Die Angehörigenvertretung in der österreichischen Rechtsordnung

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Die Angehörigenvertretung in der österreichischen
                             Rechtsordnung

                                 DIPLOMARBEIT

Zur Erlangung des akademischen Grades eines Mag. iur. an der rechtswissenschaftlichen
                 Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

                  Eingereicht beim Univ. Prof. Dr. Michael Ganner

                                  von Derya Alkan

                              Innsbruck, im April 2019
Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre hiermit an Eides statt durch meine eigenhändige Unterschrift, dass ich die vor-
liegende Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und
Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angegebenen Quel-
len entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht.

Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als Magis-
ter-/Master-/Diplomarbeit/Dissertation eingereicht.

Hohenems, am 14. April 2019                                               Derya Alkan

                                             I
Vorwort

An dieser Stelle möchte ich meinen herzlichen Dank an all jene richten, die durch ihre per-
sönliche Unterstützung zur Erstellung dieser Diplomarbeit beigetragen haben.

Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Univ. Prof. Dr. Michael Ganner für die freundliche
und kompetente Betreuung meiner Diplomarbeit sowie für das Vertrauen, meine Arbeit in
einer selbstständigen und eigenverantwortlichen Arbeitsweise gestalten zu dürfen.

Ebenso möchte ich mich bei meiner Familie und meinen Freunden bedanken, die mich wäh-
rend meiner Studienjahre in jeglicher Hinsicht tatkräftig unterstützt und motiviert haben.

Gendererklärung

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Diplomarbeit darauf verzichtet, ge-
schlechtsspezifische Formulierungen zu verwenden. Soweit personenbezogene Bezeichnun-
gen nur in männlicher Form angeführt sind, beziehen sie sich auf Frauen und Männer gleich-
ermaßen.

Hohenems, 14. April 2019                                                  Derya Alkan

                                             II
Inhaltsverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung                                                               I
Vorwort                                                                               II
Gendererklärung                                                                       II
Inhaltsverzeichnis                                                                    III
Abkürzungsverzeichnis                                                                 V
Einleitung                                                                            IX
1     Schutzverheißung des § 21 Abs 1 ABGB                                             1
2     Die Entwicklung der Angehörigenvertretung in der österreichischen Rechtsordnung 2
    2.1   Einführung durch das SWRÄG 2006                                              2
    2.2   Fortentwicklung durch die UN-BRK                                             4
3     Die Angehörigenvertretung in der österreichischen Rechtsordnung                  8
    3.1   Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger nach §§ 284 lit b bis lit e ABGB    8
      3.1.1    Allgemeines                                                             8
      3.1.2    Voraussetzungen                                                         8
      3.1.3    Tätigkeitspflicht der nächsten Angehörigen                             12
      3.1.4    Geschäfts- bzw Einsichts- und Urteilsfähigkeit                         13
      3.1.5    Umfang der Vertretungsmacht                                            13
      3.1.6    Angehörigenkreis                                                       16
      3.1.7    Vertretung durch mehrere Angehörige                                    17
      3.1.8    Informationspflicht                                                    18
      3.1.9    Widerspruchsrecht                                                      19
      3.1.10   Weitere Beendigungsmöglichkeiten                                       21
      3.1.11   Fortsetzungspflicht                                                    21
      3.1.12   Fürsorgepflicht                                                        22
      3.1.13   Innenverhältnis der beteiligten Personen                               22
      3.1.14   Registrierungspflicht                                                  25
      3.1.15   Fehlen einer gerichtlichen Kontrolle                                   27
    3.2   gesetzliche Erwachsenenvertretung nach § 268 ABGB                           28
      3.2.1    Allgemeines                                                            28

                                             III
3.2.2     Leitgedanken                                                     30
          3.2.2.1      Grundsatz der Selbstbestimmung                            30
          3.2.2.2      Grundsatz des Nachrangs der Stellvertretung               31
          3.2.2.3      Grundsatz der Selbstbestimmung trotz Stellvertretung      33
          3.2.2.4      Grundsatz der Unbeschränkbarkeit der Handlungsfähigkeit   34
      3.2.3     Voraussetzungen                                                  37
      3.2.4     Angehörigenkreis                                                 40
      3.2.5     Wirkungsbereich der nächsten Angehörigen                         42
      3.2.6     Registrierung der Vertretungsmacht                               53
      3.2.7     Rechte und Pflichten                                             54
          3.2.7.1      Kontaktpflicht                                            54
          3.2.7.2      Verschwiegenheitspflicht                                  55
          3.2.7.3      Recht auf Aufwandsentschädigung                           56
          3.2.7.4      Bemühungspflicht                                          57
      3.2.8     Haftung der nächsten Angehörigen                                 57
      3.2.9     Beendigung der gesetzlichen Vertretungsbefugnis                  58
      3.2.10    Gerichtliche Kontrolle                                           59
4     Darstellung der Rechtslage in den benachbarten Ländern Österreichs         61
    4.1    Schweiz                                                               61
      4.1.1     Exkurs: Norwegen und Spanien                                     63
    4.2    Deutschland                                                           65
    4.3    Liechtenstein                                                         66
    4.4    Tschechien                                                            67
    4.5    Slowakei                                                              69
    4.6    Slowenien                                                             69
    4.7    Italien                                                               69
    4.8    Ungarn                                                                70
5     Resümee                                                                    70
6     Literatur- und Judikaturverzeichnis                                        81
    6.1    Literatur                                                             81
    6.2    Judikatur                                                             84

                                                  IV
Abkürzungsverzeichnis

ABGB                    Allgemein        bürgerliches   Gesetzbuch
                        JGS 946

ABGB-ON                 Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen
                        Gesetzbuch

Abs                     Absatz

Art                     Artikel

AußStrG                 Außerstreitgesetz BGBl I 2003/111

Bd                      Band

BGBl                    Bundesgesetzblatt (Teil/Jahr/Nummer)

BlgNR                   Beilage, -n zu den stenographischen Proto-
                        kollen des Nationalrates

BPGG                    Bundespflegegeldgesetz BGBl I 1993/110

bspw                    beispielsweise

BtPrax                  betreuungsrechtliche Praxis: Zeitschrift für
                        soziale Arbeit, gutachterliche Tätigkeit und
                        Rechtsanwendung in der Betreuung

BuA                     Berichte und Anträge

bzw                     beziehungsweise

dh                      das heißt

dRGBl                   (deutsches) Reichsgesetzblatt

E                       Entscheidung, -en

ecolex                  Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht (Lit:
                        Jahr, Seite; E: Jahr/Nummer)

EF-Z                    Zeitschrift für Familien- und Erbrecht (Lit:
                        Jahr/Nummer oder Jahr, Seite; E:
                        Jahr/Nummer)

                        V
EO                 Exekutionsordnung BGBl I 2005/68

ErläutRV           Erläuterungen zur Regierungsvorlage

ErwSchAG-Justiz    Erwachsenenschutz-Anpassungsgesetz für
                   den Bereich des Bundesministeriums für
                   Verfassung, Reformen, Deregulierung und
                   Justiz BGBl I 2018/58

ErwSchG            zweites        Erwachsenenschutzgesetz
                   BGBl I 2017/59

f, ff              und der, die folgende; und der, die folgen-
                   den

FN                 Fußnote

FS                 Festschrift

gem                gemäß

ggf                gegebenenfalls

GP                 Gesetzgebungsperiode

HeimAufG           Heimaufenthaltsgesetz BGBl I 2004/11

Hrsg               Herausgeber

idaF               in der alten Fassung

idF                in der Fassung

idgF               in der geltenden Fassung

idR                in der Regel

IdS                in diesem Sinn

IdZ                In diesem Zusammenhang

iFamZ              Interdisziplinäre Zeitschrift für Familien-
                   recht (Lit: Jahr, Seite; E: Jahr/Nummer)

insb               insbesondere

iSd                im Sinn des, -der

                  VI
iSe         im Sinne einer

iVm         in Verbindung mit

iwF         in weiterer Folge

iwS         im weiteren Sinn

JAP         Juristische Ausbildung und Praxisvorberei-
            tung (Jahr/Jahr/Nummer oder Jahr/Jahr,
            Seite)

JGS         Justizgesetzsammlung, Gesetze und Ver-
            ordnungen im Justizfach (1780-1848)

KSchG       Konsumentenschutzgesetz
            BGBl I 1979/140

leg cit     legis citatae (der zitierten Vorschrift)

LG          Landesgericht

LGZ         Landesgericht für Zivilrechtssachen

Lit         Literatur

lit         litera (Buchstabe)

MRG         Mietrechtsgesetz BGBl I 1981/520

NO          Notariatsordnung BGBl I 2005/164

ÖBA         Österreichische Bankarchiv (Lit: Jahr,
            Seite; E: Jahr/Nummer)

OGH         Oberster Gerichtshof

ÖJZ         Österreichische Juristen-Zeitung (Lit:
            Jahr/Nummer oder Jahr, Seite; E:
            Jahr/Nummer)

ÖNÖK        Österreichische Notariatskammer

österr      österreichisch, -e, -er, -es

ÖZPR        Österreichische Zeitschrift für Pflegerecht
            (Lit und E: Jahr/Nummer oder Jahr, Seite)

          VII
ÖZVV           Österreichisches zentrales Vertretungsver-
               zeichnis

RGBl           Reichsgesetzblatt (deutsch: Jahr ggf Teil
               Seite; österreichisch: Jahr/Nummer)

RO             Rechtsordnung

RS             Rechtsatz

Rsp            Rechtsprechung

Rz             Randzahl

RZ             Österreichische Richterzeitung (Lit: Jahr,
               Seite; E: Jahr/Nummer)

s              siehe

sog            sogenannt, -e, -er, -es

SWK            Österreichische Steuer- und Wirtschaftskar-
               tei (Lit und E: Jahr [Sachgebiet] Seite; ab
               2012 ohne Sachgebiet)

SWRÄG 2006     Sachwalterrechts-Änderungsgesetz      2006
               BGBl I 2006/92

ua             unter anderem; unter andere, -s

UN-BRK         Übereinkommen über die Rechte von Men-
               schen mit Behinderung BGBl III 2008/155

uvm            und vieles mehr

va             vor allem

Vgl            Vergleich

Z              Ziffer

zB             zum Beispiel

             VIII
Einleitung

Das österr Sachwalterrecht bildete einen wichtigen Bestandteil der österr Rechtsfürsorge.
Sowohl ihre Stammfassung als auch die Neuordnung dieser durch das Sachwalterrechts-Än-
derungsgesetz 2006 (SWRÄG 2006) bewährten sich im Kern durchaus in der österr RO. Das
Reformanliegen des SWRÄG 2006 lag darin, auf vielerlei Kritik auf nationaler Ebene zu
reagieren. Vor allem sollte mit der Einführung alternativer Instrumente ein Ausgleich zwi-
schen der Rechtsfürsorge und der Selbstbestimmung der betroffenen Personen erzielt wer-
den. Durch das Hinzukommen internationaler Kritik aus dem Übereinkommen zu den Rech-
ten von Menschen mit Behinderung (UN-BRK) kristallisierte sich sodann ein umfassender
Reformbedarf heraus, zumal die österr Rechtsfürsorgemaßnahmen den Grundsätzen der
Konvention widersprachen.1

Die folgende Diplomarbeit widmet sich einer dieser Alternativen, nämlich der Angehörigen-
vertretung. Bevor historisch auf die Entwicklung der Angehörigenvertretung eingegangen
wird, soll vorerst in aller Kürze aufgezeigt werden, woher die Fürsorge des österr Gesetzge-
bers für vertretungsbedürftige Personen herrührt. Anschließend soll, als Kernstück dieser
Diplomarbeit, die Angehörigenvertretung in ihrer vollen Ausprägung in der österr RO be-
leuchtet werden. Das Ziel dieser Diplomarbeit besteht darin, die Entwicklung der Angehö-
rigenvertretung in der österr RO aufzuzeigen. Eingangs soll die Rechtslage vor dem Inkraft-
treten des 2. ErwSchG, also die gesetzlichen Regelungen zur „Vertretungsbefugnis nächster
Angehöriger“, erkennbar durch den Ausdruck „idaF“, beleuchtet werden. Dies auch darum,
weil die gesetzlichen Regelungen zur Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger nach wie
vor für Vertretungsverhältnisse relevant sind, die vor dem 01. Juli 2018 eingetragen wurden.
Darauf aufbauend folgt dann die geltende Rechtslage der Angehörigenvertretung, nämlich
die neuen Regelungen zur „gesetzlichen Erwachsenenvertretung“, erkennbar durch den Aus-
druck „idgF“. Abschließend wird über die Angehörigenvertretung in den benachbarten RO
berichtet.

1
 Kathrein, Das neue Erwachsenenschutzrecht – eine Einführung, in Deixler-Hübner/Schauer (Hrsg), Er-
wachsenenschutzrecht. Vorsorgevollmacht, Erwachsenenvertretung, Verfahren, medizinische Behandlung,
Entschädigung & Aufwandersatz, Bankgeschäfte & Unternehmensrecht, uvm (2018) Rz 1.1 (Rz 1.1).

                                                 IX
1 Schutzverheißung des § 21 Abs 1 ABGB
Welche Bedeutung die österr RO jedem einzelnen rechtsfähigen Menschen beimisst, ergibt
sich aus § 16 ABGB2. Jeder einzelne Mensch besitzt „angeborne, schon durch die Vernunft
einleuchtende Rechte“ und ist als eine Person, nicht als eine Sache, zu betrachten. Zudem
bekräftigt die rechtliche Vermutung in § 173 dieses Verständnis, indem die angeborenen na-
türlichen Rechte eines Menschen uneingeschränkt ausgeübt werden dürfen.4 Somit ergibt
sich die privatrechtliche Grundlage des Persönlichkeitsschutzes eines Menschen sowie des-
sen Menschenwürde aus § 16. Jedoch können Personen ihre natürlichen Rechte nur dann in
selbstbestimmter Weise ausüben, wenn sie die dafür erforderliche Handlungsfähigkeit auf-
weisen. Fehlt es ihnen an einer solchen Fähigkeit, so muss anderweitig dafür gesorgt werden,
dass sie selbstbestimmt auftreten können.5 Die Rechtsgrundlage dafür bildet die Schutzver-
heißung in § 21 Abs 1:

„Minderjährige und Personen, die aus einem anderen Grund als dem ihrer Minderjährig-
    keit alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten selbst gehörig zu besorgen nicht vermögen,
stehen unter dem besonderen Schutz der Gesetze. Sie heißen schutzberechtigte Personen“.6

Strittig verhält sich die Rechtslage bezüglich des Normcharakters des § 21 Abs 1. Während
eine Auffassung7 die Ansicht vertritt, dass § 21 Abs 1 als eine programmatische Norm an-
zusehen sei, deren Konkretisierung anderen Rechtsnormen überlassen sei, vertritt die zweite
Auffassung8, dass § 21 Abs 1 keinen programmatischen Charakter besitze. Begründet wird
dies damit, dass das Interesse, welches von § 21 Abs 1 verfolgt werde, darin bestehe, die
betroffenen Personen insb vor Übervorteilung im Geschäftsverkehr zu schützen. Dies indi-
ziere schon generell den hohen Rang des Rechtsschutzes handlungsunfähiger Personen. Da-
her sei § 21 Abs 1 als eine Generalklausel zu bewerten, die zugunsten der betroffenen Per-
sonen bei der Interpretation entsprechender Regelungen heranzuziehen sei. Vor allem gilt,
dass im Konfliktfall das Schutzinteresse des § 21 Abs 1 gegenüber dem Verkehrsschutz der
Vorrang gebührt.9 § 21 Abs 1 bildet nicht nur einen Grundstein für die Handlungsfähigkeit

2
  Alle Paragrafen ohne nähere Bezeichnung beziehen sich auf das ABGB; § 16 ABGB idF JGS 1811/946.
3
  § 17 ABGB idF JGS 1811/946.
4
  Binder, Diskriminierungsschutz, Gleichbehandlung und ABGB (Bd II), in FS 200 Jahre ABGB (2011) 842-
843.
5
  Schauer, Entwicklungstendenzen im Sachwalterrecht, in FS Zivilrechtsgesetzgebung heute (2007) 162-163.
6
  § 21(1) ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2017/59.
7
  Schauer, in FS Zivilrechtsgesetzgebung heute 162.
8
  Ganner, Die soziale Funktion des Privatrechts, in FS Heinz Barta (2009) 81.
9
  Barth/Ganner, Grundlagen des materiellen Sachwalterrechts, in Barth/Ganner (Hrsg) Handbuch des Sach-
walterrechts. Mit Angehörigenvertretung, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung 2 (2010) 33 (84).

                                                   1
betroffener Personen im österr Privatrecht, sondern auch die zentrale Grundlage für die Für-
sorgepflicht des österr Gesetzgebers. Der österr Gesetzgeber ist nämlich gegenüber Perso-
nengruppen, die aufgrund ihrer Einschränkung in ihrer Handlungsfähigkeit nicht in der Lage
sind, am rechtsgeschäftlichen Verkehr teilzunehmen, verpflichtet, deren Teilhabe zu ermög-
lichen. Darüber hinaus muss er gewährleisten, dass der notwendige Schutz zur Wahrung
ihrer Rechte gegeben ist.10 Diese Fürsorgepflicht nimmt der österr Gesetzgeber wie folgt
war: Zum einen erfolgt die Schutzgewährung durch die fehlende Haltung gegenüber delik-
tischen Verhalten der betroffenen Personen und zum anderen durch die Verfügungstellung,
die zur Verwirklichung ihrer natürlichen Rechte erforderlichen Instrumente.11

2 Die Entwicklung der Angehörigenvertretung in der ös-
     terreichischen Rechtsordnung
2.1 Einführung durch das SWRÄG 2006
Im Rahmen der Entmündigungsordnung 191612 erfolgte die Schutzgewährung des österr Ge-
setzgebers durch die Verfügungstellung zwei starrer Vertretungsformen. Zum einen gab es
die volle Entmündigung, die in ihren Folgen zu einer Gleichstellung mit einer vollständig
geschäftsunfähigen Person führte. Die Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr erfolgte
hier durch die Bestellung eines Kurators. Zum anderen führte die beschränkte Entmündigung
dazu, dass die betroffenen Personen einer beschränkt geschäftsfähigen Person gleichgestellt
wurden. Ihre Teilhabe am rechtsgeschäftlichen Verkehr wurde durch die Bestellung eines
Beistandes gewährleistet. Beide Vertretungsformen waren sowohl hinsichtlich des Aufga-
benkreises als auch in den übrigen Rechtsfolgen starr. Die Bedürfnisse von betroffenen Per-
sonen wurden nur bei der Wahl zwischen voller oder beschränkter Entmündigung beachtet.
Durch die Einführung des Sachwaltergesetzes 198313 änderte sich diese Rechtslage dahin-
gehend, dass beide Vertretungsformen durch die Sachwalterschaft, als einzige Rechtsfürsor-
gemaßnahme, abgelöst wurden. Die Sachwalterschaft kennzeichnete sich durch ihre flexib-
lere Anpassung auf die Bedürfnisse der betroffenen Personen. Dies zeigte sich insb durch
die individuelle Festlegung der ihm übertragenen Aufgaben. Ein Sachwalter konnte für „eine
einzelne Angelegenheit, für einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten oder für alle

10
   ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 8.
11
   Schauer, in FS Zivilrechtsgesetzgebung heute 162-163.
12
   Entmündigungsordnung 1916 dRGBl I 1916/207.
13
   Sachwaltergesetz 1983 BGBl I 1983/136.

                                                    2
Angelegenheiten“14 eingesetzt werden.15 Die Novellierung am 01. Jänner 2007 durch das
SWRÄG 200616 führte dazu, dass die seit 1984 bestehende Sachwalterschaft um zwei wei-
tere Vertretungsmodelle, nämlich der Vorsorgevollmacht und der Vertretungsbefugnis
nächster Angehöriger, erweitert wurde.17 Die stets steigende Anzahl von Sachwalterbestel-
lungen führte immer mehr zu einer erheblichen Belastung der Gerichte sowie iwF zu stei-
genden öffentlichen Kosten.18 Die Ursachen dafür waren nicht nur in der steigenden Lebens-
erwartung der Menschen in unserer Gesellschaft zu suchen, sondern auch darin, dass for-
malrechtliche Anforderungen im Geschäftsleben und in der öffentlichen Verwaltung immer
mehr zunahmen. Vielfach wurde der Zugang von immer mehr und größer werdenden Insti-
tutionen zu ihren Leistungsangeboten formalisiert, sodass weder Angehörige noch funktio-
nierende soziale Netzwerke ohne Schwierigkeiten für einen anderen Menschen handeln
konnten. Schlussendlich führte diese Formalisierung dazu, dass auch alltägliche Belange von
offiziell zum Sachwalter bestellten Personen abgewickelt werden mussten, um den steigen-
den formellen Standards bürokratischer Organisation zu genügen.19 Ferner bestand die
Schwierigkeit darin, geeignete Sachwalter für maßgeschneiderte Aufgabenstellungen zu fin-
den. Dies führte in Einzelfällen so weit, dass Rechtsanwälte oder Notare mehrere Hundert
Sachwalterschaften übertragen erhielten, sodass dem Gesetzesanliegen der individuellen
und persönlichen Betreuung betroffener Personen nicht mehr entsprochen werden konnte.
Langfristig betrachtet konnte die Sachwalterschaft ihre aufgetragene Schutzfunktion weder
glaubwürdig noch effizient erfüllen. Darüber hinaus wurde die Sachwalterschaft als ein er-
heblicher Eingriff in die Selbstbestimmung bzw Autonomie älterer Menschen bewertet.
Dementsprechend wurden autonome Maßnahmen, die einerseits die Reduktion der Sachwal-
terschaften und andererseits den Ausbau der eigenverantwortlichen Vorsorge zum Gegen-
stand hatten, vorgeschlagen.20 Das dabei verfolgte Ziel lag vorrangig darin, die Sachwalter-
bestellungen soweit wie möglich zurückzudrängen. Dabei dominierte das Interesse, das be-
reits geltende Subsidiaritätsgrundsatz zu stärken sowie schon bereits bekannte, aber nicht

14
   § 268 (3) ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2006/92.
15
   Schauer, Die vier Säulen des Erwachsenenschutzrechts. Vorsorgevollmacht, gewählte, gesetzliche und ge-
richtliche Erwachsenenvertretung, iFamZ 2017, 148 (148).
16
   Sachwalterrechts-Änderungsgesetz 2006 BGBl I 2006/92.
17
   Schauer, in FS Zivilrechtsgesetzgebung heute 173-175.
18
   Ganner, Entwicklung und Status Quo des Sachwalterrechts und seiner Alternativen in Österreich – Die
rechtliche Betreuung und Vertretung entscheidungsunfähiger volljähriger Personen – Sachwalterrecht, Ange-
hörigenvertretung und Vorsorgevollmacht (Bd I), in FS 200 Jahre ABGB (2011) 357-380.
19
   Barth/Kellner, Die Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger, in Barth/Ganner (Hrsg) Handbuch des Sach-
walterrechts. Mit Angehörigenvertretung, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung2 (2010) 461 (461-462).
20
   Ganner, in FS 200 Jahre ABGB (Bd I) 357-380.

                                                   3
geläufige Alternativen autonom auszubauen. Als eine dieser Alternativen war die Angehö-
rigenvertretung bestimmt.21 Im Gegensatz zum Sachwaltergesetz 1983, welches vom Ver-
trauen in die Staats- und Rechtsinstitutionen und von der Skepsis gegenüber der Familie
geprägt war, ließ sich das SWRÄG 2006 vom Vertrauen in die bestehenden Familienstruk-
turen, welche ehemals als hoch funktionsfähige Institutionen wiederentdeckt wurden, lei-
ten.22 Großteils wurden Alltagsangelegenheiten, die allein kein besonderes Risiko in sich
enthielten, in der Praxis von nächsten Angehörigen besorgt. Dabei handelte es sich bspw um
den Einkauf von Nahrungsmitteln, von Kleidungsstücken und anderen Gegenständen des
Alltags bis hin zur Stellung von Anträgen auf Sozialleistungen. Diese familiäre Unterstüt-
zung und Fürsorge innerhalb der Familien veranlasste den österr Gesetzgeber, in den
§§ 284 lit b bis 284 lit e idaF23 die Angehörigenvertretung gesetzlich zu verankern. Zudem
sollte die gesetzliche Verankerung dazu beitragen, Unsicherheiten, die die fürsorgeaktiven
nächsten Angehörigen hinsichtlich ihrer stellvertretenden Tätigkeit hatten, verhindern.24 Da
in der Praxis in diesen Bereichen auch nach wie vor nahe Angehörige als Sachwalter bestellt
wurden und dies umso häufiger geschah, je unkomplizierter die zu übernehmenden Angele-
genheiten waren, erhoffte sich der Gesetzgeber dadurch einen starken Rückgang der Sach-
walterbestellungen. Diese Ansicht bekräftigten auch statistische Gründe, weil “30 % aller
Verfahrensanregungen zumeist die einfache Vermögensverwaltung, für 13 % der Verfahren
die Klärung von sozialrechtlichen Versorgungsansprüchen ursächlich waren und für knapp
7 % der Sachwalterschaftsverfahren ging es um einfache medizinische Entscheidungen“.25

2.2 Fortentwicklung durch die UN-BRK
Die Fortentwicklung der Angehörigenvertretung durch das neue Erwachsenenschutzrecht ist
teilweise auf nationale Gründe, aber auch auf den internationalen Einfluss der UN-BRK zu-
rückzuführen.

Auf nationaler Ebene hinterließ die Sachwalterschaft einen gemischten Eindruck. Einerseits
bot sie vielen Menschen, die in schwierigen Situationen auf eine solche Unterstützung an-
gewiesen sind, Halt und Stütze. Dies kam vor allem in den Fürsorgemaßnahmen gegenüber
Schäden oder Übervorteilungen im rechtsgeschäftlichen Verkehr zum Ausdruck. Auch im
Rahmen der Personensorge genossen betroffene Personen ein nicht vernachlässigbares Maß

21
   ErläutRV 1420 BlgNR 22. GP 3-4.
22
   Ganner, in FS 200 Jahre ABGB (Bd I) 357-380.
23
   §§ 284b bis 284e ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2006/92.
24
   ErläutRV 1420 BlgNR 22. GP 3-4.
25
   Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 462.

                                                  4
an sozialer Betreuung. Andererseits wurde die Sachwalterschaft „als ein Opfer seines eige-
nen Erfolges“26 angesehen. Die Sachwalterschaft konnte weiterhin weder der gestiegenen
Lebenserwartung der Menschheit noch den erhöhten formalen Anforderungen im rechtsge-
schäftlichen Verkehr standhalten. Daran änderten auch die Bemühungen, die zur Förderung
alternativer Instrumente angestrebt wurden, nichts. Hinzu kam die Überzeugung, dass mit
der Sachwalterbestellung sowohl in der Sozialverwaltung als auch im medizinischen Bereich
eine erhöhte Rechtssicherheit verbunden ist als mit anderen Vertretungsformen. Dies führte
schlussendlich dazu, dass die Sachwalterschaft immer mehr die Funktion einer „Lückenbü-
ßerin“ einnahm, weil die Gerichte oder die als Sachwalter bestellten Personen Aufgaben, die
nicht unmittelbar zur Rechtsfürsorge, sondern vielmehr zur sozialen Versorgung und Be-
treuung angehörten, übernahmen. Ferner ließen sich weder Sachwalter für maßgeschneiderte
Lösungen finden, sodass 50 % aller Bestellungen für die Vertretung in allen Angelegenhei-
ten der betroffenen Personen ergingen, noch standen nahe Angehörige– vor allem in städti-
schen Bereichen – ausreichend als Sachwalter zur Verfügung.27

Auf internationaler Ebene verpflichtete sich Österreich durch die Ratifikation des „Überein-
kommens über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-BRK)28“ am 26. Oktober
2008, „Menschen mit Behinderung“29 die Ausübung aller zustehenden Menschenrechte dis-
kriminierungsfrei zu gewährleisten. Zum Ratifikationszeitpunkt der UN-BRK galt auf österr
Boden, dass die Rechtsfürsorgemaßnahmen in Österreich mit den Grundsätzen sowie
Grundgedanken der Konvention übereinstimmten. Jedoch widerlegte der UN-Fachaus-
schuss, durch die im Jahr 2013 vorgenommene Staatenprüfung, diese Ansicht. Großteils
ausschlaggebend dafür war der Art 12 der Konvention. Nach Art 12 Abs 2 UN-BRK „ge-
nießen Personen, die ua an einer psychischen oder intellektuellen Beeinträchtigung leiden,
in allen Lebensbereichen gleichberechtigt zu anderen Personen Rechts- und Handlungsfä-
higkeit“30. Hierzu verpflichtet die UN-BRK nach Abs 3 leg cit Österreich dazu, die betroffe-
nen Personen bei der Wahrnehmung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit ausreichend zu
unterstützen. Vor allem sollte die Erreichbarkeit jener Unterstützungseinrichtungen

26
   ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 2.
27
   ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 2-3.
28
   Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung sowie Fakultativprotokoll
BGBl III 2008/155.
29
  „(…) Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, psychische, intel-
lektuelle oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der
vollen und wirksamen Teilhabe, gleichberechtigt mit anderen, an der Gesellschaft hindern können“. Art 1 UN-
BRK idF BGBl III 2008/155 zuletzt geändert durch BGBl III 2018/188.
30
   Art 12 (2) UN-BRK idF BGBl III 2008/155 zuletzt geändert durch BGBl III 2018/188.

                                                    5
erleichtert werden, die sie zur Verwirklichung ihrer Rechte und Interessen benötigen. Dabei
sollen auch geeignete Maßnahmen zum Schutz iSd Abs 4 leg cit nicht zu kurz kommen.
Diese Maßnahmen sollen einerseits die Achtung des Willens der betroffenen Personen sowie
den Schutz vor Interessenskonflikten und Missbräuchen wahren und andererseits die regel-
mäßige Überprüfung durch unabhängige Behörden gewährleisten. Zudem sollen diese
Schutzmechanismen verhältnismäßig sein, dh, dass sie möglichst auf die Bedürfnisse und
Interessen der betroffenen Personen zugeschnitten sind sowie eine möglichst kurze Dauer
anhalten.31 Ein weiterer Reformimpuls stammt auch aus der Regelung des Art 19 der Kon-
vention32, welcher „jedem einzelnen Menschen die Freiheit einräumt, Entscheidungen
selbstbestimmt zu fällen“.33 Um eine sachgerechte Umsetzung der UN-BRK zu erzielen,
empfiehlt das UN-Komitee die bisherige fremdbestimmte Entscheidungsfindung der be-
troffenen Personen durch eine unterstützungsorientierte Entscheidungsfindung zu ersetzen.
Basierend auf diesem Anlass führte der österr Gesetzgeber, am 01. Juli 2018 das zweite34
ErwSchG ein.35 Jedoch soll nach den Gesetzesmaterialien36 diese Entwicklung als keine ra-
dikale Abkehr vom bisherigen Rechtsstand der Sachwalterschaft bedeuten. Vielmehr soll die
Chance ergriffen werden, diejenigen Ansätze weiterzuentwickeln, die bereits die Autonomie
der betroffenen Personen anerkennen. Die vorhandenen Schwächen sowie die durch diesen
Wandel betroffenen Gegensätze sollen hingegen dadurch überwunden werden.

Was die Angehörigenvertretung betrifft, wird im Gutachten über die aus dem Übereinkom-
men erwachsenen Pflichten Österreichs37 festgehalten, dass die gesetzliche Vertretungsbe-
fugnis im Wesentlichen als vereinbar mit den Grundsätzen der UN-BRK angesehen werden
kann. Zum einen entstand sie nur dann, wenn bei den betroffenen Personen die erforderliche
Handlungsfähigkeit verloren ging. Somit führte die Angehörigenvertretung nicht zu der

31
   Jahn, Das 2. Erwachsenenschutz-Gesetz. Reform des Rechts der Vorsorgevollmacht, der Angehörigenver-
tretung und der Sachwalterschaft, JAP 2017/2018, 50 (50).
32
   Art 19 UN-BRK idF BGBl III 2008/155 zuletzt geändert durch BGBl III 2018/188.
33
   Krammer, Übergangsphase vom Sachwalterrecht zum Erwachsenenschutzrecht, ÖZPR 2018, 22 (22).
34
   „Das zweite Erwachsenenschutzgesetz folgt dem bereits zu einem früheren Zeitpunkt erlassenen Erwachse-
nenschutzgesetz (BGBl I 2013/158), welche bestimmten Aspekte des Kollisionsrechts im Bereich des Sach-
walterrechts sowie die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen zum Inhalt hat“.
Schauer, Von der Sachwalterschaft zum Erwachsenenschutz. Ein Überblick über die neue Rechtslage,
SWK 2017, 1141 (1141) FN 5.
35
   Barth, Vom Sachwalterrecht zum Erwachsenenschutzrecht – Was ändert sich durch das 2. ErwSchG (2017)
29-30.
36
   ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 1.
37
   Eccher, Gutachten über die aus dem UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung
erwachsenden       Verpflichtungen       Österreichs,     https://www.sozialministerium.at/cms/site/attach-
ments/2/3/0/CH3434/CMS1450782156141/fakultaetsgutachten_pflichten_osterreichs_2014.pdf (abgerufen
am 07.11.2018).

                                                    6
heftig unter Kritik geratenen konstitutiven Beschränkung der Geschäftsfähigkeit, die mit ei-
ner Sachwalterbestellung stets verbunden war. Zum anderen konnten die betroffenen Perso-
nen jederzeit, auch nach Verlust ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit (Entscheidungsfähig-
keit), der Vertretungsbefugnis widersprechen. Demnach war auch die durch Art 12 UN-
BRK geforderte Autonomie und Selbstbestimmung der betroffenen Personen weitgehend
bei der Angehörigenvertretung verwirklicht. Auch die Forderung, wonach die Rechte, der
Wille sowie die Präferenzen der betroffenen Personen bei der Vertretungstätigkeit zu be-
rücksichtigen waren, wurde durch die Verankerung der „Handlungsmaxime“ in
§ 284 lit e Abs 1 idaF erfüllt. Zweifelhafter war die Vereinbarkeit der Angehörigenvertre-
tung mit Art 12 Abs 4 UN-BRK, der für Rechtsschutzmaßnahmen, die die Handlungsfähig-
keit der betroffenen Personen betrafen, eine regelmäßige gerichtliche Kontrolle durch eine
unabhängige Behörde vorsah. Die nächsten Angehörigen unterlagen – abgesehen von der
„Popularanregung“ beim Pflegschaftsgericht – keiner gerichtlichen Kontrolle. Zwar wurden
– durch das SWRÄG 2006 - Schutzmechanismen, die eine mögliche Missbrauchsgefahr ab-
wenden sollten, vorgesehen, jedoch eine intensive Kontrolle, wie von der Konvention gefor-
dert, fehlte. Auch die Vereinbarkeit des besonderen Vertrauensschutzes Dritter in
§ 284 lit e Abs 2 idaF auf die Registrierungsbestätigung der Vertretungsmacht führte zu Be-
denken. Prinzipiell war es möglich, dass nächste Angehörige trotz unwirksamer Vertretungs-
macht die betroffenen Personen vertreten konnten, sofern sie im Drittverkehr die Registrie-
rungsbestätigung vorzeigten. Dies führte dazu, dass die betroffenen Personen, obwohl sie
selbst handlungsfähig waren, durch die nächsten Angehörigen wirksam verpflichtet werden
konnten. Die Einführung eines besonderen Vertrauensschutzes Dritter sollte einerseits die
Akzeptanz der Angehörigenvertretung im rechtsgeschäftlichen Verkehr fördern sowie ande-
rerseits den Unsicherheiten entgegenwirken, die von Seiten der Vertreter der Wirtschaft be-
fürchtet   wurden.     Daraus    resultierte   auch    der   weitreichende     Tatbestand     des
§ 284 lit e Abs 2 idaF gegenüber der allgemein rechtsgeschäftlich eingeräumten Vollmacht.
Unter genauer Betrachtung der daraus resultierenden Folgen jedoch ist feststellbar, dass die
Angehörigenvertretung zu einer Benachteiligung der betroffenen Personen führte, weil mit
ihr ein geringerer Rechtsschutz verbunden war.38

38
  Eccher, Gutachten über die aus dem UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung
erwachsenden Verpflichtungen Österreichs, https://www.sozialministerium.at/cms/site/attach-
ments/2/3/0/CH3434/CMS1450782156141/fakultaetsgutachten_pflichten_osterreichs_2014.pdf (abgerufen
am 07.11.2018).

                                                7
3 Die Angehörigenvertretung in der österreichischen
     Rechtsordnung
3.1 Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger
       nach §§ 284 lit b bis lit e ABGB
3.1.1 Allgemeines

Wie schon einleitend erwähnt, führte die Einführung des 2. ErwSchG am 01. Juli 2018 zur
Außerkraftsetzung der Bestimmungen über die Angehörigenvertretung. Jedoch Vertretungs-
verhältnisse, die vor diesem Zeitraum registriert wurden, sind bis spätestens 30. Juni 2021
weiterhin nach den Bestimmungen über die gesetzliche Vertretungsbefugnis nächster Ange-
höriger nach §§ 284 lit b bis lit e ABGB idaF zu beurteilen.39 Aus diesem Grund wird in die-
sem Abschnitt der Diplomarbeit auf die Verwendung der Vergangenheitsform verzichtet.

Die Bestimmungen zur Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger befinden sich unter der
Überschrift „Von der Sachwalterschaft, der sonstigen gesetzlichen Vertretung und der Vor-
sorgevollmacht im fünften Hauptstück40 des ersten Teils des ABGB in den
§§ 284 lit b bis 284 lit e idaF“.41

3.1.2 Voraussetzungen

Nach § 284 lit b Abs 1 idaF können „volljährige42 Personen, die aufgrund einer psychischen
Krankheit oder einer geistigen Behinderung nicht fähig sind, ihre Angelegenheiten selbst-
ständig zu besorgen, von ihren nächsten Angehörigen vertreten werden“43. Die Vorausset-
zungen der Angehörigenvertretung unterscheiden sich von der Sachwalterschaft lediglich
darin, dass die vom Pflegschaftsgericht vorzunehmende wertend-prognostische Beurteilung,

39
   „Für das Inkrafttreten des 2. Erwachsenenschutz-Gesetzes, BGBl I Nr. 59/2017 (2. ErwSchG), gilt Folgen-
des: (…) Vertretungsbefugnisse nächster Angehöriger, die vor dem 1. Juli 2018 registriert worden sind, blei-
ben bestehen und enden spätestens mit Ablauf des 30. Juni 2021. Auf solche Angehörigenvertretungen sind
nach dem 30. Juni 2018 weiterhin die §§ 284b bis 284e in der bis zum 2. ErwSchG geltenden Fassung sowie
zusätzlich § 246 Abs. 3 in der Fassung des 2. ErwSchG anzuwenden. (…)“. § 1503 (9) Z 17 ABGB idF
JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2018/58, s auch Barth, Das intertemporale Privatrecht des 2.
Erwachsenenschutz-Gesetzes. Grundlinien des Gesetzes und praktische Anleitungen, iFamZ 2017, 182 (184).
40
   Das Kindschafts- und Namensänderungsgesetz 2013, idF BGBl I 2013/15, verschob die Regelungen des
Sachwalterrechts in das sechste Hauptstück.
41
   ErläutRV 1420 BlgNR 22. GP 6.
42
  „Für Minderjährige wird dieser besondere Schutz durch das Kindschaftsrecht gewährleistet, namentlich
durch die Bestimmungen im ABGB über die Obsorge durch die Eltern und Großeltern und durch die Obsorge
einer anderen Person“. Schauer, Die vier Säulen des Erwachsenenschutzrechts. Vorsorgevollmacht, gewählte,
gesetzliche und gerichtliche Erwachsenenvertretung, iFamZ 2017, 148 (148).
43
   § 284b (1) ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2006/92.

                                                     8
ob eine Nachteilsgefahr für die betroffenen Personen bei der Besorgung ihrer Angelegenhei-
ten vorliegt, wegfällt. Damit ein Vertretungsverhältnis begründet werden kann, müssen die
betroffenen Personen entweder an einer „psychischen Krankheit“ leiden oder „geistig behin-
dert“ sein.44 Um die psychische Beeinträchtigung von betroffenen Personen feststellen zu
können, kommt es insb auf die Fähigkeit zur selbstbestimmten Verhaltenssteuerung an. Eine
solche Fähigkeit kann insb bei Vorliegen einer „körperlich begründbaren Psychose“45 sowie
bei „endogenen Psychosen“46 ausgeschlossen werden. Andere Erkrankungen können nur
dann als eine psychische Krankheit eingestuft werden, wenn eine Gleichwertigkeit mit den
oben genannten Psychosen angenommen werden kann. Eine neurologische Erkrankung -
wie die Epilepsie - erfüllt grundsätzlich nicht die Anforderungen einer psychischen Krank-
heit. Eine epileptische Demenz hingegen kann aufgrund ihres Einflusses auf den persönli-
chen Handlungsspielraum der betroffenen Personen durchaus eine psychische Krankheit
darstellen. Auch schwere neurologische Erkrankungen können zu der Annahme einer „geis-
tigen Behinderung“47 führen. Eine Person, die aufgrund einer Kopfverletzung nicht bei Sin-
nen ist oder im Koma liegt, kann als geistig behindert eingestuft werden.48 Die Rsp49 geht in
diesen Situationen nicht nur von körperlichen Gebrechen aus. Diese extensive Auslegung
basiert darauf, dass das medizinische Begriffsverständnis der geistigen Behinderung mit
dem juristischen Begriffsverständnis nicht deckungsgleich ist. Dies eröffnet Situationen, in
denen Personen, die einer solchen Hilfs- und Schutzbedürftigkeit ausgesetzt sind, einen
großzügigen Spielraum.50 Können betroffene Personen aufgrund ihrer psychischen Ein-
schränkung nur einen Teil ihrer Angelegenheiten nicht selbstständig besorgen, so kann die

44
   Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 466.
45
   Störungen, die durch organische Veränderungen des Gehirns auftreten wie zB senile oder präsenile De-
menz. Barth/Ganner, Grundlagen des materiellen Sachwalterrechts, in Barth/Ganner (Hrsg) Handbuch des
Sachwalterrechts. Mit Angehörigenvertretung, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung 2 (2010) 35 ff.
46
   Störungen, wie die Schizophrenien oder Melancholie, welchen keine körperlichen Ursachen zugrunde liegen.
Barth/Ganner, Handbuch des Sachwalterrechts2 35 ff.
47
  „Als wesentliches Merkmal der geistigen Behinderung kann eine – oft schon vor dem 18. Lebensjahr vorlie-
gende – deutlich unterdurchschnittliche allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit bei gleichzeitiger gestör-
ter oder eingeschränkter sozialer Anpassungsfähigkeit gelten“. Barth, Vom Sachwalterrecht zum Erwachse-
nenschutzrecht – Was ändert sich durch das 2. ErwSchG (2017) FN 12.
48
   Barth/Ganner, Handbuch des Sachwalterrechts2 33-42.
49
   (…) „Im Zusammenhang mit den Gründen für das Wirksamwerden der Vorsorgevollmacht findet sich näm-
lich ein ausdrücklicher diesbezüglicher Hinweis: So wird festgehalten, dass „Fälle schwerer neurologischer
Krankheiten, etwa wenn jemand nach einem Unfall im Koma liegt oder auf Grund einer Kopfverletzung zwar
bei Bewusstsein, aber völlig apathisch und unansprechbar ist …, als nicht bloß körperliche Gebrechen ver-
standen und daher als einer Sachwalterbestellung zugänglich beurteilt … (werden können). Nur wenn das
„Nicht-besorgen-Können“ auf einer rein körperlichen Ursache beruhe, scheide die Anwendung des Sach-
walterrechts aus“. Barth/Ganner, Handbuch des Sachwalterrechts2 42. s auch ErläutRV 1420
BlgNR 22.GP 26.
50
   Stabentheiner, in Rummel/Lukas, ABGB4 § 268 Rz 4 (Stand 01.07.2015, rdb.at).

                                                      9
Vertretungsbefugnis auch nur hinsichtlich dieses Teils begründet werden.51 Jedoch kritisiert
Stabentheiner52 diese Art der Ausübung aufgrund der Niederschwelligkeit aller in
§ 284 lit b idaF angeführten Aufgaben. Weiteres gilt, dass die Vertretungsbefugnis erst dann
begründet werden kann, wenn die betroffenen Personen selbst - oder für sie - nicht ander-
weitig vorgesorgt wurde. Grundsätzlich gebührt der gesetzlichen Vertretungsbefugnis
nächster Angehöriger im Verhältnis zur Sachwalterschaft der Vorrang. Dieses Privileg ergibt
sich aus der Regelung des § 268 Abs 2 idaF53. Eine Sachwalterbestellung kann demnach nur
in jenen Fällen unterbleiben, in denen die Angelegenheiten der betroffenen Personen durch
andere Unterstützungsmöglichkeiten, wie insb durch redlich tätige Angehörige, im erforder-
lichen Ausmaß besorgt werden können.54 Dazu ist erforderlich, dass die betroffenen Perso-
nen noch zu eigenem Handeln fähig sind.55 Die Angelegenheiten werden ua dann nicht im
erforderlichen Ausmaß besorgt, wenn die nächsten Angehörigen ihre Vertretungsmacht
missbrauchen oder mit der Vertretungstätigkeit überfordert sind.56 Dasselbe gilt, wenn
nächste Angehörige untereinander hinsichtlich der Person, der die Vertretungsmacht zukom-
men soll, keine Einigung erzielen können.57 Diese Unterstützungstätigkeiten umfassen nur
faktische Handlungen wie bspw die Verabreichung von Medikamenten. Darüber hinausrei-
chende Vertretungshandlungen konnten – vor dem SWRÄG 2006 – nur durch einen Sach-
walter gesetzt werden. Mit dem Institut der Angehörigenvertretung wurde ein Zwischenbe-
reich eröffnet, indem die Vertretungsakten in alltäglichen Belangen auf die nächsten Ange-
hörigen übertragen wurden. Auf diese Weise soll die Sachwalterschaft auf solche Fälle be-
schränkt werden, in denen eine Bestellung unvermeidlich ist. Daraus resultiert, dass eine
Sachwalterbestellung nur dann zu erfolgen hat, wenn Vertretungshandlungen notwendig
sind, die die Alltäglichkeitsschwelle und somit die Befugnis nächster Angehöriger über-
schreiten. Die Angehörigenvertretung kann auch dann nicht begründet werden, wenn bereits
eine Sachwalterbestellung erfolgt ist, dessen Aufgabenkreis alle alltäglichen Belange mit-
umfasst.58 Solche Feststellungen können vom Pflegschaftsgericht nur im Rahmen eines
Sachwalterbestellungsverfahren vorgenommen werden. Vor allem ist in diesen Verfahren
festzustellen, ob geeignete subsidiäre Hilfen vorhanden sind sowie wenn ja, in welchem

51
   Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 466.
52
   Stabentheiner, in Rummel/Lukas, ABGB4 § 284b Rz 6 (Stand 01.07.2015, rdb.at).
53
   § 268 (2) ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2006/92.
54
   Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 467.
55
   Müller/Prinz, Sachwalterschaft und Alternativen. Ein Wegweiser2 (2010) 137.
56
   Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 467.
57
   Traar/Pesendorfer/Fritz/Barth, Sachwalterschaft und Patientenverfügung. Mit allen wichtigen Nebenge-
setzen (2015) Rz 4.
58
   ErläutRV 1420 BlgNR 22. GP 10.

                                                   10
Umfang diese vorliegen. Denn nur so kann festgestellt werden, ob für etwaige, nicht alltäg-
lich zu besorgende Angelegenheiten, ein Sachwalter zu bestellen ist oder nicht.59 Dazu kann
sich das Pflegschaftsgericht Abhilfe durch ein sog „Clearing“ (Abklärung)60 verschaffen.
Eine wirksame Angehörigenvertretung fällt auch dann weg, wenn die Aufgaben nach
§ 268 Abs 461 idaF vom Sachwalter übernommen werden. Nicht nur das Vorhandensein ei-
nes Sachwalters verdrängt die Vertretungsbefugnis der nächsten Angehörigen, sondern auch
eine beliebig gewillkürte Vertretung wie bspw die Vorsorgevollmacht. Dies hat den Hinter-
grund, dass die Vertretungsmacht der nächsten Angehörigen zwar ein Instrument zur Ver-
hinderung des Anstiegs von Sachwalterbestellungen ist, jedoch die Autonomie der betroffe-
nen Personen nicht fördert. Daher soll der Vorsorgevollmacht als Ausfluss der selbstbe-
stimmten Entscheidungsfindung der Vorrang zukommen.62

Liegen die oben erläuterten Voraussetzungen vor, entsteht die Vertretungsmacht „ex lege“,
dh, dass die nächsten Angehörigen gesetzlich unmittelbar zur Besorgung der Aufgaben le-
gitimiert sind.63 Vielfach wird darüber diskutiert, ob die Entstehungsvoraussetzungen der
Angehörigenvertretung abschließend in § 284 lit b idgF aufgezählt sind.64 Rabl65 vertritt
dazu, dass zum einen die Vertretungsbefugnis aufgrund der Widerspruchsmöglichkeit auf
den Willen der betroffenen Personen zurückzuführen sei und zum anderen, dass die Vertre-
tungsmacht erst dann entstehe, wenn die nächsten Angehörigen ihrer Informationspflicht
gem § 284 lit b Abs 1 idaF ausreichend nachkommen. Diese Auffassung wurde jedoch an-
hand von systematischen Gründen widerlegt: Denn aus der Regelung des § 284 lit b idgF
ließe sich lediglich das Vorliegen einer psychischen Beeinträchtigung sowie das dadurch
herbeigeführte Unvermögen eigenständig seine Angelegenheiten zu besorgen, ableiten. IdZ
ist besonders strittig, ob die Registrierung der Vertretungsbefugnis eine konstitutive Voraus-
setzung darstellt. Auch die konstitutive Eigenschaft der Registrierung wird, aus den oben
angeführten Gründen, verneint.66 Auch Schauer/Parapatits67 bekräftigen diese Auffassung

59
   Müller/Prinz, Ein Wegweiser2 145.
60
   „Im Rahmen des Modelprojekts „Unterstützung zur Selbstbestimmung“, welches an 18 Gerichtsstandorten
durchgeführt wurde, erprobten die Sachwaltervereine, wenn mit einem Clearing beauftragt, eine besondere
umfangreiche Abklärungstätigkeit. Auf diese Weise versuchte man die Alternativen zur Sachwalterschaft be-
sonders nachhaltig zu installieren“. Fritz, Das Modelprojekt „Unterstützung zur Selbstbestimmung“,
iFamZ 2014, 62 (62).
61
   § 268 Abs 4 ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2006/92.
62
   Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 467-468.
63
   Stabentheiner, in Rummel/Lukas, ABGB4 § 284b Rz 5 (Stand 01.07.2015, rdb.at).
64
   Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 469.
65
   Rabl, Das Sachwalterrechts- Änderungsgesetz und Bankgeschäfte, ÖBA 2008, 83 (85 f).
66
   Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 469, 551.
67
   Schauer/Parapatits, Angehörigenvertretung ipso iure, iFamZ 2008, 259 (259); Vgl auch LG Feldkirch
19.11.2007, 2 R 248/07x.

                                                   11
und führen aus, dass eine Annahme einer konstitutiven Wirkung die Vorrangsregelung zu-
gunsten der Angehörigenvertretung verdrängt. Schauer68 nimmt idZ zwar keine Registrie-
rungspflicht „per se“ an, jedoch befürwortet er insoweit eine Rechtspflicht, die zur interes-
sengerechten Ausübung der Vertretungsbefugnis geboten sei.

3.1.3 Tätigkeitspflicht der nächsten Angehörigen

Die Frage, ob aus der gesetzliche Legitimation auch die Pflicht der nächsten Angehörigen
die Vertretungsbefugnis auszuüben abgeleitet werden kann, ist systematisch zu beurteilen.
Die Angehörigenvertretung beruht auf der „allgemeinen familiären Beistandspflicht“.
Grundsätzlich besteht eine allgemeine familiäre Beistandspflicht einerseits zwischen Ehe-
gatten gem §§ 44 zweiter Satz69 und 90 Abs 170 und andererseits zwischen Eltern und ihren
Kindern gem § 137 Abs 271. Hinter der allgemeinen familiären Beistandspflicht findet sich
die Absicht des Gesetzgebers insb zur Lösung der Problematik der Betreuung betagter Men-
schen beizutragen. Charakteristisch für die allgemeine familiäre Beistandspflicht ist, dass
sie nicht nur immaterielle, sondern auch materielle Komponenten wie Arbeits-, Sach- und
Geldaushilfen beinhaltet. Darunter fällt auch die Pflege eines erkrankten Ehegatten. Auch
Kinder der betroffenen Personen sind verpflichtet, sich um ihre alten oder hilfsbedürftigen
Eltern zu kümmern, indem sie bspw für sie einkaufen gehen, kochen, die Wäsche erledigen
oder sie auch im Krankheitsfall pflegen. Demnach kommt der familiären Beistandspflicht
erst im Falle von Hilfsbedürftigkeit infolge von Krankheit oder Alter eine zentrale Bedeu-
tung zu. Somit können darunter jene Situationen besonderer Hilfsbedürftigkeit verstanden
werden, die mit den grundlegenden Elementen der Vertretungsbefugnis nächster Angehöri-
ger übereinstimmen. Unter diesem Gesichtspunkt wird die Pflicht der nächsten Angehöri-
gen, die Interessen der betroffenen Personen wahrzunehmen, angenommen. Jedoch gilt die
familiäre Beistandspflicht als „leges imperfectae“, dh, dass ihre Erfüllung nicht klagsweise
durchgesetzt werden kann. Gleiches gilt für Ansprüche, die dadurch aus schadenersatz- oder
bereicherungsrechtlichen Regelungen zustehen. Eine familiäre Beistandsplicht besteht wei-
ters nur insoweit, als bei den jeweiligen betroffenen Personen diesbezügliche Hilfeleistung
vonnöten („Erforderlichkeit“) sowie ihre Erfüllung zumutbar ist („Zumutbarkeit“). Dies ist
stets einzelfallbezogen zu beurteilen, wobei angenommen wird, dass das Vorhandensein der
Voraussetzungen in § 284 lit b Abs 1 idaF die Erforderlichkeit indiziere sowie ohne

68
   Schauer, in Kletêcka/Schauer, ABGB- ON1.02 § 284e Rz 11 (Stand 01.03.2017, rdb.at).
69
   § 44 2. Satz ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2017/161.
70
   § 90 (1) ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2009/75.
71
   § 137 (2) ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2013/15.

                                                   12
Vorliegen von besonderen Gründen die Besorgung, der in § 284 lit b Abs 1 idaF aufgezähl-
ten und verhältnismäßig geringfügigen Angelegenheiten, als zumutbar befunden. 72

3.1.4 Geschäfts- bzw Einsichts- und Urteilsfähigkeit

Im Vergleich der Angehörigenvertretung mit der Sachwalterschaft ist feststellbar, dass die
Angehörigenvertretung weder in ihrer Begründung noch in ihrer Wahrnehmung zu einer
konstitutiven Einschränkung oder Verlust der Geschäfts- bzw Einsichts- und Urteilsfähig-
keit führt. Vielmehr hängt dieser vom Vernunftgebrauch der betroffenen Personen gem
§ 865 idaF73 ab.74 Betroffene Personen besitzen dann nicht „den Gebrauch der Vernunft“,
wenn sie weder die Bedeutung noch die Tragweite rechtsgeschäftlichen Handelns zu erken-
nen fähig sind. In diesen Situationen wird davon ausgegangen, dass der Geisteszustand die-
ser Personen jenem eines noch nicht – voll geschäftsfähigen – Siebenjährigen entspricht.75

3.1.5 Umfang der Vertretungsmacht

Vom Vertretungsumfang der Angehörigenvertretung sind Angelegenheiten des täglichen
Lebens sowie nicht weitreichende Rechtshandlungen erfasst. Dazu zählen sowohl Angele-
genheiten, die die Vermögenssorge als auch die Personensorge betreffen. Die gesetzliche
Vertretungsmacht erstreckt sich auf fünf taxativ festgelegte Bereiche:

Zum einen werden die Angehörigen nach § 284 lit b Abs 1 erster Satz idaF damit betraut,
Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens vorzunehmen.76 „Ein Rechtsgeschäft des täglichen
Lebens liegt dann vor, wenn dessen Abschluss der Befriedigung der Lebensbedürfnisse (iwS)
der betroffenen Personen dient sowie deren Lebensverhältnissen entspricht“, so Schauer.77
Den Lebensverhältnissen der betroffenen Personen wird dann entsprochen, wenn die mit
dem Abschluss eines Rechtsgeschäftes verbundenen finanziellen Lasten – bei Annahme ei-
nes durchschnittlichen Einkommens - verhältnismäßig gering sind. Weitere maßgebende
Kriterien für die Beurteilung der Alltäglichkeit sind die Üblichkeit sowie die rechtlichen
Risiken, die damit einhergehen. Vereinfacht ausgedrückt sind darunter Rechtsgeschäfte zu
verstehen, die im Alltag gewöhnlich vorkommen. Eine gewisse Abhilfe, was genau unter die

72
   Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 482-487.
73
   § 865 ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2013/15.
74
   Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 482.
75
   Barth/Ganner, Handbuch des Sachwalterrechts2 108-110.
76
   Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 474-475.
77
   Schauer, „Zahlen gewünscht?“ Zur Reichweite der Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger bei Erfül-
lungshandlungen, iFamZ 2009, 205 (209).

                                                   13
Alltäglichkeit fällt, bieten auch die Lehre und Rsp zu § 9678. Demnach umfasst die gesetzli-
che Vertretungsmacht die Reparatur von Haushaltsgeräten, den Kauf von kleineren Einrich-
tungsgegenständen, die Begleichung von Krankheitskosten sowie die Buchung eines Ur-
laubs der betroffenen Personen.79 Bei der Vertretungstätigkeit ist stets darauf Bedacht zu
nehmen, dass die betroffenen Personen nicht daran gehindert werden, ihre bisherige Lebens-
führung entsprechend ihren Gewohnheiten zu gestalten.80 Rechtsgeschäfte, die keinen All-
tagscharakter aufweisen oder die betroffenen Personen zu sehr belasten, sind von der gesetz-
lichen Vertretungsbefugnis der nächsten Angehörigen nicht gedeckt. Dazu zählen insb typi-
sche Rechtsgeschäfte im Bereich des Miet- und Wohnungseigentumsrechts wie bspw der
Abschluss oder die Auflösung eines Mietvertrages.81 Auch gewöhnliche Tätigkeiten, wie die
Sanierung des Badezimmers, der Einbau einer neuen Heizung oder der Kauf einer neuen
Kücheneinrichtung sind von der Vertretungsmacht der nächsten Angehörigen ausgeschlos-
sen.82 Gleiches gilt für Vertretungshandlungen, die nicht geringfügig sind. Demnach kommt
den nächsten Angehörigen keine Entscheidungskompetenz bezüglich der Veränderung der
Wohnverhältnisse der betroffenen Personen zu.83

Zum Zweiten bezieht sich die Berechtigung nach § 284 lit b Abs 1 zweiter Satz idaF zum
Abschluss von Rechtsgeschäften, die zur Deckung des Pflegebedarfs vonnöten sind. Zum
Dritten dürfen Ansprüche, die den betroffenen Personen aufgrund des Alters, Krankheit, Be-
hinderung oder Armut zustehen, geltend gemacht werden. Die Befugnis der nächsten Ange-
hörigen pflegebedingte Rechtsgeschäfte zu schließen, soll zur Sicherstellung der benötigten
Pflege der betroffenen Personen beitragen. Dieser erfasst bspw die Heimhilfe oder den Ab-
schluss von Verträgen über mobile Mahlzeitdienste („Essen auf Rädern“). Auch hier müssen
die Erfordernisse der Verhältnismäßigkeit nach § 284 lit b Abs 1 erster Satz idaF vorliegen.
Des Weiteren beinhaltet die Vertretungsmacht der nächsten Angehörigen, wie oben be-
schrieben, die Befugnis neben der Geltendmachung von Ansprüchen auf Pension oder Ar-
beitslosengeld auch die Geltendmachung von Pflegegeldansprüchen. Gleiches gilt für die
Geltendmachung von Vergünstigungen wie Ermäßigungen für öffentliche Verkehrsmittel.
IdZ wird hinterfragt, ob die Vertretungsmacht der nächsten Angehörigen die jeweilige

78
   § 96 ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 1975/412.
79
   Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 474-475.
80
   Tschugguel/Gerstinger, Rechtzeitig vorsorgen. Angehörigenvertretung, Vorsorgevollmacht, Patientenver-
fügung (2014) 37.
81
   Stabentheiner, in Rummel/Lukas, ABGB4 § 284b Rz 7 (Stand 01.07.2015, rdb.at).
82
   Tschugguel/Gerstinger, Rechtzeitig vorsorgen 37.
83
   Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 476.

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