Übungsfall: The Hangover Part I
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Übungsfall: The Hangover Part I* Wiss. Mitarbeiter Dr. Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu, Nürnberg/Erlangen** Thematik: Körperverletzung, actio libera in causa, Straßen- Geschehnisse ab 01.00 Uhr verkehrsdelikte, Beteiligung an einer Schlägerei, Sachver- Als sie später zum Ort des Geschehens zurückkehren, sehen haltsungewissheiten. Schwierigkeitsgrad: Große Übung/Refe- sie am Hinterausgang der Bar, dass die eingetroffenen Poli- rendarexamen. zeibeamten ihren Wagen dort haben stehen lassen und der Schlüssel noch steckt. Die vier beschließen, eine Spritztour Sachverhalt mit dem Polizeiwagen zu unternehmen und ihn später an der Geschehnisse bis 23.00 Uhr gleichen Stelle abzuliefern. A, der sich bereits am Anfang des Zwei Tage vor seiner Hochzeit mit seiner großen Liebe bricht Abends dazu verpflichtet hatte, den Fahrer zu machen, steigt Doug mit seinen Freunden Phil, Stu und dem etwas merk- ein, lässt den Motor an und fährt los. Als er etwa nach 300 würdigen Alan zu seinem Junggesellenabschied auf. Hierfür Metern merkt, dass das niemals gutgeht, bremst er wieder checken sie in die Luxussuite des „Krösus Palast“ ein. Auf leicht und will gerade anhalten, woraufhin die anderen drei dem Dach stoßen die vier Freunde auf eine unvergessliche laut johlen und ihn auffordern, gefälligst weiterzufahren, egal Nacht an. Doch A hat dafür gesorgt, dass er und seine Freun- wie betrunken er sei. A drückt aufs Gas, wobei alle Beteilig- de fast alles von dem, was in den folgenden Stunden passie- ten in Kauf nehmen, dass der PKW aufgrund der unsicheren ren wird, vergessen werden. Er hat nämlich kurz zuvor in Fahrweise des A beschädigt werden könnte. Prompt verliert seine und in die Bierflaschen seiner Freunde sog. „Roofies“ A an der nächsten Kreuzung die Kontrolle über den Wagen beigemischt, Tabletten mit dem Wirkstoff Rohypnol, ein und kracht in eine Telefonzelle, wobei er und C leichte schnell wirkendes Betäubungsmittel, das in Kombination mit Schürfwunden erleiden, am Polizeiwagen ein Schaden in Alkohol Amnesien verursacht und daher häufig als K.O.- Höhe von 1800 € entsteht (u.a. das Blaulicht nicht mehr funk- Tropfen missbraucht wird. D, P und S wissen hiervon nichts. tioniert) und die Telefonzelle zerstört wird (Schaden 1500 €). A will damit insb. die etwas prüden und als Langweiler be- Das medizinische Gutachten bringt Folgendes zu Tage. kannten P und S etwas aus der Reserve locken. Aus früheren Bis 23.00 Uhr lag der BAK aller Beteiligten zwischen 0,2 Erfahrungen weiß A, dass hierbei auch mal „Dinge zu Bruch“ und 1,1 ‰. Im Hinblick auf den Alkoholkonsum zwischen gehen. A weiß, aufgrund einschlägiger Erfahrungen mit ver- 23.00 und 01.00 Uhr, die körperliche Verfassung und die schiedenen Rauschmitteln, dass er durch die Kombination hinzutretende Wirkung des Rohypnol stellt der bestellte Ge- aus „Roofies“ und Alkohol seine Einsichts- und Steuerungs- richtsmediziner Folgendes fest: fähigkeit vollständig einbüßen wird. Ferner ist ihm bewusst, dass er als Fahrer auserkoren wurde und durch oben genannte A wies ab 1.00 Uhr eine BAK von 3,4 ‰ auf, Kombination kein Fahrzeug mehr sicher steuern können S wies ab 1.00 Uhr jedenfalls eine BAK von 2,6 ‰ auf, wird. Die vier Freunde verlassen daraufhin das Hotel und aber es besteht auch die Möglichkeit, dass seine BAK ab stürzen gleich in die erste Coyote Bar, wo sie sich allesamt diesem Zeitpunkt sogar über 3,3 ‰ lag, hemmungslos betrinken. D hatte den ganzen Abend nicht mehr als 1,8 ‰ (wegen Aufgrund des erhöhten Alkoholspiegels der anwesenden einer bereits bestehenden Drogenabhängigkeit hatte D ei- Gäste und unvorhersehbarer, gruppendynamischer Prozesse nen hohen Toleranzgrad, sodass die Drogen keine Aus- entwickelt sich ein kräftiger Raufhandel. A ist von Anfang an wirkungen auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit hat- mit von der Partie, wird jedoch nur Sekunden nach Ausbruch ten), der Schlägerei von einem Barhocker am Kopf getroffen und dagegen lässt sich bei P nicht sicher feststellen, welche geht zu Boden. S, der sich erst jetzt ins Geschehen einmischt, BAK er ab 1.00 Uhr aufwies bzw. welchen Trunkenheits- verliert dabei seine beiden vorderen Schneidezähne, welche grad er hatte. jedoch ohne ästhetische Einbuße durch eine Prothese ersetzt werden können. D verliert während des Geschehens den Im Übrigen ist festgestellt, dass die Verabreichung der „Roo- rechten Daumen. Durch die schwere Verletzung seines fies“ über die partiellen Amnesien hinaus keine erheblichen Freundes D angestachelt, greift nun auch P beherzt ins Ge- gesundheitlichen Schäden für die Beteiligten nach sich zog. schehen ein. Der Raufhandel endet, als der Wirt die Polizei und einen Krankenwagen verständigt. Um sich einer potenti- Aufgabe ellen strafrechtlichen Verfolgung zu entziehen, beschließen Wie haben die Beteiligten sich nach dem StGB strafbar ge- die vier Freunde das Lokal zu verlassen. macht? Bearbeitervermerk Für die Feststellung der Schuldfähigkeit sind die allgemein anerkannten BAK-Promillegrenzen zugrunde zu legen. Evtl. * Für die Unterstützung bei der Erstellung des Manuskripts erforderliche Strafanträge sind gestellt. bedanke ich mich bei Frau StAin Ramona Herold. ** Der Autor ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr- stuhl von Prof. Dr. Hans Kudlich, Friedrich-Alexander- Universität Erlangen/Nürnberg, tätig. _____________________________________________________________________________________ ZJS 5/2013 482
Übungsfall: The Hangover Part I STRAFRECHT Gutachterliche Vorüberlegungen und bejaht „nur“ eine Verwirklichung des § 323a StGB. Hat Die Klausur wurde in etwas abgewandelter Form im Rahmen man dies im Rahmen seiner Vorüberlegungen richtig einge- des Examensklausurenkurses der Friedrich-Alexander Uni- ordnet, vereinfacht sich auch die Strukturierung des Falles, versität gestellt und kann – wie dies bei strafrechtlichen weil nunmehr der schuldunfähige A als unmittelbar, eigen- Examenssachverhalten häufig so ist – als „Stressklausur“ händig agierender Täter vorangestellt werden kann, dem sich bezeichnet werden: Ein inhaltlicher Schwerpunkt lässt sich die Prüfung des voll schuldfähigen (und meist als Teilnehmer nicht wirklich setzen, der Bearbeiter wird schnell bemerken, zu qualifizierenden) D anschließt. Die Erörterungen um P dass der Schwierigkeitsgrad der Klausur „chronologisch“ und S reduziert man so auf den § 323a StGB. ansteigt und mit den Sachverhaltsungewissheiten am Ende (die Schuldfähigkeit der Beteiligten betreffend) ihren Höhe- Ausformulierte Lösung punkt findet. Dementsprechend darf der Bearbeiter auch nicht 1. Tatkomplex: Auf dem Dach zu viel Zeit an den „klaren“ bzw. „einfacheren“ Stellen ver- I. Strafbarkeit des A gem. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 3, 53 lieren. Es gilt, die verschiedenen Problemstellungen mög- StGB in drei Fällen lichst schnell zu erkennen und in eine Gliederung einzubet- 1. Objektiver Tatbestand des Grunddelikts ten, um noch genügend Zeit für eine – bei mehreren Beteilig- ten stets anspruchsvolle – Strukturierung der Lösung zu erar- A könnte sich durch das Beimischen der „Roofies“ in die beiten. Die Klausur beginnt mit den Körperverletzungsdelik- Getränke von P, S und D der gefährlichen Körperverletzung ten der §§ 223 ff. StGB und § 231 StGB und damit verhält- strafbar gemacht haben. Hierfür müsste das Mittel zu einer nismäßig einfach. Im Anschluss an die Verabreichung der Gesundheitsschädigung oder körperlichen Misshandlung von Roofies als (ggf. gefährliche) Körperverletzung muss man P, S und D geführt haben. Gesundheitsschädigung ist das sich den Streit- und Wertungsfragen rund um das Merkmal Hervorrufen, Steigern oder Aufrechterhalten eines pathologi- der schweren Folge in § 231 StGB und dem ebenso „klassi- schen Zustands.2 Körperliche Misshandlung ist jede üble, schen“ Streit der zeitlichen „Haftungsgrenzen“ im Rahmen unangemessene Benachteiligung, die das körperliche Wohl- der objektiven Bedingung der Strafbarkeit widmen. Bzgl. der befinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt.3 Der Alkohol- Geschehnisse ab 1.00 Uhr muss man sich gleich nach der genuss verursacht in Kombination mit den beigemischten allerersten Lektüre bewusst machen, dass die Prüfung des „Roofies“ Amnesien und wirkte bei den Beteiligten jedenfalls Tatbestands der in Frage kommenden Delikte durch A trotz betäubend, also bewusstseinstrübend. Dies stellt eine Abwei- Schuldunfähigkeit nicht überflüssig, sondern stringent durch- chung vom körperlichen/geistigen Normalzustand in krank- zuführen ist. Dies nicht schon deswegen, weil eine Strafbar- hafter Weise dar, ist also ein pathologischer Zustand. Das keit des A u.U. über die Grundsätze der actio libera in causa1 Verabreichen von Betäubungsmittelmitteln führt bei den in Betracht kommt; vielmehr tritt der Aspekt hinzu, dass sich Betroffenen zu Rauschzuständen, die deren körperliches mindestens eine Person (nämlich D) jedenfalls voll schuldfä- Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen. Im Ergebnis liegt hig an diesen Taten beteiligt haben könnte und die limitierte sowohl eine Gesundheitsschädigung als auch eine körperliche Teilnehmerakzessorietät keine schuldhaft begangene Tat Misshandlung vor. voraussetzt. Aufbautechnisch sollte man wegen dem unange- Lediglich bei D bestand bereits eine Drogenaffinität, auf- nehmen „Clou“ am Ende (unterschiedliche Schuldgrade bzw. grund dieser sich die chemische Wirkung der Drogen nicht Sachverhaltsungewissheiten) jedenfalls bei Straßenverkehrs- auf dessen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. delikten eine getrennte Prüfung vornehmen. Innerhalb des Es stellt sich jedoch, aufgrund des Wirkungseintritts ebenso Abschnitts „Spritztour“ wird man sich dann nicht nur mit als eine Abweichung vom körperlichen Normalzustand dar. klassischen Tatbeständen und Streitfragen der Vermögens- Durch die Tatvariante der Gesundheitsschädigung verwirk- und Straßenverkehrsdelikte (Rückführungswille, § 248b lichte A im Ergebnis in kausaler und ihm zurechenbarer Wei- StGB als Auffangtatbestand, Selbstgefährdung der Mitfahrer, se den Grundtatbestand des § 223 Abs. 1 StGB in allen drei a.l.i.c. bei Tätigkeitsdelikten), sondern auch mit exotischen Fällen. Tatbeständen (fahrlässige Beschädigung von Telekommuni- kationsanlagen gem. § 317 Abs. 3 StGB? Polizeiwagen als 2. Qualifikation des § 224 Abs. 1 StGB Gemeingut gem. § 305a StGB?) und ebenso exotischen Darüber hinaus könnte sich A der gefährlichen Körperverlet- Rechtsproblemen (Johlen und Aufforderung der Mitfahrer als zung strafbar gemacht haben. Bei den durch A verabreichten „sukzessive Teilnahme“ an der Trunkenheitsfahrt) konfron- „Roofies“ könnte es sich um Gift oder andere gesundheits- tiert sehen. Beim Beteiligten P stellt sich das Problem, dass schädliche Stoffe handeln. Unter Gift im Sinne des § 224 die Ungewissheit über dessen Schuldfähigkeit zu einer Straf- Abs. 1 Nr. 2 StGB ist jeder Stoff zu fassen, der durch Ein- losigkeit führen könnte (in dubio pro reo). Schließlich scheint nahme oder sonstige Aufnahme durch chemische oder che- auch § 323a StGB nicht zu greifen, da man umgekehrt zu- misch-physikalische Wirkung nach seiner Art und der vom gunsten des P annehmen müsste, dass er schuldfähig war Täter eingesetzten Menge geeignet ist, ernsthafte gesundheit- bzw. sich nicht in einem Rauschzustand befand. Dieses kri- minalpolitisch unbefriedigende Ergebnis löst die h.M. durch 2 Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Kommentar, die Annahme eines sog. „normativen Stufenverhältnisses“ 60. Aufl. 2013, § 223 Rn. 8. 3 Fischer (Fn. 2), § 223 Rn. 4, u.a. mit Verweis auf BGHSt 1 Im Folgenden abgekürzt als a.l.i.c. 25, 277. _____________________________________________________________________________________ Zeitschrift für das Juristische Studium – www.zjs-online.com 483
ÜBUNGSFALL Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu liche Schäden zu verursachen.4 Bei den von A verwendeten des Mittels entziehen konnte. Ergo handelte A mit direktem „Roofies“ handelt es sich um ein schnell wirkendes Betäu- Vorsatz.10 bungsmittel, das in Kombination mit Alkohol Amnesien hervorrufen kann und hervorrief. Das Betäubungsmittel war 4. Rechtswidrigkeit und Schuld im konkreten Fall durch seine chemische Wirkung – insbe- Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe sind nicht sondere in Verbindung mit Alkohol – geeignet die Gesund- ersichtlich, A handelte rechtswidrig und schuldhaft. heit von P und S ernsthaft zu schädigen und stellt aufgrund seiner chemischen Wirkungsweise Gift im Sinn der Nr. 1 dar. II. Ergebnis zum ersten Tatkomplex Wiederum problematisch ist auch an dieser Stelle, dass A hat sich wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nach- die Wirkung des Giftes bei D keine Auswirkungen zeigte teil des S, D und P in (gleichartiger) Tatmehrheit11 strafbar (s.o.) und insoweit die für § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB erforder- gemacht. liche Erheblichkeitsschwelle5 nicht erreicht sein könnte. Die h.M.6 fordert diesbezüglich, dass die eingesetzte Menge im 2. Tatkomplex: Die Geschehnisse in der Coyote Bar konkreten Fall geeignet ist, erhebliche Gesundheitsschäden herbeizuführen. In Bezug auf D, bei dem die Wirkung der A. Strafbarkeit des A Drogen aufgrund der vorhandenen Abhängigkeit wesentlich I. § 223 Abs. 1 StGB schwächer einsetzte, war die eingesetzte Menge „Roofies“ A könnte sich durch die Beteiligung am Raufhandel wegen nicht geeignet, erhebliche gesundheitliche Schäden zu verur- Körperverletzung strafbar gemacht haben. Zwar bleiben bei sachen, weswegen im Hinblick auf D nur eine versuchte einem kräftigen Raufhandel12 Verletzungen der Beteiligten Giftbeibringung angenommen werden kann. Dies hätte je- typischerweise nicht aus, sodass die Voraussetzungen einer doch keine Auswirkungen, soweit auch in Bezug auf D ande- Gesundheitsschädigung sowie einer körperlichen Misshand- re Qualifikationsmerkmale erfüllt sind. lung (s.o.) erfüllt wären. Doch ist unklar, wer konkret durch Die heimliche Verabreichung des Mittels in die Flaschen welche Handlungen eine andere Person körperlich misshan- von S, P und D könnte außerdem einen hinterlistigen Überfall delt und geschädigt hat. Insofern ist dem Sachverhalt nicht zu gem. § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB darstellen. Unter „Überfall“ entnehmen, welche Handlungen welchen Beteiligten (ggf. im Sinne der Vorschrift ist der Angriff auf den Verletzten zu wechselseitig gem. § 25 Abs. 2 StGB) zugerechnet werden verstehen, dessen er sich nicht versieht und auf den er sich können. Eine Strafbarkeit gem. § 223 Abs. 1 StGB scheidet nicht vorbereiten kann.7 Dabei geht zumindest die Rechtspre- daher aus. chung davon aus, dass der Angriff (trotz des Begriffs „Über- fall“) nicht mit Ausübung „physischer“ Kraft verbunden sein II. § 231 Abs. 1 StGB muss.8 Somit ist lediglich zu überprüfen, ob das Merkmal der 1. Objektiver Tatbestand Hinterlist erfüllt ist. Hinterlist setzt nach h.M. ein besonders tückisches bzw. planmäßiges Vorgehen voraus. S, P und D A könnte sich durch seine Beteiligung am Raufhandel der hatten keine Kenntnis davon, dass A das Betäubungsmittel in Beteiligung an einer Schlägerei gem. § 231 Abs. 1 StGB die Flaschen gemischt hatte. Dies hat A planmäßig ausge- strafbar gemacht haben. nutzt, weil er beabsichtigte, P und S, die als langweilig gel- Zunächst müsste eine Schlägerei vorgelegen haben. Dies ten, „aus der Reserve zu locken“. Im Ergebnis hat A somit ist bei Feststellung gegenseitiger Körperverletzungen anzu- § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB in drei Fällen verwirklicht.9 nehmen, bei der mindestens drei Personen beteiligt sind.13 Dies ist hier der Fall, auch wenn (siehe oben) nicht feststeht, 3. Subjektiver Tatbestand wer konkret wen geschlagen hat etc. An dieser Schlägerei müsste A beteiligt gewesen sein. Zur Bejahung der „Beteili- A müsste vorsätzlich hinsichtlich der Verwirklichung aller gung“ ist kein Zusammenwirken erforderlich, vielmehr reicht Merkmale des objektiven Tatbestandes gehandelt haben. Er es aus, dass die Beteiligten anwesend sind und körperlich war sich der Wirkung der Tabletten bewusst und wollte sie erreichen. Durch das heimliche Hinzugeben des Mittels in die oder psychisch an der Schlägerei mitwirken.14 A war aktiv Flaschen wollte er verhindern, dass sich jemand der Wirkung bei dem Raufhandel dabei und demzufolge an der Schlägerei beteiligt. 4 10 Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Strafgesetz- Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder (Fn. 4), § 15 Rn. 65 f. 11 buch, Kommentar, 28. Aufl. 2010, § 224 Rn. 2b. Vgl. hierzu Fischer (Fn. 2), § 53 Rn. 2. 5 12 Stree/Sternberg-Lieben (Fn. 4), § 224 Rn. 2a. Da der SV nicht mehr Anhaltspunkte für die Verwirkli- 6 Vgl. Stree/Sternberg-Lieben (Fn. 4), § 224 Rn. 2a. chung des § 223 Abs. 1 StGB bietet, empfehlen sich hierzu 7 Fischer (Fn. 2), § 224 Rn. 10; Stree/Sternberg-Lieben (Fn. 4), knappe Ausführungen. Dies gilt umso mehr, als der Schwer- § 224 Rn. 10. punkt des zweiten TK in der Prüfung von § 231 StGB liegt. 8 So z.B. auch BGH NStZ 2009, 505. Unproblematische Punkte vorher müssen deshalb schon aus 9 Eine Prüfung von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB wäre nicht voll- Zeitgründen kurz gehalten werden. 13 kommen fernliegend und daher eher positiv denn negativ zu BGHSt 15, 369; BGHSt 31, 124 (125); BGHSt 33, 100 (102). 14 bewerten. Fischer (Fn. 2), § 231 Rn. 8 m.w.N. _____________________________________________________________________________________ ZJS 5/2013 484
Übungsfall: The Hangover Part I STRAFRECHT 2. Subjektiver Tatbestand organismus bestimmt.21 Der Daumen ermöglicht es, in Kom- A wusste, dass er sich an einer Schlägerei beteiligt und beab- bination mit einem weiteren Finger zu greifen (sog. „Pinzet- sichtigte dies. Er handelte also hinsichtlich seiner Beteiligung tengriff“) und stützt damit die natürlichen Bewegungsabläufe mit dolus directus 1. Grades. der Hand. Sein Verlust bedeutet für den Verletzten eine er- hebliche Beeinträchtigung gewohnter Bewegungsabläufe, 3. Rechtswidrigkeit und Schuld deren Behebung durch eine Operation wohl nicht in befriedi- gendem Maß behoben werden könnte. Im Ergebnis stellt der Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe sind nicht Verlust des Daumens der rechten Hand des D eine schwere ersichtlich, insbesondere lässt der SV keinen Schluss auf eine Körperverletzung gem. § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar. Der etwaige Notwehrlage des A zu. Eintritt der objektiven Bedingung der Strafbarkeit ist somit zu bejahen. 4. Objektive Bedingung der Strafbarkeit a) Eintritt der schweren Folge b) Zurechenbarkeit der schweren Folge Da § 231 StGB nicht die Feststellung einer zurechenbaren Fraglich ist aber, ob der Eintritt der schweren Folge A (objek- Körperverletzung voraussetzt, ist die Vorschrift als abstraktes tiv) zurechenbar ist, obwohl dieser vor ihrem Eintritt be- Gefährdungsdelikt einzustufen. Eine Einschränkung der da- wusstlos wurde und ab diesem Zeitpunkt nicht mehr an der mit einhergehenden Weitläufigkeit des Straftatbestandes wird Schlägerei beteiligt war. Zwischen Schlägerei und dem Ein- erreicht, indem die Strafbarkeit vom Eintritt einer im Tatbe- tritt der schweren Folge muss stets ein ursächlicher Zusam- stand genannten schweren Folge (Tod oder Folge im Sinn des menhang vorliegen.22 Das bedeutet, dass die schwere Folge § 226 StGB) abhängig gemacht wird, sog. „objektive Bedin- tatbestandsspezifisch sein muss, also aufgrund der Gefähr- gung der Strafbarkeit“. Anders als bei objektiven Tatbe- lichkeit der Schlägerei an sich eingetreten sein muss.23 Aus standsmerkmalen muss sich der Vorsatz des Täters nicht hier- diesem Grund ist es nach h.M.24 gleichgültig, dass A im Ver- auf beziehen.15 Der Tod eines Menschen ist nicht eingetreten, lauf der Schlägerei und vor Eintritt der schweren Folge bei D aber es kommt sowohl eine dauernde Entstellung gem. § 226 bewusstlos geworden ist. Das Risiko des Eintritts wurde Abs. 1 Nr. 3 StGB (Verlust der beiden vorderen Schneide- durch die anfängliche Beteiligung jedenfalls gesetzt und muss zähne bei S) als auch der Verlust eines wichtigen Glieds gem. ihm deshalb auch zugerechnet werden. Anderenfalls würde es § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Daumen des D) in Betracht. ihm als Vorteil gereichen, dass er sich von Beginn an so stark Hinsichtlich der dauernden Entstellung in erheblicher beteiligt hat, dass er als erstes außer Gefecht gesetzt wurde. Weise ist dabei auf die Gesamterscheinung des Verletzten Zudem würde das Ablehnen der objektiven Zurechnung dem abzustellen.16 Ob die Entstellung erheblich ist, bestimmt sich Charakter des § 231 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt objektiv17 danach, ob Beeinträchtigung des Verletzten mit widersprechen.25 den übrigen in § 226 StGB genannten Entstellungen ver- gleichbar ist.18 Der Verlust der Schneidezähne ist bei jedem 5. Zwischenergebnis „Lächeln“ bzw. Öffnen des Munds sichtbar und erreicht A hat sich gem. § 231 Abs. 1 StGB wegen Beteiligung an einen Grad der Verunstaltung, der in Relation zu den anderen einer Schlägerei strafbar gemacht. schweren Folgen steht. Allerdings müsste die Entstellung von Dauer sein. Nach h.M. ist dies nicht der Fall, wenn eine B. Strafbarkeit von S und D26 künstliche Beseitigung z.B. durch Operationen – auch Zahn- prothesen – in Betracht kommt, soweit die Maßnahme mit I. § 223 Abs. 1 StGB Sicherheit durchgeführt wird oder üblich, ausführbar und Bezüglich der Körperverletzung gelten für S und D die bei A zumutbar ist.19 Der Verlust von zwei Schneidezähnen20 kann gemachten Überlegungen entsprechend. Eine Strafbarkeit zumutbar durch eine Zahnprothese behoben werden, weswe- gem. § 223 Abs. 1 scheidet damit aus. gen eine dauerhafte Entstellung abzulehnen ist. Daher ist entscheidungserheblich, ob der Verlust des rechten Daumens eine schwere Folge im Sinne des § 226 21 Fischer (Fn. 2), § 226 Rn. 7 m.w.N.; nach neuerer Recht- Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellt. Der Daumen müsste ein wichti- sprechung soll die Wichtigkeit des Glieds auch nach indivi- ges Glied des Körpers sein, wobei sich die Wichtigkeit eines duellen Verhältnissen zu bestimmen sein, vgl. BGH NJW Glieds nach seiner allgemeinen Bedeutung für den Gesamt- 2007, 1988; da vorliegend die individuelle Wichtigkeit nicht hervorgehoben wurde, konnte dieser Streit dahinstehen. 22 Fischer (Fn. 2), § 231 Rn. 6; a.A. Hardtung, JuS 2008, 1060 (1064) verlangt obj. Vorhersehbarkeit. 15 23 Fischer (Fn. 2), § 231 Rn. 5, 9 m.w.N. Fischer (Fn. 2), § 231 Rn. 6 m.w.N. 16 24 Fischer (Fn. 2), § 226 Rn. 9. BGHSt 14, (132); Fischer (Fn. 2), § 231 Rn. 6 m.w.N. 17 25 Fischer (Fn. 2), § 226 Rn. 9. Zu § 231 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt vgl. 18 BGH NStZ 2006, 686. BGHSt 39, 305. 19 26 BGHSt 24, 315. Obwohl S und D keine Mittäter i.S.d. § 25 Abs. 2 StGB 20 Dagegen wurde § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB bejaht, wenn der sind, ist die gemeinsame Prüfung vor allem aus Zeitgründen Verletzte mehrere Vorderzähne verlor, vgl. BGHSt 17, 161. zweckmäßig. _____________________________________________________________________________________ Zeitschrift für das Juristische Studium – www.zjs-online.com 485
ÜBUNGSFALL Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu II. § 231 Abs. 1 StGB 1. Zurechnung der schweren Folge 1. Tatbestand Problematisch ist aber, ob die bei D eingetretene schwere S und D haben den Tatbestand des § 231 Abs. 1 StGB eben- Folge dem P angelastet werden kann, obwohl dieser sich erst falls – rechtswidrig und schuldhaft – erfüllt. an der Schlägerei beteiligte, nachdem die schwere Folge schon eingetreten war. Die Lösung dieser Problematik ist 2. Eintritt der schweren Folge bei D umstritten. Die Rechtsprechung30 bestraft auch denjenigen gem. § 231 Abs. 1 StGB, der sich erst nach Verursachung der Fraglich ist aber, wie es sich für D auswirkt, dass die schwere schweren Folge schuldhaft an der Schlägerei beteiligt. Die Folge bei ihm selbst (Verlust des Daumens) eingetreten ist, Gegenansicht stellt darauf ab, ob der erst nach Eintritt der sie also in einer Selbstschädigung liegt. Dadurch, dass die schweren Folge Beteiligte einen potentiellen Beitrag zu der Schlägerei die Ursache dieser schweren Folge setzte und durch die schwere Folge indizierten Gefährlichkeit der eben diese gesteigerte Gefährlichkeit an sich bestraft werden Schlägerei beisteuert.31 Zustimmung verdient die Rechtspre- soll, ist es unerheblich, ob es sich bei der schweren Folge um chung, da § 231 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt aus- Verletzungen handelt, die sich der Angegriffene oder der An- gestaltet ist.32 Die objektive Bedingung der Strafbarkeit ist greifer selbst zugefügt haben.27 hierbei als eine rein technische Einschränkung des Gefähr- dungsdelikts anzusehen und nicht als Unrechts- oder Schuld- 3. Absehen von Strafe? merkmal. Der Zeitpunkt des Eintritts der schweren Folge darf In Fällen, in denen die schwere Folge eine Selbstschädigung somit für den Täter keine Rolle spielen, zumal für den im zum Nachteil eines Beteiligten (hier D) darstellt, eröffnet Nachhinein hinzutretenden Täter auch kein sachlich nach- § 60 S. 1 StGB die Möglichkeit, von Strafe abzusehen. Vo- vollziehbarer Anlass der Privilegierung besteht.33 Wenn sich raussetzung hierfür ist, dass die Folgen der Tat so schwer jemand nach Eintritt der schweren Folge an einer Schlägerei sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt beteiligt, trägt auch er zu einer Steigerung der gefährlichen wäre. Eine Strafe ist offensichtlich verfehlt, wenn sie unter Gesamtsituation bei, die schon mit dem Eintritt der schweren keinem ihrer Leitgesichtspunkte eine sinnvolle Funktion Folge Strafbarkeit begründen konnte. Wenn bildhaft gespro- hätte,28 wenn also die Funktion der Strafe allein durch den chen „bereits Schwerverletzte auf dem Boden liegen“, ist es Schuldspruch erfüllt wird, d.h. der Täter sich selbst so schwer umso verwerflicher, das Risiko weiterer Verletzungen zu geschädigt hat, dass es einer weitergehenden Einwirkung auf potenzieren. Im Ergebnis ist deshalb irrelevant, dass P sich ihn nicht bedarf und auch der Allgemeinheit ein Absehen von erst nach Eintritt der schweren Folge an der Schlägerei betei- Strafe verständlich erscheint.29 Letztlich ist zu fragen, ob sich ligt hat. der Verletzte seine eigene Schädigung als Warnung dienen lassen wird, künftig keine Straftaten mehr zu begehen und ob 2. Ergebnis einem Absehen von Strafe Rechtsgüterschutzaspekte entge- P hat sich gem. § 231 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. genstehen. D wurde durch den Verlust seines Daumens der rechten Hand in einer Weise geschädigt, die es durchaus 3. Tatkomplex: Die Spritztour rechtfertigt, von Strafe abzusehen. Er ist durch seine Schädi- gung bestraft und wird sich diese zur Warnung dienen lassen, A. Gemeinsame Prüfung (P, S, A, D) sich künftig nicht an Schlägereien zu beteiligen. Aufgrund I. Strafbarkeit von P, S, A und D wegen Diebstahls in dieser für D schweren Folge ist ein Absehen von Strafe auch Mittäterschaft durch das Wegfahren mit dem Polizeiwa- für die Allgemeinheit nachvollziehbar. Die Beteiligung an gen gem. §§ 242 Abs. 1, 25 Abs. 1 StGB einer Schlägerei bedarf keiner weiteren Sühne. Somit ist im 1. Objektiver Tatbestand Ergebnis nur S gem. § 231 Abs. 1 StGB zu bestrafen. P, S, A und D könnten sich durch das Wegfahren mit dem Polizeiwagen eines Diebstahls in Mittäterschaft gem. §§ 242 C. Strafbarkeit des P Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht haben. Der objekti- I. § 223 Abs. 1 StGB ve Tatbestand des § 242 StGB setzt die Wegnahme einer Eine Strafbarkeit gem. § 223 Abs. 1 StGB scheidet aus, s.o. fremden, beweglichen Sache voraus. Sachen sind körperliche Gegenstände im Sinne des § 90 S. 1 BGB. Fremd sind Sa- II. § 231 Abs. 1 StGB chen, die nicht im Alleineigentum des Täters stehen und nicht Hinsichtlich der Beteiligung an der Schlägerei hat P wie die herrenlos sind.34 Das Polizeikraftfahrzeug ist ein körperlicher anderen Beteiligten auch den Tatbestand des § 231 Abs. 1 Gegenstand, der fortgeschafft werden kann und steht bei StGB rechtswidrig und schuldhaft erfüllt. lebensnaher Auslegung im Eigentum des Fiskus, ist also eine fremde bewegliche Sache. Wegnahme bedeutet Bruch frem- 30 BGHSt 16, 130. 31 Stree/Sternberg-Lieben (Fn. 4), § 231 Rn. 9. 27 32 BGHSt 33, 100 (104); Fischer (Fn. 2), § 231 Rn. 6 m.w.N. Vgl. BGHSt 14, 132 (134); BGHSt 16, 130 (132). 28 33 BGHSt 27, 298 (300). BGHSt 16, 130 (132). 29 34 BGHSt 27, 298 (300). Sternberg-Lieben (Fn. 10), § 242 Rn. 12. _____________________________________________________________________________________ ZJS 5/2013 486
Übungsfall: The Hangover Part I STRAFRECHT den und Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen te), käme wegen objektiv bereits erfolgter Wegnahme nur Gewahrsams.35 Durch das Wegfahren hat A den fremden Ge- eine rechtswidrige Zueignung in Betracht. Dabei ist es bereits wahrsam der Polizisten gegen deren Willen gebrochen, insb. schwierig, in solch einer kurzen Zeitspanne überhaupt den haben diese durch das bloße Abstellen des Wagens vor dem objektiven Tatbestand des § 246 StGB zu bejahen, weil das Club ihre tatsächliche Sachherrschaft über das Auto nicht kurze Fahren schwerlich als objektive Manifestation des aufgegeben. Vielmehr war ihnen bei sozial-normativer Be- Zueignungswillens bewertet werden kann. Subjektiv tritt trachtung der Gewahrsam am Wagen nach wie vor zuzurech- hinzu, dass der „Beschädigungsvorsatz“ wiederum einem An- nen. Eine Wegnahme kann somit mit Beginn der Fahrt bejaht eignungswillen entgegensteht. Das Unrecht der Unterschla- werden, sodass A den objektiven Tatbestand des § 242 Abs. 1 gung wird in derartigen Konstellationen – in Anlehnung an StGB erfüllt hat. Dies entsprach auch dem gemeinsamen die Grundsätze des dolus alternativus – wohl zumindest Willen und Tatplan aller Beteiligten, weswegen die Weg- „überlagert“, wenn es tatsächlich zur Beschädigung des Wa- nahme als objektiver Tatbeitrag den übrigen Personen (P, S, gens kommt. Eine Unterschlagung scheidet mithin aus. D) gem. § 25 Abs. 2 StGB als Mittäter zuzurechnen ist. B. Strafbarkeit des A 2. Subjektiver Tatbestand I. Strafbarkeit des A wegen unbefugten Gebrauchs eines Die Beteiligten waren sich über die Fremdheit der Sache im Fahrzeugs gem. § 248b Abs. 1 StGB durch das Wegfah- Klaren und wollten das Auto auch wegnehmen. Neben die- ren mit dem Polizeiwagen sem allgemeinen Tatbestandsvorsatz setzt § 242 Abs. 1 StGB 1. Objektiver Tatbestand voraus, dass die Täter auch mit dem besonderen subjektiven A könnte sich durch das Wegfahren mit dem Polizeiwagen Merkmal der Zueignungsabsicht handelten. Diese überschie- gem. § 248b Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. Der Tatbe- ßende Innentendenz setzt sich aus zwei Komponenten zu- stand setzt die Ingebrauchnahme eines KfZ im Sinn des sammen, dem sog. Enteignungsvorsatz (also dem ggf. auch § 248b Abs. 4 StGB gegen den Willen des Berechtigten vo- nur bedingten Vorsatz, den Eigentümer dauerhaft aus dessen raus. Ingebrauchnahme ist die bestimmungsgemäße Verwen- eigentlicher Position zu verdrängen), und der Aneignungsab- dung des Fahrzeugs als Beförderungsmittel zum Zwecke der sicht (die bejaht werden kann, wenn der Täter die Sache Fortbewegung. A ließ den Motor an und fuhr bereits 300 zumindest vorübergehend in sein Vermögen einverleiben und Meter vor, was für eine Ingebrauchnahme im Sinn des § 248b einen wirtschaftlichen Nutzen daraus ziehen will).36 Zwar Abs. 1 StGB ausreicht. Dies geschah auch gegen den Willen wollen alle Beteiligten durch das Wegfahren in den Genuss der Berechtigten (nämlich der Polizisten). einer „Spritztour“ kommen und handeln daher mit Aneig- nungsabsicht. Die Beteiligten beabsichtigten aber, das Fahr- 2. Subjektiver Tatbestand zeug alsbald wieder an gleicher Stelle abzustellen. Bei solch einem Rückführungswillen nehmen die Täter gerade nicht in A handelte vorsätzlich. Er wollte das Auto in Bewegung set- Kauf, den Eigentümer dauerhaft aus seiner Position zu ver- zen und wusste, dass er unbefugt agierte. drängen. Dabei ist es auch unschädlich, dass die Beteiligten nach der Wegnahme des Wagens (also während der Fahrt) in 3. Rechtswidrigkeit Kauf nahmen, dass das Fahrzeug beschädigt werden könnte. Etwaige Rechtfertigungsgründe kommen nicht in Betracht. Schließlich muss der Täter zum Zeitpunkt der Tatbegehung Somit handelt A auch rechtswidrig. mit Zueignungsabsicht agieren (Simultaneitätsprinzip). Somit scheidet ein Diebstahl in Mittäterschaft gem. §§ 242 Abs. 1, 4. Schuld 25 Abs. 2 StGB mangels Ent-eignungsvorsatz aus. Laut Sachverhalt wurde gutachterlich festgestellt, dass A aufgrund des Drogen und Alkoholkonsums ab 1.00 Uhr eine 3. Zwischenergebnis Blutalkoholkonzentration von 3,4 ‰ aufwies; dabei zieht die P, S, A und D haben den subjektiven Tatbestand des Dieb- Rechtsprechung den Promillewert des Täters als Indiz für die stahls nicht erfüllt und sich daher nicht gem. §§ 242 Abs. 1, Feststellung der Schuldfähigkeit heran, wobei eine absolute 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht. Schuldunfähigkeit bei einem Wert von 3,0 ‰ als indiziert betrachtet wird. Laut Bearbeitervermerk sind diese Grenzen II. Strafbarkeit von P, S, A und D wegen Unterschlagung zugrunde zu legen, sodass eine Schuldunfähigkeit gem. § 20 in Mittäterschaft durch das Weiterfahren mit dem Poli- StGB auszugehen ist und A die deliktstatbestandsmäßige Be- zeiwagen nach kurzzeitigem Halt gem. §§ 246 Abs. 1, 25 gehung nicht vorgeworfen werden kann. Denkbar bleibt, eine Abs. 2 StGB strafrechtliche Haftung trotz Schuldunfähigkeit nach den Soweit man auf den Zeitpunkt abstellen will, in dem die Be- Grundsätzen der a.l.i.c. zu begründen. Doch besteht kein An- teiligten die Zerstörung des Wagens billigend in Kauf nah- lass hierauf zurückzugreifen, zum einen weil die hier in Rede men (und damit ein Enteignungsvorsatz bejaht werden könn- stehende Tat als solche nicht bereits vorher ins Auge gefasst wurde (anders in den Fällen, in denen der Täter sich absicht- lich betrinkt, um eine bestimmte Tat zu begehen), zum ande- 35 Vgl. Sternberg-Lieben (Fn. 10), § 242 Rn. 22, 42. ren weil bei Bagatelldelikten bzw. Delikten der mittleren 36 Zur Zueignungsabsicht in der Fallbearbeitung Kudlich/ Oğlakcıoğlu, JA 2012, 321. _____________________________________________________________________________________ Zeitschrift für das Juristische Studium – www.zjs-online.com 487
ÜBUNGSFALL Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu Kriminalität das Unrecht der Tat schon über den Vollrausch- der Rechtswidrigkeit unter der Überschrift „Einwilligung“ tatbestand (§ 323a StGB) erfasst werden kann. diskutiert).38 Der BGH lehnt solch einen „Rechtsgütersplitt“ ab und geht davon aus, dass § 315c Abs. 1 Nr.1 StGB in II. Strafbarkeit des A wegen Gefährdung des Straßenver- seiner „Gesamtheit“ den Straßenverkehr als überindividuelles kehrs gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr.1 StGB durch Rechtsgut schützt und somit keine „Einwilligung“ bzw. ei- das Fahren mit dem Polizeiwagen genverantwortliche Selbstgefährdung möglich ist. Die Recht- 1. Objektiver Tatbestand sprechung würde aber jedenfalls in dieser Konstellation erst gar nicht zu diesem Problem gelangen, da sie Teilnehmer – A könnte sich durch das Fahren mit dem Polizeiwagen einer nicht im Sinne von Straßenverkehrsteilnehmer, sondern im Straßenverkehrsgefährdung gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB Sinne der §§ 26, 27 StGB – an der Gefährdung des Straßen- strafbar gemacht haben. Während § 316 Abs. 1 StGB als ab- verkehrs (hier wohl durch das Johlen und Auffordern weiter- straktes Gefährdungsdelikt die bloße Trunkenheitsfahrt für zufahren evtl. als „Anstifter“, jedenfalls aber als Gehilfen) sich unter Strafe stellt, setzt § 315c StGB als konkretes Ge- schon aus dem Schutzbereich des § 315c Abs. 1 StGB fährdungsdelikt voraus, dass ein sichtbarer Außenwelterfolg nimmt.39 Dies beruht auf der Überlegung, dass „Täter und im Sinn eines „Beinaheunfalls“ eintritt. Opfer“ nicht in einer Norm zusammenfallen können. All dies kann dahingestellt bleiben, wenn A zumindest ei- a) Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr ne fremde Sache von bedeutendem Wert gefährdet hat. So- Zunächst müsste A ein Fahrzeug (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) wohl das Polizeiauto, als auch die Telefonzelle kommen als „führen“, d.h. unter bestimmungsgemäßer Anwendung der Bezugsobjekte in Betracht. Die h.M. geht davon aus, dass das Antriebskräfte das Fahrzeug in Bewegung setzen.37 Dies ist Fahrzeug als Instrument der Tatbegehung, nicht zugleich hier unproblematisch der Fall, wobei an dieser Stelle dahin- Schutzobjekt sein kann40 (auch wenn es für die Beteiligten stehen kann, ob man auf das erste Anrollen oder auf das er- fremd war und die Schadenshöhe – bei einer Grenze von neute Betätigen des Gaspedals abstellt. A führte den Polizei- 750 €41 – auch überschritten wurde). Allerdings stellt die wagen auf Straßen, die dem allgemeinen Verkehr gewidmet fremde Telefonzelle, die nicht nur konkret gefährdet, sondern sind, und somit im öffentlichen Straßenverkehr. tatsächlich beschädigt wurde, ein geeignetes Tatobjekt dar. Da auch hier der Schaden in Höhe von 1.500 € den Grenz- b) Rauschbedingte Fahrunsicherheit wert42 übersteigt, ist der objektive Tatbestand des § 315c Nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB müsste A das Auto führen, Abs. 1 Nr. 1a StGB erfüllt. obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage hierzu ist. Laut 2. Subjektiver Tatbestand Sachverhalt nahm A sowohl Betäubungsmittel, als auch eine Die „Zweiaktigkeit“ des § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB führt erhebliche Menge an Alkohol zu sich, die kumulativ zu dessen auch zu einem doppelten Vorsatzbezugspunkt, nämlich bzgl. Schuldunfähigkeit geführt haben, weswegen er auch nicht der Tathandlung und des Taterfolgs. Beide Teile können mehr im Stande war, ein Fahrzeug sicher zu führen. Schließ- sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig begangen werden, wie lich ist nach ständiger Rechtsprechung die Grenze zur absolu- sich aus § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 1, 2 StGB ergibt. A ten Fahruntüchtigkeit bereits bei einer BAK von 1,1 ‰ anzu- erkannte spätestens beim zweiten Anfahren, dass er nicht nehmen. mehr im Stande war, ein Fahrzeug sicher zu führen, sodass hinsichtlich dieses Handlungsteils jedenfalls Vorsatz gegeben c) Erfolg der konkreten Gefährdung und Kausalzusammen- ist. Weniger eindeutig ist, ob er die konkrete Gefährdung der hang Telefonzelle, die nach hier vertretener Ansicht als einzig Durch das Führen des Wagens trotz rauschbedingter Fahrun- relevantes Schutzobjekt in Frage kommt, billigend in Kauf sicherheit müsste A Leben oder Leib eines anderen Men- genommen hat. Vorliegend steht nicht einmal fest, ob A beim schen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret Anfahren die Telefonzelle wahrgenommen hat. Ein genereller (also sichtbar und in der Form, dass es lediglich vom retten- Eventualvorsatz hinsichtlich der Beschädigung aller sonsti- den Zufall abhängt, dass der Schaden nicht eintritt) gefährdet gen Gegenstände, die bei einem (billigend in Kauf genom- haben. Bzgl. Leib und Leben anderer Personen gilt grund- menen) Unfall beschädigt werden könnten, erscheint zu weit- sätzlich, dass § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB nicht nur die „au- gehend. Insofern muss in dubio pro reo davon ausgegangen ßenstehenden“ Teilnehmer am Straßenverkehr, sondern auch werden, dass A „nur“ Vorsatz bezüglich der Beschädigung die Insassen schützt. Zwar haben alle Insassen Schürfwunden erlitten, doch muss die Gefährdung eines „anderen“ dennoch 38 Vgl. Sternberg-Lieben (Fn. 10), § 315c Rn. 40 m.w.N; zur aus zweierlei Aspekten in Frage gestellt werden: Zum einen Einwilligung vgl. auch Fischer (Fn. 2), § 315c Rn. 17. wird im Rahmen der §§ 315b, 315c StGB darüber gestritten, 39 Fischer (Fn. 2), § 315c Rn. 15b m.w.N. aus der Rspr.; a.A. ob der Gefährdungsteil dieser Tatbestände nicht ausschließ- Sternberg-Lieben (Fn. 10) § 315c Rn. 31. lich Individualinteressen schützt und somit eine bewusste 40 Fischer (Fn. 2), § 315c Rn. 15c m.w.N. Selbstgefährdung der Insassen schon die Zurechnung aus- 41 Die Grenze ist streitig und variiert zwischen 750 € und schließt (von der Rechtsprechung wird dies erst im Rahmen 1.300 €; vgl. hierzu auch Fischer (Fn. 2). § 315 Rn. 16 m.w.N. aus Rspr. und Lit. 37 42 Sternberg-Lieben (Fn. 10), § 316 Rn. 19 m.w.N. Vgl. Fn. 41. _____________________________________________________________________________________ ZJS 5/2013 488
Übungsfall: The Hangover Part I STRAFRECHT des PKW hatte, im Übrigen aber bewusst fahrlässig agiert Abs. 1 StGB ist jedenfalls in Form der Beschädigung einer hat. Freilich indiziert hier bereits der Handlungsteil (vorsätz- fremden Sache erfüllt. liche Trunkenheitsfahrt) die objektive und subjektive Sorg- faltspflichtverletzung, welche den Eintritt des Gefahrerfolgs b) Qualifikation letztlich zurechenbar macht. Zudem könnte A den Tatbestand der Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel verwirklicht haben. § 305a StGB baut auf der 3. Rechtswidrigkeit Sachbeschädigung auf und kann somit als Qualifikation zu Rechtfertigungsgründe kommen nicht in Betracht, insb. § 303 StGB eingeordnet werden. A könnte ein Kraftfahrzeug kommt es auf eine potentielle Einwilligung der Mitinsassen der Polizei teilweise zerstört haben, wobei das Fahrzeug nicht an, weil diese über den Straßenverkehr als Schutzgut sogar noch „im Einsatz“ war, d.h. von der zuständigen Stelle der Allgemeinheit nicht dispositionsbefugt sind. auch jedenfalls noch dienstlich genutzt wurde. Ein teilweises Zerstören geht über ein einfaches Beschädigen hinaus, dürfte 4. Schuld aber hier anzunehmen sein, da wesentliche zwecknötige Teile Allerdings ist A schuldunfähig, s.o. Aus den bereits erläuter- eines Polizeiwagens – insbesondere das Blaulicht – nicht ten Gründen ist eine Strafbarkeitsbegründung nach den mehr funktionstüchtig bzw. der Wagen auch laut Sachverhalt Grundsätzen der a.l.i.c. kriminalpolitisch überflüssig. Hinzu „gerade noch“ fahrtüchtig ist. Ein demolierter Polizeiwagen tritt, dass die a.l.i.c jedenfalls im Bezug auf die Straßenver- ohne Blaulicht kann zumindest seine „repräsentative“ Funk- kehrsgefährdung nicht legitimierbar erscheint. Die verschie- tion nicht erfüllen. denen Legimitationsmodelle der a.l.i.c. lassen sich im We- sentlichen auf zwei Kategorien reduzieren. Die erste Gruppe 2. Rechtswidrigkeit und Schuld stellt nach wie vor auf die konkrete Tathandlung (hier bspw. Zwar handelt A rechtswidrig, doch scheitert auch hier die die Ingebrauchnahme) ab und will bei bewusster Herbeifüh- Strafbarkeit an der mangelnden Schuldfähigkeit, § 20 StGB. rung der Schuldunfähigkeit schlicht eine Ausnahme von § 20 Zwar sind die §§ 303, 305a StGB als klassische Erfolgsdelik- StGB machen bzw. den dort auftauchenden Tatbegriff auf te im Sinne von Verletzungsdelikten ausgestaltet, sodass eine den Zeitpunkt der Noch-Schuldfähigkeit „ausdehnen“. Frei- Strafbarkeitsbegründung über die Grundsätze der a.l.i.c. im lich sehen sich diese Ansatzpunkte dem Vorwurf der Verlet- Unterschied zu den oben geprüften Tatbeständen möglich zung des Bestimmtheitsgebots und Analogieverbots gem. wäre (wenn man das Tatbestands- bzw. Kausalmodell für Art. 103 Abs. 2 GG ausgesetzt. tragfähig erachtet); doch besteht hierfür weder ein kriminal- Daher knüpft das Gegenmodell an eine Handlung an, bei politisches Bedürfnis, noch handelte A bereits beim Sich- der der Täter noch schuldfähig war, hier das Sich-Betrinken. Betrinken mit dem Vorsatz, ein Polizeiwagen zu beschädi- Während teils vertreten wird, dass sich der Täter dadurch gen. zum Werkzeug gegen sich selbst mache, konstruiert die wohl h.M. mit ihrer Tatbestandslösung einen Kausalverlauf, der IV. Strafbarkeit des A wegen gemeinschädlicher Sachbe- mit dem Sich-Betrinken beginnt und mit dem Erfolgseintritt schädigung gem. §§ 303 Abs. 1, 304 Abs. 1 StGB durch endet. Dieses Kausalmodell ist auf Tatbestände, deren Un- Zerstörung der Telefonzelle rechtsschwerpunkt nicht in der tatsächlichen Beeinträchti- Eine Strafbarkeit des A wegen gemeinschädlicher Sachbe- gung eines Rechtsgutsträgers besteht, sondern die eine Hand- schädigung gem. § 304 StGB scheitert jedenfalls am subjek- lung an sich bestrafen (schlichte Tätigkeitsdelikte, die nicht tiven Tatbestand. Zwar handelt es sich bei einer öffentlichen selten auch als eigenhändige Delikte ausgestaltet sind) nicht Telefonzelle um einen Gegenstand, der unmittelbar dem anwendbar; mithin steht am Ende des „Sich-Betrinkens“ kein öffentlichen Nutzen dient, doch muss man mangels weiterer Erfolgsunwert, der durch mannigfaltige Handlungen kausal Angaben im Sachverhalt davon ausgehen, dass A keinen herbeigeführt werden könnte, sondern eine eigenständig Vorsatz bezüglich der Beschädigung der Telefonzelle hatte pönalisierte Handlung, die den Ursprung des tatbestandlich (s.o.). vertypten Unrechts ausmacht und daher nur bei schuldhafter Begehung bestraft werden kann. A macht sich nicht gem. V. Strafbarkeit des A wegen fahrlässiger Störung von § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB strafbar. Aus den gleichen Grün- Telekommunikationsanlagen gem. §§ 317 Abs. 1, Abs. 3 den scheidet eine Strafbarkeit des A wegen Trunkenheit im StGB durch Zerstörung der Telefonzelle Verkehr gem. § 316 Abs. 1 StGB aus. In Betracht kommt jedoch die Verwirklichung des § 317 Abs. 3 StGB. Bei einer Telefonzelle handelt es sich um eine III. Strafbarkeit des A wegen Sachbeschädigung sowie Telekommunikationsanlage im Sinne des § 317 Abs. 1 StGB, Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel gem. §§ 303, 305a die öffentlichen Zwecken dient. Durch den Unfall hat A des- Abs. 1 Nr.2 StGB durch Beschädigung des Polizeiwagens sen Zerstörung bzw. Unbrauchbarkeit verursacht, sodass der 1. Tatbestandsmäßigkeit objektive Tatbestand erfüllt ist. Zwar handelt A nicht vorsätz- a) Grundtatbestand lich (vgl. oben), jedoch ordnet § 317 Abs. 3 StGB die Fahr- Durch den Unfall hat A das Polizeifahrzeug in der Substanz lässigkeitsstrafbarkeit – wie dies § 15 StGB fordert – explizit verletzt und damit eine wesentliche Funktionsbeeinträchti- an. Die Trunkenheitsfahrt für sich reicht bereits aus, um eine gung herbeigeführt. Der objektive Tatbestand des § 303 objektive Sorgfaltspflichtverletzung anzunehmen. Will man _____________________________________________________________________________________ Zeitschrift für das Juristische Studium – www.zjs-online.com 489
ÜBUNGSFALL Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu A die Zerstörung der Telekommunikationsanlage vorwerfbar auch die §§ 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB (in der Vorsatz- machen, ist wegen dessen Schuldunfähigkeit zum Zeitpunkt Fahrlässigkeitskombination), § 248b StGB sowie § 305a des Fahrens auf den früheren Zeitpunkt des Versetzens in Abs. 1 Nr.2 StGB. Da diese Taten zum Zeitpunkt ihrer Bege- einen Rauschzustand abzustellen. Denn obwohl A davon aus- hung vorsätzlich und rechtswidrig verwirklicht wurden, lie- ging, dass er im Laufe des Abends noch fahren müsste, be- gen Taten im Sinn des § 323a StGB vor und die objektive trank er sich hemmungslos und nahm Drogen zu sich. Dass er Bedingung der Strafbarkeit kann bejaht werden. Da allein das in diesem Zustand Gegenstände, die öffentlichen Zwecken „Sichberauschen“ Anknüpfungspunkt ist, handelt es sich um dienen beschädigen bzw. zerstören könnte, war objektiv vor- eine Tat. hersehbar. Da Anknüpfungspunkt der Fahrlässigkeitsstraf- barkeit jedes objektiv sorgfaltswidrige Verhalten ist und C. Strafbarkeit des D § 317 Abs. 3 StGB als Erfolgsdelikt keine spezifische Hand- I. Strafbarkeit des D wegen unbefugten Gebrauchs eines lung voraussetzt, erscheint ein Rückgriff auf die Vorfeld- Fahrzeugs gem. §§ 248b, 25 Abs. 2 StGB durch das Weg- handlung („Sich-Betrinken“) auch ohne ein Konstrukt in fahren mit dem Polizeiwagen in Mittäterschaft Form der „fahrlässigen“ a.l.i.c. möglich. A hat durch das Den Polizeiwagen für eine Spritztour mitzunehmen, war Teil Sich-Betrinken trotz „auserwählter Fahrer“ pflichtwidrig die des gemeinsamen Tatentschlusses, sodass dem D die Hand- Gefahr geschaffen, dass hierbei Gegenstände infolge eines lungen des A im Wege der Mittäterschaft zugerechnet wer- Unfalls (auch Telefonzellen) beschädigt werden könnten. Er den können, § 25 Abs. 2 StGB. Insbesondere dürfte es sich macht sich damit gem. § 317 Abs. 1, Abs. 3 StGB strafbar. im Hinblick auf die Auffangfunktion des § 248b StGB nicht um ein eigenhändiges Delikt handeln. Auch D war sich be- VI. Strafbarkeit des A wegen Vollrausch gem. § 323a wusst, dass man „unbefugt“ agierte. Im Gegensatz zu A hatte StGB aufgrund des Alkohol- und Drogenkonsums D zum Zeitpunkt der Verwirklichung der beschriebenen 1. Objektiver Tatbestand Taten laut Feststellungen des Gutachters eine BAK von § 323a StGB stellt als abstraktes Gefährdungsdelikt das vor- 1,8 ‰ und war somit noch voll schuldfähig im Sinne des sätzliche Sich-Betrinken oder Drogen konsumieren unter § 20 StGB, sodass er sich gem. §§ 248b, 25 Abs. 2 StGB Strafe, wenn der Täter im Rauschzustand eine rechtswidrige strafbar macht. Tat begeht. Diese rechtswidrige Tat ist lediglich objektive Bedingung der Strafbarkeit, d.h. dem Auffangcharakter der II. Strafbarkeit des D wegen Anstiftung zur Straßenver- Vorschrift entsprechend muss der Täter diese nicht schuldhaft kehrsgefährdung gem. §§ 315c Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, 26 bzw. vorsätzlich verwirklichen. Für den Tatbestand des StGB § 323a StGB ist somit lediglich erforderlich, dass sich der Bei den Straßenverkehrsdelikten der §§ 315 ff. StGB scheidet Täter vorsätzlich (oder fahrlässig) durch alkoholische Ge- eine Mittäterschaft per se aus, da es sich um eigenhändige tränke oder Rauschmittel in einen Rausch versetzt. Von ei- Delikte handelt, die nur der „Führer“ des KfZ, also A ver- nem Rausch spricht man, wenn der Genuss zu einem akuten wirklichen kann. Allerdings bleiben diese Tatbestände zu- Intoxikationszustand führt, der die psychischen Fähigkeiten mindest teilnahmefähig, da es sich auch bei Vorsatz-Fahr- beeinträchtigt, wobei umstritten ist, welchen Schweregrad der lässigkeitskombination um Vorsatztaten handelt, § 11 Abs. 1 Rausch (angelehnt an die §§ 20, 21 StGB) erreichen muss. Nr. 2 StGB. Für die Teilnahme ist irrelevant, dass A selbst Jedenfalls muss ein Rauschzustand, der zur Schuldunfähig- nicht schuldhaft handelte, da die limitierte Teilnehmerak- keit gem. § 20 StGB führt, mit Blick auf die Auffangfunktion zessorietät nur eine vorsätzlich, rechtswidrige Haupttat vo- des § 323a StGB ausreichen. Diesen Zustand hat A durch den raussetzt. Problematisch ist, dass der Tatentschluss gemein- Mischkonsum von Alkohol und Rauschgift verursacht. sam gefasst worden sein könnte und insofern eine Anstiftung im Hinblick auf das Merkmal „Bestimmen“ problematisch 2. Subjektiver Tatbestand ist. Unter Bestimmen im Sinne des § 26 StGB ist das Hervor- A hat den Rauschzustand absichtlich herbeigeführt. Er muss- rufen eines Tatentschlusses mittels „geistigen Kontakts“ zu te davon ausgehen, dass sich dieser Effekt zudem durch das ver-stehen. Während man bei § 248b StGB das Hervorrufen Mischen von Alkohol und Drogen potenziert. Anders als im (bzw. eine gemeinsame Fassung des Tatentschlusses) bejahen Rahmen der a.l.i.c. muss der Täter zum Zeitpunkt des Sich- könnte, da A anfangs nicht damit rechnete, einen Polizeiwa- Betrinkens keinen Vorsatz bzgl. der Rauschtat haben, es gen zu „stehlen“, gilt für die §§ 315 ff. StGB, dass sich A spielt also bspw. keine Rolle, dass A nicht plante, einen frem- unabhängig davon mit welchem Wagen, schon von Anfang den Polizeiwagen für seine Spritztour zu verwenden und an als „Fahrer“ und somit als „Führer“ zur Verfügung gestellt somit unbefugt im Sinne des § 248b StGB zu handeln. hatte. Stellt man also auf das erste Einsteigen ab, wäre A schon zur Tatbegehung fest entschlossen – d.h. „omnimodo 3. Rechtswidrigkeit und Schuld facturus“ – sodass ein Bestimmen ausscheidet und mangels A handelte auch rechtswidrig und schuldhaft. Verbrechen auch keine versuchte Anstiftung gem. § 30 Abs. 2 StGB in Betracht kommt. 4. Objektive Bedingung der Strafbarkeit Abstellen könnte man dagegen auf den Zeitpunkt, in dem A wieder von seinem Plan Abstand nahm, betrunken weiter- „Rauschtat“ als objektive Bedingung der Strafbarkeit ist jede zufahren, und dementsprechend bremste. Das Johlen und rechtswidrige Tat im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB, also _____________________________________________________________________________________ ZJS 5/2013 490
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