ERBUNWÜRDIGKEIT WEGEN STRAFBARER HANDLUNG
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Eingereicht von Leah Hausmann Angefertigt am Institut für Zivilrecht Beurteiler Univ.-Prof. Mag. Dr. Simon Laimer, LL.M. März 2021 ERBUNWÜRDIGKEIT WEGEN STRAFBARER HANDLUNG Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magistra der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Eisenstadt, 10.03.2021 __________________________ Leah Hausmann
INHALTSVERZEICHNIS 1. EINLEITUNG .................................................................................................. 1 1.1. Problemaufriss und Themeneingrenzung ................................................ 1 1.2. Methodik ................................................................................................... 3 1.3. Gang der Untersuchung ........................................................................... 4 1.4. Historische Einführung ............................................................................. 4 2. ERBFÄHIGKEIT ............................................................................................. 5 2.2. Absolute und relative Erbfähigkeit ............................................................ 6 2.3. Zeitpunkt der Erbfähigkeit ........................................................................ 7 3. ERBUNWÜRDIGKEITSGRÜNDE .................................................................. 7 3.1. Absolute Erbunwürdigkeitsgründe ............................................................ 8 3.1.1. Strafbare Handlung gegen den Verstorbenen ................................... 9 3.1.2. Strafbare Handlung gegen die Verlassenschaft .............................. 11 3.1.3. Vereitelung des letzten Willens ........................................................ 11 3.1.4. Privilegierung bei Begehung im Familienkreis ................................. 13 3.1.5. Sonderfall der betrügerischen Krida ................................................ 16 3.1.6. Verzeihung ....................................................................................... 17 3.2. Relative Erbunwürdigkeitsgründe ........................................................... 18 3.2.1. Strafbare Handlung gegen Angehörige ........................................... 20 3.2.2. Zufügung schweren seelischen Leides ............................................ 22 3.2.3. Gröbliche Vernachlässigung von Pflichten ...................................... 22 3.3. Kritik ....................................................................................................... 24 3.4. Zusammenhang zwischen Erbunwürdigkeit und Enterbung .................. 29 4. ERBUNWÜRDIGKEIT BEIM VERSUCH EINER STRAFBAREN HANDLUNG GEGEN DEN ERBLASSER ........................................................ 32 4.1. Der Versuch ........................................................................................... 32 4.2. Erbrechtliche Folgen des Versuchs einer strafbaren Handlung ............. 33 5. ERBUNWÜRDIGKEIT BEIM RÜCKTRITT VOM VERSUCH EINER STRAFBAREN HANDLUNG GEGEN DEN ERBLASSER .............................. 34 5.1. Der Rücktritt vom Versuch ..................................................................... 34 5.2. Erbrechtliche Folgen des Rücktritts vom Versuch .................................. 35 5.3. Erbrechtliche Folgen der tätigen Reue ................................................... 38 6. FOLGEN DER ERBUNWÜRDIGKEIT ......................................................... 39 6.1. Verhinderung des Erbanfalls .................................................................. 40 6.2. Ausschluss vom Pflichtteilsrecht ............................................................ 41 6.3. Ausschluss vom Vermächtnis ................................................................ 43 6.4. Geltendmachung .................................................................................... 43 7. SCHLUSSTEIL ............................................................................................. 44 7.1. Überblick ................................................................................................ 45 7.2. Eigene Ansicht ....................................................................................... 48 7.3. Résumé .................................................................................................. 51 LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................. 54
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS aA anderer Ansicht ABGB Allgemein Bürgerliches Gesetzbuch Abs Absatz aF alte Fassung BGBl Bundesgesetzblatt BlgNR Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates bspw beispielsweise bzw beziehungsweise E Entscheidung EF-Z Zeitschrift für Familien- und Erbrecht EFSlg Ehe- und familienrechtliche Entscheidungen ErbR Erbrecht ErbRÄG Erbrechtsänderungsgesetz ErlRV Erläuterungen zur Regierungsvorlage EvBl Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen in der ÖJZ f folgende ff fortfolgende gem gemäß GP Gesetzgebungsperiode iFamZ Interdisziplinäre Zeitschrift für Familienrecht iSd im Sinne des JBl Juristische Blätter JEV Journal für Erbrecht und Vermögensnachfolge mE meines Erachtens
nF neue Fassung NZ Österreichische Notariatszeitung OGH Oberster Gerichtshof ÖJZ Österreichische Juristenzeitung PatVG Patientenverfügungs-Gesetz Rz Randziffer StGB Strafgesetzbuch WK Wiener Kommentar Z Ziffer zB zum Beispiel
1. Einleitung Die Diplomarbeit befasst sich mit dem Thema der Erbunwürdigkeit im Zusammenhang mit der Begehung einer strafbaren Handlung, dem Versuch einer strafbaren Handlung sowie dem Rücktritt vom Versuch einer strafbaren Handlung. Um eine Erbschaft erwerben zu können, benötigt man gem § 538 ABGB Rechtsfähigkeit und Erbwürdigkeit.1 Das ABGB regelt unter welchen Umständen es zum Verlust der Erbwürdigkeit kommen kann. Die §§ 539 bis 541 ABGB enthalten Gründe für die Erbunwürdigkeit, wobei speziell auf den Erbunwürdigkeitsgrund der strafbaren Handlung gegen den Verstorbenen oder die Verlassenschaft eingegangen werden soll.2 Anschließend wird zu klären sein, inwieweit der Versuch einer strafbaren Handlung bzw. der Rücktritt vom Versuch einer strafbaren Handlung zum Verlust der Erbwürdigkeit führen können. 1.1. Problemaufriss und Themeneingrenzung Die zentralen Themen bzw Problempunkte der Diplomarbeit stellen jene Fragen dar, ab wann eine Person als erbunwürdig gilt. Dabei muss einerseits die Frage geklärt werden, was unter einer strafbaren Handlung zu verstehen ist und andererseits, ob nur dessen Begehung oder bereits der Versuch bzw sogar der Rücktritt vom Versuch ebenfalls zur Erbunwürdigkeit führen. Nachdem diese beiden zentralen Fragenstellungen enorm breit gefächert sind, wird untenstehend die Problemstellung näher erörtert und gleichzeitig auch eine Eingrenzung vorgenommen, um eine Ausuferung der Arbeit zu vermeiden. a) Strafrecht Zur Frage, was als strafbare Handlung gilt, ist auszuführen, dass es sich bei der gegenständlichen Arbeit um eine Diplomarbeit aus dem Fach Bürgerliches Recht handelt und daher auf strafrechtliche Aspekte nur kurz eingegangen werden soll. Dabei soll dargelegt werden, wie der Tatbestand der strafbaren Handlung iSd 1 Welser, Der Erbrechts-Kommentar § 538 Rz 2. 2 Welser, Erbrechts-Kommentar, Vor § 539 Rz 7. 1
§ 539 ABGB zu verstehen ist. Die Voraussetzung der vorsätzlichen Begehung einer Straftat im Zusammenhang mit der Erbunwürdigkeit wird ebenfalls eine Rolle spielen, sodass auch hier Erläuterungen erfolgen, welche jedoch bewusst kurzgehalten werden.3 Gleiches gilt für Ausführungen zum Strafmaß, bei welchen auch die Privilegierung nach § 166 StGB eine Rolle spielen wird.4 Die Definitionen und Erläuterungen zu den jeweiligen strafrechtlichen Begriffen sollen ausschließlich dazu dienen, um die Grundlage zu schaffen, auf welcher anschließend die erbrechtlichen Aspekte genauer beleuchtet werden. b) Erbrecht Der erbrechtliche Teil der Arbeit, welcher den Kernbereich darstellt, setzt sich mit mehreren Problemfeldern auseinander. Zuerst soll klargestellt werden, was man unter dem Begriff Erbfähigkeit versteht und zu welchem Zeitpunkt diese gegeben sein muss. Anschließend soll dargelegt werden, wie man diese Erbfähigkeit verlieren kann. Man unterscheidet zwischen absoluten und relativen Erbunwürdigkeitsgründen, wobei §§ 539 und 540 ABGB zu den absoluten Erbunwürdigkeitsgründen zählen und die Gründe des § 541 ABGB zu den relativen Erbunwürdigkeitsgründen.5 Es handelt sich daher bei der Begehung einer strafbaren Handlung gegen den Verstorbenen oder die Verlassenschaft um einen absoluten Erbunwürdigkeitsgrund. Bei der Begehung einer Straftat gegen Personen gem § 541 ABGB handelt es sich lediglich um einen relativen Erbunwürdigkeitsgrund. Auf diesen Unterschied wird einzugehen sein, jedoch soll das Hauptaugenmerk auf strafbare Handlungen gegen den Verstorbenen, die Verlassenschaft oder nahe Angehörige gelegt werden, sodass Ausführungen zu § 540 ABGB in den Hintergrund rücken und kurzgehalten werden.6 Zu weiteren Unterscheidungen wird es im Hinblick auf die strafbaren Handlungen kommen, bei denen zwischen der Begehung, dem Versuch7 und dem Rücktritt 3 Kirchbacher in Höpfel/Ratz, Wiener Kommentar zum StGB2 § 17 Rz 1 ff. 4 Kirchbacher in Höpfel/Ratz, WK StGB2 § 166 Rz 1. 5 Welser, Erbrechts-Kommentar, Vor § 539 Rz 7. 6 Apathy/Neumayr in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, Kurzkommentar zum ABGB6 §§ 539–541 Rz 1. 7 § 15 StGB, BGBl 1974/60. 2
vom Versuch8 zu differenzieren ist und die damit einhergehenden Problemstellungen und Folgen zu ermitteln sind. Während der Rücktritt vom Versuch zu keiner Erbunwürdigkeit führt9, kann der Versuch einer strafbaren Handlung sehr wohl zum Vorliegen eines Erbunwürdigkeitsgrundes führen.10 Vor diesem Hintergrund wird auch auf die Frage einzugehen sein, ob die Verurteilung oder ein schuldhaftes Handeln als Voraussetzungen für die Erbunwürdigkeit gegeben sein müssen. Wurde eine Straftat begangen, die zur Erbunwürdigkeit führen kann, kommt es auch auf das Verhalten des Verstorbenen an, der die Begehung bzw den Versuch verzeihen kann. Dadurch kann eine Person wieder erbwürdig werden.11 1.2. Methodik Das Thema der Erbunwürdigkeit wegen strafbarer Handlung soll rechtsdogmatisch aufgearbeitet werden, sodass Gesetztestexte, hier vor allem auch das ErbRÄG 201512 und die dazugehörigen Gesetzesmaterialien, nach den grundlegenden Regeln der Rechtswissenschaften interpretiert und ausgelegt werden sollen. Die Auslegung soll anhand der verschiedenen Auslegungsmethoden, wie der Wortinterpretation, der systematischen Interpretation, der historischen sowie teleologischen Interpretation erfolgen. Gleichzeitig wird unter Heranziehung von einschlägiger Literatur und Judikatur das Thema analysiert und aufbereitet. Ziel der Arbeit ist es, einen guten Überblick über den Erbunwürdigkeitsgrund der strafbaren Handlung zu geben. Es soll Klarheit darüber geschaffen werden, wann eine strafbare Handlung zur Erbunwürdigkeit führt und unter welchen Umständen keine Erbunwürdigkeit begründet wird. 8 § 16 StGB, BGBl 1974/60. 9 OGH 24.04.2020, 2 Ob 100/19y. 10 Apathy/Neumayr in KBB6 §§ 539–541 Rz 2. 11 Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 § 539 Rz 8. 12 Erbrechtsänderungsgesetz, BGBl I 2015/87. 3
1.3. Gang der Untersuchung Um das Thema der Erbunwürdigkeit im Zusammenhang mit einer strafbaren Handlung systematisch zu bearbeiten, gliedert sich der Hauptteil der Arbeit in acht Abschnitte: Zunächst soll klargestellt werden, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um erbfähig zu sein. Danach soll anhand der Erbunwürdigkeitsgründe dargelegt werden, wie die Erbfähigkeit verloren gehen kann. Dazu werden die einzelnen Tatbestände, sowohl der absoluten Erbunwürdigkeitsgründe als auch der relativen Erbunwürdigkeitsgründe, dargestellt und anhand von Beispielen, Materialien und Judikatur erörtert. Besonderes Augenmerk wird auf den Erbunwürdigkeitsgrund der strafbaren Handlung und im Zuge dessen auf die strafrechtliche Privilegierung13 gewisser Delikte gelegt. Außerdem werden die Wechselwirkungen zwischen Erbunwürdigkeit und Enterbung dargestellt. Anschließend soll die Kritik der Lehre an der Gesetzgebung und Rechtsprechung erörtert werden. In den darauf folgenden beiden Abschnitten werden die erbrechtlichen Folgen des Versuchs einer strafbaren Handlung einerseits und andererseits die Folgen des Rücktritts vom Versuch einer strafbaren Handlung näher untersucht. Weiters wird dargestellt, welche Folgen die Begründung der Erbunwürdigkeit mit sich bringt. Abschließend werden die Ergebnisse nochmals im Überblick zusammengefasst und resümiert. 1.4. Historische Einführung Mit dem ErbRÄG 2015 wurde ein Großteil der erbrechtlichen Bestimmungen im ABGB, die zum Teil noch aus der Urfassung aus dem Jahre 1811 stammten, erneuert. Das Gesetz wurde sprachlich angepasst und es erfolgte eine Aufarbeitung der bis dahin ergangenen Rechtsprechung und Lehre.14 Durch die Reform sollte eine bessere Übersicht über die Rechtsordnung geschaffen werden, die Berücksichtigung von Pflegeleistungen gewährleistet sein, die 13 § 166 StGB, BGBl I 2015/154. 14 Pesendorfer, Die Erbrechtsreform im Überblick, Allgemeiner Teil - gewillkürte Erbfolge - gesetzliches Erbrecht - Erbschaftserwerb - Verjährung, iFamZ 2015, 230. 4
Testierfreiheit gestärkt und nebenbei auch die Vorgaben der Europäischen Union umgesetzt werden.15 Daraus folgten auch Änderungen hinsichtlich der Erbunwürdigkeit, sodass seitdem unter anderem zwischen absoluten und relativen Erbunwürdigkeitsgründen unterschieden wird. Wieder eingeführt wurde auch der Erbunwürdigkeitsgrund der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung gegen nahe Angehörige gem § 541 Z 1 ABGB. Der Erbunwürdigkeitsgrund aufgrund der Zufügung von schwerem seelischem Leid wurde ebenfalls eigens in § 541 Z 2 ABGB erwähnt. Außerdem wird festgehalten, dass jeder Erbunwürdigkeitsgrund durch Verzeihung beseitigt werden kann.16 Bei dieser Zusammenfassung der Änderungen handelt es sich allerdings nur um einen groben Überblick. Die Neuerungen zur Erbunwürdigkeit (§§ 539 ff ABGB) traten am 1. Jänner 2017 in Kraft und sind seither auf alle Todesfälle nach dem 31. Dezember 2016 anzuwenden. Wann das Verhalten, das die Erbunwürdigkeit begründen soll, gesetzt wurde, ist hierbei unerheblich.17 2. Erbfähigkeit Erbfähig ist, wer rechtsfähig und erbwürdig ist.18 Es wird hier auf die allgemeine Rechtsfähigkeit gem § 16 ABGB abgestellt, wonach jede natürliche Person rechtsfähig ist.19 Jedoch können auch juristische Personen (Gesellschaften, Vereine, Stiftungen, etc.) Träger von Rechten und Pflichten und somit auch rechts- bzw erbfähig sein.20 Jeder Erwerb von Todes wegen setzt die Erbwürdigkeit voraus. Es bedarf also auch für den Erwerb von Vermächtnissen oder Pflichtteilen der Erbwürdigkeit. Gleiches gilt für Ersatz- und Nacherben, die ebenfalls erbwürdig sein müssen, um zum Zug zu kommen.21 15 ErlRV 688 BlgNR 25. GP 1. 16 Pesendorfer, Die Erbrechtsreform im Überblick, iFamZ 2015, 230 (231). 17 Hofmair, Erbunwürdigkeit und Enterbung nach dem ErbRÄG 2015, JEV 2016, 47. 18 § 538 ABGB, BGBl I 2015/87. 19 Koch in KBB6 § 16 Rz 1. 20 Aicher in Rummel/Lukas, ABGB4 § 26 Rz 24 ff. 21 Werkusch-Christ in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08 § 538 Rz 1. 5
2.2. Absolute und relative Erbfähigkeit Beim Begriff der Erbfähigkeit handelt es sich um einen Teilbereich der Rechtsfähigkeit. Rechtsfähigkeit als absolute Erbfähigkeit bedeutet, dass grundsätzlich jede natürliche oder juristische Person Erbe einer verstorbenen Person sein kann. Demgegenüber beschreibt der Begriff der Erbwürdigkeit, als zweite Voraussetzung für die Erbfähigkeit, die Fähigkeit als konkrete Person beerbt zu werden und wird als relative Erbfähigkeit bezeichnet.22 Da grundsätzlich jede rechtsfähige natürliche und juristische Person erbfähig ist, kommt die absolute Erbunfähigkeit nur noch in Sonderfällen zum Tragen und verhindert den Erwerb von Todes wegen gegenüber jedem potentiell Verstorbenen bzw. Erblasser.23 Anders ist das bei der relativen Erbunfähigkeit, hier geht es nicht darum, ob man überhaupt fähig ist zu erben, sondern darum, ob man von einer ganz bestimmten Person beerbt werden kann. Daraus lässt sich ableiten, dass eine rechtsfähige Person, die an sich eine Erbschaft erwerben könnte, aus bestimmten Gründen die Erbschaft nicht antreten darf, weil sie aufgrund ihrer Erbunwürdigkeit relativ erbunfähig ist.24 Genau diese Gründe, vor allem jener der Begehung einer strafbaren Handlung, sollen nachstehend näher erläutert werden. Ein Erbverzicht führt nicht zur (absoluten) Erbunfähigkeit. Der Verzichtende kann trotzdem letztwillig bedacht werden und es ist ihm auch möglich einen Verzicht zu widerrufen. Dementsprechend kann trotz Erbverzichts geerbt werden und er führt nicht automatisch zur Erbunfähigkeit.25 22 Pesendorfer in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts, Entstehung des Erbrechts, Erbverzicht, Erbschaftserwerb und Verjährung, 19 ff. 23 Werkusch-Christ in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08 § 538 Rz 2. 24 Welser, Erbrechts-Kommentar § 538 Rz 1 f. 25 RIS-Justiz RS0012321. 6
2.3. Zeitpunkt der Erbfähigkeit Der maßgebliche Zeitpunkt, in welchem die Erbfähigkeit gegeben sein muss, ist jener des Erbanfalls. Erbanfall ist regelmäßig der Zeitpunkt des Todes. Wird einer Person die Erbfähigkeit erst danach zuteil, so bleibt dies unbeachtlich.26 Umgekehrt kann hingegen ein bestimmtes Verhalten nach dem Erbanfall zum Verlust der Erbfähigkeit führen. Dies ist etwa der Fall, wenn es nach dem Erbanfall zu strafbaren Handlungen gegen die Verlassenschaft kommt bzw versucht wird den letzten Willen des Verstorbenen zu verhindern oder zu umgehen. Die Folgen der Erbunfähigkeit kommen demnach rückwirkend zur Anwendung.27 3. Erbunwürdigkeitsgründe Das Gesetz unterscheidet zwischen verschiedenen Erbunwürdigkeitsgründen, die in den §§ 539 bis 541 ABGB aufgezählt werden. Die strafbare Handlung gegen den Verstorbenen oder die Verlassenschaft sowie die Vereitelung des wahren letzten Willens werden als absolute Erbunwürdigkeitsgründe bezeichnet. Strafbare Handlungen gegenüber Angehörigen des Erblasser sowie die Zufügung schweren seelischen Leides oder Vernachlässigung familiärer Pflichten gegenüber dem Verstorbenen zählen hingegen zu den relativen bzw. subsidiären Erbunwürdigkeitsgründen.28 Bei den absoluten Erbunwürdigkeitsgründen handelt es sich gleichzeitig auch um Enterbungsgründe. Die strafbare Handlung iSd § 539 ABGB sowie die Vereitelung des letzten Willens führen von Gesetzes wegen zum Verlust des Erbrechts und für den Erblasser zur Möglichkeit, den Pflichtteil zu entziehen. Bei den subsidiären Erbunwürdigkeitsgründen nach § 541 ABGB ist dies nicht automatisch der Fall.29 Zunächst wird hier geprüft, ob wegen des Fehlverhaltens eine Enterbung gem § 770 ABGB durch den Testator veranlasst hätte werden können. Anschließend kommt es darauf an, ob der Testator kumulativ dazu die 26 Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 543 Rz 2 f. 27 Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) §§ 545,546 Rz 17 f. 28 Apathy/Neumayr in KBB6 § 539-541 Rz 2 ff. 29 Welser, Erbrechts-Kommentar vor § 539 Rz 7. 7
Enterbung wegen Testierunfähigkeit, Unkenntnis oder aus sonstigen Gründen nicht vornehmen konnte und dadurch der Wille des Testators verhindert wurde. Zu einem Verlust des Erbrechts von Gesetzes wegen kommt es in diesem Fall nur, wenn dem Testator die Enterbung aus bestimmten Gründen nicht möglich war.30 Ob ein solcher Grund vorgelegen ist, lässt sich oft schwer feststellen und führt sohin zu Problemen und bringt Rechtsunsicherheit mit sich. Zu weiteren Problemen führt die Tatsache, dass die Erbunwürdigkeitsgründe nicht ident mit jenen des § 570 ABGB sind. Dies lässt sich etwa am Beispiel von Geschwistern zeigen: Wird gegen die Schwester des Erblassers eine vorsätzliche strafbare Handlung begangen, wäre eine Enterbung gem § 770 Z 2 ABGB möglich. Unterbleibt eine solche Enterbung jedoch aus den oben genannten Gründen, hat dies hinsichtlich der Erbunwürdigkeit keine Konsequenzen. Der Grund dafür ist, dass die Schwester des Erblassers nicht zum geschützten Personenkreis iSd § 541 Z 1 ABGB zählt.31 3.1. Absolute Erbunwürdigkeitsgründe Die absoluten Erbunwürdigkeitsgründe der §§ 539 f ABGB haben zur Folge, dass unabhängig von der Möglichkeit einer Enterbung durch den Erblasser, die Erbfähigkeit verloren geht. Es wird davon ausgegangen, dass die Verfehlungen iSd §§ 539 f ABGB so schwerwiegend sind, dass der Erblasser, egal ob er dazu in der Lage gewesen wäre oder nicht, sowieso enterbt hätte. Es soll damit der wahre Wille des Erblassers gewahrt werden.32 Demnach kommt es, wie oben beschrieben, zu einer Gliederung der Erbunwürdigkeitsgründe, wobei die absoluten Erbunwürdigkeitsgründe die schwerwiegendsten Verfehlungen darstellen. Dennoch kann eine Verzeihung auch absolute Erbunwürdigkeitsgründe beseitigen.33 Im Folgenden soll zu den absoluten Erbunwürdigkeitsgründen näher ausgeführt werden wie folgt: 30 Welser, Erbrechts-Kommentar § 541 Rz 1 f. 31 Scheuba, Miszellen aus der Praxis zu Erbunwürdigkeit und Enterbung, EF-Z 2019/60, 106 (107). 32 RIS-Justiz RS0123752. 33 ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5. 8
3.1.1. Strafbare Handlung gegen den Verstorbenen Damit es sich bei der strafbaren Handlung gegen den Verstorbenen oder die Verlassenschaft um einen Erbunwürdigkeitsgrund iSd § 539 ABGB handelt, muss die strafbare Handlung vorsätzlich begangen werden und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sein.34 Die Erbunwürdigkeit hängt nicht davon ab, ob es auch zu einer Verurteilung bzw. zur Einleitung eines Verfahrens wegen dieser Straftat gekommen ist. Das Zivilgericht ist in diesem Fall nicht an die Entscheidung des Strafgerichtes gebunden.35 Die Verjährung der Straftat schadet ebenfalls nicht um, die Voraussetzungen des § 539 ABGB zu erfüllen.36 Die Verjährung schadet deshalb nicht, weil im Strafrecht auf die Spezial- bzw Generalprävention abgestellt wird, die nach einer gewissen Zeit nicht mehr notwendig ist, wohingegen das im Erbrecht irrelevant ist und es nur auf den vermuteten Willen des Erblassers ankommt.37 Es kommt im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung auch nur auf die Obergrenze der Strafdrohung und nicht auf die tatsächlich verhängte Strafe an. Außerdem ist bei der Beurteilung der Erbunwürdigkeit der Freispruch durch das Strafgericht nicht relevant, sondern kann dennoch die Erbunwürdigkeit durch ein Zivilgericht festgestellt werden. In zivilrechtlicher Hinsicht hat das Gericht in Form einer strafrechtlichen Vorfrage selbst zu entscheiden, ob es sich um eine strafbare Handlung iSd § 539 ABGB handelt.38 Das Zivilgericht hat hier im Zuge der freien Beweiswürdigung zu entscheiden, solange kein geltender Schuldspruch durch das Strafgericht erfolgt ist.39 Zur Frage, auf welchen Zeitpunkt bei der Strafdrohung abzustellen ist, gibt es unterschiedliche Meinungen. Durch spätere Änderungen seitens des Gesetzgebers kann es hier durchaus zu Unklarheiten kommen, weil etwa das Strafmaß erhöht oder herabgesetzt wird. Es darf in solchen Fällen jedoch davon 34 Werkusch-Christ in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08 § 538 Rz 1. 35 RIS-Justiz RS0014990. 36 Apathy/Neumayr in KBB6 § 539-541 Rz 2. 37 Neumayr, Keine Erbunwürdigkeit bei Strafaufhebungsgründen? NZ 2020/81, 299 (301). 38 Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 539 Rz 4. 39 RIS-Justiz RS0014986. 9
ausgegangen werden, dass das Strafmaß für den Zeitpunkt der Tatbegehung herangezogen wird. Dafür spricht unter anderem das Rückwirkungsverbot gem § 61 StGB und ergibt sich diese Ansicht auch aus dem ErbRÄG 2015.40 Dass sich die strafbare Handlung gegen den Erblasser richten muss, bedeutet auch, dass sich der Vorsatz gegen ihn richten muss. Der Vorsatz darf in diesem Zusammenhang nicht mit dem strafrechtlichen Begriff des Vorsatzes41 gleichgesetzt werden, da es beim strafrechtlichen Vorsatz nicht darauf ankommt, ob man die strafbare Handlung gegen die ,,richtige‘‘ Person begangen hat.42 Kommt es also zu einer Verwechslung und wird der Erblasser lediglich aus Versehen (zB durch eine Verwechslung) das Opfer einer strafbaren Handlung, dann hat sich der Vorsatz nicht gegen ihn gerichtet. In so einem Fall würde kein Erbunwürdigkeitsgrund vorliegen, obwohl in strafrechtlicher Hinsicht ein Vorsatz bejaht werden könnte. Umgekehrt kommt es sehr wohl zur Erbunwürdigkeit, wenn der Erbe eine vorsätzliche strafbare Handlung gegen den Erblasser begeht und er nur nicht wusste, dass er als potentieller Erbe in Frage kommt.43 Liegen Rechtfertigungsgründe, wie etwa Notwehr, Notstand oder die Einwilligung vor, dann führt dies zu keiner Erbunwürdigkeit.44 Ebenso kann ein Verhalten sogar vom Erblasser erwünscht sein, wie etwa der Wille als Patient nicht weiter behandelt zu werden oder passive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Gelingt es dem Erben diesen Willen des Erblassers zu beweisen, dann liegt kein Grund für eine Erbunwürdigkeit vor. Im Zweifel ist jedoch anzunehmen, dass der Erblasser weiterleben wollte und herrschen hier besonders strenge Beweisregeln.45 Dabei sei erwähnt, dass der VfGH in seiner aktuellen Entscheidung das Verbot der Hilfestellung aufgehoben hat, während die Tötung auf Verlangen verboten bleibt. Diese neue Rechtslage gilt ab 2022.46 Ist eine Person schuld- bzw deliktsunfähig, kann die Begehung einer strafbaren Handlung ebenfalls nicht zur Erbunwürdigkeit führen.47 40 Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 13 ff. 41 § 5 StGB, BGBl 1974/60. 42 Reindl-Krauskopf in Höpfel/Ratz, WK StGB2 § 5 Rz 10. 43 Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 20 f. 44 Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 10. 45 RIS-Justiz RS0123753. 46 VfGH 11.12.2020, G 139/2019-71. 47 OGH 07.12.1993, 6 Ob 636/93. 10
Ist eine strafbare Handlung bereits bei fahrlässiger Begehung strafbar, wird trotzdem die vorsätzliche Begehung benötigt, um eine Erbunwürdigkeit zu begründen.48 Maßgebend für die Beurteilung der Erbunwürdigkeit kann auch das Verhältnis des Täters zum Erblasser sein. Die Besonderheiten der Begehung im Familienkreis werden unter Punkt 3.1.3. eigens behandelt. 3.1.2. Strafbare Handlung gegen die Verlassenschaft Neben der strafbaren Handlung gegen den Erblasser selbst, kann auch die strafbare Handlung gegen die Verlassenschaft zur Erbunwürdigkeit führen. Anders als die Straftat gegen den Erblasser, kann sie nur nach seinem Tod geschehen.49 Davon erfasst sein sollen Straftaten wie Unterschlagung, Zerstörung, Diebstahl oder widerrechtliche Kontobehebungen gegen die Verlassenschaft, weil auch dadurch der letzte Wille bzw die gesetzliche Erbfolge verhindert wird.50 Der Erbunwürdigkeitsgrund der strafbaren Handlung kann nicht, wie die anderen Erbunwürdigkeitsgründe, durch Verzeihung beseitigt werden, da sie erst nach dem Tod des Erblassers erfolgt und der Verstorbene keine Verzeihung mehr aussprechen kann.51 3.1.3. Vereitelung des letzten Willens Zu den absoluten Erbunwürdigkeitsgründen zählt auch die absichtliche Vereitelung des wahren letzten Willens des Verstorbenen gem § 540 ABGB. Diese Bestimmung erwähnt explizit, dass derjenige nicht erben soll, der den Verstorbenen durch Zwang oder Arglist zu einer letztwilligen Erklärung verleitet oder ihn an der Erklärung bzw Änderung gehindert hat. Auch wer den letzten Willen des Verstorbenen unterdrückt, soll nicht erben.52 Besonders wichtig ist hier, dass die Vereitelung des letzten Willens absichtlich passiert. Die 48 Welser, Erbrechts-Kommentar § 539 Rz 7. 49 Welser, Erbrechts-Kommentar § 539 Rz 10. 50 ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5. 51 Christandl/Nemeth, Das neue Erbrecht - ausgewählte Einzelfragen, NZ 2016/1, 1 (7). 52 Welser, Erbrechts-Kommentar § 540 Rz 5. 11
Absichtlichkeit wurde von der Rechtsprechung53 bereits länger gefordert und wurde auch im § 540 ABGB normiert.54 Im Gegensatz zur strafbaren Handlung gem § 539 ABGB, bei welcher die Straftat entweder nur vor dem Tod gegen den Erblasser oder nach Lebzeiten gegen die Verlassenschaft begangen werden kann, ist die Vereitelung des wahren letzten Willens sowohl zu Lebzeiten, als auch nach dem Tod des Erblassers möglich. Die Gründe des § 540 ABGB sind nicht taxativ aufgezählt, sodass auch andere Handlungen gegen die Verlassenschaft in Frage kommen, welche eine Person erbunwürdig machen.55 In diesem Fall führt bspw auch die Fälschung oder Unterschiebung eines Testaments zur Erbunwürdigkeit.56 Genauso verhält es sich, wenn über die Formerfordernisse eines Testaments nicht aufgeklärt wird, um so die letztwillige Verfügung zu vereiteln.57 Die Berufung auf ein Testament, das wissentlich nie errichtet wurde, um den Willen des Erblassers zu vereiteln, führt ebenfalls zur Erbunwürdigkeit. Das gleiche gilt auch für andere letztwillige Verfügungen die den letzten Willen betreffen, wie etwa der Erbvertrag.58 Es kommt hier immer darauf an, ob vorsätzlich der wahre letzte Wille des Erblassers vereitelt werden soll.59 Das wird vor allem klar, wenn man bedenkt, dass es nicht zur Erbunwürdigkeit kommen muss, wenn ein Testament gerade aus dem Grund gefälscht wird, um den letzten Willen des Erblassers zu wahren.60 Erbunwürdigkeit liegt auch dann vor, wenn durch den Erblasser selbst kein Testament verfasst wurde, daher die gesetzliche Erbfolge eintreten würde und durch eine Handlung des Erben die gesetzliche Erbfolge beeinflusst werden soll, etwa durch Fälschung eines Testaments.61 Ob die Handlung tatsächlich zum Erfolg geführt hat und somit der wahre letzte Wille vereitelt wurde, ist für die Erbunwürdigkeit irrelevant. So bleibt es auch bei 53 RIS-Justiz RS0112469; RS0014978. 54 ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5. 55 Apathy/Neumayr in KBB6 § 539-541 Rz 3 f. 56 RIS-Justiz RS0012271. 57 OGH 1 Ob 581/84 NZ 1985 (13). 58 OGH 8 Ob 112/08s EvBl 2009/94 (659). 59 RIS-Justiz RS0012273. 60 OGH 5 Ob 616/83 SZ 57/95. 61 RIS-Justiz RS0133447. 12
der Erbunwürdigkeit, wenn etwa durch die Errichtung eines neuen Testaments das gefälschte Testament ohnehin ersetzt wurde.62 3.1.4. Privilegierung bei Begehung im Familienkreis Wie bereits unter Punkt 3.1.1. erwähnt, kann es eine Rolle spielen, in welchem Verhältnis eine Person zum Erblasser steht, wenn sie gegen ihn eine strafbare Handlung begeht. Denn neben der Voraussetzung des Vorsatzes muss die strafbare Handlung auch mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht sein, um eine Erbunwürdigkeit zu begründen.63 Welche Folgen die Begehung im Familienkreis nach sich zieht und ob eine Begehung im Familienkreis auch hinsichtlich der Vereitelung des letzten Willens möglich ist, soll nun näher betrachtet werden: Die Privilegierung bei Begehung im Familienkreis ist in § 166 StGB normiert, wonach bei einer Vielzahl von Delikten ein geringeres Strafmaß angesetzt wird, wenn die Tat im Familienkreis begangen wird.64 Zusätzlich zum geringeren Strafmaß soll die Straftat nur auf Verlangen des Täters verfolgt werden, sie wird also zum Privatanklagedelikt.65 Nahe Angehörige iSd § 166 StGB sind Ehegatten, eingetragene Partner, Verwandte in gerader Linie, Geschwister oder andere Angehörige, sofern sie mit dem Täter in Hausgemeinschaft leben (Lebensgefährte etc.).66 So fällt bspw die angedrohte Höchststrafe für einen schweren Betrug gem §§ 147 Abs 1 iVm 166 StGB auf unter ein Jahr Freiheitsstrafe, wenn er von einem nahen Angehörigen begangen wird. Als Beispiel: Die Begehung einer strafbaren Handlung gem § 147 Abs 1 Z 1 StGB gegen den Erblasser würde ohne Privilegierung zur Erbunwürdigkeit des Täters führen, da die Straftat mit einer dreijährigen Freiheitsstrafe bedroht ist. Nach Anwendung des § 166 StGB fällt die angedrohte Freiheitsstrafe auf sechs Monate 62 OGH 1 Ob 281/06i iFamZ 2007/133 (256). 63 § 539 ABGB, BGBl I 2015/87. 64 Kirchbacher in Höpfel/Ratz, WK StGB2 § 166 Rz 3 ff. 65 § 166 Abs 3 StGB, BGBl I 2015/154. 66 Kirchbacher in Höpfel/Ratz, WK StGB2 § 166 Rz 8 ff. 13
herab. Die Privatanklagedelikte des § 166 StGB haben also ein zu geringes Strafmaß, um tatsächlich zur Erbunwürdigkeit zu führen.67 Für die Begründung der Erbunwürdigkeit kommen nachstehende begünstigte Delikte68 in Betracht, da sie mit einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr zu bestrafen sind69: • Schwere Sachbeschädigung gem § 126 StGB • Datenbeschädigung gem § 126a Abs 2 bis 4 StGB • Störung der Funktionsfähigkeit eines Computersystems gem § 126b Abs 2 bis 4 StGB • Schwerer Diebstahl gem § 128 StGB • Diebstahl durch Einbruch, gewerbsmäßiger Diebstahl, räuberischer Diebstahl gem §§ 129, 130 und 131 StGB • Entziehung von Energie gem § 132 Abs 2 StGB • Veruntreuung gem § 133 Abs 2 StGB • Unterschlagung gem § 134 Abs 3 StGB • Dauernde Sachentziehung gem § 135 Abs 2 StGB • Schwerer Eingriff in fremdes Jagd- und Fischereirecht gem § 138 StGB • (Gewerbsmäßiger) schwerer Betrug gem §§ 147 und 148 StGB • Gewerbsmäßiger betrügerischer Datenverarbeitungsmissbrauch gem § 148a Abs 2 StGB • Untreue gem § 153 Abs 3 StGB • Hehlerei gem § 164 Abs 3 und 4 StGB Bei diesen Delikten, die aufgrund ihrer Strafdrohung von über einem Jahr potentiell eine Erbunwürdigkeit begründen könnten, fällt die Strafdrohung nach Anwendung der Privilegierung gem § 166 StGB aber auf höchstens sechs Monate herab. Lediglich beim Diebstahl mit Waffen gem § 129 Abs 2 Z 2 StGB, beim räuberischen Diebstahl gem § 131 StGB, bei einem schweren Eingriff ins Jagd- und Fischereirecht gem § 138 Z 2 und 3 StGB sowie bei Erfüllung des 67 Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 539 Rz 4. 68 Begünstigte Delikte nach § 166 StGB, abgesehen von Zahlungsmitteldelikten. 69 Pesendorfer in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts, 24 f. 14
§ 140 StGB wird keine Privilegierung angewendet und reicht deswegen der angedrohte Strafrahmen aus um Erbunwürdigkeit zu begründen.70 Die Privilegierung des § 166 StGB ist nicht nur strafrechtlich, sondern auch im Hinblick auf die Erbunwürdigkeit zu berücksichtigen, sodass, wie oben dargestellt, die angedrohte Höchststrafe für die privilegierten Delikte auf unter ein Jahr herabfällt und daher kein Grund für eine Erbunwürdigkeit gegeben ist. Das hat zur Folge, dass bei Begehung im Familienkreis nur besonders schwere strafbare Handlungen, wie etwa qualifizierte Körperverletzungsdelikte sowie Mord dazu führen, dass der Angehörige erbunwürdig wird.71 Dies gilt jedenfalls für strafbare Handlungen, die sich gegen den Erblasser richten, wobei sich anderes ergeben kann, wenn sich eine strafbare Handlung gegen die Verlassenschaft richtet. In diesem Zusammenhang hat der OGH nämlich in seiner E judiziert, dass es sich bei der Verlassenschaft nicht um einen Angehörigen iSd § 166 StGB handelt.72 Die Unterscheidung zwischen der strafbaren Handlung gegen die Verlassenschaft und der strafbaren Handlung gegen den Erblasser führt zu Kritik73 und unterschiedlichen Ergebnissen, was die Erbunwürdigkeit betrifft. Würde es dementsprechend nämlich einen Unterschied machen, wann genau die strafbare Handlung gesetzt wurde. Löst bspw der Erbe das Sparbuch der Mutter (ohne Zustimmung) vor ihrem Tod auf, dann greift die Privilegierung und er wäre trotz der strafbaren Handlung nicht automatisch erbunwürdig. Wird das Sparbuch aber nach ihrem Tod unberechtigt aufgelöst, dann begeht er die strafbare Handlung bereits gegen die Verlassenschaft und § 166 StGB kommt nicht zum Tragen. Die gleiche Handlung würde also zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.74 Vielmehr sollte es aber so ausgestaltet sein, dass es nicht darauf ankommt, gegen wen genau (Erblasser oder Verlassenschaft) sich der Vorsatz richtet. Die gleiche Tat, sowohl gegen den Erblasser als auch gegen die 70 Kirchbacher in Höpfel/Ratz, WK StGB2 § 166 Rz 7. 71 Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 13 f. 72 OGH 31.03.1982, 11 Os 12/82 (obiter dictum). 73 Rabl, Erbrechtsreform 2015 – Pflichtteilsrecht Neu, NZ 2015/107, 321 (329); siehe auch Zöchling-Jud in Rabl/Zöchling-Jud, Das neue Erbrecht, Die Neuregelung des Pflichtteilsrechts im ErbRÄG 2015, 71 (85). 74 Tschugguel, Erbunwürdigkeit und Begehung im Familienkreis, EF-Z 2016/143, 311 f. 15
Verlassenschaft gerichtet, sollte zum gleichen Ergebnis führen. Es ist davon auszugehen, dass dieser Umstand vom Gesetzgeber planwidrig nicht berücksichtigt wurde.75 3.1.5. Sonderfall der betrügerischen Krida Verheimlicht, beschädigt oder schafft jemand einen Teil seines Vermögens beiseite bzw verringert jemand zum Schein sein Vermögen, um damit seine Gläubiger zu benachteiligen, dann verstößt er gegen das Verbot der betrügerischen Krida. Dieses Delikt ist mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, in manchen Fällen sogar bis zu zehn Jahren, zu bestrafen.76 Es handelt sich dabei also um ein Vermögensdelikt, das jedoch eine gewisse Besonderheit aufweist: Es findet sich nämlich nicht im § 166 StGB wieder und hat dieser Umstand zur Folge, dass die betrügerische Krida an sich nicht der Privilegierung hinsichtlich des Strafrahmens unterliegt.77 Damit ist das Kridadelikt das einzige Vermögensdelikt (ohne Gewalt oder Drohung), dass bei Begehung im Familienkreis nicht privilegiert ist.78 Die betrügerische Krida entspricht jedoch den Voraussetzungen des § 539 ABGB, da sie vorsätzlich begangen wird und die Höhe des Strafmaßes für die Erbunwürdigkeit relevant ist. Gläubiger iSd § 156 StGB können sowohl natürliche als auch juristische Personen sein, also auch der Erblasser bzw dessen Verlassenschaft.79 Es reicht aus, dass sich der Vorsatz des Täters gegen die Gläubigerinteressen richtet, um eine vorsätzliche Begehung gegen den Erblasser zu begründen, da auch er dem vorsätzlich geschädigten Gläubigerkreis angehört.80 Bei Nichtanwendung der Privilegierung würde also die betrügerische Krida leichter zur Erbunwürdigkeit führen als andere Vermögensdelikte. Daher muss man die erbrechtlichen Aspekte losgelöst von der strafrechtlichen Thematik 75 Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 69. 76 § 156 StGB, BGBl I 2015/112. 77 § 166 StGB, BGBl I 2015/154. 78 Kletečka, Erbunwürdigkeit auf Grund von "betrügerischer Krida" (§ 156 StGB) im Familienkreis? NZ 2019/124, 361 (362). 79 Kirchabcher in Höpfel/Ratz, WK StGB2 § 156 Rz 4. 80 Kletečka, Erbunwürdigkeit auf Grund von "betrügerischer Krida" (§ 156 StGB) im Familienkreis? NZ 2019/124, 361 (362). 16
betrachten. Bei der erbrechtlichen Beurteilung geht es nämlich speziell um die gegen den Erblasser gerichtete Tat sowie deren erbrechtlichen Konsequenzen und nicht um den strafrechtlichen Schutz einer Gläubigermehrheit, bei der § 166 StGB aufgrund der Seltenheit außer Acht gelassen werden kann.81 Die vom Gesetzgeber in den Erläuterungen82 erwähnten Gründe, aufgrund derer eine Privilegierung der Vermögensdelikte anzuwenden ist, treffen allesamt auch auf den Kridadelikt gem § 156 StGB zu. Da es bei der Erbunwürdigkeit gerade auf das Verhältnis zwischen Erblasser und Täter ankommt, würde es dem zugrundeliegenden Hauptgedanken des § 166 StGB entsprechen, die Privilegierung hinsichtlich der Erbunwürdigkeit auch auf die betrügerische Krida analog anzuwenden und damit eine teleologische Lücke zu schließen.83 3.1.6. Verzeihung Das Gesetz normiert, dass durch eine Verzeihung die Erbfähigkeit wiederhergestellt werden kann. Die Handlungen gem § 539 ff ABGB können vom Erblasser verziehen werden.84 Zu bedenken ist hier aber, dass die Verzeihung zu Lebzeiten des Erblassers erfolgen muss, sodass nach seinem Tod keine Verzeihung mehr möglich ist, was vor allem bei strafbaren Handlungen gegen die Verlassenschaft oder bei Vereitelung des wahren letzten Willens relevant sein könnte.85 Die Verzeihung bedarf keiner bestimmten Form und kann auch konkludent erfolgen oder an Bedingungen geknüpft sein. Sie kann sich daher auch einfach aus dem Verhalten des Erblassers dem Täter gegenüber oder durch die Erbeinsetzung trotz bekanntem Erbunwürdigkeitsgrund ergeben. Der Erblasser muss sich dafür aber im Klaren über das Bestehen des Erbunwürdigkeitsgrundes sein. Ist die Verzeihung einmal erfolgt, kann sie nicht mehr zurückgenommen werden und die Erbunwürdigkeit ist aufgehoben.86 Der Gesetzeswortlaut lässt 81 Kletečka, Erbunwürdigkeit auf Grund von "betrügerischer Krida" (§ 156 StGB) im Familienkreis? NZ 2019/124, 361 (363). 82 ErläutRV 30 BlgNR 13. GP 311. 83 Kletečka, Erbunwürdigkeit auf Grund von "betrügerischer Krida" (§ 156 StGB) im Familienkreis? NZ 2019/124, 361 (363). 84 ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5. 85 Nemeth in Schwimann/Neumayr, ABGB Taschenkommentar5, Vor §§ 539-543 Rz 4. 86 Apathy/Neumayr in KBB6 § 539-541 Rz 9. 17
aber erkennen, dass trotz Unwiderruflichkeit und der Voraussetzung, dass sich der Erblasser der Erbunwürdigkeit bewusst sein muss, keine volle Geschäfts- bzw. Testierfähigkeit benötigt wird, um zu verzeihen. Er muss den Willen zu verzeihen lediglich ,,zu erkennen geben‘‘. Dieses Werkzeug zur Gestaltung der persönlichen Rechtsgeschäfte soll dem Erblasser unabhängig von der Geschäftsfähigkeit zugutekommen.87 Bei der Verzeihung handelt es sich nach der hM um eine Willenserklärung.88 Kritik an dieser Regelung, wonach eine Willenserklärung bzw Verzeihung ohne vorhandene Geschäftsfähigkeit ausgesprochen werden kann, wird gesondert unter Punkt 3.3. besprochen. Da eine Verzeihung nur zu Lebzeiten des Erblassers erfolgen und nicht für die Zukunft ausgesprochen werden kann, bedeutet das für strafbare Handlungen iSd §§ 539 und 540 ABGB, dass eine Verzeihung nach dem Tod des Erblassers nicht möglich ist. Alle Taten iSd § 539 f ABGB, die also nach dem Tod des Verstorbenen begangen werden, können nicht mehr durch Verzeihung beseitigt werden und führen ex lege zur Erbunwürdigkeit, da es sich bei ihnen um absolute Erbunwürdigkeitsgründe handelt.89 Anders verhält es sich mit den relativen Erbunwürdigkeitsgründen, diese sind nur zu Lebzeiten relevant und kommt daher eine Verzeihung nach dem Tod des Verstorbenen ohnehin nicht in Frage.90 3.2. Relative Erbunwürdigkeitsgründe Zu den relativen Erbunwürdigkeitsgründen gem § 541 Z 1 ABGB zählt die vorsätzliche Begehung einer strafbaren Handlung, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist und die gegen den Ehegatten, eingetragenen Partner oder Lebensgefährten des Erblassers sowie gegen seine Verwandten in gerader Linie gerichtet ist. Weiters gilt als Erbunwürdigkeitsgrund die Zufügung schweren seelischen Leides gegen den Erblasser und die Vernachlässigung von Pflichten aus dem Eltern-Kind-Verhältnis.91 Da es sich dabei um relative Erbunwürdigkeitsgründe handelt, gelten sie subsidiär, also nur dann, wenn der 87 Barth, "Zu erkennen Geben" und "natürlicher" Wille - Eine Studie zu einer besonderen Form der Handlungsfähigkeit im österreichischen Recht, ÖJZ 2019/16, 101 ff. 88 Christandl/Nemeth, Das neue Erbrecht - ausgewählte Einzelfragen, NZ 2016/1, 1 (7). 89 Christandl/Nemeth, Das neue Erbrecht - ausgewählte Einzelfragen, NZ 2016/1, 1 (7). 90 Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 73. 91 § 541 ABGB, BGBl I 2015/87. 18
Verstorbene selbst nicht in der Lage war, eine Beschränkung der Erbenstellung vorzunehmen. Im Gegensatz zu den absoluten Erbunwürdigkeitsgründen greifen sie also nicht automatisch und unabhängig davon, ob der Erblasser die Möglichkeit hatte das Erbrecht zu entziehen.92 Die Geltendmachung von relativen Erbunwürdigkeitsgründen kommt außerdem nur für Verfehlungen zur Anwendung, die zu Lebzeiten des Erblassers begangen wurden.93 Es geht also vor allem darum, dass die Erbunwürdigkeit nur eintritt, wenn der Erblasser nicht in der Lage war eine Enterbung bzw eine sonstige Beschränkung selbst vorzunehmen. Auf welche Umstände hier, neben der Testierunfähigkeit und Unkenntnis, abgestellt wird, geht aus den Materialen94 nicht hervor. Unklar bleibt auch, was unter Unkenntnis zu verstehen ist. Es kann damit einerseits gemeint sein, dass der Erblasser nicht von der Straftat wusste, aber auch, dass er einem Rechtsirrtum unterlag und nicht wusste, dass er aufgrund der Straftat eine Enterbung vornehmen hätte können bzw müssen.95 Welche Gründe unter ,,sonstige Gründe‘‘ fallen, bleibt weitgehend offen und wird hier auf den Einzelfall abzustellen sein. Legt man den Begriff weit aus, könnte damit gemeint sein, dass der Erblasser bspw aus Zeitmangel oder Vergesslichkeit nicht mehr zu einer Enterbung gekommen ist. Obwohl dieses Versäumnis in seiner Sphäre liegt, könnte es dann zur Erbunwürdigkeit kommen. Es könnte aber auch sein, dass es sich nur in ganz speziellen und seltenen Fällen um ,,sonstige Gründe‘‘ handelt, etwa wenn der Erblasser eingesperrt wäre und ihm keine Schreibutensilien zur Verfügung stehen würden. Warum in § 541 ABGB andere Maßstäbe angelegt werden, als in § 539 ABGB, in dem lediglich auf die Verzeihung abgestellt wird, bleibt unklar.96 Klar ist aber, dass auch die Erbunwürdigkeitsgründe des § 541 ABGB durch Verzeihung beseitigt werden können.97 Ein Grund für die Differenzierung könnte sein, dass manche Taten, nämlich solche, die absolute Erbunwürdigkeit begründen, so schwer wiegen, dass es 92 ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5. 93 Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 73. 94 ErläutRV 688 BlgNR 25. GP. 95 Zöchling-Jud in Rabl/Zöchling-Jud, Pflichtteilsrecht, 71 (84 f). 96 Schauer/Motal/Reiter/Hofmair/Wöß, Erbrechtsreform: Paradigmenwechsel oder Window Dressing? JEV 2015, 40 (44). 97 Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 84. 19
keiner Enterbung mehr bedarf, während andere Taten nicht ganz so verwerflich sind und sozusagen eine Mittellösung zwischen Enterbung und Erbunwürdigkeit bilden sollen.98 Wenn die Voraussetzungen gem § 541 ABGB erfüllt sind, dann wird dadurch Erbunwürdigkeit begründet. Es folgen dann die gleichen Konsequenzen für die Erbunwürdigkeit wegen relativer Erbunwürdigkeitsgründe, wie für das Vorliegen von absoluten Erbunwürdigkeitsgründen. Sie führen beide zu relativer Erbunfähigkeit.99 Auch wenn es zur Erfüllung der Tatbestände gem §§ 541 Z 2 und Z 3 ABGB eine strafbare Handlung nicht erforderlich ist, sollen diese untenstehend kurz behandelt werden. Dies auch vor dem Hintergrund, dass eine strafbare Handlung begangen werden kann, die aber die Voraussetzungen des § 539 ABGB nicht erfüllt, weil bspw ein zu geringes Strafmaß angedroht ist, die gleiche strafbare Handlung aber eine Erbunwürdigkeit wegen Zufügung von schwerem seelischen Leid gem § 541 Z 2 ABGB begründen könnte.100 3.2.1. Strafbare Handlung gegen Angehörige Anders als § 539 ABGB, in dem eine Straftat gegen den Erblasser selbst erforderlich ist, um Erbunwürdigkeit zu begründen, normiert § 541 Z1 ABGB, dass eine strafbare Handlung gegen nahe Angehörige des Erblassers die Erbunwürdigkeit zur Folge hat. Wirft man einen Blick auf die ältere Judikatur lässt sich erkennen, dass vor dem ErbRÄG 2015101 eine Straftat gegen nahe Angehörige des Erblassers nicht ausreichte, um als Erbunwürdigkeitsgrund zu gelten.102 Dieser (von der Lehre kritisierte) Umstand wurde durch die Schaffung des § 541 Z 1 ABGB beseitigt.103 98 Rabl, Erbrechtsreform 2015 - Pflichtteilsrecht neu, NZ 2015/107, 321 (327). 99 Welser, Erbrechts-Kommentar § 538 Rz 4. 100 Likar-Peer in Fenyves/Kerschner/Vonklich, ABGB3 (Klang) § 540 Rz 78. 101 Erbrechtsänderungsgesetz, BGBl I 2015/87. 102 RIS-Justiz RS0014981; siehe auch RIS-Justiz RS0012264. 103 Zöchling-Jud in Rabl/Zöchling-Jud, Pflichtteilsrecht, 71 (85). 20
Zunächst ist festzustellen, wer zu diesem Kreis der Angehörigen gehört, um eine relative Erbunwürdigkeit begründen zu können. Im § 541 Z 1 ABGB werden iSd damaligen § 284c ABGB der Ehegatte, der eingetragene Partner und Lebensgefährte sowie Verwandte in gerader Linie, also Vorfahren und Nachkommen (Großeltern, Eltern, Kinder, Enkel usw.) genannt.104 Hier ist insofern Vorsicht geboten, als es sich nicht um den gleichen Kreis an Angehörigen wie im § 770 Z 2 ABGB handelt, welcher einen Enterbungsgrund normiert und bei dem der Angehörigenbegriff weiter gefasst ist. Ein Beispiel: Der Erblasser kann jemanden enterben, der gegen seine Schwester eine vorsätzliche strafbare Handlung, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist, begangen hat.105 Unterbleibt, aus welchem Grund auch immer (Testierunfähigkeit, Unkenntnis, sonstiger Grund), die Enterbung, kann wegen einer Straftat gegen die Schwester des Erblassers kein relativer Erbunwürdigkeitsgrund geltend gemacht werden. Geschwister sind nämlich nicht vom Angehörigenbegriff gem § 541 Z 1 ABGB mitumfasst. Tauscht man in diesem Beispiel die Schwester gegen die Ehefrau des Erblassers aus, dann wäre es bei einer unterbliebenen Enterbung sehr wohl möglich, dass eine relative Erbunwürdigkeit zum Tragen kommt. Als weitere Voraussetzung des § 541 Z 1 ABGB gilt wie bereits in § 539 ABGB, dass es sich um eine vorsätzlich begangene strafbare Handlung handeln muss, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist. Außerdem kann auch bei dieser strafbaren Handlung die Privilegierung gem § 166 StGB zur Anwendung kommen. Dadurch ergibt sich aber ein gewisser Widerspruch, denn nur weil der Täter Angehöriger des Erblassers ist, bedeutet dies nicht, dass er auch ein Angehöriger des Opfers ist. Das kann dazu führen, dass eine Straftat gegen den Erblasser selbst nicht so leicht zur Erbunwürdigkeit führt, wohingegen eine Straftat gegen Angehörige des Erblassers, aufgrund der nicht anzuwendenden Privilegierung, schneller die Voraussetzungen für die Erbunwürdigkeit erfüllt.106 104 ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 6. 105 § 770 Z 2 ABGB, BGBl I 2015/87. 106 Tschugguel, Erbunwürdigkeit und Begehung im Familienkreis, EF-Z 2016/143, 311 f. 21
Der Erbunwürdigkeitsgrund wegen der Straftat gegen nahe Angehörige kann durch Verzeihung beseitigt werden.107 Zur Verzeihung wurde bereits oben unter Punkt 3.1.4. ausgeführt und gelten diese Ausführungen auch in den Fällen des § 541 ABGB. Zu erwähnen ist aber, dass bei Straftaten gegenüber Angehörigen die Verzeihung des Erblassers gegenüber dem Täter relevant ist. Dass das Opfer, also der Angehörige des Verstorbenen dem Täter verziehen hat, ist hier irrelevant und führt nicht zur Beseitigung des Erbunwürdigkeitsgrundes.108 3.2.2. Zufügung schweren seelischen Leides Das Zufügen von schwerem seelischem Leid ist ebenfalls ein relativer Erbunwürdigkeitsgrund und gleichzeitig auch ein Enterbungsgrund gem § 770 Z 4 ABGB. Was darunter zu verstehen ist, wird in der ErläutRV näher beschrieben: So kann es neben der Vernachlässigung von familienrechtlichen Pflichten zu anderen Situationen kommen, in denen dem Verstorbenen Leid widerfahren ist. Dies kann unter anderem durch ein im Stich lassen in einer Notsituation, das Bringen in eine missliche Lage oder eine Verfehlung gem §§ 1325 ff ABGB geschehen. Bei den Verfehlungen der §§ 1325 ff ABGB, soll es nicht darauf ankommen, dass diese auch strafrechtlich relevant wären. Weiters können auch Beschimpfungen, Psychoterror oder das Ausüben von psychischem Druck zur Erbunwürdigkeit führen, wobei gelegentliche Streite etc nicht darunterfallen sollen. Das Leid des Erblassers muss dazu objektiv nachvollziehbar sein und muss es durch ein verpöntes Verhalten entstanden sein. Extra erwähnt wird, dass eine bestimmte Partnerwahl oder die Wahl eines bestimmten Berufszweiges, gegen den Willen des Verstorbenen, nicht unter § 541 Z 2 ABGB fallen.109 3.2.3. Gröbliche Vernachlässigung von Pflichten Ein weiterer Erbunwürdigkeitsgrund kann die Vernachlässigung familienrechtlicher Pflichten sein, die sich aus dem Eltern-Kind-Verhältnis ergeben.110 Es handelt sich, wie in allen Fällen des § 541 ABGB, um einen 107 ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5. 108 Apathy/Neumayr in KBB6 § 539-541 Rz 6. 109 ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 6. 110 § 541 Z 3 ABGB, BGBl I 2015/87. 22
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