Der Kreisel in Winterberg - Geschwindigkeit und Beschleunigung - Snowstorm Publishing ...

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Gliding 5(2021)25-29

Der Kreisel in Winterberg –
Geschwindigkeit und Beschleunigung

Matthias Scherge, Team Snowstorm, 76316 Malsch

Kurzfassung
Beim Bobfahren wirken Beschleunigungen in allen 3 Raumachsen. Darüber
hinaus kommt es zu Drehungen und Neigungen. Die Beschleunigungen senk-
recht zur Fahrtrichtung können dabei Werte von bis 4g annehmen, was sich
direkt auf die Reibung zwischen Eis und Kufe auswirkt. Eine indirekter Ein-
fluss auf die Reibung entsteht durch die Wirkung der Beschleunigungen in
und quer zur Fahrtrichtung. Die Beschleunigung in Fahrtrichtung ist hier-
bei eine Folge der wirkenden Querbeschleunigung, die maßgeblich von den
Lenkbewegungen abhängt.

Was wurde untersucht?                   die Lenkbewegung quer gestellt wird.
Wenn ein Bob die Bahn herunter              Es ist klar ersichtlich, dass
fährt, entstehen, ausgelöst durch       sich die Beschleunigungen in und
die Hangabtriebskraft, Beschleuni-      gegen die Fahrtrichtung auf die
gungen in und gegen die Fahrtrich-      Geschwindigkeit auswirken.      Nicht
tung sowie quer und senkrecht dazu.     so klar ersichtlich ist das für die
Die Beschleunigung senkrecht zur        Anteile in Vertikal- und Querrich-
Fahrtrichtung vereint die Wirkung       tung.     Vertikal zur Fahrtrichtung
der Gravitation und der Fliehkraft.     steigt mit zunehmender Beschleu-
Derartige Beschleunigungen können       nigung die Kraft, die die Kufe auf
das Vierfache der Erdbeschleuni-        und in das Eis drückt (Normalkraft
gung, d.h. Werte größer als 40 m/s2 ,   Fn ).    Sehr verbreitet ist immer
erreichen [1]. Die Querbeschleuni-      noch die Annahme, dass durch
gung resultiert maßgeblich aus den      Druckschmelzen der schmierende
Lenkbewegungen. In Fahrtrichtung        Wasserfilm entsteht. Diese Annahme
entsteht Beschleunigung beim An-        hat sich aber als falsch heraus-
schieben sowie durch Verzögerun-        gestellt. Realistischer ist die Theo-
gen, die durch das Lenken verur-        rie, dass die Wasserfilmbildung durch
sacht werden. Bei den Drehbewe-         Scherschmelzen, welches durch die
gungen spricht man in Fahrtrichtung     wirkende Reibleistungsdichte P verur-
von Nicken, quer zum Bob von Rollen     sacht wird, getrieben ist:
und senkrecht zum Bob von Gieren.                      μFn        Fr 
Während das Nicken durch die Bahn-                P=           =          (1)
neigung bestimmt ist, rollt der Bob                     Ar         Ar
in der Kurvenfahrt und giert, wenn er       Diese Gleichung enthält den Bruch
in Fahrtrichtung ausbricht oder durch   Fn / Ar , der die Dimension eines

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Drucks besitzt, aber durch das Rei-      Piloten entstehen. Die Beschleuni-
bungsgesetz μ = Fr / Fn in die Gle-      gungen treten auf, wenn der Bob auf
ichung gelangt.       μ ist der Rei-     der Geraden ausbricht oder in Kur-
bungskoeffizient, Ar die reale Kon-      ven, je nachdem, welche Fahrlinie der
taktfläche zwischen Kufe und Eis,        Bobpilot wählt. Je nach dem, wie eng
Fr die Reibungskraft und  die           die bevorzugt Kurvenlinie ist, desto
Geschwindigkeit. Die Kufe produziert     stärker ist die Beschleunigung nach
während der Fahrt also ihren eigenen     außen gerichtet.
Wasserfilm, der den nanometerdün-
nen Film, der sich auf der Eisober-
fläche sowieso befindet, verstärkt.      Wie wurde untersucht?
Die reale Kontaktfläche ist eine Funk-
                                   Beschleunigungsmessungen
tion des Elastizitätsmoduls sowie der
                                   Die Messungen erfolgten mit einem
Poissonzahl von Kufe und Eis und des
                                   Dreiachsbeschleunigungssensor von
Radius der Kufe. Weiterhin hängt   SwissTiming.    Zusätzlich zu den
sie von der Normalkraft ab.       Und
                                   Beschleunigungen    wurden    Roll-
hier wirken wieder Gravitation und winkel und Geschwindigkeit mit
Fliehkraft zusammen.               einer Abtastrate von 100 Hz er-
                                   fasst.   Mittels Radar wurde die
  Quer zum Bob wirken Beschleuni- Geschwindigkeitsmessung realisiert.
gungen, die durch den Eingriff des

                                                                                 Abb. 1: Beschleuni-
                                                                                 gungen und Neigun-
                                                                                 gen in Fahrtrichtung
                                                                                 (x-Richtung),   quer
                                                                                 (y-Richtung)   sowie
                                                                                 senkrecht dazu (z-
                                                                                 Richtung).

Datenauswertung                          Anstieg der Geschwindigkeit fol-
Für die Auswertung standen 143           gen einige Verringerungen als Reak-
Datensätze von Bobfahrten auf der        tion auf große Kurven, z.B. Omega,
Bahn in Winterberg mit oben genann-      Kreisel und Zielkurve. Die maximale
ten Parametern zu Verfügung. Die         Geschwindigkeit liegt bei knapp über
programmtechnische Umsetzung er-         130 km/h. Die Rollwinkel zeigen max-
folgte mit Python.                       imale Werte von größer 80 Grad. Auf-
                                         fallend sind die Doppelmaxima in den
Ergebnisse                               großen Kurven. Die Querbeschleuni-
Gesamtbild                               gungen sind mit dem Faktor 10 mul-
Die Gesamtdarstellung in Abb.            tipliziert, so dass die Maxima dieser
2 zeigt die Geschwindigkeit, die         Fahrt bei ca. 40 m/s2 liegen. Man
Querbeschleunigung und den Roll-         erkennt in dieser Darstellung keinen
winkel als Funktion der Fahrzeit. Nach   Zusammenhang zwischen Beschleu-
einem anfänglichen fast linearen         nigung und Geschwindigkeit.

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Abb. 2: Messdatener-
                                                                                  fassung auf der Bahn
                                                                                  in Winterberg.

Beschleunigungen                        und eine Darstellung beider Beschle-
Die Beschleunigung in und entgegen      unigungen in einem Diagramm resul-
der Fahrtrichtung sind eine Folge der   tiert in einer verschlungenen Kurven,
auftretenden Querbeschleunigungen.      wie sie in Bild 3 dargestellt sind.
Beide Größen sind somit gekoppelt

                                                                                  Abb. 3: Beschleuni-
                                                                                  gungen bei unter-
                                                                                  schiedlichen     Ge-
                                                                                  schwindigkeiten.

    Zusätzlich zu den Beschleuni-          Die Querbeschleunigungen vari-
gungen gibt die Abbildung die           ieren bei der schnelleren Fahrt zwis-
in diesen Läufen erreichte Maxi-        chen -8 m/s2 und 9 m/s2 und bei
malgeschwindigkeit an, die sich um      der langsameren Fahrt -4 m/s2 und
fast 4 km/h unterscheidet.        Die   6 m/s2 . Mittels Gradientenanalyse
Beschleunigungen in Fahrtrichtung       d /dy wurde der Grad der Ver-
spielen sich fast ausschließlich im     schlaufung analysiert.        Es konnte
negativen Bereich ab. Die positiven     belegt werden, dass während der
Werte widerspiegeln den Anschub.        langsameren Fahrt viel mehr Wechsel
Je größer der Anteil der Beschleuni-    in den Querbeschleunigungen auf-
gungen im negativen Bereich und je      traten, das Beschleunigungsknäuel
mehr Anteile bei größeren negativen     also deutlich verfitzter ist.
Werten auftreten, desto langsamer
ist der Bob, was man im rechten Bild    Analyse kritischer Stellen
gut erkennt. Im linken Bild liegt der   Als kritischer Bereich wurde der
Hauptteil der Beschleunigungen zwis-    Kreisel ausgewählt und für alle 143
chen 0 und -1 m/s2 , rechts dagegen     Läufe die Auswirkung der mittleren
sind die Werte im Bereich zwischen 0    Querbeschleunigungen im Kreisel
und -2 m/s2 etwa gleich verteilt.       auf    die    Ausfahrgeschwindigkeit

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analysiert. Erst die Analyse dieser Abhängigkeit erkennen, siehe Abb. 4.
großen Anzahl von Läufen lässt eine

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                                                                                   digkeit als Funktion
                                                                                   der Querbeschleuni-
                                                                                   gungen.

    Die erhaltene Punktwolke hat die    geringer ist der Anteil der Erdbeschle-
Form einer Zigarre und zeigt kleinere   unigung an der Normalkraft. Nach
Geschwindigkeiten für größere mit-      Gleichung 1 verringert sich damit
tlere Querbeschleunigungen.             die Reibleistung und weniger Wasser
                                        wird gebildet. Es hat sich gezeigt,
Diskussion                              dass die Bahnen, die die größte z-
Die Analysen erlauben eine ganze        Beschleunigungen       zulassen, auch
Reihe von Schlussfolgerungen, die       die  höchsten   Geschwindigkeiten    er-
den    Spezialisten    bekannt     sein lauben  [3].
dürften, jetzt aber mit Daten unter-
mauert werden können.                   Die Harmonie machts
                                        Je harmonischer, d.h. ruckfreier der
Zu viel bremsen macht langsam           Bob vom Start zum Ziel fährt, desto
In der Tat hat sich gezeigt, dass schneller ist er unterwegs.              Häu-
der Großteil der x-Beschleunigungen     fige Wechsel   in  der Querbeschleuni-
im negativen Bereich auftritt, also gung bremsen. Dabei ist die maxi-
für das Bremsen spricht. Da aller- male Größe der Beschleunigung nicht
dings vor der Ziellinie nicht aktiv ge- wichtig. Entscheidend ist die mittlere
bremst wird, muss die Verzögerung Querbeschleunigung.
andere Ursachen haben.          In er-
ster Linie wirken Lenkvorgänge, die Was steckt noch in den Daten?
mit dem Einschlagen der Kufen ver- Die hier präsentierten Analysen
bunden sind, bremsend. Der Rei- decken nur einen sehr kleinen Teil der
bungskoeffizient in Längsrichtung möglichen            Untersuchungsmöglich-
der Kufe beträgt bei schneller Fahrt    keiten   ab.      Neben der Analyse
etwa 0,005 bis 0,009 [2].         Quer  der  Beschleunigungen     an kritischen
dazu kommt es zu einer Verzehn-         Stellen  der  Bahnen,     kann  mittels
fachung. Nachgeordnet sind Wech-        zusätzlichem   Sensor   das Lenkverhal-
sel in der Eishärte, die durch Un- ten des Piloten einbezogen werden.
terschiede in der Kühlleistung ent- Ebenso erhellend dürfte die Kopplung
lang der Bahn verursacht werden der erhaltenen Werte mit Videodaten
können. Aber auch Änderungen in sein, um exakt die Reaktion des Bobs
der z-Beschleunigung können sich mit den Gegebenheiten der Bahn in
bremsend auswirken. Je höher der Verbindung zu bringen.
Bob z.B. durch die Kurve fährt, desto

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Danksagung
Ein herzlicher Dank geht an Dr. Markus Streicher und André Lange für fach-
liche Hilfe und konstruktive Kritik.

Über den Autor
                Matthias Scherge ist Professor für Tribologie. Das ist die
                Wissenschaft von Reibung, Verschleiß und Schmierung.
                Prof. Scherge leitet das Fraunhofer MikroTribologie Cen-
                trum, lehrt am Karlsruher Institut für Technologie und
                managed das Team Snowstorm. Darüber hinaus berät
                er das Nordic Paraski Team Deutschland sowie mehrere
                nationale und internationale Athleten in wissenschaftlich-
                technischen Fragen.

Quellen
[1] Christian Hainzlmaier. A new tribologically optimized bobsleigh runner.
    PhD thesis, Technische Universität München, 2005.
[2] Matthias Scherge, Roman Böttcher, Mike Richter, and Udo Gurgel.
    High-Speed Ice Friction Experiments under Lab Conditions : On the
    Influence of Speed and Normal Force. ISRN Tribology, 2013:1–7, 2013.
[3] Matthias Scherge. Beschleunigungsanalysen im Bobsport – mehr Fragen
    als Antworten. Gliding, 1:8–12, 2021.

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