Die Angehörigenvertretung in der österreichischen Rechtsordnung
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Die Angehörigenvertretung in der österreichischen Rechtsordnung DIPLOMARBEIT Zur Erlangung des akademischen Grades eines Mag. iur. an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Eingereicht beim Univ. Prof. Dr. Michael Ganner von Derya Alkan Innsbruck, im April 2019
Eidesstattliche Erklärung Ich erkläre hiermit an Eides statt durch meine eigenhändige Unterschrift, dass ich die vor- liegende Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angegebenen Quel- len entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht. Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als Magis- ter-/Master-/Diplomarbeit/Dissertation eingereicht. Hohenems, am 14. April 2019 Derya Alkan I
Vorwort An dieser Stelle möchte ich meinen herzlichen Dank an all jene richten, die durch ihre per- sönliche Unterstützung zur Erstellung dieser Diplomarbeit beigetragen haben. Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Univ. Prof. Dr. Michael Ganner für die freundliche und kompetente Betreuung meiner Diplomarbeit sowie für das Vertrauen, meine Arbeit in einer selbstständigen und eigenverantwortlichen Arbeitsweise gestalten zu dürfen. Ebenso möchte ich mich bei meiner Familie und meinen Freunden bedanken, die mich wäh- rend meiner Studienjahre in jeglicher Hinsicht tatkräftig unterstützt und motiviert haben. Gendererklärung Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Diplomarbeit darauf verzichtet, ge- schlechtsspezifische Formulierungen zu verwenden. Soweit personenbezogene Bezeichnun- gen nur in männlicher Form angeführt sind, beziehen sie sich auf Frauen und Männer gleich- ermaßen. Hohenems, 14. April 2019 Derya Alkan II
Inhaltsverzeichnis Eidesstattliche Erklärung I Vorwort II Gendererklärung II Inhaltsverzeichnis III Abkürzungsverzeichnis V Einleitung IX 1 Schutzverheißung des § 21 Abs 1 ABGB 1 2 Die Entwicklung der Angehörigenvertretung in der österreichischen Rechtsordnung 2 2.1 Einführung durch das SWRÄG 2006 2 2.2 Fortentwicklung durch die UN-BRK 4 3 Die Angehörigenvertretung in der österreichischen Rechtsordnung 8 3.1 Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger nach §§ 284 lit b bis lit e ABGB 8 3.1.1 Allgemeines 8 3.1.2 Voraussetzungen 8 3.1.3 Tätigkeitspflicht der nächsten Angehörigen 12 3.1.4 Geschäfts- bzw Einsichts- und Urteilsfähigkeit 13 3.1.5 Umfang der Vertretungsmacht 13 3.1.6 Angehörigenkreis 16 3.1.7 Vertretung durch mehrere Angehörige 17 3.1.8 Informationspflicht 18 3.1.9 Widerspruchsrecht 19 3.1.10 Weitere Beendigungsmöglichkeiten 21 3.1.11 Fortsetzungspflicht 21 3.1.12 Fürsorgepflicht 22 3.1.13 Innenverhältnis der beteiligten Personen 22 3.1.14 Registrierungspflicht 25 3.1.15 Fehlen einer gerichtlichen Kontrolle 27 3.2 gesetzliche Erwachsenenvertretung nach § 268 ABGB 28 3.2.1 Allgemeines 28 III
3.2.2 Leitgedanken 30 3.2.2.1 Grundsatz der Selbstbestimmung 30 3.2.2.2 Grundsatz des Nachrangs der Stellvertretung 31 3.2.2.3 Grundsatz der Selbstbestimmung trotz Stellvertretung 33 3.2.2.4 Grundsatz der Unbeschränkbarkeit der Handlungsfähigkeit 34 3.2.3 Voraussetzungen 37 3.2.4 Angehörigenkreis 40 3.2.5 Wirkungsbereich der nächsten Angehörigen 42 3.2.6 Registrierung der Vertretungsmacht 53 3.2.7 Rechte und Pflichten 54 3.2.7.1 Kontaktpflicht 54 3.2.7.2 Verschwiegenheitspflicht 55 3.2.7.3 Recht auf Aufwandsentschädigung 56 3.2.7.4 Bemühungspflicht 57 3.2.8 Haftung der nächsten Angehörigen 57 3.2.9 Beendigung der gesetzlichen Vertretungsbefugnis 58 3.2.10 Gerichtliche Kontrolle 59 4 Darstellung der Rechtslage in den benachbarten Ländern Österreichs 61 4.1 Schweiz 61 4.1.1 Exkurs: Norwegen und Spanien 63 4.2 Deutschland 65 4.3 Liechtenstein 66 4.4 Tschechien 67 4.5 Slowakei 69 4.6 Slowenien 69 4.7 Italien 69 4.8 Ungarn 70 5 Resümee 70 6 Literatur- und Judikaturverzeichnis 81 6.1 Literatur 81 6.2 Judikatur 84 IV
Abkürzungsverzeichnis ABGB Allgemein bürgerliches Gesetzbuch JGS 946 ABGB-ON Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch Abs Absatz Art Artikel AußStrG Außerstreitgesetz BGBl I 2003/111 Bd Band BGBl Bundesgesetzblatt (Teil/Jahr/Nummer) BlgNR Beilage, -n zu den stenographischen Proto- kollen des Nationalrates BPGG Bundespflegegeldgesetz BGBl I 1993/110 bspw beispielsweise BtPrax betreuungsrechtliche Praxis: Zeitschrift für soziale Arbeit, gutachterliche Tätigkeit und Rechtsanwendung in der Betreuung BuA Berichte und Anträge bzw beziehungsweise dh das heißt dRGBl (deutsches) Reichsgesetzblatt E Entscheidung, -en ecolex Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht (Lit: Jahr, Seite; E: Jahr/Nummer) EF-Z Zeitschrift für Familien- und Erbrecht (Lit: Jahr/Nummer oder Jahr, Seite; E: Jahr/Nummer) V
EO Exekutionsordnung BGBl I 2005/68 ErläutRV Erläuterungen zur Regierungsvorlage ErwSchAG-Justiz Erwachsenenschutz-Anpassungsgesetz für den Bereich des Bundesministeriums für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz BGBl I 2018/58 ErwSchG zweites Erwachsenenschutzgesetz BGBl I 2017/59 f, ff und der, die folgende; und der, die folgen- den FN Fußnote FS Festschrift gem gemäß ggf gegebenenfalls GP Gesetzgebungsperiode HeimAufG Heimaufenthaltsgesetz BGBl I 2004/11 Hrsg Herausgeber idaF in der alten Fassung idF in der Fassung idgF in der geltenden Fassung idR in der Regel IdS in diesem Sinn IdZ In diesem Zusammenhang iFamZ Interdisziplinäre Zeitschrift für Familien- recht (Lit: Jahr, Seite; E: Jahr/Nummer) insb insbesondere iSd im Sinn des, -der VI
iSe im Sinne einer iVm in Verbindung mit iwF in weiterer Folge iwS im weiteren Sinn JAP Juristische Ausbildung und Praxisvorberei- tung (Jahr/Jahr/Nummer oder Jahr/Jahr, Seite) JGS Justizgesetzsammlung, Gesetze und Ver- ordnungen im Justizfach (1780-1848) KSchG Konsumentenschutzgesetz BGBl I 1979/140 leg cit legis citatae (der zitierten Vorschrift) LG Landesgericht LGZ Landesgericht für Zivilrechtssachen Lit Literatur lit litera (Buchstabe) MRG Mietrechtsgesetz BGBl I 1981/520 NO Notariatsordnung BGBl I 2005/164 ÖBA Österreichische Bankarchiv (Lit: Jahr, Seite; E: Jahr/Nummer) OGH Oberster Gerichtshof ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung (Lit: Jahr/Nummer oder Jahr, Seite; E: Jahr/Nummer) ÖNÖK Österreichische Notariatskammer österr österreichisch, -e, -er, -es ÖZPR Österreichische Zeitschrift für Pflegerecht (Lit und E: Jahr/Nummer oder Jahr, Seite) VII
ÖZVV Österreichisches zentrales Vertretungsver- zeichnis RGBl Reichsgesetzblatt (deutsch: Jahr ggf Teil Seite; österreichisch: Jahr/Nummer) RO Rechtsordnung RS Rechtsatz Rsp Rechtsprechung Rz Randzahl RZ Österreichische Richterzeitung (Lit: Jahr, Seite; E: Jahr/Nummer) s siehe sog sogenannt, -e, -er, -es SWK Österreichische Steuer- und Wirtschaftskar- tei (Lit und E: Jahr [Sachgebiet] Seite; ab 2012 ohne Sachgebiet) SWRÄG 2006 Sachwalterrechts-Änderungsgesetz 2006 BGBl I 2006/92 ua unter anderem; unter andere, -s UN-BRK Übereinkommen über die Rechte von Men- schen mit Behinderung BGBl III 2008/155 uvm und vieles mehr va vor allem Vgl Vergleich Z Ziffer zB zum Beispiel VIII
Einleitung Das österr Sachwalterrecht bildete einen wichtigen Bestandteil der österr Rechtsfürsorge. Sowohl ihre Stammfassung als auch die Neuordnung dieser durch das Sachwalterrechts-Än- derungsgesetz 2006 (SWRÄG 2006) bewährten sich im Kern durchaus in der österr RO. Das Reformanliegen des SWRÄG 2006 lag darin, auf vielerlei Kritik auf nationaler Ebene zu reagieren. Vor allem sollte mit der Einführung alternativer Instrumente ein Ausgleich zwi- schen der Rechtsfürsorge und der Selbstbestimmung der betroffenen Personen erzielt wer- den. Durch das Hinzukommen internationaler Kritik aus dem Übereinkommen zu den Rech- ten von Menschen mit Behinderung (UN-BRK) kristallisierte sich sodann ein umfassender Reformbedarf heraus, zumal die österr Rechtsfürsorgemaßnahmen den Grundsätzen der Konvention widersprachen.1 Die folgende Diplomarbeit widmet sich einer dieser Alternativen, nämlich der Angehörigen- vertretung. Bevor historisch auf die Entwicklung der Angehörigenvertretung eingegangen wird, soll vorerst in aller Kürze aufgezeigt werden, woher die Fürsorge des österr Gesetzge- bers für vertretungsbedürftige Personen herrührt. Anschließend soll, als Kernstück dieser Diplomarbeit, die Angehörigenvertretung in ihrer vollen Ausprägung in der österr RO be- leuchtet werden. Das Ziel dieser Diplomarbeit besteht darin, die Entwicklung der Angehö- rigenvertretung in der österr RO aufzuzeigen. Eingangs soll die Rechtslage vor dem Inkraft- treten des 2. ErwSchG, also die gesetzlichen Regelungen zur „Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger“, erkennbar durch den Ausdruck „idaF“, beleuchtet werden. Dies auch darum, weil die gesetzlichen Regelungen zur Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger nach wie vor für Vertretungsverhältnisse relevant sind, die vor dem 01. Juli 2018 eingetragen wurden. Darauf aufbauend folgt dann die geltende Rechtslage der Angehörigenvertretung, nämlich die neuen Regelungen zur „gesetzlichen Erwachsenenvertretung“, erkennbar durch den Aus- druck „idgF“. Abschließend wird über die Angehörigenvertretung in den benachbarten RO berichtet. 1 Kathrein, Das neue Erwachsenenschutzrecht – eine Einführung, in Deixler-Hübner/Schauer (Hrsg), Er- wachsenenschutzrecht. Vorsorgevollmacht, Erwachsenenvertretung, Verfahren, medizinische Behandlung, Entschädigung & Aufwandersatz, Bankgeschäfte & Unternehmensrecht, uvm (2018) Rz 1.1 (Rz 1.1). IX
1 Schutzverheißung des § 21 Abs 1 ABGB Welche Bedeutung die österr RO jedem einzelnen rechtsfähigen Menschen beimisst, ergibt sich aus § 16 ABGB2. Jeder einzelne Mensch besitzt „angeborne, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte“ und ist als eine Person, nicht als eine Sache, zu betrachten. Zudem bekräftigt die rechtliche Vermutung in § 173 dieses Verständnis, indem die angeborenen na- türlichen Rechte eines Menschen uneingeschränkt ausgeübt werden dürfen.4 Somit ergibt sich die privatrechtliche Grundlage des Persönlichkeitsschutzes eines Menschen sowie des- sen Menschenwürde aus § 16. Jedoch können Personen ihre natürlichen Rechte nur dann in selbstbestimmter Weise ausüben, wenn sie die dafür erforderliche Handlungsfähigkeit auf- weisen. Fehlt es ihnen an einer solchen Fähigkeit, so muss anderweitig dafür gesorgt werden, dass sie selbstbestimmt auftreten können.5 Die Rechtsgrundlage dafür bildet die Schutzver- heißung in § 21 Abs 1: „Minderjährige und Personen, die aus einem anderen Grund als dem ihrer Minderjährig- keit alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten selbst gehörig zu besorgen nicht vermögen, stehen unter dem besonderen Schutz der Gesetze. Sie heißen schutzberechtigte Personen“.6 Strittig verhält sich die Rechtslage bezüglich des Normcharakters des § 21 Abs 1. Während eine Auffassung7 die Ansicht vertritt, dass § 21 Abs 1 als eine programmatische Norm an- zusehen sei, deren Konkretisierung anderen Rechtsnormen überlassen sei, vertritt die zweite Auffassung8, dass § 21 Abs 1 keinen programmatischen Charakter besitze. Begründet wird dies damit, dass das Interesse, welches von § 21 Abs 1 verfolgt werde, darin bestehe, die betroffenen Personen insb vor Übervorteilung im Geschäftsverkehr zu schützen. Dies indi- ziere schon generell den hohen Rang des Rechtsschutzes handlungsunfähiger Personen. Da- her sei § 21 Abs 1 als eine Generalklausel zu bewerten, die zugunsten der betroffenen Per- sonen bei der Interpretation entsprechender Regelungen heranzuziehen sei. Vor allem gilt, dass im Konfliktfall das Schutzinteresse des § 21 Abs 1 gegenüber dem Verkehrsschutz der Vorrang gebührt.9 § 21 Abs 1 bildet nicht nur einen Grundstein für die Handlungsfähigkeit 2 Alle Paragrafen ohne nähere Bezeichnung beziehen sich auf das ABGB; § 16 ABGB idF JGS 1811/946. 3 § 17 ABGB idF JGS 1811/946. 4 Binder, Diskriminierungsschutz, Gleichbehandlung und ABGB (Bd II), in FS 200 Jahre ABGB (2011) 842- 843. 5 Schauer, Entwicklungstendenzen im Sachwalterrecht, in FS Zivilrechtsgesetzgebung heute (2007) 162-163. 6 § 21(1) ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2017/59. 7 Schauer, in FS Zivilrechtsgesetzgebung heute 162. 8 Ganner, Die soziale Funktion des Privatrechts, in FS Heinz Barta (2009) 81. 9 Barth/Ganner, Grundlagen des materiellen Sachwalterrechts, in Barth/Ganner (Hrsg) Handbuch des Sach- walterrechts. Mit Angehörigenvertretung, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung 2 (2010) 33 (84). 1
betroffener Personen im österr Privatrecht, sondern auch die zentrale Grundlage für die Für- sorgepflicht des österr Gesetzgebers. Der österr Gesetzgeber ist nämlich gegenüber Perso- nengruppen, die aufgrund ihrer Einschränkung in ihrer Handlungsfähigkeit nicht in der Lage sind, am rechtsgeschäftlichen Verkehr teilzunehmen, verpflichtet, deren Teilhabe zu ermög- lichen. Darüber hinaus muss er gewährleisten, dass der notwendige Schutz zur Wahrung ihrer Rechte gegeben ist.10 Diese Fürsorgepflicht nimmt der österr Gesetzgeber wie folgt war: Zum einen erfolgt die Schutzgewährung durch die fehlende Haltung gegenüber delik- tischen Verhalten der betroffenen Personen und zum anderen durch die Verfügungstellung, die zur Verwirklichung ihrer natürlichen Rechte erforderlichen Instrumente.11 2 Die Entwicklung der Angehörigenvertretung in der ös- terreichischen Rechtsordnung 2.1 Einführung durch das SWRÄG 2006 Im Rahmen der Entmündigungsordnung 191612 erfolgte die Schutzgewährung des österr Ge- setzgebers durch die Verfügungstellung zwei starrer Vertretungsformen. Zum einen gab es die volle Entmündigung, die in ihren Folgen zu einer Gleichstellung mit einer vollständig geschäftsunfähigen Person führte. Die Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr erfolgte hier durch die Bestellung eines Kurators. Zum anderen führte die beschränkte Entmündigung dazu, dass die betroffenen Personen einer beschränkt geschäftsfähigen Person gleichgestellt wurden. Ihre Teilhabe am rechtsgeschäftlichen Verkehr wurde durch die Bestellung eines Beistandes gewährleistet. Beide Vertretungsformen waren sowohl hinsichtlich des Aufga- benkreises als auch in den übrigen Rechtsfolgen starr. Die Bedürfnisse von betroffenen Per- sonen wurden nur bei der Wahl zwischen voller oder beschränkter Entmündigung beachtet. Durch die Einführung des Sachwaltergesetzes 198313 änderte sich diese Rechtslage dahin- gehend, dass beide Vertretungsformen durch die Sachwalterschaft, als einzige Rechtsfürsor- gemaßnahme, abgelöst wurden. Die Sachwalterschaft kennzeichnete sich durch ihre flexib- lere Anpassung auf die Bedürfnisse der betroffenen Personen. Dies zeigte sich insb durch die individuelle Festlegung der ihm übertragenen Aufgaben. Ein Sachwalter konnte für „eine einzelne Angelegenheit, für einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten oder für alle 10 ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 8. 11 Schauer, in FS Zivilrechtsgesetzgebung heute 162-163. 12 Entmündigungsordnung 1916 dRGBl I 1916/207. 13 Sachwaltergesetz 1983 BGBl I 1983/136. 2
Angelegenheiten“14 eingesetzt werden.15 Die Novellierung am 01. Jänner 2007 durch das SWRÄG 200616 führte dazu, dass die seit 1984 bestehende Sachwalterschaft um zwei wei- tere Vertretungsmodelle, nämlich der Vorsorgevollmacht und der Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger, erweitert wurde.17 Die stets steigende Anzahl von Sachwalterbestel- lungen führte immer mehr zu einer erheblichen Belastung der Gerichte sowie iwF zu stei- genden öffentlichen Kosten.18 Die Ursachen dafür waren nicht nur in der steigenden Lebens- erwartung der Menschen in unserer Gesellschaft zu suchen, sondern auch darin, dass for- malrechtliche Anforderungen im Geschäftsleben und in der öffentlichen Verwaltung immer mehr zunahmen. Vielfach wurde der Zugang von immer mehr und größer werdenden Insti- tutionen zu ihren Leistungsangeboten formalisiert, sodass weder Angehörige noch funktio- nierende soziale Netzwerke ohne Schwierigkeiten für einen anderen Menschen handeln konnten. Schlussendlich führte diese Formalisierung dazu, dass auch alltägliche Belange von offiziell zum Sachwalter bestellten Personen abgewickelt werden mussten, um den steigen- den formellen Standards bürokratischer Organisation zu genügen.19 Ferner bestand die Schwierigkeit darin, geeignete Sachwalter für maßgeschneiderte Aufgabenstellungen zu fin- den. Dies führte in Einzelfällen so weit, dass Rechtsanwälte oder Notare mehrere Hundert Sachwalterschaften übertragen erhielten, sodass dem Gesetzesanliegen der individuellen und persönlichen Betreuung betroffener Personen nicht mehr entsprochen werden konnte. Langfristig betrachtet konnte die Sachwalterschaft ihre aufgetragene Schutzfunktion weder glaubwürdig noch effizient erfüllen. Darüber hinaus wurde die Sachwalterschaft als ein er- heblicher Eingriff in die Selbstbestimmung bzw Autonomie älterer Menschen bewertet. Dementsprechend wurden autonome Maßnahmen, die einerseits die Reduktion der Sachwal- terschaften und andererseits den Ausbau der eigenverantwortlichen Vorsorge zum Gegen- stand hatten, vorgeschlagen.20 Das dabei verfolgte Ziel lag vorrangig darin, die Sachwalter- bestellungen soweit wie möglich zurückzudrängen. Dabei dominierte das Interesse, das be- reits geltende Subsidiaritätsgrundsatz zu stärken sowie schon bereits bekannte, aber nicht 14 § 268 (3) ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2006/92. 15 Schauer, Die vier Säulen des Erwachsenenschutzrechts. Vorsorgevollmacht, gewählte, gesetzliche und ge- richtliche Erwachsenenvertretung, iFamZ 2017, 148 (148). 16 Sachwalterrechts-Änderungsgesetz 2006 BGBl I 2006/92. 17 Schauer, in FS Zivilrechtsgesetzgebung heute 173-175. 18 Ganner, Entwicklung und Status Quo des Sachwalterrechts und seiner Alternativen in Österreich – Die rechtliche Betreuung und Vertretung entscheidungsunfähiger volljähriger Personen – Sachwalterrecht, Ange- hörigenvertretung und Vorsorgevollmacht (Bd I), in FS 200 Jahre ABGB (2011) 357-380. 19 Barth/Kellner, Die Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger, in Barth/Ganner (Hrsg) Handbuch des Sach- walterrechts. Mit Angehörigenvertretung, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung2 (2010) 461 (461-462). 20 Ganner, in FS 200 Jahre ABGB (Bd I) 357-380. 3
geläufige Alternativen autonom auszubauen. Als eine dieser Alternativen war die Angehö- rigenvertretung bestimmt.21 Im Gegensatz zum Sachwaltergesetz 1983, welches vom Ver- trauen in die Staats- und Rechtsinstitutionen und von der Skepsis gegenüber der Familie geprägt war, ließ sich das SWRÄG 2006 vom Vertrauen in die bestehenden Familienstruk- turen, welche ehemals als hoch funktionsfähige Institutionen wiederentdeckt wurden, lei- ten.22 Großteils wurden Alltagsangelegenheiten, die allein kein besonderes Risiko in sich enthielten, in der Praxis von nächsten Angehörigen besorgt. Dabei handelte es sich bspw um den Einkauf von Nahrungsmitteln, von Kleidungsstücken und anderen Gegenständen des Alltags bis hin zur Stellung von Anträgen auf Sozialleistungen. Diese familiäre Unterstüt- zung und Fürsorge innerhalb der Familien veranlasste den österr Gesetzgeber, in den §§ 284 lit b bis 284 lit e idaF23 die Angehörigenvertretung gesetzlich zu verankern. Zudem sollte die gesetzliche Verankerung dazu beitragen, Unsicherheiten, die die fürsorgeaktiven nächsten Angehörigen hinsichtlich ihrer stellvertretenden Tätigkeit hatten, verhindern.24 Da in der Praxis in diesen Bereichen auch nach wie vor nahe Angehörige als Sachwalter bestellt wurden und dies umso häufiger geschah, je unkomplizierter die zu übernehmenden Angele- genheiten waren, erhoffte sich der Gesetzgeber dadurch einen starken Rückgang der Sach- walterbestellungen. Diese Ansicht bekräftigten auch statistische Gründe, weil “30 % aller Verfahrensanregungen zumeist die einfache Vermögensverwaltung, für 13 % der Verfahren die Klärung von sozialrechtlichen Versorgungsansprüchen ursächlich waren und für knapp 7 % der Sachwalterschaftsverfahren ging es um einfache medizinische Entscheidungen“.25 2.2 Fortentwicklung durch die UN-BRK Die Fortentwicklung der Angehörigenvertretung durch das neue Erwachsenenschutzrecht ist teilweise auf nationale Gründe, aber auch auf den internationalen Einfluss der UN-BRK zu- rückzuführen. Auf nationaler Ebene hinterließ die Sachwalterschaft einen gemischten Eindruck. Einerseits bot sie vielen Menschen, die in schwierigen Situationen auf eine solche Unterstützung an- gewiesen sind, Halt und Stütze. Dies kam vor allem in den Fürsorgemaßnahmen gegenüber Schäden oder Übervorteilungen im rechtsgeschäftlichen Verkehr zum Ausdruck. Auch im Rahmen der Personensorge genossen betroffene Personen ein nicht vernachlässigbares Maß 21 ErläutRV 1420 BlgNR 22. GP 3-4. 22 Ganner, in FS 200 Jahre ABGB (Bd I) 357-380. 23 §§ 284b bis 284e ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2006/92. 24 ErläutRV 1420 BlgNR 22. GP 3-4. 25 Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 462. 4
an sozialer Betreuung. Andererseits wurde die Sachwalterschaft „als ein Opfer seines eige- nen Erfolges“26 angesehen. Die Sachwalterschaft konnte weiterhin weder der gestiegenen Lebenserwartung der Menschheit noch den erhöhten formalen Anforderungen im rechtsge- schäftlichen Verkehr standhalten. Daran änderten auch die Bemühungen, die zur Förderung alternativer Instrumente angestrebt wurden, nichts. Hinzu kam die Überzeugung, dass mit der Sachwalterbestellung sowohl in der Sozialverwaltung als auch im medizinischen Bereich eine erhöhte Rechtssicherheit verbunden ist als mit anderen Vertretungsformen. Dies führte schlussendlich dazu, dass die Sachwalterschaft immer mehr die Funktion einer „Lückenbü- ßerin“ einnahm, weil die Gerichte oder die als Sachwalter bestellten Personen Aufgaben, die nicht unmittelbar zur Rechtsfürsorge, sondern vielmehr zur sozialen Versorgung und Be- treuung angehörten, übernahmen. Ferner ließen sich weder Sachwalter für maßgeschneiderte Lösungen finden, sodass 50 % aller Bestellungen für die Vertretung in allen Angelegenhei- ten der betroffenen Personen ergingen, noch standen nahe Angehörige– vor allem in städti- schen Bereichen – ausreichend als Sachwalter zur Verfügung.27 Auf internationaler Ebene verpflichtete sich Österreich durch die Ratifikation des „Überein- kommens über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-BRK)28“ am 26. Oktober 2008, „Menschen mit Behinderung“29 die Ausübung aller zustehenden Menschenrechte dis- kriminierungsfrei zu gewährleisten. Zum Ratifikationszeitpunkt der UN-BRK galt auf österr Boden, dass die Rechtsfürsorgemaßnahmen in Österreich mit den Grundsätzen sowie Grundgedanken der Konvention übereinstimmten. Jedoch widerlegte der UN-Fachaus- schuss, durch die im Jahr 2013 vorgenommene Staatenprüfung, diese Ansicht. Großteils ausschlaggebend dafür war der Art 12 der Konvention. Nach Art 12 Abs 2 UN-BRK „ge- nießen Personen, die ua an einer psychischen oder intellektuellen Beeinträchtigung leiden, in allen Lebensbereichen gleichberechtigt zu anderen Personen Rechts- und Handlungsfä- higkeit“30. Hierzu verpflichtet die UN-BRK nach Abs 3 leg cit Österreich dazu, die betroffe- nen Personen bei der Wahrnehmung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit ausreichend zu unterstützen. Vor allem sollte die Erreichbarkeit jener Unterstützungseinrichtungen 26 ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 2. 27 ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 2-3. 28 Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung sowie Fakultativprotokoll BGBl III 2008/155. 29 „(…) Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, psychische, intel- lektuelle oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe, gleichberechtigt mit anderen, an der Gesellschaft hindern können“. Art 1 UN- BRK idF BGBl III 2008/155 zuletzt geändert durch BGBl III 2018/188. 30 Art 12 (2) UN-BRK idF BGBl III 2008/155 zuletzt geändert durch BGBl III 2018/188. 5
erleichtert werden, die sie zur Verwirklichung ihrer Rechte und Interessen benötigen. Dabei sollen auch geeignete Maßnahmen zum Schutz iSd Abs 4 leg cit nicht zu kurz kommen. Diese Maßnahmen sollen einerseits die Achtung des Willens der betroffenen Personen sowie den Schutz vor Interessenskonflikten und Missbräuchen wahren und andererseits die regel- mäßige Überprüfung durch unabhängige Behörden gewährleisten. Zudem sollen diese Schutzmechanismen verhältnismäßig sein, dh, dass sie möglichst auf die Bedürfnisse und Interessen der betroffenen Personen zugeschnitten sind sowie eine möglichst kurze Dauer anhalten.31 Ein weiterer Reformimpuls stammt auch aus der Regelung des Art 19 der Kon- vention32, welcher „jedem einzelnen Menschen die Freiheit einräumt, Entscheidungen selbstbestimmt zu fällen“.33 Um eine sachgerechte Umsetzung der UN-BRK zu erzielen, empfiehlt das UN-Komitee die bisherige fremdbestimmte Entscheidungsfindung der be- troffenen Personen durch eine unterstützungsorientierte Entscheidungsfindung zu ersetzen. Basierend auf diesem Anlass führte der österr Gesetzgeber, am 01. Juli 2018 das zweite34 ErwSchG ein.35 Jedoch soll nach den Gesetzesmaterialien36 diese Entwicklung als keine ra- dikale Abkehr vom bisherigen Rechtsstand der Sachwalterschaft bedeuten. Vielmehr soll die Chance ergriffen werden, diejenigen Ansätze weiterzuentwickeln, die bereits die Autonomie der betroffenen Personen anerkennen. Die vorhandenen Schwächen sowie die durch diesen Wandel betroffenen Gegensätze sollen hingegen dadurch überwunden werden. Was die Angehörigenvertretung betrifft, wird im Gutachten über die aus dem Übereinkom- men erwachsenen Pflichten Österreichs37 festgehalten, dass die gesetzliche Vertretungsbe- fugnis im Wesentlichen als vereinbar mit den Grundsätzen der UN-BRK angesehen werden kann. Zum einen entstand sie nur dann, wenn bei den betroffenen Personen die erforderliche Handlungsfähigkeit verloren ging. Somit führte die Angehörigenvertretung nicht zu der 31 Jahn, Das 2. Erwachsenenschutz-Gesetz. Reform des Rechts der Vorsorgevollmacht, der Angehörigenver- tretung und der Sachwalterschaft, JAP 2017/2018, 50 (50). 32 Art 19 UN-BRK idF BGBl III 2008/155 zuletzt geändert durch BGBl III 2018/188. 33 Krammer, Übergangsphase vom Sachwalterrecht zum Erwachsenenschutzrecht, ÖZPR 2018, 22 (22). 34 „Das zweite Erwachsenenschutzgesetz folgt dem bereits zu einem früheren Zeitpunkt erlassenen Erwachse- nenschutzgesetz (BGBl I 2013/158), welche bestimmten Aspekte des Kollisionsrechts im Bereich des Sach- walterrechts sowie die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen zum Inhalt hat“. Schauer, Von der Sachwalterschaft zum Erwachsenenschutz. Ein Überblick über die neue Rechtslage, SWK 2017, 1141 (1141) FN 5. 35 Barth, Vom Sachwalterrecht zum Erwachsenenschutzrecht – Was ändert sich durch das 2. ErwSchG (2017) 29-30. 36 ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 1. 37 Eccher, Gutachten über die aus dem UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung erwachsenden Verpflichtungen Österreichs, https://www.sozialministerium.at/cms/site/attach- ments/2/3/0/CH3434/CMS1450782156141/fakultaetsgutachten_pflichten_osterreichs_2014.pdf (abgerufen am 07.11.2018). 6
heftig unter Kritik geratenen konstitutiven Beschränkung der Geschäftsfähigkeit, die mit ei- ner Sachwalterbestellung stets verbunden war. Zum anderen konnten die betroffenen Perso- nen jederzeit, auch nach Verlust ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit (Entscheidungsfähig- keit), der Vertretungsbefugnis widersprechen. Demnach war auch die durch Art 12 UN- BRK geforderte Autonomie und Selbstbestimmung der betroffenen Personen weitgehend bei der Angehörigenvertretung verwirklicht. Auch die Forderung, wonach die Rechte, der Wille sowie die Präferenzen der betroffenen Personen bei der Vertretungstätigkeit zu be- rücksichtigen waren, wurde durch die Verankerung der „Handlungsmaxime“ in § 284 lit e Abs 1 idaF erfüllt. Zweifelhafter war die Vereinbarkeit der Angehörigenvertre- tung mit Art 12 Abs 4 UN-BRK, der für Rechtsschutzmaßnahmen, die die Handlungsfähig- keit der betroffenen Personen betrafen, eine regelmäßige gerichtliche Kontrolle durch eine unabhängige Behörde vorsah. Die nächsten Angehörigen unterlagen – abgesehen von der „Popularanregung“ beim Pflegschaftsgericht – keiner gerichtlichen Kontrolle. Zwar wurden – durch das SWRÄG 2006 - Schutzmechanismen, die eine mögliche Missbrauchsgefahr ab- wenden sollten, vorgesehen, jedoch eine intensive Kontrolle, wie von der Konvention gefor- dert, fehlte. Auch die Vereinbarkeit des besonderen Vertrauensschutzes Dritter in § 284 lit e Abs 2 idaF auf die Registrierungsbestätigung der Vertretungsmacht führte zu Be- denken. Prinzipiell war es möglich, dass nächste Angehörige trotz unwirksamer Vertretungs- macht die betroffenen Personen vertreten konnten, sofern sie im Drittverkehr die Registrie- rungsbestätigung vorzeigten. Dies führte dazu, dass die betroffenen Personen, obwohl sie selbst handlungsfähig waren, durch die nächsten Angehörigen wirksam verpflichtet werden konnten. Die Einführung eines besonderen Vertrauensschutzes Dritter sollte einerseits die Akzeptanz der Angehörigenvertretung im rechtsgeschäftlichen Verkehr fördern sowie ande- rerseits den Unsicherheiten entgegenwirken, die von Seiten der Vertreter der Wirtschaft be- fürchtet wurden. Daraus resultierte auch der weitreichende Tatbestand des § 284 lit e Abs 2 idaF gegenüber der allgemein rechtsgeschäftlich eingeräumten Vollmacht. Unter genauer Betrachtung der daraus resultierenden Folgen jedoch ist feststellbar, dass die Angehörigenvertretung zu einer Benachteiligung der betroffenen Personen führte, weil mit ihr ein geringerer Rechtsschutz verbunden war.38 38 Eccher, Gutachten über die aus dem UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung erwachsenden Verpflichtungen Österreichs, https://www.sozialministerium.at/cms/site/attach- ments/2/3/0/CH3434/CMS1450782156141/fakultaetsgutachten_pflichten_osterreichs_2014.pdf (abgerufen am 07.11.2018). 7
3 Die Angehörigenvertretung in der österreichischen Rechtsordnung 3.1 Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger nach §§ 284 lit b bis lit e ABGB 3.1.1 Allgemeines Wie schon einleitend erwähnt, führte die Einführung des 2. ErwSchG am 01. Juli 2018 zur Außerkraftsetzung der Bestimmungen über die Angehörigenvertretung. Jedoch Vertretungs- verhältnisse, die vor diesem Zeitraum registriert wurden, sind bis spätestens 30. Juni 2021 weiterhin nach den Bestimmungen über die gesetzliche Vertretungsbefugnis nächster Ange- höriger nach §§ 284 lit b bis lit e ABGB idaF zu beurteilen.39 Aus diesem Grund wird in die- sem Abschnitt der Diplomarbeit auf die Verwendung der Vergangenheitsform verzichtet. Die Bestimmungen zur Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger befinden sich unter der Überschrift „Von der Sachwalterschaft, der sonstigen gesetzlichen Vertretung und der Vor- sorgevollmacht im fünften Hauptstück40 des ersten Teils des ABGB in den §§ 284 lit b bis 284 lit e idaF“.41 3.1.2 Voraussetzungen Nach § 284 lit b Abs 1 idaF können „volljährige42 Personen, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen Behinderung nicht fähig sind, ihre Angelegenheiten selbst- ständig zu besorgen, von ihren nächsten Angehörigen vertreten werden“43. Die Vorausset- zungen der Angehörigenvertretung unterscheiden sich von der Sachwalterschaft lediglich darin, dass die vom Pflegschaftsgericht vorzunehmende wertend-prognostische Beurteilung, 39 „Für das Inkrafttreten des 2. Erwachsenenschutz-Gesetzes, BGBl I Nr. 59/2017 (2. ErwSchG), gilt Folgen- des: (…) Vertretungsbefugnisse nächster Angehöriger, die vor dem 1. Juli 2018 registriert worden sind, blei- ben bestehen und enden spätestens mit Ablauf des 30. Juni 2021. Auf solche Angehörigenvertretungen sind nach dem 30. Juni 2018 weiterhin die §§ 284b bis 284e in der bis zum 2. ErwSchG geltenden Fassung sowie zusätzlich § 246 Abs. 3 in der Fassung des 2. ErwSchG anzuwenden. (…)“. § 1503 (9) Z 17 ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2018/58, s auch Barth, Das intertemporale Privatrecht des 2. Erwachsenenschutz-Gesetzes. Grundlinien des Gesetzes und praktische Anleitungen, iFamZ 2017, 182 (184). 40 Das Kindschafts- und Namensänderungsgesetz 2013, idF BGBl I 2013/15, verschob die Regelungen des Sachwalterrechts in das sechste Hauptstück. 41 ErläutRV 1420 BlgNR 22. GP 6. 42 „Für Minderjährige wird dieser besondere Schutz durch das Kindschaftsrecht gewährleistet, namentlich durch die Bestimmungen im ABGB über die Obsorge durch die Eltern und Großeltern und durch die Obsorge einer anderen Person“. Schauer, Die vier Säulen des Erwachsenenschutzrechts. Vorsorgevollmacht, gewählte, gesetzliche und gerichtliche Erwachsenenvertretung, iFamZ 2017, 148 (148). 43 § 284b (1) ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2006/92. 8
ob eine Nachteilsgefahr für die betroffenen Personen bei der Besorgung ihrer Angelegenhei- ten vorliegt, wegfällt. Damit ein Vertretungsverhältnis begründet werden kann, müssen die betroffenen Personen entweder an einer „psychischen Krankheit“ leiden oder „geistig behin- dert“ sein.44 Um die psychische Beeinträchtigung von betroffenen Personen feststellen zu können, kommt es insb auf die Fähigkeit zur selbstbestimmten Verhaltenssteuerung an. Eine solche Fähigkeit kann insb bei Vorliegen einer „körperlich begründbaren Psychose“45 sowie bei „endogenen Psychosen“46 ausgeschlossen werden. Andere Erkrankungen können nur dann als eine psychische Krankheit eingestuft werden, wenn eine Gleichwertigkeit mit den oben genannten Psychosen angenommen werden kann. Eine neurologische Erkrankung - wie die Epilepsie - erfüllt grundsätzlich nicht die Anforderungen einer psychischen Krank- heit. Eine epileptische Demenz hingegen kann aufgrund ihres Einflusses auf den persönli- chen Handlungsspielraum der betroffenen Personen durchaus eine psychische Krankheit darstellen. Auch schwere neurologische Erkrankungen können zu der Annahme einer „geis- tigen Behinderung“47 führen. Eine Person, die aufgrund einer Kopfverletzung nicht bei Sin- nen ist oder im Koma liegt, kann als geistig behindert eingestuft werden.48 Die Rsp49 geht in diesen Situationen nicht nur von körperlichen Gebrechen aus. Diese extensive Auslegung basiert darauf, dass das medizinische Begriffsverständnis der geistigen Behinderung mit dem juristischen Begriffsverständnis nicht deckungsgleich ist. Dies eröffnet Situationen, in denen Personen, die einer solchen Hilfs- und Schutzbedürftigkeit ausgesetzt sind, einen großzügigen Spielraum.50 Können betroffene Personen aufgrund ihrer psychischen Ein- schränkung nur einen Teil ihrer Angelegenheiten nicht selbstständig besorgen, so kann die 44 Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 466. 45 Störungen, die durch organische Veränderungen des Gehirns auftreten wie zB senile oder präsenile De- menz. Barth/Ganner, Grundlagen des materiellen Sachwalterrechts, in Barth/Ganner (Hrsg) Handbuch des Sachwalterrechts. Mit Angehörigenvertretung, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung 2 (2010) 35 ff. 46 Störungen, wie die Schizophrenien oder Melancholie, welchen keine körperlichen Ursachen zugrunde liegen. Barth/Ganner, Handbuch des Sachwalterrechts2 35 ff. 47 „Als wesentliches Merkmal der geistigen Behinderung kann eine – oft schon vor dem 18. Lebensjahr vorlie- gende – deutlich unterdurchschnittliche allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit bei gleichzeitiger gestör- ter oder eingeschränkter sozialer Anpassungsfähigkeit gelten“. Barth, Vom Sachwalterrecht zum Erwachse- nenschutzrecht – Was ändert sich durch das 2. ErwSchG (2017) FN 12. 48 Barth/Ganner, Handbuch des Sachwalterrechts2 33-42. 49 (…) „Im Zusammenhang mit den Gründen für das Wirksamwerden der Vorsorgevollmacht findet sich näm- lich ein ausdrücklicher diesbezüglicher Hinweis: So wird festgehalten, dass „Fälle schwerer neurologischer Krankheiten, etwa wenn jemand nach einem Unfall im Koma liegt oder auf Grund einer Kopfverletzung zwar bei Bewusstsein, aber völlig apathisch und unansprechbar ist …, als nicht bloß körperliche Gebrechen ver- standen und daher als einer Sachwalterbestellung zugänglich beurteilt … (werden können). Nur wenn das „Nicht-besorgen-Können“ auf einer rein körperlichen Ursache beruhe, scheide die Anwendung des Sach- walterrechts aus“. Barth/Ganner, Handbuch des Sachwalterrechts2 42. s auch ErläutRV 1420 BlgNR 22.GP 26. 50 Stabentheiner, in Rummel/Lukas, ABGB4 § 268 Rz 4 (Stand 01.07.2015, rdb.at). 9
Vertretungsbefugnis auch nur hinsichtlich dieses Teils begründet werden.51 Jedoch kritisiert Stabentheiner52 diese Art der Ausübung aufgrund der Niederschwelligkeit aller in § 284 lit b idaF angeführten Aufgaben. Weiteres gilt, dass die Vertretungsbefugnis erst dann begründet werden kann, wenn die betroffenen Personen selbst - oder für sie - nicht ander- weitig vorgesorgt wurde. Grundsätzlich gebührt der gesetzlichen Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger im Verhältnis zur Sachwalterschaft der Vorrang. Dieses Privileg ergibt sich aus der Regelung des § 268 Abs 2 idaF53. Eine Sachwalterbestellung kann demnach nur in jenen Fällen unterbleiben, in denen die Angelegenheiten der betroffenen Personen durch andere Unterstützungsmöglichkeiten, wie insb durch redlich tätige Angehörige, im erforder- lichen Ausmaß besorgt werden können.54 Dazu ist erforderlich, dass die betroffenen Perso- nen noch zu eigenem Handeln fähig sind.55 Die Angelegenheiten werden ua dann nicht im erforderlichen Ausmaß besorgt, wenn die nächsten Angehörigen ihre Vertretungsmacht missbrauchen oder mit der Vertretungstätigkeit überfordert sind.56 Dasselbe gilt, wenn nächste Angehörige untereinander hinsichtlich der Person, der die Vertretungsmacht zukom- men soll, keine Einigung erzielen können.57 Diese Unterstützungstätigkeiten umfassen nur faktische Handlungen wie bspw die Verabreichung von Medikamenten. Darüber hinausrei- chende Vertretungshandlungen konnten – vor dem SWRÄG 2006 – nur durch einen Sach- walter gesetzt werden. Mit dem Institut der Angehörigenvertretung wurde ein Zwischenbe- reich eröffnet, indem die Vertretungsakten in alltäglichen Belangen auf die nächsten Ange- hörigen übertragen wurden. Auf diese Weise soll die Sachwalterschaft auf solche Fälle be- schränkt werden, in denen eine Bestellung unvermeidlich ist. Daraus resultiert, dass eine Sachwalterbestellung nur dann zu erfolgen hat, wenn Vertretungshandlungen notwendig sind, die die Alltäglichkeitsschwelle und somit die Befugnis nächster Angehöriger über- schreiten. Die Angehörigenvertretung kann auch dann nicht begründet werden, wenn bereits eine Sachwalterbestellung erfolgt ist, dessen Aufgabenkreis alle alltäglichen Belange mit- umfasst.58 Solche Feststellungen können vom Pflegschaftsgericht nur im Rahmen eines Sachwalterbestellungsverfahren vorgenommen werden. Vor allem ist in diesen Verfahren festzustellen, ob geeignete subsidiäre Hilfen vorhanden sind sowie wenn ja, in welchem 51 Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 466. 52 Stabentheiner, in Rummel/Lukas, ABGB4 § 284b Rz 6 (Stand 01.07.2015, rdb.at). 53 § 268 (2) ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2006/92. 54 Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 467. 55 Müller/Prinz, Sachwalterschaft und Alternativen. Ein Wegweiser2 (2010) 137. 56 Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 467. 57 Traar/Pesendorfer/Fritz/Barth, Sachwalterschaft und Patientenverfügung. Mit allen wichtigen Nebenge- setzen (2015) Rz 4. 58 ErläutRV 1420 BlgNR 22. GP 10. 10
Umfang diese vorliegen. Denn nur so kann festgestellt werden, ob für etwaige, nicht alltäg- lich zu besorgende Angelegenheiten, ein Sachwalter zu bestellen ist oder nicht.59 Dazu kann sich das Pflegschaftsgericht Abhilfe durch ein sog „Clearing“ (Abklärung)60 verschaffen. Eine wirksame Angehörigenvertretung fällt auch dann weg, wenn die Aufgaben nach § 268 Abs 461 idaF vom Sachwalter übernommen werden. Nicht nur das Vorhandensein ei- nes Sachwalters verdrängt die Vertretungsbefugnis der nächsten Angehörigen, sondern auch eine beliebig gewillkürte Vertretung wie bspw die Vorsorgevollmacht. Dies hat den Hinter- grund, dass die Vertretungsmacht der nächsten Angehörigen zwar ein Instrument zur Ver- hinderung des Anstiegs von Sachwalterbestellungen ist, jedoch die Autonomie der betroffe- nen Personen nicht fördert. Daher soll der Vorsorgevollmacht als Ausfluss der selbstbe- stimmten Entscheidungsfindung der Vorrang zukommen.62 Liegen die oben erläuterten Voraussetzungen vor, entsteht die Vertretungsmacht „ex lege“, dh, dass die nächsten Angehörigen gesetzlich unmittelbar zur Besorgung der Aufgaben le- gitimiert sind.63 Vielfach wird darüber diskutiert, ob die Entstehungsvoraussetzungen der Angehörigenvertretung abschließend in § 284 lit b idgF aufgezählt sind.64 Rabl65 vertritt dazu, dass zum einen die Vertretungsbefugnis aufgrund der Widerspruchsmöglichkeit auf den Willen der betroffenen Personen zurückzuführen sei und zum anderen, dass die Vertre- tungsmacht erst dann entstehe, wenn die nächsten Angehörigen ihrer Informationspflicht gem § 284 lit b Abs 1 idaF ausreichend nachkommen. Diese Auffassung wurde jedoch an- hand von systematischen Gründen widerlegt: Denn aus der Regelung des § 284 lit b idgF ließe sich lediglich das Vorliegen einer psychischen Beeinträchtigung sowie das dadurch herbeigeführte Unvermögen eigenständig seine Angelegenheiten zu besorgen, ableiten. IdZ ist besonders strittig, ob die Registrierung der Vertretungsbefugnis eine konstitutive Voraus- setzung darstellt. Auch die konstitutive Eigenschaft der Registrierung wird, aus den oben angeführten Gründen, verneint.66 Auch Schauer/Parapatits67 bekräftigen diese Auffassung 59 Müller/Prinz, Ein Wegweiser2 145. 60 „Im Rahmen des Modelprojekts „Unterstützung zur Selbstbestimmung“, welches an 18 Gerichtsstandorten durchgeführt wurde, erprobten die Sachwaltervereine, wenn mit einem Clearing beauftragt, eine besondere umfangreiche Abklärungstätigkeit. Auf diese Weise versuchte man die Alternativen zur Sachwalterschaft be- sonders nachhaltig zu installieren“. Fritz, Das Modelprojekt „Unterstützung zur Selbstbestimmung“, iFamZ 2014, 62 (62). 61 § 268 Abs 4 ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2006/92. 62 Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 467-468. 63 Stabentheiner, in Rummel/Lukas, ABGB4 § 284b Rz 5 (Stand 01.07.2015, rdb.at). 64 Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 469. 65 Rabl, Das Sachwalterrechts- Änderungsgesetz und Bankgeschäfte, ÖBA 2008, 83 (85 f). 66 Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 469, 551. 67 Schauer/Parapatits, Angehörigenvertretung ipso iure, iFamZ 2008, 259 (259); Vgl auch LG Feldkirch 19.11.2007, 2 R 248/07x. 11
und führen aus, dass eine Annahme einer konstitutiven Wirkung die Vorrangsregelung zu- gunsten der Angehörigenvertretung verdrängt. Schauer68 nimmt idZ zwar keine Registrie- rungspflicht „per se“ an, jedoch befürwortet er insoweit eine Rechtspflicht, die zur interes- sengerechten Ausübung der Vertretungsbefugnis geboten sei. 3.1.3 Tätigkeitspflicht der nächsten Angehörigen Die Frage, ob aus der gesetzliche Legitimation auch die Pflicht der nächsten Angehörigen die Vertretungsbefugnis auszuüben abgeleitet werden kann, ist systematisch zu beurteilen. Die Angehörigenvertretung beruht auf der „allgemeinen familiären Beistandspflicht“. Grundsätzlich besteht eine allgemeine familiäre Beistandspflicht einerseits zwischen Ehe- gatten gem §§ 44 zweiter Satz69 und 90 Abs 170 und andererseits zwischen Eltern und ihren Kindern gem § 137 Abs 271. Hinter der allgemeinen familiären Beistandspflicht findet sich die Absicht des Gesetzgebers insb zur Lösung der Problematik der Betreuung betagter Men- schen beizutragen. Charakteristisch für die allgemeine familiäre Beistandspflicht ist, dass sie nicht nur immaterielle, sondern auch materielle Komponenten wie Arbeits-, Sach- und Geldaushilfen beinhaltet. Darunter fällt auch die Pflege eines erkrankten Ehegatten. Auch Kinder der betroffenen Personen sind verpflichtet, sich um ihre alten oder hilfsbedürftigen Eltern zu kümmern, indem sie bspw für sie einkaufen gehen, kochen, die Wäsche erledigen oder sie auch im Krankheitsfall pflegen. Demnach kommt der familiären Beistandspflicht erst im Falle von Hilfsbedürftigkeit infolge von Krankheit oder Alter eine zentrale Bedeu- tung zu. Somit können darunter jene Situationen besonderer Hilfsbedürftigkeit verstanden werden, die mit den grundlegenden Elementen der Vertretungsbefugnis nächster Angehöri- ger übereinstimmen. Unter diesem Gesichtspunkt wird die Pflicht der nächsten Angehöri- gen, die Interessen der betroffenen Personen wahrzunehmen, angenommen. Jedoch gilt die familiäre Beistandspflicht als „leges imperfectae“, dh, dass ihre Erfüllung nicht klagsweise durchgesetzt werden kann. Gleiches gilt für Ansprüche, die dadurch aus schadenersatz- oder bereicherungsrechtlichen Regelungen zustehen. Eine familiäre Beistandsplicht besteht wei- ters nur insoweit, als bei den jeweiligen betroffenen Personen diesbezügliche Hilfeleistung vonnöten („Erforderlichkeit“) sowie ihre Erfüllung zumutbar ist („Zumutbarkeit“). Dies ist stets einzelfallbezogen zu beurteilen, wobei angenommen wird, dass das Vorhandensein der Voraussetzungen in § 284 lit b Abs 1 idaF die Erforderlichkeit indiziere sowie ohne 68 Schauer, in Kletêcka/Schauer, ABGB- ON1.02 § 284e Rz 11 (Stand 01.03.2017, rdb.at). 69 § 44 2. Satz ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2017/161. 70 § 90 (1) ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2009/75. 71 § 137 (2) ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2013/15. 12
Vorliegen von besonderen Gründen die Besorgung, der in § 284 lit b Abs 1 idaF aufgezähl- ten und verhältnismäßig geringfügigen Angelegenheiten, als zumutbar befunden. 72 3.1.4 Geschäfts- bzw Einsichts- und Urteilsfähigkeit Im Vergleich der Angehörigenvertretung mit der Sachwalterschaft ist feststellbar, dass die Angehörigenvertretung weder in ihrer Begründung noch in ihrer Wahrnehmung zu einer konstitutiven Einschränkung oder Verlust der Geschäfts- bzw Einsichts- und Urteilsfähig- keit führt. Vielmehr hängt dieser vom Vernunftgebrauch der betroffenen Personen gem § 865 idaF73 ab.74 Betroffene Personen besitzen dann nicht „den Gebrauch der Vernunft“, wenn sie weder die Bedeutung noch die Tragweite rechtsgeschäftlichen Handelns zu erken- nen fähig sind. In diesen Situationen wird davon ausgegangen, dass der Geisteszustand die- ser Personen jenem eines noch nicht – voll geschäftsfähigen – Siebenjährigen entspricht.75 3.1.5 Umfang der Vertretungsmacht Vom Vertretungsumfang der Angehörigenvertretung sind Angelegenheiten des täglichen Lebens sowie nicht weitreichende Rechtshandlungen erfasst. Dazu zählen sowohl Angele- genheiten, die die Vermögenssorge als auch die Personensorge betreffen. Die gesetzliche Vertretungsmacht erstreckt sich auf fünf taxativ festgelegte Bereiche: Zum einen werden die Angehörigen nach § 284 lit b Abs 1 erster Satz idaF damit betraut, Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens vorzunehmen.76 „Ein Rechtsgeschäft des täglichen Lebens liegt dann vor, wenn dessen Abschluss der Befriedigung der Lebensbedürfnisse (iwS) der betroffenen Personen dient sowie deren Lebensverhältnissen entspricht“, so Schauer.77 Den Lebensverhältnissen der betroffenen Personen wird dann entsprochen, wenn die mit dem Abschluss eines Rechtsgeschäftes verbundenen finanziellen Lasten – bei Annahme ei- nes durchschnittlichen Einkommens - verhältnismäßig gering sind. Weitere maßgebende Kriterien für die Beurteilung der Alltäglichkeit sind die Üblichkeit sowie die rechtlichen Risiken, die damit einhergehen. Vereinfacht ausgedrückt sind darunter Rechtsgeschäfte zu verstehen, die im Alltag gewöhnlich vorkommen. Eine gewisse Abhilfe, was genau unter die 72 Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 482-487. 73 § 865 ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 2013/15. 74 Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 482. 75 Barth/Ganner, Handbuch des Sachwalterrechts2 108-110. 76 Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 474-475. 77 Schauer, „Zahlen gewünscht?“ Zur Reichweite der Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger bei Erfül- lungshandlungen, iFamZ 2009, 205 (209). 13
Alltäglichkeit fällt, bieten auch die Lehre und Rsp zu § 9678. Demnach umfasst die gesetzli- che Vertretungsmacht die Reparatur von Haushaltsgeräten, den Kauf von kleineren Einrich- tungsgegenständen, die Begleichung von Krankheitskosten sowie die Buchung eines Ur- laubs der betroffenen Personen.79 Bei der Vertretungstätigkeit ist stets darauf Bedacht zu nehmen, dass die betroffenen Personen nicht daran gehindert werden, ihre bisherige Lebens- führung entsprechend ihren Gewohnheiten zu gestalten.80 Rechtsgeschäfte, die keinen All- tagscharakter aufweisen oder die betroffenen Personen zu sehr belasten, sind von der gesetz- lichen Vertretungsbefugnis der nächsten Angehörigen nicht gedeckt. Dazu zählen insb typi- sche Rechtsgeschäfte im Bereich des Miet- und Wohnungseigentumsrechts wie bspw der Abschluss oder die Auflösung eines Mietvertrages.81 Auch gewöhnliche Tätigkeiten, wie die Sanierung des Badezimmers, der Einbau einer neuen Heizung oder der Kauf einer neuen Kücheneinrichtung sind von der Vertretungsmacht der nächsten Angehörigen ausgeschlos- sen.82 Gleiches gilt für Vertretungshandlungen, die nicht geringfügig sind. Demnach kommt den nächsten Angehörigen keine Entscheidungskompetenz bezüglich der Veränderung der Wohnverhältnisse der betroffenen Personen zu.83 Zum Zweiten bezieht sich die Berechtigung nach § 284 lit b Abs 1 zweiter Satz idaF zum Abschluss von Rechtsgeschäften, die zur Deckung des Pflegebedarfs vonnöten sind. Zum Dritten dürfen Ansprüche, die den betroffenen Personen aufgrund des Alters, Krankheit, Be- hinderung oder Armut zustehen, geltend gemacht werden. Die Befugnis der nächsten Ange- hörigen pflegebedingte Rechtsgeschäfte zu schließen, soll zur Sicherstellung der benötigten Pflege der betroffenen Personen beitragen. Dieser erfasst bspw die Heimhilfe oder den Ab- schluss von Verträgen über mobile Mahlzeitdienste („Essen auf Rädern“). Auch hier müssen die Erfordernisse der Verhältnismäßigkeit nach § 284 lit b Abs 1 erster Satz idaF vorliegen. Des Weiteren beinhaltet die Vertretungsmacht der nächsten Angehörigen, wie oben be- schrieben, die Befugnis neben der Geltendmachung von Ansprüchen auf Pension oder Ar- beitslosengeld auch die Geltendmachung von Pflegegeldansprüchen. Gleiches gilt für die Geltendmachung von Vergünstigungen wie Ermäßigungen für öffentliche Verkehrsmittel. IdZ wird hinterfragt, ob die Vertretungsmacht der nächsten Angehörigen die jeweilige 78 § 96 ABGB idF JGS 1811/946 zuletzt geändert durch BGBl I 1975/412. 79 Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 474-475. 80 Tschugguel/Gerstinger, Rechtzeitig vorsorgen. Angehörigenvertretung, Vorsorgevollmacht, Patientenver- fügung (2014) 37. 81 Stabentheiner, in Rummel/Lukas, ABGB4 § 284b Rz 7 (Stand 01.07.2015, rdb.at). 82 Tschugguel/Gerstinger, Rechtzeitig vorsorgen 37. 83 Barth/Kellner, Handbuch des Sachwalterrechts2 476. 14
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