Da kommt wohl Schrecken aus dem Krieg zurück - was kann ich für Mutter - Paula eV ...

 
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„Da kommt wohl Schrecken aus dem
     Krieg zurück - was kann ich für Mutter
                     tun?“
      Perspektiven für Angehörige von alten Frauen
                    mit Traumafolgen

Referentin:
Polina Hilsenbeck
Dipl. Psychologin
Mitbegründerin und bis 2016
Geschäftsführerin und fachliche
Gesamtleiterin des FrauenTherapieZentrum
- FTZ in München https://ftz-muenchen.de

Polina Hilsenbeck
https://polina-hilsenbeck.de
                               copyright: Polina Hilsenbeck   1
Geburtsjahrgänge in historische, regionale
 und kulturelle Umstände kontextualisieren

➢ 1918 – 1933 Hunger, Revolution, Terror
➢ 1933 - 1939 Verfolgung, KZ
➢ 1939 – 1945 Bombenkrieg, Kriegseinsatz,
  Lazarettdienst; Zwangsarbeit
➢ 1945 – 1950 Flucht, Vertreibung,
  Diskriminierung
➢ 1960 – 1980 Diktaturen und Polizeistaat (Iran,
  Türkei, Griechenland, Spanien…)
➢ 1990 – 1995 Yugoslawienkriege

                 copyright: Polina Hilsenbeck      2
Woran erkenne ich Traumatisierungen?
➢   ….. gar nicht
➢   Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen
➢   Schreckhaftigkeit, Unruhe, Getriebensein
➢   Schlafstörungen, Alpträume

➢   Depression, Antrieb- und Appetitlosigkeit
➢   Versteinern, Abschalten, leerer Blick
➢   Dissoziative Zustände, Verlust des Körpergefühls, „Wegtreten“,
    Ohnmacht, Zittern

➢   Gefühlsausbrüche, „plötzliche Kampfbereitschaft“
➢   Panik bei Berührung
➢   „da ist jemand im Zimmer“

➢   Muster: Plötzliche heftige Stimmungsschwankungen, Muster:
    Übererregung vs. Versteinern

                         copyright: Polina Hilsenbeck                3
Alterserscheinungen als trigger nach
                Bewältigungsphase
Latenz und Bewältigungsphase
▪   Bezogensein, Sorgen, Leistung, Aufbau, Familie
▪   Aktivität und Verantwortung
▪   Funktionieren und Stress
▪   Soziale Positionen und Netzwerke
- Kompensieren und bewältigen hat geholfen
- Ein Leben lang geschwiegen – nun Alterserscheinungen
  und Einsamkeit als trigger
▪ Arbeits- und Kurzzeitgedächtnis lassen nach – beginnende
  Demenzen - frühere Erfahrungen treten stärker ins Bewusstsein
▪ Pflegebedürftigkeit, Gefühle von Ausgeliefertsein, Ohnmacht
▪ Schmerzzustände lösen Gewalterinnerungen aus
▪ Verluste und Lebenskrisen - lösen z. B. Fluchterfahrungen aus
▪ Kriegskinderverschickung, Kindertransporte, Ghetto, Lager
▪ Verstecken, Zuchthaus, Konzentrationslager
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Schuld und Täterschaft verwoben mit
             Opfererfahrungen

▪ Mitläuferin, Parteigenossin - Bombardierung
▪ Jugendorganisationen in Diktaturen (NS, DDR, Ostblock)
  – Zugehörigkeit, Kompetenz, Status, Machtmissbrauch –
  und Bespitzeltwerden, sadistisches Trainieren
▪ Dienste in Polizei, Stasi, “Securitate“, Geheimdiensten;
  Verrat von Freunden und Angehörigen
▪ Schuldgefühl, Kinder oder Geschwister nicht geschützt
  zu haben
▪ Schuld überlebt zu haben
▪ Deckerzählungen und Schuldverdrängung
▪ Demokratisches „zweites Leben“ bricht weg
▪ Nun selbst zu denen gehören, die alt, behindert oder
  „asozial“ sind – T 4
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Bindungsstörungen und psychische Probleme
aufgrund prekärer Fähigkeiten der Eltern und
         kriegsbedingten Verlusten

• Transgenerationelle Weitergabe
• Nicht verarbeitete Vernachlässigungs-, Verlust- und
  Gewalterfahrungen in Familie und Jugend
• Gewalt durch Partner
• Heimkinder, Kinder aus Vergewaltigung, Lebensborn
  …
• Was Sie vielleicht schon selbst bei Ihrer Mutter erlebt
  haben – Verstärkt sich oder wirkt jetzt wie
  Generationenumkehr
• Nachlassende Reflexionsfähigkeit und Kontrolle

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Bindungsqualitäten, -muster
        reaktivieren sich im Alter
Angeborenes Bindungsverhalten
Bedürfnis nach:
  Abhängigkeit       ↔           Exploration, Autonomie
  + Sicherheit

Bindungsmuster
  • sicher
  • unsicher
      - abhängig
      - vermeidend (Abhängigk. vermeid. überselbständig)
      - ambivalent
   • desorganisiert

Aufgabe: sichere Bindung ins System bringen!

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Psychische Störungen in der Biografie – wie
           auch (erst) im Alter
• Depression nach /ohne Vorerkrankung
• Psychose mit/ohne Vorekrankung/phasen
• Wahnbildung (Phasen – chronisch)
• Zyklische affektive Erkrankungen (mit Manie) – unipolar –
  bipolar
• Schizophrene Erkrankungen, paranoide Schizophr.
• Schizoaffektive Störungen

•   Posttraumatische Störung – Komplexe PTBS- Dissoziative
    Störungen
•   Angst- und Zwangsstörungen
•   Persönlichkeitsstörungen (Borderlinetypus, abhängige,
    narzisstische, paranoide, antisoziale, schizoide ... PS)
•   Suchtmittelmissbrauch
•   Nicht diagnostizierte – nicht bekannte

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Grundsätzliches ↔ Konsequenz Hilfen:

•   Nur wenige psychische                 ➢   „Inseln der Klarheit“,
    Störungen sind dauerhaft                  gesunde Phasen für
    ohne gesunde Phasen                       Motivierung, Hilfeplanung,
•   Es gibt unterschiedliche                  Krisenpläne und
    Ausprägungen!                             Medikamente nutzen

                                          ➢   Zuhören, Empathie,
•   Die stabilisierende und
                                              Interesse zeigen
    angstbindende Funktion von
    Wahn /Zwang respektieren              ➢   Oft bei Enkeln leichter -
                                              weniger komplizierte
•   Nichts weg-reden oder
                                              Beziehung
    ausreden wollen
                                          ➢   Als Traumafolgen behutsam
                                              formulieren – als Frage,
•   Mit Rückfällen und der                    allgemein
    Instabilität rechnen – eigener
    Enttäuschung vorbeugen
    („jetzt war sie doch grade so         ➢   Erzählcafes, Videos, Filme
    gut beieinander…“)!
                          copyright: Polina Hilsenbeck                     9
Handlungsziele

➢   Bessere Lebensqualität
➢   Neue Erfahrungen bewusst erleben, mit allen Sinnen
➢   „Anbau schaffen“ – nicht Persönlichkeit ändern
➢   Es können Wunder von Heilung und Versöhnung
    geschehen, aber erst mal geht es mehr um

➢   Stabilisierung:
➢   Sicherheit, Beruhigung, Entängstigen, Orientierung
➢   Aktivierung der Sinne, Interessen, Bewegung
➢   Kontrolle lassen, Steuerungsfähigkeit unterstützen
➢   Respekt und Würde vermitteln
➢   Biografisches Verstehen, Selbstrespekt
➢   Dabei-Sein: Trauern – Hadern – Akzeptanz

                     copyright: Polina Hilsenbeck        10
•   Emotionale Distanziertheit, Fremdheit, inadäquate
    Resonanz/Affekt (schizoide Persönlichkeitsstörung,
    Formen von Schizophrenie, postpartale Störungen)
•   Vernachlässigung; vorübergehend z.B. bei
    posttraumatischer Störung (Flüchtlinge, Frauen-
    haus), chronisch z.B. bei Psychose plus Sucht
•   Traumafolgen (Gewalt; Krieg, Flucht, Katastrophen):
    Übererregung, Alpträume, Schlafstörungen,
    Flashback „Filme“ einerseits, Abstumpfung und
    Teilnahmslosigkeit andererseits;
    Somatisierungssyndrom; Dissoziation (Abspaltung,
    Erinnerungslücken, Zeitlücken, fehlendes
    Körpergefühl)
•   –> Störung der Bindungsfähigkeit, gestörte
    Resonanz beobachten und einschätzen
                     copyright: Polina Hilsenbeck         11
Was es bedeutet, Tochter/Sohn einer traumatisierten
/ psychisch verstörten / depressiven Mutter zu sein

 • Bindungsprobleme
 • Ängste, Orientierungsverlust
 • Probleme der Affektregulierung
 • Schuldgefühle (Krankheit der Mutter zu verursachen)
 • Scham, Rückzug von peer group und Nachbarschaft
 • Zerrissenheit durch Loyalitätskonflikte
 • Konzentrationsstörungen, Schulprobleme
 • Einbindung in extremes oder verzerrtes Weltbild
 • Isolierung, Abschottung von Umwelt
 • Rückzug oder Fliehen aus der Familie
 • Gewalt erlebt –Vater – Mutter hat nicht geschützt
 • Solidarität zwischen Geschwistern – oder starkpolarisierte
   Rollen – Neid und Konkurrenz – Lieblingssohn und
   Sündenbock
 ➢ Konflikt und Wiederkehr, wenn Mutter alt ist
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Scheinbar nicht geschädigt

➢   Kinder haben starke Bewältigungsstrategien
➢   Und suchen sich, wenn irgend möglich, Freiräume,
    Entwicklung und Ressourcen
➢   Nicht nur die auffälligen Kinder sind belastet,
    sondern auch die überkompensierenden: auch
    diesen hätten Entlastung und Hilfen gut getan
•   Überkompensieren: Reife, Selbständigkeit –
    Helferlein - aber:
•   Überforderung, für Eltern und Geschwister in
    Krankheitsphasen zu sorgen (Parentifizierung)
•   Brüchiges Fundament bei hohen und bestens
    entwickelten sozialen und kognitiven Kompetenzen
➢   Welche weiteren Personen waren für Sie wichtig und
    nährend, stärkend, Vorbilder – was würden die heute
    zu Ihnen sagen
                     copyright: Polina Hilsenbeck      13
Wohin mit meinen eigenen Ambivalenzen,
      Verletzungen, Angst, Kränkungen?

•   Es ist schwer, wenn Ihre Mutter emotional nicht für
    Sie da war – und nun endgültig weggeht (Depression,
    Demenz, Sterben)
•   Was, wenn Ihre Mutter Sie weggeben musste?
•   Ungelöste Konflikte
•   Holen Sie sich Unterstützung – Bewältigen und
    Heilen auch im späteren Leben sehr gut möglich
•   Sprechen Sie mit anderen
•   Mit den Widersprüchen und Bruchstücken leben –
    und mit den Freuden und Fähigkeiten
•   Es ist nie zu spät für ein offenes Wort oder eine Frage
•   Humor und Verstehen
                       copyright: Polina Hilsenbeck       14
Wohin mit meinen eigenen Ambivalenzen,
   Verletzungen, Angst, Kränkungen
➢   Und meine Kinder? – es gibt keine Vererbung, keine
    Ansteckung, sondern Weitergabe über die Bindung!
➢   Epigenese

•   Die Übung sicherer geborgener Ort
•   Übung In Obhut geben
•   Imagination Großmutter – Mutter – Sie selbst

                     copyright: Polina Hilsenbeck        15
Wichtige Aspekte des Gesprächs
➢   Ruhige Gesprächsatmosphäre schaffen
➢   Beginn: positive Spiegelung, oder Geschichten erzählen
➢   Davon ausgehen, dass Ihre Mutter das ihr Bestmögliche
    für ihre Kinder wollte und getan hat – auch wenn es zu
    wenig, verletzend, einschränkend war
➢   Hören Sie aktiv zu, wenn sie zu erzählen beginnt oder von
    ihren Ängsten, Schwermut
➢   Verständnis vermitteln für die Situation der Eltern, für
    Gewalt- und traumatische Belastungen
➢   Hypothesen zu Zusammenhängen
➢   Sagen Sie nie „ja aber“ – sondern UND ….
➢   bewusstes Umgehen mit eigenen Resonanzen/
    Gegenübertragung: eigene Therapie
    Quelle: Broschüre "Kinder psychisch kranker Eltern – Ein Thema für die Schule!". Von Katja Beeck*

                                                  copyright: Polina Hilsenbeck                          16
Was Sie nicht tun sollten

•   Kurzschlüsse: es gibt keine direkte und eindeutige
    Zuordnung von Ihrer eigenen Entwicklung zu
    Traumafolgen, psychischer Erkrankung,
    Suchtmittelmissbrauch, Gewalt, Vernachlässigen
    oder sexualisierter Gewalt durch Eltern!
•   Die Mutter/Eltern diagnostizieren – das ist nicht Ihr
    Job
•   Pathologisieren oder polarisieren - nur die Defizite
    oder nur die Stärken hervorheben
•   Dramatisieren, Hektik und Krisen verbreiten
•   Verharmlosen - tabuisieren
•   Ethnisieren von Störungen, pathologisieren von
    kulturell bedingtem Verhalten
•   Zu viel versprechen und nicht einhalten können
•   Tabus und Grenzsignale gut gemeint übergehen
                      copyright: Polina Hilsenbeck          17
Traumaspezifische und
           gerontopsychiatrische Hilfen

•   Sozialpsychiatrische Dienste /Suchtberatungsstellen für
    Betroffene und Angehörige
•   Psychiatrischer Krisendienst ambulant; Krisenstationen
•   Selbsthilfeorganisationen
•   Aufsuchende Hilfen Altenhilfe
•   Gesetzliche Betreuung
•   Beratungsstelle Paula e.V., Köln www.paula-ev-koeln.de
•

                       copyright: Polina Hilsenbeck     18
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