Eine Tankstelle für pflegende Angehörige - Betreuter Urlaub für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen
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8 /2011 Nr. 30 Münsters Zeitung für seelische Gesundheit im Alter Eine Tankstelle für pflegende Angehörige Betreuter Urlaub für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen Wenn am Ende eines Bera- tungsgespräches über schwie- rige Alltagssituationen und Entlastungsmöglichkeiten die Frage kommt: „… und wie geht es Ihnen?“, sind Angehörige oft überrascht. Sie sind es gewohnt, dass es meist um das erkrankte Fami- lienmitglied geht und ihre Be- dürfnisse weniger Platz haben. Und kommt dann die Frage: „Hätten Sie nicht Lust, mal wieder Urlaub zu machen?“ dann hört man oft: „Im Urlaub waren wir schon lange nicht mehr; aber ohne meine Frau (Mann) fahre ich nicht.“ Foto: Michael Hagedorn Aus dem Inhalt: Eine Demenzerkrankung betrifft Perspektivwechsel in der weiteren Urlaubsformen für Demenzkranke immer die ganze Familie und geht Lebensplanung entwickeln. Auch der und ihre Angehörigen Seite 4 mit großen Herausforderungen ein- erkrankte Partner muss sich auf seine Erinnerungsreisen für Menschen her. Der gesunde Partner muss viel veränderte Situation und Leistungsfä- mit Demenz Seite 6 über die Erkrankung lernen und sich higkeit einstellen. Dies geht oft einher immer wieder auf neue Situationen mit großer Abwehr und Gefühlen von einstellen. Langgehegte Pläne des Niedergeschlagenheit und Ärger. gemeinsamen Alterns mit ausge- dehnten Reisen und vielleicht neuen Das Leben mit einer Demenz führt Hobbys müssen aufgegeben werden. nicht selten auch zu sozialer Isola- Der gesunde Partner muss neue Auf- tion: Kontakte werden schwieriger, gaben übernehmen, eine Fürsorge Symptome der Erkrankung werden ohne Bevormundung und einen missverstanden oder führen zu Pein-
Geronymus EDITORIAL Die Sommermonate sind eine lichkeiten. Freunde fragen sich, Strand, die Ausflüge, das gemein- besondere Zeit im Jahr: Milde wie sie dem Erkrankten begegnen same Lachen und Weinen und die Tage, gut besuchte Straßenca- sollen, wenn er wiederholt Fragen vielen Gespräche. fés, Balkon und Garten locken stellt und sich nicht an vertraute und die Natur lädt zu Ausflü- Gemeinsamkeiten erinnert. Der Dieser erste Urlaub hat uns viel gen ein. Eine zentrale Frage erkrankte Partner hat vielleicht gezeigt von dem, was Angehörige in dieser Zeit lautet dann: „Wo keine Lust mehr zum Kegeln zu und Menschen mit Demenz brau- geht denn Eure Urlaubsreise gehen, er hat Mühe, der Unter- chen: Nicht das 4-Sterne-Hotel, in diesem Sommer hin?“ An- haltung zu folgen oder die Regeln sondern die Verbundenheit mit regungen werden mit auf den einzuhalten. Anderen in ähnlicher Lage, das Weg gegeben, Reiseanekdoten unbedingte Angenommensein mit werden ausgetauscht und die Das alles kann dazu führen, dass allen Problemen und herausfor- Vorfreude wächst. Paare sich nicht mehr zutrauen, dernden Aufgaben, die Gespräche Auch für Senioren, die nicht allein oder mit Freunden in den und das gemeinsame Tun und mehr alleine reisen möchten, Urlaub zu fahren. In der Sorge, der das Alleinsein-Dürfen mit der gibt es inzwischen einen bun- erkrankte Partner könnte unter der Sicherheit: Mein Partner ist gut ten Strauß von Reiseangebo- Trennung leiden, wird auch da- aufgehoben. ten. Kirchengemeinden, Wohl- rauf verzichtet, allein zu verreisen. Inzwischen haben wir in unserem fahr t s v e rb än d e Gleichzeitig gibt es den großen Hause verschiedene Angebote ent- oder Volkshoch- Wunsch, noch einmal an alte Ur- wickelt und erprobt: Urlaub für schulen haben laubsvergnügen anzuknüpfen und Menschen mit Demenz und ihre hier eine Lücke gerade in der Zweisamkeit sich auf Angehörigen, allein oder zusam- Foto: Monika Frahling geschlossen. Aber die Reise zu begeben. men mit dem Partner, mit oder wie geht es jenen ohne begleitendem Schulungsan- älteren Men- Als Mitarbeiter des Alexianer- gebot. Für alle Angebotsformen schen, die pfle- Krankenhauses Münster haben wir gibt es einen Bedarf. Die häufigste gebedürftig sind, seit 1995 Erfahrungen mit Urlaubs- Nachfrage gilt dem gemeinsamen oder die aufgrund einer psy- projekten unterschiedlichster Art Urlaub für Menschen mit Demenz chischen Erkrankung wie z.B. gesammelt. und ihre Angehörigen, der im Fol- einer Demenz auf besonde- Der erste Urlaub führte uns 1995 genden näher beschrieben wird. re Unterstützung angewiesen nach Scharbeutz an die Ostsee. Wir bewohnten ein großes Haus Boltenhagen – Haus sind? Oder wie ergeht es Ehe- paaren, bei denen ein Partner der 50er Jahre mit Zweibettzim- Seeschlösschen an einer Demenz erkrankt ist? mern, zwei Bädern für die ge- Boltenhagen liegt 40 km östlich Weil die bisherigen Urlaubs- samte Gruppe, einem riesigen von Lübeck und ist in 4 - 5 Stunden formen ihren Bedürfnissen Aufenthaltsraum mit dem Charme von Münster aus mit dem Bus er- nicht mehr gerecht werden, eines Bahnhofsrestaurants und reichbar. Das Haus Seeschlösschen laufen sie Gefahr, ein weiteres bereiteten alle Mahlzeiten bei Stückchen liebgewonnener Ge- defekter Spülmaschine selber zu. Es fuhren 12 Paare – Ehepaare, Die Ameisen meinsamkeit aufzugeben. Urlaube, ob kurz oder lang, Mütter, Töchter und Geschwister – sind und bleiben eine wich- mit uns, von denen jeweils ein In Hamburg lebten tige Auszeit, um neue Kräfte Partner erkrankt war. zwei Ameisen, für den Alltag zu schöpfen. In Treffen sich noch heute Mitrei- Die wollten nach unserer Sommer-Ausgabe des sende der ersten Stunde, wird Australien reisen. Geronymus präsentieren wir gleich an das tägliche gemeinsame Bei Altona auf der Chaussee Ihnen unterschiedliche Mög- Kartoffelschälen erinnert, an die Da taten ihnen die Beine weh, lichkeiten, wie Sie trotz Pfle- Einkäufe, die Berge schmutzigen gebedürftigkeit, nicht auf diese Geschirrs, aber auch an die gemüt- Und da verzichteten sie weise „Auszeiten“ verzichten müssen. liche Küchenbank, auf der täglich Dann auf den letzten Cornelia Domdey, lange Gespräche geführt wurden, Teil der Reise. Hilke Prahm-Rohlje an die Spielrunden, das abendliche Gerontopsychiatrische Beratung Singen, daran, dass alle mitgehol- Joachim Ringelnatz im Clemens-Wallrath-Haus fen haben, die Spaziergänge am Geronymus Nr. 30 • August 2011
Geronymus ist behindertengerecht und verfügt über 25 Einzel- und Doppelzim- mer. Es liegt etwas außerhalb des Ortskerns aber direkt am Strand und hat einen eigenen Zugang zum Meer. Es herrscht eine ru- hige Atmosphäre, die Mitarbeite- rinnen sind besonders freundlich und kümmern sich auch um die kleinen Wünsche am Rande. Die mecklenburgische Küche ist ab- wechslungsreich und lecker. Foto: Annette Mandelartz Zum Reiseteam gehören sechs Mitarbeiterinnen, die sowohl pflegerische und pädagogische Fachlichkeit, wie auch Kenntnisse im Umgang mit Menschen mit De- menz mitbringen. Basierend auf unseren Erfahrungen der bishe- teln, die Tagesfahrt nach Wismar häusliche Situation neu anzuschau- rigen Urlaube und den Wünschen oder eine Schlössertour ins meck- en. Die Angehörigen lernen, sich der Mitreisenden haben wir ein lenburgische Hinterland. Freiräume zu erobern, Ideen zu Konzept entwickelt, das modifi- entwickeln und Freude zu erleben. ziert in jedem Jahr Anwendung Neben dem unterhaltenden Das Thema Loslassen nimmt einen findet: Abendprogramm erleben die An- großen Raum ein. Loszulassen ist • Gemeinsame Anreise mit dem gehörigen die Gesprächsgruppe leichter gesagt als getan, denn es Bus – Pausen nach Bedarf als besonders wichtig und nach- gilt, gleichzeitig die Verbindung • Unterstützung bei der mor- haltig. Es ist beeindruckend, wie zum Partner zu bewahren. gendlichen und abendlichen leicht die Angehörigen miteinan- Grundpflege bei Bedarf der in großer Offenheit in Kontakt Das Miteinander im Urlaub be- • Ausflugs- und Aktivitätspro- kommen und wie sehr sie von stärkt die pflegenden Angehörigen, gramm für die pflegenden den gemeinsamen Erfahrungen auf sich selbst zu achten und Hilfe Angehörigen profitieren. Es geht um Themen anzunehmen. Sie erhalten neue • Morgens und nachmittags Be- wie Abschied von Vorstellungen Erkenntnisse für das Zusammen- treuungsgruppe des gemeinsamen Älterwerdens leben mit dem Partner und Kon- • Jedes Paar entscheidet, ob und und der Angst vor dem, was noch takte, die auch über den Urlaub wie es am Programm teilnimmt kommen mag, ebenso wie um hinaus eine Unterstützung sind. • Gemeinsames abendliches alltagspraktische Fertigkeiten, wie Vor allem für die Angehörigen Beisammensein mit Spielen, die neuesten Inkontinenzartikel, ist der Urlaub eine „Tankstelle“, Singen, kreativen Angeboten die Bewältigung schwieriger Pfle- die echte Entlastung und neue • Gesprächsgruppen für die pfle- gesituationen und den Austausch Energien für den Alltag schenkt. genden Angehörigen bei gleich- über entlastende Angebote. zeitiger Betreuungsgruppe. Annette Mandelartz Der Urlaub bietet eine besondere (Demenz-Servicezentrum für die Der Tag ist klar strukturiert durch Form des voneinander und mitei- Region Münster und das west- die gemeinsamen Mahlzeiten und nander Lernens. Das Erleben un- liche Münsterland) Pausen und bietet gleichzeitig je- terschiedlicher Paarbeziehungen, den Tag Abwechslung. Die Paare der Umgang miteinander, die können sich jeweils zur Teilnahme Gespräche am Rande und in der entscheiden. Es gibt bewährte Gruppe, das Kennenlernen der gemeinsame Aktivitäten wie z.B. Probleme anderer und die unter- den Gang zur Seebrücke oder der schiedlich erlebten Belastungen Ausflug zur Klützer Mühle mit den bieten einen Rahmen, sich selbst wunderbaren, leckeren Windbeu- zu reflektieren und die eigene Geronymus Nr. 30 • August 2011 3
Geronymus Urlaubsformen für Demenzkranke und ihre Angehörigen Ein paar Tage ausspannen, Orts - und Kli- cher Person und Situation? Ob getrennt mawechsel genießen, sich verwöhnen las- oder gemeinsam, in einer Gruppe oder zu sen, Menschen begegnen – ein Urlaub ist zweit, ob für einen Tag oder ein paar Wo- eine wichtige Unterbrechung der Alltags- chen, es gibt viele Möglichkeiten, dem routine. Auch Menschen mit Demenz und Alltag zu entfliehen und neue Eindrücke ihre Angehörigen brauchen diese „Aus- zu sammeln. zeit“. Aber welcher Urlaub passt zu wel- Gemeinsamer Urlaub von Gemeinsamer Urlaubsort – im Vordergrund. Zuweilen wird Angehörigen und Erkrankten getrennte Unterbringung solch ein Erholungsangebot auch Der pflegende Angehörige und Während der pflegende Angehörige mit einem Pflegekurs kombiniert, der Erkrankte verbringen gemein- in einer Pension oder einem Hotel sodass Angehörigen gezielt Infor- sam einen Urlaub in einem Haus, wohnt, lebt der Pflegebedürftige mationen und Tipps rund um die das besondere Angebote, sowohl in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung Betreuung demenziell Erkrankter für Pflegebedürftige als auch für (Finanzierung über die Pflegever- erhalten. Angehörige bereithält. Der pfle- sicherung), die sich am Ferienort Gruppenreisen werden aber auch gende Angehörige kann Angebote auf eine Urlaubspflege spezialisiert für Angehörige und Erkrankte ge- der Entlastung für Pflege und hat. Der Angehörige hat Zeit für meinsam angeboten. Ein Urlaub Betreuung nutzen, um für eigene eigene Unternehmungen, kann mit dem Pflegebedürftigen ist Aktivitäten Zeit zu haben. aber auch Zeit mit dem erkrankten verbunden mit Zeiten die gemein- Angehörigen verbringen. sam mit dem Erkrankten verbracht werden und Zeiten, in denen die- ser von Fachkräften betreut wird. Angehörige haben die Möglichkeit, sich zu entspannen und sich mit anderen Reisenden auszutauschen. Das Voneinander-Lernen wird als besonders bereichernd erlebt. Begleiteter Urlaub für Pflegebedürftige Der Erkrankte verreist mit einem Anbieter, der sich auf eine Beglei- tung von Menschen mit Hilfe- und Pflegebedarf spezialisiert hat. Dies können spezielle Anbieter wie „Ur- laub und Pflege“ sein, aber auch Foto: Annette Mandelartz einige ambulante Pflegedienste bieten eine Reisebegleitung durch eine Fachkraft an. Einzelbeglei- tungen, aber auch Gruppenreisen sind möglich. Gruppenreisen Urlaub ohne Koffer Alzheimergesellschaften oder Ausflüge, die z.B. von den Vereine wie „Lichtblick e.V.“ Selbsthilfevereinen und Kirchen- bieten Reisen ausschließlich für gemeinden in Münster angebo- pflegende Angehörige an. Hier ten werden, sind eine weitere stehen Erholung und der Aus- Möglichkeit, einmal aus dem tausch mit anderen Pflegenden Alltagstrott herauszutreten, Neues Geronymus Nr. 30 • August 2011 4
Foto: Annette Mandelartz Geronymus Ein kleiner „Urlaub“ zwischendurch zu erleben und Geselligkeit zu Am 17. Mai war es soweit: Die Betreuungs- An der Hofstelle in den Rieselfeldern erwar- erfahren. Eine Landpartie, eine gruppen der Alzheimer Gesellschaft Münster tete uns bereits ein Mitarbeiter, der einen Stadtrundfahrt, ein Flugtag oder machten wieder mal einen Ausflug. Wochen Vortrag über die Geschichte der Rieselfelder vorher waren in den Gruppen Einladungen und ihrer vielfältigen Bewohner hielt. Alle ein Besuch im Freilichtmuseum an die Gäste und deren Angehörige und In- hörten gespannt zu und erkannten die alten bieten wohltuende Abwechslung. formationen zum Ausflugsziel verteilt wor- Gerätschaften aus ihrer Kindheit. Viele stell- Ist ein Urlaub oder ein Ausflug den. Später wurden Listen erstellt, wer mit ten interessierte Fragen oder erzählten „Dö- (zurzeit) nicht möglich, können wie viel Personen teilnehmen würde und auf nekes“ von früher. An den Vortrag schloss Erinnerungsreisen ein Trostpflaster Wunsch des Cafés sollte schon jetzt eine sich eine Rundfahrt mit fachkundiger Be- Wahl zwischen 4 Kuchensorten getroffen gleitung an. Immer wieder hielt der Bus an, und ein kleines Geschenk für den werden. Diese Entscheidung fiel manchmal wir konnten Störche sehen, Lachmöwen be- Erkrankten sein. schwer, aber erhöhte auch die Vorfreude. obachten und die vielfältige Vogelwelt auf uns wirken lassen. Die meisten Gäste waren Nähere Informationen zu Angebo- Um 14.00 Uhr trafen die ersten Gäste erwar- sehr erfreut, dass sie so gemütlich durch die ten entnehmen Sie dem Demenz- tungsvoll an der vereinbarten Bushaltestelle Rieselfelder kutschiert wurden. wegweiser für die Stadt Münster ein. Es war ein Bus mit Klapprampe bestellt, in den auch gehbehinderte Teilnehmer leicht Dann ging es weiter zu Gut Kinderhaus, wo oder erkundigen Sie sich in der einsteigen konnten. Wasserkisten und Papp- bereits Kaffee und Kuchen auf uns warteten. Gerontopsychiatrischen Beratung, becher für den kleinen Durst unterwegs, Da zahlte es sich aus, dass es die „Bestell- Tel.: 0251 / 52 02 71 Gehhilfen und Rollstühle wurden in den Bus liste“ für den Kuchen gab. Denn wer konnte geschafft. Als alle und alles verstaut waren, sich noch daran erinnern, auf welchen Ku- Hilke Prahm-Rohlje ging es pünktlich los. chen er vor 3 Wochen Appetit hatte. Es gab Gerontopsychiatrische Beratung ein munteres Erzählen. Nach dem Kaffee- trinken gingen wir noch ein wenig spazieren und bestaunten die Tiere, die auf dem Gut gehalten werden. Einige Ausflügler mach- ten noch in dem Hofladen kleine Einkäufe, Finanzierungsmöglichkeiten der Bauerngarten wurde bewundert und es über die Pflegeversicherung wurde gerätselt, um was für Pflanzen es sich denn da wohl handelt. Gott sei Dank waren genug Kenner dabei, die auch noch das sel- Vor der Planung eines Urlaubs kann es rungspflege können bei einigen Angebo- tenste Küchenkraut benennen konnten. ratsam sein mit der Pflegeversicherungs- ten auch die zusätzlichen Betreuungslei- Dann wurde es Zeit für die Rückfahrt. Im abteilung der Krankenkasse Kontakt auf- stungen (§ 45 SGBXI) genutzt werden. Bus war es ruhiger als auf der Hinfahrt. Viele zunehmen, um sich nach Möglichkeiten waren müde und erschöpft von den vielen der Finanzierung zu erkundigen. Kann der Erkrankte während eines Ur- Eindrücken und Erlebnissen, aber allen hat Bei Verhinderung der Pflegeperson er- laubs des pflegenden Angehörigen nicht es großen Spaß und Freude gemacht. hält der Pflegebedürftige pro Jahr für alleine in der häuslichen Umgebung insgesamt höchstens 4 Wochen bis zu bleiben, stellt die Kurzzeitpflege für den Irene Schneider 1.510,- Euro (1.550,- ab 1.1.2012) für eine pflegenden Angehörigen eine beruhi- Ehrenamtliche Helferin der Ersatzpflege oder „Verhinderungspfle- gende Entlastung dar. Die Leistungen Alzheimer Gesellschaft Münster e.V. ge“ (§ 39 SGB XI). Fährt der pflegende der „Kurzzeitpflege“ (§ 42 SGB XI) Angehörige alleine in den Urlaub, kann können zusätzlich zur Verhinderungs- dieser Betrag für einen ambulanten Pfle- pflege in Anspruch genommen werden. gedienst aber auch für Nachbarn oder Die Pflegeversicherung bezuschusst für Freunde genutzt werden, um den Er- maximal 28 Tage im Jahr einen Aufent- krankten in seiner häuslichen Umgebung halt in einer stationären Einrichtung mit (auch stundenweise) zu unterstützen. einem Betrag in Höhe von 1.510,- Euro Neben den Leistungen der Verhinde- (1.550,- ab 1.1.2012). Geronymus Nr. 30 • August 2011 5
Geronymus „Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen…“ Erinnerungsreisen für Menschen mit Demenz Im Laufe der fortschreitenden Erkrankung eines Men- Traurigkeit und Enttäuschung. Für die Angehörigen ist schen mit Demenz kommt irgendwann der Zeitpunkt, es ein schwerer Schritt, sich von der früheren Art der an dem das gemeinsame Verreisen nicht mehr oder Beziehung und der gewohnten Lebensgestaltung zu nur noch selten möglich ist. Für den Erkrankten und verabschieden. Die gemeinsamen Lebenspläne, zu de- die Angehörigen gleichermaßen bedeutet dies einen nen vielleicht auch das gemeinsame Reisen gehörte, tiefen Einschnitt, oft verbunden mit Gefühlen von müssen neu überdacht und angepasst werden. nerungen und Es müssen nicht alle Erinne- Gewoh ntes rungen wahr sein. Es geht nicht geben Sicher- um objektive Fakten, sondern heit; Erinnern darum welche Bedeutung die stärkt das Erfahrung für den Erzählenden S e l b s t w e r t- hat. Der Hinweis auf Fehler ist gef üh l des beschämend und führt meistens Erkrankten zu Ärger oder Rückzug. und bewahrt Vielleicht werden besonders ihm das Be- die Reisen erinnert, die schon wusstsein weit zurückliegen, z.B. die Fahrten der eigenen mit dem BDM (Bund deutscher Identität. Der Mädel) oder KdF (Kraft-durch- Demenzkran- Freude-Reisen), der regelmäßige ke – anson- Ferienbesuch bei der Patentante sten ständig oder auch der Tagesausflug zum Foto: privat kon frontier t „Hockenden Weib“. mit Verlusten Nicht jeder Tag oder jede – erlebt beim Tageszeit ist geeignet, um eine Neben der Suche nach neuen Erzählen seiner Lebensgeschichte, Erinnerungsreise durchzuführen. Möglichkeiten des Verreisens, dass er noch etwas kann, er fühlt Die Tagesform des Erkrankten kann eine Reise in der Erinnerung sich kompetent und gleichwertig. muss berücksichtigt werden. Auch ein kleines Trostpflaster sein. Das auf Zeichen von Überforderung Erinnern an vergangene Reisen Begibt man sich gemeinsam mit wie z.B. Unruhe, Ablehnung oder und Urlaube ist häufig noch lange einem Demenzkranken auf eine Rückzug muss geachtet werden. Zeit möglich: Der erste Urlaub in Erinnerungsreise, gilt es einige Schwierig sind für Menschen Italien oder an der Nordsee, der Tipps zu beachten: mit einer Demenz sogenannte W- Campingurlaub in den 50er Jahren Gemeinsames Erinnern braucht Fragen (wann, wie, wo, warum…), oder die regelmäßige Reise mit Zeit und Geduld: Nicht jeder Ge- da sie eine konkrete Antwort for- dem Zug an den Rhein. Schöne sprächsversuch löst direkt Erin- dern: „Wo warst Du im Urlaub? Erinnerungen sind ein Geschenk. nerungen aus. Häufig sind viele Mit wem wart Ihr regelmäßig Gemeinsam im Vergangenen zu Versuche erforderlich. Menschen in Italien?“. Leichter sind offene schwelgen macht Spaß und er- mit einer Demenz benötigen eine Fragen und Aussagen: „Erzähl möglicht positive Begegnungen. ruhige Atmosphäre und Zeit zum doch mal als wir in Bayern auf Erinnern baut Brücken zwischen Reagieren. dem Bauernhof Urlaub gemacht Gesunden und Kranken, zwischen Wichtig sind die „kleinen haben.“, oder „Du hast mir immer Jung und Alt, zwischen früher und Geschichten“ und ihre subjek- von der komischen Pensionswirtin heute. tive Bedeutung für den älteren im Schwarzwald erzählt….“ oder Menschen. Es geht nicht darum, „Ich glaube, Du warst zum ersten Für Menschen mit Demenz ist möglichst viele Informationen Mal mit Großvater am Meer….“ die Pflege der Erinnerungen be- zu erhalten oder den Erkrankten Erinnerungsstücke erleichtern sonders wichtig: erhaltene Erin- auszufragen. das Erinnern, sie geben gute Geronymus Nr. 30 • August 2011 6
Geronymus Reiseziele gesucht Ergänzen Sie: • Der schiefe Turm von … • Tulpen aus … Foto: privat • Theo, wir fahr’n nach … • Pigalle, Pigalle, das ist die große Mausefalle mitten in … • Sie will ja, sie will ja, sie will Anknüpfungspunkte für ein Ge- • Typische Schlager, z.B. „Wenn ja nach … spräch: bei Capri die rote Sonne…“ • Weiße Rosen aus … • Reiseandenken (z.B. Muscheln, • Bildbände, Reiseberichte, Vorle- • Arrivederci … Bierkrug, Wanderstock, Chian- sebücher • Ein Jäger aus … tiflasche mit Kerze) • Materialien: z.B. eine Schüssel • Es gibt kein Bier auf … • Fotos, (alte) Ansichtskarten, mit Sand und Muscheln; gena- • Das war der Stern von … Filmaufnahmen gelte Wanderschuhe und ein • Du bist die Rose vom … • Ein alter Koffer oder Wander- alter Rucksack; Schwimmanzü- stock ge und Badekappe Quelle: • Reiseführer, Karten, Atlanten • Typische regionale Gegenstän- Friese, Andrea: Sommerfrische. Eine gemeinsam mit dem Erkrank- de: z.B. ein Tiroler Hut, eine 28 Kurzaktivierungen im Som- ten gepackte Erinnerungskiste mit Klöppelspitze mer für Menschen mit Demenz. allen Lieblingsstücken ermöglicht • Düfte und Nahrungsmittel: Köl- Hannover 2007 das regelmäßige Hervorholen der nisch Wasser 4711, Lavendel, „Schätze“, um gemeinsam eine Gurken aus dem Spreewald, Auflösung siehe Seite 8 schöne halbe Stunde zu erleben. Lübecker Marzipan Auch eine Collage, gebastelt aus Bücher und Materialien aus der Reiseerlebnissen, kann das Erin- Altenarbeit geben weitere Anre- nern erleichtern. gungen zur Durchführung einer Wenn keine persönlichen Ge- Erinnerungsreise (siehe Literatur- genstände vorhanden sind, gibt es liste auf Seite 8). trotzdem vielfältige Möglichkeiten für den Einstieg in ein Gespräch. Mit geringem Aufwand und we- Hilfreich ist es dabei, verschiedene nigen Mitteln kann man eine Sinne einzubeziehen. Alles, was Atmosphäre schaffen, die allen der Demenzkranke konkret er- Beteiligten Freude bringt. Vor- lebt, z.B. nicht nur hört, sondern raussetzung ist nur etwas Zeit, auch sieht, riecht, schmeckt oder Interesse an den Erfahrungen des fühlt, kann er besser verstehen Anderen und die Bereitschaft sich und erinnern. Auch Singen und auf den Erkrankten einzustellen. Bewegung können den Erinne- Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim rungsprozess positiv unterstützen. gemeinsamen „Reisen ohne Koffer Folgende Materialien sind dazu packen“. geeignet: • Altbekannte Wanderlieder, Wilma Dirksen, gesungen oder auf CD Gerontopsychiatrische Beratung • CDs mit Geräuschen vom Meer oder mit Vogelstimmen Angaben zur verwendeten Literatur sind bei • Alte Reklameplakate von popu- der Redaktion erhältlich. lären Ferienorten Foto: privat • Sprichwörter und Redewen- dungen Geronymus Nr. 30 • August 2011 7
Geronymus Tipp Hilfen für Erinnerungsreisen Hier finden Sie Rat und Hilfe Folgende Bücher und Materalien Erinnerns. Band 4 – Auswahl: geben hilfreiche Anregungen für Zeitzeugen erzählen von früher. VorLesebücher für die Alten- Gerontopsychiatrische Beratung Reisen in der und in die Erinne- im Clemens-Wallrath-Haus rung: pflege. Berlin: Zeitgut Verlag Gerontopsychiatrisches Zentrum GmbH, 2011. des Alexianer-Krankenhauses • Blecher, Helmut: In die Berge, • Schmidt-Hackenberg, Ute: Josefstraße 4, 48151 Münster an die See! Unser erster Urlaub Zuhören und Verstehen. Han- Tel. (02 51) 52 02 -71 / -72 / -73 in den 50er und 60er Jahren. nover: Vincentz-Verlag, 2003. Gudensberg-Gleichen: Wartberg • Tageszentrum Wetzlar: Lieder- Beratung für Betroffene, Verlag, 2006. CD’s und dazugehörige Lieder- Angehörige und Profis • Friese, Andrea: Sommerfrische. bücher (Volkslieder, Schlager, Ansprechpartnerinnen: 28 Kurzaktivierungen im Som- etc. – instrumental und/oder Wilma Dirksen, Cornelia Domdey, mer für Menschen mit Demenz. mit Gesang. Zu beziehen: Tel. Hilke Prahm-Rohlje, Suzanne Reidick Hannover: Vincentz-Verlag, 06441/437 42; www.tageszen- 2010. trum-am-geiersberg.de). Telefonisch erreichbar: • Radenbach, Johanna: Aktiv • Trilling, Angelika; Bruce, Mo - Fr: 9 - 12 Uhr Sprechstunden: trotz Demenz. Handbuch für Errolyn; Hodgson, Sarah; Di: 10 - 13 Uhr, Do: 15 - 18 Uhr die Aktivierung und Betreuung Schweitzer, Pam: Erinnerungen und nach Vereinbarung von Demenzerkrankten. Han- pflegen – Unterstützung und nover: Schlütersche Verlagsge- Entlastung für Pflegende und sellschaft, 2011. Menschen mit Demenz. Hanno- Gerontopsychiatrische Beratung • Rath, Bettina: Momente des ver: Vincentz-Verlag, 2001. der LWL-Klinik Münster Haus 25 Friedrich-Wilhelm-Weber-Str. 30 48157 Münster Tel. (02 51) 5 91 52 69 Beratung für Betroffene und Angehörige Ansprechpartner: Sekretariat Gerontopsychiatrie Beratungsstunden: jeden zweiten und vierten Mittwoch im Monat von 17 bis 18 Uhr (Anmeldung erwünscht) Foto: privat Informationsbüro Pflege im Gesundheitshaus Gasselstiege 13, 48159 Münster Tel. (02 51) 4 92 50 50 Auflösung von Seite 7: Pisa, Amsterdam, Lodz, Paris, Sevilla, Athen, Roma, Kurpfalz, Hawaii, Mykonos, Wörthersee Beratung zu Pflegefragen für Betroffene und Angehörige Impressum Hinweis: Herausgeber: Gerontopsychiatrische Bera- Die Zeitung ist kostenlos erhältlich u.a. Ansprechpartnerinnen: tung der Alexianer Münster GmbH bei der Bürgerberatung, in der Stadt- Bettina Birkefeld, bücherei, im Gesundheitshaus und im Ursula Sandmann, Redaktion und Texte: Cornelia Domdey, Clemens-Wallrath-Haus (Gerontopsychi- Gertrud Schulz-Gülker Hilke Prahm-Rohlje, Dr. Klaus Telger atrisches Zentrum). Telefon: (02 51) 52 02 73 Öffnungszeiten: Gestaltung: www.umbach-design.de Den Geronymus gibt es als Pdf-Datei Mo - Fr: 10 - 13 Uhr Druck: Klingenfuß, Münster zum Download unter: www.alexianer.de/muenster (unter der Mo: 14 - 16 Uhr August, 2700 Do: 15 - 18 Uhr Rubrik: Gerontopsychiatrisches Zentrum) Geronymus Nr. 30 • August 2011 8
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