"Es braucht auch für Führungs kräfte Teilzeitjobs" - CHESS
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18 INTERVIEW «Es braucht auch für Führungs Fachkräfte sollten den Arbeitsmarkt beobachten und früh- zeitig auf Veränderungen reagieren, damit sie nicht von einem Stellenverlust überrascht werden, sagt Katja Rost. Rolf Murbach Michele Limina Context: Sie beobachten die Arbeits- sind verunsichert, da der Wandel die möglich ist, stellte das ihr Lebensmodell welt seit vielen Jahren. Was beschäftigt Unternehmen ebenfalls betrifft. Ein infrage. Sie müssten dann auch Aufga- die Menschen? grosses Thema ist die Gleichstellung ben im Haushalt und Familienarbeit Katja Rost: Wir befinden uns aufgrund von Frauen und Männern. Wie können übernehmen, oder sie hätten vergebens der Digitalisierung in einer radikalen Paare Familie, Freizeit und Arbeit ver- auf Kinder verzichtet. Transformation. An den Arbeitsplät- einbaren? Wie teilt man sich auf, wenn zen findet eine Revolution statt, die Be- Frauen und Männer Karriere machen Kann der Fachkräftemangel dem rufe verändern sich. Viele Menschen wollen? Es braucht mehr Teilzeitjobs entgegenwirken? Arbeitnehmer sind verunsichert. Sie wissen nicht, wie für Führungskräfte. sind anspruchsvoller geworden und sie sich positionieren, welche Weiter- formulieren ihre Bedingungen. bildungen sie absolvieren sollen, um Wird sich das ändern? Gut möglich. Ich beobachte aber auch, arbeitsmarktfähig zu bleiben. Hinzu Ich denke schon. Im Moment sind im- dass viele jungen Menschen gar keine kommt der demographische Wandel. mer noch Leute in Führungspositionen, Karriere anstreben, andere Werte sind Es ist ungewiss, wie lange wir in Zu- die nichts anderes kennen, als Vollzeit ihnen wichtiger. Wenn ich meine Stu- kunft arbeiten müssen, weil die Renten zu arbeiten. Würden sie zugeben, dass dierenden frage, wer Karriere machen knapp werden. Auch die Arbeitgeber Führung auch mit einem Teilzeitjob will, meldet sich keiner. Zu meiner Zeit CONTEXT – Februar 2020
19 kräfte Teilzeitjobs» war das anders. Die Unternehmen müs- beobachtet, schaut, wie sich eine Bran- sen also auch aus diesem Grund auf die che entwickelt, und die eigene Position Bedürfnisse von Angestellten eingehen. im Unternehmen reflektiert. Man kann einer Kündigung zuvorkommen und Die Veränderungen in der Arbeitswelt sich aus einer Position der Stärke früh- bringen auch Vorteile. zeitig bei anderen Arbeitgebern bewer- Arbeitnehmer sind heute meist freier, ben. Ich habe das zweimal erlebt. Bevor geniessen mehr Autonomie und sind mir betriebsbedingt gekündigt wurde, weniger stark klassischen Hierarchien hatte ich mich bereits beworben und ausgesetzt, zumindest in fortschrittli- auch eine Stelle. chen Unternehmen. Und die Arbeits- welt ist durchlässiger, offener geworden. Das Heft in die Hand nehmen. Heute können Sie Ethnologie studieren Wer sich über zu lange Zeit an eine Fir- und später in einer Kommunikations- ma bindet, wird möglicherweise auf abteilung arbeiten, sofern Sie den Ein- dem Arbeitsmarkt uninteressant. Es ist stieg in die Branche schaffen. Viele daher sinnvoll, vor allem in jungen Jah- Studierende sammeln solche Erfahrun- ren, die Stelle zu wechseln, um neue Er- gen während der Ausbildung. fahrungen zu sammeln. Andererseits ist zu häufiges Wechseln auch nicht gut. Ältere Arbeitnehmende haben es Eine zu sprunghafte Laufbahn goutie- teilweise schwierig auf dem Arbeits- ren die Unternehmen nicht. Es braucht Qualifikationen und Kompetenzen markt. Wenn sie die Stelle verlieren, einen Mittelweg. künftig gefragt sind. Was raten bleiben sie länger arbeitslos als jüngere. Sie 35-Jährigen in Bezug auf ihre Weshalb? Laufbahnplanung? Ein Grund sind die hohen Kosten für «Es ist vor allem in Man sollte sich eingestehen, dass vieles die Betriebe. Ältere Arbeitnehmer sind jungen Jahren sinnvoll, halt auch Zufall ist. Ein Beruf ver- gegenüber jüngeren zu teuer. Das ist ein schwindet, eine Branche verändert sich, Nachteil. Eine andere Schwierigkeit ab und zu die Stelle das kann man meist nicht vorhersagen. sehe ich darin, dass sie oftmals firmen- zu wechseln.» Vor zwanzig Jahren war undenkbar, wel- und branchenspezifisches Wissen mit- che Aufgaben die künstliche Intelligenz bringen, das nicht direkt übertragbar einmal übernehmen würde. Natürlich und damit im neuen Unternehmen Man kann ja auch intern den Job kann man sich durch Weiterbildung wertlos ist. Der Markt ist hier sehr hart. wechseln und sich so weiterentwickeln. gute Bedingungen schaffen, seine Kom- In den 60er-, 70er- und teilweise auch petenzen weiterentwickeln. Wichtig ist, Man rät den Menschen: den 80er-Jahren wurde Loyalität be- wie gesagt, die Entwicklungen genau zu Bildet euch weiter. Ist das nicht ein lohnt. Später hiess es: möglichst oft den beobachten, und die Signale, die Verän- etwas einfacher Ratschlag? Arbeitgeber wechseln. Die hochgelob- derungen ankündigen, wahrzunehmen Es ist schon sinnvoll, wenn die Men- ten internationalen Talente kamen und und darauf zu reagieren. Ich staune schen am Ball bleiben, sich weiterbil- gingen im Jahresrhythmus. Das führte manchmal, wie Menschen den Wandel den. Aber das wird überbewertet. Viele unter anderem zur globalen Finanz- ausblenden, der auf sie zukommt – und ältere Arbeitnehmer finden keine Stel- krise. Es gab keine Kontinuität, kurz- dann sehr überrascht und hilflos sind. le, obwohl sie sich weitergebildet haben. fristige Gewinne, hohe Boni waren Wichtig finde ich, dass man den Markt die Treiber der Entwicklung. Loyalität Wer eine 100-Prozent-Anstellung hat, gegenüber dem Unternehmen war un- ist von einem Arbeitgeber komplett bekannt. Das hat sich unterdessen ge- abhängig. Viele Menschen arbeiten ändert. Die Gruppe 45plus hat wieder Teilzeit und betreiben neben ihrem ZUR PERSON bessere Chancen, im internen Arbeits- Job ein eigenes Business. Ein Trend, markt zu bestehen. Loyalität und Treue der sich offenbar zunehmend ab- KATJA ROST (43) gegenüber dem Arbeitgeber zählen, in- zeichnet. Ist Teilselbstständigkeit ein ist ordentliche Professorin am terne Wechsel sind erwünscht. Mittel gegen Arbeitslosigkeit im Alter? Soziologischen Institut der Universität Zürich. In der NZZ am Sonntag schreibt Zum Teil ja. Wer ein Hobby zu einem sie in einer Kolumne über Arbeitswelt Arbeitslosigkeit im Alter kann jeden Teilzeitjob ausbauen kann, mit dem er und Bildung. treffen, auch weil wir nicht wissen, Geld verdient, der hat bessere Karten. wie Berufe sich verändern und welche Man muss aber auch sehen: Viele gehen CONTEXT – Februar 2020
20 INTERVIEW «Was zählt, sind Erfahrung und Kompetenzen.» nicht aus Freude einer zweiten Arbeit grösseren und klug vermarkteten wenig, wenn ein Bewerber viele Diplome nach, sondern weil sie auf das zusätzli- Weiterbildungsangebot. Gefragt und Zertifikate mitbringt, aber wenig che Einkommen angewiesen sind. Oft und wohl wichtiger auf dem Arbeits- Leistung erbringt. Kommt hinzu, dass es sind es Menschen, die in prekären Ver- markt sei aber die Erfahrung. unterdessen viele qualitativ fragwürdige hältnissen leben und schlecht bezahlte Sehen das die Unternehmen auch so? Weiterbildungen gibt. Es herrscht ein Jobs verrichten, etwa als Uber-Fahrer. Ja, viele Unternehmen sehen das unter- Wildwuchs an Angeboten: ein lukrativer dessen auch so. Natürlich ist Weiterbil- Markt, der funktioniert, weil alle glau- In einer Kolumne kritisieren Sie den dung sinnvoll, wenn sie gezielt erfolgt. ben, sie müssten möglichst viele Ab- Weiterbildungswahn vieler Men- Was aber zählt, sind Erfahrung und schlüsse erlangen. Hochschulen und an- schen – getrieben von einem laufend Kompetenzen. Es bringt einem Betrieb dere Anbieter verdienen damit viel Geld. ANZEIGE PAIECIHKRE N S E ZUEK UNSTFUTDIUM MIT INEM AN DER HSR. Nächster Info tag am 14. März Bachelorstudium 2020 hsr.ch/infotag «Wirtschaftsingenieurwesen» Wie sieht das digitale Marketing eines Smartphones aus? Wie kann ich als Produktmanager den Erfolg meines Produkts steigern? Wie kann die Effizienz der Produktion mittels Robotern gesteigert werden? Kombinieren Sie Wirtschaft und Technik – mit besten Karriereperspektiven. > hsr.ch/wing 20-1_WING_184x131_Context.indd 1 19.12.2019 08:50:26 CONTEXT – Februar 2020
21 Kreativität ist neben Coworking e ine nehmen würden. In vielen Branchen Schlüsselqualifikation in der wie zum Beispiel Banken und Versiche- Arbeitswelt 4.0. Wichtig ist auch die rungen ist das aber schwierig. intrinsische Motivation. Schulen und Unternehmen setzen aber nach Sie haben die Anstellungspraxis wie vor auf äussere Anreize: Noten, der Verwaltung kritisiert. Es würden Lohn, Bonus. vor allem junge Frauen angestellt Das ist tatsächlich ein Widerspruch. Und und Männer teilweise diskriminiert. diese äusseren Anreize werden immer Ich beobachte dies seit einiger Zeit. wichtiger. Denken wir an die unzähligen Natürlich ist es sinnvoll, wenn viele Rankings. Alles wird vermessen, ausge- Frauen in leitende Positionen kommen, wertet, quantifiziert und bewertet. Den meisten ist dieser Widerspruch nicht be- aber wir sollten dabei die Männer nicht benachteiligen. Ich sehe das in unserem KOPF TRIFFT wusst. Sie wünschen sich Kreativität und Institut: Junge Frauen sind extrem HERZ machen dann bei den Pisa-Studien mit. gefragt, werden an Podien und für Kaum jemand kann sich dem entziehen. Vorträge eingeladen, und sie erhalten Wer mit anderen zusammen die Ich erachte diese Entwicklung als prob- Forschungsgelder. Männer haben das Zukunft verändern möchte, sollte lematisch. Kritisches Denken, Reflexion Nachsehen, obwohl sie gleich gut qua- ganzheitlich agieren – auch in der und Kreativität werden in solchen Sys- lifiziert sind. Bei der Besetzung von Arbeitswelt. Konkret bedeutet das, den temen nicht belohnt. Stellen haben Frauen ebenfalls die Sinn einer Veränderung nicht nur grösseren Chancen. In unserer Abtei- auf rationale Argumente abzustützen, Menschen, die intrinsisch motiviert lung habe ich zwei hervorragende Män- sondern auch Visionen sichtbar zu sind, also aus einem inneren Antrieb ner, die kaum Aussicht auf eine Assis- machen respektive positive Emotio- heraus tätig sind, erleben Arbeit als tenzprofessur haben; sie sind im nen zu wecken. Denn auch die sinnvoll. Wie wichtig ist das? Moment einfach nicht gefragt. Sie logischsten Argumente – so zeigt es Sehr wichtig. Menschen, die ihre Arbeit werden mit grosser Wahrscheinlich- sich an diversen Beispielen – reichen als sinnvoll erleben, sind motiviert. Sie keit in die Privatwirtschaft gehen und oftmals nicht aus, um Menschen sind möglicherweise weniger erschöpft, dort mehr verdienen als ihre ehemali- zu bewegen. auch wenn sie viel arbeiten, weil eine gen Kolleginnen. Diese Entwicklung ist Ein guter Change-Prozess setzt also sinnvolle Tätigkeit Energien freisetzt. problematisch, weil sie Frauen- und auf zweierlei: auf Kopf und Herz! In Berufen, in denen der Sinn fehlt, Männerberufe neu festschreibt. In der Demnach sollte versucht werden, nebst sind die hohen Löhne, mit denen man Verwaltung, an den Universitäten, die überzeugenden Inhalten auch emotio- Angestellte ans Unternehmen bindet, in Genderfragen auch politisch unter nalen Kräften Raum zu geben. Dazu auch Schmerzensgelder. Druck sind, haben wir dann vor allem zählt vor allem das Erzeugen einer An- Frauen und in den Führungsetagen der fangsmotivation – zu späteren Zeit- Wann ist Arbeit sinnvoll? Wirtschaft Männer. Ziel wäre, dass wir punkten aber auch das Wertschätzen Wenn ich Freude empfinde. Ich liebe in der Verwaltung, an den Universitäten von Etappensiegen sowie das Feiern meine Tätigkeit, achte nicht auf die Zeit und in der Wirtschaft Führungspositio- des (hoffentlich) erreichten Ziels. und bin – im Idealfall – eins mit der nen mit Frauen und Männern besetzen. Wichtig jedoch ist: Auch negative Arbeit. Zudem kann ich im Job eigene Emotionen sollen innerhalb einer Werte leben. Zur beruflichen Gleichstellung tragen Veränderungsphase Platz haben. Denn alle bei. Welches ist der Beitrag selbst Unverständnis oder gar Ableh- Sie beschäftigen sich auch mit dem von Unternehmen, von Frauen und nung können weitaus mehr sein als Thema Gleichstellung. In den letzten von Männern? Störfaktor und Zeitfresser: Nicht selten Jahren hat sich einiges getan, vieles Nochmals: Die Unternehmen sollten sind sie gar Inspirationsquelle und wie etwa die Lohngleichheit ist aber Frauen und Männern Teilzeitkarrie- schenken neue Erkenntnisse. noch nicht erreicht. Wo sehen Sie ren ermöglichen. Die Frauen müssen, Veränderung ist ein Weg aus vielen Handlungsbedarf? wenn sie Kinder haben, die ersten zwei Schritten. Ein Weg, der von denjenigen, Die Unternehmen müssen auch Men- Jahre nach der Geburt in der Arbeits- die diesen Prozess anstossen respekti- schen, die Teilzeit arbeiten, eine Karrie- welt durchhalten. Das ist hart, ich ve implementieren, den richtigen Mix re ermöglichen, und zwar Frauen und weiss das aus eigener Erfahrung. Und verlangt: aus Dynamik und Pausen, Männern. Bis jetzt sind Toppositionen die Männer sollten sich noch mehr in Fakten und Storys, Logik, Planung – leider fast ausschliesslich von Leuten die Situation von Frauen einfühlen, und Gefühl. Die Beteiligten dabei mit mit einem 100-Prozent-Pensum besetzt. als Vorgesetzte die Mitarbeiterinnen einzubeziehen und vielfältige Pers- Das muss sich ändern. Nur wenn dies unterstützen, als Partner sich für Teil- pektiven zu beachten, stellt hierfür möglich ist, schaffen es mehr Frauen in zeit stark machen und zuhause mit- einen wesentlichen Erfolgsfaktor dar. Kaderpositionen und sind Erwerbs- anpacken, sich bei der Kinderbetreu- Und dies stets im Wissen, dass Köpf- und Familienarbeit gerechter verteilt. ung und im Haushalt engagieren. chen zeigt, wer Herz zulässt! Es gibt Männer, die gerne Teilzeit arbei- ten und bei der Hausarbeit und Kinder- kfmv.ch/gleichstellung YVONNE SEITZ, HR Business Partnering betreuung mehr Verantwortung über- kfmv.ch/arbeitsmodelle AXA sowie Dozentin und Verwaltungsrätin. CONTEXT – Februar 2020
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