Ernährung in der Palliative Care
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Kompetenzzentrum Palliative Care KPC «Ernährung in der Palliative Care» «Ernährungssymposium: Ethik in der klinischen Ernährung» 15. Mai 2014, Hörsaal WEST U, UniversitätsSpital Zürich Dr. med. Katja Fischer, FMH Innere Medizin, cand. MSc, Oberärztin KPC, katja.fischer@usz.ch 1
Definition Palliative Care (SAMW) „Unter Palliative Care wird eine umfassende Behandlung und Betreuung von Menschen mit unheilbaren, lebensbedrohlichen oder chronisch fortschreitenden Krankheiten verstanden. Ihr Ziel ist es, den Patienten eine möglichst gute Lebensqualität zu ermöglichen. Dies schliesst die Begleitung der Angehörigen mit ein. Leiden soll optimal gelindert werden und entsprechend den Wünschen des Patienten sind auch soziale, seelisch-geistige und religiös-spirituelle Aspekte zu berücksichtigen. Qualitativ hoch stehende Palliative Care ist auf professionelle Kenntnisse und Arbeitsweisen angewiesen und erfolgt soweit möglich an dem Ort, den der Patient sich wünscht. Ihr Schwerpunkt liegt in der Zeit, in der Sterben und Tod absehbar werden, doch ist es oft sinnvoll, Palliative Care vorausschauend und frühzeitig, eventuell bereits parallel zu kurativen Massnahmen einzusetzen.“ SAMW: Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften, www.samw.ch
Krankheitsverlauf: Kurativ-Palliativ? Therapieziel? Prognostische Phasen im Verlauf: •Kurativ •Lebenserwartung ≥ 6 Monate •Lebenserwartung 1-6 Monate •Lebenserwartung wenige Wochen bis Tage •Lebenserwartung 4-7 Tage → Prioritäten ändern: «Riechen und schmecken statt Lynn and Adamson 2003 Kalorien!» 4
Begriffe Anorexie: „Kein Verlangen“, Inappetenz, Appetitlosigkeit Kachexie: „Schlechter Zustand“ (kakos – schlecht, hexis – Zustand) Sarkopenie: Muskelabbau (sarx – Fleisch, Penia – Mangel) Anorexie-Kachexie-Syndrom: AKS Tumorkachexie 5
Das «Anorexie-Kachexie-Syndrom» ist… •ein multifaktorielles Syndrom mit zunehmendem Verlust an skeletaler Muskelmasse •mit/ohne Verlust von Fettmasse •mit konventioneller Ernährungstherapie nicht vollständig reversibel Fearon K, 2011 6
Neue Definition Kachexie (2011) • Gewichtsverlust >5% oder d.h. > 3.5 kg bei 70kg KG • Gewichtsverlust >2% und BMI 2% und Muskelmasseverlust plus • Anorexie/Appetitverlust und/oder • Zeichen der systemischen Inflammation Fearon K, 2011 7
Phasen der Tumorkachexie Adaptiert nach Fearon, 2011 Stabiles Gew. Prä- Kachexie Refraktäre Kachexie Keine Kachexie Präkachexie refraktäre Kachexie Zeichen des aktiven Katabolismus, Gew.Verlust 5%, variables Ausmass der Anorexie oft verminderte Kachexie, Metabol./endokr. Nahrungsaufnahme/ tiefer Performance Score, Störungen Systemische immunkompromitiert, Entzündung Krankheitsprogression,
Einteilung Primäre Kachexie: • Ursachen tumor-bedingt • Interaktion Körper-Tumor (multifaktoriell, komplex humoral-inflammatorisch) • 40-80% der Patienten mit Tumorerkrankungen (v.a. pulmonal, gastrointestinal) Ottery FD. 1996 Sekundäre Kachexie: • meist Tumortherapie-bedingt • durch reduzierte orale Nahrungsaufnahme, verminderte gastrointestinale Absorption oder Verlust von Nährstoffen Omlin A, 2007 9
Primäre Anorexie/Kachexie Bei kachektischen Tumorpatienten im Vergleich zu Gesunden vermehrt: •Tumor necrosis factor alpha •Interleukin 6 •Interferon gamma Einfach zugängliche Laborparameter: •Leichte Erhöhung von CRP •Leichte Erhöhung von Fibrinogen Argiles JM, 2011 Oberholzer R, Strasser F. 2012: 10
Ursachen der sekundären Kachexie • Verminderte zentrale Anregung zum Essen (Leptin reduziert) auch bedingt durch frühes Sättigungsgefühl • Veränderter Geruch und Geschmack (Tumor- und Therapie-bedingt) • Verminderte Motilität des oberen GI-Traktes (mit früher Sättigung, Übelkeit/Erbrechen) • Mucositis/Stomatitis (Infekte, Chemotherapie, Radiotherapie) • Direkte Nebenwirkungen der Chemotherapie (Übelkeit, Erbrechen) • Schmerzen (schlechte Schmerzeinstellung) • Nebenwirkungen der Begleitmedikation (z.B. Antibiotika, Analgetika) • Exokrine Pankreasinsuffizienz (nach Pankreatektomie) • Obstruktion des Magen-Darm-Traktes, Aszites • Soziale Beeinträchtigung, mangelnde Fürsorge, Einsamkeit, finanzielle Probleme, „zu gesunde Ernährung“ (nur Obst/Gemüse) 11
Assessment und Diagnostik • Assessment mit validierten Scores (SGA, PG-SGA, NRS, MUST), 10-20 Minuten • Repetitives Assessment bei jeder Therapie- und Therapieziel-Änderung («Forderung nach Erhalt der Ernährung wegen irrationaler Hoffnung auf Heilung?» • Muskelmasse? (prognostisch und Verlaufsparameter) - negativer Prädiktor für Immobilität und Mortalität. CT ohne KM, MRI, DEXA-Methode, Anthropometrie (Handkraft), Körperzusammensetzung (Bio-Impedanz-Analyse) 12
Warum Therapie? Wiederholte Gespräche, individuelle Entscheide! Kachexie führt zu: • reduzierter physischer Leistungsfähigkeit • reduzierter Verträglichkeit der Antitumortherapie • vermindertem Überleben Fearon K, 2011 Ernährungstherapie (ausreichende und adäquate Energiezufuhr): • verbessert Ansprechen auf Chemotherapie • vermindert Spitalaufenthalten und Komplikationen Löser CH. 2013 13
Therapie Fearon KCH, 2011 14
Therapie Aeberhard C, 2014
Aktivität („Sport“, Physiotherapie) • Körperliche Inaktivität führt zu Muskelabbau (Verminderung der Stimulation Muskeleiweiss- synthese). Biolo G,2004 • Immobilität und Bettlägrigkeit führen zu weiterem Muskelabbau, darum kombinierte Therapie mit hochnormaler proteinhaltiger Ernährung plus regelmässiger körperlicher Aktivität. 16
Multimodale Stufen-Therapie Aeberhard C, 2014 Letzte Option! Nur wenn andere Ernährung unzureichend, guter Performance Status und Patient eher an Kachexie stirbt als an Grunderkrankung. Nicht mehr indiziert in Terminalphase (Prognose
Medikamentöse Therapie: Kortikosteroide • Kurzfristig positiver Einfluss auf Anorexie/Appetitlosigkeit. Dexamethason 2-4mg/d oder 15-25mg Prednison führen subjektiv und objektiv zu Verbesserung der oralen Nahrungsaufnahme und Gewichtszunahme. Omlin A, 2007. Inoue A, 2003 • Therapiedauer 14-28 Tage („für besondere Anlässe“), dann Ausschleichen • Langfristige Therapie macht NW: Muskelabbau mit Muskelatrophie (!), Diabetes, Infekte, Cushing, u.a. 18
Weitere Medikamentöse Therapie • Megestrol (Progestine): Verbesserung von Appetit und Gewichtszunahme bei Tumorpatienten (Flüssigkeitseinlagerungen, nicht Muskelmasse). NW: Erhöhung von Thromboembolie-Risiko und Blutdruck. Berenstein EG, 2005. Maltonie 2001 • Omega 3 Fettsäuren: Anti-inflammatorische Wirkung (Supression TNF alpha). Erhöht Gewicht, Muskelmasse und Lebensqualität. Faber J 2008; van der Meij 2010 Schwierig: Viele Kapseln nötig, Magenprobleme, Aufstossen. • Cannabinoide: Canabisextrakt 9-THC (Betäubungsmittel). Positive und negative Studien vorhanden. Langsame Dosissteigerung 2.5-20mg/d. Therapieversuch 14 Tage. NW: Stimulierung. 19
Weitere Studien notwendig • Grehlin: Appetitstimulation und Gewichtszunahme. NW-freie iv-Applikation. Phase III Studie noch ausstehen. Strasser F. et al. Cancer 2006;107(12):2949-57 • Anti TNF alpha Therapie (Thalidomid®): Stabilisierung des Gewichtsverlusts und der Muskelmasse bei fortgeschrittenem Prostatakarzinom. NW: Neuropathie. Gordon JN, Trebble T, Ellis R, Duncan H, Johns T & Goggin P. Thalidomide in the treatment of cancer cachexia: a randomised placebo controlled trial. Gut, 54(4), 540-545. • Anabolika: Wirken nur in Kombination mit Sport, zahlreiche NW, schlecht toleriert von Tumorpatienten. • SARM (nichtsteroidale selektive Androgen Rezeptor Modulatoren), ähnlich Anabolika. Wsl. weniger NW. Noch keine Studien bei Tumorpatienten. • Bortezomib (Velcade®): Nebenwirkungsreich, bisher keine erfolgreichen Ergebnisse auf Kachexie. • Anti TNF alpha Therapie: Etanercept (Enbrel®). Sehr teuer, aber klinisch keine positive Wirkung auf Kachexie. • Interleukin-6-AK (ALD 518): Bisher kein klinischer Nutzen auf Kachexie nachgewiesen, nur Verbesserung von Laborwerten. • Verzweigt-kettige Aminosäuren (Leucin, Isoleucin, Valin): Bisher nur im Tierversuch positive Ergebnisse und nur in Kombination mit viel Protein und Fischöl • Glutamin: Bewirkte in Studien Reduktion von Infekten. Aktuell für Kachexie nicht empfohlen. • Cyclooxygenasehemmer (antiinflammatorische Substanzen). „Verlängern Leben“. Ibuprofen, Indomethacin, ASS. Kein Nachweis für Wirkung auf Kachexie. 20
Zusammenfassung Kachexie-Therapie • Anorexie-Kachexie-Syndroms (Appetit? Gewichtsverlauf?) • Ursachen der sekundären Kachexie (suchen, behandeln) • Aufklärung (Patient und Angehörige) • Therapie-Ziel gemäss Wunsch des Patienten: Verbesserung der individuellen Lebensqualität • Ev. Medikamente: Kortikosteroide, Megestrol, Omega 3 FS, (Cannabinoide) 21
Ernährung in der Sterbephase „Ihr könnt sie doch nicht „Was ist normal in der Sterbephase?“ verhungern/verdursten lassen.“ (deutlicher Rückgang des Hungers und der Kalorienzufuhr „Sie muss doch essen.“ am Lebensende, so wie schwächer werden von Organfunktionen und Kreislauf) „Der Patient stirbt an der fortgeschrittenen Krankheit, nicht am Nahrungsmangel.“ „Es stirbt sich nicht gut mit vollgestopften Venen und Mägen.“ „Durst bessert nicht durch Infusionen, sondern durch gute Mundpflege.“ 22
Ernährung in der Sterbephase „Er isst mir nicht mehr.“ „WER leidet an WAS?“ (Nahrung=Liebe=Leben) (Patient? Angehörige? Team?) „Wenn ich wieder kräftiger bin.“ „Welche Erwartungen gibt es?“ „Wenn sie wieder kräftiger ist.“ (Patient? Angehörige? Tema?) „Aktuelle Kräfte bestimmen die Planung, nicht ein Hoffen auf eine wundersame Zunahme der Kräfte“ 23
Qualität am Lebensende 24
Quellen Argiles JM, Busquets S, Lopez-Soriano FJ, Anti-inflammatory therapies in cancer cachexia. European Journal of Pharmacology. 2011: 668 (Supp.1), 81-86 Aeberhard C, Stanga Z. Ernährung in der Palliativmedizin. Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 2014;1/14, 10-15 Berenstein EG & Ortiz Z. Cochrane Syst Rev 2005, (2): CD 004310 Bertz H. Vorträge «Kachexie, Sarkopenie, Mangelernährung» und «Therapie der Kachexie», Palliative Care Master Online Studiengang Universität Freiburg. Biolo G, Ciocchi B, Lebenstedt M, Barazzoni R, Zanetti M, Platen P, Heer M, Guarnieri G. Short-term bed rest impairs amino-acid protein anabolism in humans. The journal of Physiology. 2004: 558(2), 381-388 Eychmueller S, Ernährung am Lebensende- eine Kontroverse. Palliativmedizin SGIM, Newsletter Dezember 2008 Faber J et al. Br J Cancer 2008;99(112):2029-36; van der Meij et al. J Nutr 2010;140(10):1774-80 Fearon K, Strasser F, Anker SD, Bosaeus I, Bruera E, Fainsinger RL, Jatoi A, et al. Definition and classification of cancer cachexia; an international consensus. The Lancet Oncology. 2011: 12(5), 489/495 Inoue A et al. Support Care Cancer 2003: 11(8).528-32 Kunz R. Sondenernährung in der Palliativmedizin und ihre Grenzen. Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 2014;1/14, 10-15 Löser CH. Ernährung am Lebnesende- medizinische, ethische und jurisitsche Grundsätze der palliativmedizinischen Ernährung. Aktuel Ernahrungsmed 2013;38:46-66 Maltonie et al. Ann Oncol 2001; 12(3):289-300 Oberholzer R, Strasser F. Tumorkachexie und Ernährung. Aus Lehrbuch der Palliativmedizin. Aulbert, Nauck, Radbruch. 3. Auflage. Schattauer, 2012 Omlin A, Strasser F, Tumor Cachexia. Pathophysiology, diagnostics and therapy. Der Onkologe 2007:7(13),577-583 Ottery FD. Definition of standardized nutritional assessment and interventional pathways in oncology. Nutrition 1996;12:15- 19. 25
Danke für Ihre Aufmerksamkeit! 26
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