16: Überwachung und Verfolgung - strafrecht ...

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16: Überwachung und Verfolgung - strafrecht ...
Vorlesung Kriminologie II
Wintersemester 2019/2020                                                 Prof. Dr. Roland Hefendehl & MitarbeiterInnen
Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg              Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht

                                      § 16: Überwachung und Verfolgung

I. Begriffe
Strafverfolgung: Staatliche Ermittlungen durch zuständige Strafverfolgungsbehörden mit dem Formalziel der
Aufklärung eines strafrechtlich relevanten Sachverhalts.
Strafverfolgungsbehördliche Überwachung: Wird hier weit verstanden als (heimliche) Maßnahmen auf der
Grundlage der StPO, die der Erlangung von Informationen zur Strafverfolgung dienen.

                                                                                                          § 16    KK 369
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II. Befunde
1. Allgemeines
Relevante Institutionen für die selektive Filterung von Geschehensabläufen sind: Polizei, Staatsanwaltschaf-
ten und Gerichte. Verbrechen und Vergehen insgesamt, ohne Straftaten im Straßenverkehr. Absolute Zahlen
und Relation zu der Zahl der im selben Jahr registrierten strafmündigen Tatverdächtigen. Deutschland 2017.

                                                                                                            § 16    KK 370
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Anlass der strafrechtlichen Verfolgung sind ganz überwiegend private Anzeigen (bei Allgemeiner Kriminalität
ca. 95 %). Entsprechend der Rolle der Polizei als bürgernahe Ansprechpartnerin werden somit auch über
80 % aller Verfahren von der Polizei eingeleitet, nur ca. 14 % von den Staats- und Amtsanwaltschaften.
                                Einleitungsbehörde bei Ermittlungsverfahren

                                                                                                           § 16    KK 371
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  ▪    Grundsätzlich sind Polizei und Staatsanwaltschaft verpflichtet, einem Anfangsverdacht nachzugehen
       (Legalitätsprinzip, § 152 Abs. 2 StPO) und umfassend (be- und entlastend) zu ermitteln (§ 160 Abs. 2
       StPO).
           Hierbei bestehen rechtstatsächlich jedoch erhebliche Beurteilungsspielräume, wodurch viele
             Faktoren Einfluss gewinnen können (z.B. allgemeine Einstellungen, Erfahrungen, institutionali-
             sierte Handlungsnormen).
           Ziel der Ermittlung ist die Aufklärung, die Abschlussentscheidung ermöglicht (z.B. hinreichender
             Tatverdacht für Anklage, Geringfügigkeit für Einstellung gem. § 153 StPO).
  ▪    Polizei und Staatsanwaltschaft haben Tendenz zur strafrechtlichen Überbewertung der Sachverhalte.
       Mögliche Gründe hierfür können sein: umfänglicher Ermittlungsauftrag, geringere Anforderungen an
       Beweisbarkeit, Pensen, Legitimationsbedarf für Überwachungsmaßnahmen.
  ▪    Die Staatsanwaltschaft ist gesetzlich als Herrin des Ermittlungsverfahrens vorgesehen (§§ 152 Abs. 1,
       160 Abs. 1 StPO) und hat Weisungsbefugnis gegenüber den Ermittlungspersonen (früher Hilfsbeamte)
       der Polizei (s. § 152 GVG).
           Rechtstatsächlich führt Polizei zumindest bei allgemeiner Kriminalität Ermittlungen überwiegend
             bis zum Abschluss und übergibt Akte erst dann der Staatsanwaltschaft. Etwa 80 % aller Ermitt-
             lungsverfahren werden von der Polizei selbstständig ermittelt, die Vorlage der Akten an die
             Staatsanwaltschaft erfolgt nach Abschluss der Ermittlungen (BMJ [Hrsg.], Das Verhältnis von Ge-

                                                                                                            § 16    KK 372
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               richt, Staatsanwaltschaft und Polizei im Ermittlungsverfahren, strafprozessuale Regeln und fakti-
               sche (Fehl-?)Entwicklungen, 2008, S. 82).
            Gründe sind vornehmlich die personale und sachliche Ausstattung, geringere kriminalistische
             Kenntnisse bei der Staatsanwaltschaft, Wissensvorsprung bei Polizei (z.B. Zugriffsrechte auf
             INPOL, EUROPOL).
  ▪    Tendenzen, die Strafverfolgung immer weiter vorzuverlagern
          geringere Anforderung an Anfangsverdacht
            verstärkte Einbeziehung auch unverdächtiger Personen
            enger Datenaustausch mit Gefahrenabwehrbehörden (Verfassungsschutz, Schutzpolizei)

                                                                                                                § 16    KK 373
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2. Überwachungsmaßnahmen
Stetiger Anstieg und Erweiterung der zugelassenen vor allem technischen Überwachungsmaßnahmen in der
StPO: z.B.
    ▪ 1877 – Beschlagnahme, Durchsuchung, Steckbrief
    ▪    1933 – körperliche Untersuchung und Eingriffe sowie erkennungsdienstliche Maßnahmen (Lichtbil-
         der, Fingerabdrücke)
    ▪    1968 – Telefonüberwachung (seitdem mindestens 11 gesetzliche Erweiterungen)
    ▪    1978 – Einrichtung von Kontrollstellen
    ▪    1986 – Netzfahndung; §§ 163d, 111 StPO
    ▪    1992 – Rasterfahndung, Abhören des nicht öffentlich gesprochenen Wortes, Einsatz technischer Mit-
         tel zu Observationszwecken, Einsatz eines Verdeckten Ermittlers
    ▪    1997 – DNA-Analyse
    ▪    1998 – sog. Großer Lauschangriff, DNA-Analyse-Datei
    ▪    2001 – Auskunft über Telekommunikationsverbindungsdaten
    ▪    2002 – IMSI-Catcher
    ▪    2005 – Entnahme von Körperzellen zur molekulargenetischen Untersuchung für künftige Strafverfah-
         ren, Kodifizierung der sog. DNA-Massentests

                                                                                                           § 16    KK 375
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    ▪    2015 – Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung (§ 113b TKG), nachdem das BVerfG die alte
         deutsche Regelung hierzu für verfassungswidrig erklärte
            Im September 2019 legte das BVerwG die neue Regelung zur Vorratsdatenspeicherung dem
             EuGH vor, der nun darüber zu entscheiden hat; parallel dazu sind zahlreiche Verfassungsbe-
             schwerden vor dem BVerfG anhängig
    ▪    2017 – Gesetzliche Normierung der Online-Durchsuchung in § 100b StPO (vgl. hierzu KK 389 f.) sowie
         Einführung der Quellen-Telekommunikationsüberwachung („Quellen-TKÜ“) in § 100a Abs. 1 S. 2, 3
         StGB (vgl. hierzu KK 377)
    ▪    2017 – DNA-Analyse hinsichtlich der Merkmale „Geschlecht“ und „Abstammung“ möglich (§ 81e
         StPO)
    ▪    23. Oktober 2019 – Bundeskabinett beschließt Gesetzentwurf zur erneuten StPO-Reform, u.a.:
         Erweiterung der DNA-Analyse auf die Haar-, Augen- und Hautfarbe sowie das Alter; mehr Befugnisse
         für die Telefonüberwachung bei Wohnungseinbruchsdiebstählen
Entsprechend ist auch die Nutzung der Maßnahmen stark angestiegen.

                                                                                                            § 16    KK 376
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a) Telekommunikationsüberwachung: §§ 100a, 100e StPO
    ▪ Voraussetzungen: Straftatenkatalog in § 100a Abs. 2 StPO mit Richtervorbehalt und Subsidiaritäts-
       klauseln
    ▪ Durchführung: betrifft Überwachung von Inhalts- und sonstigen Daten während des Telekommunika-
       tionsvorgangs (auch E-Mail, Internet). Auch Positionsdaten (GPS) von Mobiltelefonen sind abrufbar,
       so dass die Möglichkeit der Erstellung von Bewegungsprofilen besteht.
    ▪ Seit August 2017 ist nach § 100a Abs. 1 S. 2 StPO auch die sog. Quellen-Telekommunikationsüber-
       wachung (kurz: „Quellen-TKÜ“) zulässig. Mit dieser Maßnahme reagieren Gesetzgeber und Strafver-
       folgungsbehörden auf den zunehmenden Einsatz von Verschlüsselungstechnik in Messengern/bei
       Nachrichtendiensten. Aufgrund dieser Verschlüsselung ist es nicht mehr möglich, die Kommunikation
       auf ihrem Weg vom einen zum anderen Endgerät abzufangen. Vielmehr muss mit technischen Mit-
       teln in das Endgerät selbst (also in die Quelle) eingegriffen werden, um die Kommunikation abzufan-
       gen, bevor diese verschlüsselt oder nachdem diese entschlüsselt wird. Gespeicherte Kommunikati-
       onsdaten dürfen im Rahmen dieser „Quellen-TKÜ“ insoweit überwacht und aufgezeichnet werden,
       wie diese auch während des laufenden Übertragungsvorgangs im öffentlichen Kommunikationsnetz
       hätten überwacht und aufgezeichnet werden dürfen.

                                                                                                          § 16    KK 377
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    ▪    Empirisch ist ein extremer Anstieg der angeordneten Telekommunikationsüberwachungen festzustel-
         len. 2017 gab es 5.629 Anordnungen mit 18.651 Betroffenen (durchschnittlich 3,3 Betroffene pro
         TKÜ) (s. Grafik). Dies ist Ergebnis einer gesteigerten Überwachung durch Strafverfolgungsbehörden,
         da kein entsprechender Anstieg der überwachten Delikte vorliegt.
    ▪    Telekommunikationsüberwachung findet vorwiegend bei Rauschgiftdelikten statt (ca. 50 % der Tele-
         kommunikationsanordnungen). Zudem ist sie auch in Verfahren wegen Totschlags und Raubes rele-
         vant.
                             Entwicklung der Telekommunikationsüberwachung im Vergleich

                                                                                                              § 16    KK 378
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       ▪    Relevanz des Richtervorbehalts als Kontroll- bzw. Präventionsinstanz ist gering. Nach einer Studie
            wurden nur 0,4 % der Anträge auf Erlass eines Überwachungsbeschlusses abgelehnt, 90 % wie bean-
            tragt erlassen. Nach einer weiteren Studie wurden 92,3 % der von der Staatsanwaltschaft ausformu-
            lierten Anträge vom Gericht vollständig übernommen.

           Richterliche Entscheidung bei Antrag auf Erlass einer Anordnung gem. §§ 100a, 100b StPO (a.F.)

Quelle: Albrecht/Dorsch/Krüpe, Rechtswirklichkeit und Effizienz der Über-
wachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b, StPO und ande-                                           § 16    KK 379
rer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, 2003.
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    ▪    Mögliche Gründe sind: Informatorische Abhängigkeit des Richters von Staatsanwaltschaft, organisa-
         torisch-zeitliche und fachlichen Defizite.
    ▪    Der unmittelbare Erfolg der Telekommunikationsüberwachung ist – obwohl sie als eine der effizien-
         testen Maßnahmen gilt – begrenzt. Nach der Studie von Albrecht/Dorsch/Krüpe (hier abrufbar) führte
         die Telekommunikationsüberwachung in 60 % der untersuchten Verfahren zu irgendeinem Erfolg,
         während es in weiteren 40 % der Verfahren, in denen mindestens eine Telekommunikationsüberwa-
         chung angeordnet wurde, keine Erfolgshinweise gab.
             o Von den 60 % der Fälle mit Erfolgshinweisen entfallen lediglich 28 % auf „unmittelbare Erfol-
                 ge“. Darunter sind u.a. „Entlastungen“, „Selbstbelastungen“, „Aussagen Dritter wegen Kata-
                 logstraftat“, „Erweiterung des Tatvorwurfes“ und „Aufenthaltsortermittlung“ zu subsumieren.
             o Den größten Anteil der Fälle, in denen es Erfolgshinweise gab, machen mit 62 % die „mittelba-
                 ren Erkenntnisse“ aus. Hierunter fallen etwa „Hinweise auf Straftaten Dritter“, „Hinweise auf
                 neue Straftaten eines Beschuldigten“ und „mittelbare Ermittlungsansätze wegen einer Kata-
                 logstraftat bzw. sonstigen Straftat“.
             o Weitere 10 % machen sonstige Erfolge aus (z.B. Erkenntnisse über die Strukturen und Anlauf-
                 stellen von Tätergruppierungen, Termin- und Preisabsprachen etc.).
    ▪    Ca. 50 % aller Verfahren mit Telekommunikationsüberwachung werden eingestellt.
    ▪    Kosten für Telekommunikationsüberwachung sind sehr unterschiedlich und hängen stark vom Ver-
         lauf des Verfahrens ab. Festgestellt wurde Kosten zwischen 40,- und über 20.000,- Euro. Wesentlich
         höherer finanzieller Aufwand kann zudem durch Dolmetscherkosten entstehen.
                                                                                                             § 16    KK 380
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b) Akustische Wohnraumüberwachung: §§ 100c, 100e StPO
    ▪ Voraussetzungen: engerer Straftatenkatalog, Kammervorbehalt, Subsidiaritätsklauseln, Nichtanord-
       nung bzw. Abbruch bei Informationserlangung aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung.
    ▪ Durchführung: Zumeist Einsatz von versteckten Mikrofonen oder auch Resonanzwellen- Mikrofonen.
    ▪ Mit 48,2 % (laut Studie) ist Totschlag/Mord das häufigste Anlassdelikt, gefolgt von BtM-Delikten mit
       36,4 %.
    ▪ Die Anordnungshäufigkeit ist im Vergleich z.B. zur Telekommunikationsüberwachung sehr gering.
       (siehe Grafik auf folgender KK).

                                                                                                          § 16    KK 381
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                                 Anordnungshäufigkeit akustische Wohnraumüberwachung

                                                                                                             § 16    KK 382
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Aus einer am Freiburger Max-Planck-Institut im Auftrag des Bundesjustizministeriums entstandenen Studie
(Meyer-Wieck, Rechtswirklichkeit und Effizienz der akustischen Wohnraumüberwachung [„großer Lauschan-
griff“] nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO, 2004, hier abrufbar) ergeben sich die folgenden Befunde zur akusti-
schen Wohnraumüberwachung:
    ▪ Die Relevanz der erlangten Informationen für das Ermittlungsverfahren liegt bei ca. 50 %, ebenso wie
         die Einstellungsquote für Verfahren, in denen eine akustische Wohnraumüberwachung angeordnet
         wurde (a.a.O., S. 35, 334).
    ▪ 14 % der beantragten Anordnungen gem. § 100c StPO wurden von der Kammer nicht erlassen
         (a.a.O., S. 67).
    ▪ Durchschnittlich richteten sich die Verfahren, in denen eine akustische Wohnraumüberwachung an-
         geordnet wurde, gegen 4,4 Beschuldigte (a.a.O., S. 74). Von 321 direkt von den Maßnahmen be-
         troffenen Personen waren lediglich 210 Beschuldigte (a.a.O., S. 78 f.). Die anderen Betroffenen waren
         Partner, Mitbewohner oder Kinder. Personen, die die Wohnung nicht als ihre ansehen, sind hierbei
         nicht einberechnet.
    ▪ Akustische Wohnraumüberwachung ist zumeist verbunden mit hohem personellem und technischem
         Aufwand (a.a.O., S. 298).

                                                                                                             § 16    KK 383
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c) IMSI-Catcher: § 100i StPO
    ▪ Voraussetzungen: Richtervorbehalt, Voraussetzungen des § 100a StPO, Subsidiaritätsklauseln
    ▪    Durchführung: Innerhalb eines gewissen Radius simuliert der IMSI-Catcher eine Funkzelle, in der sich
         alle Mobiltelefone anmelden. Es wird die IMSI- (International Mobil Subscriber Identity) und IMEI-
         Nummer (International Mobile Equipment Identity) der SIM-Karten bzw. Mobiltelefone ermittelt.
         Dient häufig der Vorbereitung einer Maßnahme nach § 100a oder § 100g StPO, da hierfür Rufnum-
         mer oder Kennung erforderlich sind. Auch genauere Standortermittlung jedoch nur in bestimmtem
         Radius ist möglich.

                                                                                                             § 16    KK 384
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d) Telekommunikationsdatenabfrage
Bisher werden nur Bestandsdaten (vor allem Name, Anschrift, Rufnummer) dauerhaft (bis Vertragsende) ge-
speichert und können teilweise in einem automatisierten Verfahren gem. § 112 Abs. 2 TKG von Sicherheits-
behörden abgefragt werden. Hierfür gab es 2018 16 Mill. Ersuche bei der Bundesnetzagentur.

                                                                                                         § 16    KK 385
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e) Verkehrs- und Bestandsdatenabfrage: §§ 100g, 100j StPO
Über sogenannte Verkehrsdaten, die von Telekommunikationsdienstanbietern für ihre Zwecke gem. § 96
TKG erhoben werden dürfen, können die Strafverfolgungsbehörden nach § 100g Abs. 1 StPO Auskunft ver-
langen, über sog. Bestandsdaten, die von Telekommunikationsdienstanbietern im Rahmen des Vertragsver-
hältnisses gem. § 95 TKG erhoben werden dürfen, können die Strafverfolgungsbehörden nach § 100j Abs. 1
StPO Auskunft verlangen.
Verkehrsdaten sind Daten, die bei jedem Telekommunikationsvorgang erhoben, verarbeitet oder genutzt
werden (so die Legaldefinition in § 3 Nr. 30 TKG). Damit wird, vereinfacht gesagt, der „technische Rahmen“
eines konkreten Kommunikationsvorgangs erfasst, also die Adressaten (bzw. deren Rufnummern) und die
Dauer (vgl. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 29. Aufl. 2017 § 36 Rn. 29).
Bestandsdaten sind solche Daten, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendi-
gung eines Vertragsverhältnisses über Telekommunikationsdienste erhoben werden (so die Legaldefinition
in § 3 Nr. 3 TKG). Zu den Bestandsdaten zählt auch die bei der Internetnutzung zugeteilte (sog. „dynami-
sche“, weil immer wieder neue) IP-Adresse (§ 100j Abs. 2 i.V. m. § 113 Abs. 1 S. 3 TKG) (vgl. Roxin/Schü-
nemann, Strafverfahrensrecht, 29. Aufl. 2017 § 36 Rn. 29).
Die Voraussetzungen für die Auskunft über Bestandsdaten (erst seit Mitte 2013 in der StPO normiert) sind
relativ niedrig. Hier bedarf es zwar (außer bei Gefahr im Verzug) einer richterlichen Anordnung. Ansonsten
muss die Bestandsdatenauskunft lediglich „für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des
Aufenthaltsortes eines Beschuldigten erforderlich“ sein (§ 100j Abs. 1 S. 1 StPO).

                                                                                                          § 16    KK 386
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Die Voraussetzungen für die Erhebung von Verkehrsdaten (bei Beschuldigten) sind deutlich höher. Sie dür-
fen erst beim Vorliegen bestimmter Tatsachen erhoben werden dürfen, die den Verdacht einer Straftat von
auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung (§ 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 1) oder den Verdacht, dass eine Straftat mit-
                                                                                  tels Telekommunikation
                                                                                  begangen wurde (§ 100g
                                                                                  Abs. 1 S. 1 Nr. 2), begrün-
                                                                                  den. Zudem müssen die
                                                                                  Verkehrsdaten erforder-
                                                                                  lich sein, „um den Sach-
                                                                                  verhalt zu klären oder den
                                                                                  Aufenthaltsort des Be-
                                                                                  schuldigten zu ermitteln.“
                                                                                  (§ 100g Abs. 1 S. 1 a.E.)
                                                                                      Auch hier zeigt sich wie-
                                                                                      der, dass die richterliche
                                                                                      Kontrolle     weitgehend
                                                                                      leerläuft (zu möglichen
                                                                                      Gründen siehe KK 380).

                                                                                                             § 16    KK 387
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Besonders problematisch ist jedoch nicht die Erhebung von Verkehrsdaten bei Beschuldigten, sondern die
nach § 100g Abs. 2 StPO ebenso zulässige Auskunft über bereits (verdachtsunabhängig) gespeicherte Daten
durch die Telekommunikationsanbieter („Vorratsdaten“). Die Telekommunikationsanbieter wurden mit
§ 113a, 113b Abs. 1 TKG zur Speicherung von Verkehrsdaten für 10 Wochen und von Standortdaten für 4
Wochen verpflichtet. Auf diese Daten kann zur Zwecken der Strafverfolgung aufgrund einer besonders
schweren Straftat i.S.d. § 100g Abs. 2 S. 2 StPO (im Vergleich zu § 100a Abs. 2 StPO eingeschränkter Katalog)
zugegriffen werden. Es handelt sich hierbei um Straftaten, die der Bekämpfung des Terrorismus oder dem
Schutz höchstpersönlicher Rechtsgüter, v.a. Leib, Leben, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung, dienen.
Darüber hinaus sind auch besonders schwere Straftaten erfasst, bei denen nach kriminalistischer Erfahrung
die Vorratsdaten wertvolle Dienste leisten können (KK-StPO/Bruns, 8. Aufl. 2019, § 100g StPO Rn. 8).
Gespeichert werden bei der Vorratsdatenspeicherung zwar lediglich Verkehrsdaten, nicht die Kommunikati-
onsinhalte. Aber:
    ▪ Es besteht die Möglichkeit der Erstellung eines Bewegungsprofils anhand der Verkehrsdaten (gespei-
       chert werden auch die Funkzellen, in denen das Mobiltelefon registriert ist).
    ▪ Es können Rückschlüsse auf Gewohnheiten gezogen werden (Arbeitszeiten, Freizeiten).
    ▪ Die Verkehrsdaten liefern Informationen über den Freundeskreis/die Familie/die Personen, mit de-
       nen die betroffene Person in Kontakt steht.
    ▪ In Kombination mit anderen öffentlich zugänglichen Daten (z.B. aus sozialen Netzwerken) lassen sich
       Rückschlüsse auf das gesamte Leben einer Person ziehen.
                                                                                                            § 16    KK 388
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Derzeit ist die Speicherpflicht der Dienstanbieter faktisch jedoch ausgesetzt: Mit Beschluss vom 22.6.2017
hat das OVG Münster in einem Einzelfall im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Speicherpflicht der Te-
lekommunikationsdiensteanbieter für Verkehrsdaten nach § 113b Abs. 3 TKG ausgesetzt, weil diese mit eu-
ropäischem Recht unvereinbar sei (OVG Münster, 22.6.2017, Az. 13 B 238/17). Die Bundesnetzagentur hat
daraufhin am 29.6.2017 angekündigt, diese Pflicht bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsachever-
fahrens gegenüber allen verpflichteten Unternehmen vorerst nicht über Anordnungen oder sonstige Maß-
nahmen durchzusetzen.

                                                                                                          § 16    KK 389
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f) Online-Durchsuchung: § 100b StPO
Durchführung: Zugriff auf private Festplatten und Festplatten von Netzplattformen, z.B. mittels eines sog.
Trojaners über das Internet, um so Daten ausspähen zu können. Dabei werden im Gegensatz zur „Quellen-
TKÜ“ nicht nur Kommunikationsdaten, sondern sämtliche auf dem Gerät gespeicherten Informationen er-
fasst, wie etwa Kalendereinträge, Fotos etc. Entscheidender Unterschied zu einer offenen Durchsuchung
(welche auch bei elektronischen Speichermedien möglich ist, vgl. § 110 Abs. 3 StPO) ist die Heimlichkeit der
Maßnahme.
Erst seit Mitte 2017 ist die Online-Durchsuchung als strafprozessuale Maßnahme in § 100b StPO normiert
(durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom
17.8.2017). Darüber hinaus existieren mehrere Ermächtigungsgrundlagen im präventiven Bereich, etwa in
§ 49 BKAG oder in Polizeigesetzen der Länder (etwa in Bayern, vgl. Art. 45 BayPAG). Die Online-
Durchsuchung war politisch wie juristisch lange Zeit umstritten und ist es auch heute noch:
    ▪ Zunächst hatte das BVerfG 2008 eine damals in § 5 Abs. 2 Nr. 11 Verfassungsschutzgesetz NRW gere-
        gelte Form der Online-Durchsuchung für nichtig erklärt.
    ▪ Daraufhin fand eine Neuregelung in § 20k BKAG a.F. statt, die das BVerfG in seinem Urteil vom
        20.04.2016 (NJW 2016, 1781 ff.) für in Teilen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärte, da die
        Regelungen nicht den Anforderungen an den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ge-
        nügten. Die Norm durfte aber auf Beschluss des Gerichts bis zu einer Neuregelung, längstens bis zum
        30.06.2018, nach Maßgaben des BVerfG weiter angewendet werden.
                                                                                                            § 16    KK 390
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    ▪    Daraufhin wurde die Online-Durchsuchung in § 49 BKAG unter Beachtung der Anforderungen des
         BVerfG neu geregelt.
Auch gegen die neue Regelung des § 100b StPO sind aktuell mehrere Verfassungsbeschwerden vor dem
Bundesverfassungsgericht anhängig.
Einwände gegen die Online-Durchsuchung: Verletzung der Privatsphäre; Wohnung, dem Art. 10 GG (Brief-,
Post- und Fernmeldegeheimnis), sowie dem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integri-
tät informationstechnischer Systeme.

                                                                                                        § 16    KK 391
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3. Verfahrenserledigung durch die Staatsanwaltschaft
Die Staatsanwaltschaft hat großen Einfluss und damit zentrale Steuerungsfunktion bei der Strafverfolgung.
Die Mehrheit der Verfahren wird nicht zur Entscheidung an das Gericht weitergegeben. Größte Gruppen bei
den Erledigungen bilden die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO (28,4 %), Einstellung ohne Auflage (24,7 %),
Antrag auf Erlass eines Strafbefehls (10,9 %), Anklage vor dem Amtsgericht (8,4 %).

                                                                                                           § 16    KK 392
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Die Entwicklung ist geprägt von einer Reduzierung des Anteils der Anklagen (von 16,9 % Anklagequote im
Jahr 1993 zu 11,3 % 2018) und einer erheblichen Steigerung des Einstellungsanteils: So werden deutlich
mehr Delikte als noch vor 25 Jahren nach § 170 Abs. 2 StPO und sowie nach § 153 StPO (ohne Auflage) ein-
gestellt. Lediglich die Einstellung mit Auflage (vgl. § 153a StPO) erfreut sich sinkender Beliebtheit. Der Anteil
der Strafbefehlsanträge ist ebenso wie der Anteil der Anklagen gesunken. Insgesamt ist von einer
arbeitsökonomischen Veränderung auszugehen.

                                                                                                               § 16    KK 393
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Es ergeben sich deutliche Unterschiede im Bundesländervergleich. Während in Baden-Württemberg 2018
9,0 % der Erledigungen Anklagen waren und 23,1 % Anträge auf Erlass eines Strafbefehls, waren es in Bayern
11,8 % Anklagen und 19,0 % Anträge auf Erlass eines Strafbefehls. In Berlin ist zwar die Anklagequote mit
8,3 % mit Baden-Württemberg vergleichbar, hier werden jedoch gleichzeitig nur 11,6 % der Verfahren mit
einem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls erledigt. Das liegt an der hohen Quote von Einstellungen nach
§ 170 Abs. 2 StPO (mangels Tatverdacht) in Berlin (45,2 %).

Bedenken bestehen daher unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung.
                                                                                                          § 16    KK 394
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Literaturhinweis:
Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, 7. Aufl. 2017, § 27 (umfassend zur Tätigkeit der Staatsanwaltschaft und Poli-
zei).
Puschke, Die Kumulative Anordnung von Informationsbeschaffungsmaßnahmen im Rahmen der Strafverfol-
gung, 2006 (für einen Kurzüberblick über die wichtigsten heimlichen strafprozessualen Überwachungsmaß-
nahmen, siehe S. 28–47).
Hefendehl, Die Entfesselung des Strafverfahrens über Methoden der Nachrichtendienste – Bestandsaufnah-
me und Rückführungsversuch, GA 2011, 209–231.

                                                                                                             § 16    KK 395
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