Das "Augenmotiv" in "Der Sandmann" von E.T.A. Hoffmann - Literatur und Psychologie Wintersemester 2010/2011 Seminararbeit von Julia Vossen

Die Seite wird erstellt Stefanie Mohr
 
WEITER LESEN
Literatur und Psychologie
          Wintersemester 2010/2011
        Seminararbeit von Julia Vossen

        Das „Augenmotiv“ in
„Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann
Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung........................................................................................3
2. Hauptteil .........................................................................................3
  2.1.     Das Wortfeld „Auge“ ................................................................................................. 3
  2.2.     Das Märchen „Der Sandmann“ .................................................................................. 3
  2.3.     Coppelius/Coppola ..................................................................................................... 5
  2.4.     Olimpia....................................................................................................................... 5
  2.5.     Auf der Galerie........................................................................................................... 6
  2.6.     Funktion/Wirkung des Augenmotivs ......................................................................... 7
  2.7.     Freuds Interpretation des Augenmotivs ..................................................................... 7
3. Fazit.................................................................................................7
4. Bibliografische Angaben ...............................................................8
3

1. Einleitung

Die Erzählung „Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann entstand 1815 und wurde Ende 1816
zum ersten Mal veröffentlicht. Seit seiner Veröffentlichung hat der Text großes Interesse
erregt und gilt als eines der bedeutendsten Werke des Autors.
Eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste, Motiv in der Erzählung ist das Augenmotiv.
Das Auge und zu seinem Wortfeld gehörende Ausdrücke dominieren den gesamten Text, sie
lassen sich auf jeder Seite finden. Das Auge kann sowohl als das Leitmotiv des Textes
bezeichnet werden, als auch als Haupt- und immer wiederkehrendes Thema im Leben des
Protagonisten Nathanael.
Im Folgenden werde ich zunächst das Wortfeld „Auge“ vorstellen, mit den wichtigsten
konkreten und übertragenen Bedeutungen. Anschließend werde ich chronologisch anhand der
wichtigsten Lebensstationen der Hauptfigur Nathanael nachverfolgen, wie das Augenmotiv
ihn von seiner Kindheit an bis zu seinem frühen Tod begleitet, und wie der Autor das Motiv
jeweils ausgestaltet. Abschließend werde ich noch darauf eingehen, welche Funktion,
beziehungsweise welche Wirkung, das Augenmotiv hat. Außerdem möchte ich noch kurz eine
weitere Deutungsmöglichkeit des Augenmotivs durch Sigmund Freud erwähnen.

2. Hauptteil
2.1. Das Wortfeld „Auge“

Das Lexem „Auge“ hat einen grundlegenden Doppelsinn. Auf der einen Seite bezeichnet es
ganz konkret ein Sinnesorgan, das dem Menschen die visuelle Wahrnehmung seiner
Außenwelt ermöglicht. So wirkt das Auge also als Mittler zwischen Innen und Außen. Es
transportiert Eindrücke der Außenwelt in das Innere des Menschen. Es fungiert so als
„Wahrnehmungsorgan“1.
Auf der anderen Seite gibt es auch viele Ausdrücke, die das Auge mit inneren Vorgängen in
Verbindung bringen, wie zum Beispiel mit dem Urteil in „ich sehe die Sache mit anderen
Augen“2 oder mit Stimmungslagen wie in „mit einem lachenden und einem weinenden
Auge“3. Seit der Antike gilt das Auge vor allem als Spiegel der Seele. Auch in diesem Sinn
hat das Auge eine Mittlerfunktion zwischen Innen und Außen. Hier transportiert es allerdings
Gefühle oder Gedanken vom Inneren eines Menschen nach außen. Das Auge fungiert so als
„Ausdrucksorgan“4.
Hoffmann legt sich in seiner Erzählung nicht auf eine semantische Richtung fest. Er spielt mit
den verschiedenen Bedeutungen und spannt so ein, den gesamten Text umfassendes, Netz von
Motiven und Anspielungen, die nicht alle direkt zu erkennen sind.

2.2. Das Märchen „Der Sandmann“

Die Amme erzählt Nathanael in der Kindheit eine grausame Version des Sandmannmärchens.
In dieser kommt der böse Sandmann zu den Kindern, die nicht schlafen gehen wollen,

1
  E.T.A. Hoffmann, Epoche-Werk-Wirkung, Feldges/Stadler, Beck Verlag München, 1986, S.142, Z.17-18
2
  Erläuterungen und Dokumente, E.T.A. Hoffmann Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 2000, S.60, Z.3
3
  Erläuterungen und Dokumente, E.T.A. Hoffmann Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 2000, S.60, Z.6
4
  E.T.A. Hoffmann, Epoche-Werk-Wirkung, Feldges/Stadler, Beck Verlag München, 1986, S.142, Z.17-18
4

schüttet ihnen so viel Sand in die Augen, bis diese „blutig zum Kopf hinausspringen“5, steckt
die Augen in einen Sack und nimmt sie seinen Kindern mit, die sie später aufessen.
Diese grausame Geschichte erschreckt den jungen Nathanael so sehr, dass sich für den Rest
seines Lebens in ihm die Angst vor dem Verlust seiner Augen einprägt. Für Nathanael
verbindet sich diese Angst in der Kindheit mit der Figur des alten Coppelius, den er für den
Sandmann hält, nachdem er ihn und seinen Vater bei alchimistischen Experimenten
beobachtet hat. Bei dieser Szene bleibt für den Leser allerdings vollkommen unklar, ob es
sich um ein reales Erlebnis oder lediglich um einen Alptraum handelt. Hier zeigt sich bereits,
wie der Autor den Leser systematisch im Unklaren lässt und, wie bei dem Augenmotiv,
mehrere Deutungsmöglichkeiten offen lässt.
Im Arbeitszimmer des Vaters hört Nathanael, wie Coppelius, über einen Herd gebeugt, nach
Augen verlangt: „Augen her, Augen her“6. Für Nathanael verbindet sich diese Aussage
natürlich direkt mit dem Märchen des Sandmannes, sei es im Traum oder in der Realität. Für
ihn bedeutet es den konkreten Verlust der Augen als Sinnesorgane, die aus dem Kopf
herausspringen. Es gibt allerdings mehrere Bedeutungsebenen dieses Verlangens nach Augen.
Sieht man das Geschehen auf der Ebene der alchimistischen Versuche, könnte Coppelius
„Erzaugen“7 meinen, also einen chemischen Terminus technicus aus metallurgischen
Prozessen. Dies wäre die rationale Erklärung und hätte keinen Bezug zum konkreten Verlust
der Augen.
Der Autor eröffnet allerdings noch eine dritte mögliche Bedeutungsebene. Nathanael
erscheint Coppelius als „teuflischer Coppelius“8 und als „verruchter Satan“9. Diese
Ausdrücke rufen Assoziationen hervor mit Teufelsdarstellungen aus spätmittelalterlichen
Volksbüchern. In diesen versucht der Teufel den Menschen ihre Seele zu rauben, zur
Vervollkommnung einer Gegenwelt, wozu er den göttlichen Teil des Menschen benötigt. Hier
steht das Auge also nicht für das konkrete Sinnesorgan, sondern im übertragenen,
metaphorischen Sinne für die Seele des Menschen.
In dieser Beschreibung des Kindheitserlebnisses Nathanaels ruft der Autor mit seiner
Verwendung des Augenmotivs also mindestens drei verschiedene Bedeutungsebenen auf, die
alle nebeneinander, parallel existieren, und zwischen denen sich der Leser nicht entscheiden
kann.
Durch dieses Ereignis pflanzt sich bei Nathanael also für den Rest seines Lebens die Angst
vor dem Augenverlust ein, die ihn immer begleiten wird und letztendlich auch zu seinem Tod
führen wird.
Seine Angst zeigt sich in verschiedenen späteren Situationen, zum Beispiel beim Brillenkauf,
dem Kampf um Olimpia oder auch im fiktiven Kontext des von Nathanael verfassten
Gedichtes.
Auch diese tiefsitzende Angst, die in der Kindheit durch das Märchen des
„Sandmannes“ ausgelöst wird, ist auf verschiedene Arten zu verstehen. Auf der einen Seite
würde der Verlust der Augen einen Verlust der Wahrnehmungsfähigkeit der Außenwelt
bedeuten, einen Verlust der Unterscheidungsfähigkeit zwischen Realität und Fiktion, wie er
später in Nathanaels Beziehung zu Olimpia deutlich wird. Auf der anderen Seite wäre der
Verlust der Augen aber auch mit dem Verlust der Seele, oder zumindest mit einer
Beschädigung des Inneren, verbunden, die sich in Nathanaels späterem Wahnsinn ausdrückt.
Hier hängen allerdings die beiden Bedeutungskreise eng miteinander zusammen. Dadurch,
dass Nathanael den Blick für die reale Außenwelt verliert, nimmt seine Seele Schaden. So
werden hier also beide Motivbereiche miteinander verbunden.

5
  E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 1994, S. 5, Z.12
6
  E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 1994, S.9, Z.11-12
7
  Erläuterungen und Dokumente, E.T.A. Hoffmann Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 2000, S. 62, Z.33
8
  E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 1994, S.11, Z. 23
9
  E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 1994, S.11, Z. 18
5

2.3. Coppelius/Coppola

Diese beiden Figuren sind sehr eng mit dem Augenmotiv verbunden.
Coppelius ist, wie oben bereits erläutert, für Nathanael unumkehrbar mit der Person des
Sandmannes verbunden, der den Kindern die Augen stiehlt.
Der Optiker Coppola tritt nun in den Bereich des Augenmotivs schon alleine dadurch ein,
dass er von Berufs wegen mit Augen zu tun hat. Als er nun Nathanael gegenüber seine Brillen
und Perspektive als „sköne oke“10 anpreist, also als „schöne Augen“, löst dies bei Nathanael
wieder die seit der Kindheit tiefverankerte Angst aus.
Hier taucht das Augenmotiv in sprachlicher Deformation auf. Die Schreibweise imitiert die
deutsche Aussprache des Italieners Coppola. „Oke“11 ist an das italienische „occhi“12, für
Augen, angelehnt. Diese sprachliche Deformation kann als Spiegel der verzerrten
Wahrnehmung Nathanaels gedeutet werden.
Gleichzeitig setzt der Autor nun eine neue Variante des Augenmotivs ein, nämlich das
Perspektiv als eine Art künstliches Auge. Und auch dieses künstliche Auge hat eine doppelte
Bedeutung. Auf der einen Seite verstärkt es technisch gesehen die Sehkraft, stellt also ein
Hilfsmittel für den Menschen dar, um die Realität klarer und besser wahrnehmen zu können.
Auf der anderen Seite verfälscht das Perspektiv aber auch das natürliche Sehen, was in der
nächsten Episode mit Olimpia deutlich gezeigt wird.
Die Figuren Coppelius/Coppola sind aber noch auf eine andere Art und Weise mit dem
Augenmotiv verbunden. Sie haben nämlich einen so genannten „sprechenden Namen“13.
Dieser eröffnet erneut ein Zusammenspiel von wörtlicher und übertragener Bedeutung. Der
Name Coppelius/Coppola beinhaltet die italienische Wurzel „coppa“14, die im übertragenen
Sinne auch „Augenhöhle“15 bedeutet. Somit fügt sich der Eigenname in den Motivbereich des
Auges ein. Noch einmal aufgegriffen wird dieses Bild der Augenhöhle in der „schwarzen
Höhlung“16, in der sich der Herd im Arbeitszimmer des Vaters befindet.
Aber: „Das Diminutiv coppella bezeichnet den Schmelztiegel“17. Dies ordnet den Namen
einem ganz anderen Deutungsbereich zu. Er lässt uns an die nächtliche Szene im Labor des
Vaters denken, in dem, nach Klara, „alchimistische Versuche“18 stattgefunden haben sollen.
Dies hat erstmal nichts mit den konkreten Augen zu tun, sondern mit dem bereits erwähnten
„Erzauge“19. So greift der Eigenname gleich zwei mögliche Ausgestaltungen des
Augenmotivs auf, bleibt hier also auch zweideutig, was allgemein als ein Merkmal des
Augenmotivs genannt werden kann.
Coppelius und Coppola sind also Teil des Augenmotivs. Coppola eröffnet durch das
Perspektiv eine weitere Bedeutungsvariante.

2.4. Olimpia

Trotz seiner Angst vor Coppola kauft Nathanael ihm am Ende doch ein Perspektiv ab, mit
dem nun das Unheil und seine Beziehung zu Olimpia beginnt.
Olimpia ist eine mechanische Puppe, ohne Leben und Seele in sich. Die ersten Male, als
Nathanael sie erblickt, scheint ihm dies zumindest unterbewusst durchaus klar zu sein. Er
10
   E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 1994, S. 26, Z. 30
11
   E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 1994, S. 26, Z. 30
12
   Erläuterungen und Dokumente, E.T.A. Hoffmann Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 2000, S. 33, Z.28
13
   E.T.A. Hoffmann, Gerhard R. Kaiser, Sammlung Metzler, Stuttgart, 1988, S. 53, Z. 2
14
   Erläuterungen und Dokumente, E.T.A. Hoffmann Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 2000, S. 11, Z. 10
15
   Erläuterungen und Dokumente, E.T.A. Hoffmann Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 2000, S. 11, Z. 11
16
   E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 1994, S. 8, Z. 37
17
   Erläuterungen und Dokumente, E.T.A. Hoffmann Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 2000, S. 11, Z. 13-14
18
   E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 1994, S.13, Z. 19
19
   Erläuterungen und Dokumente, E.T.A. Hoffmann Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 2000, S. 62, Z.33
6

spricht von der „steifen, starren Olimpia“20. Bezeichnenderweise macht er dieses auch
besonders an Olimpias Augen fest: „ hatten ihre Augen etwas Starres, beinah möchte ich
sagen, keine Sehkraft, es war mir, als schliefe sie mit offnen Augen“21.
Da Nathanael zu diesem Zeitpunkt kein weiteres Interesse an Olimpia entwickelt, kann man
daraus schließen, dass er anhand der Augen Rückschlüsse auf ihr Inneres zieht.
Genauso geschieht es in der gesamten Erzählung. Alle Figuren, die eingeführt werden,
werden unter anderem immer durch ihre Augen beschrieben und ein Stück weit charakterisiert.
Coppelius hat „buschichte graue Augenbrauen, unter denen ein Paar grünliche Katzenaugen
hervorfunkeln“22, Klara hingegen hat „solch helle holdlächelnde Kindesaugen“23. Durch diese
Beschreibungen der Charaktere wird also im Verlauf der gesamten Erzählung auf die
Bedeutung des Auges als Spiegel der Seele zurückgegriffen. Sie sind in diesem Sinne also
weit mehr als bloße Wahrnehmungsorgane.
Während Nathanael also erst kein Interesse an Olimpia zeigt, ändert sich sein Verhalten
radikal, als er durch das Perspektiv schaut, das er Coppola abgekauft hat. Plötzlich verändert
sich Nathanaels Wahrnehmung: „Nur die Augen schienen ihm gar seltsam starr und tot. Doch
wie er immer schärfer und schärfer durch das Glas hinschaute, war es als gingen in Olimpias
Augen feuchte Mondesstrahlen auf.“24 So verzerrt das künstliche Auge, durch das Nathanael
Olimpia nun betrachtet, seine Wahrnehmung. Er projiziert sein eigenes Ich in die seelenlose
Olimpia und sieht von nun an seine eigene Seele in Olimpias Augen: „du tiefes Gemüt, in
dem sich mein ganzes Sein spiegelt“25.
Hier werden die Augen also erneut als Transporteur einer Seele, eines Lebens verwendet, das
Nathanael diesmal aber durch das Perspektiv selber künstlich in die Puppe Olimpia
hineinprojiziert.
Seine Täuschung erkennt Nathanael erst, als er Olimpia mit herausgerissenen Augen sieht. In
dem Moment wird ihm klar, dass sie nur eine Puppe war: „sie war eine leblose Puppe“26. So
wird der Augenverlust wieder gleichgesetzt mit dem Verlust der Seele, des Lebens, auch der
Menschlichkeit.
Aus diesem Erkennen folgt für Nathanael der erste Zusammenbruch. Durch die klare
Wahrnehmung der Realität nimmt also die Seele Schaden, beziehungsweise der Schaden tritt
für alle sichtbar nach außen.

2.5. Auf der Galerie

Nathanael scheint geheilt zu sein, er verhält sich wieder vollkommen normal, bis er erneut
durch das Perspektiv von Coppola schaut. Durch dieses erblickt er Klara, und der Wahnsinn
bricht erneut aus ihm heraus. Er versucht zuerst, Klara von dem Turm zu werfen, dann stürzt
er sich selber herunter und begeht so Selbstmord. Das Perspektiv hat Nathanael erneut die
Wahrnehmung verstellt und raubt ihm ein letztes Mal den Verstand.
Im Sturz wiederholt Nathanael die zuerst von Coppola genannten Worte: „sköne oke“27. So
greift Nathanael im Moment seines Todes selber noch einmal das Augenmotiv auf. Der Kreis
schließt sich. Außerdem bekräftigt diese Äußerung noch einmal die Wichtigkeit des Motivs
und es erinnert den Leser auch daran, was die Gründe für diesen frühen Tod sind, dass diese
nämlich schon in seiner Kindheit liegen.

20
   E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 1994, S.26, Z. 7
21
   E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 1994, S.16, Z. 30-32
22
   E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 1994, S.7, Z. 15-17
23
   E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 1994, S. 15, Z. 29-30
24
   E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 1994, S. 27. Z. 26-29
25
   E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 1994, S. 31, Z. 14
26
   E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 1994, S. 36, Z. 9
27
   E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 1994, S. 26, Z. 30
7

2.6. Funktion/Wirkung des Augenmotivs

Die stringente Verwendung und Einflechtung des Augenmotivs scheint zwei verschiedene,
auf den ersten Blick einander entgegengesetzte, Funktionen zu erfüllen.
 Auf der einen Seite sorgt das Motiv für eine Köharenz, also einen größeren, vor allem
inhaltlichen Zusammenhang des gesamten Textes. Das Motiv ist jederzeit präsent, verbindet
die verschiedenen Teile des Textes miteinander und bildet eine Klammer oder auch einen
Rahmen für den Gesamtzusammenhang.
Auf der anderen Seite sorgt das Motiv allerdings auch für Ungewissheit und Flexibilität. Der
Leser weiß oft nicht genau, wie er das, was er gerade gelesen hat, verstehen soll: Träumt
Nathanael das Geschehen im Arbeitszimmer des Vaters nur, oder ist es wirklich passiert? Auf
welche Bedeutung spielt der Autor bei dieser und jener Verwendung des Augenmotivs an?
Durch diese Ungewissheit entsteht ein „perspektivisch offener Text“28, der Raum lässt für die
verschiedensten Deutungsansätze und Interpretationen.
Die Funktion des Augenmotivs ist also auf der einen Seite eine strukturgebende und auf der
anderen Seite hält es den Text bewusst offen und auf eine gewisse Art und Weise unbestimmt.

2.7. Freuds Interpretation des Augenmotivs
In seinem Essay „Das Unheimliche“ setzt sich Sigmund Freud unter anderem auch mit dem
Sandmann von E.T.A. Hoffmann auseinander und deutet das Augenmotiv auf eine neue
Weise. Für ihn stellt die Angst vor dem Augenverlust einen Ersatz für die kindliche und
meistens verdrängte Kastrationsangst dar. Er stellt eine „Ersatzbeziehung“29 zwischen Auge
und männlichem Glied fest. Die Kastrationsangst, die die sich also indirekt in der Angst vor
dem Verlust der Augen ausdrückt, ist für Freud eine Quelle des Unheimlichen in Hoffmanns
Text. Bei dieser Deutung des Augenmotivs ist aber deutlich zu betonen, dass es sich lediglich
um eine Möglichkeit der Deutung von Außen und unter einem bestimmten Gesichtspunkt
handelt.

3. Fazit

Es ist deutlich geworden, wie vielfältig das Augenmotiv durch den Autor E.T.A Hoffmann
gestaltet worden ist. In den meisten Fällen existiert nicht nur eine, nämlich die konkrete
Bedeutungsebene, sondern es findet eine bewusste Parallelführung und
Übereinanderschichtung der verschiedenen Aspekte des Wort- und Assoziationsfeldes Auge
statt. Dadurch erhält die Erzählung eine größere Tiefe, einen weiteren Bedeutungshorizont
und vor allem einen ganz speziellen Reiz für den Leser.

28
     Erläuterungen und Dokumente, E.T.A. Hoffmann Der Sandmann, Reclam, Stuttgart, 2000, S. 59, Z. 4
29
     http://www.gutenberg.org/files/34222/34222-h/34222-h.htm
8

4. Bibliografische Angaben

Quellen:
   - „Der Sandmann“, E.T.A. Hoffmann, Reclam Verlag, Stuttgart, 1994
   - „Erläuterungen und Dokumente, E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann“, Reclam Verlag,
       Stuttgart, 2000
   - „E.T.A. Hoffmann, Epoche-Werk-Wirkung“, Brigitte Feldges/Ulrich Stadler, Verlag
       C.H. Beck, München, 1986
   - „E.T.A. Hoffmann“, Gerhard R. Kaiser, Sammlung Metzler, Realien zur Literatur, J.B.
       Metzler Verlag, Stuttgart, 1988
   - http://www.gutenberg.org/files/34222/34222-h/34222-h.htm
Sie können auch lesen