Das Unternehmen Dreschflegel als Commons-Alternative im Saatgutsektor - eine Fallanalyse - RightSeeds
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Das Unternehmen Dreschflegel als Commons- Alternative im Saatgutsektor – eine Fallanalyse Zusammenfassung der Masterarbeit Autorin: Kristina Kötterheinrich (M.A. Sustainability Economics and Management) Hintergrund und Fragestellung Bis ins 19.Jahrhundert hinein und auch heute noch insbesondere in Ländern des globalen Südens wurde und wird Saatgut als Gemeingut gehandhabt. Das Saatgut und damit die genetischen Daten, die es in sich trägt, wurden und werden frei getauscht und durch die Nutzer_innen selbst weiterentwickelt. Im globalen Norden hingegen ist das Saatgut hauptsächlich durch Immaterialgüterrechte als Privateigentum geschützt. Doch gerade in jüngster Vergangenheit erleben die Gemeingüterstrukturen im Saatgutsektor eine Renaissance als Nischen-Erscheinungen im ökologischen Sektor in Form von Tausch-Börsen im Internet, Open-Source-Initiativen und Erhaltungsorganisationen. Sie alle haben sich zum Ziel gesetzt, die Sortenvielfalt zu schützen. Im Rahmen der Masterarbeit wurden das Unternehmen Dreschflegel und der dazugehörige Verein näher ins Auge gefasst. Dreschflegel vertreibt als Versandhandel biologisches Saatgut und bietet ein vielfältiges Sortiment an Nutzpflanzen, das auch viele alte Sorten enthält. Als Fallstudie soll die Arbeit in einer empirischen Untersuchung herauszufinden inwiefern sich Dreschflegel in den wissenschaftlichen Diskurs um Commons im Bereich Saatgut eingliedert. Daraus ergibt sich die Fragestellung: Wie fügt sich die GbR und der Verein Dreschflegel in das Konzept der Commons1 ein? 1 Der Begriff Commons kommt aus dem Englischen und wird hier synonym mit den Begriffen Gemeingut und Allmendegut verwendet.
Hinführung Die Sortenvielfalt agrarwissenschaftlicher Produkte sinkt weltweit kontinuierlich seit Jahren (vgl. Stadtlander 2005, S. 10; Schulte 2001, S. 34–36; Dahlem 2001, S. 41; Ficiciyan et al. 2018, S. 10; Howard 2015, S. 1). Insbesondere in Ländern Nordamerikas und Westeuropas, in denen die Landwirtschaft vollständig industrialisiert wurde, ist die Nutzung alter Sorten und einer Sortenvielfalt generell in der Nahrungsmittelproduktion marginalisiert. Dies kann auf drei Faktoren zurückgeführt werden: Eine oligopolistische Marktstruktur im Saatgutsektor mit wenigen großen Konzernen an der Spitze (Brandl 2016, S. 262; Kotschi und Kaiser 2012, S. 7), eine Verschärfung der (globalen) Gesetzgebung bezüglich Saatgut hin zu einer Privatisierung und Kommerzialisierung von Sorten (vgl. Godt 2016, S. 22; Howard 2015, S. 2– 3; Brandl 2016, S. 264; Gelinsky 2016, S. 318; Gmeiner et al. 2018, S. 119) und die weltweiten Umbrüche der Industrialisierung (vgl. Barbieri und Bocchi 2015, S. 791; Kotschi und Kaiser 2012, S. 5). Alle Faktoren führen zu einem begrenzten Angebot auf dem Saatgutmarkt, einer begrenzten Nutzung der vorhandenen Sorten und gesetzlichen Unsicherheit bezüglich der Nutzung. Ein Erhalt der Sortenvielfalt ist allerdings aus verschiedenen Gründen insbesondere im Ökolandbau relevant. Zunächst sind die Sorten wichtig für einen Erhalt der Biodiversität und Nahrungsmittelsicherheit, beides offizielle Nachhaltigkeitsziele der UN (Sustainable Development Goals – SDGs), vor allem in Hinblick auf die Anpassungsfähigkeit von Pflanzen an marginale Standorte, den Klimawandel und Schädlingsresistenz (vgl. Meldrum et al. 2018, S. 703; Kliem und Tschersisch 2017, S. 7; Barbieri und Bocchi 2015, S. 790; Gmeiner et al. 2018, S. 118; Frison et al. 2011, S. 238). Saatgut und Sorten sind zudem ein über Jahrtausende menschlicher Kultivierung entstandenes und damit schützenswertes Kulturgut (vgl. Hiß 2002, S. 241; Kaiser 2005, S. 42; Schulte 2001, S. 29). Zu guter Letzt ist die Monopolisierung nicht nur Ursache, sondern auch Folge der Sortenarmut, da sie kleinteilige Landwirtschaft (small-scale agriculture) erschwert (vgl. Heistinger 2002, S. 228; Kaiser 2007, p.13; Schutter 2009, S. 13)). Die Probleme von Sortenarmut und ihre Ursachen legen nahe, dass eine Rückkehr zu Commons im Saatgut-Sektor einen Lösungsansatz für den Erhalt der Sortenvielfalt bieten könnte. Dreschflegel war bereits vor dem Beginn dieser Fallstudie als Initiative bekannt, die den Erhalt der Sortenvielfalt propagiert. Es galt herauszufinden, inwiefern sich das Unternehmen in unterschiedliche Commons-Konzepte einordnen lässt. Saatgut spielt in diesen Zusammenhängen nicht nur eine Rolle als physisches Objekt in Form einer Common-pool Ressource, sondern auch als Wissens-Commons und kulturelles Commons, die als Kategorien in neueren Commons-Theorien entwickelt wurden.
Schematisierung des Saatguts als Commons Quelle: Eigene Darstellung Commons-Theorien Die Untersuchung zum Stand der Forschung im Bereich der Commons ergab zunächst drei Commons-Konzepte, die hinreichend klar strukturiert für eine vergleichende Analyse waren: die Commons-based peer-production (CBPP), Ostroms Common-property Regime und Bolliers Beschreibung von New Commons. Alle neueren Commons-Theorien haben ein paar Gemeinsamkeiten: Sie kehren sich ab vom Modell des Homo Oeconomicus und sehen in Commons eine neue Art der Güterallokation und -produktion. Eigentumskategorien treten in den Hintergrund und die Idee des Commonings und der Einbettung von Gütern in soziale und institutionelle Beziehungen steht im Zentrum, sowie die Selbstorganisation der Nutzer_innen-Gemeinschaft. Elinor Ostroms Forschungsarbeiten beschäftigen sich mit dem institutionellen und sozialen Rahmen von sogenannten Common-pool Resources. Die Common-pool Resources bilden dabei den physischen Mittelpunkt der Commons und sind natürliche Ressourcen, die in der klassischen Theorie in die Kategorie der Gemeingüter passen würden (Rivalität im Nutzen und Nicht-Exkludierbarkeit (vgl. Ostrom et al. 1994, S. 7; Ostrom 2003, S. 253). Ostrom stellt allerdings als Bedingung, dass die Ressourcen von einer Gemeinschaft verwaltet werden, innerhalb deren Grenzen zwar die Nutzung allen offen steht, Fremde allerdings von dieser ausgeschlossen werden können. Dies sei wichtig, um das Trittbrettfahrer-System zu lösen. Bei den New Commons steht die Vergemeinschaftung, das Commoning, von Gütern im Vordergrund (vgl. Helfrich und Bollier 2014, S. 19; Angelis 2017, S. 63). Es wird davon ausgegangen, dass grundsätzlich jedes Gut ein Commons sein kann, je nachdem wie die Gemeinschaft dieses verwaltet. Saatgut wird in diesem Zusammenhang nicht nur als natürliche Ressource betrachtet, sondern auch als kulturelles Commons, Wissens-Commons und globales Commons (vgl. Hess 2009, S. 13). Während Ostrom den Fokus auf natürliche Ressourcen legte, beschäftigen sich die New Commons und CBPP vorwiegend mit Ressourcen, die keiner Rivalität im Nutzen unterliegen. Ostrom und Bollier geht es dabei vornehmlich um die Erhaltung von Ressourcen. Die CBPP dreht sich um die Produktion neuer Güter. Für die jeweiligen Sichtweisen und Schwerpunkte
wurden unterschiedliche Kriterien erstellt, ab wann ein (erfolgreiches) Commons-basiertes Management vorliegt. Benkler Ostrom Bollier (vgl. Benkler und (vgl. Cox et al. 2010) (vgl. Bollier 2014, S. 175) Nissenbaum 2006, S. 400) Geht aus von: Wissens-Commons, Traditionellen Commons Wissens-Commons, digitale Commons traditionellen Commons, kulturellen Commons, globalen Commons Gesundheits-Commons, etc. Prinzipien: Dezentralisation: Legitimation Abgrenzbarkeit: Eindeutige Ein selbstorganisiertes zur Mitarbeit wird durch und akzeptierte Grenzen System mit dem Individuen geschaffen, die die zwischen legitimen Nutzern Gemeinschaften Ressourcen Möglichkeit zur Handlung und Nichtnutzern. organisieren, ohne dass (oder haben. Es gibt keine nur minimal) sie sich auf Staat übergeordneten oder Markt verlassen. Manager_innen. Es werden soziale Stimuli und Kongruenz: Aneignungs- und Ein soziales System zur intrinsische Motivation genutzt Bereitstellungsregeln sind langfristigen anstatt Preise und Befehle, aufeinander abgestimmt; die Verantwortungsübernahme für um Mitarbeitende zu Verteilung der Kosten ist eine Ressource, die motivieren und koordinieren. proportional zur Verteilung gemeinsame Werte und eine Commons sind demnach per des Nutzens. Gemeinschaftsidentität erhält. Definition nicht preisbasiert und bezahlen die Mitarbeiter nicht für ihren jeweiligen Beitrag. Gemeinschaftliche Ein Wert, den wir besitzen Entscheidungen: die meisten oder gemeinsam erschaffen Personen, die von einem und den wir uneingeschränkt Ressourcensystem betroffen an unsere Kinder weitergeben sind, können an müssen. Entscheidungen über Nutzungsregeln teilnehmen. Monitoring: eine präzise Ein Sektor der Wirtschaft, der Überwachung der Ressource Wertschöpfung in Bereichen und ihrer Nutzer_innen. schafft, die oft als selbstverständlich betrachtet werden. Abgestufte Sanktionen: Sanktionen beginnen auf niedrigem Niveau, verschärfen sich aber bei wiederholten Verstößen.
Konfliktlösungsmechanismen: Konfliktlösungsmechanismen müssen schnell, günstig und direkt sein. Anerkennung von Rechten: Ein Mindestmaß von staatlicher Anerkennung des Rechtes der Nutzergemeinschaft, sich eigene Regeln zu setzen. Verschachtelte Institutionen: Wenn eine Gemeinressource eng mit einem großen Ressourcensystem verbunden ist, sind Governance- Strukturen auf mehreren Ebenen miteinander „verschachtelt“ (Polyzentrische Governance). Commons-Prinzipien und ihre Ausgangsbedingungen von Benkler, Ostrom und Bollier. Quelle: Eigene Darstellung Modell und Forschungsdesign Im emprischen Teil der Arbeit wurden mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse Daten aus sechs selbsterhobenen leitfadengestützten Experteninterviews (vgl. Gläser und Laudel 2010, S. 107)mit Gesellschafter_innen der GbR und einschlägigen Dokumenten ausgewertet. Die Auswertung der Ergebnisse der Interviews wurde anhand von Kuckartz´ Vorschlag zur qualitativen Inhaltsanalyse durchgeführt (vgl. Kuckartz 2014, S. 45), bei der ein Kategoriensystem zur systematischen Analyse dient. Die Kategorienbildung bei der Kodierung der Interviews erfolgt sowohl deduktiv aus theoretischen Vorüberlegungen als auch induktiv aus dem Textmaterial. Im vorliegenden Fall ergeben sich die Hauptkategorien zum einen deduktiv aus dem in Kapitel 4 vorgestellten Ostroms Analysis and Development Framework können (vgl. Ostrom 2011; Hess und Ostrom 2007a) und zum anderen, dort wo das Framework keine passende Einteilung ermöglicht, induktiv aus Sinnzusammenhängen in den Transkripten
Inhalte des IAD Frameworks im Rahmen dieser Arbeit Quelle: Eigene Darstellung Ergebnisse und Diskussion Commons-based peer-production Die Befragung der Dreschflegel-Mitglieder ergab, dass einige der Merkmale von Gemeinschaften, die gemeinsam eine CBPP darstellen, auch mit Dreschflegel übereinstimmen. So spricht Benkler von einer Gruppe, die durch die Modularität ihrer Arbeitsweise keine Hierarchien benötigt. Auch Dreschflegel hat sich selbst an bestimmten Stellen eine Struktur gegeben, die Hierarchien nicht benötigt. Beispielsweise durch die Rechtsform als GbR, in der alle Betriebsleiter_innen gleichzeitig geschäftsführende Gesellschafter_innen sind, oder das Konsensprinzip bei Entscheidungsfindungen. Allerdings sind Benklers Grundprinzipien der Modularität und der Stimulation durch intrinsische Motivation nicht direkt gegeben. Die Saatgutproduktion ist zwar auf unabhängige Betriebe verteilt, der Versand und die Arbeitsgruppen sind aber nicht modular organisiert. Die Gruppe zeichnet sich zudem zwar durch eine hohe intrinsische Motivation ihrer Arbeit aus, die Einzelpersonen sind aber dennoch sehr stark abhängig von dem Einkommen, das der Versandhandel generiert.
Würde man die Kund_innen von Dreschflegel in die Analyse miteinbeziehen, so würden beide Kriterien eventuell besser erfüllt werden. Dreschflegel regt seine Kund_innen dazu an, auch selbst Saatgut zu vermehren. Zum einen wäre so vermutlich eine höhere Modularität gegeben, denn diese Personen könnten sich selbst frei entscheiden, welche Sorten sie in welchem Umfang weitervermehren wollen. Zum anderen wären diese Kund_innen – zumeist Hobbygärtner_innen – wahrscheinlich rein intrinsisch motiviert. Schlussendlich zeigt die Analyse beider Grundprinzipien, dass Dreschflegel nicht in voller Gänze in das Konzept der CBPP passt. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man sich die Bedingungen anschaut, die diesem Konzept zugrunde liegen. So geht Benkler von Produkten aus, die durch ihre virtuelle Natur geringe Grenzkosten der Produktion haben (vgl. Rifkin 2014, S. 266-282). Obwohl Dreschflegel zwar mit Saatgut ähnlich der CBPP auch ein Wissensgut produziert in Form von genetischen Ressourcen, kann dieses Wissensgut nur durch das physische Saatgut weitergegeben werden, womit die Grenzkosten der Produktion weiterhin hoch bleiben. Elinor Ostrom Bei Ostroms Konzeption von traditionellen Commons ergibt sich wiederum das Problem der Ambivalenz des Saatgutes als physische Ressource und Wissensressource oder kulturelle Ressource. Im Fallbeispiel Dreschflegel kann das Saatgut selbst (als physische Ressource) nicht als Common-pool Ressource bezeichnet werden, denn es hat nicht nur klar geregelte, an Individuen geknüpfte Eigentumsrechte, sondern wird auch sonst wie ein privatwirtschaftliches Gut am Markt gehandelt. Die genetischen Ressourcen hingegen können als Common-pool Ressource angesehen werden, da Dreschflegel keine intellektuellen Eigentumsrechte darauf erhebt. Durch diese Perspektive ergibt sich ein Gemeingut, dass entgegen Ostroms Konzeption keine Rivalität im Nutzen erfährt und dadurch klare Grenzen zur Abwehr von Trittbrettfahrer_innen an Relevanz verlieren. Des Weiteren führt diese Perspektive (genetische Ressourcen als Common-pool Ressource) zu einer Aufspaltung von Erzeuger_innen/ Erhalter_innen und Nutzer_innen, da diese nicht zwangsläufig übereinstimmen müssen. Dies ist auch bei Dreschflegel der Fall. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass Dreschflegels langfristiges Ziel ist, Nutzer_innen zu Erhalter_innen zu machen, indem Kund_innen dazu angeregt werden, selbst Samenbau zu betreiben. Die Designprinzipien von Ostrom finden sich somit insgesamt bei der Organisation Dreschflegel wieder, die Punkte „Vermeidung von Trittbrettfahrer_innen“ und „Einheit von Erhalter_innen und Nutzer_innen“ verlieren allerdings an Bedeutung beim Sortenerhalt, da hier die physische Ressource nicht im Mittelpunkt steht.
Betrachtet man lediglich Dreschflegel als Erzeuger/ Erhalter des Commons und als geschlossene Gemeinschaft, so zeigt sich eine weitestgehende Übereinstimmung mit Ostroms Designprinzipien. Es ergibt sich eine Abgrenzbarkeit nach Außen durch ein Aufnahmeverfahren, eine weitest gehende Kohärenz der intern gegebenen formalen und informellen Regeln, ein ausgedehntes System der gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung durch Konsens, Konfliktlösungsmechanismen und eine Struktur auf mehreren Ebenen (Betriebe, auf denen produziert wird, Versand und Arbeitsgruppen). Lediglich die Sanktions- und Kontrollmechanismen erscheinen in den Interviews und Dokumenten wenig ausgearbeitet. Da Ostrom selbst von einer Ambivalenz aus Vertrauen der Gruppe ineinander und Kontroll- und Sanktionssystemen spricht, wird hier allerdings nur deutlich, dass – soweit dies aus der Analyse hervorgeht – das System eher auf Vertrauen beruht. Einige Befragte betonen auch, dass Vertrauen ineinander eine wesentliche Voraussetzung ist, um in den Dreschflegel-Strukturen zu arbeiten. Ostroms letztes Kriterium, die Anerkennung des Staates von lokalen Rechten, ist nicht vollständig gegeben. Lediglich eine Duldung des Verkaufs von nicht im Sortenverzeichnis aufgeführten Sorten und eine Vereinfachung der Sortenanmeldung durch die Einführung von Amateursorten findet statt. Hier würden sich die Befragten deutlich mehr Freiheiten wünschen. New Commons Die New Commons, die in Bolliers Konzept zusammengefasst werden, heben zum Teil ähnliche, zum Teil andere Aspekte von Commons als Ostrom in den Vordergrund. Die New Commons denken Wissens-Commons, kulturelle Commons und globale Commons mit und stellen somit die passenden Grundvoraussetzungen für das Fallbeispiel Dreschflegel. Bollier hebt insbesondere die Aspekte Selbstorganisation der Gemeinschaft und die Motivation der Individuen, eine Ressource in einer Gruppe zu schützen, die gemeinsame Werte und eine Identität teilt, hervor. Diese Punkte tauchen auch in den Befragungen und der Dokumentenanalyse immer wieder als wichtige Faktoren auf. So bezeichnen sich die Befragten als „Dreschis“, erklären eine starke politische Motivation für ihre Arbeit und geben an, auch Sorten zu vermehren, die nicht ertragreich sind. Auch der von Bollier eingeführte Begriff der Wertschöpfung in Wirtschaftssektoren beschreibt passend Dreschflegels Anliegen bezüglich des Erhalts von Sorten. Denn bestimmte Sorten und die Sortenvielfalt sollen wieder eine Wertigkeit innerhalb des Wirtschaftssystems erhalten.
Fazit Schlussendlich zeigen sich sowohl Ostroms als auch Bolliers Konzept als geeignete Konzeptualisierungen, um die Organisationsstruktur von Dreschflegel einzuordnen. Dreschflegel kann – obwohl es gleichzeitig ein Unternehmen darstellt und damit nicht direkt ein dritter Weg zwischen Markt und Staat ist – als Commons bezeichnet werden. Die Analyse zeigt, dass Dreschflegel entscheidende Gemeinsamkeiten mit Ostroms klassischen Commons besitzt und auch viele Parallelen zu New Commons aufweist. Auch das klassische Muster beider Commons-Ansätze, Commons in Ressource, Gemeinschaft und Regelsystem zu unterteilen, ist gut auf Dreschflegel anwendbar. Denn die Dreschflegel-Gemeinschaft bildet den institutionellen Rahmen, den es benötigt, um Sortenvielfalt zu erhalten. Dieser Rahmen beinhaltet sowohl ein ausgearbeitetes Regelsystem als auch eine Gemeinschaft mit Werten und Normen. Diese Gemeinschaft bildet nicht nur die GbR, sondern auch der Verein Dreschflegel, der als gemeinnützige Organisation den Erhalt der Sortenvielfalt unterstützt. Die empirische Untersuchung zeigte ein detailreiches Bild der Dreschflegel-Gemeinschaft, das sowohl Aspekte von Ostroms als auch Bolliers Theorie wiedergab. In beiden Theorien ist es wichtig, das Saatgut in seine physische Gestalt und die genetischen Ressourcen, die es in sich trägt, zu unterteilen. Denn während das Saatgut weiterhin von Dreschflegel die klassischen Eigentumsrechte zugesprochen bekommt, werden die genetischen Ressourcen als Gemeineigentum oder globales Commons behandelt. Die Arbeit zeigt auf, wie Commons-Strukturen genutzt werden können, um Sortenvielfalt zu erhalten. Dreschflegel bietet ein interessantes Konzept, das das oft thematisierte Problem der Finanzierung von Commons (z.B. Erhalt von Erbgut) im Saatgutsektor auf seine eigene Weise gelöst hat. Während insbesondere New Commons-Theorien zumeist Commons jenseits des Marktgeschehens und als Gegenmodell zum Kapitalismus einordnen, erscheint Dreschflegel als Hybrid. Das Unternehmen nutzt den Markt gleichzeitig zur Finanzierung der Tätigkeiten seiner Mitarbeiter_innen und zur Verbreitung von biologischem, nachbaufähigem Saatgut, das den Kund_innen eine Alternative zu herkömmlichem Saatgut bietet. Der Katalog dient zusätzlich dazu, Informationen über Samenbau und Sorten weiterzugeben.
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