie es gelingen kann. Es        leisten und Vorschläge und Antworten     wie sie sich eine Integration in den
geht um die Erfassung von Hürden und         zum Policy Making beitragen.             für sie relevanten Lebensbereichen
Potenzialen für ein Klima der Gleich-                                                 vorstellen und wie sie Vielfalt in ihrem
wertigkeit und Zugehörigkeit in einer                                                 alltäglichen Leben erfahren und be-
sich wandelnden Migrationsgesellschaft.                                               werten. ZuGleich setzt somit da an, wo
Zudem geht es explizit auch um den Zu-                                                Integration und Zusammenleben aktiv
stand der deutschen Gesellschaft fünf                                                 ausgehandelt und gestaltet werden:
Jahre nach der Willkommenskultur und                                                  bei den Wahrnehmungen, Meinun-
damit verbunden um die Frage, wie aus                                                 gen und Gefühlen der in Deutschland
dem ursprünglichen Willkommen eine                                                    lebenden Menschen.
gesellschaftliche Kultur des Ankom-
mens und der Beheimatung geschaffen
werden kann und wo diese ihre Hürden
und Schranken findet. Das Projekt soll
einerseits für die Wahrnehmung von

6
ZUGLEICH –
ZUGEHÖRIGKEIT UND GLEICHWERTIGKEIT

Das Forschungsprojekt ZuGleich des In-        mehr von der globalen Pandemie-            Entsprechend sind die Kernfragen, die
stituts für interdisziplinäre Konflikt- und   Situation geprägt. Die etablierten Kon-    ZuGleich auch 2020/2021 an die Bür-
Gewaltforschung (IKG) der Universität         strukte der Studienreihe wurden weiter     ger_innen richtet:
Bielefeld ist eine repräsentative wieder-     gemessen, um die Entwicklung der           (1) Welche Form der Akkulturation wird
kehrende Befragung, die in zweijähr-          Integrationsgesellschaft weiterzuverfol-   von den Bürger_innen gefordert und
lichen Abständen durchgeführt wird.           gen und Veränderungen in Meinungen         wer soll sich in der Gesellschaft wem
Seit 2014 erhebt ZuGleich die Meinun-         und Einstellungen sichtbar zu machen.      anpassen?
gen, Einstellungen und Wahrnehmun-            Die zentralen Elemente bilden dabei        (2) Welche Relevanz hat im Jahr 2020
gen der Menschen in Deutschland mit           (1) die Akkulturationsorientierungen       noch die Willkommenskultur unter den
und ohne Einwanderungsgeschichte.             und Anpassungsvorstellungen, (2) die       Bürger_innen?
Somit lassen sich Entwicklungen               Willkommenskultur, (3) Zugehörigkeits-     (3) Was ist für die Bürger_innen
beobachten, die sich auf verschiedene         kriterien, (4) Etabliertenvorrechte und    wichtig, um zur deutschen Gesellschaft
Zeitpunkte und Ereignisse beziehen,           (5) die Facetten der gruppenbezoge-        zu gehören? Welche Kriterien sind
die mehr oder weniger von Migrations-         nen Menschenfeindlichkeit als Kulturen     relevant?
und Integrationsdebatten geprägt              der Abwehr.                                (4) Wie stark fordern die Bürger_in-
waren. So bildet beispielsweise die                                                      nen Vorrechte und Vorteile für sich als
Fluchtbewegung der Jahre 2015 und                                                        vermeintlich Etablierte ein?
2016 einen Meilenstein, der sich auch                                                    (5) Welche Facetten der gruppenbe-
in der Entwicklung der Einstellungen                                                     zogenen Menschenfeindlichkeit bilden
der ZuGleich-Erhebung ablesen lässt.                                                     eine Schranke der Integrationsbereit-
Der Erhebungszeitraum zwischen 2020                                                      schaft? Wie verbreitet sind Vorurteile
und 2021 ist nun weniger von medialen                                                    gegenüber Gruppen, die im Zentrum
Debatten um die Einwanderung als viel-                                                   der Integrationsdebatten stehen?

  Empirische Datengrundlage der Studienreihe

  ZuGleich 2014                                                     ZuGleich 2018
  • Telefonische Befragung von 2.006 repräsentativ                  • Telefonische Befragung von 2.009 repräsentativ
    ausgewählten Personen ab 18 Jahren                                ausgewählten Personen ab 18 Jahren
  • Datenerhebung: November 2013 bis Januar 2014                    • Datenerhebung: März bis Juli 2018
    (Sozialwissenschaftliches Umfragezentrum (SUZ) Duisburg)          (Sozialwissenschaftliches Umfragezentrum (SUZ) Duisburg)
  • Daten von insgesamt: 1.069 Frauen (53,3 %), 937 Männern         • Daten von insgesamt: 1.172 Frauen (58,4 %),
    (46,7 %)                                                          836 Männern (41,6 %)
  • Altersdurchschnitt: 49 Jahre                                    • Altersdurchschnitt: 56 Jahre
  • 371 Befragte mit Einwanderungsgeschichte                        • 341 Befragte mit Einwanderungsgeschichte

  ZuGleich 2016                                                     ZuGleich 2020
  • Telefonische Befragung von 1.505 repräsentativ                  • Telefonische Befragung von 2.005 repräsentativ
    ausgewählten Personen ab 16 Jahren                                ausgewählten Personen ab 18 Jahren
  • Datenerhebung: Dezember 2015 bis Februar 2016                   • Datenerhebung: November 2020 bis Januar 2021
    (Sozialwissenschaftliches Umfragezentrum (SUZ) Duisburg)          (GMS Dr. Jung GmbH, Hamburg)
  • Daten von insgesamt: 798 Frauen (53 %),                         • Daten von insgesamt: 1.047 Frauen (52,2 %),
    707 Männern (47 %)                                                958 Männern (47,8 %)
  • Altersdurchschnitt: 52 Jahre                                    • Altersdurchschnitt: 51 Jahre
  • 485 Befragte mit Einwanderungsgeschichte                        • 646 Befragte mit Einwanderungsgeschichte

                                                                                                                                   7
1 ZWISCHEN GEMEINSAMER GESTALTUNG
  UND ANPASSUNGSVORSTELLUNGEN:
  AKKULTURATIONSORIENTIERUNGEN 2020
Zentral für die Studienreihe ZuGleich         Kombination der Befürwortung versus         sogenannten Aufnahmegesellschaft,
ist die Analyse der Zumessung oder            Ablehnung von Beziehungen und               die sich von Integration und Margina-
Ablehnung von Zugehörigkeit und               Identitäten ergeben sich vier Akkultura-    lisierung unterscheiden, sind dagegen
Gleichwertigkeit von Menschen, die            tionsorientierungen.                        eindimensional, das heißt, sie beschrei-
neu nach Deutschland hinzugekommen                                                        ben Akkulturationsvarianten, in denen
sind, hier Heimat wie auch Zuflucht           Der Idealfall von Zugehörigkeit und         die Anpassung nur von einer Seite
finden durch die Aufnahmegesellschaft.        Gleichwertigkeit entspricht der Integ-      erfolgt. Die Assimilation ist die Über-
Zudem ist es ein wichtiger Fokus der          ration, welche jedoch auch die meisten      zeugung, dass es angemessen ist, wenn
ZuGleich-Studie, die Perspektiven der         Aushandlungen und Bemühungen von            Zugewanderte zwar Beziehungen und
sogenannten Mehrheitsgesellschaft mit         beiden Seiten benötigt. Sie manifestiert    Teilhabe in der Mehrheitsgesellschaft
den Perspektiven und Meinungen derer          sich aus Sicht der Mehrheitsgesell-         haben, sie fordert dabei aber auch die
zu vergleichen, die selber über eine          schaft in einer positiven Einstellung zur   Aufgabe der eigenen kulturellen Iden-
Einwanderungsgeschichte verfügen.             Anerkennung des Bedürfnisses nach           tität im Sinne einer absoluten Anpas-
Bei der Erfassung der Überzeugungen           Aufrechterhaltung kultureller Merkmale      sung an die Mehrheitsgesellschaft. Die
zur Art und Weise, wie neu Hinzuge-           und Identitäten aufseiten der neu Hin-      Separation entspricht aus Sicht der
kommene sich in Deutschland einleben          zugekommenen und akzeptiert darüber         Aufnahmegesellschaft einer Akkultura-
können, wie sie teilhaben und sich            hinaus die Gelegenheit, in Beziehung        tionsorientierung, die den neu Hinzuge-
anpassen können, folgt das Projekt der        mit der Mehrheitsbevölkerung zu             kommenen zwar ihre Eigenständigkeit
klassischen wie international intensiv        treten und teilzunehmen. Aus Sicht von      und kulturelle Identität zuspricht, je-
untersuchten Unterscheidung von Ak-           Eingesessenen wie Eingewanderten            doch die gesellschaftliche Teilhabe der
kulturationsorientierungen nach Berry         verlangt Integration sowohl von allen       neu Hinzugekommenen verweigert, die
und Kolleg_innen (1986, 1997; Zick,           Gruppen Anpassungsleistungen und            Gruppen von der Mehrheitsgesellschaft
2010). Zentral für die Akkulturationsori-     dies, wenn möglich, im gegenseitigen        abtrennt und so Parallelgesellschaften
entierung ist also die Frage, ob Kontak-      Austauschprozess, eben zugleich. Im         oder Isolation einfordert. Eine Über-
te und Beziehungen zwischen Zuge-             Gegensatz dazu steht die Überzeugung        sicht der Akkulturationsorientierungen,
wanderten und anderen gewünscht               von der Marginalisierung der neu            die sich aus der Zustimmung bezie-
sind und ob die Aufrechterhaltung von         Hinzugekommenen, die sowohl die Bei-        hungsweise Ablehnung zu Zugehörig-
kulturell prägenden Identitäten akzep-        behaltung der eigenen Kultur als auch       keit und Gleichwertigkeit ergeben, ist in
tiert und gewünscht wird oder Gruppen         die Teilhabe an der Kultur der Mehr-        Tabelle 1 dargestellt.
erwarten, dass andere ihre kulturellen        heitsgesellschaft verwehrt. Zwei wei-
Prägungen aufgeben sollten. Aus der           tere Akkulturationsorientierungen der

Tabelle 1
Die vier Akkulturationsorientierungen in ZuGleich

                                     Identitätserhalt

                                            Zustimmung          Ablehnung

    Teilhabe       Zustimmung               Integration         Assimilation

                   Ablehnung                Separation        Marginalisierung

8
Tabelle 2
Zustimmung zu Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit unter
den Befragten des Jahres 2020 in Prozent

                                                                                    2020

    Indikatoren                                               Ablehnung         Zustimmung                n

    Zugehörigkeit (Teilhabe)
    Menschen, die nach Deutschland
                                                                    7,4 %           73,7 %              1.899
    eingewandert sind, sollten an unserem
    gesellschaftlichen Leben teilhaben.

    Gleichwertigkeit (Identitäten)
    Menschen, die nach Deutschland
                                                                21,8 %              53,2 %              1.908
    eingewandert sind, sollten das beibehalten,
    was ihnen kulturell bedeutsam ist.

Anmerkung:
Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten. Befragte, die sich auf der Mittelkategorie verorten, sind nicht abgebildet.

In Tabelle 2 sind die Zustimmungswer-                      den. Zudem teilen wir die Gruppe der                      fünf Jahre nach Deutschland zugewan-
te zu Zugehörigkeit und Gleichwertig-                      Menschen mit Einwanderungsgeschich-                       dert ist (Zustimmung: 79 %).4 Das heißt:
keit unter den Befragten von ZuGleich                      te noch einmal spezifischer auf in dieje-                 Je länger die Menschen in Deutschland
abgebildet. Eine stabile Mehrheit der                      nigen, die bereits vor 2015 in Deutsch-                   leben, desto skeptischer zeigen sie sich
Befragten (74 %) spricht sich für die                      land lebten (N = 375, 74,5 %), und                        gegenüber dem Erhalt unterschiedlicher
gesellschaftliche Teilhabe von Zuge-                       diejenigen, die im Zeitraum seit 2015                     kultureller Identitäten und damit der
wanderten aus, das heißt dafür, dass                       nach Deutschland zugewandert sind (N                      Gleichwertigkeit. Diese Befunde stehen
neu Hinzugekommene am gesellschaft-                        = 122, 25,5 %). Während sich Menschen                     im Einklang mit dem sogenannten
lichen Leben teilhaben. Schaut man                         mit und ohne Einwanderungsgeschichte                      Integrationsparadox: Zu Integrationspro-
jedoch auf die zweite Dimension der                        nicht in ihren Einstellungen gegenüber                    zessen gehören auch immer Konflikte
Akkulturation, die Gleichwertigkeit von                    der gesellschaftlichen Teilhabe von                       zwischen denen, die schon länger da
kulturellen Identitäten, steigt die Ableh-                 Einwander_innen unterscheiden, zeigen                     sind, und den „Neuen“ (El-Mafaalani,
nung deutlich: Hier sind es noch knapp                     sich Unterschiede in der Befürwortung                     2013), zumal die Bürger_innen mit
über 50 %, die sich dafür aussprechen,                     der Gleichwertigkeit von kulturellen                      Einwanderungsgeschichte häufig selber
dass Menschen, die nach Deutschland                        Identitäten. Unter den Menschen ohne                      Erfahrungen der Assimilation an die
kommen, ihre kulturellen Identitäten                       Einwanderungsgeschichte sind es etwa                      Mehrheitsgesellschaft gemacht haben
beibehalten sollen. Etwa jede_r Fünfte                     48 %, die sich für die Gleichwertigkeit                   und vielleicht nun ebenfalls eine Anpas-
lehnt dagegen die Gleichwertigkeit                         aussprechen; dieser Anteil steigt unter                   sung der „Neuen“ fordern.
im Sinne der Anerkennung kultureller                       den Zugewanderten auf knapp 65 %.               3

Identitäten ab.                                            Ein ähnlicher Trend findet sich innerhalb                 Für ZuGleich 4 haben wir, wie bereits
                                                           der Gruppe der Zugewanderten: Dieje-                      in den Erhebungen der Jahre 2014
Die Studienreihe ZuGleich legt einen                       nigen, die schon länger in Deutschland                    und 2016, die Zustimmungen be-
Fokus darauf, inwiefern sich die Pers-                     sind (mehr als fünf Jahre), zeigen sich                   ziehungsweise Ablehnungen zu den
pektiven der Menschen mit und ohne                         skeptischer gegenüber dem Identitäts-                     Dimensionen der Zugehörigkeit und
Einwanderungsgeschichte in ihren Ein-                      erhalt (Zustimmung: 68 %) im Vergleich                    Gleichwertigkeit zu den vier Akkultura-
stellungen und Meinungen unterschei-                       zur Gruppe, die innerhalb der letzten                     tionsorientierungen zusammengefasst.

3    Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte: c2(2, N = 1.908) = 73,94, p < 0,001. Die Signifikanztestungen berücksichtigen stets alle
Befragten, also auch jene, die die Mittelkategorie gewählt haben.

4     Unterschied zwischen Zugewanderten > 5 Jahre und < 5 Jahre: c2(2, N = 473) = 5,12, p = 0,077. Die Prozentzahlen unterscheiden sich aufgrund dessen, dass nicht alle
Befragten mit Einwanderungsgeschichte ihre Aufenthaltsdauer in Deutschland angegeben haben und sich die Gruppe für diese Berechnung dadurch dementsprechend
verkleinert.

                                                                                                                                                                        9
Tabelle 3
Akkulturationsorientierungen unter den Befragten von 2014 bis 2020 in Prozent

                       2014                                                       2016                                                    2020

       Integration               Assimilation                    Integration                 Assimilation                   Integration          Assimilation
          59,9 %                    29,3 %                          51,1 %                      21,8 %                         47,7 %               31,0 %

       Separation             Marginalisierung                   Separation                Marginalisierung                 Separation       Marginalisierung
         5,9 %                     4,8 %                           16,3 %                       10,9 %                        10,8 %              10,5 %

Integration = + Zugehörigkeit, + Gleichwertigkeit Assimilation = + Zugehörigkeit, - Gleichwertigkeit
Separation = - Zugehörigkeit, + Gleichwertigkeit Marginalisierung = - Zugehörigkeit, - Gleichwertigkeit

Anmerkung:
Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten. Befragte, die sich auf der Mittelkategorie verorten, sind nicht abgebildet.

In Tabelle 3 sind die Akkulturationso-                    Wie bereits 2016 sprechen sich Men-                        Menschen mit und ohne Einwande-
rientierungen der Befragten zwischen                      schen mit Einwanderungsgeschichte                          rungsgeschichte, während die Assimila-
2014 und 2020 abgebildet. Die Daten 5
                                                          stärker für die Integration aus (Zustim-                   tion der Zugewanderten von einem im-
zeigen deutlich: Unter den Befragten                      mung: 56 %) verglichen mit Menschen                        mer größeren Teil gefordert wird (siehe
nimmt die Zustimmung zur Integration                      ohne Einwanderungsgeschichte                               Abbildung 1). Insgesamt scheinen die
seit 2014 kontinuierlich ab und sinkt                     (Zustimmung: 44 %). Innerhalb der
                                                                                       6
                                                                                                                     Fluchtzuwanderung der letzten Jahre
im Jahr 2020 erstmalig unter 50 %.                        Gruppe der Zugewanderten zeigen                            und die öffentliche Auseinandersetzung
Gleichzeitig fordert etwa ein Drittel der                 sich dagegen keine Unterschiede in der                     um Fragen der Integration zu einem
Befragten die Assimilation und damit                      Integrationsbefürwortung. Insgesamt                        Anstieg an Assimilationsforderungen an
die einseitige Anpassung seitens der                      wird deutlich: Die Zustimmung zur                          neu Zugewanderte geführt zu haben.
Zugewanderten.                                            Integration sinkt seit 2014 unter

5    Es fehlen die Werte des Jahres 2018, da wir in diesem Jahr die Akkulturationsorientierungen nicht erhoben haben.

6    Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte: c2(3, N = 1.841) = 58,75, p < 0,001.

Abbildung 1
Entwicklung der Akkulturationsorientierungen zwischen 2014 und 2020 in Prozent
70

60

50

40

30

20                                                                                                                                          Integration
                                                                                                                                            Assimilation
10
                                                                                                                                            Separation

 0                                                                                                                                          Marginalisierung
                      2014                                   2016                                  2020
Anmerkung:
Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten der Zustimmung in Prozent

10
Neben den abstrakten Akkulturations-                      wohl der Mehrheitsbevölkerung als auch                     bevölkerung. Neutralität bedeutet im
 orientierungen werden in ZuGleich                         den neu Hinzugekommenen. Dagegen                           Sinne der Marginalisierung, dass gar kei-
 auch die konkreten Einstellungen und                      würde eine Adaption bedeuten, dass                         ne Anpassungsanstrengungen verlangt
 Meinungen der in Deutschland lebenden                     sich allein die neu Hinzugekommenen                        werden. Eine Übersicht der Anpassungs-
 Menschen erfragt, wer sich zuerst auf                     anpassen, und entspräche damit einer                       vorstellungen, die sich aus der Zustim-
 wen zubewegen soll. Im Sinne der Inte-                    einseitigen Assimilation. Eine Öffnung                     mung beziehungsweise Ablehnung der
 gration wären diese Anpassungsvorstel-                    bezeichnet die Anpassungsanstrengun-                       Anpassung der zwei Gruppen ergeben,
 lungen die einer Annäherung von so-                       gen vermehrt vonseiten der Mehrheits-                      ist in Tabelle 4 dargestellt.

   Tabelle 4
   Die vier Anpassungsvorstellungen in ZuGleich

                                                        Anpassung Deutsche

                                                                   Zustimmung                  Ablehnung

      Anpassung                       Zustimmung                    Annäherung                   Adaption
     Migrant_innen

                                       Ablehnung                      Öffnung                   Neuralität

In Tabelle 5 sind die Zustimmungswerte                   gebildet. Über 60 % der Befragten mei-                     seitens der Deutschen deutlich ablehnt.
zur Anpassung seitens der Zugewan-                       nen, die Zugewanderten müssten sich                        Lediglich etwa 15 % der Befragten
derten und der Mehrheitsgesellschaft                     anpassen, während ein ähnlich großer                       stimmen einer Anpassung seitens der
unter den Befragten von ZuGleich ab-                     Anteil der Befragten diese Anpassung                       Mehrheitsgesellschaft zu.

 Tabelle 5
 Zustimmung zur Anpassung unter den Befragten des Jahres 2020 in Prozent
                                                                                     2020

  Indikatoren                                                 Ablehnung          Zustimmung                 n

  Anpassung Migrant_innen
  Die Migranten müssen sich mehr an                              10,4 %             62,8 %               1.894
  die Deutschen anpassen.

  Anpassung Migrant_innen
  Deutsche müssen sich mehr an                                   63,2 %              14,6 %              1.890
  die Migranten anpassen.

 Anmerkung:
 Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten. Befragte, die sich auf der Mittelkategorie verorten, sind nicht abgebildet.

                                                                                                                                                                11
Die Forderung einer einseitigen Anpas-                    fordern sie eine einseitige Anpassung                      te. Gleichzeitig fordern im Jahr 2020
sung seitens der Zugewanderten wird                       seitens der neu Hinzugekommenen an                         beinahe zwei Drittel der Befragten die
besonders von denjenigen gefordert,                       die Mehrheitsgesellschaft.                                 einseitige Anpassung seitens der Zuge-
die keine Einwanderungsgeschichte                         Für ZuGleich 4 haben wir, wie bereits                      wanderten. Damit liegt die Zustimmung
aufweisen (Zustimmung: 66 %), wäh-                        in den Erhebungen der Jahre 2014 und                       dieser einseitigen Anpassung noch
rend sie unter der Gruppe der Zuge-                       2016, die Zustimmungen beziehungs-                         deutlich näher an dem hohen Niveau
wanderten auf 56 % sinkt. Identische
                                   7
                                                          weise Ablehnungen zu den vier Anpas-                       zu Zeiten der Fluchtbewegung und hat
Unterschiede bestehen innerhalb der                       sungsvorstellungen zusammengefasst.                        sich seitdem nicht merklich reduziert.
Gruppe der Zugewanderten: Diejeni-                        In Tabelle 6 sind die Anpassungsvor-                       Erwähnenswert scheint jedoch auch,
gen, die schon länger in Deutschland                      stellungen der Befragten zwischen                          dass die Zustimmung zu einer Öffnung
sind (mehr als fünf Jahre), fordern                       2014 und 2020 abgebildet. Unter den                        seitens der Mehrheitsgesellschaft
eine stärkere Anpassung seitens der                       Befragten nimmt die Zustimmung zur                         höher ist als in den Vorjahren, wenn sie
Zugewanderten (Zustimmung: 57 %) im                       gegenseitigen Annäherung seit 2014                         auch durchweg niedrige Zustimmungs-
Vergleich zur Gruppe, die innerhalb der                   deutlich ab und sinkt im Jahr 2020                         werte erfährt.
letzten fünf Jahre nach Deutschland                       auf etwa 14 %, während im Jahr 2014
zugewandert ist (Zustimmung: 47 %).               8
                                                          noch etwa ein Viertel der Befragten
Das heißt: Je länger die Menschen                         die gegenseitige Anpassung zwischen
in Deutschland leben, desto stärker                       Zugewanderten und Deutschen forder-

7    Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte: Anpassung Zugewanderte: c2(2, N = 1.895) = 41,35, p < 0,001; Anpassung Deutsche: c2(2, N
= 1.824) = 43,93, p < 0,001.

8    Unterschied zwischen Zugewanderten > 5 Jahre und < 5 Jahre: Anpassung Zugewanderte: c2(2, N = 468) = 10,03, p = 0,007; Anpassung Deutsche: c2(2, N = 463) =
4,71, p = 0,095.

Tabelle 6
Anpassungsvorstellungen unter den Befragten von 2014 bis 2020 in Prozent

                       2014                                                       2016                                                  2020

      Annäherung                   Adaption                     Annäherung                   Adaption                      Annäherung            Adaption
        26,6 %                      44,0 %                        14,3 %                      62,8 %                         13,8 %               57,0 %

         Öffnung                 Neutralität                       Öffnung                  Neutralität                       Öffnung           Neutralität
          4,0 %                    25,3 %                           3,6 %                     19,3 %                           8,4 %              20,7 %

Annäherung = + Migrant_innen, + Deutsche Adaption = + Migrant_innen, - Deutsche
Öffnung = - Migrant_innen, + Deutsche Neutralität = - Migrant_innen, - Deutsche

Anmerkung:
Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten. Befragte, die sich auf der Mittelkategorie verorten, sind nicht abgebildet.

12
Wie bereits im Jahr 2016 sprechen                       sind (mehr als fünf Jahre), fordern eine                Mehrheitsgesellschaft. Insgesamt zeigt
sich Menschen mit Einwanderungsge-                      stärkere Adaption seitens der Zuge-                     sich, wie schon bei den Akkulturations-
schichte stärker für die gegenseitige                   wanderten (Zustimmung: 50 %) im                         orientierungen: Die Zustimmung zur
Annäherung zwischen den Gruppen                         Vergleich zur Gruppe, die innerhalb der                 gegenseitigen Annäherung sinkt seit
aus (Zustimmung: 18 %) verglichen mit                   letzten fünf Jahre nach Deutschland                     2014 deutlich; die einseitige Anpassung
Menschen ohne Einwanderungsge-                          zugewandert ist (Zustimmung: 36 %).10                   seitens der Zugewanderten ist und
schichte (Zustimmung: 12 %). Inner-   9
                                                        Das heißt: Je länger die Menschen                       bleibt die am meisten befürwortete An-
halb der Gruppe der Zugewanderten                       in Deutschland leben, desto stärker                     passungsvorstellung der Bürger_innen
zeigt sich ein ähnlicher Trend: Diejeni-                fordern sie eine einseitige Adaption sei-               (siehe Abbildung 2).
gen, die schon länger in Deutschland                    tens der neu Hinzugekommenen an die

9    Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte: c2(3, N = 1.847) = 47,84, p < 0,001.

10   Unterschied zwischen Zugewanderten > 5 Jahre und < 5 Jahre: c2(3, N = 452) = 6,55, p = 0,088.

Abbildung 2
Entwicklung der Anpassungsvorstellungen zwischen 2014 und 2020 in Prozent
70

60

50

40

30

20
                                                                                                                                       Annäherung
                                                                                                                                       Adaption
10
                                                                                                                                       Öffnung

 0                                                                                                                                     Neutralität
                     2014                                 2016                                 2020
Anmerkung:
Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten der Zustimmung in Prozent

                                                                                                                                                      13
• 2020 befürwortet noch eine                                  Es scheint, als verbinde die Mehr-       • Die Gleichwertigkeit scheint, im
     Mehrheit die Integration als rich-                       heit den Erhalt kultureller Identi-        Vergleich zur gesellschaftlichen
     tigen Weg in die Gesellschaft be-                        täten mit vorurteilsbehafteten, se-        Teilhabe, mehr Skepsis in der Be-
     ziehungsweise Akkulturationsvari-                        paratistischen Tendenzen seitens           völkerung hervorzurufen und stellt
     ante; die Zustimmung sinkt jedoch                        der neu Hinzugekommenen.                   sich damit als zentraler Aspekt
     seit 2014 kontinuierlich; konkret                                                                   der Integrationsdebatte dar.
     ist und bleibt die einseitige An-                    • Die Assimilationsforderung zeigt
     passung der Zugewanderten die                            sich vermehrt auch unter Zu-
     am meisten befürwortete Anpas-                           gewanderten: Je länger sie in
     sungsvorstellung. Werden kultu-                          Deutschland sind, desto eher for-
     relle Identitäten unwichtiger oder                       dern sie von neu Zugewanderten
     wächst die Nichtanerkennung?                             die einseitige Anpassung.

     Soziodemografische Unterschiede in Akkulturationsorientierungen
     und Anpassungsvorstellungen

     Mit Blick auf die soziodemografischen Gruppen und ihre Akkulturationsori-
     entierungen zeigt sich im Jahr 2014 ein Einfluss des Alters der Befragten:
     Personen im Alter von 36 bis 60 Jahren zeigen sich dem Integrationskonzept
     offen gegenüber, wohingegen ältere Befragte eher die Assimilation von neu
     Hinzugekommenen befürworten. In den Jahren 2016 und 2020 sind diese
     Altersunterschiede jedoch nicht mehr statistisch signifikant. Mit Blick auf die
     Anpassungsvorstellungen zeigt sich über alle Jahre hinweg: Jüngere spre-
     chen sich stärker für eine gegenseitige Annäherung aus verglichen mit älteren
     Befragten. Zudem zeigt sich über alle Jahre hinweg: Je höher das Bildungsni-
     veau der Befragten, desto stärker fällt auch deren Zustimmung zur Integration
     als Akkulturationsvariante aus. Auch stimmen Menschen mit einem hohen
     Bildungsgrad der gegenseitigen Annäherung zu allen drei Datenerhebungen
     stärker zu als Menschen mit niedrigen oder mittleren Bildungsgraden. Befrag-
     te, die sich politisch links orientieren, zeigen zu allen Zeitpunkten eine stärkere
     Befürwortung der Integration und der beidseitigen Annäherung verglichen mit
     Befragten, die sich in der Mitte oder rechts orientieren. Bei Befragten im rech-
     ten politischen Spektrum fällt die Marginalisierung, verglichen mit Befragten
     der anderen politischen Orientierungen, deutlich höher aus.11

     11   Alle Ergebnisse zu den dahinterliegenden Tests auf Gruppenunterschiede können beim Projekt
     angefragt werden.

14
2 WILLKOMMENSKULTUR 2020

Zu Zeiten der erstarkten Aufnahme von                     Im Projekt ZuGleich wurde erstmals                         Zugewanderte aus. So gefällt es knapp
Geflüchteten in den Jahren 2015 und                       ein zuverlässiges Messinstrument zur                       der Hälfte der Befragten, wenn sich
2016 war die Willkommenskultur ein                        Erfassung der Zustimmung zur gesell-                       Zugewanderte für Deutschland als
zentrales Konzept gesellschaftlicher                      schaftlichen Willkommenskultur im                          neue Heimat entscheiden. Gleichzeitig
Aufmerksamkeit sowie medialer und                         Jahr 2014 entwickelt. Das Messinstru-                      lehnt jede_r Fünfte mehr Vielfalt in
politischer Debatten. Die Willkom-                        ment umfasst weniger Aktivitäten, die                      der deutschen Gesellschaft ab. Stabil
menskultur ist einerseits ein soziales,                   sich als Willkommenskultur manifestie-                     scheint zudem die Kluft zwischen den
kulturelles und politisches Schlüssel-                    ren, wie etwa konkretes Engagement                         Meinungen, die Deutschland als Heimat
konzept der Zivilgesellschaft, das sich                   für Geflüchtete, sondern eine offene                       denjenigen zugestehen, die bereits
in einem starken Engagement und                           und akzeptierende Grundhaltung                             „hier sind“, während gegenüber jenen,
Ehrenamt ausdrückt. Auf der anderen                       gegenüber Vielfalt sowie ein Heimat-                       die „noch kommen“, eine reservierte
Seite ist die Willkommenskultur auch                      konzept, das Migration als selbstver-                      Haltung fortbesteht. Etwa 15 Prozent-
eine Hauptangriffsfläche für rechts-                      ständlichen Kern einbegreift; also                         punkte weniger Befragte äußern im
populistische Bewegungen geworden,                        eine Werteorientierung. Es wird unter                      Jahr 2020 Gefallen daran, dass sich
da sie ein Bekenntnis zu Migration und                    anderem danach gefragt, wie positiv                        Migrant_innen für Deutschland als neue
zum Einwanderungsland Deutschland                         es bewertet wird, dass Zugewanderte                        Heimat entscheiden (45 %), während
bedeutet. Im Jahr 2020 ist nun, fünf                      in Deutschland heimisch werden und                         deutlich mehr Befragte (60 %) sich da-
Jahre nach der Fluchtbewegung, vom                        sich für Deutschland als neue Heimat                       rüber freuen, dass sich Migrant_innen
ehemals politischen „Kampfbegriff“                        entscheiden. Seit 2016 werden die                          in Deutschland zu Hause fühlen. Diese
der Willkommenskultur kaum mehr                           dementsprechenden Aussagen auch                            deutliche Differenz bestand auch schon
die Rede. Gerade zu Zeiten der Coro-                      Zugewanderten vorgelegt.                                   in den Jahren zuvor.
na-Pandemie und der geschlossenen
Grenzen stellt sich die Frage, wie                        In Tabelle 7 sind die Zustimmungswerte
relevant die Willkommenskultur heute                      zu den einzelnen Fragen der Willkom-
noch ist und wie aus dem Willkommen                       menskultur unter den Befragten von
von Zugewanderten nun ein dauer-                          ZuGleich abgebildet. Eine Mehrheit
haftes Ankommen und Beheimaten                            der Bürger_innen spricht sich im Jahr
realisiert werden kann.                                   2020 für eine Willkommenskultur für

Tabelle 7
Zustimmung zur Willkommenskultur unter den Befragten des Jahres 2020 in Prozent

 Indikatoren                                                 Ablehnung          Zustimmung                n

 Es gefällt mir, dass sich so viele Migranten für
                                                                27,0 %             44,7 %                972
 Deutschland als neue Heimat entscheiden.

 Ich freue mich darüber, wenn sich immer mehr
                                                                21,6 %              59,6 %               970
 Migranten in Deutschland zu Hause fühlen.

 Ich freue mich, Deutschland noch vielfältiger
                                                                20,4 %             62,4 %                971
 und bunter wird.

Anmerkung:
Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten. Befragte, die sich auf der Mittelkategorie verorten, sind nicht abgebildet.

                                                                                                                                                             15
Die Zustimmung zu den einzelnen                          In Abbildung 3 ist die Entwicklung der                    der damit einhergehenden Beschrän-
Aussagen der Willkommenskultur fällt                     Zustimmung zur Willkommenskultur                          kung von Mobilität stellt sich die Frage,
unter Menschen mit Einwanderungs-                        der Befragten zwischen 2014 und                           welche Relevanz die Befürwortung ei-
geschichte höher aus im Vergleich zur                    2020 abgebildet. Die Zustimmung zur                       nes Willkommens für Zugewanderte im
nicht migrantischen Bevölkerung. So                      Willkommenskultur erreicht im Jahr                        Jahr 2020 besitzt. Dies auch vor dem
steigen unter ihnen die Freude über                      2020 einen Höchstwert; zum ersten                         Hintergrund, dass der Zuspruch zur
Deutschland als neues Zuhause für                        Mal sprechen sich über die Hälfte der                     Willkommenskultur in der Erhebung
Zugewanderte sowie der Zuspruch zu                       Befragten für eine stärkere Willkom-                      des Jahres 2020 keine signifikanten
mehr Vielfalt auf etwa 70 %. Inner-     12
                                                         menskultur aus. Auch die Ablehnung                        Zusammenhänge zu Einstellungen zur
halb der Gruppe der Zugewanderten                        sinkt im Vergleich zu den Vorjahren;                      Integration zeigt.13
bestehen keine Unterschiede im Zu-                       gerade verglichen mit 2016 sind es
spruch zur Willkommenskultur zwi-                        heute deutlich weniger Befragte, die
schen denjenigen, die vor fünf Jahren                    sich klar gegen eine Willkommenskultur
nach Deutschland gekommen sind,                          aussprechen, mit einem Unterschied
und jenen, die kürzer als fünf Jahre in                  von etwa 10 Prozentpunkten. Vor dem
Deutschland sind.                                        Hintergrund der Corona-Pandemie und

12   Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte: Heimat: c2(2, N = 973) = 14,59, p = 0,001; zu Hause: c2(2, N = 970) = 11,65, p = 0,003;
Vielfalt: c2(2, N = 971) = 12,98, p = 0,002.

13   Korrelation zwischen Willkommenskultur und Zuspruch zur Zugehörigkeit, r = 0,05, n.s.; Willkommenskultur und Zuspruch zur Gleichwertigkeit, r = -0,02, n.s.

Abbildung 3
Zustimmung zur Willkommenskultur unter den Befragten von 2014 bis 2020 in Prozent

                   25,7 %                                             27 %                     21,7 %
                                               29,5 %

                                                                                               22,2 %
                   34,5 %                                            35,8 %
                                               32 %                                                                              Ablehnung

                                                                                                                                 Neutral

                                                                                                                                 Zustimmung
                                                                                               56,1 %
                  39,8 %                       38,6 %                37,2 %

                   2014                        2016                  2018                      2020

Anmerkung:
Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten in Prozent

16
Wie bereits im Jahr 2016 befürworten
Befragte mit Einwanderungsgeschichte      Soziodemografische Unterschiede in der Zustimmung
2020 eine Willkommenskultur stärker.      zur Willkommenskultur
Während die Willkommenskultur unter
ihnen im Jahr 2018 noch einen Einbruch    Mit Blick auf die soziodemografischen Daten und den Zuspruch zur Willkom-
verzeichnete um rund 10 Prozentpunkte     menskultur zeigt sich bis auf das Jahr 2014 kein Unterschied zwischen den Ge-
und sich damit an das Niveau der Be-      schlechtern. Anders verhält es sich mit dem Alter der Befragten: Während sich
fragten ohne Einwanderungsgeschichte      2014 und 2016 noch keine Altersunterschiede in der Zustimmung zur Willkom-
anglich, ist in der aktuellen Befragung   menskultur feststellen lassen, zeigt sich 2018: je jünger die Befragten, desto
der Unterschied zwischen den Gruppen      größer der Zuspruch zur Willkommenskultur. Im Jahr 2020 ist dieser Unter-
wieder hergestellt, sodass sich Men-      schied zwischen den Altersgruppen jedoch wieder verschwunden. Weiterhin
schen mit Einwanderungsgeschichte         weisen Befragte mit hohem Bildungsgrad im Vergleich zu niedriger Gebildeten
wieder mehr für ein Willkommen aus-       in allen Jahren signifikant häufiger eine positive Haltung zur Willkommenskul-
sprechen im Vergleich zur autochthonen    tur und einem offenen Heimatkonzept auf, während zwischen den Befragten
Bevölkerung.                              mit niedrigem und mittlerem Bildungsgrad keine signifikanten Unterschiede
                                          vorliegen. Auch die politische Orientierung spielt eine Rolle: Menschen aus
• 2020 nimmt der Zuspruch zur             dem rechten politischen Spektrum lehnen die Willkommenskultur eher ab
  Willkommenskultur unter den             verglichen mit Menschen, die sich politisch links oder in der Mitte einordnen.
  Bürger_innen zu, hängt aber nicht
  mehr mit den Einstellungen zur
  Integration zusammen. Es stellt
  sich die Frage nach der Bedeutung
  einer Willkommenskultur im Jahr
  2020 zu Zeiten eingeschränkter
  Mobilität; sie ist gerade weniger
  gefordert, weil es kaum Immigrati-
  on gibt und die Grenzen geschlos-
  sen sind.

• Auch im Hinblick darauf, dass die
  Gleichwertigkeit in der Bevölke-
  rung skeptischer betrachtet wird
  als die gesellschaftliche Teilha-
  be, scheint das Willkommen von
  Zugewanderten im Jahr 2020
  nicht mehr zu genügen. Im Jahr
  2020 geht es – fünf Jahre nach
  der Fluchtbewegung – nun um die
  Aushandlung des Zusammenle-
  bens und ein wirkliches Ankom-
  men, das gleichwertig und auf
  Augenhöhe gestaltet wird.

                                                                                                                           17
3 ZUGEHÖRIGKEIT:
  WAS GEHÖRT DAZU, UM DAZUZUGEHÖREN?

Die Frage, wann Einwander_innen zur        auf, was aus Sicht der Bürger_innen zu     In Tabelle 8 sind die Zustimmungswer-
Gesellschaft gehören, ist ein zentrales    erfüllen ist, um zur deutschen Gesell-     te zu den einzelnen Kriterien des ge-
und immer wiederkehrendes Thema            schaft dazuzugehören, und wir legen        samten Katalogs unter den Befragten
in Migrationsdebatten, jenseits aller      hierfür eine Reihe an Kriterien vor, die   von ZuGleich 2020 abgebildet. Zahl-
rechtlichen Bestimmungen. In den           von den Befragten in ihrer Wichtigkeit     reiche Kriterien finden im Jahr 2020
öffentlich kontrovers diskutierten         bewertet werden. Neben rein formalen       eine starke Zustimmung unter den
Debatten drückt sich die Relevanz der      und gleichsam exklusiven Merkma-           Befragten. Wie schon in den Vorjahren
Zugehörigkeit aus, indem der Frage         len (beispielsweise das Geburtsland        bleiben die deutsche Sprache, die Er-
nachgegangen wird, ab wann Menschen        Deutschland) wurden und werden             werbstätigkeit und die Achtung der po-
mit Migrationsgeschichte deutsch oder      weiterhin graduelle, also erwerbbare       litischen Institutionen und Gesetze von
vielmehr deutsch genug sind. Das ist       Kriterien angeführt, die eine weichere     hoher Wichtigkeit, mit Zustimmungs-
nicht nur eine staatsrechtliche, sondern   Definition deutscher Zugehörigkeit         werten über 80 beziehungsweise 90 %.
eine hochpolitische sowie soziale Fra-     zulassen (etwa Erwerb der deutschen        Weniger Relevanz scheint kategorial-
ge, die viele Bürger_innen beschäftigt     Sprache). Je umfassender der Maßstab       exklusiven Kriterien wie Geburtsland,
und gleichzeitig durch rechtspopulisti-    und damit auch die Kriterienzahl, deren    verbrachte Lebenszeit in Deutschland
sche und -extremistische Gruppen und       Erfüllung die Befragten für das „Dazu-     oder Religionszugehörigkeit beigemes-
Parteien besetzt wird. Welche Kriterien    gehören“ verlangen, desto stärker sollte   sen zu werden, die von 25 bis 30 % als
müssen Menschen erfüllen, um dazu-         auch die Ablehnung und Abwertung           bedeutsam erachtet werden. Allerdings
zugehören? Gehören jene 2,7 Millionen      verschiedener Gruppen ausfallen. Vor       entscheidet sich die Zugehörigkeit
Menschen, die arbeitslos gemeldet          dem Hintergrund der ethnischen und         zur deutschen Gesellschaft für 40 %
sind, oder jene, die nicht dem Chris-      kulturellen Homogenisierung wird damit     der Befragten immer noch klar an der
tentum angehören (etwa 40 Millionen),      die Zugehörigkeit respektive Integration   deutschen Staatsangehörigkeit; ein
weniger zur deutschen Gesellschaft         in die aufnehmende Gesellschaft erheb-     Wert, der im Vergleich zu 2018 um
als andere? Braucht es das Gefühl,         lich erschwert. Zudem birgt das Aufstel-   etwa 10 Prozentpunkte angestiegen ist.
Deutsche_r zu sein, um als „Mitglied“      len strikter Kriterien auch die Gefahr     Auch das erstmals erhobene Kriterium,
anerkannt zu werden?                       einer Internalisierung dieser Anforde-     das fordert, dass neu Hinzugekomme-
                                           rungen seitens der Zugewanderten. So       ne nicht von Sozialhilfe leben sollen,
Seit 2014 misst ZuGleich den Katalog       zeigten die bisherigen ZuGleich-Befra-     erfährt eine starke Zustimmung; etwa
der Zugehörigkeitskriterien. Er zeigt,     gungen, dass sich Bürger_innen mit und     acht von zehn Befragten stimmen die-
wie geschlossen oder offen die Einstel-    ohne Einwanderungsgeschichte in der        sem Kriterium zu.
lungsschranke der Bürger_innen ist, wie    Befürwortung von Kriterien für eine Zu-
eng, hart oder weich, erwerbbar oder       gehörigkeit zur deutschen Gesellschaft
nicht ihre Zugehörigkeitsanforderungen     und damit den eigenen Assimilations-
sind. Wir stellen einen Katalog dafür      forderungen zum Teil stark ähneln.

18
Tabelle 8
     Zustimmung zur Willkommenskultur unter den Befragten des Jahres 2020 in Prozent

      Kriterien                                                           Ablehnung          Zustimmung               n

        1   In Deutschand geboren                                           57,2 %               26,1 %              958

       2    Deutsche Staatsangehörigkeit                                     41,1 %              41,6 %              967

       3    Leben in Deutschland                                            53,2 %               32,5 %              976

       4    Deutsche Sprache                                                 3,2 %               94,3 %              967

       5    Erwerbstätigkeit                                                 6,2 %               85,8 %              955

       6    Pol. Institutionen und Gesetze                                   2,6 %               92,7 %              953

       7    Deutsche Werte und Traditionen                                   13,3 %              69,7 %              983

       8    Einsatz für die Allgemeinheit                                    4,1 %               81,7 %              961

       9    Sich Deutsch fühlen                                             28,6 %               52,7 %              943

      10    Christ sein                                                     50,6 %               27,7 %              927

       11   Keine Sozialhilfe                                                12,3 %              81,5 %              961

     Anmerkung:

     Das Kriterium 11 „Nicht von Sozialhilfe leben“ wurde im Jahr 2020 erstmalig erhoben. Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten. Befragte,

     die sich auf der Mittelkategorie verorten, sind nicht abgebildet.

Der Zuspruch zu strikten Kriterien                           schiede: Hier sind es Kriterien wie das                      gleichzeitig 30 % eine klare Ablehnung
für eine Zugehörigkeit zur deutschen                         „Sich-Deutsch-Fühlen“, die deutsche                          zeigen.15 Hier scheint also jede gesell-
Gesellschaft wird besonders von den-                         Sprache sprechen, aber auch das Ge-                          schaftliche Gruppe die für die eigene
jenigen gefordert, die keine Einwande-                       burtsland Deutschland, die in der Grup-                      Zugehörigkeit relevanten und brisanten
rungsgeschichte aufweisen, etwa im                           pe der Menschen, die länger als fünf                         Kriterien als wichtig zu erachten.
Hinblick auf die deutsche Staatsangehö-                      Jahre in Deutschland leben, zu mehr
rigkeit. Während etwa 36 % der Men-                          Polarisierungen führen, verglichen mit                       In Abbildung 4 ist die Entwicklung der
schen mit Einwanderungsgeschichte                            den neu Zugewanderten. In der Grup-                          Zustimmung zum Katalog der Zugehö-
diesem Kriterium zustimmen, steigt die                       pe der Zugewanderten, die länger in                          rigkeitskriterien unter den Befragten
Zustimmung unter der autochthonen                            Deutschland leben, finden sich sowohl                        zwischen 2014 und 2020 abgebildet.
Bevölkerung auf 44 %. Auch die Forde-                        stärkere Zustimmungswerte als auch                           Die Zustimmung zum Gesamtkatalog
rungen, die meiste Zeit in Deutschland                       stärkere Ablehnungswerte in Bezug auf                        der Kriterien erreicht im Jahr 2020 ei-
gelebt zu haben, deutsche Werte und                          diese Kriterien, was darauf hindeutet,                       nen Wert, der beinahe an den Höchst-
Traditionen zu achten, sich deutsch zu                       dass gerade Themen der deutschen                             wert des Jahres 2016 heranreicht. Für
fühlen und Christ zu sein, werden von                        Identität in dieser Gruppe ausgehandelt                      die Gesamtzustimmung berechnen
Befragten ohne Einwanderungsge-                              werden. Während beispielsweise eine                          wir dabei den Mittelwert der Zustim-
schichte stärker befürwortet im Ver-                         Mehrheit der Zugewanderten seit 2015                         mungen zu allen elf Kriterien. Damals
gleich zu Befragten mit eigener Einwan-                      ablehnt, dass es nötig ist, sich deutsch                     forderten 66 % der Befragten strikte
derungsgeschichte. Auch innerhalb
                            14
                                                             zu fühlen, sind es in der Gruppe der Zu-                     Kriterien für eine Zugehörigkeit zur
der Gruppe der Befragten mit Einwan-                         gewanderten vor 2015 etwa 40 %, die                          deutschen Gesellschaft; in der aktuellen
derungsgeschichte zeigen sich Unter-                         diesem Kriterium zustimmen, während                          Befragung sind es 60 %.

14    Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte: Deutsche Staatsangehörigkeit: c2(2, N = 967) = 6,21, p = 0,045; Lebenszeit in Deutschland:
c (2, N = 975) = 6,57, p = 0,037; deutsche Werte & Traditionen: c2(2, N = 982) = 9,72, p = 0,008; sich deutsch fühlen: c2(2, N = 942) = 55,45, p < 0,001;
 2

Christ sein: c2(2, N = 927) = 24,69, p < 0,001.

15    Unterschied zwischen Zugewanderten > 5 Jahre und < 5 Jahre: in Deutschland geboren: c2(2, N = 224) = 11,04, p = 0,004; deutsche Sprache: c2(2, N = 226) = 6,56,
p = 0,038; sich deutsch fühlen: c2(2, N = 223) = 18,82, p < 0,001; Christ sein: c2(2, N = 221) = 15,50, p < 0,001.

                                                                                                                                                                        19
Abbildung 4
Zustimmung zu Zugehörigkeitskriterien unter den Befragten von 2014 bis 2020 in Prozent

                                  2,8 %
          5%                                                                  4,8 %
                                                          11,8 %
                                 31,3 %
        41,9 %                                                               34,6 %
                                                          40,8 %

                                  66 %                                                                    Ablehnung
        53,1 %                                                               60,6 %
                                                          47,3 %                                          Neutral

                                                                                                          Zustimmung

        2014                     2016                     2018               2020

Anmerkung:
Abbildung der addierten und gewichteten Häufigkeiten in Prozent

Im Vergleich zur Erhebung im Jahr                       • 2020 nimmt der Zuspruch zum Ka-           • Sowohl die Einwanderungsge-
2018 liegt in der aktuellen Erhebung                       talog der Zugehörigkeitskriterien          schichte als auch die Aufenthalts-
eine Zunahme der Wichtigkeit aller Kri-                    im Vergleich zu 2018 deutlich zu           dauer in Deutschland haben einen
terien vor. Besonders die Zustimmung                       und erreicht beinahe wieder das            Einfluss darauf, welche Kriterien
zu Kriterien wie der christlichen Reli-                    Niveau des Jahres 2016. Wie schon          als besonders wichtig für die
gion oder dem Geburtsland steigt im                        in den Vorjahren werden graduell           Zugehörigkeit zur deutschen
Vergleich zu 2018 um mehr als 10 Pro-                      erwerbbare Kriterien, wie der Er-          Gesellschaft erachtet werden. Es
zentpunkte. Zudem zeigen sich, im                          werb der deutschen Sprache oder            scheint, als erachte jede Gruppe
Gegensatz zur Erhebung 2018, wieder                        die Achtung der Institutionen und          die für die Aushandlung der eige-
Unterschiede zwischen Menschen mit                         Gesetze, stärker befürwortet als           nen Identitäten relevanten Kriteri-
und ohne Einwanderungsgeschichte,                          kategoriale Kriterien.                     en als bedeutsam.
mit einer stärkeren Zustimmung zum
Kriterienkatalog seitens der autochtho-
nen Bevölkerung.                                          Soziodemografische Unterschiede in der Zustimmung
                                                          zu den Kriterien der Zugehörigkeit

                                                          Es zeigen sich wie in den Erhebungen zuvor keine Geschlechtsgruppenunter-
                                                          schiede in den Zugehörigkeitskriterien. Anders verhält es sich mit dem Alter
                                                          der Befragten. Wie in den Befragungen zuvor steigen die Ansprüche an eine
                                                          Zugehörigkeit mit dem Alter. Auch der Bildungsgrad spielt außer im Jahr 2018
                                                          eine signifikante Rolle. Die drei Bildungsgruppen unterscheiden sich signifikant
                                                          voneinander, indem mit zunehmendem Bildungsgrad ein weniger restriktives
                                                          Zugehörigkeitskonzept vorliegt. Für 2018 zeigt sich jedoch kein signifikanter
                                                          Unterschied zwischen Befragten mit niedrigem und mittlerem Bildungsgrad in
                                                          der jeweils beigemessenen Wichtigkeit der Kriterien. Letztlich spielt auch die
                                                          politische Orientierung eine Rolle: 2014 bis 2018 befürworten Menschen aus
                                                          dem rechten politischen Spektrum die Zugehörigkeitskriterien mehr, vergli-
                                                          chen mit Menschen, die sich politisch links einordnen. Im Jahr 2020 sind es
                                                          dagegen besonders Menschen aus der politischen Mitte, die Kriterien für eine
                                                          Zugehörigkeit fordern.

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