Die jüdisch-christliche Episode des 1853 wiederbegründeten Gymnasium Arnoldinum in Burgsteinfurt 1853 1937
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Die jüdisch-christliche Episode des 1853 wiederbegründeten Gymnasium Arnoldinum in Burgsteinfurt 1853 – 1937 von Karl Friedrich Herhaus Münster (2013, aktualisiert 2014)
Inhalt S. Einleitung 1 Exkurs 1 Sprach- und Zitierregelungen 1 Teil I: Der Beitrag jüdischer Bürger an der Wiederbegründung des Arnoldinums und die Anfänge des so genannten „modernen Antisemitismus“ 1 Teil II: Die Arnoldinerinnen und Arnoldiner mit jüdischem Bekenntnis, angeordnet nach dem Geburtsdatum 6 Exkurs 2: Erik Blumenfeld, ein Urenkel von Feibes und Jeannette Blumenfeld 10 Exkurs 3: Alice Ascher, die Tante von Erik Blumenfeld 10 Exkurs 4: Sam Spanjaards Verwandte und die Niederlande als „Shoah-Falle“ 12 Exkurs 5: Max Kempenichs Nachkommen 21 Exkurs 6: über das Schicksal der Pagener-Sippe aus Epe 34 Exkurs 7: über das Schicksal der David-Mildenberg-Sippe aus Lengerich 41 Exkurs 8: Das Verschwinden der Familie Steinmann aus Burgsteinfurt 51 Exkurs 9: Das Schicksal der Eltern und der Schwester von Paul Eichenwald 58 Exkurs 10: Genealogische Übersicht über die Hirsch-Sippe von Burgsteinfurt 63 Nachwort 74 Anmerkungen 75 Verzeichnis der Quellen 90 Namensregister der jüdischen Arnoldinerinnen und Arnoldiner 95 Verzeichnis der Abkürzungen al. : alias s.o.: siehe oben ca .: circa s.u.: siehe unten geb.: geborene SA: Sturmabteilung gen.: genannt SS: Schutzstaffel gesch.: geschiedene s.u.: siehe unten HJ: Hitlerjugend u.a.: unter anderem/n KZ: Konzentrationslager UK: United Kingdom NL: Niederlande vgl.: vergleiche NS: Nationalsozialismus, Nationalsoziali- zit.: zitiert sten, nationalsozialistisch, z.T.: zum Teil o.g.: oben genannt verw.: verwitwete p.M.: persönliche Mitteilung vh.: verheiratete
-1- Einleitung Das 1588 gegründete „Gymnasium Illustre Arnoldinum“, die so genannte „Hohe Schule“ von Burgsteinfurt, wurde im Jahre 1811 durch die napoleonische Verwaltung geschlos- sen, 1853 aber als staatliches „Gymnasium Arnoldinum“ wiederbegründet1. Gründung und Wiederbegründung jähren sich also 2013 zum 425. bzw. 160 mal. Von 1853 bis 1937 haben insgesamt 3552 Schüler und (ab 1920 auch 42 Schülerinnen) christlichen (römisch-katholisch, evangelisch-reformiert, evangelisch-lutherisch, evange- lisch-mennonitisch) und jüdischen Bekenntnisses das Arnoldinum besucht; letztere Teil- gruppe macht 4% der Gesamtschülerzahl im genannten Zeitraum aus, ein Anteil, der deutlich über dem damaligen Bevölkerungsanteil der jüdischen Religionsgruppe in der Region lag2. Der 84 Jahre dauernde jüdisch-christliche Abschnitt der Geschichte des Arnoldinums ist Gegenstand der folgenden Darstellung. Damit schließe ich die vor 6 Jahren begonnenen und verstärkt seit 3 Jahren vorangetriebenen Recherchen zu dieser Gruppe von ehemaligen Arnoldinern ab, um so in diesem Jubiläumsjahr auf einen besonderen Abschnitt der Schulgeschichte des Arnoldinums aufmerksam zu machen, der nach 1945 zu lange verschwiegen worden ist. Primärquelle ist die von 1853 – 1937 geführte Schülermatrikel aus dem Schularchiv des Gymnasiums, der „Catalogus discipulorum Albo Gymnasii Evangelici Steinfurtensis inde a Cal. April MDCCCLIII inscriptorum“. Sie ist sozusagen die „Urliste“ meiner Recherchen. Sie enthält insgesamt 156 Namen jüdischer Schülerinnen und Schüler. Dieser Gruppe habe ich noch den Namen eines weiteren Schülers (Robert Herz, s.u.) hinzugefügt, der zwar evangelisch konfirmiert wurde, aber – nach der zwischen 1933 und 1945 gültigen NS-Nomenklatur – als „Halbjude“ galt und aus diesem Grunde am Arnoldinum seit 1933 von Mitschülern und Lehrern diskriminiert wurde. Da ich bis jetzt nicht alle 157 Namen eindeutig identifizieren konnte, bleibt der Aufsatz ein Fragment. Exkurs 1 Sprach- und Zitierregelungen 1. Ich vermeide mit Absicht den Begriff „Holocaust“, obwohl sich dieser seit geraumer Zeit als historischer Fachbegriff für die physische Judenvernichtung in Deutschland eingebürgert hat. In der Septuaginta, der alten griechischen Übersetzung des Tanach (= der Heiligen Schriften des von Christen so genannten „Alten Testaments“) bezeichnet dieser Begriff das „Ganzopfer“, bzw. „Brandopfer“ für den Gott Israels in der Zeit des nachexilischen Tempels von Jerusalem. Aus der Septuaginta gelangte der Begriff als „holocaustum“ in die Vulagata und von dort schließlich im 20. Jahrhundert ins englisch-amerikanische „holocaust“. Die Ver- wendung des Begriffs Holocaust in der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft erscheint mir wegen der ursprünglichen religiösen Bedeutung ungeeignet. Stattdessen verwende ich den hebräischen Begriff 3 „Shoa(h)“, der soviel bedeutung wie „Verwüstung“, „Vernichtung“, „Katastrophe“ . 2. Ich verwende die Begriffe „Jude“, „jüdisch“ ausschließlich in der religiösen Bedeutung als Bezeichnung der Zugehörigkeit zum Judentum und nicht etwa als ethnische oder gar biologistisch-rassistische Bezeich- nung. 3. Zur Bezeichnung der Todesursache von Menschen, die in der Shoah ums Leben gekommen sind, ver- wende ich den Begriff „ermorden“ bzw. „Mord“ – auch dann, wenn die NS-Mediziner damals als Todes- ursachen medizinische Fachausdrücke wie etwa „Altersschwäche“, „Tuberkulose“ oder dergleichen in die Totenscheine eingetragen haben. 4. Zitierregelung: Wörtliche Zitate sind immer kursiv kenntlich gemacht, unabhängig vom Schrifttyp der zi- tierten Quelle; Änderungen im Zitat sind durch [ ] kenntlich gemacht. Teil I Der Beitrag jüdischer Bürger an der Wiederbegründung des Arnoldinums und die Anfänge des so genannten „modernen Antisemitismus“ Der website des heutigen Gymnasium Arnoldinum ist zu entnehmen, dass die Wiederbe- gründung des Gymnasium Arnoldinum im Jahre 1853 gewissermaßen das Ergebnis der Aktivität einer „Bürgerinitiative“ war: „Aus Kreisen des selbstbewusster gewordenen Stein-
-2- furter Bürgertums entstand […] schon um 1820 eine Initiative, die alte Hohe Schule als Gymnasium im Rahmen der Bildungsreform des preußischen Reformers Wilhelm von Humboldt wieder auferstehen zu lassen. Als Zulassungsberechtigung für die Universität sollte die verbindliche Abiturprüfung stehen. Die entscheidende Kraft in diesen Bemühun- gen war Bürgermeister Wilhelm Terberger, dem es hauptsächlich zu verdanken ist, dass nach dem Abschluss eines Staatsvertrags zwischen der preußischen Regierung und den beiden Häusern Bentheim das Gymnasium Arnoldinum als nunmehr staatliche Schule mit dem Namen „Evangelisch Fürstlich Bentheimisches Gymnasium Arnoldinum“ 1853 nach fast 50-jähriger Unterbrechung wieder begründet war.“ 4 An jener „Gymnasium-Arnoldinum-Wiederbegründungs-Bürgerinitative“ hat maßgeblich auch eine Reihe jüdischer Bürger Burgsteinfurts mitgewirkt, darunter jene, denen der Bür- germeister Wilhelm Terberger (er war einer der letzten Schüler des alten Gymnasium illustre Arnoldinum)5 in seinem Bericht an den kommissarischen Landrat Cormann im Jahre 1818 ein bemerkenswertes Zeugnis ausgestellt hat: „[…] In staatswirtschaftlicher Hinsicht muß ich bemerken, dass die hiesigen Juden für Steinfurt wichtig sind und hauptsächlich den Handel mit Tuch, Ausschnitt- und Ellenwaren, Kattun allerhand Zeug, Spitzentüchern etc. in Händen haben [, weshalb sie] Beförderer des Luxus [sind]“6. Mit den „hiesigen Juden“ meinte der damalige Bürgermeister u.a. die bildungsbeflissenen Textilgeschäfts- inhaber Salomon und Moses Itzig7, den Lederfabrikant Elias Marcus (II)8 und den Eisen- händler Sally Cohen9. Sie standen der jüdischen Aufklärungsbewegung Haskala nahe, besonders deren Münsteraner Vertreter Alexander Haindorf und dessen bildungstheo- retischem Begriff „[…] Amalgierung, den er nicht wie die radikalen Reformer als einseitige Anpassung der Juden an die christliche Gesellschaft, sondern als Austausch jüdischer und christlicher Kulturgüter interpretierte […]“10. Sie unterstützten deshalb Bürgermeister Terberger in seinem Vorhaben der Wiederbegründung des Gymnasiums; auch ihre Söhne, Feibes Itzig, al. Blumenfeld, Joseph Marcus und Moritz Cohen schickten ihre Söhne zum Arnoldinum; der jüngere Bruder von Moritz Cohen, Wilhelm Cohen besuchte selbst das Gymnasium (s.u.) und ließ später auch seinen Sohn Paul einschreiben (s.u.). Feibes Itzig hatte von 1825 an drei Jahre lang zusammen mit seinen Vettern Feibes Jacob Feibes aus Lengerich und Feodor Blumenfeld aus Osnabrück die jüdische Elementar- schule der später so genannten Marks-Haindorf-Stiftung besucht und die letzten beiden Schuljahre auf der von dem Alexander-Haindorf-Schüler ausgebildeten Elias Marcus (III)8 neu eröffneten jüdischen Elementarschule in Burgsteinfurt verbracht11. Seit Mitte der 1840er Jahre engagierte er sich einerseits ehrenamtlich in den Schulangelegenheiten der Synagogengemeinde, andererseits aber auch zunehmend bildungspolitisch in der Bürger- gemeinde, indem er u.a. auch die Bestrebungen von Bürgermeister Terberger zur Wieder- begründung des Gymnasium Arnoldinum unterstützte. Beim Provinzialschulkollegium in Münster konnte er allerdings mit seinem Antrag nicht durchdringen, als Teilkraft für jüdischen Religionsunterricht am Arnoldinum den Nachfolger von Elias Marcus (III) im Amt des Lehrers der jüdischen Elementarschule Hermann Schwarzauer einzustellen, obgleich er bei diesem Antrag von Bürgermeister Terberger und der Synagogengemeinde unter- stützt wurde12. Dieser Misserfolg führte nicht dazu, dass sich Feibes Itzig etwa aus der Politik zurückzogen hätte; vielmehr machte er weiterhin seinen Einfluss als langjähriger politischer Mandatsträger auf Stadt- und Kreisebene geltend. Das Anliegen, seinen Söhnen eine angemessene gleichberechtigte Religionsunterweisung zukommen zu lassen, verwirk- lichte er so, dass er sie sonnntags, wenn die nicht jüdischen Mitschüler schulfrei hatten, zum privaten Religionsunterricht bei Hermann Schwarzauer schickte. Ob andere jüdische Eltern ähnlich verfahren sind, ist mir nicht bekannt; im Schularchiv des Arnoldinums vorhandenen Schulzeugnissen aus späterer Zeit ist zu entnehmen, dass Schüler mit jüdischem Bekenntnis fakultativ am christlichen Religionsunterricht teilgenommen haben, und zwar mehrheitlich am evangelischen, der von einer fest angestellten Lehrkraft erteilt wurde; für den katholischen Religionsunterricht wurde jeweils der amtierende Kaplan der Kirchengemeinde abgeordnet. Als im Oktober 1860 das neue Schulgebäude des Gymnasium Arnoldinum an der Wasser- Straße 18 eingeweiht wurde, „[…] hinterließ [der Schülervater und Stadtverordnete Feibes
3- Itzig] den größten Eindruck als großzügiger Spender und Mäzen. Als die Schüler des Gymnasiums […] sich am Morgen des Einweihungstages auf dem Schulhof versammelt hatten […], konnte Direktor Rohdewald drei vorher bestimmten Primanern eine preus- sische, eine fürstliche und eine städtische Fahne übergeben, die Feibes der Schule zur Ernnerung an diesen großen Tag geschenkt hatte […] Anschließend machte sich der Zug mit wehenden Fahnen auf den Weg durch die Stadt“13, Abb. 1: Das alte Gymnasium Arnoldinum an der Wasserstr. 18 Im alten humanistischen Gymnasium Aroldinum (Abb.1)14 standen die alten Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein auf dem Lehrplan. Ab 1853 haben jüdische Schüler mit Schülern verschiedener christlicher Konfessionen die Schulbank gedrückt; nicht selten waren sie auch gemeinsam im Schülerblasorchester aktiv (s. Abb. 2, 3, 10). Bis Anfang des 20. Jahrhunderts scheint es nicht zu aktenkundigen anti-jüdischen Vorfällen im Gym- nasium Arnoldinum gekommen. Das war anders in vielen Großstädten Preußens, als die jüdischen Bürger nach „[…] dem Scheitern der Revolution von 1848/49 und der beginnenden Reaktionsphase […] erkennen [mussten], dass die Emanzipationsgesetze und die ihnen rechtmäßig zu- stehenden Rechte mehr auf dem Papier als in der Wirklichkeit bestanden. Die von den Hochkonservativen entwickelte christliche Staatsidee zielte auf die Rücknahme des Gleichberechtigungsprinzips für die Juden. Sprachrohr der Vertreter dieser Richtung war die „Neue Preussische Zeitung“ („Kreuzzeitung“), die keine Gelegenheit ausließ, gegen die Juden zu polemisieren. Besonders der Chefredakteur dieser Zeitung Hermann Wagener betrieb in seinen Leitartikeln antijüdische Agitation: Die Presse würde zu zwei Dritteln von Juden beherrscht, und diese führten einen „boshaften und erbitterten Vernichtungskampf“ gegen alles, „was Christ oder Christentum“ […] heiße […]“15. Bruno Bauer (1809–1882), der als Linkshegelianer in seiner religionskritischen Phase die „Leben-Jesu-Forschung“ des 19. Jahrhunderts kritisierte und schon 1843 seine erste anti- jüdische Polemik16 schrieb, war nach dem Scheitern der März-Revolution 1848 zum Rechtshegelianer „konvertiert“ und hatte sich zum konservativen Politiker gewendet. Als solcher wurde er „[…] Mitarbeiter der „Kreuzzeitung“ und galt als der geistige Schöpfer des konservativen Staats- und Gesellschaftslexikons Wageners [; er] trat als entschiede- ner Antisemit auf […]“17.: „[…] Die antisemitischen Gedankengänge, die in den Konserva-
- 4- tismus eindrangen, sind im Wesentlichen auf den Einfluss des Hegelianers Bruno Bauer zurückzuführen […]. Bauer bediente sich seit den 1850er Jahren, wenn er über Juden spricht, einer Rassenterminologie: „[…] man nehme den Juden aus Portugal, Deutsch- land, Polen, England oder sonst wo her, er ist überall derselbe, weder Portugiese noch Deutscher, weder Pole noch Engländer. Er ist der echte und unverfälschte Jude geblie- ben, den nichts beherrscht als der Racetypus. Der Jude gibt den Kern seiner nationalen Eigentümlichkeit ebenso schwer auf, als es ihm vermöge seiner geistigen Elastizität leicht wird, sich in das Kleid jeder beliebigen Nationalität zu hüllen und bis zu einem gewissen Grade sich die fremde Nationalität formell anzueignen. Aber seine Denkweise bleibt in jedem Kleide und unter jedem Himmelsstrich dieselbe; jüdischer Sinn und jüdisches Blut sind unzertrennlich geworden, weshalb das Judentum nicht allein als Religion und Kirche, sondern ganz vorzüglich als der Ausdruck einer Raceeigentümlichkeit die eingehenste Betrachtung verlangt: die Taufe macht den Juden nicht zum Germanen […]“18. Mit einer solchen biologistisch-rassistischen „Diagnose“ ließ Bruno Bauer das Kernstück des so genannten „modernen“ Antisemitismus anklingen und nahm damit die analogen Hetz- begriffe der Reden eines Heinrich von Treitschke19 („Die Juden sind unser Unglück“) und eines Adolf Stoecker20 („Die Juden sind […] ein Stamm für sich unter einer fremden Rasse“) vorweg – Parolen, die später von der antisemitischen NS-Hetzpropaganda begeistert aufgegriffen und übernommen worden sind. Wahrscheinlich haben Feibes Itzig und auch andere politisch wache Zeitgenossen unter den jüdischen Bürgern Burgsteinfurts den mit der 1848/1849 beginnenden Reaktions- phase einsetzenden „modernen“ Antisemitismus zumindest vom Hörensagen gekannt – schließlich werden sie auch gelegentlich die „Kreuzzeitung“ gelesen haben. Aber nach- weislich am Beispiel der eigenen Familie hat Feibes Itzig die Auswirkungen des „modernen“ Antisemitismus anscheinend erst in den Jahren 1867/68 gespürt. Am 26. Februar 1868 suchte er nämlich bei der preussischen Regierung offiziell um Namens- wechsel nach: „[…] Königliche Hochlöbliche Regierung wolle geneigt darin willigen, meinen Hausnamen Itzig zu ändern und dafür den Namen Blumenfeld annehmen zu dürfen. So schwer es mir wird, in meinem 52sten Jahre meinen Namen abzulegen, der sich in merkantilen Kreisen zu meines Vaters wie meines Großvaters Zeiten weit über 100 Jahre hinaus bewährt hat […], so sehe ich mich doch im Interesse meiner Kinder dazu veranlasst.“21. Feibes Itzig führte im Wortlaut seines Antrags auf Namenswechsel zur Begründung näher aus: „Meine beiden Söhne, der eine 20, der andre 23 Jahre alt, haben das hiesige Gymnasium absolviert und das Abiturienten-Examen gemacht, sich dem Kaufmannsstande widmend, haben sie in Hamburg die Lehre bestanden. Dort trat das in dem Namen Itzig liegende Hinderliche an sie heran. Man wollte junge Leute des Namens nicht aufnehmen, da er zu Neckereien und Witzeleien unter dem Geschäftspersonale zu leicht Anlaß gebe und so Verdrießlichkeiten entständen, die nicht zu verhindern […]. So bitte ich denn um geneigte Gewährung meines Gesuchs, den Familiennamen Blumenfeld [22] annehmen zu dürfen oder sonst doch zu gestatten, dass meine Kinder ihn führen dürfen […]“; die Behörde genehmigte den Namenswechsel umgehend. In den Jahren 1868 bis 1884 beherbergte Jeannette Blumenfeld die Söhne auswärtiger Verwandter, die das Arnoldinum besuchten, in ihrem Haus in Burgsteinfurt an der Steinstraße, so aus Rhede drei Söhne des Kaufmanns Emil Ems, einen von deren Vettern aus Münster, ferner zwei Söhne des Kaufmanns Michael Feibes aus Münster und einen Neffen ihres Mannes aus Münster sowie schließlich einen ihrer eigenen Enkel und dessen Halbbruder aus Hamburg23. Auch andere Glaubensgenossen beherbergten zeit- weise Arnoldiner von auswärtigen Verwandten oder nahen Bekannten, was zeigt, dass das Arnoldinum auch bei auswärtigen jüdischen Eltern einen guten Ruf genoss. Das erklärt übrigens den eingangs erwähnten überdurchschnittlich hohen Anteil der jüdischenSchülerinnen und Schüler des Gymnasiums. Auch wenn Feibes Blumenfeld al. Itzig die Namensänderung persönlich schwer gefallen war, änderte das doch nichts an seinem guten Ruf im Münsterland – im Gegenteil, er er-
-5- stieg nach der Reichsgründung 1870/71 weitere Stufen auf der lokal-, regionalpolitischen und gesellschaftlich-kulturellen „[…] Karrierreleiter […]. Eine Anzahl neuer Positionen und Ämter gesellten sich zu den bisher bekleideten hinzu. 1872 wurde er […] mit großer Mehrheit für weitere sechs Jahre in seinem Amt als Kreistagsabgeordneter bestätigt. Im gleichen Jahr wurde er auf Vorschlag der jüdischen Gemeinden Westfalens und Rheinprovinz in das Kuratorium der Marks-Haindorf-Stiftung berufen […]. Es folgten die Wahlen ins Kuratorium der Kreisparkasse […] und zum stellvertretenden Bürgermeister der Stadt Burgsteinfurt […] sowie die Berufung zum Vertrauensmann des Amtsgerichts […]“24. Schon in den 1860er Jahren hatte er sich dafür eingesetzt, dass zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur des westlichen Münsterlandes eine Eisenbahnlinie von Münster nach Enschede gebaut werden sollte, und er war von dem für dieses Projekt gegründeten Ausschuss unter dem Vorsitz des Erbprinzen Ludwig zu Bentheim-Steinfurt ausgewählt worden, als Mitglied einer offiziellen Delegation der Stadt Burgsteinfurt an den Feier- lichkeiten zum 50. Jahrestag der Vereinigung Westfalens mit Preußen in Münster dem König Wilhelm I eine „[…] Petition in Betreff der projektierten Eisenbahn von Münster nach Enschede zu überreichen […]“25. Als zehn Jahre später der Bahnbetrieb auf der Strecke aufgenommen wurde, nahm Feibes Blumenfeld al. Itzig an der Jungfernfahrt von Münster nach Enschede teil. Als wenig später die Bahn auf der Strecke aus Kosten- gründen in eine so genannte „Sekundärbahn“ (Geschwindigkeitsbegrenzung auf 25 km/h) umgewandelt werden sollte, setzte er sich umgehend und mit Erfolg für die Beibehaltung dieser Bahn als „Primärbahn“ ein26. 1878 ging sein Amt als Kreistagsabgeordneter zu Ende, 1881 legte Feibes Blumenfeld al. Itzig im Alter von 65 Jahren sein Stadtverordnetenmandat als letztes politisches Mandat, dass er noch bekleidete, nieder. Zwei Jahre später wurde er zum Vorsitzenden des Kuratoriums der Marks-Haindorf-Stiftung gewählt und nahm zusammen mit seiner Frau Wohnsitz in Münster. „Insgesamt 15 Jahre lang sollte Feibes die Geschicke der Haindorf- Stiftung leiten […]. Überschattet blieben die letzten Jahre seines Lebens durch die bittere Erfahrung, dass die Judenfeindschaft, die nun Antisemitismus hieß, nicht abnahm, sondern sich nur wan- delte. Mehr und mehr nahm sie politischen Charakter an und organisierte sich […]. Die Gleichberechtigung war zwar nach der Reichsgründung (erneut) gesetzlich festgeschrie- ben worden, bestimmte Führungspositionen blieben den Juden aber de facto für immer verschlossen […]“27. Im Jahre 1911 hatte der „moderne“ Antisemitismus offensichtlich auch das Arnoldinum erreicht: „[…] Im Frühjahr dieses Jahres meldete der Kaufmann Löwenstein aus Horstmar seinen Sohn [Bernhard] von der Schule ab, weil er zu sehr „unter den antisemitischen Allüren des Lehrers Benkert zu leiden hatte“, der, wie es in den Akten heißt, die „antisemitischen Mätzchen der Mitschüler [Löwensteins] duldete u[nd] dadurch förderte […]“28. Die antisemitische Agitation im deutschen Reich steigerte sich seit Mitte des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts und schwoll ab 1915 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs beträchtlich an4. Vieles spricht dafür, dass sich Adolf Hitler sogar erst unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg zum glühenden Antisemiten ausgebildet hat 30. Auf einige Beiträge von Akademikern aus Medizin und Biologie (Ernst Haeckel, Madison Grant) wurde schon hingewiesen31; in die Gruppe jener sozialdarwinistischen „Eugeniker“ und „Rassekundler“ reihen sich auch noch Otmar v. Verschuer32, der Doktorvater des Auschwitz-Arztes Dr. Josef Mengele, dem Verschuer noch 1946 einen „Persilschein“ aus- gestellt hat33, ferner Erwin Bauer, Eugen Fischer und Fritz Lenz34 ein. Den Quellen des zum christlichen Antisemitismus gewandelten traditionellen Antijudaismus kann man neben den schon erwähnten Heinrich von Treitschke und Adolf Stoecker35 auch den Münsterländer, zeitweise an der Münsteraner Universität lehrenden August Rohling zugesellen, der geradezu besessen die mittlelalterlichen antijüdischen Ritualmordstereo- type kämpferisch vertrat, weshalb ihm schließlich der Vatikan die Lehrerlaubnis entzog
-6- und seine Bücher indizierte. Immerhin war August Rohling für die österreichischen antisemitischen Politiker Georg Ritter von Schönerer (1842 – 1921) und Karl Lueger (1844 - 1910), den Bürgermeister von Wien (1897 -1910), ein geschätzter Berater36. Eine enorme Breitenwirkung hatte schließlich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhun- derts der schon erwähnte und zitierte Jurist Heinrich Claß37, ein Heinrich-von-Treitschke- Schüler, Mitglied zunächst des völkisch antisemitischen „Deutschlandbunds“, später des „Alldeutschen Verbands“, dessen Vorsitzender er seit 1908 war, sowie Mitgründer des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes 1919. „[…] Unter dem Einfluss von Claß wandte sich der Verband nach der Jahrhundertwende zunehmend einem primitiven biolo- gistischen und antisemitischen Weltbild zu […]38. In seinem populären „Hauptwerk“ mit dem Titel „Wenn ich der Kaiser wär“39, das er unter dem Pseudonym Daniel Frymann veröffentlichte, „[…] propagierte [Heinrich Claß] die Erbfeindschaft mit Frankreich und die Perfidie Englands [… und] bezeichnete […] die Juden als „Träger und Lehrer des heute herrschenden Materialismus […]. Sein Kampfruf lautete: „Deutschland den Deutschen“. Er entblödete sich nicht zu fragen: „[…] Wo fängt das an und wo hört das auf, was uns zugemutet werden soll, als zur Menschheit gehörig zu lieben und in unser Streben einzuschließen? Ist der verkommene oder halbtierische russische Bauer des Mir, der Schwarze in Ostafrika, das Halbblut Deutsch-Südwests oder der unerträgliche Jude Galiziens oder Rumäniens ein Glied dieser Menschheit ?[…]“40. Die schon früher zitierte Claßsche antisemitische Zuspitzung der Dolchstoßlegende am 3. Oktober 1918, verbunden mit der Forderung nach Gründung einer „[…] großen, tapferen und schneidigen Nationalpartei und rücksichtslosen Kampf gegen das Judentum […]“ sei hier noch ergänzt durch eine ähnliche, aber weiter gehende Forderung von Claß, die er in einer geifernden Rede „[…] auf der Tagung der Hauptleitung des Geschäftsführenden Ausschusses des Alldeutschen Verbandes am 19. und 20. Oktober 1918 in Berlin [geäußert hat, als er] die Versammelten auf[rief,] die Lage zu Fanfaren gegen das Judentum und die Juden als Blitzableiter für alles Unrecht zu benutzen [und die Rede – ein Kleist-Zitat benutzend – mit der Versicherung beendete:] Ich werde vor keinem Mittel zurückschrecken und mich in dieser Hinsicht an den Ausspruch Heinrich von Kleists […] halten: „Schlagt sie tot, das Weltgericht fragt Euch nach den Gründen nicht!“41. Diese Auswüchse des „modernen“ Antisemitismus hat Feibes Blumenfeld, al. Itzig, nicht mehr erleben müssen; er starb im Jahre 1898 42. Dagegen wurden seine Burgsteinfurter Glaubensgenossinnen und –genossen und also auch die jüdischen Arnoldiner, soweit sie nicht vorher gestorben oder emigriert waren, Opfer der sich anbahnenden und nach 1933 einsetzenden großen Katastrophe, der Shoah. Teil II Die Arnoldinerinnen und Arnoldiner mit jüdischem Bekenntnis, angeordnet nach dem Geburtsdatum Von Ostern 1853, dem ersten Schultag des wiederbegründeten Gymnasium Arnoldinum bis zum 28. 8. 1937, dem Entlasstag des letzten jüdischen Arnoldiners Horst Martin Buchheimer (s.u.), haben insgesamt 3 Schülerinnen und 153 Schüler mit jüdischem Bekenntnis das Arnoldinum besucht. Wie oben gesagt, rechne ich auch noch einen der Konfession nach evangelischen Schüler dieser Gruppe zu, weil er ab 1933 als „Halbjude“ diskriminiert wurde, Robert Walter Herz (s.u.). Im Folgenden werden die Namen und Schicksale der insgesamt 157 Schülerinnen und Schüler wiedergegeben soweit ich ihre Biographien mehr oder weniger gründlich recher- chieren konnten. Ich ordne die Namen nach dem Geburtsdatum an und greife dabei gelegentlich auf die beiden Vorarbeiten43 zurück, die hier z.T. durch inzwischen gewonnene neue Informationen ergänzt oder auch – sofern sie Fehler enthalten haben – korrigiert werden konnten.
- 7- „Albert Kehlberg, * 21.4.1841 in Warburg, „Sohn des Kaufmanns Robert Kehlberg, Warburg, der [zum Zeitpunkt des Schuleintritts von Albert] schon gestorben war […], [Arnoldiner] von Michaelis 1865 in G I b – Abitur 1869 44, 45, will in Berlin jüdische Theo- logie studieren 45. Dass Albert Kehlberg nach dem Abitur in Berlin gelebt hat, geht aus dem Abiturienten- verzeichnis von 193344 hervor. Dass er dort jüdische Theologie studiert hat, ist nicht un- wahrscheinlich, kann aber nicht belegt werden, ebensowenig, ob er an der berühmten, u. a. von dem wichtigen Vordenker des modernen Reformjudentums Abraham Geiger (1810 – 1874) mitgegründeten „Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums“46 eingeschrie- ben war. Er hat nachweislich in Berlin Humanmedizin studiert und ist zum Dr. med. pro- moviert worden. Danach hat er sich in Berlin als praktischer Arzt und Mohel („Beschneider“) niedergelassen. Die Berufsbezeichnung „Mohel“ lässt annehmen, dass er sich zumindest zur Vorbereitung auf den Beschneiderberuf mit jüdischer Theologie inten- siv beschäftigte; ja, man kann sogar annehmen, dass er sich in diesem Zusammenhang für das Medizinstudium entschlossen hat. Er hat nämlich zusammen mit seinem Kollegen Dr. Ludwig Loewe in A. Glassberg (1896) den Beitrag „Die rituelle Circumcision, vom medicinischen Standpunkt aus“ verfasst, in dem es im Vorwort u.a. heißt: „[…] Wir haben bei jeder Zeile dieses Werkchens den Gedanken [...] gehabt, dass die Procedur, wie sie jetzt üblich ist, den Säugling und den Beschneider grossen, leicht zu vermeidenden Gefahren aussetzt […]. Die fast täglich sich wiederholenden, traurigen Fälle sind jedem, der sich mit der Sache beschäftigt, genügend bekannt […]. Wir haben uns bei den von uns vorgeschlagenen Modificationen der eigentlichen Be- schneidung soviel als irgend möglich beschränkt [, …] uns namentlich in Acht genommen, das durch Satzung und Zeit Geheiligte anzutasten [… und] das Augenmerk darauf gerichtet, den nicht rituellen Theil wie die Vorbereitung zur Operation, die Nachbe- handlung und den Wundverband so zu gestalten, wie er nach den bei operativen Eingriffen in Frage kommenden Verhältnissen unbedingt sein muss. Wenn der Beschneider die nachfolgenden Vorschriften über Reinhaltung der Instrumente, Desinfec- tion der Hände und der Wunde, Stillung der Blutung etc. genau befolgt, wird er jeden ernstlichen Unfall mit Sicherheit vermeiden können. Wenn irgend Etwas zum festen Zusammenhalten und zu der den J a h r h u n d e r t e n trotzenden Standhaftigkeit des Judenthums beigetragen hat, so war es unzweifelhaft der Gebrauch der Beschneidung. Wer es mit der mosaischen Gemeinschaft ernst meint, wird daher in der Beschneidung eine nie und nimmer abschaffbare Nothwendigkeit erblicken. Aber wozu den jungen israelitischen Weltbürger, der schon unmittelbar nach der Geburt mit seinem Blute Zeugnis für den Glauben seiner Väter ablegen muss, Gefahren aus- setzen, die so leicht vermieden werden können? Sollte es nicht an der Zeit sein das Beschneidungswesen so zu regeln, dass jeder Beschneider – abgesehen von seiner rituellen Befähigung – den Nachweis seiner Vertrautheit mit den wichtigsten Grundregeln der Wundbehandlung führen muss. Es scheint uns im dringenden Interesse der israeliti- schen Gemeinde zu liegen, dass hierüber allgemein giltige Bestimmungen getroffen werden, um dem Unwesen zu steuern, dass gänzlich Unbefugte in das Leben und die Gesundheit unserer Nachkommenenschaft einzugreifen sich bemüssigt fühlen. B e r l i n, im April 1888 […]“47. Dieses „Werkchen“ will also nichts anderes als den die jüdische Identität stiftenden Ritus des „Bundes der Beschneidung“ dem damals erreichten psycho- und physiohygienischen Standard anpassen, ein Anliegen, das in der Folgezeit durch jeweils neue medizinische Erkenntnisse aktualisiert wurde48. Albert Kehlberg hat das Erscheinen der richtungs- weisenden Monographie, an der er mitgearbeitet hatte, selbst nicht mehr erlebt: drei Jahre nach Abschluss des Manuskripts ist er gestorben. Die genauen Umstände des relativ frühen Todes von Albert Kehlberg sind mir bislang nicht bekannt. Albert Kehlberg starb am 11. 6. 1891 in Berlin45 im Alter von 50 Jahren.
- 8- „Kalman Moses Wertheim,*„2.2.1843 in Bocholt, Sohn des Färbers Moses Coppel Wertheim aus Bocholt [49, des Gründers der seit 1852 in Burgsteinfurt Jute verarbeiten- den Firma M. C. Wertheim, Bruder von Benjamin und Selig Wertheim (s.u.), Arnoldiner] von Ostern 1855 in VI – Ostern 1859 (aus R III) Abgang, um bei seinem Vater in die Lehre zu gehen“50. Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob Moses Kalman Wertheim das „Einjährigen-Zeugnis“51 bekommen hat. Weil er in der elterlichen Firma eine Lehre begonnen hat, dürfte er dort seine kauf- männische Ausbildung absolviert haben. Das weitere Schicksal von Kalman Moses Wertheim ist mir mangels Daten unbekannt. „Moses al. Max[52] Heimann, *10.7.1843 in Coesfeld, Sohn des Joel Heimann, Gerber, Kürschner in Burgsteinfurt, [Bruder von Levi und Meyer Heimann (s.u.), Arnoldiner] von Ostern 1853 in Sexta – Abitur 1861“ 53, 54 Max Heimann wurde Kaufmann in Berlin, in welchem Arbeitsbereich, ist mir ebenso wenig bekannt wie seine übrigen Lebensbedingungen und die näheren Umstände seines Todes. Moses, al. Max Heimann starb im Alter von 60 Jahren am 18.9.1913 in Burgsteinfurt. 54 „Max Blumenfeld al. Itzig[55] *28. 3. 1844 in Burgsteinfurt, Sohn des Kaufmanns Feibes Itzig [, der die Pläne Bürgermeisters Wilhelm Terberger, das Gymnasium Arnoldinum wieder zu begründen, zusammen mit anderen Bürgern Burgsteinfurts unterstützte (s.o.) und daher natürlich auch seine eigenen Söhne am Gymnasium eingeschult hat. Max’ Bruder war Bernhard Itzig, al. Blumenfeld, sein Vetter Albert Blumenfeld (s.u.). Max war Arnoldiner] von Ostern 1853 – Abitur 1861 [; vor Schuleintritt hatte er die] „interemistische Vorschule des Gymnasiums“56 besucht. Er und sein Mitschüler Moses, gen. „Max“, Heimann (s.o.) waren die ersten jüdischen Arnoldiner, wobei Max mit gerade 9 Jahren „einer der Jüngsten [der eingeschulten Arnoldiner war“57. Als Sextaner trug er beim ersten Stiftungsfest des Arnoldinums 1854 das Gedicht „Der Wolf und der Fuchs“ vor; auch 1855 trat er als Quintaner erneut auf, um der Festversammlung Gedichte vorzutragen57. Die exponierte Stellung von Max Itzig sind vermutlich ein Hinweis auf den prominenten Rang seines Vaters als Bürger der Stadt und nicht zuletzt auch als Förderer des neu eröffneten Arnoldinums (s.o.). Nach dem Abitur machte Max eine Ausbildung zum Bankaufmann in Hamburg, bekam aber nach Abschluss der Lehre keine Anstellung, weshalb sein Vater den Wechsel des Nachnamens von Itzig zu Blumenfeld beantragte (s.o.). Max ist zusammen mit seinem Bruder 1862 nach Hamburg gekommen, „[…] 1867 verließ Max die Hansestadt wie- der[…]“10; ob er zunächst nach Burgsteinfurt gegangen ist, um dort zu berichten, dass er keine Anstellung in Hamburg bekommen hatte (s.o.), oder ob er gleich nach Berlin umge- zogen ist, um sich dort zu bewerben, ist mir bislang nicht bekannt. Die Goldhochzeit der Eltern im Jahre 1891 „[…] wurde von Max und Bernhard in Hamburg ausgerichtet […]“59, was nicht bedeutet, dass Max in dieser Zeit in Hamburg gewohnt hat. Er ist in Berlin ge- storben; vermutlich hat er als „Kaufmann in Berlin“60 gewohnt. Im übrigen sind mir das Schicksal von Max Blumenfeld, al. Itzig zwischen dem Weggang aus Hamburg 1867 und dem Tod in Berlin sowie dessen nähere Umstände bislang unbekannt. Max Blumenfeld, al. Itzig, ist am 6.11.1912 in Berlin im Alter von 68 Jahren gestorben60. „Albert Blumenfeld, *15.4.1845 in Osnabrück, als Sohn des Bernhard Blumenfeld, Kaufmann in Osnabrück. [Albert war ein Vetter mütterlicherseits von Max (s.o.). und Bernhard Itzig, al. Blumenfeld (s.u.). Er war Arnoldiner] von Michaelis 1854 (in VI) – Februar 1859 (aus R III) [, um] auf die Realschule zu Leipzig [zu gehen], wegen Über- siedlung des Vaters nach Leipzig“61. Der Umzug war eine Konsequenz aus der Umstrukturierung der Geschäfte von Feibes Itzig, Burgsteinfurt, und Bernhard Itzig, Osnabrück, die sich zu der Großhandelsabteilung
-9 - „Blumenfeld und Comp.“ zusammengeschlossen hatten62. Während die Einzelhandels- abteilung unter dem Geschäftsnamen „Samuel Itzig“ weiter in Burgsteinfurt blieb, weshalb auch Feibes Itzig als Geschäftsführer weiter in Burgsteinfurt wohnen blieb, wurde die neu gegründete Großhandelsabteilung nach Guben in der Niederlausitz verlegt und dort ein eigenes industrielles Unternehmen, „[…] ein Etablissement […] zur Fabrikation von Tuchen, Zephyr und Burkeens“62, angeschlossen. Die Familie von Bernhard Blumenfeld sen., des Vetters von Feibes Itzig, hat ihren Wohnsitz offenbar nicht am Sitz der neu gegründeten Firma genommen, sondern in der Messestadt Leipzig. Das weitere Schicksal von Albert Blumenfeld und seiner Familie ist mir bislang mangels Daten unbekannt. „Bernhard Itzig, al. Blumenfeld, *„13. 5. 1846 in Burgsteinfurt, Sohn des Kaufmanns Feibes Itzig, [Bruder von Max Itzig, al. Blumenfeld (s.o.) sowie Vetter von Albert Blumen- feld (s.o.). Er war Arnoldiner] von Ostern 1855 (in VI) bis zum [so genannten] „Realabitur“ 1862 [und verließ das Arnoldinum an] Michaelis 1862 aus Real I b, um Kaufmann zu werden]“63. Als er eingeschult wurde, war er wie sein Bruder Max auch erst 9 Jahre alt , hatte allerdings zuvor „Privatunterricht“63 gehabt. Auch er bekam die Gelegenheit, diesmal beim Arnolditag 1858 (am Ende der Untertertia), öffentlich aufzutreten und der versammelten Schulgemeinde ein Gedicht, die lange Ballade „Kassandra“ von Friedrich Schiller vorzutragen64. „Am 7. Dezember 1862 betrat ein selbstbewusster, noch sehr junger Mann das poli- zeiliche Paß- und Fremdenbureau im Hamburger Stadthaus. Dem karteiführenden Beam- ten teilte er mit, er heiße Bernhard Blumenfeld, stamme aus Burgsteinfurt in Westfalen, wohne jetzt in der Peterstraße beim Großneumarkt und arbeite als Lehrling beim Kauf- mann Ernst Hertz […]“65. Sieben Jahre später lautete sein Eintrag im Hamburger Adress- buch: „Blumenfeld, Bd., Agent u. Commission in Kohlen, Eisen, Metallen, Bergwerks- Producten, Baumaterialien etc., Spezial. Westfäl. Steinkohlen u. Coakes. BCto. Nordd.B. Compt. Neuerwall 40 I., Lager Venloer Bahnhof. Meyerstr. Pl. 12 u. 13, Börsenst. Pf 8c, Wohn. Pöseldorf, Schulstraße 10, Inh. Bd. Blumenfeld“ 66. Bernhard Blumenfeld hatte sich augenscheinlich mit großem Erfolg in den sieben Jahren am Hamburger Kohlen- und Stahlmarkt etabliert. 1877 heiratete er Helene Karpeles; „[…] aus der Ehe gingen vier Kinder – die Söhne Ernst [* 1880] und Otto [ *1883] sowie die Töchter Martha [*1877] und Clara [*1889] – hervor […]. Am 18. Juni [1880] leistete er den Bürgereid. In seinem Antrag gab er als Beruf „Kaufmann“ an, als versteuertes Einkommen für 1880 nannte er den Betrag von 9360 Mark […]“ 67. BAJOHR (2010) charakterisiert die weitere Entwicklung von Bernhard Blumenfeld wie folgt68 „[…] Obwohl [er] nach außen ganz als Patriot und Propagandist der „deutschen Kohle“ auftrat, baute er – ganz hamburgischer Kaufmann – gleichzeitig seine internatio- nalen Handelsbeziehungen aus und gründete Niederlassungen in Amsterdam, Paris und London. Da er sich nach der Jahrhundertwende eine kleine Dampferflotte zugelegt hatte, konnte er die russische, britische und deutsche Marine gleichermaßen mit Bunkerkohle beliefern. Zudem betrieb er um die Jahrhundertwende erfolgreich die Gründung einer ei- genen Produktionsstätte für Koks und Briketts, die „Norddeutschen Kohlen & Cokes Werke“, die am Indiakai im Hamburger Hafen pro Jahr mehr als 300.000 Tonnen Kohlzu Koks und Briketts verarbeiteten […]. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich die Bd. Blumenfeld OHG zu einem [...] regional bedeutenden Unternehmen des Kohlenhandels und der Brennstoffproduktion mit mehreren hundert Beschäftigten entwickelt [... . Es ist] nicht zu übersehen, dass sich der ehemalige Kaufmannslehrling […] binnen weniger Jahrzehnte in das höhere Hamburger Bürgertum hinaufgearbeitet hatte […]. Davon kündigen nicht zuletzt seine Wohnadressen: zunächst ein Haus auf der „richtigen“, nämlich westlichen Seite der Außenalster, später an der Elbchaussee eine große schloss- ähnliche Villa […] sowie ein großes Landhaus in der Lüneburger Heide, die Villa Schelp- loh[69] trafen […] die führenden Repräsentanten des deutsch-jüdischen Wirtschaftsbürger-
- 10- tums wie Albert Ballin von der Hapag […] mit Schriftstellern wie Gerhard Hauptmann oder bildenden Künstlern wie Max Slevogt, Lovis Corinth und Max Liebermann zusammen […]. Was in der bürgerlichen Erfolgsgeschichte Blumenfelds lediglich fehlte, war ein reprä- sentatives Amt im Hamburger Senat oder in der Handelskammer, das seinen Auftstieg zweifellos gesellschaftlich abgerundet hätte. Daran war jedoch wegen seiner jüdischen Herkunft nicht zu denken, auch wenn sich Blumenfeld durchaus assimilationsbereit zeigte und 1902 […] zum Protestantismus übergetreten war. Diese Assimilationstendenzen waren in der nachfolgenden Generation noch stärker ausgeprägt: Während Bernhard Blumenfeld mit Helene, geb. Karpeles, noch eine Jüdin zur Frau genommen hatte, heiratete sein Sohn Ernst – Erik Blumenfelds Vater, der ebenfalls konvertiert war – […] 1911[…]die protestantische Gutsbesitzertochter und Lehrerin Ebba Möller […]. Zum Zeit- punkt der Eheschließung war sie 24, Ernst Blumenfeld jedoch bereits 37 Jahre alt [. … Er war] mit seinem Bruder Otto im selben Jahr als Gesellschafter in das Blumenfeld’sche Familienunternehmen eingetreten [… . Der] Erste Weltkrieg 1914 [markierte] einen entscheidenden familiären und geschäftlichen Einschnitt. Er brachte die Geschäfts- tätigkeit der Firma […] nahezu zum Erliegen [… . Er zerriss] die noch junge Familie Ernst und Ebba Blumenfeld: Ernst rückte als Soldat ins Feld aus, und Ebba zog sich mit der 1912 geborenen Tochter Sonja und dem im März 1915 noch in Hamburg zur Welt ge- kommenen Sohn Erik zu ihren Eltern nach Dänemark zurück […]. Erik und […] Sonja waren kurz nach der Geburt protestantisch getauft worden […]“. Am 9. 4.1919 ist Bernhard Blumenfeld, fast 73-jährig, in Hamburg gestorben70. Exkurs 2: Erik Blumenfeld, ein Urenkel von Feibes und Jeannette Blumenfeld71 Nachdem der Firmennachfolger Ernst Blumenfeld 1927 gestorben war, musste Eriks Mutter Ebba ihren Sohn Erik alleine aufziehen und war außerdem mit den Firmenproblemen nach 1933 konfrontiert. Erik Blu- menfeld besuchte das von dem Reformpädagogen Kurt Hahn geleitete Schlossinternat Salem, wo er 1933 das Abitur ablegte. Anschließend machte er bis 1935 eine kaufmännische Ausbildung in England und studierte danach an der TU Berlin die Fächer Geologie und Metallurgie, Fächer, die ihm (einem inzwi- schen „jüdischen Mischling 1. Grades“) noch offen standen. 1935 schloss er sein Studium mit dem Vor- examen ab und wurde vor Kriegsausbruch von der Wehrmacht rekrutiert . Von 1939 bis 1941 war er aktiver Soldat („Gefreiter“) im Zweiten Weltkrieg; am 1. Dezember 1942 wurde er aber als „Halbjude“ aus der Wehrmacht entlassen. Er kehrte nach Hamburg zurück und verlor die Prokura für die Firma Blumenfeld, die er seit 1935 inne gehabt hatte. Weil sein Onkel Otto 1938 aus Protest gegen die Forderung der NS- Behörden, das Wort „Blumenfeld“ aus dem Firmennamen zu streichen und den Firmennamen in „Krupp Reederei und Kohlenhandel G.m.b.H.“ abzuändern, nach Großbritannien emigriert war, sass nur noch Mutter Ebba in der Geschäftsleitung, wurde aber gezwungen, ihren Mädchennamen Möller zu führen. Erik wurde im Dezember 1942 als „Schutzhäftling“ ins Stadtgefängnis Fuhlsbüttel überstellt und von dort am 7.1.1943 in das KZ Auschwitz deportiert, nicht als „Jude“, sondern als „Politischer“. Eriks Mutter Ebba erreichte über einen persönlichen Kontakt zu Heinrich Himmlers Leibmasseur, den Medizinalrat Felix Kersten, der sie 1932 einmal in Hamburg behandelt hatte, dass Erik schließlich im Oktober in das KZ Buchenwald verlegt wurde. Im Februar 1944 wurde Erik Blumenfeld die Haftentlassung in Aussicht gestellt - unter der Bedingung allerdings, dass er sich sterilisieren lasse. Nachdem er dieser Bedingung zugestimmt hatte, wurde er im Juli 1944 nach Hamburg wieder ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel verbracht, wo er den ärztlichen Eingriff an sich vornehmen ließ. Im August 1944 kehrte Erik zu seiner Mutter zurück. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er wieder persönlich haftender Gesellschafter des väterlichen Unternehmens in Hamburg. Er engagierte sich auch politisch 1946 als Gründungsmitglied der CDU und als Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft. 1961 wurde er Mitglied des Deutschen Bundestages und 1972 Mitglied des Europaparlaments. Von 1977 bis 1991 war er Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. 1989 erhielt er von Bundespräsident Richard von Weizsäcker das Bundesverdienstkreuz. Am 10. April 1997 ist Erik Blumenfeld 82-jährig in Hamburg gestorben. Exkurs 3: Alice Ascher, eine Tante von Erik Blumenfeld72 Nicht nur die beiden Söhne von Feibes Blumenfeld, al. Itzig, hatte es nach dem Schulabschluss am Arnoldinum in die Hansestadt gezogen (wobei Max nach der Ablehnung bei der Stellensuche anscheinend sich eine andere Großstadt, anscheinend Berlin, gesucht hat s.o.). Auch ihre älteste Schwester, Olga (*1842), und die zweitjüngste, Emilie (*1858) hatten dort ihre Familien gegründet. Olga hatte den Hambur-
- 11 - Kaufmann Salli Elkan geheiratet und war mit ihm nach Hamburg gezogen, wo ihr Sohn Willy Morris geboren wurde (s.u.). Emilie hatte den Hamburger Fabrikanten Gustav Joachim Ascher geheiratet, mit dem sie die Tochter Alice (*1880) und die Söhne Felix Daniel (*1883) und Richard (*1888) bekam. Es ist anzunehmen, dass alle Mitglieder der zahlreich gewordenen Blumenfeld-Sippe auf der Goldhochzeit von Feibes und 73 Jeannette Blumenfeld zugegen waren, die im Oktober 1891 wahrscheinlich in der Villa von Bernhard Blumenfeld an der Elbchaussee gefeiert wurde. Emilies Ehemann ist relativ früh gestorben; sie lebte als Witwe in einem Haus in Hamburg-Winterhude, in dem auch ihre Tochter Alice, zusammen mit Lebensgefährtin Margot Doctor, wohnte. Alice war Privat- sekretärin des prominenten Bankiers Max Warburg, einem engagierten Fluchthelfer bis zu seiner eigenen Flucht 1938. Dieser hatte auch für sie noch ein Affidavit besorgt. Für ihre Partnerin war aber kein Affidavit zu bekommen, weshalb Alice darauf verzichtet hat, ihr eigenes zu benutzen. Ihr war Ende Januar 1940 ihr Privatvermögen gesperrt worden. Im Frühjahr 1941 waren die Abwicklungsarbeiten der Warburgbank beendet, und das Bankhaus war von der NSDAP beschlagnahmt worden. Am 6. 12. 1941 wurde Alice Ascher mit ihrer Lebensgefährtin Sara Doctor nach Riga deportiert; ob sie überhaupt dort angekommen sind und ob sie auf dem Transport oder in Riga ermordet wurden, ist nicht bekannt. Ihre Mutter wurde am Deportationstag gezwungen, in ein als „Judenhaus“ deklariertes jüdisches Altenheim zu ziehen, wo sie am 19.7. 1942 in den Freitod ging. Alices Brüder Felix Daniel und Richard war es schon 1938 gelungen, mit ihren Familien nach Großbritannien zu flüchten. „Levi Heimann, *14.10.1847 in Burgsteinfurt, Sohn des Joel Heimann, Gerber und Kürschner in Burgsteinfurt [Levi war der ältere Bruder von Moses, al. Max (s.o.) und von Meyer Heimann (s.u.). Er war Arnoldiner] von Ostern 1858 in Sexta – Dezember 1861 (aus R III)“74. Das weitere Schicksal von Levi Heimann ist mir bislang mangels Daten unbekannt. Salomon, gen. Sam, Spanjaard, *1. 1. 1848 in Borne, Sohn des niederländischen Fabrikanten Jacob Salomon Spanjaard aus Borne, [Arnoldiner] von Michaelis 1863 – „Einjähriges“ August 1865 (aus RIII a)“75. Die Geschichte der in den Niederlanden noch heute berühmten Familie Spanjaard ist u.a. in zwei Quellen76 recht ausführlich dargestellt, die für die folgende Darstellung benutzt wurden: Der Großvater von Salomon Spanjaard, Salomon Jacob Spanjaard (1783 – 1861), war Anfang des 19. Jahrhunderts aus seinem Geburtsort Bodendorf bei Remagen a. Rhein aus- und in die Niederlande eingewandert und wohnte seit 1811 in Borne. Dort begrün- dete er die „Handelsfirma S. J. Spanjaard“, die von seinen beiden Söhnen, Jacob Salomon Spanjaard (1813-1899) und Levie Salomon Spanjaard (1821-1892) zunächst gemeinsam als eine Aktiengesellschaft mit dem Vater weitergeführt wurde; sie handelten mit Biber- und Moltonstoffen, Flannell- und Baumwolldecken. 1852 übergab Vater Sa- lomon Jacob die Fabrik in die Hände seiner beiden Söhne. 1864 nahmen sie die beiden älteren Söhne von Jakob Salomon, Izak Jacob (1838 - 1912) und David Jacob (1840 – 1917) in die Aktiengesellschaft auf und begannen damit, die Firma zu vergrößern und zu modernisieren, indem sie Dampfwebstühle anschafften. 1875 kaufte sich auch ein weiterer Bruder von Jacob Salomon und Levie Salomon, Bernard Spanjaard (1843 – 1908), in die Firma ein. Sie hieß schließlich „N.V. Stoom-Spinnerijen en -weverijen v/h S.J.Spanjaard“ und war bis weit ins 20. Jahrhundert in Betrieb. Jacob Salomon Spanjaard hatte am 22. 6.1837 Rosina Zwartz (1816 – 1846) geheiratet und mit ihr 5 Kinder bekommen; im Wochenbett des 5. Kindes starb sie. Nach ihrem Tod heiratete Jacob Salomon am 24. 2. 1847 als zweite Frau die in Lünen geborene Lotte Charlotte Lehmann (1817 – 1896), mit der er noch drei Söhne bekam: Salomon, gen. Sam (1848 – 1928), Louis (1851 – 1933), Alexander (1855 – 1912) und zwei Töchter: Paulina (1849 -1907) und Sara (1852 – 1912) bekam. Der spätere Arnoldiner war also der erste Sohn der zweiten Ehe. Während drei Halbbrüder von „Sam“ in die väterliche Firma eintraten, hat sich Sam nach dem Besuch des Arnoldinums im Finanz- und Versicherungswesen ausbilden lassen und wurde Bankier und Versicherungsagent in Utrecht77. Er heiratete am 8. 6. 1874 Hannah Colaço Osorio (*1849 in Amsterdam) und wohnte mit ihr zunächst in Rotterdam, wo ihnen
- 12 - die beiden Söhne Jacob (1875 – 1943) und David (1876 – 1944) geboren wurden; nach dem Umzug nach Amsterdam bekamen sie noch weitere drei Kinder: Maurits (*1880), Rosa Charlotte (1885-1969) und Bernard (1887 - 1914). Später zogen Sam und seine Frau nach Utrecht. Salomon, gen. „Sam“, Spanjaard starb mit 80 Jahren am 13. 5.1928 in Utrecht. 77, 78, 79 Exkurs 4: Sam Spanjaards Verwandte und die Niederlande als „Shoah- Falle“ : Während bei den Nachkommen der in Borne gebliebenen Geschwister von Salomon, gen. „Sam“, Span- jaard insgesamt 8 Shoah-Todesopfer zu verzeichnen sind (außerdem mehr als 10 niederländische Ange- stellte und Arbeiter der Firma seines Vaters und seiner Brüder), haben seine eigenen Nachkommen die Shoah überlebt – möglicherweise im Untergrund. So leben noch heute Enkel und Urenkel von „Sam“ Spanjaard und Hannah Colaço Osario an verschiedenen niederländischen Orten. Die Niederlande wurden im Mai 1940 vom Deutschen Reich angegriffen. Seit 1933 waren viele jüdische Menschen aus Deutschland (bis zum Kriegsbeginn etwa 22 000) Schutz suchend in die Niederlande geflohen in der Hoffnung, der sich abzeichnenden Shoah zu entkommen. Nach der ersten Razzia der Besatzer im Februar 1941, bei der mehr als 400 jüdische Männer nach Mauthausen verschleppt wurden, reagierten die Niederländer mit einem Generalstreik. Nichtsdestoweniger fuhren die Deportationszüge vom 15. Juli 1942 bis zum September 1944 in den Tod, zumeist wurden Menschen nach den Razzien zuerst im so genannten „polizeilichen Judendurchgangslager“ Westerbork konzentriert, um von dort in die Todeslager deportiert zu werden. Letztendlich sind aus den besetzten Niederlanden 107.000 jüdische Menschen ermordet worden, d.h. aus den Niederlanden sind die meisten Deportationen erfolgt. Auch eine Reihe jüdischer Arnoldiner ist in die Falle der besetzten Niederlande hineingeraten. Nichtsdestoweniger ist festzuhalten, dass die Niederlande im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten den größten „Rettungswiderstand“ geleistet haben, sowohl seitens vieler Einzelpersonen als auch größerer Gruppen. Nicht weniger als 5108 Niederländer sind bis Januar 2011 von Yad Vashem als „Gerechte“ ausgezeichnet worden. „Meyer Meyer, * 21.8.1848 in Burgsteinfurt, Sohn des Moses Meyer, Handelsmann in Burgsteinfurt, [Arnoldiner] von Ostern 1860 (in VI) bis Einjähriges 1866 (aus R II b), um Kaufmann zu werden“4 Er scheint eine kaufmännische Lehre gemacht zu haben, wie man der Berufsbezeichnung in der Passagierliste des Schiffes ersehen kann, mit dem er in die USA gefahren ist: Am 29. 7.1868 emigrierte Meyer Meyer als „[…Shop apprentice]“ von Bremen mit dem Ziel Chicago auf der „Hansa“ nach USA und landete als Passagier 468 am 31. 8. 1868 in New York, diesmal mit der Berufsbezeichnung „[… merchant]“81. Das weitere Schicksal von Meyer Meyer ist mir bislang mangels Daten unbekannt. „Itzig Heymann, *16.2.1848 in Burgsteinfurt, Sohn des Levy Heymann, Kaufmann in Burgsteinfurt, [Arnoldiner] von Ostern 1858 (in VI) – Einjähriges 1862 (aus R III b)“6. Itzig Heymann wurde Lohgerber und Lederhändler in Burgsteinfurt. Im gleichen Jahr wie Meyer Meyer, aber schon am 10.10.1868, reiste auch Itzig Heymann als„apprentice tanner“ (Lohgerber-Lehrling) von Bremen mit dem Ziel New York auf der„Smidt“ nach USA und landete als Passagier 472 am 2. Dezember 1868 am Zielort als „tanner“. Wie aus dem Passeintrag hervorgeht, wollte er nicht dorthin emigrieren, sondern nur „Verwandte besuchen“ 83. Itzig Heimann ist mit fast 37 Jahren am 2.12.1884 in Burgsteinfurt gestorben. Er erhielt das erste Grab des 1884 neu angelegten jüdischen Friedhofs von Burgstein- furt84. „Jacob Urias, *5. 6. 1848 in Hattingen, Sohn des Kaufmanns Salomon Urias [, Arnoldi- ner] von Herbst 1858 (in VI) bis „Einjähriges“ 1862 (aus Real III a),um Kaufmann zu werden“85. Sein Großvater Jacob Urias (1772 – 1844) hatte schon im Jahre 1826 das über 100 Jahre existierende Kaufhaus Urias in Hattingen begründet, das zunächst von dessen ältestem
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