"Es gibt keinen schwulen Rap" - Norient

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"Es gibt keinen schwulen Rap" - Norient
«Es gibt keinen schwulen Rap» | norient.com                             14 Sep 2021 21:10:02

    «Es gibt keinen schwulen
    Rap»
    by Jonathan Fischer

    Der New Yorker Rapper Khalif Diouf alias Le1f ist schwul und
    mischt mit Witz und knalligen Videos den Hip-Hop auf. Als
    Aktivist für LGTB-Rechte sieht sich der Sohn
    senegalesischer Einwanderer aber nicht – und
    Musikjournalisten, so empfiehlt er, sollten sich weniger mit
    seiner sexuellen Identität und mehr mit seinen Songs
    beschäftigen. Eine bearbeitete Version dieses Artikels
    erschien im Norient Buch Seismographic Sounds (Info und
    Bestellmöglichkeit hier).

    Das Interview fängt nicht gut an. Nachdem der Fotograf den schlaksigen
    Afroamerikaner darum gebeten hat, doch bitte – «nur für ein paar Bilder» –
    eine blonde Perücke aufzusetzen, stürmt Khalif Diouf alias Le1f wütend
    Richtung Ausgang seines Münchner Hotels: «Ich bin ein Rapper und keine

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"Es gibt keinen schwulen Rap" - Norient
«Es gibt keinen schwulen Rap» | norient.com                               14 Sep 2021 21:10:02

    Drag-Queen!» Und was er auf dem Kopf trage, solle man bitte sehr seiner
    eigenen Regie überlassen. Erst das Versprechen, ernsthaft über seine Texte
    zu reden, holt ihn zurück.

    Ein paar Fragen später lümmelt Le1f entspannt auf der Couch und lacht über
    die Aufregung, die seine Person im Showbusiness auslöst: «Warum kommt
    niemand mal auf die Idee, mich mit Little Richard oder Sylvester in eine Reihe
    zu stellen? Die waren auch schwul und schwarz. Und sehr erfolgreiche
    Entertainer.» Dabei teilt der junge New Yorker das Dilemma aller offen
    schwulen Rapper: Die Medien reduzieren sie nur allzu gern auf ihre Sexualität,
    messen sie an ihrem Provokationswert für die Hiphop-Welt. Frauenverächter
    und Pornopriester, Sektenspinner und Splatter-Fantasierer: Alles längst
    akzeptiert. Aber einer, der wie Le1f davon rappt, mit Typen zu schlafen? Der
    sich mit lila Zöpfchen in stereotype Schwulenposen wirft? Der in seinen
    Videos – statt der üblichen Bikini-Mädchen – gar männliche Pos
    gegeneinander antanzen lässt?

    Spätestens seit seinem millionenfach geklickten «Wut»-Video kommt
    niemand mehr an Le1f vorbei. «Wut» wie ein vulgäres «What?»: Im Clip sieht
    man den schwarzen Rapper tanzen, flirten und unter anderem auf dem
    Schoss eines gut gebauten, halb nackten weissen Mannes sitzen, der eine
    Pikachu-Maske trägt. Kaum ein schwules campy Klischee wird ausgespart:
    Allein die gezierte Art, wie Le1f sich da eine Kaugummischlange mit dem
    Mund vom Finger wickelt! Dazu honkt ein aufreizendes Saxofon – während
    der Rapper mit unwirklich tiefer Stimme Schmähworte für Schwule wie
    persönliche Auszeichnungen aneinanderreiht. Faggot, Swisher, Banjee boy.

    Der Stolz der Beschimpften

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    «Das ist», erklärt der Mann mit dem giftgrünen Kraushaar und grinst wie über
    einen gelungenen Streich, «meine Retourkutsche an alle, die mich bereits in
    der High School als Nigger und Fag beschimpft haben. Kann man effektiver
    zurückschlagen, als sich so ein Wort anzueignen und mit Stolz zu tragen? Das
    macht Spass! Manchmal beschimpfe ich mein Hetero-Publikum als Faggots.»
    Die kontroversen Reaktionen waren absehbar: Auf der einen Seite Hass-Mails
    und belustigte Schlagzeilen von Hiphop-Magazinen – à la: «Seht, was
    passiert, wenn Schwule rappen.» Auf der anderen Seite die Bewunderung für
    Le1fs Flow und die mutige Selbstinszenierung. Wann hat jemand die dumpfe
    Schwulenangst des Hiphop so intelligent gekontert?

    Lange schien die Homophobie dem Hiphop so tief eingeschrieben, dass ein
    amerikanischer Rapper ohne «Faggot» («Schwuchtel») im Fluchrepertoire
    leicht in den Verdacht kam, keine Street credibility zu haben. Oder gar: selbst
    eine Schwuchtel zu sein. Le1f aber amüsieren Songs wie Eminems «Criminal»
    – eine einzige Gewaltfantasie gegen «Faggots» – nur noch: «Ich würde gerne
    mal einen Song schreiben, der all die verrückten Schwulen-Kommentare
    aneinanderreiht. Das ergäbe ganz grosse dadaistische Dichtkunst.»

    Warum sich gerade im Hiphop so viele Vorurteile halten? Kulturkritiker wie
    Houston Baker erklären Rap als Restauration einer von der schwulen
    schwarzen Discokultur der Siebzigerjahre in Frage gestellten Männlichkeit.
    Einerseits. Andererseits war das Genre nie die heterosexuelle Festung, zu der
    es die Hiphop-Geschichtsschreibung gerne macht: Schon 1986
    veröffentlichte der homosexuelle Rapper Man Parish den Genre-Klassiker
    «Hip Hop Be Bop (Don’t Stop)» (Lies hier, wo Norient die
    Geschichtsschreibung des schwulen Hip Hops beginnt). Auch wenn ihm der
    Erfolg im Mainstream verwehrt blieb: Schwuler Rap eroberte sich in der Folge
    im Untergrund ein loyales Publikum.

    Der Mainstream hat sich bewegt
    In New Yorker Hiphop-Clubs wie dem U & M treffen sich seit Jahren die
    sogenannten Banjee Boys – schwule B-Boys mit Goldzähnen und Baggy-
    Jeans, deren Posen sich kaum von denen der heterosexuellen Kollegen
    unterscheiden. Queere Rapper wie Mykki Blanco und Zebra Katz haben sogar
    so etwas wie Indie-Hits gelandet. Und seit 2001 findet in Oakland gar ein
    jährliches World Homo-Hop-Festival statt.

    Khalif Diouf alias Le1f , Sohn eines senegalesischen Einwanderers aus einer
    Adelsfamilie und einer afroamerikanischen Sängerin, kommt da gerade zur
    rechten Zeit: Erst vor wenigen Monaten hat der Rhythm-’n’-Blues-Sänger
    Frank Ocean mit dem Geständnis seiner Bisexualität für Schlagzeilen gesorgt.
    Hiphop-Kollegen wie Kanye West oder Tyler the Creator schickten
    postwendend Respektsbekundungen. Der einst mit «Faggot»-Lästereien
    auftretende Rapper Common hatte schon vor Jahren auf «Between Me, You &
    Liberation» mitfühlend vom Comingout eines Freundes gerappt. Dass nun

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    mit Macklemore sogar ein weisser, heterosexueller Hiphop-Macker eine
    Solidaritätsadresse für Schwulenrechte aufnahm, zeigt, wie sehr sich der
    Mainstream bewegt hat. Am Schwulsein gibt es nichts mehr zu kurieren. Und
    im Pop wird offener denn je über Ausgrenzungen diskutiert.

    Er selbst, sagt Le1f, habe mit seiner Familie Glück gehabt: Sowohl seine
    Mutter als auch Grossmutter – beide sangen regelmässig in der Carnegie-Hall
    – unterstützten seine musischen Neigungen, schickten ihn schon als Kind
    zum Ballett-Unterricht. Später sollte Diouf Musik und Tanz an der New Yorker
    Wesleyan University studieren. Dort traf er viele seiner späteren
    musikalischen Partner: Unter anderem Santigold und die Hiphop-Band Das
    Racist. Seinen Einstand als Rapper gab Le1f in den Untergrund-House-Clubs
    der Stadt. Erst 2012 nahm er – mit einem billigen 60 Dollar-Mikrofon – sein
    erstes Mixtape «Dark York» auf. Die Kombination von clublastigen Beats und
    humorvollen bis akrobatischen Rap-Kadenzen sollte vor allem: Spass machen.

    «Weird» tönt besser als «gay»
    «Nein», sagt Le1f, und sein Bariton-Singsang wird zum ersten Mal laut, «ein
    Schwulenaktivist mochte ich nie sein.» Er finde es gut, wenn breite Allianzen
    für die Rechte von Homosexuellen kämpfen. Der öffentliche Druck sei
    dadurch gewachsen, und einige Dancehall-Musiker hätten sich gar für ihre
    homophoben Texte entschuldigt, um weiterhin auftreten zu dürfen. Aber
    jemanden bekehren? «Ich hatte für mein letztes Mixtape eine Menge
    kritischer Raps geschrieben – gegen Rassismus, Homophobie,
    Islamfeindlichkeit. Aber dann schmiss ich sie alle wieder raus: Der beste
    Aktivismus ist doch, einfach man selbst zu sein.»

    Anfang März hat Le1f nun seine offizielle Debüt-EP veröffentlicht, auf dem
    englischen XL-Label. Ja, seine Sexualität werde weiter ein Thema bleiben.
    Aber er wolle seine Rapper-Qualitäten nicht mehr hinter seiner sexuellen
    Präferenz verstecken. «Es gibt kein Ding namens schwulen Rap.» Entnervtes
    Seufzen. «Auch wenn die Journalisten den Ausdruck zum
    einhundertfünfzigsten mal gebrauchen. Haben sie meine Raps überhaupt
    gehört? Weit über die Hälfte meiner Texte handelt nicht vom Schwulsein.»

    Er würde sich freuen, einmal nur als «New Yorker Rapper» angekündigt zu
    werden, sagt Le1f – oder noch lieber: als «verschrobener Rapper». «Weird»
    höre sich für ihn besser an als «gay». Schliesslich fühle er sich Typen wie
    Dizzee Rascal, Busta Rhymes oder Danny Brown (mit dem Le1f zwei Stücke
    aufgenommen hat) verwandt: Mit Rappern also, die sich auf bizarre Weise
    selbst inszenieren, und die ihrer Entfremdung auf der Bühne Ausdruck
    verleihen. Grüne Haare hin oder her. Das «Gefühl, ausserirdisch zu sein»,
    entspreche keiner bestimmten sexuellen Orientierung: «Zu meinen Fans
    gehören viele weisse Hetero-Männer aus Kleinstädten. Diese Menschen
    identifizieren sich mehr mit meiner Kunst als mit irgendwelchen Vorurteilen.
    Sie sagen einfach: Der Typ hat swag. Er bringt’s. Das macht mich glücklich.»

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    Dieser Artikel ist zuerst erschienen im Tagesanzeiger am 11.3.2014 und später in
    einer bearbeiteten Version im Norient-Buch «Seismographic Sounds».

    → Published on March 31, 2014

    → Last updated on June 06, 2019

    Jonathan Fischer ist Journalist, DJ und Maler aus München.

    → Topics

                 Alienation
                  Gender
                  Othering
                 All Topics

    → Special
    Seismographic Sounds

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