Diskurs Der Einstieg in den Ausstieg - Energiepolitische Szenarien für einen Atomausstieg in Deutschland

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August 2011

Expertisen und Dokumentationen
zur Wirtschafts- und Sozialpolitik   Diskurs
                                     Der Einstieg in den Ausstieg
                                     Energiepolitische Szenarien für
                                     einen Atomausstieg in Deutschland
                                     Kurzfassung

                                                                         I
II
Studie im Auftrag der Abteilung Wirtschafts-
und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

Der Einstieg in den Ausstieg
Energiepolitische Szenarien für
einen Atomausstieg in Deutschland
Kurzfassung

Brigitte Knopf
Hendrik Kondziella
Michael Pahle
Mario Götz
Thomas Bruckner
Ottmar Edenhofer
WISO
 Diskurs                                                                                         Friedrich-Ebert-Stiftung

           Inhaltsverzeichnis

           Abbildungsverzeichnis                                                                                            3

           Zusammenfassung                                                                                                   4

           1. Einleitung                                                                                                     8

           2. Modellergebnisse                                                                                              10
              2.1 Zusätzlicher Bedarf an fossilen Kraftwerken                                                               10
              2.2 Strompreise                                                                                               12
                  2.2.1 Vergleich des Zubaus von Gas- statt Kohlekraftwerken                                                13
                  2.2.2 Strompreise für Haushaltskunden                                                                     13
                  2.2.3 Strompreise für stromintensive Industriekunden                                                      15
              2.3 CO2-Emissionen                                                                                            15
              2.4 Sensitivitäten und Robustheit der Ergebnisse                                                              15

           3. Anforderungen an staatliches Handeln                                                                          18
              3.1 Netzausbau                                                                                                18
              3.2 Eine koordinierte europäische Klima- und Energiepolitik ist erforderlich                                  19
              3.3 Transparenz und wissenschaftliche Begleitung                                                              20

           Die Autorinnen und Autoren                                                                                       23

               Diese Studie wird von der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-
               Stiftung veröffentlicht. Die Ausführungen und Schlussfolgerungen sind von den Auto-
               rinnen und Autoren in eigener Verantwortung vorgenommen worden.

              Impressum: © Friedrich-Ebert-Stiftung | Herausgeber: Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der
              Friedrich-Ebert-Stiftung | Godesberger Allee 149 | 53175 Bonn | Fax 0228 883 9205 | www.fes.de/wiso |
              Gestaltung: pellens.de | Lektorat: Sönke Hallmann | Fotos © Vojtech Soukup, CLUPIX images,
              cinema2000 | bub Bonner Universitäts-Buchdruckerei | ISBN 978-3-86872-822-4 |
Wirtschafts- und Sozialpolitik
                                                                                                    WISO
                                                                                                     Diskurs

Abbildungsverzeichnis

Abbildung       1:   Definition der Szenarien                                                   9

Abbildung       2:   Ersatzbedarf durch Stilllegung der konventionellen Kapazitäten bis 2020   11

Abbildung       3:   Zu bereitstellende Ersatzkapazität in konventionellen Kraftwerken
                     (bis 2030; Vergleich zwischen den Szenarien Ausstieg 2015 – Kohle,
                     Ausstieg 2020 – Kohle und Ausstieg 2022)                                  11

Abbildung       4:   Entwicklung der Großhandelspreise (base) im Zeitraum 2015 - 2030
                     in ausgewählten Szenarien                                                 12

Abbildung       5:   Entwicklung der Großhandelspreise im Vergleich der Ersatzoptionen
                     Kohle vs. Gas                                                             13

Abbildung       6:   Strompreise für Haushaltskunden 2015 (in realen Werten von 2007)          14

Abbildung       7:   Strompreise für Haushaltskunden 2020 (in realen Werten von 2007)          14

Abbildung       8:   CO2-Emissionen im konventionellen Kraftwerkspark 2015 - 2030              16

Abbildung       9:   Sensitivitäten bzgl. Spotmarktpreisen, EEG-Umlage und
                     Haushaltsstrompreisen in 2020 gegenüber Szenario Ausstieg 2020 – Gas      17

Abbildung 10:        Aufteilung der EU-weiten Treibhausgasemissionen auf die einzelnen
                     Sektoren in 2008                                                          19

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 Diskurs                                                                                     Friedrich-Ebert-Stiftung

           Zusammenfassung

           Der von der Bundesregierung geplante Ausstieg        diskutiert und in Form verschiedener darauf aus-
           aus der Kernenergie bietet Chancen und birgt         gerichteter Regierungsbeschlüsse (z. B. den Mese-
           Risiken. Diese Studie zeigt, dass die Strompreise    berger Beschlüssen der Großen Koalition) bereits
           für die privaten Haushalte nur in sehr geringem      mehrfach adressiert. Hierzu zählen insbesondere
           Maße von einem Ausstieg betroffen sind. Auch ist     Maßnahmen zum Ausbau der erneuerbaren Ener-
           eine grundsätzliche Gefährdung der volkswirt-        gien und der Kraft-Wärme-Kopplung sowie die
           schaftlichen Wettbewerbsfähigkeit durch den          Senkung des Energieverbrauchs. Der jetzt geplan-
           Atomausstieg nicht zu befürchten, da die Strom-      te Ausstieg wird diese Maßnahmen erneut in den
           preise für die Industrie und Großkunden nur vor-     Mittelpunkt der Energiepolitik stellen. Ein wich-
           übergehend steigen würden. Allerdings können         tiger Aspekt der hier vorliegenden Analyse ist
           die CO2-Emissionen des deutschen Stromsektors        eine Diskussion der zusätzlichen Herausforde-
           je nach Ausstiegszeitpunkt steigen. Darüber hin-     rungen, die dadurch entstehen würden, wenn der
           aus ist es zur Gewährleistung der Versorgungs-       Ausstieg nicht gemäß dem bis vor Kurzem gülti-
           sicherheit erforderlich, neben dem Ausbau der        gen Atomgesetz im Jahr 2022 erfolgt, sondern be-
           erneuerbaren Energien auch neue fossile Kraft-       reits früher (z. B. 2020 oder 2015) abgeschlossen
           werke zu bauen bzw. ältere Anlagen länger als        sein soll.
           ursprünglich geplant am Netz zu lassen.                   Um die Implikationen für die Wirtschaftlich-
                Vor dem Hintergrund der im Energiewirt-         keit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssi-
           schaftsgesetz formulierten Ziele der Wirtschaft-     cherheit bei unterschiedlichen Ausstiegszeitpunk-
           lichkeit, der Umweltverträglichkeit und der Ver-     ten aus der Kernenergie zu beziffern, werden in
           sorgungssicherheit gilt es, den Ausstieg aus der     dieser Studie modellbasierte Analysen zur Ent-
           Nutzung der Kernenergie so zu gestalten, dass die    wicklung der Strompreise und CO2-Emissionen
           Strompreise für Industrie und Verbraucher be-        für eine Reihe von Ausstiegsszenarien aus der
           zahlbar bleiben, die Versorgungssicherheit nicht     Kernenergie durchgeführt (Ausstieg im Jahr 2015,
           gefährdet wird und die Ziele des Klimaschutzes       2020, 2022 – gemäß dem bis zum Herbst letzten
           langfristig eingehalten werden können. Diese         Jahres gültigen Atomgesetzes – und 2038 – gemäß
           energiepolitischen Ziele sind nur zu erreichen,      dem derzeit noch gültigen Atomgesetz). Neben
           wenn der Ausstieg aus der Kernenergie zugleich       dem Ausbau der erneuerbaren Energien werden
           den Einstieg in eine neue Energiepolitik markiert.   die unterschiedlichen Auswirkungen von Gas-
           Die Auflösung möglicher Zielkonflikte wurde im       gegenüber Kohlekraftwerken als Ersatz für die
           Zusammenhang mit dem im Jahr 2002 erfolgten          Kernenergie ermittelt und weitere Alternativ-
           Beschluss zum Atomausstieg wissenschaftlich          szenarien exploriert.

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Wirtschafts- und Sozialpolitik
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Folgende Kernaussagen konnten identifiziert                           – Industriekunden, die von der EEG-Umlage befreit
werden:                                                                 sind, werden durch den mittelfristigen Anstieg der
– Die Entwicklung der Spotmarktpreise1 zeigt für die                    Spotmarktpreise stärker belastet. Bei Beibehal-
  unterschiedlichen Ausstiegsszenarien unabhängig                       tung der bisherigen Abrechnungsmodalitäten
  vom Ausstiegsdatum einen Anstieg bis 2020 und                         besteht aber die Möglichkeit, langfristig von
  ein Absinken zurück auf das Ausgangsniveau des                        der preisdämpfenden Wirkung der erneuerba-
  Jahres 2010 bis 2030. Bei einem frühen Ausstieg                       ren Energien zu profitieren. Beim Ausstieg 2015
  im Jahr 2015 oder 2020 liegen die Preise an der                       gegenüber Ausstieg 2020 oder 2022 kommt es
  Strombörse zu Beginn höher als beim Ausstieg                          in 2015 bei einem typischen Industriekunden
  2022, da Ersatzkapazitäten mit höheren Erzeu-                         (24 GWh Stromverbrauch im Jahr) zu einer Be-
  gungskosten als Kernkraftwerke zu einem frü-                          lastung von 216.000 Euro pro Jahr.
  heren Zeitpunkt bereitgestellt werden müssen.                       – Der Ausstieg aus der Kernenergie erfordert einen
  Langfristig reduziert sich das Preisniveau auf-                       schnelleren Zubau von fossilen Ersatzkapazitäten
  grund des steigenden Anteils der erneuerbaren                         als bisher geplant. Bis zum jeweiligen Ausstiegs-
  Energien.                                                             zeitpunkt in 2015, 2020 oder 2022 ist über die
– Sowohl beim Ausstieg 2020 als auch beim Aus-                          im Bau befindlichen Projekte hinaus die Neu-
  stieg 2022 liegt der Spotmarktpreis im Jahr 2015                      planung von Kraftwerken mit einer Nettoleis-
  bei 5,9 ct/kWh. Ein Ausstieg 2015 würde demge-                        tung von 8 Gigawatt (GW) an fossilen Kraft-
  genüber zu einem Anstieg um 13 Prozent führen.                        werken notwendig, um die Jahreshöchstlast zu
  Der Spotmarktpreis liegt in 2015 bei Ausstieg                         decken. Dies bedeutet, dass nicht nur alle in
  2020 und Ausstieg 2022 bei 5,9 ct/kWh, vergli-                        Bau befindlichen Kraftwerke realisiert werden
  chen mit einem Preis von 5 ct/kWh zu Beginn                           müssen, sondern erfordert auch die Inbetrieb-
  des Jahres 2011. Unter der Annahme eines                              nahme von fossilen Kraftwerken, die derzeit
  Szenarios mit Verlängerung der Laufzeiten der                         nur im Planungsstatus sind, bzw. ältere Anla-
  Kernenergie (Ausstieg 2038) resultiert ein                            gen länger als ursprünglich geplant am Netz zu
  Spotmarktpreis von 5,2 ct/kWh. Bei einem be-                          lassen.
  schleunigten Ausstieg (Ausstieg 2015) beträgt                       – Bei einem frühzeitigeren Ausstieg aus der Kern-
  die zusätzliche Preissteigerung 0,8 ct/kWh                            energie ist mit einem vorübergehenden Anstieg der
  (13 Prozent) gegenüber dem Ausstieg 2020 bzw.                         CO2-Emissionen zu rechnen, deren Gesamtmenge
  Ausstieg 2022. Mit dem weiteren Ausbau der                            aber über den europäischen Emissionshandel be-
  erneuerbaren Energien werden die Spotmarkt-                           grenzt ist. Ein Ausstieg in 2022 würde die Rück-
  preise bis 2030 wieder auf 5 bis 6 ct/kWh sin-                        kehr zum alten Status quo von vor der Lauf-
  ken.                                                                  zeitverlängerung der Kernkraftwerke bedeuten.
– Für Haushalte, die der EEG-Umlage unterliegen,                        Auch würden europaweit weitere Kernkraft-
  wirkt sich der Ausstiegszeitpunkt aus der Kernener-                   werke, wenn überhaupt, nur in geringem Maße
  gie nur in geringem Maße auf die Strompreise aus.                     zusätzlich eingesetzt, weil diese als preisgüns-
  Beim Ausstieg 2020 und Ausstieg 2022 liegt der                        tige Option im Regelfall zumindest in Zeiten
  Strompreis im Jahr 2015 bei 21,7 ct/kWh, beim                         starker Nachfrage ohnehin ausgelastet sind.
  Ausstieg 2015 bei 22,4 ct/kWh. Das bedeutet                           Ein Ausstieg in 2020 würde die CO2-Emissio-
  für einen durchschnittlichen Stromverbrauch                           nen kurzfristig nur sehr leicht erhöhen. Beim
  pro Haushalt (3.500 kWh pro Jahr) eine Diffe-                         Ausstieg bis 2015 würden sich dagegen die
  renz von etwa 2 Euro monatlich. Die maxima-                           CO2-Emissionen um 64 MtCO2 (23 Prozent)
  le Differenz zwischen einem Ausstieg in 2015                          erhöhen gegenüber einem Ausstieg in 2020
  und 2038 liegt bei 1,2 ct/kWh (3,50 Euro pro                          oder 2022. Ab 2025 liegen die Emissionen für
  Monat). Die EEG-Umlage wirkt sich hier preis-                         die Ausstiegszeitpunkte 2022, 2020 und 2015
  dämpfend für die Haushalte aus.                                       gleichauf.

1   Preise für Stromlieferungen im kurzfristigen Handel an der Strombörse EEX.

                                                                                                                             5
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 Diskurs                                                                                                Friedrich-Ebert-Stiftung

           – Der Ersatz der Kernkraftwerke durch Gas- statt              senken und auch die Annahme über den Zubau
             durch Kohlekraftwerke wirkt sich annähernd                  der dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung hat nur
             gleichwertig auf die Strompreise aus, aber die CO2-         einen geringeren Einfluss auf die Preise.
             Emissionen würden weniger stark steigen. Werden         –   Bei einem verstärkten Ausbau der erneuerbaren
             verstärkt Gas- statt Kohlekraftwerke zugebaut,              Energien können die Großhandelspreise in Verbin-
             so liegen die Spotmarktpreise im Jahr 2020 nur              dung mit flexiblen Gaskraftwerken gesenkt werden.
             um etwa 0,1 ct/kWh über denen des „Kohle-                   Zudem kann der benötigte Zubaubedarf kon-
             pfades“ (bei Ausstieg 2020). Weiterhin können               ventioneller Ersatzkraftwerke von 8 GW auf
             die CO2-Emissionen gesenkt werden. Vor allem                6 GW reduziert werden.
             bei einem frühen Ausstieg in 2015 könnte sich           –   Die Realisierung eines Ausstiegs bis zum Jahr 2015
             so der zusätzliche Ausstoß um 20 Prozent redu-              hängt entscheidend davon ab, dass Ersatzkapazi-
             zieren. Langfristig gibt es jedoch zwischen dem             täten fossiler Kraftwerke kurzfristig verfügbar sind.
             Gas- und Kohlepfad bedingt durch den zuneh-                 Der frühere Ausstieg führt zwar nicht zu dra-
             menden Marktanteil der erneuerbaren Energi-                 matisch höheren Preisen, aber zu deutlich hö-
             en nur noch geringe Unterschiede bei den                    heren CO2-Emissionen. Voraussetzung für die
             CO2-Emissionen.                                             Realisierung dieses Szenarios ist, dass die Er-
           – Ein stärkerer Ausbau von Gas- gegenüber Kohle-              satzkapazitäten durch den Zubau von (fossilen)
             kraftwerken ist vorteilhaft, weil ein schnellerer Er-       Kraftwerken tatsächlich zum benötigten Zeit-
             satz möglich ist und eine langfristige Festlegung           punkt verfügbar sind. Alternativ könnte auch
             auf einen fossilen Pfad damit verhindert wird. Da-          eine längere Nutzung älterer fossiler Kohle-
             rüber hinaus wird vor allem der Wettbewerb                  kraftwerke in Erwägung gezogen werden.
             auf dem Strommarkt gestärkt, weil auch klei-            –   Ein beschleunigter Netzausbau ist eine zentrale
             nere Anbieter wie z. B. Stadtwerke mit einer ge-            Voraussetzung sowohl für den Ausstieg als auch
             ringeren Kapitalausstattung in der Lage sind,               für die längerfristige Energiewende. Aufgrund des
             diese Kraftwerke zuzubauen. Vorteilhaft ist da-             regionalen Ungleichgewichts von Erzeugung
             rüber hinaus, dass sich erdgasbetriebene Anla-              und Verbrauch und der volatilen Einspeisung
             gen besonders gut dazu eignen, als Kraft-Wär-               von erneuerbaren Energien (Wind, PV) treten
             me-Kopplungsanlagen ausgeführt zu werden.                   zunehmend Netzengpässe auf. Diese Entwick-
             Über die Nutzung der Kraftwerksabwärme im                   lung wird durch den Ausstieg aus der Kern-
             Wärmemarkt lassen sich so zusätzliche CO2-                  energie noch zusätzlich beschleunigt. Daher
             Emissionsminderungen erreichen.                             ist es notwendig, den geplanten Ausbau der
           – Die Entwicklung der Brennstoff- und CO2-Preise              Infrastruktur möglichst bald zu realisieren, um
             hat einen größeren Effekt auf den Strompreis als            einer möglichen Destabilisierung des Netzbe-
             das Ausstiegsjahr. Im Szenario Ausstieg 2020 –              triebs entgegenzuwirken.
             Gas erhöhen sich bei stärker steigenden Brenn-          –   Eine koordinierte europäische Klima- und Energie-
             stoff- und CO2-Preisen die Spotmarktpreise im               politik erleichtert und unterstützt die Energiewende
             Jahr 2020 um 20 Prozent.                                    in Deutschland. Hier bieten sich die europaweite
           – Wenn Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffi-              Förderung der erneuerbaren Energien und die Er-
             zienz fehlschlagen und keine Senkung der Strom-             weiterung des europäischen Emissionshandels als
             nachfrage erreicht werden kann, steigen die Strom-          geeignete Maßnahmen an. Der weitere europa-
             preise ebenfalls an. Bei der Annahme einer kon-             weite Ausbau der erneuerbaren Energien ist ein
             stanten statt sinkenden Stromnachfrage können               wichtiger Schritt, die Kosten der Energiewende
             die Spotmarktpreise im Jahr 2020 um zehn Pro-               langfristig zu senken. Dazu sollte die Prüfung
             zent ansteigen. Der Einfluss von Maßnahmen                  einer europaweiten Harmonisierung der Förde-
             zur Lastverschiebung (Demand-Side-Mana-                     rung der erneuerbaren Energien unter Berück-
             gement) kann dagegen die Preise nur minimal                 sichtigung der Integration bestehender natio-

      6
Wirtschafts- und Sozialpolitik
                                                                                                             WISO
                                                                                                              Diskurs

  naler Fördersysteme erfolgen. Die Kosten des           eingerichtet werden, der durch jährliche Be-
  europäischen Klimaschutzes können gesenkt              richte Politik und Öffentlichkeit darüber infor-
  werden, wenn alle relevanten Sektoren in den           miert, in welchem Umfang die angestrebten
  europäischen Emissionshandel miteinbezogen             Ziele erreicht bzw. verfehlt wurden. Der Rat
  werden können. Vor allem der Wärme- und                sollte verschiedene energiepolitische Hand-
  Gebäudesektor hat ein hohes Potenzial für              lungsalternativen im Hinblick auf ihre Chan-
  Kostensenkungen.                                       cen, Kosten und Risiken erkunden. Dazu ge-
– Die Einrichtung eines ständigen Rates für nachhal-     hört auch die Bereitstellung notwendiger Da-
  tige Energie- und Klimapolitik soll für die deutsche   ten, wie die Kostenentwicklung der erneuerba-
  Energiepolitik die notwendigen Grundlagen für          ren Energien. Weiterhin soll er eine aktive
  sachgerechte Entscheidungen bereitstellen, die Ziele   Rolle bei der Identifizierung von Forschungs-
  und eingesetzten Instrumente überprüfen und so         lücken und Defiziten bei der Umsetzung poli-
  Parlament und Öffentlichkeit über die Chancen,         tischer Maßnahmen übernehmen. Die Bereit-
  Kosten und Risiken der Energiewende informieren.       stellung handlungsrelevanten Wissens ist eine
  Der Einstieg in die Energiewende ist ein Weg,          notwendige Bedingung für gesellschaftliches
  der für die deutsche Gesellschaft Chancen bie-         Lernen, für eine breite gesellschaftliche Legiti-
  tet und zugleich Risiken birgt. Daher sollte ein       mität und damit für die Stetigkeit energiepoli-
  deutscher Expertenrat für Klima und Energie            tischer Entscheidungen.

                                                                                                             7
WISO
 Diskurs                                                                                      Friedrich-Ebert-Stiftung

           1. Einleitung

           Der Reaktorunfall im japanischen Atomkraftwerk       – Welche Ersatzoptionen zur Kernenergie stehen
           Fukushima infolge des Erdbebens vom 11. März            zur Verfügung und wie sind diese ökonomisch
           2011 hat in Deutschland eine Debatte um die             und ökologisch zu bewerten?
           Zukunft der Kernenergie ausgelöst, die in ihrer      – Welche möglichen Zielkonflikte der Klima-
           Relevanz und Breite die Diskussionen der letzten        und Energiepolitik treten in den unterschiedli-
           Jahre bei Weitem übertrifft. Die Ethik-Kommis-          chen Szenarien auf?
           sion hält in ihrem Abschlussbericht vom Mai          – Wie schnell kann der beschleunigte Ausstieg
           2011 einen Ausstieg aus der Kernenergie inner-          aus der Nutzung der Kernenergie in Deutsch-
           halb der nächsten zehn Jahre für möglich. Der           land realisiert werden? Was sind die impliziten
           aktuelle Gesetzentwurf (Stand 6. Juni 2011) sieht       Voraussetzungen hierfür? Wie kann die Versor-
           eine endgültige Abschaltung des letzten Kern-           gungssicherheit gewährleistet werden?
           kraftwerks für 2022 vor.                             – Welche Herausforderungen sind bei der Ener-
                 Über das genaue Ausstiegsdatum aus der            giewende unabhängig von dem Ausstiegszeit-
           Kernenergie hinaus ist es eine wichtige und lang-       punkt aus der Kernenergie zu bewältigen? Wie
           fristige gesellschaftspolitische Aufgabe, über die      kann die Langfristigkeit der Klimaschutzziele
           Ausrichtung der zukünftigen Energieversorgung           gewährleistet bleiben? Welche Perspektiven er-
           in Deutschland zu entscheiden. Dabei darf die           geben sich durch den europäischen Kontext?
           Diskussion nicht isoliert im ausschließlichen        Die ersten vier Fragen werden modellbasiert be-
           Fokus auf den Ausstieg aus der Kernenergie ge-       antwortet, während die Einbettung in den euro-
           führt werden. Alle systemisch relevanten Aspekte     päischen Kontext und die Herausforderungen
           der Energieversorgung müssen berücksichtigt          und Möglichkeiten einer langfristig stabilen Poli-
           werden. Für eine verlässliche zukünftige Energie-    tik komplementär diskutiert werden. Die Studie
           versorgung Deutschlands gibt es dabei mehrere        stellt damit einen ersten Schritt zur systemati-
           gangbare Wege. Die Debatte um die bevorstehen-       schen Exploration verschiedener Wege im Strom-
           de Energiewende kann deshalb davon profitieren,      sektor dar. Mit dem verwendeten Strommarktmo-
           wenn im Rahmen einer Untersuchung mehrere            dell MICOES2 werden im Kontext unterschied-
           Handlungsalternativen ergebnisoffen einander         licher Ersatzoptionen (z. B. Vorrang für Kohle-
           gegenübergestellt und bewertet werden.               bzw. Gaskraftwerke) Analysen zur Entwicklung
                 Vor dem Hintergrund der aktuellen öffentli-    der Strompreise und CO2-Emissionen für eine
           chen Debatte und der Exploration von verschiede-     Reihe von Ausstiegsszenarien aus der Kernenergie
           nen Wegen in die Energiewende werden in der vor-     durchgeführt (Ausstieg in 2015, 2020, 2022 und
           liegenden Studie die folgenden Fragen untersucht:    2038). Diese Pfade werden in Sensitivitätsanaly-
           – Wie entwickeln sich die Strompreise beim Aus-      sen, in denen einzelne Annahmen variiert wer-
              stieg aus der Kernenergie? Wie wirken sich die    den, auf ihre Robustheit hin untersucht. Damit
              Strompreise auf verschiedene Verbraucher-         wird eine Bandbreite von Alternativszenarien ex-
              gruppen aus und was bedeutet das für die          ploriert: Um etwa die Relevanz von Energieeffizi-
              Sozialverträglichkeit der Energiewende?           enzmaßnahmen einzuschätzen, werden der Ein-

           2   Mixed Integer Cost Optimization Energy System.

      8
Wirtschafts- und Sozialpolitik
                                                                                                                                                                    WISO
                                                                                                                                                                     Diskurs

fluss von Demand-Side-Management und das                                                                   bau der erneuerbaren Energien modelliert. Eine
Versagen von Effizienzmaßnahmen analysiert.                                                                Übersicht über die Szenarien gibt Abbildung 1.
Außerdem werden unterschiedliche Ausbaupfade                                                               Weiterhin werden wesentliche Voraussetzungen,
der dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung sowie                                                                 die mit den jeweiligen Wegen einhergehen, expli-
stärker steigende Brennstoff- und CO2-Preise be-                                                           zit beschrieben, mögliche Zielkonflikte dargelegt
trachtet. Darüber hinaus wird ein verstärkter Aus-                                                         und Handlungsfelder identifiziert.

  Abbildung 1:

  Definition der Szenarien
                        Verstärkter Ersatz durch Kohle

                                                          Ausstieg 2015 – Kohle   Ausstieg 2020 – Kohle
                                                          · KE: Ausstieg 2015     · KE: Ausstieg 2020
                                                          · Fossile Kraftwerke:   · Fossile Kraftwerke:
                                                            Schwerpunkt Kohle       Schwerpunkt Kohle
   Ersatztechnologien

                                                                                                                Ausstieg 2022               Ausstieg 2038
                                                                                                                · KE: AtG 2010              · KE: AtG 2010
                                                                                                                · Fossile Kraftwerke:       · Fossile Kraftwerke:
                        Verstärkter Ersatz durch Erdgas

                                                                                                                  Kohle und Gas               Kohle und Gas
                                                          Ausstieg 2015 – Gas      Ausstieg 2020 – Gas
                                                                                                                                        Laufzeit der Kernenergie
                                                          · KE: Ausstieg 2015      · KE: Ausstieg 2020
                                                          · Fossile Kraftwerke:    · Fossile Kraftwerke:
                                                            Schwerpunkt Erdgas       Schwerpunkt Erdgas

                                                                                  Sensitivitäten
                                                                                  · Forcierter Ausbau ern. Energien
                                                                                  · Demand-Side-Management
                                                                                  · Geringere Energieeffizienz
                                                                                  · Höhere Brennstoff- und CO2-Preise
                                                                                  · weniger dez. Kraft-Wärme-Kopplung

  Quelle: eigene Darstellung.

                                                                                                                                                                    9
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           2. Modellergebnisse

           2.1 Zusätzlicher Bedarf an fossilen                                Neubau von fossil befeuerten Kraftwerken bzw. die
               Kraftwerken                                                    Ertüchtigung von älteren fossil befeuerten Anlagen.
                                                                                   Für den Zeitraum 2010 bis 2020 wird gemäß
           Bei einem vollständigen Ausstieg müssen 21 GW                      den Prognosen der BMU-Leitstudie ein Zubau
           an Nettokraftwerksleistung aus Kernenergie er-                     von Windkraft- und Fotovoltaikkapazität im
           setzt werden. Gegenwärtig befinden sich bedingt                    Umfang von 52 GW angenommen. Annahmege-
           durch das Moratorium sowie anstehende Revisio-                     mäß wird ein weiterer Zubau an konventioneller
           nen etwa 10 GW Kernkraftwerksleistung außer                        Kraftwerksleistung von 5 GW bis 2020 in Form
           Betrieb. Diese kurzfristige Abschaltung einer er-                  von dezentralen Kraft-Wärme-Anlagen angesetzt.
           heblichen Anzahl von Kernkraftwerken wurde                         Eine weitere Steigerung der Energieeffizienz und
           vom Strommarkt durch den Abbau von Überka-                         die dadurch bedingte Senkung der Stromnach-
           pazitäten sowie eine Verringerung der Netto-                       frage reduziert die Spitzenlast in 2020 um 4 GW.
           stromexporte kompensiert. Weiterhin befinden                       Im Modell wird die Differenz aus den benötigten
           sich laut BDEW (2011) eine Reihe fossiler Kraft-                   27 GW und den angenommenen Ersatzmaßnah-
           werke im Bau, von denen eine Kapazität von ca.                     men (Zubau erneuerbare Energien, mehr KWK,
           11 GW (davon ca. 10 GW Kohlekraftwerke3) bis                       höhere Effizienz) dann mit konventionellen fos-
           2015 fertig gestellt sein wird und im Rahmen der                   silen Kraftwerken ersetzt.
           modellgestützten Analyse berücksichtigt werden                          Unter Wirtschaftlichkeitsaspekten werden
           konnte. Die Kapazität der Kernkraftwerke kann                      modellseitig noch 8 GW zur Deckung der Spit-
           somit bereits bis 2015 vollständig ersetzt werden.                 zenlastnachfrage zugebaut. Der zeitliche Verlauf
           Allerdings ist geplant, im Zeitraum bis 2015 auch                  des Zubaus kann sich je nach Ausstiegszeitpunkt
           14 GW Kraftwerksleistung aus fossilen Altkraft-                    weiter in die Zukunft verschieben (Abbildung 3).
           werken stillzulegen. Bis 2020 sollen weitere 13                    Dies bedeutet, dass bei einem Atomausstieg im
           GW fossiler Kraftwerkskapazität stillgelegt wer-                   Jahr 2020 nicht nur alle derzeit noch im Bau
           den. Somit müssen zusätzlich zum Ausstieg aus                      befindlichen Kraftwerkskapazitäten realisiert sein
           der Kernenergie insgesamt 27 GW an fossilen                        werden, sondern dass auch weitere fossile Kraft-
           Kraftwerken ersetzt werden (vgl. Abbildung 2). Zu                  werke, die derzeit geplant bzw. noch zu planen
           den Optionen, die dazu in der Lage sind, die Lü-                   sind, in Betrieb genommen werden müssen.
           cke zu schließen, gehören – wie im Folgenden ge-                   Alternativ könnte auch eine längere Nutzung
           zeigt werden soll – der Ausbau der erneuerbaren                    älterer fossiler Kohlekraftwerke in Erwägung
           Energien sowie der (zentralen und dezentralen)                     gezogen werden. Ein noch früherer Ausstieg im
           Kraft-Wärme-Kopplung, die Senkung der Strom-                       Jahr 2015 würde die Herausforderung verschär-
           nachfrage durch eine Steigerung der Energieeffi-                   fen. Er beinhaltet darüber hinaus noch viele un-
           zienz, der (zeitlich sehr begrenzte) Import von                    geklärte Fragen und Annahmen, die einer wei-
           Strom aus dem europäischen Ausland sowie der                       teren Prüfung bedürfen.

           3   Das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 wurde in die Berechnungen nicht einbezogen, da dessen Inbetriebnahme nach derzeitigem Stand
               sehr unsicher ist.

    10
Wirtschafts- und Sozialpolitik
                                                                                                                                      WISO
                                                                                                                                       Diskurs

  Abbildung 2:

  Ersatzbedarf durch Stilllegung der konventionellen Kapazitäten bis 2020

                         60
                                                                                                               Ersatzmaßnahmen

                         50                                                                                •   Erneuerbare Energien
                                                                                                           •   KWK
                                                                                                           •   Energieeffizienz
                         40                                                                                •   EU-Import
   Nettoleistung in GW

                                                                                                           •   Fossile
                                Kohle / Gas                                                 27                 Ersatzkraftwerke
                                   27
                         30

                         20
                                                                         11

                         10    Kernenergie
                                   21
                                                      10

                          0
                                Stilllegung      Abbau von         Kraftwerke        Ersatzkapazität
                                2010-2020      Überkapazitäten       im Bau

  Quelle: eigene Darstellung.

  Abbildung 3:

  Zu bereitstellende Ersatzkapazität in konventionellen Kraftwerken (bis 2030; Vergleich
  zwischen den Szenarien Ausstieg 2015 – Kohle, Ausstieg 2020 – Kohle und Ausstieg 2022)

                         20

                               8
                         15

                         10
                                                                     2
                               12                            12                                  12
                          5                                          8                                     2
                                                                                       4                   2
                                                      4                                                    2       4       4
                                      2
                          0
                              2015   2020     2025   2030   2015   2020       2025   2030     2015     2020      2025    2030

                                Ausstieg 2015 – Kohle          Ausstieg 2020 – Kohle                  Ausstieg 2022

                         Kraftwerke im Bau     Braunkohle (Plan)   Steinkohle (Plan)       Erdgas (Plan)        Pumpspeicher (Plan)

  Quelle: eigene Darstellung.

                                                                                                                                      11
WISO
 Diskurs                                                                                                                    Friedrich-Ebert-Stiftung

                Unter Berücksichtigung der Versorgungssi-                                    gerade noch zur Deckung der Nachfrage benötigt
           cherheit sowie dem zusätzlichen Verzicht auf die                                  wird, den stündlich wechselnden Spotmarktpreis
           Möglichkeiten des Stromimports über das euro-                                     vorgibt. Wenn nun Atomkraftwerke stillgelegt
           päische Verbundnetz käme der Bau von weiteren                                     werden, steigt der Spotmarktpreis zumindest vor-
           Gasturbinen als preiswerte Alternative infrage.                                   übergehend an, da kostenintensivere Kraftwerke
           Nach den Modellrechnungen könnten sich diese                                      zur Deckung der Nachfrage zum Einsatz kommen.
           Anlagen aufgrund der geringen Auslastung je-                                      Gegenläufig bewirkt der zunehmend höhere Anteil
           doch nicht über den Spotmarkt refinanzieren.                                      der erneuerbaren Energien am Strommix (40 Pro-
           Zudem wird der Spitzenlaststrom in der Mittags-                                   zent in 2020, 65 Prozent in 2030) ein langfristig
           zeit durch die Einspeisung der Fotovoltaik preis-                                 sinkendes Preisniveau im Großhandel, da sie ge-
           lich gedämpft, sodass die Deckungsbeiträge der                                    mäß EEG zu negativen „Kosten“ angeboten wer-
           Gasturbinen zusätzlich reduziert werden. Die un-                                  den müssen, um dem Einspeisevorrang entspre-
           ter diesen Umständen in der Regel nicht gegebe-                                   chend einen Verkauf gewährleisten zu können.
           ne Wirtschaftlichkeit der selten nachgefragten                                    Im Ergebnis steigt der Spotmarktpreis bis 2020
           Gasturbinen könnte durch die Einführung von                                       an, sinkt aber bis 2030 durch den immer höher
           Kapazitätsmärkten in Ergänzung zum Spotmarkt                                      werdenden Anteil erneuerbarer Energien wie der
           in der jetzigen Form abgesichert werden.                                          unter das Ausgangsniveau (Abbildung 4).
                                                                                                  Bei einem frühen Ausstieg 2015 liegt der
                                                                                             Spotmarktpreis in 2015 bei 6,7 ct/kWh und da-
           2.2 Strompreise                                                                   mit 0,8 ct/kWh über dem Preis im gleichen Jahr
                                                                                             bei einem Ausstieg 2020 bzw. 2022. Der Grund ist
           Die Entwicklung der Spotmarktpreise für Strom                                     die vorzeitig notwendige Nutzung kosteninten-
           wird auf Basis der Merit Order über das Grenz-                                    siver Ersatzkapazitäten. Im Vergleich zum Szena-
           kraftwerk bestimmt. Das bedeutet, dass das Kraft-                                 rio mit dem Ausstiegsjahr 2020 gleichen sich die
           werk mit den höchsten Erzeugungskosten, das                                       Preise aber in 2020 wieder an, da der Rückgriff auf

             Abbildung 4:

             Entwicklung der Großhandelspreise (base) im Zeitraum 2015 - 2030
             in ausgewählten Szenarien

                                                   8
                  Strompreis, Spotmarkt [ct/kWh]

                                                                                  6,8
                                                   7      6,7
                                                                                                           6,3

                                                                                  6,4
                                                   6                                                                               5,5
                                                          5,9                                            6,0

                                                   5
                                                                                                                                  5,2

                                                   4
                                                       2015                       2020                    2025                           2030

                                                          Ausstieg 2015 – Kohle          Ausstieg 2020 – Kohle           Ausstieg 2022

             Quelle: eigene Darstellung.

    12
Wirtschafts- und Sozialpolitik
                                                                                                                                WISO
                                                                                                                                 Diskurs

eben diese Ersatzkraftwerke unabhängig vom                                   lisiert, dann liegen die Spotmarktpreise im Jahr
Ausstiegszeitpunkt bestehen bleibt und sich le-                              2020 nur um etwa 0,1 ct/kWh über denen des
diglich um fünf Jahre nach hinten verschiebt. Bei                            Szenarios mit verstärktem Ausbau der Kohlekraft-
einem Ausstieg in 2022 kann die Nutzung der                                  werke (bei Ausstieg 2020).
Ersatzkapazitäten noch weiter nach hinten ver-                                     Aufgrund der in 2010 beschlossenen Lauf-
schoben werden, sodass die Preise in 2020 um                                 zeitverlängerung waren Investitionen in den
0,4 ct/kWh niedriger liegen. Langfristig bleiben                             Neubau von Gaskraftwerken nicht mehr wirt-
die Spotmarktpreise bei einem frühen Ausstieg                                schaftlich. Da die Aufhebung der Laufzeitverlän-
mit der Ersatzoption Kohle aber niedriger als die                            gerung jedoch die ursprüngliche Marktsituation
im Szenario Ausstieg 2022. Das ist auf den ver-                              wiederherstellt, ist nun auch der Zubau von
stärkten Zubau von Gaskraftwerken bei Ausstieg                               Gaskraftwerken wieder wirtschaftlich. Das bestä-
2022 zurückzuführen (Abbildung 3), die ein hö-                               tigen auch die Modellergebnisse. Aufgrund der
heres Kostenniveau aufweisen.                                                Entwicklungen im internationalen Gasmarkt
                                                                             (z. B. WEO 2010) wird der Einsatz von Gaskraft-
2.2.1 Vergleich des Zubaus von                                               werken auch mittelfristig attraktiv bleiben.
      Gas- statt Kohlekraftwerken
                                                                             2.2.2 Strompreise für Haushaltskunden
Ob Kernkraftwerke durch Gas- oder Kohlekraft-
werke ersetzt werden, hat für den Strompreis                                 Auf die Haushaltskunden wirken sich die unter-
kaum Konsequenzen. Der Grund ist, dass bei den                               schiedlichen Ausstiegszeitpunkte nur sehr ge-
angenommenen Brennstoff- und CO2-Preisen die                                 ringfügig aus (Abbildung 6 und Abbildung 7). In
Stromgestehungskosten für beide Technologien                                 den Preiskalkulationen werden gleichbleibende
annähernd gleich sind. Werden dementspre-                                    Netzentgelte angenommen und die EEG-Umlage
chend über die in Bau befindlichen Projekte hin-                             entsprechend der Großhandelspreise angepasst.
aus statt Kohle- ausschließlich Gaskraftwerke rea-                           Die EEG-Umlage, die von den Haushaltskunden

  Abbildung 5:

  Entwicklung der Großhandelspreise im Vergleich der Ersatzoptionen Kohle vs. Gas

                                         8
        Strompreis, Spotmarkt [ct/kWh]

                                         7                      6,9

                                                                6,8                       6,2
                                               5,9
                                         6
                                                                                                                5,5
                                               5,9                                        6,0

                                         5
                                                                                                                5,2

                                         4
                                             2015              2020                      2025                        2030

                                                     Ausstieg 2015 – Kohle         Ausstieg 2015 – Gas
                                                     Ausstieg 2020 – Kohle         Ausstieg 2020 – Gas

  Quelle: eigene Darstellung.

                                                                                                                                13
WISO
 Diskurs                                                                                                        Friedrich-Ebert-Stiftung

           Abbildung 6:

           Strompreise für Haushaltskunden 2015 (in realen Werten von 2007)

                                           25,0        22,4                21,7                    21,7         21,2
            Haushaltsstrompreis [ct/kWh]

                                           20,0

                                           15,0

                                           10,0
                                                       2,5                 2,8                     2,8          3,1
                                            5,0
                                                       6,8                 5,9                     5,9          5,2
                                            0,0
                                                  Ausstieg 2015 –   Ausstieg 2020 –         Ausstieg 2022   Ausstieg 2038
                                                        Gas               Gas

                                                                                  Haushalte 2015

                                                              Großhandel         EEG      Endkundenpreis

           Quelle: eigene Darstellung.

           Abbildung 7:

           Strompreise für Haushaltskunden 2020 (in realen Werten von 2007)

                                           25,0        22,5                22,5                    22,2         21,4
            Haushaltsstrompreis [ct/kWh]

                                           20,0

                                           15,0

                                           10,0
                                                       2,4                 2,4                     2,7
                                                                                                                3,5
                                            5,0
                                                       6,9                 6,9                     6,4
                                                                                                                4,9
                                            0,0
                                                  Ausstieg 2015 –   Ausstieg 2020 –         Ausstieg 2022   Ausstieg 2038
                                                        Gas               Gas

                                                                                  Haushalte 2020

                                                              Großhandel         EEG      Endkundenpreis

           Quelle: eigene Darstellung.

    14
Wirtschafts- und Sozialpolitik
                                                                                                           WISO
                                                                                                            Diskurs

gezahlt wird, ergibt sich aus der Differenz von       2.3 CO2-Emissionen
EEG-Vergütung und den durchschnittlichen
Strombeschaffungskosten an der Strombörse. Sie        Bei einem Ausstieg aus der Kernenergie und einer
wirkt somit einer Erhöhung der Preise am Spot-        Substitution mit Kohle- oder Gaskraftwerken
markt entgegen.                                       steigen die CO2-Emissionen des Stromerzeu-
     Die maximale Differenz liegt im Jahr 2015        gungssektors bei einem Ausstieg in 2020 oder
bei 1,2 ct/kWh (zwischen Ausstieg 2015 und 2038).     2015 im Vergleich zum Ausstieg 2022 an. Lang-
Bei einem Durchschnittsverbrauch eines Haus-          fristig liegen die Emissionen dieser Szenarien
halts von 3.500 kWh bedeutet das Mehrkosten           aber gleichauf. Ein Ausstieg 2022 würde lediglich
von 3,50 Euro monatlich. Der Preisunterschied         die Rückkehr zum alten Status quo vor der Lauf-
zwischen Ausstieg 2020 und Ausstieg 2015 von          zeitverlängerung der Kernkraftwerke bedeuten.
0,7 ct/kWh beläuft sich auf etwa 2 Euro monat-        Ein Ausstieg in 2020 statt in 2022 lässt die CO2-
lich. Die schrittweise Angleichung der Großhan-       Emissionen nur kurzfristig leicht steigen (Abbil-
delspreise zwischen den Szenarien Ausstieg 2015       dung 8). Ein kompletter Ausstieg in 2015 würde
und 2020 eliminiert die Mehrkosten zwischen           allerdings die CO2-Emissionen in die Höhe trei-
beiden Varianten bis 2020. Der Preisunterschied       ben und in 2015 um 64 Millionen Tonnen höher
auf Haushaltsebene beträgt gegenüber Ausstieg         liegen als bei einem Ausstieg 2020 oder 2022. Die
2022 dann noch 0,3 ct/kWh – für den Durch-            zusätzlichen Emissionen ließen sich bei einem
schnittshaushalt monatlich 0,88 Euro.                 verstärkten Ausbau von Gas- statt Kohlekraft-
                                                      werken um 20 Prozent senken. Ein Anstieg um
2.2.3 Strompreise für stromintensive                  64 Mt würde den deutschen Ausstoß von CO2
      Industriekunden                                 bei der Stromerzeugung im Jahr 2015 um fast ein
                                                      Viertel erhöhen. Hierdurch wäre aber der Klima-
Die stromintensive Industrie weist im Vergleich       schutz nicht gefährdet, da die Gesamtmenge an
zu den privaten Haushalten eine höhere Unein-         Emissionen im europäischen Stromsektor durch
heitlichkeit auf, da über den Sondervertragsstatus    das EU-Emissionshandelssystem begrenzt ist.
eine Vielzahl von Einzelregelungen mit dem je-        Dadurch würde allerdings der CO2-Preis steigen.
weiligen Versorger abgeschlossen wird. Dadurch        Dies führt dazu, dass europaweit Kraftwerke ein-
wird eine punktgenaue Analyse der Auswirkun-          gesetzt werden, die weniger CO2 emittieren. Da
gen eines beschleunigten Kernenergieausstiegs         Kernkraftwerke niedrigere Grenzkosten besitzen,
auf die einzelnen Bestandteile des Strompreises       sind ihre Kapazitäten bereits heute im Rahmen
der Industriekunden erschwert.                        der gegebenen Möglichkeiten in der Regel wei-
      Dennoch kann unter sonst gleichen Annah-        testgehend ausgelastet. Steigende CO2-Preise wür-
men der im Strompreis enthaltene Preisbestand-        den deshalb primär dazu führen, dass europaweit
teil für die Stromerzeugung isoliert werden, der in   effizientere fossile Kraftwerke eingesetzt werden.
2015 bei 5,9 ct/kWh (Ausstieg 2020 und 2022)
liegt. Ein Preisanstieg von 0,9 ct/kWh ist bei
einem beschleunigten Ausstieg bis 2015 gegen-         2.4 Sensitivitäten und Robustheit der
über einem Szenario mit Ausstieg bis 2020 oder            Ergebnisse
2022 zu erwarten, was einem Preisanstieg von
acht bis zehn Prozent bezogen auf die Endpreise       Die Modellergebnisse werden in unterschiedli-
entspricht. Bei einem typischen Industriekunden       cher Stärke von den zuvor festgelegten Annah-
(24 GWh Stromverbrauch im Jahr) wird die Belas-       men bestimmt. Im Rahmen einer Sensitivitäts-
tung auf 216.000 Euro veranschlagt. Wird ein          analyse wurden deutlich ansteigende Brennstoff-
Ausstieg in 2038 in Betracht gezogen, so beträgt      und CO2-Preise, ein Nichterreichen der Effizienz-
die Entlastung gegenüber dem Ausstieg in 2020         ziele (und ein dadurch bedingter konstanter
oder 2022 etwa 168.000 Euro.                          Stromverbrauch auf heutigem Niveau), eine Flexi-

                                                                                                           15
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 Diskurs                                                                                                            Friedrich-Ebert-Stiftung

           bilisierung der Nachfrageseite über Maßnahmen                                  Einen großen Einfluss hat weiterhin die An-
           zu Demand-Side-Management (DSM), ein gerin-                               nahme über die Steigerung der Energieeffizienz.
           gerer Ausbau der dezentralen Kraft-Wärme-Kopp-                            Verbleibt der Stromverbrauch entgegen den poli-
           lung und ein schnellerer Ausbau der erneuerba-                            tischen Zielvorgaben auf dem heutigen Niveau,
           ren Energien betrachtet (Abbildung 9).                                    anstatt zu sinken, so steigen die Preise im Groß-
                 Den größten Einfluss auf die Spotmarktprei-                         handel um zehn Prozent, wogegen die sinkende
           se übt die Annahme über die künftige Entwick-                             EEG-Umlage den Preisanstieg für Endkunden auf
           lung der Brennstoff- und CO2-Preise aus, welche                           zwei Prozent (Mehrkosten monatlich 1,20 Euro)
           verglichen mit dem Szenario Ausstieg 2020 – Gas                           beschränkt.
           zu einer 20-prozentigen Erhöhung von 6,9 auf                                   Der Einfluss dieser Annahmen auf den Strom-
           8,6 ct/kWh der Preise im Großhandel führen.                               preis ist somit ähnlich oder sogar größer als der
           Hiermit verbunden ist eine Verringerung der                               Ausstiegszeitpunkt selber. Dagegen kann der Ein-
           EEG-Umlage aufgrund der niedrigeren Differenz-                            fluss von Maßnahmen zur Lastverschiebung
           kosten, sodass sich der Strompreis für die priva-                         (Demand-Side-Management) die Preise nur mi-
           ten Haushalte insgesamt um vier Prozent auf                               nimal senken und auch der Einfluss von weniger
           23,5 ct/kWh erhöht und bei einem Verbrauch                                Kraft-Wärme-Kopplung hat einen relativ gerin-
           von 3.500 kWh zu monatlichen Mehrkosten von                               gen Einfluss auf die Preise. Die Umsetzung von
           3,14 Euro führt.                                                          Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz ist so-
                                                                                     mit eine wichtige Aufgabe bei einer Umstellung
                                                                                     des Energieversorgungssystems.

             Abbildung 8:

             CO2-Emissionen im konventionellen Kraftwerkspark 2015 - 2030

                                              300
                                                       286
                                              280
                                              260
                    CO2-Emissionen (Mio. t)

                                                       273
                                              240
                                                                        217
                                              220
                                              200     222
                                              180                                                 163
                                                                        188
                                              160
                                              140                                                 156                     118
                                              120
                                              100                                                                      110
                                                    2015                2020                     2025                        2030

                                                             Ausstieg 2015 – Kohle            Ausstieg 2015 – Gas
                                                             Ausstieg 2020 – Kohle            Ausstieg 2020 – Gas
                                                             Ausstieg 2022

             Quelle: eigene Darstellung.

    16
Wirtschafts- und Sozialpolitik
                                                                                                                 WISO
                                                                                                                  Diskurs

  Abbildung 9:

  Sensitivitäten bzgl. Spotmarktpreisen, EEG-Umlage und Haushaltsstrompreisen in 2020
  gegenüber Szenario Ausstieg 2020 – Gas

                                   25,0     22,5          23,5          22,6         22,3        22,9     22,5
    Haushaltsstrompreis [ct/kWh]

                                   20,0

                                   15,0

                                   10,0                   1,7
                                             2,4                        2,3          2,4         2,1      2,8
                                    5,0                   8,6
                                             6,9                        7,2          6,8         7,6      6,6
                                    0,0
                                           Ausstieg       Hohe       Wenig dez.      DSM      Konstante   EE+
                                          2020 – Gas   Brennstoff-     KWK                    Nachfrage
                                                        und CO2-
                                                          Preise

                                                                         Haushalte 2020

                                                           Großhandel          EEG   Endkundenpreis

  Quelle: eigene Darstellung.

                                                                                                                 17
WISO
 Diskurs                                                                                     Friedrich-Ebert-Stiftung

           3. Anforderungen an staatliches Handeln

           3.1 Netzausbau                                          Die Erweiterung der bestehenden Netzka-
                                                              pazitäten ist mittel- bis langfristig vor allem des-
           Eine wesentliche Voraussetzung für alle betrach-   halb notwendig, weil nur so längerfristig der
           teten Ausbaupfade der Stromerzeugung ist ein       Ausbau der erneuerbaren Energien – unter an-
           dazu adäquater Ausbau des Stromnetzes. Die         derem wie beschrieben auch als Ersatz für die
           Energiewende stellt das deutsche Stromnetz vor     Kernkraft – gewährleistet werden kann. Zur Er-
           zwei Herausforderungen. Einerseits befindet sich   reichung der Energiewende sind also fundamen-
           ein Großteil der erneuerbaren Energien mit fluk-   tale Anpassungen bzw. Erweiterungen von Netz-
           tuierender Einspeisung – vor allem Wind – im       infrastruktur bzw. -betrieb erforderlich. Gleich-
           Nordosten des Landes. Andererseits existiert aus   wohl spielen die dafür anfallenden Gesamtin-
           historischen Gründen nur eine vergleichsweise      vestitionen im Vergleich nur eine untergeordnete
           geringe Übertragungskapazität zwischen neuen       Rolle. Es ergeben sich drei zentrale Handlungs-
           und alten Bundesländern. Verschärft wird diese     felder für Netzinfrastruktur und -betrieb im Hin-
           Situation dadurch, dass auch die konventionel-     blick auf die Energiewende: 1) Reduktion des
           len Kraftwerke in den neuen Bundesländern rela-    landeswei-ten Ungleichgewichts von Erzeugung
           tiv zur regionalen Nachfrage „überproduzieren“     und Nachfrage, 2) Gewährleistung der Netzsta-
           und damit ebenfalls Strom in den Rest des Landes   bilität bei stark schwankender Einspeisung, 3)
           exportieren. Dieses räumliche Ungleichgewicht      Datenverfügbarkeit und -transparenz und 4) Neu-
           führt dazu, dass vor allem in Nordost-Südwest-     bau und Erweiterung von bestehenden Netzka-
           Richtung regelmäßig Netzengpässe auftreten.        pazitäten.

                Handlungsoptionen Netzausbau:

                – Ausrichtung des Neubaus von Kraftwerken und Erzeugungsanlagen an den Erfordernis-
                  sen der Netzinfrastruktur z. B. durch gezielte Förderung von Investitionen in Regionen
                  mit hoher Nachfrage und niedrigem Angebot;
                – Optimierung des Netzbetriebs im Hinblick auf Stabilität z. B. durch die Zertifizierung
                  bestehender Kraftwerke und Erzeugungsanlagen gemäß eines Kriterienkatalogs für system-
                  sichernde Eigenschaften;
                – Erhebung und Offenlegung der zur Beurteilung und Modellierung von Netzsituation und
                  -ausbau notwendigen Daten;
                – weitere Beschleunigung des Netzausbaus gemäß den vorliegenden Plänen und Gesetzes-
                  initiativen wie z. B. Plan-N und Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG).

    18
Wirtschafts- und Sozialpolitik
                                                                                                                     WISO
                                                                                                                      Diskurs

3.2 Eine koordinierte europäische Klima-                              Das EU-Emissionshandelssystem (EU ETS) ist
    und Energiepolitik ist erforderlich                          das zentrale klimapolitische Instrument der EU.
                                                                 Allerdings deckt das EU ETS bislang nur rund
Glaubwürdige Ziele auf EU- und globaler Ebene                    40 Prozent der Treibhausgasemissionen der EU
sind erforderlich, um die Langfristigkeit auch von               ab, nämlich in den Bereichen Stromerzeugung
nationalen Zielen zu garantieren. Neben den                      und Industrieanlagen (Abbildung 10). Aus öko-
Klimaschutzzielen werden wichtige Weichen-                       nomischer Sicht wäre es sinnvoll, einen mög-
stellungen in der Energiepolitik verstärkt auf                   lichst großen Teil der Emissionen im ETS zu regu-
EU-Ebene getroffen. Auch zeigen die Modeller-                    lieren. Für die Einbeziehung weiterer Sektoren
gebnisse, dass zum einen die Erreichung der Ziele                unter das ETS-Regime bietet sich in einem nächs-
zur Energieeffizienz und zum anderen der Ausbau                  ten Schritt der Straßenverkehrssektor an, aber
der erneuerbaren Energien eine hohe Bedeutung                    auch eine Integration des Gebäudesektors wäre
für die Vermeidung des Anstiegs der Strompreise                  sinnvoll. Am Ende dieser Entwicklung sollen alle
haben. Beide Maßnahmen werden langfristig nur                    Sektoren integriert werden. Durch die Einbezie-
erfolgreich und zukunftsfähig sein, wenn natio-                  hung dieser Sektoren können die Kosten des Kli-
nale Energiestrategien mit der europäischen Kli-                 maschutzes gesenkt werden, weil die Suche nach
ma- und Energiepolitik abgestimmt sind. Die                      den effizientesten Vermeidungsmaßnahmen nun
Weiterentwicklung des EU-Emissionshandelssys-                    auch auf Sektoren ausgedehnt werden kann, in
tems und der Harmonisierung der Förderung er-                    denen besonders hohe Kostenersparnisse vermu-
neuerbarer Energien werden für die zukünftige                    tet werden. Langfristig würde dadurch auch der
Klima- und Energiepolitik von großer Bedeu-                      Anstieg der CO2-Preise gedämpft werden.
tung sein.

  Abbildung 10:

  Aufteilung der EU-weiten Treibhausgasemissionen auf die einzelnen Sektoren in 2008

                                                       Rest
                                                       5%
                           Landwirtschaft
                               11 %

                   Andere                                                                  EU ETS
                 Industrien                                                                 41 %
                    12 %

                 Haushalte und
                   Gewerbe
                     13 %

                                                     Straßenverkehr
                                                          18 %
  Quelle: Daten nach EEA 2008, eigene Darstellung.

                                                                                                                     19
WISO
 Diskurs                                                                                      Friedrich-Ebert-Stiftung

                Die Kosten der erneuerbaren Energien kön-       prozess begriffen werden. Transparenz ist für eine
           nen durch eine geeignete Standortwahl entschei-      hohe gesellschaftliche Akzeptanz eine entschei-
           dend gesenkt werden. Eine langfristige Harmoni-      dende Voraussetzung. Solche Prozesse bedürfen
           sierung der Fördersysteme für die erneuerbaren       deshalb einer dauerhaften parlamentarischen
           Energien ist wegen dieser komparativen Kosten-       Diskussion und wissenschaftlichen Begleitung,
           vorteile ein wichtiger Schritt, um eine Dekarboni-   um über die Entwicklung einer langfristigen
           sierung der Stromversorgung zu minimalen Kos-        Strategie Glaubwürdigkeit und damit auch Legi-
           ten zu erreichen. Allerdings hängt die Frage, ob     timität für den Prozess der Energiewende zu er-
           eine EU-weite Harmonisierung tatsächlich zu den      reichen.
           erhofften Vorteilen führt, entscheidend von der            Auf der parlamentarischen Ebene könnte der
           spezifischen Ausgestaltung des Fördersystems ab.     Bundestag zur Herstellung von mehr Transparenz
           In Anbetracht der schon bestehenden Erfahrun-        nach dem Vorbild in Großbritannien per Gesetz
           gen mit den nationalen Fördersystemen erscheint      einen ständigen Rat für nachhaltige Energie- und
           es daher sinnvoll, die Integration dieser Systeme    Klimapolitik einrichten. Eine Aufgabe des Rates
           in ein einheitliches europäisches Rahmenwerk         wäre es, dem Parlament kurz-, mittel- und lang-
           durch eine schrittweise Harmonisierung nationa-      fristige klima- und energiepolitische Ziele vorzu-
           ler Fördersysteme zu erwägen.                        schlagen. So würde festgelegt, zu welchem Zeit-
                                                                punkt wie viel Emissionsreduktion erreicht wer-
                                                                den soll, wie hoch der Anteil der erneuerbaren
             Handlungsoptionen                                  Energien sein soll, wie der Netzausbau, die For-
             europäische Integration:                           schung zu Speichertechnologien und die Steige-
                                                                rung der Energieeffizienz vorangetrieben werden
             – Erweiterung des Europäischen Emissi-             können. Dabei soll der Rat auch eine aktive Rolle
               onshandelssystems um weitere Sektoren;           einnehmen bei der Identifizierung von For-
             – Prüfung einer europaweiten Harmoni-              schungslücken und Defiziten bei der Implemen-
               sierung der Förderung der erneuerbaren           tierung. Die Ethik-Kommission hat den Bedarf
               Energien unter Berücksichtigung der              nach mehr Transparenz erkannt und einen par-
               Integration bestehender nationaler               lamentarischen Beauftragten für die Energiewen-
               Fördersysteme.                                   de vorgeschlagen. Allerdings soll dieser nur das
                                                                „Monitoring und Controlling“ der Ziele über-
                                                                nehmen. Entscheidend ist aber, dass der Rat nicht
                                                                nur einen Weg vorschlägt, wie diese Ziele erreicht
                                                                werden sollen, sondern noch die Aufgabe hat,
           3.3 Transparenz und wissenschaftliche                dem Bundestag mehrere gangbare Alternativen
               Begleitung                                       vorzulegen. Der Bundestag kann dann nach einer
                                                                ausführlichen öffentlichen Debatte über diese
           Die Energiewende ist nicht nur mit technischen       Alternativen entscheiden und die entsprechen-
           Herausforderungen verbunden, sondern ist der         den Beschlüsse gesetzlich verabschieden. Die
           Beginn eines langen Prozesses, der einer breiten     Debatte über die gangbaren Alternativen ist eine
           gesellschaftlichen Akzeptanz bedarf, die sich bei    der entscheidenden Voraussetzungen für einen
           der Energiewende vor allem an Konflikten bei In-     erfolgreichen gesellschaftlichen Lernprozess. Ein
           frastrukturprojekten und an der Sozialverträg-       solches Verfahren würde nicht nur Begründun-
           lichkeit der Energiepreisentwicklung festmacht.      gen für politische Ziele verständlich machen,
           Solche Prozesse können jedoch nur dann gemeis-       sondern die Transparenz und damit auch die Le-
           tert werden, wenn sie als gesellschaftlicher Lern-   gitimität politischer Entscheidungen erhöhen.

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Wirtschafts- und Sozialpolitik
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                                                                                                    Diskurs

     Darüber hinaus wäre die Erhebung relevanter
Daten, wie etwa die Kostenentwicklung bei den           Handlungsoptionen Transparenz und
erneuerbaren Energien, ebenso wie ein Vergleich-        wissenschaftliche Begleitung:
sprojekt zur systematischen Analyse energiepoliti-
scher Szenarien durch deutsche und europäische          – Einrichtung eines dauerhaften
Energiemodelle nach dem Vorbild des US-ameri-             Expertenrates für Energie und Klima-
kanischen Energy Modeling Forums (EMF) eine               schutz;
sinnvolle Ergänzung der deutschen energiepoliti-        – Initiierung eines Modellvergleichs zu
schen Debatte. Ein transparenter Informations-            langfristigen Energie-Transformations-
prozess ist zur Gewährleistung breiter gesellschaft-      pfaden für Deutschland.
licher Legitimität und damit langfristiger Stabilität
energiepolitischer Entscheidungen unabdingbar.

                                                                                                   21
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                                                                                                       Diskurs

Die Autorinnen und Autoren

Dr. Brigitte Knopf
leitet die Arbeitsgruppe Klimaschutzszenarien am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
und arbeitet zum Schwerpunkt Europa und Deutschland.

Hendrik Kondziella
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Infrastruktur und Ressourcenmanagement
der Universität Leipzig mit dem Schwerpunkt Strommarktmodellierung.

Michael Pahle
ist Projektmitarbeiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mit dem Schwerpunkt
Investitionen im Strommarkt.

Mario Götz
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Infrastruktur und Ressourcenmanagement
der Universität Leipzig mit dem Schwerpunkt Strommarktmodellierung.

Prof. Thomas Bruckner
ist Inhaber der Vattenfall Europe Professur für Energiemanagement und Nachhaltigkeit an
der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig und geschäftsführender
Direktor des Instituts für Infrastruktur und Ressourcenmanagement der Universität Leipzig.

Prof. Dr. Ottmar Edenhofer
ist stellvertretender Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Co-Vorsitzender
der Arbeitsgruppe III im Weltklimarat IPCC und Professor für die Ökonomie des Klimawandels
an der TU Berlin.

Danksagung

Wir danken Wolfgang Neldner von NeldnerConsult für die konstruktive Beratung beim Kapitel 4.2. zum
Netzausbau. Fabian Joas danken wir für die Ausarbeitung von Kapitel 5 zur europäischen Integration.

Eva Schmid und Christian Flachsland danken wir für viele wertvolle Hinweise und Dorothe Ilskens für
die administrative Abwicklung des Projektes.

                                                                                                      23
Wirtschafts- und Sozialpolitik
                                 WISO
                                  Diskurs

                                 33
ISBN 978-3-86872-822-4

     Neuere Veröffentlichungen der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik

     Wirtschaftspolitik                                      Arbeitskreis Stadtentwicklung, Bau und Wohnen
     Der Fortschritt ist bezahlbar                           Das Programm Soziale Stadt –
     WISO direkt                                             Kluge Städtebauförderung für die Zukunft
                                                             der Städte
     Wirtschaftspolitik                                      WISO Diskurs
     Die Weltwirtschaft im Ungleichgewicht –
     Ursachen, Gefahren, Korrekturen                         Gesprächskreis Sozialpolitik
     WISO Diskurs                                            Rente mit 67? Argumente und Gegenargumente
                                                             WISO Diskurs
     Nachhaltige Strukturpolitik
     Exporte um jeden Preis? Zur Diskussion                  Gesprächskreis Sozialpolitik
     um das deutsche Wachstumsmodell                         Erwerbsminderungsrente –
     WISO direkt                                             Reformnotwendigkeit und Reformoptionen
                                                             WISO Diskurs
     Europäische Wirtschafts- und Sozialpolitik
     Staatsgläubigerpanik ist keine Eurokrise!               Gesprächskreis Sozialpolitik
     WISO direkt                                             Soziale Gesundheitswirtschaft: mehr Gesundheit,
                                                             gute Arbeit und qualitatives Wachstum
     Steuerpolitik                                           WISO direkt
     Progressive Sozialversicherungsbeiträge –
     Entlastung der Beschäftigten oder Verfestigung          Gesprächskreis Arbeit und Qualifizierung
     des Niedriglohnsektors?                                 Fiskalische Effekte eines gesetzlichen Mindestlohns
     WISO Diskurs                                            WISO Diskurs

     Arbeitskreis Mittelstand                                Arbeitskreis Arbeit-Betrieb-Politik
                                                             Perspektiven der Unternehmensmitbestimmung
     Soloselbstständige in der Insolvenz –
                                                             in Deutschland – ungerechtfertigter Stillstand auf
     Zwischen Stigmatisierung und Neustart
                                                             der politischen Baustelle?
     WISO direkt
                                                             WISO Diskurs
     Gesprächskreis Verbraucherpolitik
                                                             Arbeitskreis Dienstleistungen
     Welche Politik brauchen die Verbraucher?
                                                             Dienstleistungen in der Zukunftsverantwortung –
     WISO direkt
                                                             Ein Plädoyer für eine (neue) Dienstleistungspolitik
     Gesprächskreis Verbraucherpolitik                       WISO Diskurs
     Die Chance für den fairen Handel?
                                                             Gesprächskreis Migration und Integration
     Verbraucherkenntnis und -akzeptanz von
                                                             Prekäre Übergänge vermeiden – Potenziale nutzen
     Sozialstandards im Lebensmittelsektor
                                                             Junge Frauen und Männer mit Migrationshintergrund
     WISO direkt                                             an der Schwelle von der Schule zur Ausbildung
     Arbeitskreis Innovative Verkehrspolitik                 WISO Diskurs
     Reform des Personenbeförderungsgesetzes –               Frauen- und Geschlechterforschung
     Perspektiven für ein nachhaltiges und                   Geschlechterpolitik zu Pflege/Care
     integriertes Nahverkehrsangebot                         Anregungen aus europäischen Ländern
     WISO Diskurs                                            WISO Diskurs

     Volltexte dieser Veröffentlichungen finden Sie bei uns im Internet unter

26   www.fes.de/wiso
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