Den Lernprozess beflügeln. Werkstattbericht der Swiss International Law School

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        Den Lernprozess beflügeln. Werkstattbericht der Swiss
                     International Law School
                                Ingeborg Schwenzer/Ulrike Kessler*

A. Hintergrund
Mehr als 35 Jahre hat die erstgenannte Autorin an Universitäten weltweit Rechts-
wissenschaft gelehrt. Dabei machte sie immer wieder die Erfahrung, wie unbefrie-
digend für Lernende und Lehrende die bloße Auseinandersetzung mit der juristi-
schen Dogmatik eines einzelnen Rechtssystems ist. Gleichwohl ist genau dies der
Ansatz, der bis heute an praktisch allen Universitäten verfolgt wird, sei es, dass
Studierende auf das erste deutsche Staatsexamen, ein Lizenziat, einen amerikani-
schen J.D., oder einen Bachelor in Law vorbereitet werden. Mit einem eigenen
Hintergrund sowohl im Civil Law als auch im Common Law verfolgte die erstge-
nannte Autorin deshalb nicht nur in ihrer eigenen Forschung, sondern auch in der
Lehre, sofern vorhandene Curricula hierfür Spielraum gewährten, einen rechtsver-
gleichenden Ansatz. Hinzu traten immer mehr innovative Lehrformate, die die
Teilnehmer derart zu motivieren vermochten, dass sie, z.B. im Rahmen von Blocks-
eminaren oder bei der Vorbereitung auf internationale Wettbewerbe,1 oftmals hal-
be Nächte durchdiskutierten.
Wurde dieser Ansatz zunächst eher intuitiv praktiziert, so bedurfte es der kriti-
schen Befragung durch die zweitgenannte Autorin mit ihrem hochschuldidakti-
schen Hintergrund, bis sich daraus allmählich ein ganz neues Konzept für die juris-
tische Ausbildung entwickelte. Eckpfeiler des Konzepts waren dabei ein genuin
rechtsvergleichender Ansatz, Praxisorientierung und Interkulturalität sowie die
konsequente Ausrichtung von Unterricht und Prüfungen an den angestrebten stu-
dentischen Lernergebnissen (Constructive Alignment).2
Schnell wurde dabei klar, dass wir dieses Konzept auch praktisch erproben woll-
ten. Dazu gründeten wir im Jahre 2014 die Stiftung Swiss International Law

 * Prof. Dr. iur. Ingeborg Schwenzer, LLM, Professorin emerita Universität Basel, Schweiz, Dean Swiss
   International Law School, www.ingeborgschwenzer.com; Ulrike Kessler, MSc, CEO and Educatio-
   nal Director, Swiss International Law School, www.swissintlawschool.org. Wir danken dem SiLS
   Stiftungsrat, dem SiLS Advisory Board, der gesamten SiLS Faculty, sowie allen Mitarbeitenden, die
   dieses gemeinnützige Projekt großzügig und unter Verzicht auf Honorar mit ihrem Wissen, ihrer
   kostbaren Zeit und ihrem unschätzbaren Feedback unterstützt haben. Ebenso danken wir den Verla-
   gen, die uns die benötigten juristischen Datenbanken für die Dauer des Projektes kostenlos zur Ver-
   fügung gestellt haben.
 1 Vor allem der jährlich in Wien und Hong Kong stattfindende Willem C. Vis International Commer-
   cial Arbitration Moot (https://vismoot.pace.edu/, bzw. www.cisgmoot.org/).
 2 Das inzwischen weltweit rezipierte hochschuldidaktische Konzept wurde von John Biggs und Cathe-
   rine Tang entwickelt. Es beruht auf einem konstruktivistischen Verständnis von Lernprozessen, siehe
   Biggs/Tang, Teaching for Quality Learning at University. Zur Rezeption in der deutschsprachigen
   Hochschuldidaktik siehe u.a. Handke, Handbuch Hochschullehre digital. Zur Rezeption in der Di-
   daktik der Rechtswissenschaft vgl. Schärtl, in: ZDRW 2016, S. 18 (32).

ZDRW 1/2018, DOI: 10.5771/2196-7261-2018-1-88
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School (SiLS), die im Herbst 2015 mit einem online LLM in International Com-
mercial Law and Dispute Resolution (60 ECTS) den Lehrbetrieb aufnahm.
Von vorneherein entschieden wir uns dafür, den Lehrgang komplett online durch-
zuführen. Einerseits wollten wir Studierende aller Kontinente ansprechen, die im
Bereich des internationalen Wirtschaftsrechts tätig sind oder sein möchten. Der Fo-
kus lag dabei nicht auf privilegierten Studierenden, die sich vielleicht eher für ein
LLM-Studium an einer renommierten US-amerikanischen Universität interessieren,
sondern vor allem auf solchen, die sich aufgrund ihrer beruflichen oder persönli-
chen Situation einen langen Auslandsaufenthalt nicht leisten können oder wollen.
Gleichzeitig machte der rechtsvergleichende Ansatz es unabdingbar, Lehrpersonen
aus der ganzen Welt für unser Projekt zu gewinnen. Beides wäre mit einem blended
learning-Ansatz oder im Präsenzunterricht nicht ohne weiteres möglich gewesen.

B. Rechtsvergleichung
Überall auf der Welt arbeiten Wissenschaftler interdisziplinär, im Austausch mit
der jeweiligen internationalen Fachwelt und in kulturell diversen Zusammenhän-
gen. Auch in der Rechtswissenschaft – jedenfalls so weit sie sich nicht damit be-
gnügt, das nationale Vorgärtchen zu hegen – gibt es diesen internationalen und in-
terdisziplinären Austausch. Dies gilt umso mehr, als die zunehmende wirtschaftli-
che Globalisierung erhebliche Auswirkungen auf die Rechtswissenschaft und -pra-
xis hat. In besonderem Maße gilt dies etwa für den Bereich des Handels- und Wirt-
schaftsrechtes. Aber auch im Familienrecht kommt man heute kaum mehr ohne
wenigstens elementare Kenntnisse ausländischen und internationalen Rechts aus.
Sicher wird es immer juristische Materien und Berufe geben, die weniger von Inter-
nationalisierung betroffen sind. Man kann aber davon ausgehen, dass ihre Zahl
und Bedeutung immer mehr abnehmen wird.3 Es ist daher an der Zeit, dass diese
Entwicklungen auch in der juristischen Ausbildung abgebildet werden.4
Auch aus der Sicht der Rechtsdidaktik ist Rechtsvergleichung ein erfolgverspre-
chender Ansatz, vermag er doch in besonderem Maße die Neugierde und das Inter-
esse der Studierenden an der Auseinandersetzung mit juristischen Fragen zu we-
cken, wenn etwa unterschiedliche Lösungsansätze für Sachfragen, die sich überall
auf der Welt in ähnlicher Weise stellen, betrachtet und verglichen werden. Für die
Lehrenden ist ein solcher Ansatz jedoch wesentlich anspruchsvoller als lediglich
nationales Recht zu unterrichten, verlangt er doch einen rechtsvergleichenden
Überblick und eine Vertrautheit mit verschiedenen Rechtssystemen, den der oder
die einzelne – zumindest derzeit noch – lediglich in einem klar umgrenzten Bereich
haben wird. Aus dieser Beschränkung heraus ergeben sich weitreichende Konse-
quenzen für die Anforderungen an den Lehrkörper und die Art der Stoffvermitt-
lung.

 3 Wissenschaftsrat, S. 5.
 4 Wissenschaftsrat, S. 8-9, S. 24 ff.

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C. Innovatives Lehrformat
Im Rahmen des SiLS LLM haben wir für die mit genuiner Rechtsvergleichung ver-
bundene Herausforderung an die Lehrenden ein passendes Lehrformat gefunden.
Der SiLS LLM besteht aus vier Modulen (jeweils 15 ECTS): Sales and Transport
Law, Corporate Law, Intellectual Property Law und Dispute Resolution, und –
zum Ausgleich unterschiedlicher Vorerfahrungen auf Seiten der Studierenden – vier
obligatorischen Selbstlerneinheiten, so genannten Tutorials. Für die Konzeption
der vier Module konnten wir Persönlichkeiten als so genannte „Module Leaders“
gewinnen, die im entsprechenden Bereich weltweit führend und global vernetzt
sind. Aufgrund vielfältiger anderer Verpflichtungen standen die Module Leaders je-
doch nicht (oder allenfalls begrenzt) für den Unterricht bei uns zur Verfügung.
Gleichzeitig wollten wir jedoch eine engmaschige Betreuung der Studierenden si-
cherstellen, und nicht etwa einfach stundenlange Vorlesungen abfilmen und ins
Netz stellen.5
Wir haben daher die Module Leaders nicht nur gebeten, ihr rechtsvergleichendes
Fachwissen schriftlich zur Verfügung zu stellen, sondern auch (in Zusammenarbeit
mit unserem Team) die intendierten Lehr- und Lernergebnisse für jede der zwanzig
Unterrichtswochen zu definieren und die entsprechenden Unterrichtsmaterialien
vorzubereiten. Zu Letzteren gehörten neben Quellenvorgaben vor allem auch die
Auswahl von international ausgewiesenen Spezialisten aus Wissenschaft und Pra-
xis, die jeweils kurze (etwa 15-minütige) themenbezogene Videos zum Unterrichts-
material beisteuerten. Besonderes Gewicht wurde zudem auf die Formulierung von
Leitfragen für das Selbststudium sowie von oft interaktiven Lehr-Lernaktivitäten
zum jeweiligen Thema gelegt. Die Vorgaben der Module Leaders wurden anschlie-
ßend von unserem Team in das bewährte open source Learning Management Sys-
tem (LMS) Moodle umgesetzt und den Studierenden online zur Verfügung ge-
stellt.6
Auf Basis dieses Kurses wurden die Studierenden während des Semesters online
und in kleinen Gruppen durch Course Leaders aus der ganzen Welt betreut. Für
die Betreuung konnten wir eine Reihe von jungen Professoren, senior lecturers und
lehrerfahrene Praktiker gewinnen, alle mit rechtsvergleichendem Hintergrund. Pro
Klasse wurden dabei jeweils zwei Lehrpersonen eingesetzt – eine mit einem civil
law, die andere mit einem common law Hintergrund, wodurch Rechtsvergleichung
im Unterricht unmittelbar erlebbar wurde. Idealerweise handelte es sich hier um je
eine Frau und einen Mann, um immer wieder auch Fragen zu Themen wie Inter-
kulturalität und Gender zu bearbeiten. Zusätzlich standen die Module Leaders den

 5 Dies scheint bis heute leider immer noch Standard (übrigens nicht nur) an deutschen juristischen Fa-
   kultäten zu sein, vgl. Sutter, in: ZDRW 2016, S. 44. Dabei bezeichnet Beurskens, in: ZDRW 2016,
   S. 1 (9) Vorlesungsaufzeichnungen treffend als „Placebo“.
 6 Für die Kommunikation innerhalb der Kleinklassen haben wir mit Skype auf eine ebenso kostenlose
   wie bewährte und allseits bekannte Technologie zurückgegriffen. Auf die Video-Funktion musste da-
   bei leider weitgehend verzichtet werden.

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Studierenden im Rahmen von zwei live chats pro Semester für Fragen und Antwor-
ten zur Verfügung. Nicht nur die Studierenden, sondern auch die Course Leaders
konnten so vom rechtsvergleichenden Überblick der Module Leaders profitieren.
In der Literatur wird E-Learning freilich immer wieder auch kritisch diskutiert,
wenn beispielsweise Vorlesungen und Materialien ohne didaktisches Konzept, In-
teraktion und Verbindlichkeit ins Netz gestellt werden. In solchen Programmen
werden Studierende mit ihren Fragen allein gelassen, und es kommt zu Studienab-
brüchen.7
Wir haben deshalb den Unterricht sorgfältig strukturiert und das Programm kon-
sequent an den angestrebten studentischen Lernergebnissen ausgerichtet.

D. Hochschuldidaktischer Ansatz
Völlig unabhängig von der Frage, ob man einen blended learning-Kurs, ein Prä-
senzstudium oder einen Online-Lehrgang konzipiert, sollte die allererste Frage da-
rauf abzielen, was die Studierenden am Ende des Lehrgangs können sollen. Da-
nach sollte man sich fragen, wie überprüft werden kann, ob die Studierenden die-
ses Ziel erreicht haben. Daraus ergeben sich die auf das Lernziel abgestimmten
Lehr-Lern-Aktivitäten.
Den hochschuldidaktischen Hintergrund für dieses Vorgehen bildet die sogenannte
Konstruktivistische Didaktik.8 Danach läuft der Ansatz, „Kenntnisse“ lediglich
durch „Unterricht“ vermitteln zu wollen, ins Leere, weil Wissen nicht passiv von
einem Kopf auf den anderen übertragen werden kann. Wissen will von Lernenden
erarbeitet werden. Es wird durch Handeln („aktiv“) in den Lernenden gebildet
(„konstruiert“), etwa indem konkrete Problemstellungen bearbeitet werden. Dabei
erwerben die Lernenden sowohl die benötigten Fertigkeiten („skills“) als auch
grundlegende Fähigkeiten („competences“).9
Im konkreten Fall haben wir uns bei der Konzeption des SiLS LLM gefragt, was
jemand können muss, der als „global lawyer“ im Bereich des internationalen Wirt-
schaftsrechts erfolgreich tätig sein will. Welche Fachkenntnisse, welche „skills“,
und welche „competences“ werden benötigt, um internationale Sachverhalte, wie
internationale Kaufverträge, internationale Merger oder Fragestellungen im Imma-
terialgüterrecht, zu verhandeln und zu gestalten?10

 7 Siehe z.B. Gortan/Jereb (2007).
 8 Zur Diskussion der wissenschaftstheoretischen Hintergründe siehe u.a. Biggs/Tang, Teaching for
   Quality Learning at University, S. 16 ff.
 9 Siehe z.B. Reis, in: Becker (Hrsg.), S. 108-127. Zum Kompetenzbegriff siehe auch Fabry, in: ZDRW
   2016, S. 136 (142 ff.).
10 Im Gegensatz zur Humanmedizin gibt es keinen verbindlichen „Nationalen Kompetenzbasierten
   Lernzielkatalog“ für die Rechtswissenschaft, so z.B. Fabry, in: ZDRW 2016, S. 136 ff.; Schärtl, in:
   ZDRW 2016, S. 252 ff., oder Sefkow, in: ZDRW, S. 258 ff. Zu Schlüsselqualifikationen im rechts-
   wissenschaftlichen Studium siehe jedoch z.B. Valentiner, in: ZDRW 2016, S. 152 ff.

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Eine Umfrage unter einer Reihe von Experten weltweit ergab – neben den umfas-
senden fachlichen Kenntnissen – folgende allgemeine Anforderungen an den „glo-
bal lawyer“: verhandlungssicheres Englisch, sowohl schriftlich als auch mündlich,
die Fähigkeit, in internationalen und interkulturellen Teams zu arbeiten, die Fähig-
keit zur Reflexion des eigenen Verhaltens sowie zuverlässiges, eigenständiges Ar-
beiten.
Um die Teamfähigkeit zu trainieren, arbeiteten unsere Studierenden interaktiv in
kleinen Klassen, nach transparenten, aber verbindlichen Regeln. Von ihren Kom-
militonen und den Course Leaders erhielten sie regelmäßig Feedback (formativ
und summativ). In allen Modulen haben wir großen Wert darauf gelegt, dass sich
die Klassen aus maximal 16 Studierenden unterschiedlicher Rechts- und Kultur-
kreise zusammensetzten. Auf diese Weise haben wir versucht, zur Reflexion des ei-
genen juristischen Weltbildes und zum aktiven Infragestellen kulturell bedingter
Wertvorstellungen anzuregen.
Gleichzeitig wurde von allen Studierenden erwartet, dass sie sich in den Modulen
selbstverantwortlich und aktiv auf die verbindlichen, wöchentlich stattfindenden
Online-Chats mit den Course Leaders vorbereiteten.11 Hierzu standen wöchentlich
die vorbereiteten Materialien und Leitfragen zur Verfügung. Diese bearbeiteten die
Studierenden unter der Woche alleine oder in kleinen Teams und lösten dabei klei-
nere praktische Aufgaben, lieferten beispielsweise Vertragsklauseln oder schriftli-
che Arbeiten ab. Für ihre Kommunikation nutzten sie unter der Woche ein Online-
Diskussionsforum, bis sie sich am Wochenende online mit den Course Leaders tra-
fen, um ihre Fragen abschließend zu klären.
Auch ganze Projekte haben wir online unterrichtet und geprüft. Moodle bietet sich
dafür an, verfügt es doch über eine ganze Reihe von geeigneten interaktiven Ele-
menten, wie beispielsweise separate Diskussionsforen für die einzelnen Arbeits-
gruppen.12 Im Modul Sales and Transport Law nutzten wir Letztere für Vertrags-
verhandlungen, die in kleinen Teams unter Supervision durchgespielt wurden. Als
Bestandteil ihres Prüfungsportfolios hatten die Studierenden dann schriftlich über
die Konsequenzen der verhandelten Klauseln für ihre jeweiligen Klienten zu reflek-
tieren.
Auch Lehr-Lernaktivitäten, bei denen die Studierenden schriftliche und mündliche
Leistungen erbringen, sind online durchführbar. Im Modul Dispute Resolution
mussten unsere Studierenden beispielsweise zeigen, dass sie schriftlich und münd-
lich die Sache ihres jeweiligen Klienten vertreten können. Sie luden dazu Videos
mit ihren Plädoyers hoch, die anschließend im Rahmen eines so genannten „Work-

11 Sogenanntes „flipped“ oder „inverted classroom“ Modell. Siehe u.a. Beurskens, in: ZDRW 2016,
   S. 1 (6 ff.) Schärtl, in: ZDRW 2016, S. 18 ff. diskutiert einen darüber noch hinausgehenden „enhan-
   ced inverted classroom“.
12 Auch proprietäre LMS, wie z.B. von Blackboard, bieten solche Funktionen an. Letztlich hängt die
   Entscheidung für ein LMS von den verfügbaren technischen und finanziellen Ressourcen ab.

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shop-Moduls“ in Moodle kommentiert und nach transparenten Kriterien bewertet
wurden.
Die Course Leaders wirkten dabei weniger als „Lehrende“ im klassischen Sinne,
sondern sie gaben Hilfestellung und Rückmeldung bei den Aufgaben und korrigier-
ten Schriftsätze nach transparenten Kriterien, die im Studierendenhandbuch kom-
muniziert wurden. Damit spielten sie eine wichtige Rolle für den individuellen
Lernprozess der Studierenden.13
Aber wie motiviert man Studierende, diese angebotenen Lehr- und Lernaktivitäten
auch für sich zu nutzen? Hier nutzten wir die Beobachtung, dass Studierende vor
allem lernen, was geprüft wird („assessment drives learning“). So haben wir gute
Erfahrungen mit Portfolio-Prüfungen gemacht, mit Hilfe derer die Studierenden
am Ende jedes Moduls demonstrieren konnten, ob, und wenn ja, in welcher Tiefe
sie die intendierten Lernziele des Moduls erreicht hatten.14
Ein solches Portfolio enthält ganz unterschiedliche sogenannte „items“. Das kön-
nen schriftliche Arbeiten sein, für die sie im Verlauf des Moduls von den Course
Leaders schon einmal Rückmeldung bekommen haben und die sie auf Basis dieser
Rückmeldung nun überarbeitet haben. Es kann aber auch ein Text sein, mit dem
sie ihre verhandelten Verträge oder ihr Lernen in diesem Modul reflektieren. In je-
dem Modul wird eine Auswahl von Beiträgen zum Diskussionsforum gefordert,
die die Studierenden ebenfalls noch einmal überarbeiten können. Ergänzt werden
diese „items“ mit gegenseitigen Bewertungen – unter anderem bewerten die Studie-
renden die Teamfähigkeit ihrer Mitstudierenden wie auch ihre eigene, und auch die
Auswertung der Videos von Studierenden fließen in das Portfolio mit ein.
Für die Bewertung all dieser items fanden wir es – gerade auch in Hinsicht auf die
kulturell sehr heterogene Zusammensetzung unserer Klassen – hilfreich, die Regeln
der Zusammenarbeit, unsere Erwartungen an die Studierenden sowie alle Lernziele
und Prüfungskriterien vorab transparent im Rahmen eines ausführlichen Handbu-
ches zu kommunizieren.

E. Erfahrungen
Die Erfahrungen, die wir mit diesem Konzept im Rahmen von fünf Semestern ge-
winnen konnten, waren sehr ermutigend. Die Studierenden waren nicht nur begeis-
tert, es brach auch niemand den Kurs ab. Auch das Feedback der Lehrenden war
überwältigend, und alle Beteiligten sehen in einem derartigen Ansatz den Unter-
richt der Zukunft.
Freilich kann nicht verschwiegen werden, dass die praktische Umsetzung eines sol-
chen Konzeptes in größerem Maßstab mit einigem Aufwand verbunden ist. Nicht

13 Biggs/Tang, Teaching for Quality Learning at University, S. 34 ff. Siehe auch Schärtl, in: ZDRW
   2016, S. 18 (31), oder Sutter, in: ZDRW 2016, S. 44 (59).
14 Biggs/Tang, Teaching for Quality Learning at University, S. 103 („Assessment portfolio as a learning
   tool“), S. 254 ff.

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nur der Aufbau und Unterhalt der entsprechenden technischen Infrastruktur,15
sondern auch die nationalen und institutionellen Rahmenbedingungen müssen pas-
sen. Wer auf standardisierte Examina vorbereiten muss, kann sich den „Luxus“
einer Portfolioprüfung wohl eher nicht erlauben – sehr zum Nachteil studentischen
Lernens, wie wir meinen, da Prüfungen, deren Kriterien transparent kommuniziert
werden und an den erwarteten Lernergebnissen ausgerichtet sind, unseren Erfah-
rungen nach den Lernprozess sehr beflügeln können.
Als kleines „start up“ hatten wir hier natürlich alle Freiheiten. Was für uns ein
echtes Problem darstellte, war das Marketing, das entsprechend unserer Zielgrup-
pe vor allem global und online erfolgen musste. Dies erwies sich als ungemein auf-
wändig und teuer. Aufgrund der fehlenden personellen Ressourcen und insgesamt
zu geringer Teilnehmerzahlen konnte darüber hinaus eine systematische Begleitfor-
schung dieses Projekts leider nicht geleistet werden.

F. Zukunft
Wir haben uns daher relativ rasch entschieden, die Trägerschaft des Projektes an
eine international renommierte Universität abzugeben. Dabei zeigte sich, dass un-
ser Konzept für Universitäten nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch
in den USA und Asien (noch) zu innovativ war. Waren die angesprochenen Kolle-
ginnen und Kollegen durchwegs begeistert von unserem Konzept, scheiterte eine
Kooperation regelmäßig an institutionellen Hürden.16 Wir schätzen uns jedoch
glücklich, dass mit der Bond University, Gold Coast, Australia, die führende juris-
tische Fakultät in Australien für unser Projekt offen war und es per 2018 ohne Ab-
striche als Bestandteil ihres LLM Studienganges übernommen hat.17 Beide Auto-
rinnen, wie auch die Module und Course Leaders bleiben eingebunden und werden
das Projekt auch weiter fortentwickeln.
Angedacht ist – neben der noch ausstehenden Begleitforschung – beispielsweise die
Entwicklung weiterer Module sowie eines globalen Bachelors. Ein solcher Studien-
gang könnte insbesondere der Ausbildung von Studierenden in Entwicklungs- und
Schwellenländern dienen, die nach dreijähriger rechtsvergleichender Ausbildung in
den Grundfächern ohne weiteres in der Lage wären, darauf die Besonderheiten
ihres jeweiligen nationalen Rechtes innerhalb kürzester Zeit aufzubauen.
Es war auf jeden Fall eine interessante Zeit bisher – wir sind gespannt, wohin uns
die Reise in den nächsten Jahren noch führen wird.

15 Für die Zwecke unseres kleinen Projektes genügte ein shared webhosting service, wie er von Dienst-
   leistern im Internet angeboten wird. Ein besonderes Augenmerk sollte bei solchen Lösungen dem
   Datenschutz gelten.
16 So forderte beispielsweise ausgerechnet die Abteilung für Qualitätsmanagement an einer dieser Uni-
   versitäten statt der oben beschriebenen, an den intendierten Lernzielen ausgerichteten Portfolioprü-
   fung zwingend eine herkömmliche (also nicht an den Zielen der Ausbildung ausgerichtete) Master-
   arbeit.
17 https://bond.edu.au/program/master-laws (09.04.2018).

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  modernen Rechtsunterrichts, in: ZDRW 2016, S. 18-43.
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   dung. Bericht zur Jahrestagung des Zentrums für rechtswissenschaftliche Fachdidaktik der Universität
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Sutter, Carolin, Zum Stand des digitalen Lehrens und Lernens in juristischen Studiengängen in Deutsch-
  land – Folgerungen für Hochschullehre und Hochschullehrende, in: ZDRW 2016, S. 44-70.
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                                     https://doi.org/10.5771/2196-7261-2018-1-88
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