Corona als 17-jährige im Kreis Heinsberg erleben - eine Art Tagebuch - Das Coronarchiv

Die Seite wird erstellt Yves-Leander Krämer
 
WEITER LESEN
Corona als 17-jährige im Kreis Heinsberg erleben – eine Art Tagebuch
25. Februar 2020, kurz vor 22:00 Uhr
Karneval ist gerade vorüber, da kommt die erste Meldung: „Erster Fall von Corona-
Erkrankung im Nordrhein-Westfalen“. Natürlich wird dies sofort in der WhatsApp Gruppe
meines Jahrgangs (EF) geteilt.
22:07: „Vielleicht bleibt unsere [Schule] ja auch geschlossen“
Große Begeisterung bei den Anderen. Ich sitze auf der Couch, meine Mutter am Esstisch.
Ungläubigkeit in meinem Blick, zum Teil auch Wut, ich hatte keine Lust länger zu Hause zu
bleiben, immerhin stand ich mitten in der Klausurenphase.
Gleichzeitig in der Leiter-WhatsApp Gruppe meines Pfadfinderstamms „Aufgrund der
aktuellen Corona-Fälle in Erkelenz werden wir bis auf weiteres alle Gruppenstunden
aussetzen“.
23:19: Die erste Fake Meldung im Umlauf.
26.02.2020
Morgens fahre ich mit meiner Mutter trotz Schulschließung in die Schule, um als
Förderverein Prüfungstrainer für die Abschlussprüfungen (ZP10) zu verteilen. Die
Hausmeister begrüßen uns mit den Worten „Die Schule ist geschlossen“. Wir müssen also
erst die Schulleitung fragen, ob wir sortieren dürfen. Sie gibt uns das okay. Die
Abteilungsleiterin der unteren Jahrgänge 5-7 scherzt „Du bist auch die einzige, die heute in
der Schule ist.“.
12:10 Uhr: Nun also auch die Bestätigung der Beratungslehrer meines Jahrgangs und der
Schulleiterin, die Schule bleibt bis zum 2.3 geschlossen.
Unverständnis in meinem Jahrgang. Unverständnis für das Karnevalfeiern des positiv
infizierten Paares. Bei mir, Unverständnis für die Verurteilung meiner peer group. Immerhin
wussten beide nicht, dass sie Corona positiv sind.
14:05 Uhr: Erste Meldungen zu Hamsterkäufen. Es seien Klopapier, Desinfektionsmittel etc.
ausverkauft.
20:02 Uhr: Der neue Klausurplan für das dritte Quartal wird geteilt. Noch ist die Vermutung,
dass die Schule am 3.3 wieder öffnet.
27.02.2020
Meldung des WDR, 11:00 Uhr: „In Nordrhein-Westfalen [haben sich] mittlerweile sechs
Menschen mit Covid-19 angesteckt.“
28.02.2020
Informationen aus einem Karnevalsverein aus der Umgebung, dass es einen Fall von Covid19
bei einem Besucher der Sitzung gibt. Erste Züge von Beunruhigung in meinem Jahrgang, da
auch sie Gäste waren.
14:58 Uhr: Falschmeldung zu Sperrbezirken im Kreis Heinsberg.
19:47 Uhr: Bestätigung der Beratungslehrer, dass die Schule bis einschließlich 06.03.
geschlossen bleibt.
29.02.2020:
„Im Kreis Heinsberg ist die Zahl der nachweislich mit dem Coronavirus Infizierten auf 38
gestiegen.“, WDR Liveticker zu Corona.
Innerhalb von zwei Tagen stieg die Zahl folglich um 32.
01.03.2020
Die ersten Arbeitsaufträge von Lehrern kommen an. Der Kontakt zu Lehrern besteht zum
Großteil über E-Mails.
Ich habe mich am Abend mit Freunden getroffen zum Filmeabend, Beschränkungen gibt es
noch nicht.
02.03.2020
„Die Oberstufenschüler/-innen wenden sich direkt per Mail an die Fachlehrer/-innen.“ –
Zitat der Homepage meiner Schule. Es geht also ans E-Mail Schreiben.
Meine Verabschiedung „[…] bis hoffentlich nächste Woche“. Rückblickend kann ich sagen,
dass daraus definitiv nichts wurde.
Die Jahrgangsgruppe wird förmlich mit Arbeitsaufträgen überhäuft.
21:56 Uhr: Wieder ein neuer Klausurplan. Durch die Ausnahmesituation wird die Exkursion in
den Landtag gestrichen.
03.03.2020
Auch heute habe ich mich mit Freunden getroffen, um einen Spieleabend zu veranstalten.
Eine Ablenkung von den eigenen vier Wänden tut gut!
04.03.2020
Zitat einer Mitschülerin: „Wir werden Montag auch wieder Schule haben“.
Das war auch mein Wunsch.
05.03.2020
Meldung der Schule „Auf Beschluss des Krisenstabs bleiben die Schulen im Kreis Heinsberg
bis zum 13. März weiterhin geschlossen.“.
Gestern noch der Wunsch auf Schule. Heute? Geplatzt. Nerven liegen blank. Ich gehe runter,
berichte meinen Eltern. Ich bin wütend, genervt und habe keine Lust mehr zu Hause zu
bleiben.
„Was ist mit den Klausuren?“, „Mein Problem sind nicht die Aufträge, sondern die
Klausuren“. Auch in meinem Jahrgang macht sich Frustration breit.
Auch die Lehrer wollen es nicht glauben. Dennoch enden die Mails meist mit „In der
Hoffnung euch nächste Woche gesund wieder zu sehen.“
06.03.2020
Unser zweiwöchiges Praktikum wird verschoben. Als ich diese Nachricht um circa 12 Uhr las,
war ich wütend, unzufrieden, zum Teil verzweifelt. Immerhin hatte ich mich schon seit einem
Jahr um das Praktikum an einer internationalen Schule gefreut.
Der Elternbrief informiert uns zudem auch über Klausuren, die verschoben werden oder
gleichzeitig mit allen Kursen geschrieben werden, über verschobene
Informationsveranstaltungen, ursprünglich freie Tage, die zu Unterrichtstagen werden
sollten sowie über Schüleraustausche.
07.03.2020
Es gibt wieder einen neuen Klausurplan, es besteht weiterhin die Hoffnung, dass man schnell
zur Normalität zurückkehren kann.
09.03.2020
Heute kam die Meldung von den ersten beiden Corona-Toten in Nordrhein-Westfalen, einer
davon aus dem Kreis Heinsberg. Dass Schulen wieder öffnen wird demnach immer
unwahrscheinlicher.
11.03.2020
Verlängerung. Landrat Stephan Pusch bestätigt, dass die Schulen um eine weitere Woche
geschlossen bleiben. Perspektivisch bis zu den Osterferien. Langsam gewöhnt man sich an
die Situation. Um Arbeitsaufträge zu erledigen, verabrede ich mich mit einer Freundin zu
„Lern-Dates“ – natürlich nur virtuell. Für vier Stunden schalten wir unser Handy aus und
nutzen die Zeit produktiv. Einen Rhythmus zu finden und sich selbst zu motivieren, fällt mir
persönlich schwer.
Um meinen Tag nicht nur aus Schulsachen bestehen zu lassen, habe ich mich mit Freunden
getroffen, um Kuchen zu backen. Eine andere Freundin wird 18, was wir natürlich trotz
Corona feiern wollen.
13.03.2020
Auch die Lehrer sind nervlich am Ende. Eine verzweifelte E-Mail von meiner Lehrerin für
Sozialwissenschaften ruft uns dazu auf, E-Mai Anhänge sinnvoll zu beschriften, um
Zuordnungen zu erleichtern.
Im weiteren Verlauf des Tages dann die offizielle Meldung, dass die Schulen bis zu den
Osterferien, die am 06.04.2020 anfingen, geschlossen bleiben. Man kann sich vermutlich
denken, dass keiner mehr Lust hat zu Hause zu bleiben.
Am Abend kommt dann die E-Mail unseres Oberstufenleiters, dass wir Bücher aus der Schule
holen dürfen. In der Woche vom 16.03-20.03. durften Schüler*innen am Montag, Mittwoch,
Donnerstag und Freitag von 13:00-14:00 Uhr in kleinen Gruppen zur Schule kommen.
Am Abend eine neue Ablenkung, eine Freundin feiert ihren 18. Geburtstag. Auch hier spürt
man Auswirkungen von Corona. Gäste mit leichten Symptomen von Krankheit dürfen nicht
kommen.
15.03.2020
Als Rover (die ältesten bei den Pfadfindern) wollten wir am Wochenende (20.-22.03.) ein
Lager machen um unser Versprechen abzulegen. Gestern noch scherzte der
Stammesvorstand des gemieteten Hauses, dass wir nicht kommen dürfen. Heute? Realität.
Das Lager muss abgesagt werden. Da es mein erstes geplantes Lager war, ärgere ich mich
umso mehr. Ich hatte mich auch darauf sehr gefreut!
Heute habe ich auch das erste Mal mit Freunden videotelefoniert. Das hilft echt in dieser
Zeit!
16.03.2020
Langsam nutzen immer mehr Lehrer das System „moodle“. Dort können Kurse erstellt,
Aufgaben eingestellt und abgegeben werden. Dadurch wird das Chaos mit Arbeitsaufträgen
in der Jahrgangsgruppe etwas weniger. Auch die Bewertung wird deutlich einfacher.
17.03.2020
Heute habe ich ein Paket von einer Freundin bekommen! Wow. Sie hat sich total viele
Gedanken gemacht, um mir eine Freude zu machen. Das schätze ich sehr!
18.03.2020
Noch vor Corona habe ich meine theoretische Prüfung für den Führerschein gemacht. Der
Plan war dann, dass ich in den Osterferien mit der Praxis anfange. Heute kam dann die
Nachricht, dass meine Fahrschule keinen Unterricht mehr machen darf. Ziemlich ärgerlich!
Heute auch ein letztes Treffen mit Freunden, eine Lagerfeuerrunde. Ich hätte nicht gedacht,
dass ich sowas mal so vermissen werde!
21.03.2020
Unser zweiter Videoanruf! Lieber würde ich sie natürlich wieder im echten Leben sehen,
aber immerhin etwas!
24.03.2020
Heute ist mein Paket bei einer Freundin aus Castrop-Rauxel angekommen! Da wir uns lange
nicht gesehen haben, sie dieses Jahr Abi macht und natürlich auch von Corona betroffen ist,
wollte ich ihr eine Freude machen!
28.03.2020
Auch Paket zwei ist angekommen! Beide haben sich riesig gefreut. Das macht mich glücklich!
31.03.2020
Videoanruf Nummer 3 mit Freunden! Ich bin noch immer total glücklich, dass es diese
Möglichkeit gibt!
03.04.2020
Erster Online-Unterricht! Heute um 12:00 Uhr findet auf der Plattform „jitsi“ meine erste
Latein Online-Unterrichtsstunde statt.
Es lief nicht wie geplant, was vermutlich an den Einstellungen des Laptops lag. Noch besteht
ja die Hoffnung, dass wir uns nach den Ferien wieder „in real life“ sehen können.
Da heute der letzte Tag vor den Ferien ist, habe ich mich dazu entschlossen „Danke-Emails“
an meine Lehrer zuschreiben, da ich mir sicher bin, dass ihre Arbeit von anderen nicht
wertgeschätzt wird. Meiner Meinung nach, haben sie sich sehr gefreut.
03.04 – 05.04. 2020
Am Wochenende wäre eigentlich ein Pfadfinderlager mit verschiedensten Stämmen
gewesen. Natürlich abgesagt, um ehrlich zu sein: Ich habe es nicht anders erwartet.
Trotzdem schade!
06.04.2020
Nach der Online Lateinstunde, findet heute auch unsere monatliche Leiterrunde der
Pfadfinder online statt. Es erinnert mich daran, dass ich meine Gruppe der 4-7-jährigen Biber
schon seit Karneval nicht gesehen habe. Ich frage mich, ob es ihnen gut geht, immerhin
haben auch sie ihre Freunde ewig nicht gesehen.
08.04.2020
Heute war ich bei mir in der Stadt Lebensmittel einkaufen. Neben Security und Schildern,
dass jeder Kunde einen Einkaufswagen haben muss, sind Wege für den Eingang und Ausgang
ausgeschildert und mit Flatterband abgesperrt. Auch sind vor den Kassen Plexiglasscheiben
zum Schutz der Mitarbeiter.
Auffällig ist auch, dass Konserven, Nudeln, Mehl und Toilettenpapier sehr rar sind. Die
letzteren beiden wurden schon aus Italien importiert, so findet man jetzt in einem deutschen
Supermarkt im westlichsten Kreis, italienische Ware. Verrückt!
10.04.2020
Auch heute, ein Videoanruf. Langsam wird es zum Ritual!
12.04.2020
Frohe Ostern! Dieses Ostern bleibt uns wohl noch lange im Gedächtnis! Statt meine
Großeltern zu besuchen, bleiben wir zu Hause. Um ehrlich zu sein – wie Ostern fühlt sich der
heutige Sonntag auch nicht an. Könnte daran liegen, dass mein Zeitgefühl verschwunden ist
und ich jeden Tag zu Hause bin…
Der berühmte 15.04.2020
Heute ist also Tag der Entscheidung wie es nach den Osterferien weitergeht. Ich bin
gespannt!
19:13 Uhr: Schulen bleiben mindestens bis zum 04.Mai geschlossen. Danach wird man sich
schrittweise der Öffnung widmen. Ich hoffe, dass es nicht allzu lange dauert, bis ich wieder
zur Schule darf. Ich habe keine Lust mehr auf Aufgaben zu Hause.
19.04.2020
Endlich mal Abwechslung! Heute haben Scotland Yard beziehungsweise Mr. X in Wegberg,
meiner Heimatstadt gespielt. Natürlich nur in 2er-Teams und mit zwei Metern Abstand. Nur
am Anfang war das Ordnungsamt da, hat uns gesagt, dass wir auf den Abstand achten sollen
und lies uns spielen. Mit dem Fahrrad bin ich heute also 18,2 Kilometer gefahren. Endlich
mal wieder Bewegung und nicht nur den ganzen Tag zu Hause hocken!
Nächstes Wochenende spielen wir nochmal, das steht schon fest!
20.04.2020
Arbeitsaufträge, Arbeitsaufträge und nochmal Arbeitsaufträge! Es ist so schwierig sich jetzt
nochmal zu motivieren. Aber ich glaube, ich habe keine andere Wahl.
22.04.2020
Heute möchte ich meinen Tagebucheintrag den Lehrern widmen, die alle einen unfassbar
tollen Job machen! Viele sind wohl der Annahme „Ach ja, die eine Stunde in der Woche, um
neue Arbeitsaufträge zu verteilen…“. Aber da steckt so viel mehr hinter! Respekt!!
30.04.2020
1. Fahrstunde!
Wow, war ich aufgeregt! Ich hatte heute meine aller erste Fahrstunde, nach meiner
bestandenen Theorieprüfung im Februar. Und natürlich auch hier von Corona geprägt. Mein
Fahrlehrer und ich mussten Maske tragen und alles desinfizieren.
Ich dachte mit der Maske kann das ja nichts werden, aber es ging erstaunlich gut! Bald habe
ich auch direkt meine nächste, ich freue mich!
Heute kam auch die nächste Entscheidung der Regierung. Nun ja, wie schon gedacht, Schule
wird erstmal nichts. Zurzeit spricht man davon, dass jeder Schüler wenigstens tage- oder
wochenweise zur Schule gehen soll. Die Zentralen Prüfungen nach der Einführungsphase, die
ich eigentlich schreiben sollte, wurden auch schon auf Eis gelegt – so jedenfalls der Plan!
08.05.2020
„Daraus ergibt sich, dass jede/r Schüler/-in der Klassenstufen 5 bis 9 und der Jahrgangsstufe
11 die Schule vor den Sommerferien zwei bis drei Mal besuchen kann.“
Zitat aus der neusten E-Mail des Abteilungsleiters der Oberstufe.
Ich bin sprachlos, der Virus hat sich so schnell verbreitet, hat die Wirtschaft lahmgelegt, ist
der Grund warum ich noch zwei bis dreimal vor den Sommerferien zur Schule gehe.
12.05.2020
Ich werde am 27.05., 09.06., 18.06. zur Schule gehen. Dies sind die letzten drei Tage vor den
Sommerferien. Unser LK musste in zwei Gruppen eingeteilt werden. Ich bin gespannt wie
diese drei Tage werden!
Sie können auch lesen