Elektrokonvulsionstherapie bei depressiven Störungen
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Elektrokonvulsionstherapie bei Homepage: depressiven Störungen www.kup.at/ Baghai TC, Eser D, Möller HJ JNeurolNeurochirPsychiatr Nothdurfter C, Rupprecht R Online-Datenbank mit Autoren- Schüle C und Stichwortsuche Journal für Neurologie Neurochirurgie und Psychiatrie 2005; 6 (4), 20-28 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
DGfE 2022 60. Jahrestagung der DGfE 27.–30. APRIL 2022 l Leipzig © Jakob Fischer l shutterstock www.epilepsie-tagung.de AbstrAct DEADlinE 09. DEzEmbEr 2021 73. Jahrestagung Deutsche gesellschaft für neurochirurgie abstract Deadline: 04. Januar 2022 Joint Meeting mit der griechischen gesellschaft für neurochirurgie www.dgnc-kongress.de
Elektrokonvulsionstherapie bei depressiven Störungen T. C. Baghai, D. Eser, C. Schüle, C. Nothdurfter, H.-J. Möller, R. Rupprecht Trotz beträchtlicher Erweiterung der pharmakotherapeutischen Möglichkeiten in der Behandlung depressiver Erkrankungen und trotz Berücksichti- gung aktueller Erkenntnisse bezüglich der guten Wirksamkeit psychotherapeutischer Verfahren kann auch heute auf ein bereits vor 67 Jahren entwik- keltes Therapieverfahren noch nicht verzichtet werden. Eine Wirklatenz von meist mehreren Wochen sowie eine nicht unbeträchtliche Quote an behandlungsresistenten Depressionen stellen auch heute noch ernstzunehmende Probleme dar. Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) ist ein nichtpharmakologisches biologisches Behandlungsverfahren, dessen ausgezeichnete Wirksamkeit vor allem bei depressiven Störungsbildern, aber auch bei Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis in einer Vielzahl von kontrollierten Untersuchungen gut belegt werden konnte. Dies gilt nicht nur für Akutbehandlungen, die EKT kann auch im Rahmen einer Erhaltungstherapie zur Rezidivprophylaxe eingesetzt werden. Zudem sind Sicherheit und Verträglichkeit der Behandlung durch umfangreiche Modifikationen der Stimulationstechnik sowie durch die umfassenden Fortschritte der Anästhesiologie stetig verbessert worden. Somit konnten in den letzten Jahren viele Kontraindikationen weitgehend relativiert wer- den, sodaß heute auch Patienten mit erhöhten somatischen Risiken eine sichere Behandlung angeboten werden kann. Neueste Forschungsergebnisse führten zwar neben einem besseren Verständnis möglicher Wirkmechanismen der EKT zu einer sicheren und gut verträglichen Behandlung, konnten jedoch das eigentliche Wirkprinzip der Behandlung immer noch nicht vollständig klären. Trotzdem darf diese wirksame Therapieoption vor allem jenen schwer kranken Patienten, die durch andere Behandlungsformen, wie z. B. eine intensive kombinierte Pharmako- und Psychotherapie, keine ausreichende Besserung erfahren haben, nicht vorenthalten werden. Die EKT ist immer noch eine wichtige Therapieoption vor allem zur Behandlung pharmakotherapieresistenter Depressionen. Andere nichtpharmakologische Behandlungen, wie z. B. die transkranielle Magnetstimulation, die Magnetkonvulsionstherapie sowie die Vagus-Nerv-Stimulation, befinden sich noch im Entwicklungs- stadium. Umfassende Aufklärung in Krankenhäusern, aber auch die zunehmend sachlichere Aufklärung in öffentlichen Medien könnten zu einer Entstig- matisierung von psychiatrischen Erkrankungen und speziellen Therapieformen, wie beispielsweise der EKT, führen. Schlüsselwörter: Elektrokonvulsionstherapie, EKT, Depression, antidepressive Therapieverfahren Electroconvulsive Therapy in Depressive Disorders. In spite of recent developments in the pharmacotherapy of depressive disorders and despite of all knowledge concerning efficacious psychotherapeutic options, it is not possible to give up a therapeutic option which was developed 67 years ago. The latency of several weeks until clinical improvement and the non-response rate of approximately 30 % to conventional antidepressant pharmaco- therapy are major problems which are still unresolved. Electroconvulsive therapy (ECT) is a non-pharmacologic biological treatment, which has been proven to be a highly effective treatment option predominantly for depression, but also for schizophrenia in a variety of controlled investigations. This is not only true in acute treatments; ECT can also be used for relapse prevention during maintenance therapies. In addition safety and tolerability of electroconvulsive treatment were enhanced using modified stimulation techniques and due to the progress in modern anesthesia. During the last years in former times absolute contraindications became relative. Thus, today a safe treatment can be offered also to patients with higher somatic risks. Recent research contributed to an enhancement of the knowledge of possible mechanisms of action of ECT and to a safer and well tolerable treatment. The final clarification of the underlying crucial mechanisms still remains unresolved. Nevertheless, this highly effective therapeutic option should not kept back especially from patients who are resistant to other treatments such as combined pharmaco- and psychotherapies. ECT still represents an important option in the treatment of therapy resistant depressions. Other non- pharmacological treatments like repetitive transcranial magnetic stimulation, magnetic seizure therapy and vagus nerve stimulation are currently still under development. Comprehensive information in hospitals but also the growing objective and unbiased information in the press and other media could contribute to fight prejudice and stigma of psychiatric disorders and specific therapies such as ECT. J Neurol Neurochir Psychiatr 2005; 6 (4): 20–8. Key words: electroconvulsive therapy, ECT, depression, antidepressant therapies T rotz aller Fortschritte der letzten Jahre stellt die Thera- pie depressiver Erkrankungen immer noch eine be- trächtliche Herausforderung dar. Ein besonderes Problem Diese entwickelte sich zunächst aus konvulsiven Thera- pieformen, bei denen pflanzliche Präparate, beispielswei- se Helleborin aus der schwarzen Nieswurz (Helleborus der antidepressiven Pharmakotherapie ist eine regelhaft niger), zum Einsatz kamen. Vermutlich ab dem 16. Jahr- auftretende, mehrwöchige Latenz bis zum Eintreten der hundert (Paracelsus), sicher jedoch ab dem 18. Jahrhun- antidepressiven Wirkung bei allen bislang erhältlichen dert (Auenbrugger, Oliver) wurde Kampfer und ab 1934 Präparaten. Die Nichtansprechquote bei antidepressiven Cardiazol (Meduna) verwendet, um die Konvulsionsthera- Pharmakotherapien liegt trotz aller Neuentwicklungen der pie besser steuern zu können. 1938 wurde durch Cerletti letzten Jahre weiterhin bei ca. 30 % [1]. Auch verschiede- und Bini erstmals ein epileptischer Anfall durch elektri- ne neue, derzeit noch experimentelle Therapieverfahren, sche Stimulation ausgelöst, um einen schizophrenen Pati- wie beispielsweise die transkranielle Magnetstimulation, enten zu behandeln (Tab. 1). Da zu dieser Zeit keine ande- konnten diese Quote nicht in klinisch relevanter Weise re somatische Therapie depressiver Erkrankungen etabliert beeinflussen. Die einzigen etablierten biologischen, nicht- war, wurden in den 1940er Jahren auch die ersten depres- pharmakologischen Behandlungsoptionen, die eine schnel- siven Patienten durch eine Elektrokonvulsionstherapie ef- lere antidepressive Wirksamkeit aufweisen, sind bislang fektiv behandelt [2]. Durch die erstmalige Einführung ei- die nur als Augmentationsverfahren eingesetzte Wachthe- ner biologischen Therapie depressiver Erkrankungen rapie und die Elektrokonvulsionstherapie (EKT). konnten die Mortalität und die Rate chronifizierter Erkran- kungen gesenkt werden [3–7]. Nach Etablierung der Aus der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Antidepressiva im Gefolge der Einführung des Imipramins Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, Deutschland (1958) ging die Anwendungshäufigkeit der EKT zurück. Korrespondenzadresse: Dr. med. Thomas C. Baghai, Klinik und Poli- klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der Ludwig- Auch die Einführung der besser verträglichen unilateralen Maximilians-Universität München, D-80336 München, Nußbaum- Stimulation (Goldmann, D’Elia), die Entwicklung von straße 7; E-Mail: baghai@med.uni-muenchen.de Kurzpulsstimulationsgeräten, welche die älteren Sinus- 20 J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 4/2005 For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Tabelle 1: Entwicklung der Elektrokonvulsionstherapie Tabelle 2: Indikationen für eine Elektrokonvulsionstherapie 1934 Ciauzzi Tierexperimentelle Untersuchung der sicheren Therapie der 1. Wahl 1936 Bini Auslösung generalisierter Konvulsionen durch • Febrile Katatonie elektrische Stimulation • Malignes neuroleptisches Syndrom 1938 Cerletti 1. italienischsprachige Publikation über eine • Schwere depressive Episode (mit nicht beherrschbarer Suizidalität, sichere elektrische Krampfauslösung beim psychotischen Symptomen, depressivem Stupor) Menschen • Schizoaffektive und schizophrene Psychosen (mit nicht beherrsch- Bini 1. Publikation in englischer Sprache barer Positivsymptomatik, akuter Selbst- oder Fremdgefährdung, bei Unverträglichkeit einer neuroleptischen Therapie) 1939 Kalinowski Einführung der EKT in den USA • Bekannte Unverträglichkeit von Psychopharmaka bei depressiven und schizophrenen Erkrankungen 1940 Almansi und Durchführung der 1. EKT in den USA (New York) Impastato Therapie der 2. Wahl • Therapieresistente Depression Goldman Durchführung der 1. EKT mit unilateraler Stimu- lation • Therapieresistente schizoaffektive Störung • Therapieresistente Schizophrenie 1983 D’Elia Weiterentwicklung der unilateralen Stimulation; • Therapieresistente Manie Einführung von Allgemeinanästhesie und Mus- • Therapieresistentes depressives Syndrom oder psychotische Sympto- kelrelaxation me bei organischer Grunderkrankung Ultima ratio wellenstimulatoren abgelöst haben, sowie die regelhafte • Therapieresistentes Zwangssyndrom Anwendung der Allgemeinanästhesie mit Muskelrelaxa- • Dyskinesien tion veränderte trotz besserer Verträglichkeit und erhöh- • Therapieresistentes Gilles-de-la-Tourette-Syndrom ter Sicherheit der Behandlung diesen Trend nicht. Wei- • Epilepsie terhin blieb jedoch über viele Jahre die Wirksamkeit der • M. Parkinson EKT in der Therapie depressiver Erkrankungen ein Maßstab zur Beurteilung der Wirksamkeit einer Pharmakotherapie [2]. der Behandlung entstanden sind. Auch als Therapie der zweiten Wahl, bei pharmakotherapieresistenten psychia- Nach diesen Entwicklungsschritten kann daher die EKT als trischen Störungen, wird sie häufig zu spät bei der Aus- die gezielte Auslösung einer Behandlungsserie generali- wahl möglicher Therapiealternativen berücksichtigt. Indi- sierter zerebraler Krampfanfälle unter kontrollierten Bedin- kation der ersten Wahl ist die EKT heutzutage nur noch gungen definiert werden. Es ist heute klinischer Standard, selten, am häufigsten wird sie bei pharmakotherapieresi- diese Stimulation bei Allgemeinanästhesie und Muskel- stenten psychiatrischen Störungsbildern eingesetzt. Aus relaxation sowie mit Kurzpulsstimulationsgeräten durch- klinischer Sicht kommt sie aber trotz fehlender kontrollier- zuführen. ter Untersuchungen auch bei einigen psychiatrischen und neurologischen Krankheitsbildern als ultima ratio in Frage. Wirkmechanismen Eine Übersicht der derzeit üblichen Indikationen ist Tabel- le 2 zu entnehmen. Durch wiederholte Induktion von Grand-mal-Anfällen im Rahmen einer EKT kommt es zu Veränderungen der sero- Therapie der ersten Wahl tonergen, adrenergen, dopaminergen, cholinergen, GABA- Nur selten wird EKT als Therapie der ersten Wahl einge- ergen und glutamatergen Neurotransmission. Die Konzen- setzt, bei Vorliegen eines depressiven Stupors kann aller- trationen von Adenosin, endogenen Opioiden, Neurotro- dings eine vitale Indikation ähnlich einer perniziösen Ka- phinen und Neuropeptiden verändern sich. Hormone der tatonie vorliegen. Diese Patienten sind aufgrund der Ver- Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen- und -Neben- weigerung von Flüssigkeit und Nahrung, sowie aufgrund nieren-Achse sind in veränderter Konzentration meßbar. der Bettlägerigkeit durch eine erhöhte Thromboseneigung, Beispielsweise wird nach akuter Stimulation der Kortisol- vital gefährdet. Die Zufuhr von Flüssigkeit und Nahrung Sekretion durch eine EKT der häufig bei depressiven Pati- über eine Magensonde oder auf parenteralem Weg ist enten beobachtete Hyperkortisolismus langfristig reduziert langfristig nicht immer problemlos möglich. Da die Durch- und normalisiert. Zusätzlich lassen sich Veränderungen führung einer EKT die schnellste und hinsichtlich der Effi- bei Transkriptionsfaktoren, Mediatoren, Second- und Third- zienz der Behandlung auch sicherste Möglichkeit ist, die- Messenger-Systemen nachweisen (Übersicht in [8]). Wel- sen Patienten zu helfen [9], muß sie bei der Therapiepla- che dieser vielfältigen Veränderungen im einzelnen oder nung in Erwägung gezogen werden. Auch eine vitale Be- in Kombination die Effektivität der EKT bei der Behand- drohung durch akute und manchmal auch im Rahmen be- lung depressiver Erkrankungen bedingen, ist trotz intensi- schützter Stationen kaum zu kontrollierende Suizidalität ver wissenschaftlicher Bemühungen bislang noch nicht kann eine Indikation zur Durchführung einer EKT vor an- geklärt. deren Therapiemaßnahmen darstellen [2]. Indikationen Weiterhin kann bei Unverträglichkeit einer antidepressi- ven Pharmakotherapie bzw. bei Unverträglichkeit einer Indikation für eine EKT ist meist die Akutbehandlung phar- neuroleptischen Therapie bei einer schweren Depression makotherapieresistenter psychiatrischer Krankheitsbilder. mit psychotischen Symptomen die EKT eine raschere und Im Gegensatz zur Anwendung in den USA, in Großbritan- gefahrlosere Therapieoption im Vergleich zur alleinigen nien und in den skandinavischen Ländern wird die EKT in Pharmakotherapie darstellen. Die Durchführung einer EKT Deutschland derzeit nur selten als Therapie der ersten kann auch bei zusätzlich schwer somatisch erkrankten Wahl eingesetzt. Ursache dafür sind häufig Vorurteile, die Patienten eine verträglichere und sichere therapeutische durch Unkenntnis der zeitgemäßen Art der Durchführung Intervention sein [10–12]. J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 4/2005 21
Trotzdem muß bei der aktuell im deutschen Sprachraum Kontraindikationen üblichen Verordnungspraxis die Frage gestellt werden, ob das Angebot, eine EKT durchzuführen, auf Patienten be- Absolute Kontraindikationen für die Durchführung einer schränkt bleiben soll, die unter einer schweren pharmako- EKT gibt es derzeit durch die Weiterentwicklung anästhe- therapieresistenten Depression leiden oder zusätzlich so- siologischer Methoden nicht mehr. Entscheidend für eine matisch schwer erkrankt sind. Durch dieses Prinzip der sichere Durchführung der Behandlung ist aber weiterhin eingeschränkten Indikationsstellung wird vor allem Pati- die Narkosefähigkeit der Patienten. Generell muß vor je- enten, die noch nicht unter einer Chronifizierung ihrer Er- der Behandlung eine individuelle Nutzen-Risiko-Analyse krankung leiden, die nachweislich wirksamste Therapie- durchgeführt werden, bei der die interdisziplinäre Zusam- möglichkeit ihrer Depression zunächst für mehrere Wo- menarbeit der Fächer Psychiatrie, Anästhesie und gege- chen bis Monate vorenthalten. Es wird vermutet, daß in benenfalls auch der Inneren Medizin, Neurologie, Neurochir- Deutschland nur jeder 25. Patient, bei dem eine EKT indi- urgie, Chirurgie und Orthopädie von entscheidender Bedeu- ziert wäre, diese Behandlung auch erhält [13, 14]. Gerade tung ist. Ein erhöhtes somatisches und Anästhesierisiko bei depressiven Erkrankungen sind Dauer und Chronizität muß der Risikoerhöhung durch die Verzögerung einer aller der Indexepisode ein negativer Prädiktor des weiteren Wahrscheinlichkeit nach effektiven Behandlung der psy- Krankheitsverlaufes hinsichtlich der Entwicklung einer chiatrischen Grunderkrankung gegenübergestellt werden. Therapieresistenz, sowohl gegenüber einer Pharmakothe- Patienten und Angehörige müssen über erhöhte somati- rapie als auch gegenüber einer EKT [15–17]. Daher sollte sche und psychiatrische Risiken umfassend aufgeklärt wer- jedem geeigneten Patienten das Angebot, eine EKT durch- den. Eine Übersicht somatischer Faktoren, die eine Risiko- führen zu lassen, frühzeitig zur Verfügung stehen. erhöhung bedingen können, ist in Tabelle 3 zusammenge- stellt. Therapie der zweiten Wahl Die häufigste Indikationsstellung zur Elektrokonvulsions- therapie bei depressiven Patienten ist die Antidepressiva- Wirksamkeit bei depressiven Erkrankungen resistenz [18–21]. Obwohl es keine verbindlich festgeleg- ten Definitionen gibt, kann von einer Pharmakotherapie- Depressive Episoden bei bipolaren affektiven Störungen resistenz ausgegangen werden, wenn zwei mindestens (ICD-10: F31.3–F31.5) 4wöchige Phasen einer medikamentösen antidepressiven Die EKT ist eine effektive biologische Therapieform, die Behandlung unterschiedlicher pharmakologischer Wirk- zur Behandlung depressiver Episoden gut geeignet ist. Ob prinzipien in ausreichend hoher Dosierung ohne therapeu- diese im Rahmen einer bipolaren Störung oder im Rahmen tischen Effekt verstrichen sind [20, 22]. Sinnvoll ist auch einer monopolaren Depression auftreten, scheint für die die Integration von Augmentationsverfahren, vor allem der Effektivität der Behandlung keine wesentliche Rolle zu Lithiumaugmentation in diese Definition. Allerdings wird spielen [2]. Wie bei jedem effizienten antidepressiven in Deutschland selbst in Kliniken mit umfangreichen EKT- Therapieverfahren ist allerdings ein erhöhtes „Switch-Risi- Erfahrungen die Indikation zur EKT nur selten direkt nach ko“ mit einem möglichen Stimmungsumschlag in ein hypo- dem Erreichen der Kriterien der Pharmakotherapieresistenz, manes oder manisches Syndrom zu beachten [32, 33]. Im sondern meist sehr viel später als es der Zeitrahmen dieser Gegensatz zu einer antidepressiven Pharmakotherapie Definition vermuten läßt, gestellt. Bei Einsatz der EKT bei kann jedoch in diesem Falle die Behandlungsserie fortge- dieser Patientengruppe ist die Responserate etwas niedri- setzt werden, da dann die antimanische Wirksamkeit der ger als bei Verwendung der EKT als Primärtherapie [17, 18], EKT zum Tragen kommt. Außerdem kann es trotz mög- jedoch immer noch deutlich höher als bei alleiniger phar- makotherapeutischer Intervention [23–25]. Dies gilt vor allem auch bei Depressionen mit psychotischen Sympto- Tabelle 3: Relative Kontraindikationen für eine Elektrokonvulsionstherapie men, selbst wenn eine adäquate antidepressive und antipsy- • Erhöhter Hirndruck* chotische Pharmakotherapie durchgeführt wurde [26, 27]. • Frischer Hirninfarkt (nicht älter als 3 Monate)* • Frischer Myokardinfarkt (nicht älter als 3 Monate)* Ebenso können nicht tolerable, unerwünschte Arzneimit- • Intrazerebrale Raumforderung mit Begleitödem* telwirkungen und Interaktionen einer Pharmakotherapie • Lebensbedrohliches Anästhesierisiko* mit somatischen Begleiterkrankungen oder einer somati- • Kardiovaskuläre Erkrankungen (Herzrhythmusstörungen, instabile schen Begleitmedikation Gründe für die Umstellung der Angina pectoris, Z. n. Myokardinfarkt, Herzklappenfehler, Herz- antidepressiven Therapie auf eine EKT sein [2, 28]. Eine insuffizienz, schwer beherrschbare Hyper- oder Hypotonie, Symptomverschlechterung unter einer antidepressiven Aortenaneurysma) Pharmakotherapie mit neu auftretender oder intensivierter • Andere internistische Erkrankungen (Blutgerinnungsstörung, Suizidalität kann auch eine Indikation für eine Behand- schwere Lebererkrankung, schwere pulmonale Erkrankungen, Phäochromozytom) lungsumstellung und gegebenenfalls für die Durchführung • Neurologische Erkrankungen (Hirntumoren, intrakranielle Blutungen, einer EKT sein [2]. vaskuläre Malformationen, zerebrale Ischämien, entzündliche ZNS- Erkrankungen, Hydrozephalus, dementielle Erkrankungen, Basal- Erhaltungstherapie und Rückfallprophylaxe ganglienerkrankungen, Z. n. Kraniotomie, Z. n. schwerem Schädel- Die längerfristige Durchführung einer EKT im Sinne einer Hirn-Trauma) Erhaltungstherapie oder Rezidivprophylaxe sollte in Erwä- • Orthopädische Erkrankungen (Osteoporose) gung gezogen werden, wenn eine alleinige pharmako- • Ösophagushernie (Erhöhtes Anästhesierisiko bei Maskenbeatmung) therapeutische und psychotherapeutische Stabilisierung • Begleittherapie mit Pharmaka, welche das EKT-Risiko erhöhen oder nicht ausreicht, um einen weitgehend symptomfreien oder die EKT-Wirksamkeit vermindern können (Antikoagulation, Lithium- therapie, Therapie mit MAO-Hemmern, Venlafaxin-Hochdosis- symptomarmen psychopathologischen Befund zu erhal- therapie, Antikonvulsiva-Therapie, Benzodiazepin-Therapie, Theo- ten. Auch wenn aus der individuellen Krankengeschichte phyllin-Therapie) eines Patienten ein solches Nichtansprechen bereits be- kannt und zu erwarten ist, kommt die Durchführung einer * Früher als absolute Kontraindikation betrachtet; individuelle interdis- ziplinäre Nutzen-Risiko-Analyse erforderlich Erhaltungs-EKT in Frage [29–31]. 22 J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 4/2005
licher Unverträglichkeiten klinisch sinnvoll sein, durch makotherapieresistenten Depressionen vorbehalten bleibt, eine Kombinationstherapie mit Lithiumsalzen das erhöhte wurden vor der EKT mindestens zwei adäquate antidepres- Switch-Risiko zu senken [34]. Auch der kombinierte Ein- sive Pharmakotherapieversuche, meist einschließlich einer satz von Antiepileptika wie z. B. Valproat oder Carbama- Lithiumaugmentation, durchgeführt. Bei Vorliegen psycho- zepin als Stimmungsstabilisierer kann trotz der antikonvul- tischer Symptome kann außerdem davon ausgegangen siven Eigenschaft dieser Präparate in Erwägung gezogen werden, daß auch die Kombination eines Neuroleptikums werden, da die Durchführung einer erfolgreichen EKT mit einem Antidepressivum verabreicht wurde. Parallel trotzdem möglich ist [35–37]. fanden adäquate psychotherapeutische Bemühungen statt. Depressive Episoden und rezidivierende depressive Stö- Die Ansprechraten eines solchen Patientenklientels auf rungen (F32–F33) eine EKT werden meist mit 50–60 % angegeben [18, 51] Offene und retrospektive Studien hatten nach Durchfüh- und erreichen, wie aus einer Übersichtsarbeit von Dietz- rung einer EKT Ansprechraten von 80–90 % berichtet [2]. felbinger et al. (1990) [13] ersichtlich ist, teilweise sogar 1964 wurde erstmals eine kontrollierte, doppelblinde Stu- 100 %. In einer Untersuchung von DeCarolis (1964) wur- die publiziert, in der eine signifikante Überlegenheit der den bei wenigen antidepressivaresistenten Patienten, die EKT sowohl gegenüber einer Behandlung mit Placebo als auf eine 4wöchige Imipramin-Therapie nicht respondiert auch gegenüber der Behandlung mit trizyklischen Antide- hatten, EKT-Ansprechraten zwischen 83 % und 85 % fest- pressiva gezeigt werden konnte [38]. Weitere kontrollierte gestellt [52]. Erhalten Patienten, welche das Kriterium der Untersuchungen kamen zu dem gleichen Ergebnis [2, 9, Pharmakotherapieresistenz nicht erfüllen, eine EKT als 39]. Eine mindestens ebenbürtige Wirksamkeit der EKT im Therapie der ersten Wahl, so steigt die Ansprechrate auf Vergleich zu trizyklischen Antidepressiva [23, 40] sowie über 80–90 % [17, 18]. Diese Ansprechrate wird derzeit zu Monoaminooxidase- (MAO-) Hemmern [23] wurde in von keiner antidepressiven Pharmakotherapie erreicht. weiteren Untersuchungen publiziert. In einer Metaanalyse berichtete Janicak (1985) [41] von einer um 20 % besseren Auch der Zeitablauf einer antidepressiven Pharmakothera- Wirksamkeit der EKT im Vergleich zu trizyklischen Antide- pie unterscheidet sich vom Verlauf einer EKT-Behandlungs- pressiva sowie von einer 45 % besseren Wirksamkeit im serie. Üblicherweise verstreichen ca. 4–6 Wochen, bis bei Vergleich zu MAO-Hemmern. Allerdings muß einschrän- gutem Ansprechen auf eine Pharmakotherapie eine voll- kend erwähnt werden, daß die Kriterien der Durchführung ständige Remission erreicht ist [53, 54]. Im Gegensatz da- einer effizienten Pharmakotherapie nach gegenwärtigem zu benötigt man bei Durchführung einer EKT, vor allem bei Kenntnisstand von vielen dieser Untersuchungen nicht er- frühzeitigem Einsatz bei noch nicht therapieresistenter reicht werden [42]. Therapieempfehlungen für eine ad- Depression, 8–9 Behandlungen [18, 55] bis zum Erreichen äquate antidepressive Pharmakotherapie haben sich seither einer ausreichenden Remission. Dies entspricht bei drei hinsichtlich der Dosierungen, der Dauer der Behandlun- Behandlungssitzungen pro Woche einem Zeitraum von bis gen, möglicher Kombinationstherapien und eines geeigne- zu drei Wochen. Somit ist im Vergleich zu einer pharmako- ten Monitorings der Plasmaspiegel verändert [17, 43, 44]. logischen Therapie bei Durchführung einer EKT mit einem Methodische Schwierigkeiten der Untersuchungen, wel- schnelleren Ansprechen zu rechnen [56]. Allerdings ist bei che die EKT direkt mit einer Pharmakotherapie verglei- den Patienten mit antidepressivaresistenter Depression bis chen, werden außerdem in einer Übersicht bei Abrams zu einer vollständigen Remission meist von deutlich län- (1982) [45] dargestellt. Auch der Effizienzvergleich einer geren Zeiten auszugehen. Manchmal ist speziell bei diesen EKT mit einer Lithiumaugmentation bei Patienten mit Patienten während eines längeren stationären Aufenthalts trizyklikaresistenter Depression erbrachte eine identische lediglich ein gutes Ansprechen auf die Therapie mit deutli- Effektivität [46]. Hinsichtlich der Geschwindigkeit des the- cher Symptomreduktion auf unter 50 % des Ausgangs- rapeutischen Ansprechens war in dieser Studie die Kombi- niveaus, jedoch keine vollständige Remission zu erreichen. nation eines Trizyklikums mit Lithium von Vorteil. Zu einer vollständigen Remission kommt es häufig erst nach mehrmonatiger pharmakologischer Anschlußbehand- Kontrollierte Vergleiche der Wirksamkeit der EKT mit lung, manchmal erst nach Entlassung aus der Klinik. neueren Antidepressiva sind kaum zu finden, lediglich im Vergleich zu einer Therapie mit Paroxetin [25] erschien Anhaltende affektive Störungen (F34), „Double Depres- die EKT bei Patienten mit einer antidepressivaresistenten sion“ (F34.1 und gleichzeitig F32 oder F33) Depression im Vorteil. Allerdings wurde die schlechtere Eine „neurotische Depression“ oder eine reine Dysthymie Wirksamkeit einer Monotherapie mit selektiven Serotonin- nach aktueller Nomenklatur [57, 58] spricht nicht auf eine wiederaufnahmehemmern im Vergleich zu trizyklischen EKT an [2]. Allerdings ist bei Vorliegen der Kriterien einer Antidepressiva gerade bei dieser Patientengruppe trotz depressiven Episode oder einer rezidivierenden depressi- teilweise kontroverser Meinungen mehrfach publiziert ven Störung (F32–F33) eine Dysthymie in der Vorge- [47, 48]. Kontrollierte Studien einer EKT im Vergleich zu schichte kein negativer Prädiktor für das Ansprechen auf modernen Antidepressiva, welche durch einen dualen die Behandlung [2]. Wirkmechanismus gerade bei schweren und gegebenen- falls auch bei bis dahin therapieresistenten Depressionen Zwangsstörung (F42) eingesetzt werden, gibt es bislang nicht. Allerdings fanden Bei Patienten mit einer therapieresistenten Zwangsstörung sich in retrospektiven Untersuchungen Hinweise darauf, kann man vor allem dann ein Ansprechen auf eine EKT daß auch eine Begleitpharmakotherapie mit Mirtazapin erwarten, wenn gleichzeitig zu Zwangssymptomen eine oder mit selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern starke affektive Komponente der Erkrankung vorliegt [59, klinisch von Vorteil sein kann [49, 50]. 60]. Allerdings wurden auch gute Erfolge der EKT in der Erhaltungstherapie einer Zwangsstörung berichtet [30]. Bei Beurteilung der Wirksamkeit einer EKT bei unipolaren Depressionen muß die heute in Europa übliche Verord- Persönlichkeitsstörung (F60) nungspraxis und Indikationsstellung berücksichtigt wer- Patienten mit einer komorbiden Persönlichkeitsstörung, den. Da diese Behandlungsform meist Patienten mit phar- welche die diagnostischen Kriterien einer depressiven Epi- J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 4/2005 23
sode oder einer rezidivierenden depressiven Störung erfül- Wenige Minuten nach dem Einleiten der Narkose erwa- len, sollte die EKT nicht generell vorenthalten werden [2]. chen die Patienten und werden, bis sie wieder vollständig Allerdings muß mit einer deutlich verringerten Ansprech- bei Bewußtsein sind, noch für ca. 30 Minuten im Aufwach- rate gerechnet werden [61, 62]. Dem muß bei der Aufklä- raum hinsichtlich der Vitalparameter (Blutdruck, Puls, rung dieser Patienten Rechnung getragen werden. Atmung, Sauerstoffsättigung) überwacht, danach findet eine ca. 2- bis 3stündige Überwachung von Blutdruck und Organische depressive Störung (F06.3) Puls auf der Station statt. Im Anschluß daran nehmen die Patienten, welche unter einer „sekundären Depression“ Patienten ohne Einschränkungen am üblichen Therapie- als Folge einer organischen Erkrankung leiden, sprechen programm der Klinik teil. generell auf rein symptomatische biologische Therapiefor- men, zu denen auch die EKT zählt, schlechter an, als Pati- Sicherheit, Verträglichkeit und enten mit einer „primären Depression“, d. h. einer depres- unerwünschte Wirkungen siven Episode oder einer rezidivierenden depressiven Stö- rung [63–67]. Allerdings scheint die Durchführung einer Generell ist die EKT als eine sehr gut verträgliche Therapie EKT bei Patienten mit einem Zustand nach einem Schlag- mit einem niedrigen Risiko für schwerere Komplikationen anfall („poststroke depression“) insgesamt eine relativ gute zu betrachten [39]. Die Rate an schweren Nebenwirkun- Effektivität zu besitzen [68–70]. gen bzw. die Mortalitätsrate sind bei Durchführung einer EKT niedriger als bei einer Pharmakotherapie mit bei- Praktische Durchführung spielsweise trizyklischen Antidepressiva [2]. Das Risiko einer schweren Komplikation [39] bzw. die Mortalitätsrate Alle Patienten werden nach Indikationsstellung vom bei Durchführung einer EKT [71, 72] wird mit 1:50.000 bis behandelnden Arzt über die Möglichkeit der Durchfüh- 1:25.000 Behandlungen angegeben. Bei 1:10.000 Patien- rung einer EKT mündlich und schriftlich aufgeklärt. Sie ten kann es zu schwerwiegenderen Komplikationen kom- erhalten die Gelegenheit, sich das Therapieverfahren men [2]. Damit liegt die Rate nicht höher als das allgemei- genauer erläutern zu lassen und Fragen zu stellen. Das ne Narkoserisiko bei kleineren operativen Eingriffen und Ziel der Therapie, die Durchführung, mögliche uner- niedriger als das Mortalitätsrisiko bei Geburten [39, 52, wünschte Wirkungen und therapeutische Alternativen 73]. Die EKT ist damit eine der sichersten medizinischen werden umfassend erläutert. Anschließend muß vor der Behandlungen unter Narkose. Therapie das informierte Einverständnis durch Unterschrift schriftlich bekundet werden. Vor Durchführung einer Seltene Zwischenfälle können meist mit der Narkose zu- EKT erfolgt zunächst analog einer Operationsvorbereitung sammenhängende kardiovaskuläre Komplikationen sein. eine sorgfältige internistische, neurologische und psy- Solche Risiken werden jedoch durch eine sorgfältige Vor- chiatrische Voruntersuchung. Zusätzlich werden je nach untersuchung minimiert. Des weiteren können verlängerte Alter und Vorerkrankungen der Patienten häufig Röntgen- Krampfanfälle bis hin zum Status epilepticus auftreten [74, bilder des Brustkorbs sowie der Wirbelsäule angefertigt. 75], wobei dieses Risiko vermutlich durch eine gleichzeiti- Weiterhin erfolgt die Ableitung eines aktuellen Elektro- ge Gabe von Theophyllin, die vermieden werden sollte, kardiogramms (EKG) zur Beurteilung der Herzfunktion. erhöht werden kann [76–78]. Derart verlängerte Krampf- Eine umfangreiche Kontrolle verschiedener Laborpara- anfälle werden jedoch gemäß der klinisch üblichen anti- meter wird durchgeführt. Eine mündliche und schriftliche konvulsiven Therapie behandelt und damit beendet. Daß anästhesiologische Aufklärung über die mehrfach durch- auch behandlungsbedürftige nichtkonvulsive Anfälle auf- zuführende Kurznarkose mit Muskelrelaxation findet ge- treten können, zeigt, wie wichtig ein therapiebegleitendes sondert statt. EEG-Monitoring ist [74, 79]. Da eine begleitende Lithium- therapie eine Verlängerung der Wirkung von Muskelrela- Die lege artis durchgeführte EKT besteht aus einer Serie xanzien an den motorischen Endplatten [80, 81] auch der von 6–12 Einzelbehandlungen, wobei im Durchschnitt Atemmuskulatur bedingen kann, wird empfohlen, auf eine 2–3 Behandlungen pro Woche stattfinden. Jede einzelne solche Begleitbehandlung nach Möglichkeit zu verzich- Behandlungssitzung wird von einem speziell dafür ausge- ten. Bei Eintreten dieser Komplikation ist jedoch durch bildeten Psychiater im Beisein von Anästhesisten durchge- eine verlängerte Beatmung mit anschließender Überwa- führt. Nach Vorbereitung der Patienten (Überwachungs- chung der Atemfunktion (Pulsoxymeter) eine Hypoxiege- monitor zur Erfassung von EKG, Pulsfrequenz, Blutdruck, fahr für die behandelten Patienten abzuwenden. Ein früher Sauerstoffsättigung im Blut) wird eine Kurznarkose durch von den Patienten häufiger nach der Behandlung beklagter intravenöse Gabe eines Injektionsnarkotikums eingeleitet, Muskelschmerz ähnlich eines „Muskelkaters“ war auf die anschließend wird ein Muskelrelaxans injiziert. Nach Er- Durchführung der Therapie ohne Muskelrelaxation zu- reichen der Bewußtlosigkeit im Rahmen der Narkose wird rückzuführen und wird nur noch in seltenen Ausnahmefäl- meist eine Maskenbeatmung durchgeführt. Anschließend len und in deutlich abgeschwächter Form beobachtet, da wird vom behandelnden Psychiater nach Ableitung eines eine suffiziente pharmakologische Muskelrelaxation heute Ruhe-Elektroenzephalogramms (EEG) durch meist unilate- klinischer Standard ist. Bei bis zu 45 % der Patienten kann rale elektrische Kurzpulsstimulation (Impulsbreite: 0,5 ms; es zu postiktalen Kopfschmerzen kommen, welche mit den Energie: 5–200 J) über 0,5–8 Sekunden ein generalisierter üblichen Schmerzmitteln Acetylsalicylsäure oder Para- Krampfanfall ausgelöst. Der Krampfanfall selbst ist durch cetamol meist gut behandelt werden können. Bei Patien- die zuvor eingeleitete Muskelrelaxation häufig kaum zu ten mit positiver Migräneanamnese kann es nach einer sehen, die Dauer des Anfalls wird durch ein EEG- und Therapiesitzung zu stärkeren Kopfschmerzen kommen. Elektromyogramm-Monitoring überwacht. Der Krampfan- Hier haben sich Triptane, z. B. Sumatriptan oral oder als fall ist selbstlimitierend und dauert meist 30–90 Sekunden. Nasenspray appliziert, therapeutisch bewährt [82]. Eine Im Falle eines sehr selten vorkommenden prolongierten nach Narkosen selten auftretende Übelkeit kann mit Anfalls wird dieser durch Injektion eines Antikonvulsi- Metoclopramid gut behandelt werden. Bei Patienten, die vums oder eines antikonvulsiv wirkenden Anästhetikums unter einer bipolaren affektiven Störung leiden, kann es beendet. durch eine EKT zu einem Umschlagen des Affekts in eine 24 J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 4/2005
Hypomanie [33] oder ein manisches Syndrom kommen dieser Methode beschreiben [107]. Darüber hinaus wurde („Switch“ in die Manie) [83, 84]. Diese unerwünschte Wir- eine um 20 % bessere Wirksamkeit im Vergleich zu tri- kung kann jedoch im Rahmen einer EKT wie bei jedem an- zyklischen Antidepressiva, eine um 45 % bessere Wirk- deren hochwirksamen antidepressiven Therapieverfahren samkeit im Vergleich zu MAO-Hemmern [41] und eine auch auftreten [85]. In Einzelfällen mit diesbezüglich er- bessere Wirksamkeit im Vergleich zu dem SSRI Paroxetin höhtem Risiko kann eine Lithiumbegleitbehandlung [85] [25] publiziert. Zudem wurde im Vergleich zu Pharmako- oder der Einsatz anderer Stimmungsstabilisatoren wie z. B. therapien ein schnelleres Therapieansprechen berichtet Valproat oder Carbamazepin [35] dieses Risiko vermin- [18, 55]. Bei Patienten, die nicht das Kriterium der Phar- dern. makotherapieresistenz erfüllen, ist mit deutlich höheren Responseraten (bis zu 90 %) als bei pharmakotherapeuti- Unerwünschte Wirkungen einer EKT können auch vor- schen Interventionen (bis zu 70 %) zu rechnen [17, 18]. übergehende kognitive Störungen sein [2]. Diese können Bei pharmakotherapieresistenten Depressionen kann bei ca. einem Drittel der Patienten auftreten [86]. Hierbei durch eine EKT eine Ansprechrate von 50–60 % erreicht können ein postiktales delirantes Syndrom mit einer ver- werden [51]. Frühere Arbeiten zeigten eine Überlegenheit längerten postiktalen Orientierungsphase von Störungen der bilateralen EKT im Vergleich zur unilateralen Stimula- der Merkfähigkeit unterschieden werden. Diese können in tion [56, 108]. Wenn die Behandlungsbedingungen aber einer häufiger zu beobachtenden anterograden Amnesie, eine höhere Stimulationsenergie erlauben, sind beide Be- d. h. in einer Verminderung der Fähigkeit, sich neue Lern- handlungsformen hinsichtlich der Wirksamkeit, aber auch inhalte zu merken, oder in einer retrograden Amnesie, in hinsichtlich unerwünschter Wirkungen als gleichwertig der Störung der Erinnerungsfähigkeit an kürzlich zurück- anzusehen [51]. Typische unerwünschte Wirkungen nach liegende Ereignisse, bestehen. Davon können wiederum EKT sind vorübergehende kognitive Störungen mit einer Effekte auf das autobiographische und das übrige Lang- Störung des Kurzzeitgedächtnisses, die bei bis zu 30 % der zeitgedächtnis [87] unterschieden werden. Manche Pati- behandelten Patienten auftreten können [86], sowie nega- enten klagen auch über subjektive Gedächtnisstörungen, tive Effekte auf das autobiographische Langzeitgedächtnis die nicht psychometrisch erfaßbar sind. Außerdem kann es [87]. Daher bestehen die neuesten Fortschritte der Be- zu kognitiven Effekten kommen, die nicht auf einer Ge- handlungstechnik vor allem in der Kombination einer gu- dächtnisstörung beruhen (z. B. Konzentrationsstörungen, ten therapeutischen Effizienz mit einer besseren Verträg- Aufmerksamkeitsdefizit). Im Einzelfall kann es jedoch sehr lichkeit vor allem hinsichtlich kognitiver Störungen. Die schwierig sein, mögliche kognitive Wirkungen einer EKT Nutzung der Kurzpulsstimulationstechnik ist daher obliga- von Symptomen der Grunderkrankung Depression zu un- torisch. Zudem können aufgrund anästhesiologischer Fort- terscheiden, da hier viele Parallelen beobachtet werden schritte auch Patienten mit speziellen somatischen Risi- können [88, 89]. Es ist daher nicht selten, daß Patienten ken, für die früher noch absolute Kontraindikationen gal- nach einer EKT-Serie und nach klinischer Besserung der ten, ebenfalls einer sicheren EKT zugeführt werden. depressiven Symptomatik auch eine deutliche Verbesse- rung kognitiver Funktionen berichten [90]. Magnetkonvulsionstherapie (MKT) Die MKT ist die Induktion generalisierter zerebraler Krampf- Da die Rate an unerwünschten Wirkungen von den Stimu- anfälle zu therapeutischen Zwecken mittels einer repeti- lationsbedingungen abhängt [69, 91, 92], wurde dieses tiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS). Es wird Risiko durch die modifizierte EKT-Durchführung (unilate- postuliert, daß die MKT eine neue Art der Konvulsions- rale oder bifrontale [93] Kurzimpulsstimulation, Narkose therapie darstellt, die bei ähnlich guter therapeutischer Ef- mit Muskelrelaxation und ausreichender Oxygenierung) fizienz ein besseres Nebenwirkungsprofil im Vergleich deutlich reduziert [51, 55, 94, 95]. Wenn dennoch Störun- zur EKT aufweisen könnte [109]. Bis heute gibt es aller- gen der Gedächtnisfunktion auftreten, sind diese jedoch dings nur wenige Berichte über den Einsatz der MKT bei innerhalb von 1–4 Wochen nach der Behandlungsserie depressiven Patienten. Der erste MKT-behandelte Patient rasch rückbildungsfähig [96] und halten nur bei wenigen erhielt vier Behandlungen und zeigte eine 50%ige Verrin- Patienten länger als vier Wochen nach Beendigung der gerung in Depressionsratingskalen, bevor eine EKT-Serie EKT-Serie an. In Follow-up-Untersuchungen zeigte sich, begonnen wurde [110]. Ein zweiter Fallbericht beschreibt daß im Verlauf einer EKT-Serie aufgetretene kognitive Ne- eine ebenfalls gute antidepressive Wirksamkeit bei weni- benwirkungen vollständig reversibel [97–99] oder im Ver- gen unerwünschten Wirkungen [111]. Eine kürzlich publi- gleich zum Zeitintervall direkt vor EKT verbessert waren zierte Vergleichsstudie zeigte im Vergleich zur EKT eine [100]. Teilweise wurde jedoch bei älteren Patienten, wel- gute Anwendbarkeit bei besserer Verträglichkeit [112]. Die che früher eine EKT erhalten hatten, eine im Vergleich zu Effektivität dieses neuen Verfahrens wurde jedoch bislang einer Kontrollgruppe schlechtere kognitive Leistungsfähig- noch nicht in kontrollierten Studien belegt, zudem sind keit gemessen [101]. In vielfachen Einzelfallberichten, bislang die technischen Voraussetzungen für eine Routine- Fallserien und kontrollierten Studien konnte jedoch belegt behandlung noch nicht gegeben. Daher ist die MKT zur werden, daß es durch die Durchführung einer EKT zu kei- Zeit noch experimentellen Behandlungen an spezialisier- nen dauerhaften funktionellen [102, 103] und zu keinen ten Zentren vorbehalten. strukturellen Schädigungen des zentralen Nervensystems kommt [104–106]. Repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) Seit den ersten Fallberichten über eine antidepressive Aktuelle Entwicklungen und Wirksamkeit dieses ursprünglich aus der neurologischen neue Therapieverfahren Diagnostik stammenden Verfahrens gibt es immer mehr Hinweise darauf, daß die rTMS für die Behandlung von Aktueller Stand der Elektrokonvulsionstherapie Patienten mit nichtpsychotischen Depressionen geeignet Seit der ersten Publikation einer placebokontrollierten sein könnte [113]. Für einen genauen Überblick über den Doppelblindstudie über die Effizienz der EKT in der De- aktuellen Stand der Erkenntnisse sei auf zwei Übersichts- pressionsbehandlung [38] ist eine Vielzahl ähnlicher Be- arbeiten von Hajak et al. [114] und Padberg et al. verwiesen richte erschienen, die eine gute therapeutische Effektivität [115]. Inzwischen gibt es weitere Hinweise auf die Wirk- J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 4/2005 25
samkeit dieses Therapieverfahrens gerade bei pharmako- 12. Beliles K, Stoudemire A. Psychopharmacologic treatment of depres- therapieresistenten Depressionen [116, 117]. Auch eine sion in the medically ill. Psychosomatics 1998; 39: S2–S19. beschleunigte antidepressive Wirkung einer Amitriptylin- 13. Dietzfelbinger T, Möller HJ, Steinmeier EM, Fimmers R. Elektro- krampftherapie als Ultima ratio bei Antidepressiva-Nonrespondern. behandlung wurde beobachtet [113]. Trotzdem sollten vor In: Möller HJ (ed). Therapieresistenz unter Antidepressiva-Behand- Einführung dieser bislang noch experimentellen Behand- lung. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, 1990; 176–85. lungsoption in die klinische Routine, vor allem bei Einsatz 14. Sauer H, Lauter H. [Electroconvulsive therapy. II. Indications, contra- in Form einer Monotherapie, weitere systematische, pla- indications and therapeutic technics of electroconvulsive therapy]. cebokontrollierte Untersuchungen mit ausreichender Fall- Nervenarzt 1987; 58: 210–8. zahl sowie weitere systematische Untersuchungen der Sti- 15. Black DW, Winokur G, Nasrallah A. Illness duration and acute re- sponse in major depression. Convuls Ther 1989; 5: 338–43. mulationsbedingungen erfolgen [113]. 16. Prudic J, Devanand DP, Sackeim HA, Decina P, Kerr B. Relative re- sponse of endogenous and non-endogenous symptoms to electro- Vagus-Nerv-Stimulation (VNS) convulsive therapy. J Affect Disord 1989; 16: 59–64. Trotz interessanter Ergebnisse offener Pilotstudien zur the- 17. Prudic J, Sackeim HA, Devanand DP. Medication resistance and rapeutischen Hirnstimulation mittels zervikaler VNS, bei clinical response to electroconvulsive therapy. Psychiatry Res 1990; denen Responseraten von bis zu 30 % gefunden wurden 31: 287–96. [118, 119], hat diese Therapieoption bislang ebenfalls nur 18. Prudic J, Haskett RF, Mulsant B, Malone KM, Pettinati HM, Stephens S, Greenberg R, Rifas SL, Sackeim HA. Resistance to antidepressant experimentellen Charakter. Bei einer 10wöchigen Dop- medications and short-term clinical response to ECT. Am J Psychia- pelblindstudie konnte allerdings keine Überlegenheit der try 1996; 153: 985–92. VNS gegenüber einer Placebobedingung gezeigt werden 19. Warneke L. Managing resistant depression. When patients do not [120]. Weitere systematische Untersuchungen in kontrol- respond to therapy. Can Fam Physician 1993; 39: 843–50. lierten Studien sind erforderlich, um beurteilen zu können, 20. Möller HJ. Therapieresistenz unter Antidepressiva: Definition, Epi- ob die VNS als effektives antidepressives Therapieverfah- demiologie und Risikofaktoren. In: Bauer M, Berghöfer A (eds). The- rapieresistente Depressionen. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, ren im Rahmen einer Monotherapie oder als Add-on-Stra- 1997; 3–15. tegie geeignet sein könnte. 21. Sackeim HA. The definition and meaning of treatment-resistant de- pression. J Clin Psychiatry 2001; 62 (Suppl 16): 10–7. Fazit 22. Kornstein SG, Schneider RK. Clinical features of treatment-resistant depression. J Clin Psychiatry 2001; 62 (Suppl 16): 18–25. Eine nach modernen Richtlinien durchgeführte Elektro- 23. Davidson J, McLeod M, Law-Yone B, Linnoila M. A comparison of konvulsionstherapie stellt weiterhin eine sichere und hoch- electroconvulsive therapy and combined phenelzine-amitriptyline in refractory depression. Arch Gen Psychiatry 1978; 35: 639–42. wirksame Therapieoption für Patienten, die unter schwe- 24. Kroessler D. Relative Efficacy rates for therapies of delusional de- ren psychiatrischen Störungen leiden, dar. Vor allem bei pression. Convuls Ther 1985; 1: 173–82. depressiven Erkrankungen und insbesondere, wenn es sich 25. Folkerts HW, Michael N, Tolle R, Schonauer K, Mucke S, Schulze- um schwere Krankheitsbilder handelt, die einen raschen Monking H. Electroconvulsive therapy vs. paroxetine in treatment- Behandlungserfolg zur Abwendung einer vitalen Bedro- resistant depression – a randomized study. Acta Psychiatr Scand hung erforderlich machen, aber auch bei chronischen und 1997; 96: 334–42. häufig pharmakotherapieresistenten Erkrankungen sollte 26. Perry PJ, Morgan DE, Smith RE, Tsuang MT. Treatment of unipolar depression accompanied by delusions. ECT versus tricyclic antide- betroffenen Patienten die Möglichkeit der Durchführung pressant-antipsychotic combinations. J Affect Disord 1982; 4: 195– einer EKT nicht vorenthalten werden. 200. 27. Flint AJ, Rifat SL. The treatment of psychotic depression in later life: Literatur: a comparison of pharmacotherapy and ECT. Int J Geriatr Psychiatry 1998; 13: 23–8. 1. Rupprecht R, Baghai TC, Möller HJ. Neuentwicklungen in der Phar- 28. 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