ERBUNWÜRDIGKEIT WEGEN STRAFBARER HANDLUNG

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Eingereicht von
                                        Leah Hausmann

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                                        Institut für Zivilrecht

                                        Beurteiler
                                        Univ.-Prof. Mag. Dr.
                                        Simon Laimer, LL.M.

                                        März 2021

ERBUNWÜRDIGKEIT
WEGEN STRAFBARER
HANDLUNG

Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Magistra der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium
Rechtswissenschaften

                                          JOHANNES KEPLER
                                          UNIVERSITÄT LINZ
                                          Altenberger Straße 69
                                          4040 Linz, Österreich
                                          jku.at
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig
und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und
Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen
als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit      ist   mit   dem    elektronisch   übermittelten
Textdokument identisch.

Eisenstadt, 10.03.2021

                                                    __________________________
                                                                    Leah Hausmann
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG .................................................................................................. 1
   1.1. Problemaufriss und Themeneingrenzung ................................................ 1
   1.2. Methodik ................................................................................................... 3
   1.3. Gang der Untersuchung ........................................................................... 4
   1.4. Historische Einführung ............................................................................. 4
2. ERBFÄHIGKEIT ............................................................................................. 5
   2.2. Absolute und relative Erbfähigkeit ............................................................ 6
   2.3. Zeitpunkt der Erbfähigkeit ........................................................................ 7
3. ERBUNWÜRDIGKEITSGRÜNDE .................................................................. 7
   3.1. Absolute Erbunwürdigkeitsgründe ............................................................ 8
     3.1.1. Strafbare Handlung gegen den Verstorbenen ................................... 9
     3.1.2. Strafbare Handlung gegen die Verlassenschaft .............................. 11
     3.1.3. Vereitelung des letzten Willens ........................................................ 11
     3.1.4. Privilegierung bei Begehung im Familienkreis ................................. 13
     3.1.5. Sonderfall der betrügerischen Krida ................................................ 16
     3.1.6. Verzeihung ....................................................................................... 17
   3.2. Relative Erbunwürdigkeitsgründe ........................................................... 18
     3.2.1. Strafbare Handlung gegen Angehörige ........................................... 20
     3.2.2. Zufügung schweren seelischen Leides ............................................ 22
     3.2.3. Gröbliche Vernachlässigung von Pflichten ...................................... 22
   3.3. Kritik ....................................................................................................... 24
   3.4. Zusammenhang zwischen Erbunwürdigkeit und Enterbung .................. 29
4. ERBUNWÜRDIGKEIT BEIM VERSUCH EINER STRAFBAREN
HANDLUNG GEGEN DEN ERBLASSER ........................................................ 32
   4.1. Der Versuch ........................................................................................... 32
   4.2. Erbrechtliche Folgen des Versuchs einer strafbaren Handlung ............. 33
5. ERBUNWÜRDIGKEIT BEIM RÜCKTRITT VOM VERSUCH EINER
STRAFBAREN HANDLUNG GEGEN DEN ERBLASSER .............................. 34
   5.1. Der Rücktritt vom Versuch ..................................................................... 34
   5.2. Erbrechtliche Folgen des Rücktritts vom Versuch .................................. 35
   5.3. Erbrechtliche Folgen der tätigen Reue ................................................... 38
6. FOLGEN DER ERBUNWÜRDIGKEIT ......................................................... 39
   6.1. Verhinderung des Erbanfalls .................................................................. 40
   6.2. Ausschluss vom Pflichtteilsrecht ............................................................ 41
   6.3. Ausschluss vom Vermächtnis ................................................................ 43
   6.4. Geltendmachung .................................................................................... 43
7. SCHLUSSTEIL ............................................................................................. 44
   7.1. Überblick ................................................................................................ 45
   7.2. Eigene Ansicht ....................................................................................... 48
   7.3. Résumé .................................................................................................. 51
LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................. 54
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

aA           anderer Ansicht

ABGB         Allgemein Bürgerliches Gesetzbuch

Abs          Absatz

aF           alte Fassung

BGBl         Bundesgesetzblatt

BlgNR        Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des
             Nationalrates

bspw         beispielsweise

bzw          beziehungsweise

E            Entscheidung

EF-Z         Zeitschrift für Familien- und Erbrecht

EFSlg        Ehe- und familienrechtliche Entscheidungen

ErbR         Erbrecht

ErbRÄG       Erbrechtsänderungsgesetz

ErlRV        Erläuterungen zur Regierungsvorlage

EvBl         Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen in der ÖJZ

f            folgende

ff           fortfolgende

gem          gemäß

GP           Gesetzgebungsperiode

iFamZ        Interdisziplinäre Zeitschrift für Familienrecht

iSd          im Sinne des

JBl          Juristische Blätter

JEV          Journal für Erbrecht und Vermögensnachfolge

mE           meines Erachtens
nF      neue Fassung

NZ      Österreichische Notariatszeitung

OGH     Oberster Gerichtshof

ÖJZ     Österreichische Juristenzeitung

PatVG   Patientenverfügungs-Gesetz

Rz      Randziffer

StGB    Strafgesetzbuch

WK      Wiener Kommentar

Z       Ziffer

zB      zum Beispiel
1. Einleitung

   Die Diplomarbeit befasst sich mit dem Thema der Erbunwürdigkeit im
   Zusammenhang mit der Begehung einer strafbaren Handlung, dem Versuch
   einer strafbaren Handlung sowie dem Rücktritt vom Versuch einer strafbaren
   Handlung.

   Um eine Erbschaft erwerben zu können, benötigt man gem § 538 ABGB
   Rechtsfähigkeit und Erbwürdigkeit.1 Das ABGB regelt unter welchen Umständen
   es zum Verlust der Erbwürdigkeit kommen kann. Die §§ 539 bis 541 ABGB
   enthalten      Gründe      für   die   Erbunwürdigkeit,      wobei    speziell     auf   den
   Erbunwürdigkeitsgrund der strafbaren Handlung gegen den Verstorbenen oder
   die Verlassenschaft eingegangen werden soll.2 Anschließend wird zu klären sein,
   inwieweit der Versuch einer strafbaren Handlung bzw. der Rücktritt vom Versuch
   einer strafbaren Handlung zum Verlust der Erbwürdigkeit führen können.

   1.1. Problemaufriss und Themeneingrenzung

   Die zentralen Themen bzw Problempunkte der Diplomarbeit stellen jene Fragen
   dar, ab wann eine Person als erbunwürdig gilt. Dabei muss einerseits die Frage
   geklärt werden, was unter einer strafbaren Handlung zu verstehen ist und
   andererseits, ob nur dessen Begehung oder bereits der Versuch bzw sogar der
   Rücktritt vom Versuch ebenfalls zur Erbunwürdigkeit führen. Nachdem diese
   beiden      zentralen     Fragenstellungen         enorm   breit   gefächert     sind,   wird
   untenstehend die Problemstellung näher erörtert und gleichzeitig auch eine
   Eingrenzung vorgenommen, um eine Ausuferung der Arbeit zu vermeiden.

a) Strafrecht

   Zur Frage, was als strafbare Handlung gilt, ist auszuführen, dass es sich bei der
   gegenständlichen Arbeit um eine Diplomarbeit aus dem Fach Bürgerliches Recht
   handelt und daher auf strafrechtliche Aspekte nur kurz eingegangen werden soll.
   Dabei soll dargelegt werden, wie der Tatbestand der strafbaren Handlung iSd

   1
       Welser, Der Erbrechts-Kommentar § 538 Rz 2.
   2
       Welser, Erbrechts-Kommentar, Vor § 539 Rz 7.

                                                 1
§ 539 ABGB zu verstehen ist. Die Voraussetzung der vorsätzlichen Begehung
   einer Straftat im Zusammenhang mit der Erbunwürdigkeit wird ebenfalls eine
   Rolle spielen, sodass auch hier Erläuterungen erfolgen, welche jedoch bewusst
   kurzgehalten werden.3 Gleiches gilt für Ausführungen zum Strafmaß, bei welchen
   auch die Privilegierung nach § 166 StGB eine Rolle spielen wird.4 Die
   Definitionen und Erläuterungen zu den jeweiligen strafrechtlichen Begriffen sollen
   ausschließlich dazu dienen, um die Grundlage zu schaffen, auf welcher
   anschließend die erbrechtlichen Aspekte genauer beleuchtet werden.

b) Erbrecht

   Der erbrechtliche Teil der Arbeit, welcher den Kernbereich darstellt, setzt sich mit
   mehreren Problemfeldern auseinander. Zuerst soll klargestellt werden, was man
   unter dem Begriff Erbfähigkeit versteht und zu welchem Zeitpunkt diese gegeben
   sein muss. Anschließend soll dargelegt werden, wie man diese Erbfähigkeit
   verlieren   kann.   Man     unterscheidet       zwischen   absoluten   und    relativen
   Erbunwürdigkeitsgründen, wobei §§ 539 und 540 ABGB zu den absoluten
   Erbunwürdigkeitsgründen zählen und die Gründe des § 541 ABGB zu den
   relativen Erbunwürdigkeitsgründen.5 Es handelt sich daher bei der Begehung
   einer strafbaren Handlung gegen den Verstorbenen oder die Verlassenschaft um
   einen absoluten Erbunwürdigkeitsgrund. Bei der Begehung einer Straftat gegen
   Personen gem § 541 ABGB handelt es sich lediglich um einen relativen
   Erbunwürdigkeitsgrund. Auf diesen Unterschied wird einzugehen sein, jedoch
   soll das Hauptaugenmerk auf strafbare Handlungen gegen den Verstorbenen,
   die Verlassenschaft oder nahe Angehörige gelegt werden, sodass Ausführungen
   zu § 540 ABGB in den Hintergrund rücken und kurzgehalten werden.6

   Zu weiteren Unterscheidungen wird es im Hinblick auf die strafbaren Handlungen
   kommen, bei denen zwischen der Begehung, dem Versuch7 und dem Rücktritt

   3
     Kirchbacher in Höpfel/Ratz, Wiener Kommentar zum StGB2 § 17 Rz 1 ff.
   4
     Kirchbacher in Höpfel/Ratz, WK StGB2 § 166 Rz 1.
   5
     Welser, Erbrechts-Kommentar, Vor § 539 Rz 7.
   6
     Apathy/Neumayr in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, Kurzkommentar zum ABGB6 §§ 539–541
   Rz 1.
   7
     § 15 StGB, BGBl 1974/60.

                                               2
vom    Versuch8      zu   differenzieren     ist    und    die     damit   einhergehenden
Problemstellungen und Folgen zu ermitteln sind. Während der Rücktritt vom
Versuch zu keiner Erbunwürdigkeit führt9, kann der Versuch einer strafbaren
Handlung sehr wohl zum Vorliegen eines Erbunwürdigkeitsgrundes führen.10 Vor
diesem Hintergrund wird auch auf die Frage einzugehen sein, ob die Verurteilung
oder ein schuldhaftes Handeln als Voraussetzungen für die Erbunwürdigkeit
gegeben sein müssen. Wurde eine Straftat begangen, die zur Erbunwürdigkeit
führen kann, kommt es auch auf das Verhalten des Verstorbenen an, der die
Begehung bzw den Versuch verzeihen kann. Dadurch kann eine Person wieder
erbwürdig werden.11

1.2. Methodik

Das    Thema      der     Erbunwürdigkeit          wegen    strafbarer     Handlung   soll
rechtsdogmatisch aufgearbeitet werden, sodass Gesetztestexte, hier vor allem
auch das ErbRÄG 201512 und die dazugehörigen Gesetzesmaterialien, nach den
grundlegenden Regeln der Rechtswissenschaften interpretiert und ausgelegt
werden     sollen.      Die    Auslegung         soll     anhand     der    verschiedenen
Auslegungsmethoden,           wie   der    Wortinterpretation,       der   systematischen
Interpretation, der historischen sowie teleologischen Interpretation erfolgen.
Gleichzeitig wird unter Heranziehung von einschlägiger Literatur und Judikatur
das Thema analysiert und aufbereitet.

Ziel der Arbeit ist es, einen guten Überblick über den Erbunwürdigkeitsgrund der
strafbaren Handlung zu geben. Es soll Klarheit darüber geschaffen werden, wann
eine strafbare Handlung zur Erbunwürdigkeit führt und unter welchen Umständen
keine Erbunwürdigkeit begründet wird.

8
  § 16 StGB, BGBl 1974/60.
9
  OGH 24.04.2020, 2 Ob 100/19y.
10
   Apathy/Neumayr in KBB6 §§ 539–541 Rz 2.
11
   Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 § 539 Rz 8.
12
   Erbrechtsänderungsgesetz, BGBl I 2015/87.

                                             3
1.3. Gang der Untersuchung

Um das Thema der Erbunwürdigkeit im Zusammenhang mit einer strafbaren
Handlung systematisch zu bearbeiten, gliedert sich der Hauptteil der Arbeit in
acht Abschnitte:

Zunächst soll klargestellt werden, welche Voraussetzungen vorliegen müssen,
um erbfähig zu sein. Danach soll anhand der Erbunwürdigkeitsgründe dargelegt
werden, wie die Erbfähigkeit verloren gehen kann. Dazu werden die einzelnen
Tatbestände, sowohl der absoluten Erbunwürdigkeitsgründe als auch der
relativen Erbunwürdigkeitsgründe, dargestellt und anhand von Beispielen,
Materialien und Judikatur erörtert. Besonderes Augenmerk wird auf den
Erbunwürdigkeitsgrund der strafbaren Handlung und im Zuge dessen auf die
strafrechtliche Privilegierung13 gewisser Delikte gelegt. Außerdem werden die
Wechselwirkungen zwischen Erbunwürdigkeit und Enterbung dargestellt.
Anschließend soll die Kritik der Lehre an der Gesetzgebung und Rechtsprechung
erörtert werden. In den darauf folgenden beiden Abschnitten werden die
erbrechtlichen Folgen des Versuchs einer strafbaren Handlung einerseits und
andererseits die Folgen des Rücktritts vom Versuch einer strafbaren Handlung
näher untersucht. Weiters wird dargestellt, welche Folgen die Begründung der
Erbunwürdigkeit mit sich bringt. Abschließend werden die Ergebnisse nochmals
im Überblick zusammengefasst und resümiert.

1.4. Historische Einführung

Mit dem ErbRÄG 2015 wurde ein Großteil der erbrechtlichen Bestimmungen im
ABGB, die zum Teil noch aus der Urfassung aus dem Jahre 1811 stammten,
erneuert. Das Gesetz wurde sprachlich angepasst und es erfolgte eine
Aufarbeitung der bis dahin ergangenen Rechtsprechung und Lehre.14 Durch die
Reform sollte eine bessere Übersicht über die Rechtsordnung geschaffen
werden, die Berücksichtigung von Pflegeleistungen gewährleistet sein, die

13
  § 166 StGB, BGBl I 2015/154.
14
  Pesendorfer, Die Erbrechtsreform im Überblick, Allgemeiner Teil - gewillkürte Erbfolge -
gesetzliches Erbrecht - Erbschaftserwerb - Verjährung, iFamZ 2015, 230.

                                               4
Testierfreiheit gestärkt und nebenbei auch die Vorgaben der Europäischen Union
umgesetzt werden.15

Daraus folgten auch Änderungen hinsichtlich der Erbunwürdigkeit, sodass
seitdem      unter      anderem       zwischen        absoluten      und        relativen
Erbunwürdigkeitsgründen unterschieden wird. Wieder eingeführt wurde auch der
Erbunwürdigkeitsgrund der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung
gegen nahe Angehörige gem § 541 Z 1 ABGB. Der Erbunwürdigkeitsgrund
aufgrund der Zufügung von schwerem seelischem Leid wurde ebenfalls eigens
in § 541 Z 2 ABGB erwähnt. Außerdem wird festgehalten, dass jeder
Erbunwürdigkeitsgrund durch Verzeihung beseitigt werden kann.16 Bei dieser
Zusammenfassung der Änderungen handelt es sich allerdings nur um einen
groben Überblick. Die Neuerungen zur Erbunwürdigkeit (§§ 539 ff ABGB) traten
am 1. Jänner 2017 in Kraft und sind seither auf alle Todesfälle nach dem
31. Dezember 2016 anzuwenden. Wann das Verhalten, das die Erbunwürdigkeit
begründen soll, gesetzt wurde, ist hierbei unerheblich.17

2. Erbfähigkeit

Erbfähig ist, wer rechtsfähig und erbwürdig ist.18 Es wird hier auf die allgemeine
Rechtsfähigkeit gem § 16 ABGB abgestellt, wonach jede natürliche Person
rechtsfähig ist.19 Jedoch können auch juristische Personen (Gesellschaften,
Vereine, Stiftungen, etc.) Träger von Rechten und Pflichten und somit auch
rechts- bzw erbfähig sein.20

Jeder Erwerb von Todes wegen setzt die Erbwürdigkeit voraus. Es bedarf also
auch für den Erwerb von Vermächtnissen oder Pflichtteilen der Erbwürdigkeit.
Gleiches gilt für Ersatz- und Nacherben, die ebenfalls erbwürdig sein müssen,
um zum Zug zu kommen.21

15
   ErlRV 688 BlgNR 25. GP 1.
16
   Pesendorfer, Die Erbrechtsreform im Überblick, iFamZ 2015, 230 (231).
17
   Hofmair, Erbunwürdigkeit und Enterbung nach dem ErbRÄG 2015, JEV 2016, 47.
18
   § 538 ABGB, BGBl I 2015/87.
19
   Koch in KBB6 § 16 Rz 1.
20
   Aicher in Rummel/Lukas, ABGB4 § 26 Rz 24 ff.
21
   Werkusch-Christ in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08 § 538 Rz 1.

                                           5
2.2. Absolute und relative Erbfähigkeit

Beim Begriff der Erbfähigkeit handelt es sich um einen Teilbereich der
Rechtsfähigkeit. Rechtsfähigkeit als absolute Erbfähigkeit bedeutet, dass
grundsätzlich jede natürliche oder juristische Person Erbe einer verstorbenen
Person sein kann. Demgegenüber beschreibt der Begriff der Erbwürdigkeit, als
zweite Voraussetzung für die Erbfähigkeit, die Fähigkeit als konkrete Person
beerbt zu werden und wird als relative Erbfähigkeit bezeichnet.22

Da grundsätzlich jede rechtsfähige natürliche und juristische Person erbfähig ist,
kommt die absolute Erbunfähigkeit nur noch in Sonderfällen zum Tragen und
verhindert den Erwerb von Todes wegen gegenüber jedem potentiell
Verstorbenen bzw. Erblasser.23

Anders ist das bei der relativen Erbunfähigkeit, hier geht es nicht darum, ob man
überhaupt fähig ist zu erben, sondern darum, ob man von einer ganz bestimmten
Person beerbt werden kann. Daraus lässt sich ableiten, dass eine rechtsfähige
Person, die an sich eine Erbschaft erwerben könnte, aus bestimmten Gründen
die Erbschaft nicht antreten darf, weil sie aufgrund ihrer Erbunwürdigkeit relativ
erbunfähig ist.24 Genau diese Gründe, vor allem jener der Begehung einer
strafbaren Handlung, sollen nachstehend näher erläutert werden.

Ein Erbverzicht führt nicht zur (absoluten) Erbunfähigkeit. Der Verzichtende kann
trotzdem letztwillig bedacht werden und es ist ihm auch möglich einen Verzicht
zu widerrufen. Dementsprechend kann trotz Erbverzichts geerbt werden und er
führt nicht automatisch zur Erbunfähigkeit.25

22
   Pesendorfer in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts, Entstehung des
Erbrechts, Erbverzicht, Erbschaftserwerb und Verjährung, 19 ff.
23
   Werkusch-Christ in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08 § 538 Rz 2.
24
   Welser, Erbrechts-Kommentar § 538 Rz 1 f.
25
   RIS-Justiz RS0012321.

                                            6
2.3. Zeitpunkt der Erbfähigkeit

Der maßgebliche Zeitpunkt, in welchem die Erbfähigkeit gegeben sein muss, ist
jener des Erbanfalls. Erbanfall ist regelmäßig der Zeitpunkt des Todes. Wird einer
Person die Erbfähigkeit erst danach zuteil, so bleibt dies unbeachtlich.26
Umgekehrt kann hingegen ein bestimmtes Verhalten nach dem Erbanfall zum
Verlust der Erbfähigkeit führen. Dies ist etwa der Fall, wenn es nach dem
Erbanfall zu strafbaren Handlungen gegen die Verlassenschaft kommt bzw
versucht wird den letzten Willen des Verstorbenen zu verhindern oder zu
umgehen. Die Folgen der Erbunfähigkeit kommen demnach rückwirkend zur
Anwendung.27

3. Erbunwürdigkeitsgründe

Das Gesetz unterscheidet zwischen verschiedenen Erbunwürdigkeitsgründen,
die in den §§ 539 bis 541 ABGB aufgezählt werden. Die strafbare Handlung
gegen den Verstorbenen oder die Verlassenschaft sowie die Vereitelung des
wahren letzten Willens werden als absolute Erbunwürdigkeitsgründe bezeichnet.
Strafbare Handlungen gegenüber Angehörigen des Erblasser sowie die
Zufügung schweren seelischen Leides oder Vernachlässigung familiärer
Pflichten gegenüber dem Verstorbenen zählen hingegen zu den relativen bzw.
subsidiären Erbunwürdigkeitsgründen.28

Bei den absoluten Erbunwürdigkeitsgründen handelt es sich gleichzeitig auch um
Enterbungsgründe. Die strafbare Handlung iSd § 539 ABGB sowie die
Vereitelung des letzten Willens führen von Gesetzes wegen zum Verlust des
Erbrechts und für den Erblasser zur Möglichkeit, den Pflichtteil zu entziehen. Bei
den subsidiären Erbunwürdigkeitsgründen nach § 541 ABGB ist dies nicht
automatisch der Fall.29 Zunächst wird hier geprüft, ob wegen des Fehlverhaltens
eine Enterbung gem § 770 ABGB durch den Testator veranlasst hätte werden
können. Anschließend kommt es darauf an, ob der Testator kumulativ dazu die

26
   Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 543 Rz 2 f.
27
   Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) §§ 545,546 Rz 17 f.
28
   Apathy/Neumayr in KBB6 § 539-541 Rz 2 ff.
29
   Welser, Erbrechts-Kommentar vor § 539 Rz 7.

                                             7
Enterbung wegen Testierunfähigkeit, Unkenntnis oder aus sonstigen Gründen
nicht vornehmen konnte und dadurch der Wille des Testators verhindert wurde.
Zu einem Verlust des Erbrechts von Gesetzes wegen kommt es in diesem Fall
nur, wenn dem Testator die Enterbung aus bestimmten Gründen nicht möglich
war.30 Ob ein solcher Grund vorgelegen ist, lässt sich oft schwer feststellen und
führt sohin zu Problemen und bringt Rechtsunsicherheit mit sich. Zu weiteren
Problemen führt die Tatsache, dass die Erbunwürdigkeitsgründe nicht ident mit
jenen des § 570 ABGB sind. Dies lässt sich etwa am Beispiel von Geschwistern
zeigen: Wird gegen die Schwester des Erblassers eine vorsätzliche strafbare
Handlung begangen, wäre eine Enterbung gem § 770 Z 2 ABGB möglich.
Unterbleibt eine solche Enterbung jedoch aus den oben genannten Gründen, hat
dies hinsichtlich der Erbunwürdigkeit keine Konsequenzen. Der Grund dafür ist,
dass die Schwester des Erblassers nicht zum geschützten Personenkreis iSd
§ 541 Z 1 ABGB zählt.31

3.1. Absolute Erbunwürdigkeitsgründe

Die absoluten Erbunwürdigkeitsgründe der §§ 539 f ABGB haben zur Folge, dass
unabhängig von der Möglichkeit einer Enterbung durch den Erblasser, die
Erbfähigkeit verloren geht. Es wird davon ausgegangen, dass die Verfehlungen
iSd §§ 539 f ABGB so schwerwiegend sind, dass der Erblasser, egal ob er dazu
in der Lage gewesen wäre oder nicht, sowieso enterbt hätte. Es soll damit der
wahre Wille des Erblassers gewahrt werden.32 Demnach kommt es, wie oben
beschrieben, zu einer Gliederung der Erbunwürdigkeitsgründe, wobei die
absoluten     Erbunwürdigkeitsgründe        die   schwerwiegendsten         Verfehlungen
darstellen.     Dennoch         kann       eine     Verzeihung         auch      absolute
Erbunwürdigkeitsgründe beseitigen.33

Im Folgenden soll zu den absoluten Erbunwürdigkeitsgründen näher ausgeführt
werden wie folgt:

30
   Welser, Erbrechts-Kommentar § 541 Rz 1 f.
31
   Scheuba, Miszellen aus der Praxis zu Erbunwürdigkeit und Enterbung, EF-Z 2019/60, 106
(107).
32
   RIS-Justiz RS0123752.
33
   ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5.

                                             8
3.1.1. Strafbare Handlung gegen den Verstorbenen

Damit es sich bei der strafbaren Handlung gegen den Verstorbenen oder die
Verlassenschaft um einen Erbunwürdigkeitsgrund iSd § 539 ABGB handelt,
muss die strafbare Handlung vorsätzlich begangen werden und mit mehr als
einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sein.34 Die Erbunwürdigkeit hängt nicht davon
ab, ob es auch zu einer Verurteilung bzw. zur Einleitung eines Verfahrens wegen
dieser Straftat gekommen ist. Das Zivilgericht ist in diesem Fall nicht an die
Entscheidung des Strafgerichtes gebunden.35 Die Verjährung der Straftat
schadet ebenfalls nicht um, die Voraussetzungen des § 539 ABGB zu erfüllen.36
Die Verjährung schadet deshalb nicht, weil im Strafrecht auf die Spezial- bzw
Generalprävention abgestellt wird, die nach einer gewissen Zeit nicht mehr
notwendig ist, wohingegen das im Erbrecht irrelevant ist und es nur auf den
vermuteten Willen des Erblassers ankommt.37

Es kommt im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung auch nur auf die
Obergrenze der Strafdrohung und nicht auf die tatsächlich verhängte Strafe an.
Außerdem ist bei der Beurteilung der Erbunwürdigkeit der Freispruch durch das
Strafgericht nicht relevant, sondern kann dennoch die Erbunwürdigkeit durch ein
Zivilgericht festgestellt werden. In zivilrechtlicher Hinsicht hat das Gericht in Form
einer strafrechtlichen Vorfrage selbst zu entscheiden, ob es sich um eine
strafbare Handlung iSd § 539 ABGB handelt.38 Das Zivilgericht hat hier im Zuge
der   freien   Beweiswürdigung        zu   entscheiden,     solange     kein   geltender
Schuldspruch durch das Strafgericht erfolgt ist.39

Zur Frage, auf welchen Zeitpunkt bei der Strafdrohung abzustellen ist, gibt es
unterschiedliche     Meinungen.      Durch       spätere   Änderungen     seitens      des
Gesetzgebers kann es hier durchaus zu Unklarheiten kommen, weil etwa das
Strafmaß erhöht oder herabgesetzt wird. Es darf in solchen Fällen jedoch davon

34
   Werkusch-Christ in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08 § 538 Rz 1.
35
   RIS-Justiz RS0014990.
36
   Apathy/Neumayr in KBB6 § 539-541 Rz 2.
37
   Neumayr, Keine Erbunwürdigkeit bei Strafaufhebungsgründen? NZ 2020/81, 299 (301).
38
   Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 539 Rz 4.
39
   RIS-Justiz RS0014986.

                                             9
ausgegangen werden, dass das Strafmaß für den Zeitpunkt der Tatbegehung
herangezogen wird. Dafür spricht unter anderem das Rückwirkungsverbot gem
§ 61 StGB und ergibt sich diese Ansicht auch aus dem ErbRÄG 2015.40

Dass sich die strafbare Handlung gegen den Erblasser richten muss, bedeutet
auch, dass sich der Vorsatz gegen ihn richten muss. Der Vorsatz darf in diesem
Zusammenhang nicht mit dem strafrechtlichen Begriff des Vorsatzes41
gleichgesetzt werden, da es beim strafrechtlichen Vorsatz nicht darauf ankommt,
ob man die strafbare Handlung gegen die ,,richtige‘‘ Person begangen hat.42
Kommt es also zu einer Verwechslung und wird der Erblasser lediglich aus
Versehen (zB durch eine Verwechslung) das Opfer einer strafbaren Handlung,
dann hat sich der Vorsatz nicht gegen ihn gerichtet. In so einem Fall würde kein
Erbunwürdigkeitsgrund vorliegen, obwohl in strafrechtlicher Hinsicht ein Vorsatz
bejaht werden könnte. Umgekehrt kommt es sehr wohl zur Erbunwürdigkeit,
wenn der Erbe eine vorsätzliche strafbare Handlung gegen den Erblasser begeht
und er nur nicht wusste, dass er als potentieller Erbe in Frage kommt.43

Liegen Rechtfertigungsgründe, wie etwa Notwehr, Notstand oder die Einwilligung
vor, dann führt dies zu keiner Erbunwürdigkeit.44 Ebenso kann ein Verhalten
sogar vom Erblasser erwünscht sein, wie etwa der Wille als Patient nicht weiter
behandelt zu werden oder passive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Gelingt
es dem Erben diesen Willen des Erblassers zu beweisen, dann liegt kein Grund
für eine Erbunwürdigkeit vor. Im Zweifel ist jedoch anzunehmen, dass der
Erblasser     weiterleben     wollte    und    herrschen      hier   besonders   strenge
Beweisregeln.45 Dabei sei erwähnt, dass der VfGH in seiner aktuellen
Entscheidung das Verbot der Hilfestellung aufgehoben hat, während die Tötung
auf Verlangen verboten bleibt. Diese neue Rechtslage gilt ab 2022.46 Ist eine
Person schuld- bzw deliktsunfähig, kann die Begehung einer strafbaren
Handlung ebenfalls nicht zur Erbunwürdigkeit führen.47

40
   Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 13 ff.
41
   § 5 StGB, BGBl 1974/60.
42
   Reindl-Krauskopf in Höpfel/Ratz, WK StGB2 § 5 Rz 10.
43
   Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 20 f.
44
   Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 10.
45
   RIS-Justiz RS0123753.
46
   VfGH 11.12.2020, G 139/2019-71.
47
   OGH 07.12.1993, 6 Ob 636/93.

                                              10
Ist eine strafbare Handlung bereits bei fahrlässiger Begehung strafbar, wird
trotzdem die vorsätzliche Begehung benötigt, um eine Erbunwürdigkeit zu
begründen.48

Maßgebend für die Beurteilung der Erbunwürdigkeit kann auch das Verhältnis
des Täters zum Erblasser sein. Die Besonderheiten der Begehung im
Familienkreis werden unter Punkt 3.1.3. eigens behandelt.

3.1.2. Strafbare Handlung gegen die Verlassenschaft

Neben der strafbaren Handlung gegen den Erblasser selbst, kann auch die
strafbare Handlung gegen die Verlassenschaft zur Erbunwürdigkeit führen.
Anders als die Straftat gegen den Erblasser, kann sie nur nach seinem Tod
geschehen.49 Davon erfasst sein sollen Straftaten wie Unterschlagung,
Zerstörung, Diebstahl oder widerrechtliche Kontobehebungen gegen die
Verlassenschaft, weil auch dadurch der letzte Wille bzw die gesetzliche Erbfolge
verhindert wird.50 Der Erbunwürdigkeitsgrund der strafbaren Handlung kann
nicht, wie die anderen Erbunwürdigkeitsgründe, durch Verzeihung beseitigt
werden, da sie erst nach dem Tod des Erblassers erfolgt und der Verstorbene
keine Verzeihung mehr aussprechen kann.51

3.1.3. Vereitelung des letzten Willens

Zu den absoluten Erbunwürdigkeitsgründen zählt auch die absichtliche
Vereitelung des wahren letzten Willens des Verstorbenen gem § 540 ABGB.
Diese Bestimmung erwähnt explizit, dass derjenige nicht erben soll, der den
Verstorbenen durch Zwang oder Arglist zu einer letztwilligen Erklärung verleitet
oder ihn an der Erklärung bzw Änderung gehindert hat. Auch wer den letzten
Willen des Verstorbenen unterdrückt, soll nicht erben.52 Besonders wichtig ist
hier, dass die Vereitelung des letzten Willens absichtlich passiert. Die

48
   Welser, Erbrechts-Kommentar § 539 Rz 7.
49
   Welser, Erbrechts-Kommentar § 539 Rz 10.
50
   ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5.
51
   Christandl/Nemeth, Das neue Erbrecht - ausgewählte Einzelfragen, NZ 2016/1, 1 (7).
52
   Welser, Erbrechts-Kommentar § 540 Rz 5.

                                             11
Absichtlichkeit wurde von der Rechtsprechung53 bereits länger gefordert und
wurde auch im § 540 ABGB normiert.54

Im Gegensatz zur strafbaren Handlung gem § 539 ABGB, bei welcher die Straftat
entweder nur vor dem Tod gegen den Erblasser oder nach Lebzeiten gegen die
Verlassenschaft begangen werden kann, ist die Vereitelung des wahren letzten
Willens sowohl zu Lebzeiten, als auch nach dem Tod des Erblassers möglich.
Die Gründe des § 540 ABGB sind nicht taxativ aufgezählt, sodass auch andere
Handlungen gegen die Verlassenschaft in Frage kommen, welche eine Person
erbunwürdig machen.55 In diesem Fall führt bspw auch die Fälschung oder
Unterschiebung eines Testaments zur Erbunwürdigkeit.56 Genauso verhält es
sich, wenn über die Formerfordernisse eines Testaments nicht aufgeklärt wird,
um so die letztwillige Verfügung zu vereiteln.57 Die Berufung auf ein Testament,
das wissentlich nie errichtet wurde, um den Willen des Erblassers zu vereiteln,
führt ebenfalls zur Erbunwürdigkeit. Das gleiche gilt auch für andere letztwillige
Verfügungen die den letzten Willen betreffen, wie etwa der Erbvertrag.58 Es
kommt hier immer darauf an, ob vorsätzlich der wahre letzte Wille des Erblassers
vereitelt werden soll.59 Das wird vor allem klar, wenn man bedenkt, dass es nicht
zur Erbunwürdigkeit kommen muss, wenn ein Testament gerade aus dem Grund
gefälscht wird, um den letzten Willen des Erblassers zu wahren.60
Erbunwürdigkeit liegt auch dann vor, wenn durch den Erblasser selbst kein
Testament verfasst wurde, daher die gesetzliche Erbfolge eintreten würde und
durch eine Handlung des Erben die gesetzliche Erbfolge beeinflusst werden soll,
etwa durch Fälschung eines Testaments.61

Ob die Handlung tatsächlich zum Erfolg geführt hat und somit der wahre letzte
Wille vereitelt wurde, ist für die Erbunwürdigkeit irrelevant. So bleibt es auch bei

53
   RIS-Justiz RS0112469; RS0014978.
54
   ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5.
55
   Apathy/Neumayr in KBB6 § 539-541 Rz 3 f.
56
   RIS-Justiz RS0012271.
57
   OGH 1 Ob 581/84 NZ 1985 (13).
58
   OGH 8 Ob 112/08s EvBl 2009/94 (659).
59
   RIS-Justiz RS0012273.
60
   OGH 5 Ob 616/83 SZ 57/95.
61
   RIS-Justiz RS0133447.

                                              12
der Erbunwürdigkeit, wenn etwa durch die Errichtung eines neuen Testaments
das gefälschte Testament ohnehin ersetzt wurde.62

3.1.4. Privilegierung bei Begehung im Familienkreis

Wie bereits unter Punkt 3.1.1. erwähnt, kann es eine Rolle spielen, in welchem
Verhältnis eine Person zum Erblasser steht, wenn sie gegen ihn eine strafbare
Handlung begeht. Denn neben der Voraussetzung des Vorsatzes muss die
strafbare Handlung auch mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr
bedroht sein, um eine Erbunwürdigkeit zu begründen.63 Welche Folgen die
Begehung im Familienkreis nach sich zieht und ob eine Begehung im
Familienkreis auch hinsichtlich der Vereitelung des letzten Willens möglich ist,
soll nun näher betrachtet werden:

Die Privilegierung bei Begehung im Familienkreis ist in § 166 StGB normiert,
wonach bei einer Vielzahl von Delikten ein geringeres Strafmaß angesetzt wird,
wenn die Tat im Familienkreis begangen wird.64 Zusätzlich zum geringeren
Strafmaß soll die Straftat nur auf Verlangen des Täters verfolgt werden, sie wird
also zum Privatanklagedelikt.65 Nahe Angehörige iSd § 166 StGB sind
Ehegatten, eingetragene Partner, Verwandte in gerader Linie, Geschwister oder
andere Angehörige, sofern sie mit dem Täter in Hausgemeinschaft leben
(Lebensgefährte etc.).66 So fällt bspw die angedrohte Höchststrafe für einen
schweren Betrug gem §§ 147 Abs 1 iVm 166 StGB auf unter ein Jahr
Freiheitsstrafe, wenn er von einem nahen Angehörigen begangen wird.

Als Beispiel: Die Begehung einer strafbaren Handlung gem § 147 Abs 1 Z 1 StGB
gegen den Erblasser würde ohne Privilegierung zur Erbunwürdigkeit des Täters
führen, da die Straftat mit einer dreijährigen Freiheitsstrafe bedroht ist. Nach
Anwendung des § 166 StGB fällt die angedrohte Freiheitsstrafe auf sechs Monate

62
   OGH 1 Ob 281/06i iFamZ 2007/133 (256).
63
   § 539 ABGB, BGBl I 2015/87.
64
   Kirchbacher in Höpfel/Ratz, WK StGB2 § 166 Rz 3 ff.
65
   § 166 Abs 3 StGB, BGBl I 2015/154.
66
   Kirchbacher in Höpfel/Ratz, WK StGB2 § 166 Rz 8 ff.

                                             13
herab. Die Privatanklagedelikte des § 166 StGB haben also ein zu geringes
Strafmaß, um tatsächlich zur Erbunwürdigkeit zu führen.67

Für die Begründung der Erbunwürdigkeit kommen nachstehende begünstigte
Delikte68 in Betracht, da sie mit einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr zu
bestrafen sind69:
     •   Schwere Sachbeschädigung gem § 126 StGB
     •   Datenbeschädigung gem § 126a Abs 2 bis 4 StGB
     •   Störung der Funktionsfähigkeit eines Computersystems gem § 126b Abs
         2 bis 4 StGB
     •   Schwerer Diebstahl gem § 128 StGB
     •   Diebstahl durch Einbruch, gewerbsmäßiger Diebstahl, räuberischer
         Diebstahl gem §§ 129, 130 und 131 StGB
     •   Entziehung von Energie gem § 132 Abs 2 StGB
     •   Veruntreuung gem § 133 Abs 2 StGB
     •   Unterschlagung gem § 134 Abs 3 StGB
     •   Dauernde Sachentziehung gem § 135 Abs 2 StGB
     •   Schwerer Eingriff in fremdes Jagd- und Fischereirecht gem § 138 StGB
     •   (Gewerbsmäßiger) schwerer Betrug gem §§ 147 und 148 StGB
     •   Gewerbsmäßiger betrügerischer Datenverarbeitungsmissbrauch gem
         § 148a Abs 2 StGB
     •   Untreue gem § 153 Abs 3 StGB
     •   Hehlerei gem § 164 Abs 3 und 4 StGB

Bei diesen Delikten, die aufgrund ihrer Strafdrohung von über einem Jahr
potentiell eine Erbunwürdigkeit begründen könnten, fällt die Strafdrohung nach
Anwendung der Privilegierung gem § 166 StGB aber auf höchstens sechs
Monate herab. Lediglich beim Diebstahl mit Waffen gem § 129 Abs 2 Z 2 StGB,
beim räuberischen Diebstahl gem § 131 StGB, bei einem schweren Eingriff ins
Jagd- und Fischereirecht gem § 138 Z 2 und 3 StGB sowie bei Erfüllung des

67
   Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 539 Rz 4.
68
   Begünstigte Delikte nach § 166 StGB, abgesehen von Zahlungsmitteldelikten.
69
   Pesendorfer in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts, 24 f.

                                             14
§ 140 StGB wird keine Privilegierung angewendet und reicht deswegen der
angedrohte Strafrahmen aus um Erbunwürdigkeit zu begründen.70

Die Privilegierung des § 166 StGB ist nicht nur strafrechtlich, sondern auch im
Hinblick auf die Erbunwürdigkeit zu berücksichtigen, sodass, wie oben
dargestellt, die angedrohte Höchststrafe für die privilegierten Delikte auf unter ein
Jahr herabfällt und daher kein Grund für eine Erbunwürdigkeit gegeben ist. Das
hat zur Folge, dass bei Begehung im Familienkreis nur besonders schwere
strafbare Handlungen, wie etwa qualifizierte Körperverletzungsdelikte sowie
Mord dazu führen, dass der Angehörige erbunwürdig wird.71 Dies gilt jedenfalls
für strafbare Handlungen, die sich gegen den Erblasser richten, wobei sich
anderes ergeben kann, wenn sich eine strafbare Handlung gegen die
Verlassenschaft richtet. In diesem Zusammenhang hat der OGH nämlich in
seiner E judiziert, dass es sich bei der Verlassenschaft nicht um einen
Angehörigen iSd § 166 StGB handelt.72

Die    Unterscheidung        zwischen      der    strafbaren     Handlung       gegen     die
Verlassenschaft und der strafbaren Handlung gegen den Erblasser führt zu
Kritik73 und unterschiedlichen Ergebnissen, was die Erbunwürdigkeit betrifft.
Würde es dementsprechend nämlich einen Unterschied machen, wann genau
die strafbare Handlung gesetzt wurde. Löst bspw der Erbe das Sparbuch der
Mutter (ohne Zustimmung) vor ihrem Tod auf, dann greift die Privilegierung und
er wäre trotz der strafbaren Handlung nicht automatisch erbunwürdig. Wird das
Sparbuch aber nach ihrem Tod unberechtigt aufgelöst, dann begeht er die
strafbare Handlung bereits gegen die Verlassenschaft und § 166 StGB kommt
nicht zum Tragen. Die gleiche Handlung würde also zu unterschiedlichen
Ergebnissen führen.74 Vielmehr sollte es aber so ausgestaltet sein, dass es nicht
darauf ankommt, gegen wen genau (Erblasser oder Verlassenschaft) sich der
Vorsatz richtet. Die gleiche Tat, sowohl gegen den Erblasser als auch gegen die

70
   Kirchbacher in Höpfel/Ratz, WK StGB2 § 166 Rz 7.
71
   Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 13 f.
72
   OGH 31.03.1982, 11 Os 12/82 (obiter dictum).
73
   Rabl, Erbrechtsreform 2015 – Pflichtteilsrecht Neu, NZ 2015/107, 321 (329); siehe auch
Zöchling-Jud in Rabl/Zöchling-Jud, Das neue Erbrecht, Die Neuregelung des Pflichtteilsrechts
im ErbRÄG 2015, 71 (85).
74
   Tschugguel, Erbunwürdigkeit und Begehung im Familienkreis, EF-Z 2016/143, 311 f.

                                             15
Verlassenschaft gerichtet, sollte zum gleichen Ergebnis führen. Es ist davon
auszugehen, dass dieser Umstand vom Gesetzgeber planwidrig nicht
berücksichtigt wurde.75

3.1.5. Sonderfall der betrügerischen Krida

Verheimlicht, beschädigt oder schafft jemand einen Teil seines Vermögens
beiseite bzw verringert jemand zum Schein sein Vermögen, um damit seine
Gläubiger zu benachteiligen, dann verstößt er gegen das Verbot der
betrügerischen Krida. Dieses Delikt ist mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, in
manchen Fällen sogar bis zu zehn Jahren, zu bestrafen.76

Es handelt sich dabei also um ein Vermögensdelikt, das jedoch eine gewisse
Besonderheit aufweist: Es findet sich nämlich nicht im § 166 StGB wieder und
hat dieser Umstand zur Folge, dass die betrügerische Krida an sich nicht der
Privilegierung hinsichtlich des Strafrahmens unterliegt.77 Damit ist das Kridadelikt
das einzige Vermögensdelikt (ohne Gewalt oder Drohung), dass bei Begehung
im Familienkreis nicht privilegiert ist.78 Die betrügerische Krida entspricht jedoch
den Voraussetzungen des § 539 ABGB, da sie vorsätzlich begangen wird und
die Höhe des Strafmaßes für die Erbunwürdigkeit relevant ist. Gläubiger iSd
§ 156 StGB können sowohl natürliche als auch juristische Personen sein, also
auch der Erblasser bzw dessen Verlassenschaft.79 Es reicht aus, dass sich der
Vorsatz des Täters gegen die Gläubigerinteressen richtet, um eine vorsätzliche
Begehung gegen den Erblasser zu begründen, da auch er dem vorsätzlich
geschädigten Gläubigerkreis angehört.80

Bei Nichtanwendung der Privilegierung würde also die betrügerische Krida
leichter zur Erbunwürdigkeit führen als andere Vermögensdelikte. Daher muss
man die erbrechtlichen Aspekte losgelöst von der strafrechtlichen Thematik

75
   Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 69.
76
   § 156 StGB, BGBl I 2015/112.
77
   § 166 StGB, BGBl I 2015/154.
78
   Kletečka, Erbunwürdigkeit auf Grund von "betrügerischer Krida" (§ 156 StGB) im
Familienkreis? NZ 2019/124, 361 (362).
79
   Kirchabcher in Höpfel/Ratz, WK StGB2 § 156 Rz 4.
80
   Kletečka, Erbunwürdigkeit auf Grund von "betrügerischer Krida" (§ 156 StGB) im
Familienkreis? NZ 2019/124, 361 (362).

                                           16
betrachten. Bei der erbrechtlichen Beurteilung geht es nämlich speziell um die
gegen den Erblasser gerichtete Tat sowie deren erbrechtlichen Konsequenzen
und nicht um den strafrechtlichen Schutz einer Gläubigermehrheit, bei der
§ 166 StGB aufgrund der Seltenheit außer Acht gelassen werden kann.81 Die
vom Gesetzgeber in den Erläuterungen82 erwähnten Gründe, aufgrund derer eine
Privilegierung der Vermögensdelikte anzuwenden ist, treffen allesamt auch auf
den Kridadelikt gem § 156 StGB zu. Da es bei der Erbunwürdigkeit gerade auf
das Verhältnis zwischen Erblasser und Täter ankommt, würde es dem
zugrundeliegenden Hauptgedanken des § 166 StGB entsprechen, die
Privilegierung hinsichtlich der Erbunwürdigkeit auch auf die betrügerische Krida
analog anzuwenden und damit eine teleologische Lücke zu schließen.83

3.1.6. Verzeihung

Das    Gesetz    normiert,    dass    durch     eine   Verzeihung     die   Erbfähigkeit
wiederhergestellt werden kann. Die Handlungen gem § 539 ff ABGB können vom
Erblasser verziehen werden.84 Zu bedenken ist hier aber, dass die Verzeihung
zu Lebzeiten des Erblassers erfolgen muss, sodass nach seinem Tod keine
Verzeihung mehr möglich ist, was vor allem bei strafbaren Handlungen gegen
die Verlassenschaft oder bei Vereitelung des wahren letzten Willens relevant sein
könnte.85

Die Verzeihung bedarf keiner bestimmten Form und kann auch konkludent
erfolgen oder an Bedingungen geknüpft sein. Sie kann sich daher auch einfach
aus dem Verhalten des Erblassers dem Täter gegenüber oder durch die
Erbeinsetzung trotz bekanntem Erbunwürdigkeitsgrund ergeben. Der Erblasser
muss sich dafür aber im Klaren über das Bestehen des Erbunwürdigkeitsgrundes
sein. Ist die Verzeihung einmal erfolgt, kann sie nicht mehr zurückgenommen
werden und die Erbunwürdigkeit ist aufgehoben.86 Der Gesetzeswortlaut lässt

81
   Kletečka, Erbunwürdigkeit auf Grund von "betrügerischer Krida" (§ 156 StGB) im
Familienkreis? NZ 2019/124, 361 (363).
82
   ErläutRV 30 BlgNR 13. GP 311.
83
   Kletečka, Erbunwürdigkeit auf Grund von "betrügerischer Krida" (§ 156 StGB) im
Familienkreis? NZ 2019/124, 361 (363).
84
   ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5.
85
   Nemeth in Schwimann/Neumayr, ABGB Taschenkommentar5, Vor §§ 539-543 Rz 4.
86
   Apathy/Neumayr in KBB6 § 539-541 Rz 9.

                                           17
aber erkennen, dass trotz Unwiderruflichkeit und der Voraussetzung, dass sich
der Erblasser der Erbunwürdigkeit bewusst sein muss, keine volle Geschäfts-
bzw. Testierfähigkeit benötigt wird, um zu verzeihen. Er muss den Willen zu
verzeihen lediglich ,,zu erkennen geben‘‘. Dieses Werkzeug zur Gestaltung der
persönlichen Rechtsgeschäfte soll dem Erblasser unabhängig von der
Geschäftsfähigkeit zugutekommen.87 Bei der Verzeihung handelt es sich nach
der hM um eine Willenserklärung.88 Kritik an dieser Regelung, wonach eine
Willenserklärung      bzw     Verzeihung      ohne     vorhandene       Geschäftsfähigkeit
ausgesprochen werden kann, wird gesondert unter Punkt 3.3. besprochen.

Da eine Verzeihung nur zu Lebzeiten des Erblassers erfolgen und nicht für die
Zukunft ausgesprochen werden kann, bedeutet das für strafbare Handlungen iSd
§§ 539 und 540 ABGB, dass eine Verzeihung nach dem Tod des Erblassers nicht
möglich ist. Alle Taten iSd § 539 f ABGB, die also nach dem Tod des
Verstorbenen begangen werden, können nicht mehr durch Verzeihung beseitigt
werden und führen ex lege zur Erbunwürdigkeit, da es sich bei ihnen um absolute
Erbunwürdigkeitsgründe handelt.89 Anders verhält es sich mit den relativen
Erbunwürdigkeitsgründen, diese sind nur zu Lebzeiten relevant und kommt daher
eine Verzeihung nach dem Tod des Verstorbenen ohnehin nicht in Frage.90

3.2. Relative Erbunwürdigkeitsgründe

Zu den relativen Erbunwürdigkeitsgründen gem § 541 Z 1 ABGB zählt die
vorsätzliche Begehung einer strafbaren Handlung, die mit mehr als einem Jahr
Freiheitsstrafe bedroht ist und die gegen den Ehegatten, eingetragenen Partner
oder Lebensgefährten des Erblassers sowie gegen seine Verwandten in gerader
Linie gerichtet ist. Weiters gilt als Erbunwürdigkeitsgrund die Zufügung schweren
seelischen Leides gegen den Erblasser und die Vernachlässigung von Pflichten
aus    dem      Eltern-Kind-Verhältnis.91      Da     es    sich    dabei     um     relative
Erbunwürdigkeitsgründe handelt, gelten sie subsidiär, also nur dann, wenn der

87
   Barth, "Zu erkennen Geben" und "natürlicher" Wille - Eine Studie zu einer besonderen Form
der Handlungsfähigkeit im österreichischen Recht, ÖJZ 2019/16, 101 ff.
88
   Christandl/Nemeth, Das neue Erbrecht - ausgewählte Einzelfragen, NZ 2016/1, 1 (7).
89
   Christandl/Nemeth, Das neue Erbrecht - ausgewählte Einzelfragen, NZ 2016/1, 1 (7).
90
   Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 73.
91
   § 541 ABGB, BGBl I 2015/87.

                                             18
Verstorbene selbst nicht in der Lage war, eine Beschränkung der Erbenstellung
vorzunehmen. Im Gegensatz zu den absoluten Erbunwürdigkeitsgründen greifen
sie also nicht automatisch und unabhängig davon, ob der Erblasser die
Möglichkeit hatte das Erbrecht zu entziehen.92 Die Geltendmachung von relativen
Erbunwürdigkeitsgründen       kommt      außerdem      nur   für   Verfehlungen       zur
Anwendung, die zu Lebzeiten des Erblassers begangen wurden.93

Es geht also vor allem darum, dass die Erbunwürdigkeit nur eintritt, wenn der
Erblasser nicht in der Lage war eine Enterbung bzw eine sonstige Beschränkung
selbst vorzunehmen. Auf welche Umstände hier, neben der Testierunfähigkeit
und Unkenntnis, abgestellt wird, geht aus den Materialen94 nicht hervor. Unklar
bleibt auch, was unter Unkenntnis zu verstehen ist. Es kann damit einerseits
gemeint sein, dass der Erblasser nicht von der Straftat wusste, aber auch, dass
er einem Rechtsirrtum unterlag und nicht wusste, dass er aufgrund der Straftat
eine Enterbung vornehmen hätte können bzw müssen.95 Welche Gründe unter
,,sonstige Gründe‘‘ fallen, bleibt weitgehend offen und wird hier auf den Einzelfall
abzustellen sein. Legt man den Begriff weit aus, könnte damit gemeint sein, dass
der Erblasser bspw aus Zeitmangel oder Vergesslichkeit nicht mehr zu einer
Enterbung gekommen ist. Obwohl dieses Versäumnis in seiner Sphäre liegt,
könnte es dann zur Erbunwürdigkeit kommen. Es könnte aber auch sein, dass
es sich nur in ganz speziellen und seltenen Fällen um ,,sonstige Gründe‘‘ handelt,
etwa wenn der Erblasser eingesperrt wäre und ihm keine Schreibutensilien zur
Verfügung stehen würden. Warum in § 541 ABGB andere Maßstäbe angelegt
werden, als in § 539 ABGB, in dem lediglich auf die Verzeihung abgestellt wird,
bleibt unklar.96 Klar ist aber, dass auch die Erbunwürdigkeitsgründe des § 541
ABGB durch Verzeihung beseitigt werden können.97

Ein Grund für die Differenzierung könnte sein, dass manche Taten, nämlich
solche, die absolute Erbunwürdigkeit begründen, so schwer wiegen, dass es

92
   ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5.
93
   Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 73.
94
   ErläutRV 688 BlgNR 25. GP.
95
   Zöchling-Jud in Rabl/Zöchling-Jud, Pflichtteilsrecht, 71 (84 f).
96
   Schauer/Motal/Reiter/Hofmair/Wöß, Erbrechtsreform: Paradigmenwechsel oder Window
Dressing? JEV 2015, 40 (44).
97
   Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 84.

                                          19
keiner Enterbung mehr bedarf, während andere Taten nicht ganz so verwerflich
sind und sozusagen eine Mittellösung zwischen Enterbung und Erbunwürdigkeit
bilden sollen.98

Wenn die Voraussetzungen gem § 541 ABGB erfüllt sind, dann wird dadurch
Erbunwürdigkeit begründet. Es folgen dann die gleichen Konsequenzen für die
Erbunwürdigkeit wegen relativer Erbunwürdigkeitsgründe, wie für das Vorliegen
von absoluten Erbunwürdigkeitsgründen. Sie führen beide zu relativer
Erbunfähigkeit.99

Auch wenn es zur Erfüllung der Tatbestände gem §§ 541 Z 2 und Z 3 ABGB eine
strafbare Handlung nicht erforderlich ist, sollen diese untenstehend kurz
behandelt werden. Dies auch vor dem Hintergrund, dass eine strafbare Handlung
begangen werden kann, die aber die Voraussetzungen des § 539 ABGB nicht
erfüllt, weil bspw ein zu geringes Strafmaß angedroht ist, die gleiche strafbare
Handlung aber eine Erbunwürdigkeit wegen Zufügung von schwerem seelischen
Leid gem § 541 Z 2 ABGB begründen könnte.100

3.2.1. Strafbare Handlung gegen Angehörige

Anders als § 539 ABGB, in dem eine Straftat gegen den Erblasser selbst
erforderlich ist, um Erbunwürdigkeit zu begründen, normiert § 541 Z1 ABGB,
dass eine strafbare Handlung gegen nahe Angehörige des Erblassers die
Erbunwürdigkeit zur Folge hat. Wirft man einen Blick auf die ältere Judikatur lässt
sich erkennen, dass vor dem ErbRÄG 2015101 eine Straftat gegen nahe
Angehörige des Erblassers nicht ausreichte, um als Erbunwürdigkeitsgrund zu
gelten.102 Dieser (von der Lehre kritisierte) Umstand wurde durch die Schaffung
des § 541 Z 1 ABGB beseitigt.103

98
  Rabl, Erbrechtsreform 2015 - Pflichtteilsrecht neu, NZ 2015/107, 321 (327).
99
   Welser, Erbrechts-Kommentar § 538 Rz 4.
100
    Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 78.
101
    Erbrechtsänderungsgesetz, BGBl I 2015/87.
102
    RIS-Justiz RS0014981; siehe auch RIS-Justiz RS0012264.
103
    Zöchling-Jud in Rabl/Zöchling-Jud, Pflichtteilsrecht, 71 (85).

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Zunächst ist festzustellen, wer zu diesem Kreis der Angehörigen gehört, um eine
relative Erbunwürdigkeit begründen zu können. Im § 541 Z 1 ABGB werden iSd
damaligen § 284c ABGB der Ehegatte, der eingetragene Partner und
Lebensgefährte sowie Verwandte in gerader Linie, also Vorfahren und
Nachkommen (Großeltern, Eltern, Kinder, Enkel usw.) genannt.104 Hier ist
insofern Vorsicht geboten, als es sich nicht um den gleichen Kreis an
Angehörigen wie im § 770 Z 2 ABGB handelt, welcher einen Enterbungsgrund
normiert und bei dem der Angehörigenbegriff weiter gefasst ist.

Ein Beispiel: Der Erblasser kann jemanden enterben, der gegen seine Schwester
eine vorsätzliche strafbare Handlung, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe
bedroht ist, begangen hat.105 Unterbleibt, aus welchem Grund auch immer
(Testierunfähigkeit, Unkenntnis, sonstiger Grund), die Enterbung, kann wegen
einer   Straftat    gegen     die    Schwester      des    Erblassers     kein    relativer
Erbunwürdigkeitsgrund geltend gemacht werden. Geschwister sind nämlich nicht
vom Angehörigenbegriff gem § 541 Z 1 ABGB mitumfasst. Tauscht man in
diesem Beispiel die Schwester gegen die Ehefrau des Erblassers aus, dann wäre
es bei einer unterbliebenen Enterbung sehr wohl möglich, dass eine relative
Erbunwürdigkeit zum Tragen kommt.

Als weitere Voraussetzung des § 541 Z 1 ABGB gilt wie bereits in § 539 ABGB,
dass es sich um eine vorsätzlich begangene strafbare Handlung handeln muss,
die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist. Außerdem kann auch bei
dieser strafbaren Handlung die Privilegierung gem § 166 StGB zur Anwendung
kommen. Dadurch ergibt sich aber ein gewisser Widerspruch, denn nur weil der
Täter Angehöriger des Erblassers ist, bedeutet dies nicht, dass er auch ein
Angehöriger des Opfers ist. Das kann dazu führen, dass eine Straftat gegen den
Erblasser selbst nicht so leicht zur Erbunwürdigkeit führt, wohingegen eine
Straftat gegen Angehörige des Erblassers, aufgrund der nicht anzuwendenden
Privilegierung, schneller die Voraussetzungen für die Erbunwürdigkeit erfüllt.106

104
    ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 6.
105
    § 770 Z 2 ABGB, BGBl I 2015/87.
106
    Tschugguel, Erbunwürdigkeit und Begehung im Familienkreis, EF-Z 2016/143, 311 f.

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Der Erbunwürdigkeitsgrund wegen der Straftat gegen nahe Angehörige kann
durch Verzeihung beseitigt werden.107 Zur Verzeihung wurde bereits oben unter
Punkt 3.1.4. ausgeführt und gelten diese Ausführungen auch in den Fällen des
§ 541 ABGB. Zu erwähnen ist aber, dass bei Straftaten gegenüber Angehörigen
die Verzeihung des Erblassers gegenüber dem Täter relevant ist. Dass das
Opfer, also der Angehörige des Verstorbenen dem Täter verziehen hat, ist hier
irrelevant und führt nicht zur Beseitigung des Erbunwürdigkeitsgrundes.108

3.2.2. Zufügung schweren seelischen Leides

Das Zufügen von schwerem seelischem Leid ist ebenfalls ein relativer
Erbunwürdigkeitsgrund und gleichzeitig auch ein Enterbungsgrund gem § 770 Z
4 ABGB. Was darunter zu verstehen ist, wird in der ErläutRV näher beschrieben:
So kann es neben der Vernachlässigung von familienrechtlichen Pflichten zu
anderen Situationen kommen, in denen dem Verstorbenen Leid widerfahren ist.
Dies kann unter anderem durch ein im Stich lassen in einer Notsituation, das
Bringen in eine missliche Lage oder eine Verfehlung gem §§ 1325 ff ABGB
geschehen. Bei den Verfehlungen der §§ 1325 ff ABGB, soll es nicht darauf
ankommen, dass diese auch strafrechtlich relevant wären. Weiters können auch
Beschimpfungen, Psychoterror oder das Ausüben von psychischem Druck zur
Erbunwürdigkeit führen, wobei gelegentliche Streite etc nicht darunterfallen
sollen. Das Leid des Erblassers muss dazu objektiv nachvollziehbar sein und
muss es durch ein verpöntes Verhalten entstanden sein. Extra erwähnt wird, dass
eine bestimmte Partnerwahl oder die Wahl eines bestimmten Berufszweiges,
gegen den Willen des Verstorbenen, nicht unter § 541 Z 2 ABGB fallen.109

3.2.3. Gröbliche Vernachlässigung von Pflichten

Ein     weiterer     Erbunwürdigkeitsgrund        kann   die   Vernachlässigung
familienrechtlicher Pflichten sein, die sich aus dem Eltern-Kind-Verhältnis
ergeben.110 Es handelt sich, wie in allen Fällen des § 541 ABGB, um einen

107
    ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5.
108
    Apathy/Neumayr in KBB6 § 539-541 Rz 6.
109
    ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 6.
110
    § 541 Z 3 ABGB, BGBl I 2015/87.

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