Die ewige Baustelle - Deutscher Musikrat
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63280 4/13 Oktober-Dezember 2013 Musikleben im Diskurs Die ewige Baustelle Kulturkonstrukt Europa | Interview mit Wolfgang Rihm: „Das Neue und Ungewohnte zulassen“ | Nur noch kurz die Welt retten. Die große Sehnsucht nach D € 8,50 ı A € 8,80 ı CH SFR 14,60 Entschleunigung in der aktuellen deutschen Popmusik
editorial 1 Baustelle Europa Wissen Sie, wo Europa liegt? Real, nicht als Traumgebilde eines Garten Eden, nicht als Projektionsfläche unerfüllter Erwartungen, nicht als Marktplatz der Eitelkeiten, nicht als Grabstätte verschleuderter Steuermillionen. Sollte jemand eine Antwort wagen – ein Verweis auf die Landkarte reicht jedenfalls nicht. Christian Höppner Europa ist mehr als wir bisher zu hoff en gewagt haben. Europa ist mehr als der Eur o. Chefredakteur Europa ist mehr als wohlfeile Sonntagsreden: Europa ist Vision und praktisches Handeln zugleich. Und: Europa entwickelt sich im Hier und Jetzt – oder nie. Die Idee eines Europas der Einheit in der Vielfalt weist auf die zentrale Rolle kultur eller Identitäten hin. Der Zustand des kulturellen Lebens ist der erste Gradmesser für die Frage, wie viel Europa tatsächlich vor Ort „ankommt“ – beim einzelnen wie bei Gruppen. Die Neugierde auf das Andere zu wecken, ist und bleibt eine zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe, weil sie die Voraussetzungen für Wahrnehmung, zivilisierte Auseinandersetzung und Wertschätzung bilden kann. Das gilt im Dialog von zwei Menschen, wie für den Dia- log in Gruppen, Gesellschaften und Nationen. Mit dem immer noch beispiellosen Reich- tum an Kultureller Vielfalt verfügen die europäischen Länder über ein immenses Kreativ- potenzial, das allzu oft brac h liegt. Europa ist kein Top-Down-Projekt für Sonntagsreden oder Freihandelszonen, sondern ein kultureller Lebensraum für den einzelnen Bürger wie für seine Gesellschaften. Kulturelle Vielfalt kann dabei helfen, Unterschiede wie Gemein- samkeiten bewusst zu machen. Ohne kulturelle Teilhabe, ohne das Be wusstsein für den Wert kreativen Schaffens und ohne die (soziale) Wertschätzung kreativer Leistung kann es keine Kulturelle Vielfalt geben. Kulturelle Vielfalt bildet das Fundament für eine Werte- gemeinschaft, die sich bislang vornehmlich über wirtschaftliche und geopolitische Fragen zu verständigen sucht. Dass das nicht mehr ausreicht, zeigt sich einmal mehr in der soge- nannten „Eurokrise“. Das Fundament für die Baustelle, die Europa noch immer ist, ist die Kultur. Sie muss vor Ort erlebbar sein. Sie muss den Raum bieten, Impulse zu setzen, Fragen zu stellen und Antworten zu wagen. Nur in der Auseinandersetzung über Gemeinsames und Trennendes kann ein Bewusstsein für die eur opäischen Werte wachsen. Dazu gehört nicht nur eine Stärkung des Europäischen Parlaments im Kraftfeldgefüge mit der Europäischen Kommis- sion, sondern auch die Erkenntnis, dass die europäischen Grenzen im Sinne des transkul- turellen Dialoges fließend sind. Deshalb – und nicht nur deshalb – ist es höchste Zeit, die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union voranzutreiben. Für die Europawahlen am 25. Mai 2014 heißt es nic ht nur wählen zu gehen, sondern zum Beispiel v orab mit den je weiligen Wahlkreisabgeordneten die Umsetzung der UNESCO Konvention „Kulturelle Vielfalt“ zu diskutieren – ganz konkret und vor Ort. Christian Höppner 4/13
inhalt im fokus: Die ewige Baustelle Kulturkonstrukt Europa Das Wir-Gefühl zählt: Instrumentalisten des EUYO Innehalten – die Sehnsucht nach – European Union Youth Orchestra, Seite 14 Entschleunigung, Seite 32 im fokus pro & contra | Europa ist Musik | Brauchen wir ein Bundeskulturministerium? Wolfgang Rathert:Europas Vielfalt spiegelt sich Olaf Zimmermann und Thomas Goppel 24 in der Musik wider 6 | Einheitsstifterin Kultur neue töne Doris Pack/Walter Hirche/Jörg-Peter Weigle: Welche | Stockhausens „Hymnen“ Rolle spielt die Kultur für ein Europa der Einheit in Eint Karlheinz Stockhausens Werk die Menschen Europas? der Vielfalt? 9 (Stefan Fricke) 29 | Kultur als Identitätsstifterin | Das Neue und Ungewohnte zulassen Wolfgang Schmale: Europas Identität definiert sich Christian Höppner und Ulrike Liedtke im Gespräch über die europäische Kultur 12 mit Wolfgang Rihm 26 | Europa – das sind wir! Andreas Bock: Wie der europäische Einigungsprozess durch Kultur vorangetrieben werden kann 14 akzente | Nur noch kurz die Welt retten | Vielfalt ist Trumpf und Segen Die große Sehnsucht nach Entschleunigung in der Willi Steul: Musikalische Nachwuchsförderung in aktuellen deutschen Popmusik (Ole Löding) 32 Europa am Beispiel von Young Euro Classic 16 | Ein bisschen Wahnsinn musik und politik Clemens Dreyer und Claas Triebel: Der Eurovision | Tua res agitur Song Contest: zwischen Einheit und Vielfalt 19 Kulturförderung – Zum Verhältnis von Staat und Zuwendung empfangendem Bürger (Stephan Opitz) 35 | Aufbrechen, um zu erhalten! Lydia Grün und Susanne Wienemann: Europa sucht neue Wege zur Musik 22 4/13
4 | 13 Oktober – Dezember 2013 Lampenfieber! Doch der Puls Das EU-Förderprogramm für 2014 bis 2020 geht ganz normal? – Seite 40 setzt auf Europas Kreativität, Seite 48 | Jeder kennt den Preis der Dinge, ihren Wert | Unzumutbar hingegen kennen die wenigsten! Die Ausgestaltung des Zuwendungsrechts lässt Ein Plädoyer zur Verteidigung des Musiklandes Hauptamtlichkeit sowie Ehrenamt zum Lebensrisiko Deutschland und seiner künstlerisch-kulturellen Werte werden (Rüdiger Grambow) 51 (Hartmut Karmeier) 38 | Disziplin, Doping und Dystonie report Christian Höppner im Gespräch mit | Verfemte Musik als Botschafter Marie-Luise Neunecker 40 Kultureller Vielfalt Christian Höppner im Gespräch mit Volker Ahmels 54 | Ein Leben voller Musik Christian Höppner im Gespräch mit | Bach als „Wohlfühlprogramm“? Ernst-Ullrich Richard Neumann 44 Christian Höppner im Gespräch mit Christoph Krummacher 57 bildung | forschung | Wo Können reine Freude macht | Die Welt des Hörens 40 Jahre Deutsche Streicherphilharmonie Die Initiative Hören feiert ihr 10-jähriges Bestehen (Matthias Pannes) 60 (Babette Kaiserkern) 46 | editorial 1 wirtschaft | recht | nachrichten | rezensionen 4 62 | Kreatives Europa | finale/impressum 64 Europas Förderprogramm für den Kultur- und Kreativsektor 2014 bis 2020. Was bleibt und was wird sich verändern? (Cornelia Bruell) 48 4/13
4 nachrichten Das Erbe des Visionärs und Förderers Carl Bechstein ausgezeichnet Die neu gegründete Carl- mit 2 500 Euro dotierten Son- Bechstein-Stiftung hat ihre Ar- derpreis. Auch im k ommenden beit aufgenommen. Sie förder t Jahr sollen mehrere Bundespreis- vor allem Kinder und Jugend - träger der Ka tegorie „Klavier liche, die das Kla vierspiel erler- solo“ mit Stipendien bedac ht nen möchten. Zahlreiche Schu- werden. len in Deutsc hland haben von Fachkundig beraten wird die der Stiftung kostenlos ein Klavier Stiftung durch die Mitglieder des zur Verfügung gestellt bek om- Kuratoriums, dessen Vorsitz men, das bei musikalischen Auf- Christian Höppner, Generalse- führungen sowie beim Kla vier- kretär des Deutsc hen Musikrats unterricht eingesetzt wird. Es sowie Vizepräsident des Europäi- © Sébastien Grébille/Philharmonie Luxembourg gehe darum, möglichst vielen schen Musikrats, übernommen Kindern – auc h aus sozialen hat. Stellvertretender Vorsitzen- Brennpunkten – die Möglichkeit der ist Wolfram Nieradzik, Mit- zu eröffnen, das Klavierspiel zu glied der Gesc häftsleitung der erlernen, so Karl Sc hulze, Stifter Funk Gruppe. Mit Theo Geißler und Vorsitzender des Vorstands engagiert sich der Herausge ber der Carl-Bechstein-Stiftung. und Chefredakteur der nmz im Im Programm der Stiftung er- Kuratorium, in das auch der Pia- gänzen sich Breiten- und Spit- nist und Kla vierprofessor Lars zenförderung. Beim Bundeswett- Vogt seine vielfältigen Erfahrun- bewerb „Jugend musiziert“ ver- gen einbringt. Das YEAH!-Festival ging am denkern Europas“ gekürt. Das gab die Stiftung unlängst einen Samstag, 14. September 2013, Preisgeld von insgesamt 40 000 in Osnabrück mit einer Gala zur Euro und die YEAH!-Trophäe Verleihung des Young EARopean wurde ihnen im Sc hloss Osna- Award zu Ende . Begegnungen brück überreicht. Prämiert sind durch Musik über Länder gren- die Bühnenshow „Drumblebee“ zen hinweg zogen sich als roter von Quatuor Beat und der Phil- Förderung der Kulturellen Vielfalt Faden durch das gesamte F es- harmonie Luxemburg in Zusam- tival. „Osnabrück wurde in den menarbeit mit der Kölner Phil- vergangenen Tagen zum Zen- harmonie (im Bild), dem Luzern Die Stiftung Niedersachsen diverser interkultureller Musik- trum der Völkerverständigung Festival sowie den Grazer Spiel- veranstaltet am Donnerstag, 14. projekte. Im Anschluss werden und konnte mit dem YEAH!-Fes- stätten, das Pr ojekt „Come in!“ November 2013, in Kooperation der Präsident der Deutsc hen tival die kr eative Energie ganz von den Göteborger Sinfonikern, mit dem Deutsc hen Musikrat UNESCO-Kommission, Walter Europas bündeln“, so Hans-Jür- das innovative Projekt „Concerts und mit Unterstützung der Hirche und der Veranstalter Joa- gen Fip, Oberbürgermeister der for Babies“ von Musicalmente Deutschen UNESCO-Kommis- chim Werren von der Stiftung Stadt Osnabrück a. D. aus Portugal, das Projekt „Listen sion den Fachtag „Musik.Viefalt. Niedersachsen in das Thema ein- Sechs Produktionen aus den Län- to the Silence – a J ourney with Integration – Zeit zu Handeln“ führen. Die Grünen P olitikerin dern Luxemburg, Belgien, Portu- John Cage” der Zonzo Compa- in der Niedersäc hsischen Lan- Claudia Roth ist angefra gt, mit gal, Deutschland und Schweden gnie, das Projekt „Notations“ des desvertretung in Berlin. Raimund Vogels, Direktor des wurden mit dem eur opäischen Klavierfestivals Ruhr sowie „Feel Ziel der Veranstaltung ist es, Center for World, Christian Preis für inno vative Musikpro- the Music“ des Mahler Chamber Maßnahmen zur Umsetzung und Höppner, Generalsekretär des jekte ausgezeichnet und zu „Vor- Orchestra. Anwendbarkeit der UNESCO- Deutschen Musikrats sowie Vize- Konvention zur Kulturellen Viel- präsident des Europäischen Mu- falt in der unmittelbar en künst- sikrats, und der Musik erin De- lerischen und pädagogischen Ar- nise M’Baye über die Möglic h- Birgit Jank erhält den Förder- Hoffbauer Berufsakademie Pots- beit vor Ort zu ermitteln. Welche keiten zur Förderung der Kultu- preis „InTakt 2013“ der miriam- dam mit dem inklusiv ausge- Rahmenbedingungen sind dazu rellen Vielfalt in Deutschland zu Stiftung für ihre langjährige und richteten Studiengang „Musik- nötig? Wie sieht eine optimale diskutieren. kontinuierliche Einbeziehung pädagogik und Musikv ermitt- Zusammenarbeit zwischen Bil- Die Anmeldungen zum k osten- des Themenfeldes Musik und In- lung in Sozialer Arbeit“ gewür- dungs-, Kulturinstitutionen und freien Besuch bis zum 1. No- klusion in die akademisc he digt. Seit 2003 ist Birgit Jank als der Politik aus? vember unter www .musikviel- Lehramtsausbildung. Mit dem Professorin für Musikdidaktik an Ab 13 Uhr beginnt die öff entli- faltintegration.de. Preis wird auc h ihre ehrenamt- der Universität Potsdam tätig. che Tagung mit der Vorstellung liche Tätigkeit als Präsidentin der 4/13
nachrichten 5 Würdigung des Deutschen Musikrats DOV bedauert im Bundeskanzleramt negatives Urteil Anlässlich des 60-jährigen schen Herausforderungen ge- Das Bundesarbeitsgericht hat Jubiläums des Deutschen Musik- setzt. Themen wie der Wert der am 25. September entsc hieden, rats e.V. fand am 4. Juli 2013 ein Kreativität und die Förder ung dass es k einen Rechtsanspruch Empfang im Bundeskanzleramt der Kulturellen Vielfalt sind lang- darauf gibt, die Vergütungen von statt. Neben dem Präsidium, den fristige Handlungsfelder, die nur Orchestermusikern analog zum Leitungsebenen und Mitarbei- im Schulterschluss von Politik öffentlichen Dienst anzupassen. tern des Deutsc hen Musikrates und Zivilgesellschaft gelöst wer- Dies könne allein tarifvertraglich waren Kooperationspartner, poli- den können.“ geregelt werden. Obwohl der tische Vertreter und Teilnehmer Auch Martin Maria Krüger, Präsi- Orchestertarifvertrag ausdrück- Schüler- und Nach- der Projekte des Deutschen Mu- dent des Deutsc hen Musikrates, lich eine „sinngemäße“ Übertra- wuchsbands gesucht sikrats anwesend. In seiner An- äußerte sich zum Gründungsju- gung der Lohna bschlüsse von sprache betonte K ulturstaatsmi- biläum und erklärte: „Die ausge- Ländern und Kommunen auf die Deutschlands größter Band- nister Bernd Neumann die nach- zeichnete Bilanz des Beauftra g- Staats- und Kommunalorchester wettbewerb „SchoolJam“ sucht haltige Bedeutung der musikpo- ten der Bundesr egierung für festlegt, hat das BAG darin keinen die besten Schülerbands des Lan- litischen Arbeit der Or ganisa- Kultur und Medien ha t für die durchsetzbaren Rechtsanspruch des. Ziel ist es, die Roc k- und tion: „Der Deutsche Musikrat ist Kulturpolitik in Deutsc hland ei- gesehen. DOV-Geschäftsführer Popmusik an Schulen nachhaltig wichtiger Ratgeber in m usik- ne bedeutende Signal wirkung. Gerald Mertens sagt: „Ich bedau- zu fördern, Spaß am Musizieren politischen Fragen für Regierung Ich hoffe, dass die Musik auch in ere die Entsc heidung des BA G zu vermitteln und Musikprojekte und Parlament und ha t mit der jetzigen Legislaturperiode ei- und fordere den Deutschen Büh- zu unterstützen. Die Siegerband Handlungsempfehlungen wie ne essentielle Rolle in der K ul- nenverein nun auf, unverzüglich des diesjährigen Wettbewerbs den „Berliner Appellen“ weg- turförderung des Bundes ein- durch Tarifvertrag neue Lohnta- spielt beim Hur ricane- und weisende Impulse zur Be wälti- nehmen wird.“ bellen für die Staa ts- und Kom- Southside-Festival sowie auf gung der aktuellen kultur politi- munalorchester abzuschließen.“ Bühnen in Shanghai und Lon- don. Zur Teilnahme am Wettbe- werb sind alle Sc hüler der Klas- sen 5 bis 13 an r und 17 000 Personalia weiterführenden Schulen aufge- rufen. Bewerbungen gehen bis zum 30. November 2013 an www.SchoolJam.de. Spielstätten werden erstmals prämiert © Andreas Knapp Der Staatsminister für Kul- tur und Medien Bernd Neumann vergibt erstmalig den „Spielstät- tenprogrammpreis“ an 55 Preis- Marie-Luise Neunecker Ulrike Liedtke, Direktorin der Martin Ullrich hat am 1. Okto- träger. Die Auszeichnung ist Teil wurde am 15. Mai 2013 zur Musikakademie Rheinsberg, ist ber 2013 seine zw eite Amtszeit der Förderungen der Initia tive Prorektorin der Hoc hschule für am 13. September 2013 als Vor- als Präsident der Hochschule für Musik. Die Gewinner erhalten in Musik „Hanns Eisler“ in Berlin sitzende der Konferenz der Lan- Musik Nürnberg angetreten. Die drei unterschiedlichen Preiskate- gewählt und vom Senat für eine desmusikräte im Deutschen Mu- Ernennung erfolgte durch den gorien eine Prämie v on bis zu Amtszeit von zwei Jahren be- sikrat wiedergewählt worden. bayerischen Wissenschaftsminis- 30 000 Euro. Ber nd Neumann stellt. Seit 2009 steht sie dem Gr emi- ter Wolfgang Heubisch. Amts- erklärte bei der Verleihung: „Mit Seit 2004 ist sie als Pr ofessorin um aller Länderpräsidenten und chef Adalbert Weiß überreichte dem Preis würdigt die Bundesre- für Horn an der Hochschule für Ländergeschäftsführer vor. Unter Martin Ullrich am 27. Septem- gierung das Enga gement von Musik „Hanns Eisler“ tätig . Sie ihrer Leitung trat die Konferenz ber 2013 im Ba yrischen Staats- Clubbetreibern, die ohne oder arbeitete als Päda gogin an der der Landesmusikräte mit mehre- ministerium für Wissenschaft, mit nur wenig öffentlicher För- Hochschule für Musik und Dar- ren Grundsatzpapieren an die Forschung und Kunst die Ernen- derung ein vielfältiges und qua- stellende Kunst Frankfurt am politische Öffentlichkeit. Die nungskunde. Zudem wurde litativ hochwertiges Musikpro- Main und gastier te als Solistin, Konferenz der Landesm usikräte Martin Ullrich auf eine Professur gramm jenseits des Eta blierten Kammermusikerin und mit zahl- wählt ihre Vorsitzende in einem für Interdisziplinäre Musikwis- anbieten und so zum Erhalt der reichen Orchestern auf Bühnen weiteren Wahlgang in das Präsi- senschaft mit Sc hwerpunkt Hu- Kulturellen Vielfalt in Deutsc h- in der ganzen Welt. dium des Deutschen Musikrats. man-Animal Studies berufen. land beitragen.“ 4/13
6 fokus Europa ist Musik Europas Vielfalt spiegelt sich in der Musik wider Wolfgang Rathert Europa ohne Musik und Musik ohne Europa – beides ist für Wolfgang Rathert, Professor für Musikwissenschaft, unvor- stellbar. Musik zieht sich wie ein roter Faden durch die euro- Die Entführung der Europa durch Zeus in päische Geschichte, denn bereits als Zeus die Königstochter Straßburg vor dem Europäischen Europa entführte, hatte diese Musik mit im Gepäck. Parlament: die Geburtsstunde der Kultur Auf die Frage, was Europa sei, gibt es viele Antworten. Eine ist. Es würde also etw as Entscheidendes an der eur opäischen lautet: Europa ist Musik – und die Musik zeigt Europas Vielfalt. Identität fehlen, wenn es die Musik nicht gäbe! Und blickt man Stellen wir uns als Gedankenexperiment vor, Europa wäre musi- noch weiter zurück, so entdeckt man, dass die Musik sic h wie kalisch stumm. Wäre die Vorstellung auszuhalten? Wohl kaum. ein roter Faden durch die europäische Geschichte zieht. Und falls doch, welche Musik würden wir besonders schmerz- Bereits als Zeus die Königstochter Europa entführte, hatte diese lich vermissen? Die Be wohner der einzelnen Na tionen, aber Musik mit im Gepäck: nicht nur in klingender Form, sondern in auch die jeweiligen Generationen würden wahrscheinlich sehr Gestalt eines durchdachten Tonsystems. Dieses sogenannte „voll- unterschiedliche Antworten geben – so unterschiedlich, wie es ständige“ (teleion) System war ein für die weitere europäische der kulturellen Vielfalt Europas entspricht. Die Jüngeren würden Entwicklung entscheidender Schritt, durch eine Art verbindli- aber möglicherweise gerade jene Musik v ermissen, die in der ches Alphabet Ordnung in die Musik zu br ingen. Das Wort Regel nicht aus Europa kommt, nämlich die sogenannte P op- „Musik“, eigentlich die „K unst der Musen“, bezeichnet die oder U-Musik. Sie gilt als Er rungenschaft der nordamer ikani- Möglichkeit, aus Schallereignissen Gebilde hervorzubringen, die schen Musik, doch hat sie bei genauerem Hinsehen auch einen auf der einen Seite Kommunikation (als Sprache) ermöglichen, ihrer Ursprünge in der eur opäischen Volksmusik. Die Älter en auf der anderen Seite aber bestimmte emotionale Zustände (als würden wohl an Bach, Beethoven, Chopin, Mozart oder Tschai- Klang) auslösen. Durch ihre bis heute nic ht restlos erklärbare kowsky denken, vielleicht auch an den gr oßen französischen psychische Wirkung war die Musik zusammen mit dem Tanz Barock-Komponisten Marc-Antoine Charpentier, dessen Te Deum das ideale Gefäß der Darstellung religiöser oder magischer Prak- als Melodie der Eur ovisions-Hymne ein Ohrwur m geworden tiken bis hin zu eksta tischen Zuständen. Dahinter stand der 4/13
fokus 7 © imago/Caro Gedanke einer Einheit der Künste , aus der sic h in der italieni- zeigte sich dies in der Entstehung und Ausbreitung des Grego- schen Renaissance die Oper als eine zentrale kultur elle Aus- rianischen Chorals, also des einstimmigen und unbegleiteten drucksform der europäischen Gesellschaft entwickelte. In den Gesangs der ka tholischen Kirche und der c hristlichen Orden. Augen ihrer Schöpfer sollte die Oper die antik e Einheit v on Das um 600 in Rom unter P apst Gregor IV. zusammengestellte Sprache und Musik nac hahmen; zugleich war die Darstellung Repertoire an Gesängen für Messe und Stundenge bete breitete subjektiver Stimmungen eine Provokation, da sie sich gegen den sich parallel zu den Gesängen der Ostkirche in Westeuropa aus: strengen Stil der polyfonen katholischen Kirchenmusik richtete, zunächst in Frankreich und Spanien (dort in Verschmelzung mit bis dahin der Inbegr iff von Musik für geistlic he wie weltliche arabischen und jüdischen Einflüssen), unter Karl dem Gr oßen Herrscher in Europa. Und doc h wurde die Oper zum Symbol dann auch in Mitteleuropa. Multiplikatoren waren die Klöster, in der europäischen Musik, und keine andere Hochkultur hat bis denen Bildung tradiert und transportiert wurde. Karl der Große heute eine vergleichbar komplexe Form des Ineinandergreifens erkannte und nutzte die Macht der Musik konsequent. Zwar galt aller Künste auf Grundlage der Musik hervorgebracht. die Musik im Altertum als Wissenschaft, als Teil des Quadr i- Von der uns kaum noch vorstellbaren Einheit von Musik, Spra- viums. Aber die durch die Spätantike geprägten Gelehrten der che und Kult im antiken Griechenland bis zur Entstehung der karolingischen Zeit betonten v or allem ihre rhetorische Kraft, Oper war es nicht nur chronologisch ein weiter Weg. In faszi- ihre repräsentative und funktionale Bedeutung. nierender Weise nahm die Musik eine Schlüsselrolle bei der Ge- Musik wurde dadurc h universell: Wissenschaft und Kunst zu- staltung der politischen und kulturellen Einheit des c hristiani- gleich, wanderte sie v on den Klöster n aus sehr sc hnell quer sierten, abendländischen (West-)Europas ein. Exemplarisch durch Europa und nahm einen ungeheur en Aufschwung, der 4/13
8 fokus erstmals im „Er eignis Notre Dame“ kulminier te. Zwischen nalen und stilistischen Idiome zu einer Einheit zu verschmelzen. 1170 und 1250 bildete sic h an der Pariser Hauptkirche in Zu- Bach konnte sich über den Zeitgesc hmack in Versailles oder sammenarbeit von Klerus und Gelehr ten, von Musikern und London nur durch Notenabschriften informieren, Händel ver- Dichtern ein m usikalisches Repertoire mehrstimmiger Musik körperte dagegen diese Aufgabe in seiner Biografie: Von seinem heraus, das die riesigen, von Licht durchfluteten Architekturen Geburtstort Halle an der Saale ging er zum w eiteren Studium der gotischen Kathedralen akustisch widerspiegelte. Wichtige nach Rom, wo er großartige Oratorien für Kardinäle k ompo- neue musikalische Formen und Gattungen wurden dadurch an- nierte, um dann in London als Autor des Messias endgültig zu gestoßen, so die kunstvolle mittelalterliche Motette, die zur ers- Weltruhm zu gelangen. Bestattet in der Westminster Abbey, wird ten „europäischen“, d. h. bilingualen Ga ttung in der Musik Händel von den Briten zu Recht als größter englischer Kompo- wurde, da ihr simultan gesungene französische und lateinische nist verehrt. Doch er ist zugleich ein europäischer Musiker par Texte zugrunde lagen. excellence, wie nach ihm nur noch Franz Liszt. Durch die Grün- Die glanzvolle Musik des mittelalterlichen Zentrums Paris strahl- dung einer „Handel & Ha ydn Society“ 1809 in Boston v erlieh te auf ganz Europa aus und führte dazu, dass Musik ein Prestige- auch die junge amer ikanische Nation ihrer Bewunderung von Objekt wurde. So kam es zur Gründung zahlr eicher musika- Händels Werk Ausdruck und setzte damit einen Export europäi- lischer Ensembles, als prächtige fürstliche Hofkapellen wie als scher Musik in die USA in Gang , der a b 1933 durc h die er- städtische Turmbläser. Entsprechend differenziert war der Sozial- zwungene Emigration nahezu aller bedeutenden eur opäischen status von Musikern: Der einzelne Sänger oder Instr umentalist Komponisten in die USA eine ganz ander e Bedeutung bekam, war in eine strenge Hierarchie eingebunden, der Komponist je- bevor es dann im Kalten Kr ieg zu einem Re-Impor t populärer doch konnte zum „Star“ w erden und sic h die Angebote der Musik kam. Die Hoffnung aber, Musik könne als eine w eltum- Herrscherhäuser aussuchen. Die eur opäische Musiklandschaft spannende Sprache die tiefgreifenden politischen und ideologi- des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit ist daher schen Konflikte unserer Zeit positiv beeinflussen, bleibt die ungeheuer vielfältig, ja international „verflochten“ gewesen. So wichtigste Botschaft der europäischen Musik. Dies mag der tie- erlebte einer der größten und immer noch die Musikgeschichte fere Grund dafür sein, dass der große amerikanische Avantgar- beeinflussenden Komponisten aller Zeiten, der im heutigen Bel- dist John Cage seiner einzigen, 1984 in Frankfurt uraufgeführ- gien geborene Josquin Desprez (ca. 1450-1521), den Höhe- ten Oper den Namen Europeras gab. Europa ohne Musik wie punkt seiner Karriere am Hof des Herzogs von Ferrara, dem er auch Musik ohne Europa – beides bleibt unvorstellbar. auch musikalisch ein Denkmal setzte . Messen, Motetten und Chansons der sogenannten frank o-flämischen Vokalpolyfonie, die über fünf Generationen hinweg die europäische Kunstmusik dominierte, trugen Beinamen wie „L ’homme armé“ („Der Mann in Waffen“) und wiesen damit auf die gr enzüberschrei- tende Fähigkeit der Musik hin – in diesem Fall auf ein französi- sches Soldatenlied, dessen Hauptmelodie in Messen oder Motet- ten „einwanderte“ und damit in ganz Europa präsent war. Springen wir in das 18. Jahrhundert, an dessen Ende mit der Französischen Revolution auch der Unter gang des „Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation“ erfolgte, dem der Aufstieg der modernen Nationalstaaten folgte. Parallel zur bis heute wirksamen institutionellen Organisation des Musiklebens durch Opernhäuser und Orchestergründungen und die finanzielle För- derung der Musik durc h den Staa t wird im Bar ock mit dem „gemischten Geschmack“ erneut eine übergreifende und identi- tätsstiftende Idee von Musik greifbar. So spiegeln die Bezeic h- nungen der einzelnen Sätze der barocken Instrumentalsuite ihre Herkunft oder soziale Funktion aus bzw . im höf ischen oder Wolfgang Rathert studierte Historische Musikwissenschaft an der Freien Univer- volkstümlichen Tanz: Allemande (Deutschland), Courante (Ita- sität Berlin. Von 1991 bis 2002 war er Leiter der Abteilung Musik und Darstellende lien/Frankreich), Sarabande (Spanien) und Gigue (England). Kunst der Bibliothek der UdK Berlin. 2002 folgte seine Berufung zum Professor für Zur Aufgabe der Komponisten wird es, die verschiedenen natio- Musikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 4/13
fokus 9 Einheitsstifterin KULTUR Welche Rolle spielt die Kultur für ein Europa der Einheit in der Vielfalt? Walter Hirche, Doris Pack und Jörg-Peter Weigle äußern sich von verschiedenen Standpunkten aus über die Bedeutung der Kultur für Europa. Hat die Kultur eine einigende Kraft? Ist Europa kulturell zusammengewachsen? Das Musikforum hat nachgefragt. Mit der Schließung des griechischen Staatssenders ERT bricht ein weiterer Stein aus dem kulturellen Gebäude Europa: Tausende Griechen protestieren gegen das Spardiktat © imago/Xinhua 4/13
10 fokus Zwischen Regionalität und Bologna-Prozess Ich erlebe Europa aus zwei Perspektiven: als Hochschullehrer sich schnell verbreiten und leicht kopiert werden können. „Kunst und als Interpret. Der Lehrer befasst sich zwangsweise mit dem muss sich verkaufen und das natürlich europaweit“, so hören es Bologna-Prozess und stößt da bei auf die Chancen und Risik en meist die Musiker. Kunst, die das kann, ist hochwertig und rich- der europäischen Hochschulreform, die eine Vergleichbarkeit tungsweisend. Aber ist sie das ta tsächlich? Hochpreisig ist sie von Studiengängen und Abschlüssen zum Ziel hatte. Eine Chan- zumeist, aber hochwertig? ce war die Sc haffung eines einheitlic hen europäischen Hoch- Was genau ist es, was dieses Europa für wertvoll erachtet, Indi- schulraums, in dem sich der Studierende frei bewegen können vidualität oder Mainstream? Einerseits muss die kulturelle Viel- soll. Damit will Europa eine unvergleichbare Freizügigkeit her- falt als konstitutionelle Bindung Europas gestärkt werden und stellen, wie sie nicht einmal in Deutschland selbst möglich ist. ein Ansporn zur Individualität sein. Auf der anderen Seite tragen Hierzulande kann eine Familie mit Kindern nicht unproblema- wir aber auch Verantwortung für das geeinte Europa. Es darf uns tisch von einem Bundesland ins andere umziehen bzw. ein Leh- deshalb nicht egal sein, wenn in Griechenland ein Rundfunk- rer Schultyp oder Bundesland wechseln. Das alles soll in Europa chor und ein Rundfunksinfonieorchester per Dekret geschlossen möglich sein? Es sc heint, als wäre Europa weiter als die deut- werden. Solche Beschlüsse treffen nicht nur die griechische (in- sche Kleinstaaterei und der Bologna-Prozess eine Blaupause für dividuelle), sondern auch die europäische Identität. Es spielt ei- eine längst fällige deutsche Föderalismusreform. ne Rolle, wenn aus dem „kulturellen Gebäude Europa“ ein Stein Der Bologna-Prozess stellt einen Paradigmenwechsel in der Aus- herausgebrochen wird. bildung dar. Deutsche Musikhochschulen verlangen bestimmte Dennoch, auch wenn man vom Ziel noch weit entfernt ist, muss Standards. Wir müssen konstatieren, dass diese Standards nic ht das Ziel selbst nicht falsch gesteckt sein. überall in Europa so vertreten werden, sondern oft anderes für wichtig erachtet wird. Darauf müssen wir uns einstellen. Der Interpret hingegen beschäftigt sich vor allem mit der Indi- vidualität und möchte nicht einer von vielen in diesem großen Europa sein. Für ihn ist das Besonder e, das Eigene das Ziel. Im Sinne eines kultur ell vielfältigen Eur opas könnte man das als „das Regionale“ bezeichnen. Der Interpret befindet sich in ei- nem weitaus größeren Lebensraum als noch vor zehn oder gar zwanzig Jahren. Die Chance hierbei liegt in der Neugierde der Jörg-Peter Weigle ist ehemaliger Rektor der Hoch- schule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin. Seit 2001 vielen künstlerischen Individualitäten aufeinander und in den ist er dort als Professor für Chordirigieren tätig. Er daraus erwachsenden Erkenntnisprozessen, die uns alle ber ei- © Monika Rittershaus war fast 17 Jahre als Chefdirigent verschiedener Or- chern können. Die Vielfalt wird am sc hnellsten durch soziale chester bzw. des Rundfunkchors Leipzig tätig und ist Medien transportiert. Sie entsc heiden häufig über Erf olg und seit 2003 künstlerischer Leiter des Philharmonischen Misserfolg eines Künstlers. Sie transportieren Erfolgsrezepte, die Chors Berlin. Europa als Weltprovinz Die Sperrung des europäischen Luftraums wegen der Asche- zur Kulturellen Vielfalt (2001) der UNESCO „Mensc hen und wolke eines isländischen Vulkans 2010 war ein Novum. Inne- Gruppen mit zugleic h mehrfachen, vielfältigen und d ynami- halten durchbricht Routinen. Die Krisenphänomene der letzten schen kulturellen Identitäten“ als Nor malfall des 21. Jahrhun- Jahre erschüttern Selbstverständnisse und Zukunftsv orstellun- derts. Europa ist aus dieser Perspektive eine – wenn auch wich- gen. Kultur als Motor Europas wurde jedoch bereits in der Früh- tige – Weltprovinz. phase der Industrialisierung diskutiert. So erkannte der Ökonom Jürgen Habermas plädierte kürzlich dafür, die europäische Krise Friedrich List 1841 geistige Ressourcen und K ompetenzen als endlich einmal nicht entlang nationaler Grenzen zu diskutieren, entscheidend für wirtschaftliche Entwicklung an. 2013 disku- sondern „Verlierer und Gewinner der Krisenbewältigung nach tiert die inter nationale Gemeinschaft Entwicklungsziele ab sozialen Gruppen zu unterscheiden“ (2013). Dies ist sicherlich 2015, die Kultur als Basis von Anpassungsfähigkeit, Stehvermö- wichtig, jedoch nicht hinreichend. Die kulturellen Grundlagen gen und Widerstandskraft von Gesellschaften begreift. des Wirtschaftens müssen einbezogen werden. Angesichts weltweiter Migration und eines schier unbegrenzten Vor gut 20 J ahren bildeten Mahbub Ul Haq und Amartya Sen Austauschs von Informationen definierte die Allgemeine Erklärung mit dem Index menschlicher Entwicklung erstmals Lebenslagen in 4/13
fokus 11 Orientierung und Geborgenheit „In Vielfalt geeint“: Dieser Leitspr uch der Eur opäischen Das European Union Baroque Orchestra, das von der EU den Ti- Union ist ohne den Bezug zur Kultur nicht denkbar. Je mehr die tel „Kulturbotschafter“ zuerkannt bekam, vereint begabte junge nationale Souveränität (notwendigerweise) schwindet, umso Musiker aus ganz Europa und begeistert auf seinen Konzertrei- wichtiger ist es, die identitätsstiftende Bedeutung unser er Kul- sen die Zuhörer. Und in jedem Jahr verleiht die EU-Kommission turlandschaft und damit auch ihre Vielfalt zu erhalten und den den Preis der Eur opäischen Union für zeitgenössisc he Musik: Menschen auf diese Art Orientierung und Geborgenheit zu ge- Im Rahmen der „Eur opean Border Br eaker Awards“ werden ben. In wirtschaftlichen Krisenzeiten gilt dies allemal. Die Kul- Nachwuchstalente ausgezeichnet und gefördert, denen es trotz tur- und Kreativindustrien bieten Millionen Menschen einen Ar- Schwierigkeiten gelungen ist, mit ihrer Musik auch außerhalb beitsplatz, doch kulturelle Vielfalt ist vor allem auch ein Wert an ihres Heimatlandes Musikliebhaber zu erreichen. sich, der nicht in Euro und Cent auszudrücken ist. Unsere Kulturpolitik hat einiges vorzuweisen und ist für die Zu- Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben sich der UNESCO-Kon- kunft gut aufgestellt. Sie ist geeignet, das Motto „In Vielfalt ge- vention zur kulturellen Vielfalt verpflichtet, was uns EU-Kultur- eint“ mit Leben zu füllen – gerade auch mithilfe von Musik. politikern Rückendeckung bei Diskussionen wie der zum ge- Dazu bedarf es a ber nicht nur der P olitik, sondern vor allem planten Freihandelsabkommen mit den USA gibt. Auch das nun auch der Neugierde und Begeisterung der Bürger Europas. Nur, auslaufende EU-Förderprogramm „Kultur“ trägt dieser Einsicht wenn die Mensc hen sich im Alltag auch tatsächlich für Kunst Rechnung. Es fördert die Mobilität von Kulturschaffenden, un- und Musik, für Film und historisches Erbe aus anderen Ländern terstützt die grenzüberschreitende Verbreitung ihrer Werke und Europas begeistern, werden Grenzen auch tatsächlich über- trägt zur Förderung des interkulturellen Dialogs bei. schritten und der unglaub liche Wert des Fr iedensprojekts Insbesondere das Europäische Parlament hat bei den jüngst er- Europa unmittelbar offenbar. folgreich abgeschlossenen Verhandlungen Wert darauf gelegt, Man muss dazu gelegentlich etwas genauer hinsehen, anstatt re- dass auch das Nachfolgeprogramm „Kreatives Europa“ nicht in flexhaft den Verlockungen der allgegenwär tigen US-Unterhal- erster Linie ein Konjunkturprogramm sein wird. tungsindustrie nachzugeben. Die Bewahrung unserer kulturellen EU-Kulturförderung speist sich auch aus anderen Quellen wie den Vielfalt, sie ist also eine Herausf orderung an jeden Einzelnen Strukturfonds, mit deren Hilfe auch einiges für den Musiksektor von uns. Aber es lohnt sich, sie anzunehmen. getan werden kann. So wurde der Aufbau des Musikparks Mann- heim, der Existenzgründer n und Jungunter nehmern aus der Doris Pack ist seit 1989 Mitglied des Europäischen Parla- Musikbranche eine Basis bietet, über den Eur opäischen Fonds ments und Vorstandsmitglied der Fraktion der Europäi- schen Volkspartei (EVP). Seit 2009 ist sie Vorsitzende des für regionale Entwicklung mitfinanziert. Gleiches gilt für „La Ausschusses für Kultur und Bildung. Zudem hat sie zahl- Quartier de la création“ in Nantes, wo „La Fabrique“ Musikschaf- reiche Ehrenämter im Kultur- und Bildungsbereich inne, fenden ein ideales Arbeitsumfeld bietet. Auch der Aufbau von etwa als Vorsitzende der Stiftung für die deutsch-französi- Konzertstätten wird immer wieder finanziell gefördert, etwa im © Danube sche kulturelle Zusammenarbeit und Präsidentin der Euro- Rahmen der Initiative Europäische Kulturhauptstadt. päischen Kinder- und Jugendbuchmesse in Saarbrücken. Ländern mit geringen und mittleren Einkommen nuanciert ab. und kleinteilig dazulernen und mit den in ihren Möglichkeiten Heute sind Wirtschaftsnobelpreise an Forscher wie Elinor Ost- liegenden Entscheidungen in Richtung Nachhaltigkeit umsteu- rom und Daniel Kahneman Indiz für v erändertes Denken. Wie ern. kann z. B. die Qualität öffentlicher Dienstleistungen angemessen in Wert gesetzt werden (Kinder- und Senior enbetreuung, Bil- dungswesen, Gesundheitsversorgung, kulturelle Infrastruktur u. a.)? Die über tausend F allstudien der Ostr om’schen Daten- Walter Hirche a. D. ist seit 2002 Präsident der Deut- © Deutsche UNESCO-Kommission bank zur erfolgreichen kollektiven Nutzung knapper Gemeingü- schen UNESCO-Kommission. Von 2003 bis Februar 2009 war er Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr ter geben entscheidende Hinweise auf konkrete, kulturell spezi- sowie stellvertretender Ministerpräsident des Landes fische Regelwerke, die diese Kooperationen gewährleisten. Sol- Niedersachsen. Zuvor war er unter anderem als Mit- che Beispiele gehören auf den europäischen Lehrplan. glied des Deutschen Bundestages sowie als Parla- Die kulturellen Herausforderungen Europas liegen in der Zu- mentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin kunft. Wesentlich ist, dass Verbraucher aller Lebensalter konkret für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit tätig. 4/13
12 fokus Kultur als IDEN TITÄTSSTIFTERIN Europas Identität definiert sich über die europäische Kultur Wolfgang Schmale Bulgarisch-türkische Grenze am Ende Europas (Schengen): Die Schranke ist offen – die europäische Kultur macht vor Landesgrenzen keinen Halt! © imago/Xinhua 4/13
fokus 13 Wenn es um die Zukunft der Europäischen Union geht, steht abrupten Brüchen. Bei aller kulturellen Vielfalt gibt es doch ei- die Debatte um die Rolle der Kultur im Mittelpunkt: Der nen breiten Konsens über das, was europäische Kultur ist. Sie Historiker Wolfgang Schmale vertritt die Ansicht, dass einzig umfasst in der Antike gelegte Grundlagen (Judentum, Christen- die Kultur die Kraft besitze, eine europäische Identität zu tum, Athen, Rom), die Verchristlichung Europas im Mittelalter, konstituieren. Er entwirft einen offenen Kulturbegriff, der der mal schwächere, mal stärkere Einfluss des Islam, die großen nicht auf Vereinheitlichung, sondern auf die Kulturelle Viel- kulturell tragenden Epochen wie Renaissance, Barock, Klassizis- falt Europas setzt. mus, Romantik, Historismus, Moderne und P ostmoderne. Sie umfasst Kunst, Architektur und Literatur, Musik, Theater, Wissen- schaft, Technik, Philosophie, Demokratie und Menschenrechte. Europa gibt es nur als Kultur. Das bedeutet, dass Europa mehr All dies ha t in den hin und her w ogenden Zeitläuften selbst umfasst als die Eur opäische Union, die oftmals einf ach mit tiefste Brüche und Tragödien wie den Kolonialismus, die beiden Europa gleichgesetzt wird. Am wenigsten stellt Eur opa einen Weltkriege und Genozide überdauer t und erb lühte nach den Kontinent dar. Und keine Kultur hält sich an geografische und Verschüttungen in Kriegen und Verbrechen wieder neu. staatliche Grenzen. Kultur und Europa sind daher gleic herma- Der Grund, warum das so funktionier t, obwohl jeder doc h ßen als offene Bezeichnungen zu verstehen, die nicht an irgend- ohne lange nachdenken zu müssen, viele Streitigkeiten, Diffe- einer Grenze haltmachen und hinter der irgendeine andere Kul- renzen, Gegensätze und Brüche in der europäischen Kultur auf- tur plötzlich ihren Anfang nehmen würde. listen könnte, sind wir alle selber als individuelle Mensc hen. Dass sich europäische Identität über die europäische Kultur de- Kultur entsteht erst durch das Zusammenwirken der Menschen, finiert, versteht sich weder von selbst noch wird das in dieser durch die Vernetzungen, die sie ausbilden, sie entsteht in und Form von allen so akzeptiert werden. Sagt man „Europas Identi- durch Mobilität. Europas Menschen waren schon immer äußerst tät“, meint man eine gemeinschaftliche, eine kollektive Identi- mobil, auch über Europa hinaus, und sorgten für einen anhal- tät. Kollektive Identitäten entstehen im Rahmen der Zugehörig- tenden, nie abreißenden vielfachen kulturellen Austausch unter- keit von Menschen zu verschiedenen Gemeinschaften, die von einander. Der an den „Enden“ off ene Kulturraum Europa ent- der Familie bis zur Nation oder vom Sportverein bis zur politi- stand genauso durch diese kulturelle Praxis, er war also nie nur schen Partei reichen können, um nur ein paar Stichworte zu ge- ein gedachter oder vorgestellter, sondern ein konkret gelebter ben. Bei noc h größeren Gemeinschaften wird die Identif izie- Raum. Künstler, Architekten, Musiker, Schauspieler, Erasmus- rung mit diesen sc hwierig, weil sie zu gr oß, zu weit weg, zu Studenten, Austauschschüler und -auszubildende, Praktikanten abstrakt sind, oder weil es sich höchstens um gedachte Gemein- aus dem europäischen Ausland, viele Berufstätige, Reisende aller schaften handelt, denen k eine unmittelbar erf ahrbare Realität Art, ganz allgemein Touristen, die Mitglieder transnationaler eu- entspricht. Diese Schwierigkeiten zeigen sich bereits im Fall ei- ropäischer Familien, Menschen, die bei europäischen Institutio- ner der wichtigsten Gemeinschaften der Moderne, der Nation nen arbeiten, halten diese Kultur im großen wie die vielen kul- und dem Na tionalstaat. Umso mehr gilt dies in Bezug auf turellen Varianten im kleiner en nationalen oder r egionalen, Europa. wenn nicht örtlichen Maßstab im Fluss und er möglichen eine Ist Europa überhaupt eine Gemeinschaft? Kann es eine Gemein- Identifizierung mit Europas Kultur, die zur Identität des Einzel- schaft sein? Es gibt viele Gemeinsc haften, die das „Europa“ im nen wird. Namen führen: Die Europäische Union, die aber „nur“ 28 Staa- Gerade in der aktuellen Kr isensituation sollten wir uns daher ten repräsentiert. Der Europarat, der 47 Mitgliedsstaaten hat, al- mehr denn je in Eur opa auf den Weg machen, unterwegs sein so den Großteil der europäischen Staaten betrifft, aber anders als und dadurch Kultur schaffen und Kultur stabilisieren. die EU sehr viel w eniger Einwirkungsmöglichkeiten auf die Menschen besitzt. Andere „europäische“ Gemeinschaften zeigen sich in Form der UEFA, zu der auc h Israel gehör t, oder beim Eurovisionscontest, zu dem beispiels weise auch Aserbaidschan dazugehört. Weitere Gemeinschaften könnten genannt werden, im Ergebnis ist aber klar, dass diese sehr untersc hiedlich sind und daher eine als „eur opäisch“ charakterisierbare Identifizie- rung geradezu unmöglich ist. Bietet „Europas Kultur“ eine Alternative? Diese verändert sich seit der Antike ständig, aber sie tut es langsam. Identität benötigt Wolfgang Schmale ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität eine gewisse Stabilität und v erträgt sich mit langsam v oran- Wien. Zuletzt erschien von ihm im Böhlau Verlag Mein Europa. Reisetagebücher schreitenden Veränderungen besser als mit sehr sc hnellen oder eines Historikers. 4/13
© European Union Youth Orchestra Europa – das sind wir! Wie der europäische Einigungsprozess durch Kultur vorangetrieben werden kann Andreas Bock Europa steht in Folge der Krise seiner Währungsunion nicht gen vieler Kommentatoren und Karikaturisten faule Menschen, nur vor einem Strukturproblem, sondern auch vor einem die sich ihr Schicksal selbst eingebrockt haben. Vor allem im Zu- Kulturproblem. Andreas Bock, Mitglied der Initiative „A Soul ge der Euro-Krise keimten in den vergangenen drei Jahren der- for Europe“, ist überzeugt davon, dass nur ein „Europa von artige Vorurteile auf, und neben der Währungsunion verlor auch unten“ helfen könne, denn die wirtschaftlichen Vorteile und die EU in den Augen der Bürger rasch an Legitimität. die Politik hätten die Menschen noch nicht von der europäi- So wandelte sich die eur opäische Wirtschaftskrise zur politi- schen Idee überzeugt. Man müsse die Bürger aus allen Berei- schen Vertrauenskrise der Eur opäischen Union: Einer im Mai chen der Gesellschaft einbeziehen und das Verständnis für die veröffentlichten Studie des US-Forschungsinstituts Pew zufolge gemeinsame Aufgabe Europa festigen. Man müsse Europa sank die Zustimmung zur EU in acht untersuchten Staaten bin- eine Seele geben. nen einen Jahres im Schnitt von 60 Prozent auf 45 Prozent. Be- sonders in den Länder n Südeuropas, dem Epizentr um der Die Schuldenkrise gefährdet den europäischen Zusammen- Schuldenkrise, ist die Zustimm ung zur Union ger ing wie nie. halt. Bezeichnend dafür sind eine ster eotype Bildsprache und Eine vertiefte Integration will kaum jemand mehr, in Großbri- grobe Verallgemeinerungen: Deutsche Spitzenpolitiker werden tannien denken Spitzenpolitiker zunehmend über einen EU- in Karikaturen und auf Demo-Plaka ten gerne mit Hitlerbar t Austritt nach, in mehr eren Ländern erhielten na tionalistische oder in SS-Uniformen dargestellt. Südeuropäer sind in den Au- Bewegungen Zulauf. 4/13
fokus 15 Was zurzeit allerorts bröckelt, entsteht scheinbar mit der Musik wie von selbst: ein europäisches Wir-Gefühl (Instrumentalisten des EUYO – European Union Youth Orchestra) Laut der Untersuchung schuf die Euro-Krise Zentrifugalkräfte, ger bis auf ihre im Grunde zu vernachlässigende Beteiligung an die die öffentliche Meinung in Europa zersplittert und die Be- den Wahlen zum Europäischen Parlament kaum aktiver Teil des völkerungen voneinander entfernt habe. Ein Str ukturproblem, Integrationsprozesses. So entwickelte sich die EU in den Köpfen das die Währungskrise eigentlich darstellt, gerät plötzlich zum der Menschen zu einem eher abstrakten Gebilde. Zwar bietet die Kulturproblem. EU mit der Europäischen Bürgerinitiative – eingeführt mit dem Wie lässt sich dem begegnen? Zunächst müssen die Menschen Vertrag von Lissabon – Bürgern und ihren Interessenvertretun- wieder an ihre Gestaltungsmöglichkeit glauben. Spitzenpolitiker gen die Möglic hkeit, ihre Anliegen in einem r echtlichen Rah- dürfen nicht nur von Brüssel aus Direktiven herausgeben, deren men vorzubringen. Doch der Bürger muss insgesamt mehr Mit- Zustandekommen für die Mehrheit der Unions-Bür ger kaum verantwortung einfordern, soll er im eur opäischen Einigungs- nachvollziehbar ist. Auch ist es w enig vertrauenerweckend, prozess als Akteur der europäischen Einigung wahrgenommen wenn führende Politiker großer EU-Staaten in Hinterzimmern werden. Er m uss künftig mehr Gestaltungsspielraum bek om- vermeintlich die Eur o-Krise lösen. Angesichts der k omplexen men, um gemeinsam mit den politischen Entscheidungsträgern Entscheidungen des zwisc henstaatlichen Krisenmanagements auf Augenhöhe am Haus Europa mit zu bauen. Das derzeit lau- hinter verschlossenen Türen haben viele das Gefühl, nicht mehr fende Europäische Jahr der Bürgerinnen und Bürger ist ein ers- mitreden zu können. ter Schritt hin zu einem Europa, das seine aktiven Bürger aner- Wirtschaft und Wohlstand sind zentral für die Nachhaltigkeit des kennt. Und wir müssen weiter für Methoden kämpfen, die diese europäischen Projekts, doch sie können nicht seine alleinige Ba- Mitverantwortung zum Ziel hat. sis sein. Um es zu festigen, benötigen wir Identifikationspunkte, Als Träger dieser Idee ruft die zivilgesellschaftliche Initiative „A die über die tägliche Politik und Wirtschaft hinausreichen. Denn Soul for Europe“ dazu auf, eine „kulturelle Koalition“ zu schmie- niemand ist von einem gemeinsamen Markt emotional berührt. den. Die Koalition bringt Intellektuelle, Politiker und Bürger zu- Nicht allein die Diskurse über Bank enunion, Schuldengemein- sammen, die eine bürgernahe Integration Europas vorantreiben schaft oder Sc huldenbremse dürfen die europäische Narrative wollen. Eine neuartige Partnerschaft zwischen Vertretern der Zivil- bestimmen. Jenseits eines Europas der Institutionen können wir gesellschaft und Politikern in themenbezogenen Arbeitsgruppen uns eher für ein Europa der Städte, Regionen, der Gesichter und ist ein vielversprechender Ansatz, um gemeinschaftlich die Zu- Geschichten begeistern. Den europäischen Integrationsprozess kunft Europas zu verhandeln. Der Dialog sollte insbesondere mit zu gestalten, heißt deshalb vor allem auch den Europa-Diskurs den Volksvertretern auf europäischer als auch auf lokaler Ebene von wirtschaftlichen Aspekten zu entlasten. Es können auc h stattfinden, wo das europäische Projekt am ehesten zu verorten Künstler und Intellektuelle sein, denen die Darstellung Europas ist. Dazu sc huf die Initiative bereits eine Ser ie von Foren, die anvertraut wird. Dazu können europäische Bilder in audiovisu- Bürger und Entscheidungsträger an einen Tisch bringen. ellen Medien oder Pr ojekte wie die Eur opäische Kulturhaupt- Für die nächste Legislaturperiode des europäischen Parlaments stadt beitragen. ab 2014 bereitet die Initiative „A Soul for Europe“ eine Resolu- Doch entscheidend ist vor allem die Rolle des Bür gers als Kul- tion vor, die sich an Politiker der europäischen Parteifraktionen, turträger. Während EU-Institutionen gesic htslos sind, verkör- die neu gewählten Parlamentarier sowie an zivilgesellschaftliche pern Bürger historische Erfahrungen, Wertesysteme und Weltan- Gruppierungen und Bür ger richtet. Sowohl Politiker als auc h schauungen. Kultur ist ein unverzichtbares Element der sozialen Akteure der Zivilgesellschaft sollen so die Bedeutung von Kultur und demokratischen Strukturen in Europa. Sie ist die Vorausset- für den eur opäischen Integrationsprozess stärker anerkennen zung für jeden Dialog und der Kitt, der die eur opäische Ge- und in ihrer Arbeit verankern. meinschaft über r ein ökonomische Interessen hinaus zusam- Für uns Bürger muss es künftig schlichtweg mehr Möglichkei- menhält und den grenzüberschreitenden Blick fördert. Wir Eu- ten geben, unsere Rolle als aktive Europäer ausüben zu können. ropäer müssen uns deshalb als K ulturgemeinschaft begreifen, Eine kulturelle Koalition für ein demokratisches Europa von un- der Musik, Literatur, Künste genauso zu Grunde liegen wie Le- ten kann dazu beitragen, die Entfremdung vom Projekt Europa bensweisen und Traditionen. zu verhindern. Dass es diesen Bedarf gibt, haben die vergange- Wenn Europa ein kulturelles Projekt ist, dann erhält der Bürger als nen Jahre gezeigt. Kulturträger zugleich mehr Deutungshoheit über das europäische Projekt, das auf Erfahrungen und dem kulturellen Gedächtnis be- Andreas Bock ist Journalist und Mitglied der Strategiegruppe von „A Soul for ruht. Kultur kommt somit die Rolle eines Katalysators zu. Sie prägt Europe“. Von 2005 bis 2007 war er als Projektleiter für das Institut für Auslandsbe- unser Wertesystem und er möglicht uns Or ientierung in einer ziehungen in Budapest tätig. Derzeit arbeitet er beim Netzwerk für Osteuropa-Be- zunehmend globalisierten und zugleich fragmentierten Welt. richterstattung n-ost. Er leitet dort die Redaktion der Presseschau eurotopics, ei- Echte europäische Integration kann deshalb nur funktionieren, ner Online-Plattform, die sich aktuellen europäischen Themen widmet und von der wenn ein „Europa von unten“ entsteht. Bislang waren die Bür- Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben wird. 4/13
16 fokus Teilnehmerin des Young Euro Classic-Festivals 2012: Aus ganz Europa kommen junge Orchestermusiker zusammen, um miteinander zu musizieren und sich auszutauschen Vielfalt ist Trumpf und Segen Musikalische Nachwuchsförderung in Europa am Beispiel von Young Euro Classic Willi Steul © Kai Bienert Die Förderung des spitzenmusikalischen Nachwuchses ist Nimmt man die Orc hester dagegen in ihrer real-existierenden nicht nur für eine stabile Kultur im Inland, sondern auch für Form und richtet dabei den Fokus ganz besonders auf die Ju- Europa von besonderer Wichtigkeit. Denn der Nachwuchs gendorchester dieses K ontinents, dann wird sc hnell deutlich, von heute ist der Träger der Musikkultur von morgen! Willi wie segensreich das vielstimmige Nebeneinander für die kultu- Steul verdeutlicht die Notwendigkeit der Nachwuchsförde- relle Bereicherung unserer musikalischen Wahrnehmung ist. rung am Beispiel von Young Euro Classic und berichtet von Young Euro Classic, das im Millenniumsjahr 2000 als pr ivates der interkulturellen Begegnung junger europäischer Orches- bürgerschaftliches Engagement ins Le ben gerufene Jugendor- termusiker. chesterfestival in Berlin, kann im w ahrsten Sinne des Wortes „ein Lied davon singen“. Denn hier ist die Vielfalt Trumpf und Einheit in der Vielfalt: Gäbe es ein Mark enzeichen für Segen. Das Festival hat über die Jahre seine Attraktivität ständig Europa, müsste es sich in diesem Bild widerspiegeln. Wir erle- steigern können, da mit der je weils ganz eigenen F arbe jedes ben es in der P olitik bisweilen bis zum Überdr uss, wie in der Konzerts, je nach nationaler Eigenheit und Temperament, nach europäischen Politik nationale Befindlichkeiten, aus jahrzehnte- Können und Einsatz der jungen Mensc hen, Überraschendes in alten Traditionen oder noc h älteren historischen Wurzeln her- den Festivalkosmos eingebracht wird. Nicht zuletzt deshalb, we- rührend, notwendige gemeinsame politisc he Beschlüsse er- gen der faszinierenden Abbildung der Vielfalt in der Einheit der schweren oder gar tor pedieren. Oft gleic ht die Gemeinsc haft uns allen gemeinsamen klassisc hen Musik, ist auc h Deutsch- der Völker und Länder Europas einem schlecht synchronisierten landradio Kultur bereits seit dem Gründungsjahr Medienpartner Orchester, in dem jeder Instr umentalist seinen eigenen Part so des Festivals und über trägt jedes Jahr eine repräsentative Aus- laut wie möglic h zu Gehör br ingen will – und überdies w eit wahl der Konzerte. und breit kein Dirigent zu sehen ist, der die Musiker zu einem In den zurückliegenden 14 Festivaljahren hat Young Euro Classic Ganzen zusammenzwingen könnte. nahezu jeden Winkel Europas musikalisch ausgeleuchtet: Der 4/13
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