Der Einfluss der Kriminologie auf die Strafgesetzgebung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
8 KriPoZ 1 | 2020 Der Einfluss der Kriminologie auf die Strafgesetzgebung von Prof. Dr. Jörg Kinzig* Abstract Nur unter Zuhilfenahme einer Lupe lässt sich die Krimi- Der Aufsatz, der auf dem Eröffnungsvortrag einer Tagung nologie im von Frau Bunke geleiteten Referat II A7 aus- des Kriminalpolitischen Kreises im Bundesjustizministe- machen. Jedoch ist auch in dem genannten Referat für die rium beruht, geht dem (fehlenden) Einfluss der Krimino- Kriminologie kein exklusiver Platz reserviert. Denn sie logie auf die Strafgesetzgebung nach. Eine Ursache dafür findet sich dort Seit an Seit mit weiteren Zuständigkeiten liegt in ungünstigen Rahmenbedingungen. Dazu gehört, der Referatsleiterin für das Sexualstrafrecht, die Straf- dass die notorische Strafrechtsskepsis der Kriminologie rechtliche Bekämpfung von Doping und die Statistiken heutzutage auf eine ungebrochene Strafrechtslust des Ge- der Strafrechtspflege. Sexualstrafrecht, Kriminologie, setzgebers trifft. Auch wenn diverse Formate existieren, Doping und Kriminalstatistiken: Was wohlwollende mit denen die Kriminologie an die kriminalpolitischen Ak- Stimmen als besonders gelungene Kombination aktueller teure herantreten kann, ist sie mit der Vermittlung ihrer Themen unter Einbeziehung empirischer Fragestellungen Erkenntnisse derzeit nicht besonders erfolgreich. Man feiern werden, mag böse Zungen eher an einen Gemischt- kann sich sogar des Eindrucks nicht erwehren, dass ein zu warenladen erinnern. Wie dem auch sei: Die Platzierung großes Maß an kriminologischer Expertise für den der Kriminologie unter II A 7 und ihre Positionierung Mainstream der Kriminalpolitik eher störend ist. Dessen quasi als Wurmfortsatz des Strafrechts geben bereits einen ungeachtet könnte eine wichtiger werdende Aufgabe der Fingerzeig darauf, dass es mit der Bedeutung der Krimi- Kriminologie in Zukunft darin liegen, dabei mitzuhelfen, nologie für die Strafgesetzgebung nicht zum Besten be- die Berechtigung eines moderaten Strafrechts einer brei- stellt sein könnte. teren Öffentlichkeit zu erklären. Wenn ich mit meinen Recherchen richtig liege, hatte die This paper is based on the opening address at the Crimi- Kriminologie noch vor einigen Jahren innerhalb des Mi- nal Policy Group Conference which took place at the Fe- nisteriums mindestens nominell, also sozusagen nach der deral Ministry of Justice. It explores the influence, or lack Papierform, einen ungleich größeren Stellenwert, als das thereof, of criminology on criminal legislation. One cause heute der Fall ist: Trug das früher von Herrn Dr. Blath for this lies in the unfavorable circumstances. This in- bekleidete Referat II A 8 noch den alleinigen Titel Krimi- cludes the fact that the notorious skepticism of criminol- nologie. ogy towards criminal law is nowadays met with an unbro- ken desire for punitive criminal law on the part of the leg- Stimmt dieser Befund, ist es davon nicht weit zur Assozi- islator. Even though various formats exist with which ation, dass damit nur in einem ministeriellen Rahmen der criminology can approach the actors in criminal policy, Bedeutungsverlust nachvollzogen wurde, den das Fach at present, it is not particularly successful in conveying its Kriminologie auch an vielen Rechtswissenschaftlichen insights. One cannot even avoid the impression that too Fakultäten erlitten hat und noch erleidet. Von dieser much criminological expertise is rather disturbing for the Schelte darf und muss ich meine Heimatuniversität Tübin- mainstream of criminal policy. Nevertheless, one task that gen jedoch ausdrücklich ausnehmen. Denn wir verfügen could become increasingly important in the future may be neben meiner ordentlichen Professur immerhin noch über to help explain the justification for a moderate criminal eine Stiftungs- und eine Juniorprofessur, die sich mit kri- law to a wider public. minologischen und kriminalpräventiven Fragestellungen beschäftigen. I. Einleitung Meine folgenden Überlegungen werde ich nach dieser Beginnen möchte ich mit einer Beobachtung, die derje- Einleitung (I) in fünf weitere Schritte (II bis VI) gliedern. nige machen kann, der sich das Organigramm des Bun- Zunächst möchte ich den – um es vorweg zu nehmen – desjustizministeriums anschaut und dort nach der Krimi- ungünstigen Rahmenbedingungen nachgehen, auf welche nologie sucht.1 Während sich das Strafrecht in der Abtei- die Kriminologie bei ihren Versuchen stößt, die Strafge- lung II mittig und damit sozusagen im Herz der Behörde setzgebung oder auch die Kriminalpolitik generell zu be- präsentiert, verläuft die Suche nach dem Platz der Krimi- einflussen. Danach werde ich kurz die verschiedenen For- nologie unter dem Schirm des Ministeriums deutlich müh- mate skizzieren, in denen Kriminologen und die in mei- samer. 1 * Prof. Dr. Jörg Kinzig ist Direktor des Instituts für Kriminologie und Der Organisationsplan findet sich auf der Homepage des Ministeri- Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie, Straf- und Sanktionen- ums unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/Mi- recht an der Eberhard Karls Universität in Tübingen. Der Beitrag nisterium/Organisationsplan/Organisationsplan_DE.pdf?__blob=p geht zurück auf einen Vortrag, den der Verfasser auf der Tagung des ublicationFile&v=97 (zuletzt abgerufen am 17.1.2020). KriK im BMJV im November letzten Jahres gehalten hat. Der Vor- tragsstil wurde beibehalten.
Kinzig – Der Einfluss der Kriminologie auf die Strafgesetzgebung KriPoZ 1 | 2020 9 nem Fach immer stärker vertretenen –innen sich an Ein- größer als anderswo. Das hängt wiederum mit dem hohen flussnahmen auf die Strafgesetzgebung versuchen kön- Emotionalisierungs- und Empörungspotential zusammen, nen. Den Einfluss der Kriminologie oder besser dessen das jedenfalls Straftaten gegen Leib oder Leben oder auch Fehlen möchte ich im Anschluss an einem konkreten Bei- besonders die Sexualdelikte mit sich bringen. Wer schon spiel verdeutlichen. Wenigstens aufwerfen will ich die einmal in einer Talkshow dem Vater oder der Mutter eines Frage, ob die Kriminologie und ihre Forschungsergeb- getöteten Kindes gegenübersaß, weiß, dass man ange- nisse vor dem Hintergrund gewandelter politischer Zeiten sichts eines für die betroffene Familie selbstverständlich nicht viel stärker als bisher als wichtige Ressource genutzt monströsen Ereignisses mit einem Plädoyer für eine rati- werden sollten. Schließlich werde ich versuchen, die bis onale, maßvolle Kriminalpolitik bei den Fernsehzuschau- dahin gewonnenen Einsichten in eine prägnante Zusam- ern kaum landen kann. Mehr noch: Eine wissenschaftliche menfassung einmünden zu lassen. Sicht der Dinge, die sich im Diskurs auf Einsichten und Erkenntnisse der Kriminologie beruft, läuft sogar vielfach II. Ungünstige Rahmenbedingungen Gefahr, unter Zynismus-Verdacht zu geraten. Ein durch und durch vermintes Gelände also. Die Bedingungen für die Kriminologie, auf die Strafge- setzgebung Einfluss zu nehmen, sind derzeit nicht beson- Ist die Kriminologie also ohnehin schon nur eine krimi- ders günstig. Dafür sind vor allem zwei Ursachen verant- nalpolitische Einflussgröße unter vielen, erscheinen den wortlich. sprichwörtlichen Wutbürgern die von ihr gelieferten Er- kenntnisse zudem häufig suspekt. Stellvertretend für eine 1. Kriminologie als nur eine unter vielen Einflussgrößen solche Einstellung möchte ich aus einem Brief zitieren, den ein sächsischer Bürger im Anschluss an eine von der Die erste Feststellung ist beinahe trivial. Dennoch lohnt Kollegin Hoven in Leipzig organisierte, öffentliche Dis- es, sich folgenden Umstand zu vergegenwärtigen. Auf die kussion über die richtige Ahndung von Kleinkriminalität Strafgesetzgebung wirkt eine Vielzahl von Faktoren ein. an mich gerichtet hat.7 Herr M. schreibt zu meinen in der Einige davon hat Heinz Schöch schon auf der Bonner Presse wiedergegebenen moderaten Ansichten: Strafrechtslehrertagung in seinem Vortrag zum Einfluss „Ebenso wie die damals Mächtigen (sc. gemeint ist die der Kriminologie auf die Sanktionsgesetzgebung im Jahr Zeit der DDR) ziehen Sie Ihre Schlussfolgerungen aus- 1979 aufgezählt.2 Darunter fallen „allgemeinpolitische schließlich aus Statistiken und bewerten diese aus Ihrer Strömungen“, aber auch ein etwaiger „ideengeschichtli- eigenen Sichtweise. Über den Wert von Statistiken, zumal cher Wandel“ sowie der „Zeitgeist“ und nicht zuletzt auch deren jeweiligen Basiseingangswerte zig-mal geändert „fiskalische Erwägungen“.3 worden sind, braucht man seit Winston Churchill wohl Hinzu kommt etwas, das Schöch das „Eigengewicht der nicht mehr zu streiten.“ Strafrechtspraxis“ nennt. Dahinter verbirgt sich die Er- kenntnis, dass die Justiz fast immer skeptisch auf Neue- Freilich hindert diese Statistikschelte Herrn M. nicht da- rungen zu reagieren scheint und die allgemeinen Behar- ran, sich ein paar Zeilen später ihm persönlich opportun rungskräfte auf unserem Spielfeld deutlich größer sein erscheinender Zahlen zu bedienen. Dazu führt er aus: dürften, als das auf anderen Gebieten der Fall ist. „Belegt ist aber, dass der Glaube an Recht und Gesetz in Sachsen im Zeitraum ab etwa 2005 bis 2018 von mehr als 40 Jahre nach Schöchs Vortrag lässt sich die Liste der Ein- 80% auf deutlich unter 50% gesunken ist, in manchen Re- flussfaktoren noch ein wenig ergänzen: So können medial gionen bewegt er sich knapp unter der 20%-Marke.“8 prominent diskutierte Ereignisse ein großes Gewicht be- sitzen: man denke nur an die „Kölner Silvesternacht“ und Diese Volatilität im Umgang mit statistischen Erkenntnis- ihre Bedeutung für die konkrete Ausgestaltung des Sexu- sen erschwert eine rationale Diskussion ganz erheblich. alstrafrechts.4 Dies gilt nicht nur für Massenerscheinun- gen, sondern auch für Einzelfälle, wie der Fall Böhmer- 2. Der fehlende Glauben der Kriminolog(inn)en an die mann5 und derjenige der Gießener Ärztin Hänel6, die Wirksamkeit des Strafrechts beide ausnahmsweise eine Eindämmung der Strafbarkeit zur Folge hatten, gezeigt haben. Wenn man sich die Gesetzgebung der letzten mittlerweile fast 50 Jahre in der Bundesrepublik anschaut, kommt man Auch scheint mir die Schubkraft, die ein nur gefühltes nicht um die Erkenntnis umhin, dass das Strafrecht auf Problem – ein vermeintlicher Anstieg der Kriminalität insgesamt oder auch nur von einem Teil derselben – ent- falten kann, im Bereich der Strafgesetzgebung ungleich 2 6 Schöch, ZStW 92 (1980), 143 ff.; dort unter III. (ab S. 156 ff.). Siehe dazu den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und 3 Zu „Kriminologische Befunde und kriminalpolitischer Entschei- SPD „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Information dungsprozess“ zuletzt etwa auch Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, über einen Schwangerschaftsabbruch“, BT-Drs. 19/7693. Rechts- 7. Aufl. (2017), § 3 Rn. 13 ff. technisch erfolgte die Einschränkung der Strafbarkeit durch Einfü- 4 Dazu etwa Hoven, KriPoZ 2018, 2 ff. gung eines neuen Absatzes 4 in § 219a StGB. 5 7 Siehe dazu den Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Zu der Diskussion siehe die Beiträge von Hoven, Strobl und Kinzig Gesetzes zur Reform der Straftaten gegen ausländische Staaten“, unter der Überschrift „Null Toleranz – Bagatellen bestrafen?“ in BT-Drs. 18/11243. Mit Wirkung zum 1.1.2018 wurde § 103 StGB, KriPoZ 2019, 206 ff. 8 der zuvor die „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländi- Wiedergabe der Originalzitate ungeachtet stilistischer Mängel. scher Staaten“ unter Strafe stellte, abgeschafft.
10 KriPoZ 1 | 2020 Expansion ausgerichtet ist.9 Die Fälle, in denen einzelne Dass ein Gesetzgebungsvorhaben durch eine kriminologi- Straftatbestände abgeschafft oder Sanktionsdrohungen sche Expertise begleitet oder noch besser: vorbereitet zurückgenommen worden sind, kann man an einer Hand wird, scheint mir eine absolute Ausnahme zu sein. Ge- abzählen. Als ein wichtiges relativ neues Feld, auf dem schieht das doch einmal, hat die Kriminologie auf diesem kriminologische Erkenntnisse zur Zurückdrängung des Weg vermutlich die größte Einflussmöglichkeit: jeden- Strafrechts beigetragen haben dürften, fällt mir eigentlich falls dann, wenn die entsprechende Problematik nicht im nur die Einführung des Täter-Opfer-Ausgleichs (TOA) parteipolitischen Feuer steht. ein, die aber nun auch schon einige Jahre zurückliegt.10 Ein Beispiel aus meiner bescheidenen eigenen Tätigkeit. Dass Kriminolog(inn)en zusammen mit dem Zeitgeist der Ende der 1990er Jahre trug sich die damalige sozialdemo- Einführung neuer Straftatbestände oder der Ausweitung kratische Justizministerin Herta Däubler-Gmelin mit dem von Sanktionen das Wort reden, ist jedoch ein vergleichs- Gedanken, die Berufung im Strafrecht abzuschaffen und weise seltenes Ereignis. Das hängt sicher damit zusam- konsequent auf nur eine einzige Rechtsmittelmöglichkeit men, dass den Vertreter(inn)en unserer Zunft in der Regel zu setzen. Wir haben dann in einer umfangreichen rechts- der Glaube daran fehlt, die Ausdehnung des Strafrechts vergleichend-rechtstatsächlichen Untersuchung am Max- führe zu einem gesellschaftlichen Mehrwert. Wobei: es ist Planck-Institut den Wert der Berufungsmöglichkeit vom nicht nur der Glaube. Vielmehr sind es handfeste und em- Amts- zum Landgericht herausgearbeitet.13 Tatsächlich pirisch fundierte Einsichten, die zur Folge haben, dass un- wurde das Vorhaben im Ministerium dann nicht weiter- sere Zunft dem Zuwachs an Straftatbeständen und einer verfolgt. Und ich lebe bis heute in dem festen Glauben, stärkeren Pönalisierung fast durchweg oder – soweit ich dass zu dieser aus meiner Sicht natürlich richtigen Ent- es überblicke – gar uni sono skeptisch gegenübertritt. scheidung auch unsere Studie beigetragen haben könnte. Wenn dem tatsächlich so war, dann vor allem deswegen, Als Belege für die Befunde, aus denen sich unsere Zu- weil die Rahmenbedingungen damals günstig waren, es e- rückhaltung gegenüber dem Strafrecht speist, kann ich an her um eine Eigeninitiative des Ministeriums ging und dieser Stelle nur drei Schlagworte nennen: die Selektivität Strafprozessrecht weniger stark emotionalisiert. der Strafverfolgung, die nicht gerade ermutigenden Rück- fallraten nach allen Formen des stationären Vollzugs so- Ein weiteres Format der Mitwirkung der Kriminologie ist wie unverändert große Schwierigkeiten, zu validen Krimi- eine Sachverständigentätigkeit im Rechtsausschuss. Wer nalprognosen aller Art zu gelangen.11 sich vor diesem Gremium ein paar Mal geäußert hat, wird vollkommen illusionslos. Das Ergebnis des Anhörungs- Bildlich gesprochen, stehen selbst wir Juristen-Krimino- verfahrens scheint fast immer festzustehen. Wer Glück log(inn)en mit unserem Wissen eigentlich fast immer auf hat, mag vielleicht noch Nuancen beeinflussen können. der falschen Seite.12 Nur hin und wieder beschleicht mich Nicht selten wird einem aber auch in entwaffnender Of- der Gedanke, dass wir für die Ministerialbürokratie gele- fenheit mitgeteilt, dass kriminologische Erkenntnisse das gentlich doch nützlich sind. Und zwar dann, wenn es gilt, eine seien, die Entscheidungskriterien der Rechtspolitik noch größere von der Rechtspolitik ventilierte Zumutun- aber ganz andere. gen in einem Gesetzgebungsverfahren abzuwehren. In diesem Fall kann einem – zumeist hinter vorgehaltener Kriminologie via Medien zu betreiben, ist eine weitere Hand – ein gewisser Zuspruch des zuständigen Gesetzge- Möglichkeit, einen gewissen Einfluss, wenn auch viel- bungsreferats zuteilwerden. Und man selbst kann den Ein- leicht nicht direkt auf die Gesetzgebung, dann zumindest druck gewinnen, dieses Mal dem Ministerium als eine Art auf die veröffentlichte Meinung auszuüben. Wie allge- Bremskraftverstärker gedient zu haben, um den kriminal- mein bekannt, wurde dieses Feld in der Vergangenheit vor politischen Zug auf seinem abschüssigen Weg wenigstens allem von Hannover aus bespielt. Hier ein richtiges Maß ein bisschen zu verlangsamen. zwischen angemessener Zurückhaltung und eigenem Pro- filierungsbedürfnis zu finden, ist nicht einfach. Folgende III. Formate der Einflussnahme Fragen können sich in diesem Zusammenhang stellen: Be- sitze ich zu der angesprochenen Thematik überhaupt über- Die Formate, mit denen die Kriminologie auf die Strafge- legenes kriminologisches Wissen? Passe ich mit meiner setzgebung Einfluss nehmen kann, sind unterschiedlich Antwort in die Stoßrichtung des angestrebten journalisti- und direkter oder indirekter Art. schen Beitrags? Kann ich die unter Umständen komplexe Antwort einer breiten Öffentlichkeit vermitteln? Und das 9 11 Kubiciel und Weigend, KriPoZ 2019, 35 sprechen von einer „Ten- Vgl. in ähnlicher Richtung: Kölbel, NK 2019, 249 (256 ff.) unter denz zur (quantitativen) Expansion und (qualitativen) Entgrenzung dem einprägsamen Titel „Die dunkle Seite des Strafrechts“. 12 des Strafrechts“. Noch pointierter der Titel eines Beitrags von Ai- „Whose Side Are We On?“ ist der Titel eines einflussreichen Textes chele/Renzikowski mit der Überschrift „Wollt ihr das totale Straf- von Howard S. Becker, Social Problems, 14(3), 239 ff. Der Aufsatz recht?“ in: FS Fischer, 2018, S. 491 ff. „Die Expansion des Straf- ist in deutscher Übersetzung erschienen im Sammelband von rechts“ lautet auch der Titel einer bereits im Jahr 2003 erschienenen Klimke/Legnaro (Hrsg.), Kriminologische Grundlagentexte, 2016. 13 Arbeit von Silva Sánchez. Becker/Kinzig (Hrsg.), Rechtsmittel im Strafrecht, 2000. 10 Zur rechtstatsächlichen Realität des TOA siehe Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Hrsg.)., Täter-Opfer-Aus- gleich in Deutschland. Auswertung der bundesweiten Täter-Opfer- Ausgleich-Statistik für die Jahrgänge 2015 und 2016, 1. Aufl. (2018).
Kinzig – Der Einfluss der Kriminologie auf die Strafgesetzgebung KriPoZ 1 | 2020 11 gegebenenfalls in 90 Sekunden? Will ich mir die Zeit da- IV. Ein konkretes Beispiel für nehmen? Und neuerdings auch: Bin ich bereit, mich möglicherweise eintretenden unangenehmen Reaktionen Ein konkretes Beispiel, an dem sich die häufig zu be- in Briefen, Mails und den sozialen Netzwerken auszuset- obachtende Ignoranz der Strafgesetzgebung für Erkennt- zen? Dessen ungeachtet twittert inzwischen eine wach- nisse der Kriminologie illustrieren lässt, liefert das „Ge- sende Zahl von Kriminolog(inn)en aller Generationen zu setz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungs- nicht nur kriminologischen Themen.14 möglichkeiten“ aus dem Jahr 2012.20 Diesen Gliederungspunkt abschließend möchte ich zwei Besagtes Normenkonvolut enthielt vor allem zwei Neue- kriminologische Beiträge nennen, die unzweifelhaft sinn- rungen: Zum einen die Einführung des sogenannten voll sind und die – wenn man nur wollte – auch einen Ein- Warnschussarrests, geregelt vor allem in § 16a JGG; zum fluss auf die Strafgesetzgebung haben könnten: den Peri- anderen die Ausweitung der Jugendstrafe bei Heranwach- odischen Sicherheitsbericht und die sogenannte Rückfall- senden, die wegen Mordes verurteilt werden, auf bis zu 15 statistik. Beide teilen jedoch ein gemeinsames Schicksal: Jahre in § 105 Abs. 3 S. 2 JGG. Vorangegangen war ein Sie stehen sowohl organisatorisch als auch finanziell bis- Gesetzentwurf der damaligen Regierungskoalition von her auf tönernen Füßen. CDU/CSU und FDP.21 Der Periodische Sicherheitsbericht wurde im Jahr 2001 Eingangs singt dieser Gesetzentwurf das hohe Lied der ins Leben gerufen. Danach ist er bis heute nur ein weiteres Empirie. Denn dort heißt es nach der Feststellung, dass die Mal, und zwar im Jahr 2006, erschienen.15 Periodisch Jugendkriminalität in den letzten Jahren insgesamt zu- kann man das nun wahrlich nicht nennen.16 rückgegangen sei: „Unabhängig von der Entwicklung der Jugendkriminalität insgesamt verlangt die damit verbun- Die Rückfallstatistik wurde unter dem Titel „Legalbewäh- dene Wirkungsorientierung der jugendkriminalrechtli- rung nach strafrechtlichen Sanktionen“ bisher immerhin chen Reaktionen und Sanktionen und auch des Jugend- drei Mal aufgelegt.17 Derzeit ist eine weitere Version in strafverfahrens eine beständige Überprüfung auf krimino- Vorbereitung. Selbige wird aber nicht mehr von der Bun- logischer und empirischer Grundlage, ob die gesetzlichen desrepublik, sondern unter Mühen von der Deutschen For- Regelungen im Hinblick auf die genannte Zielsetzung schungsgemeinschaft, der DFG, finanziert. Zukunft offen. noch ausreichend und angemessen sind.“22 Periodischer Sicherheitsbericht und Rückfallstatistik, dazu noch die ebenfalls eher schleppende Einführung ei- So weit, so gut. Dass sich die Kriminologie einstimmig ner regelmäßigen Bevölkerungsbefragung, eines Viktimi- gegen die Einführung des Warnschussarrestes ausgespro- sierungssurvey18: Betrachtet man das mangelnde Engage- chen hat, wird im Folgenden jedoch geflissentlich igno- ment und das fehlende Interesse, das die Rechtspolitik bis- riert: Als Kronzeugen für die getroffene gegenteilige Ent- her gegenüber einer Verstetigung dieser wichtigen Infor- scheidung beruft sich der Entwurf stattdessen auf die „Ju- mationsquellen an den Tag legt, kann einen schon der Ein- gendkriminalpolitik“ und auf „Teile(n) der jugendstraf- druck beschleichen, dass ein Übermaß an kriminologi- rechtlichen Praxis“. Sie hätten eine Erweiterung der ju- schen Erkenntnissen für den Gesetzgeber eher störend gendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten im Bereich wirkt. Oder wie sagte ein Ländervertreter vor kurzem der zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe, im Klartext ganz offen, als ich in Berlin einer von Frau Bunke sehr also die Einführung des Warnschussarrestes, gefordert.23 engagiert geleiteten Arbeitsgruppe zu den Inhalten eines Offensiver ging der Gesetzgeber die Kritik der Krimino- neuen Rechtspflegestatistikgesetzes beiwohnen durfte. logie an der zweiten damaligen Neuerung, der Heraufstu- Ich zitiere aus dem Gedächtnis sinngemäß: Bisher haben fung des Höchstmaßes der Jugendstrafe für Heranwach- wir doch die ganzen Jahre auch ohne diese zusätzlichen sende auf 15 Jahre, an. So heißt es im Gesetzentwurf: kriminalstatistischen Informationen Kriminalpolitik ge- „Die Frage, ob das geltende Höchstmaß der Jugendstrafe macht. Dann brauchen wir sie doch jetzt auch nicht.19 von zehn Jahren ausreicht, um auch dem Schuldgehalt schwerer Mordverbrechen gerecht zu werden, lässt sich nicht allein unter kriminologischen oder ähnlichen fach- lichen Gesichtspunkten beantworten. Es geht dabei auch 14 18 Nennen möchte ich nur meine Kolleg(inn)en Kirstin Drenkhahn, Der Deutsche Viktimisierungssurvey 2017 ist über die Website des Thomas Feltes und Henning Ernst Müller, die mit einer unterschied- Bundeskriminalamtes abrufbar: https://www.bka.de/DE/Aktu- lichen Zahl an Followern auf Twitter unterwegs sind. elleInformationen/StatistikenLagebilder/ViktimisierungssurveyDu 15 Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz, nkelfeldforschung/viktimisierungssurveyDunkelfeldforschung_nod Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht, 2006, im Internet abrufbar e.html (zuletzt abgerufen am 17.1.2020). 19 unter https://www.bmjv.de/DE/Service/Fachpublikationen/Zwei- Durchaus erhellend ist die Lektüre des Protokolls der Ersten Bera- ter_Periodischer_Sicherheitsbericht_doc.html (zuletzt abgerufen tung des von den Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, am 17.1.2020). Canan Bayram, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- 16 Bezeichnend ist auch, dass der Periodische Sicherheitsbericht im NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Parlament nicht diskutiert wurde. fortlaufenden Untersuchung der Kriminalitätslage und ergänzenden 17 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Legalbe- Auswertung der polizeilichen Kriminalitätsstatistik (Kriminalitäts- währung nach strafrechtlichen Sanktionen. Eine bundesweite Rück- statistikgesetz – KStatG), BT-Drs. 19/2000 in der 53. Sitzung vom falluntersuchung 2010 bis 2013 und 2004 bis 2013, 2016, im Inter- 28.9.2018, S. 5772 ff. 20 net abrufbar unter https://www.bmjv.de/DE/Service/Fachpublikati- Vom 4.9.2012, BGBl. I S. 1854. 21 onen/Rueckfallstatistik_doc.html (zuletzt abgerufen am 17.1.2020). BT-Drs. 17/9389. 22 BT-Drs. 17/9389, S. 7. 23 BT-Drs. 17/9389, S. 7.
12 KriPoZ 1 | 2020 um eine ethische und gesellschaftliche Wertung, die der gegen die Annahme, dass der Warnschussarrest rückfall- Gesetzgeber als Grundentscheidung zu treffen hat und verhindernde Wirkung haben könnte.“27 hinter der gegebenenfalls kriminologische Bedenken zu- rücktreten müssen.“24 Erhebliche regionale Unterschiede – keine klare Ziel- gruppe – keine verbesserte Legalbewährung: Allen wis- Wie diese „ethische und gesellschaftliche Wertung“ ge- senschaftlichen Unkenrufen zum Trotz: der Warn- nau auszusehen hat, ob sie überhaupt im Gegensatz zu den schussarrest lebt! Erkenntnissen der Kriminologie steht, und warum gerade bei der Erhöhung der Jugendstrafe für Heranwachsende V. Bedeutung der Kriminologie in bewegten Zeiten „kriminologische Bedenken“ vernachlässigt werden kön- nen und nicht entscheidend ins Gewicht fallen, wird je- Die kriminalpolitischen Zeiten werden rauer. Das erkennt doch nicht weiter erörtert. man unter anderem daran, dass neuerdings Rechtspopulis- ten, namentlich die AFD, beginnen, bestenfalls als eigen- Im Folgenden bewahrheitete sich eine alte kriminalpoliti- artig zu apostrophierende Gesetzentwürfe im Bundestag sche Weisheit: Gelangen ein Straftatbestand oder eine vorzulegen. neue Sanktion erst einmal in das Gesetz, ist es jedenfalls in der heutigen Zeit kaum mehr möglich, derartige dubi- Ein Beispiel ist der Gesetzentwurf der Fraktion der AfD ose Neuerungen wieder loszuwerden. mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Strafschärfung bei Rückfall“.28 Zur Begründung der Einführung einer So liegen mittlerweile zum Warnschussarrest zwei empi- drastisch verschärften Rückfallvorschrift nach § 48 StGB rische Untersuchungen vor, die dieser neuen Sanktion ein bedient sich der Entwurf Ergebnissen der bereits genann- denkbar schlechtes Zeugnis ausstellen.25 Klatt und andere ten Rückfallstatistik. Die zutreffende Erkenntnis, dass mit kommen in einer am Kriminologischen Forschungsinsti- der Vorstrafenbelastung die Rückfallrate zunimmt, nimmt tut Niedersachsen (KFN) durchgeführten und – das soll diese Fraktion allerdings nicht zum Anlass, über Verbes- gesondert hervorgehoben werden – verdienstvollerweise serungen des Strafvollzuges nachzudenken. Stattdessen vom BMJV in Auftrag gegebenen Evaluation dieses neu- fordert sie eine pauschale Verschärfung der Strafe nach artigen Instruments zu folgendem in meinen Ohren ver- dem Vorbild der us-amerikanischen „three strikes and you nichtenden Resultat: „Wollte man radikal verfassungs- are out“-Regelung.29 rechtlich-rechtsstaatlich argumentieren, läge die Forde- rung nach Abschaffung der mit § 16a JGG neu eingeführ- Nur am Rande sei in diesem Zusammenhang erwähnt, ten Sanktion nahe. Ein mehr an Freiheitsentzug bedarf dass sich die Begründung des Gesetzentwurfs mit der Fi- starker Gründe, die die bisher verfügbaren Daten nicht gur des „besonders sozialschädlichen Gewohnheitsver- liefern. Die erheblichen regionalen Unterschiede bei der brecher(s)“ einer nationalsozialistischen Terminologie Anwendung des § 16a JGG lassen sich kaum begründen, bedient.30 eine klare Zielgruppe ist nicht erkennbar und es kann je- denfalls bisher kein Nachweis signifikant verbesserter Le- Davon abgesehen, kann ein Mindestmaß kriminologi- galbewährungseffekte geführt werden.“26 scher Basiskenntnisse zu einer adäquaten Antwort auf die- sen überaus fragwürdigen parlamentarischen Vorstoß bei- Und Ursula Gernbeck zieht in ihrer Dissertation nach ei- tragen.31 Dann könnte man etwa replizieren32, dass sich ner Auswertung speziell der Praxis des Warnschussarres- aus der Rückfallstatistik ergibt, dass die zu einer freiheits- tes in Baden-Württemberg folgende Schlüsse: „Die Rege- entziehenden Sanktion ohne Bewährung Verurteilten ein lung ist verfassungskonform und mit dem Rechtsfolgen- höheres Rückfallrisiko aufweisen als diejenigen mit mil- system des JGG in seiner derzeit existierenden Form ver- deren ambulanten Sanktionen;33 dass die Gefangenenrate einbar. Allerdings ist die Sinnhaftigkeit des Warn- in den USA zuletzt 655 Gefangene pro 100.000 Einwoh- schussarrests unter kriminalitätstheoretischen Aspekten ner betrug und damit achteinhalb Mal so hoch wie in der zweifelhaft. Auch internationale Befunde sprechen eher 24 29 BT-Drs. 17/9389, S. 8. So betont in der Rede des AFD-Abgeordneten Tobias Matthias Pe- 25 Positiver freilich Kubink/Springub, Der „Warnschussarrest“ – oder terka bei der Einbringung des Gesetzentwurfs am 14.12.2018, vgl. wie man einen „Untoten“ wiederbelebt, 2019. Dort (S. 67) wird dem das Plenarprotokoll der 72. Sitzung des Deutschen Bundestags, Warnschussarrest zwar attestiert, keine „Wunderwaffe“ zu sein, S. 8501 ff. 30 aber das Potenzial (!) zu haben, „zur Befriedung der ein oder ande- Mit Wirkung zum 1.1.1934 erließen die Nationalsozialisten das Ge- ren kriminalrechtlichen Problematik beizutragen.“ setz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln 26 Klatt/Ernst/Höynck u.a., Evaluation des neu eingeführten Jugendar- der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933 (RGBl. I, S. 1000). restes neben zur Bewährung ausgesetzter Jugendstrafe (§ 16a JGG), In einem neuen § 20a RStGB wurden eine Strafschärfung für „ge- 2016, S. 217. Redlicherweise soll an dieser Stelle nicht verschwie- fährliche Gewohnheitsverbrecher“ und in § 42e RStGB die Maßre- gen werden, dass dem Zitat noch zwei die Fundamentalkritik ein- gel der Sicherungsverwahrung eingeführt. 31 bettende Sätze vorangehen. Sie lauten: „In der Zusammenschau Vgl. auch Hestermann/Hoven, KriPoZ 2019, 127 ff. 32 zeigt sich, dass sich weder die Befürchtungen der Kritiker/innen der Vgl. dazu auch die Kolumne von Thomas Fischer mit dem Titel Einführung des § 16a JGG noch die Hoffnungen der Befürworter/in- „Ein gartenzwergischer Straf-Orgasmus“ vom 15.3.2019, abrufbar nen in besonders großem Maße realisiert haben. Wie man das be- unter https://www.spiegel.de/panorama/justiz/strafrecht-rueckfa- werten möchte, ist vor allem eine rechtspolitische Frage.“ elle-und-gewohnheitstaeter-kolumne-a-1257312.html (zuletzt ab- 27 Gernbeck, Stationäres soziales Training im (Warnschuss-)Arrest. gerufen am 17.1.2020). 33 Implementation und Evaluation eines Modellprojekts in Baden- Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, a.a.O., Württemberg, 2017, S. 414. S. 15. Dass dafür auch Selektionseffekte verantwortlich sind, soll 28 BT-Drs. 19/6371. nicht verschwiegen werden.
Kinzig – Der Einfluss der Kriminologie auf die Strafgesetzgebung KriPoZ 1 | 2020 13 Bundesrepublik (derzeit 77) lag34, ohne dass man den Ein- 3. Wichtige kriminalpolitische Erkenntnisquellen, wie druck hätte, in den USA würde es sich sicherer leben als den Periodischen Sicherheitsbericht, die Rückfallstatistik hierzulande und dass selbst Donald Trump mittlerweile oder den Viktimisierungssurvey, zu verstetigen, erscheint eine unterschiedslos auf Rückfallverschärfung setzende schwierig bis unmöglich. Dieser Befund nährt den Ver- Kriminalpolitik aufgegeben hat.35 dacht, dass ein zu großes Maß an kriminologischer Exper- tise nicht gewünscht, ja sogar störend ist. Dass auch harte kriminologische Fakten geflissentlich ig- noriert werden können, steht auf einem anderen Blatt. 4. Das Beharrungsvermögen von Straftatbeständen und Aber vielleicht können sie doch einen Beitrag dazu leis- Sanktionen ist enorm. Eine Beseitigung einer uner- ten, allzu herbe kriminalpolitische Zumutungen niveau- wünschten Strafrechtsnorm kann derzeit allenfalls im voll und wissensbasiert abzuwehren. Weg einer Skandalisierung gelingen. VI. Zusammenfassung 5. Das bisher bei uns geltende moderate Strafrecht bedarf einer beständigen Erklärung. Hierbei mitzuhelfen, könnte Ich fasse zusammen: in Zukunft eine wichtige Aufgabe der Kriminologie wer- den.37 1. Die Rahmenbedingungen, unter denen die Kriminolo- gie versuchen kann, auf die Strafgesetzgebung Einfluss zu Nachtrag: Da war doch noch was. Der Koalitionsvertrag nehmen, sind denkbar ungünstig. Zum einen ist die Kri- zwischen CDU/CSU und SPD vom Februar 2018. Dort le- minologie nur einer unter zahlreichen auf die Kriminalpo- sen wir auf Seite 135 unter anderem: „Wir treten für eine litik einwirkenden Faktoren, zumal in einem stark emoti- evidenzbasierte Kriminalpolitik ein. Wir wollen, dass kri- onalisierten Umfeld. Zum anderen verträgt sich die noto- minologische Evidenzen sowohl bei der Erarbeitung von rische Strafrechtsskepsis der Kriminologie nur schwer mit Gesetzentwürfen als auch bei deren Evaluation berück- der Strafrechtslust des Gesetzgebers. sichtigt werden.“38 2. Es existieren diverse Formate, mit denen sich die Kri- Nachdem die Große Koalition ja bisher so fleißig war, bin minologie an einem direkten oder indirekten Einfluss auf ich mir sicher, dass sie sich diese anspruchsvolle Aufgabe die Kriminalpolitik versuchen kann: von der Sachverstän- für die zweite Hälfte der Legislaturperiode fest vorgenom- digenanhörung bis zur Twitter-Botschaft. Sonderlich er- men hat. folgreich erscheinen sie insgesamt nicht.36 34 37 Siehe die Angaben im „World Prison Brief“ unter https://www.pri- Ein erster eigener bescheidener Versuch findet sich unter Kinzig, sonstudies.org/world-prison-brief-data, Stand: November 2019 (zu- Noch im Namen des Volkes? Über Verbrechen und Strafe, 2020. 38 letzt abgerufen am 17.1.2020). . Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutsch- 35 Vgl. etwa den Artikel „The First Step Act, explained“ unter land. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag https://www.vox.com/future-perfect/2018/12/18/18140973/state-of zwischen CDU, CSU und SPD, im Internet abrufbar unter -the-union-trump-first-step-act-criminal-justice-reform v. 5.2.2019 https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/koalitionsvertrag- (zuletzt abgerufen am 17.1.2020). zwischen-cdu-csu-und-spd-195906 (zuletzt abgerufen am 36 Vgl. auch Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, 7. Aufl. (2017), § 3 17.1.2020). Rn. 16.
Sie können auch lesen