FILMÄSTHETIK UND KINOMAGIE - ERFAHRUNGEN MIT DEM MINIFILMCLUB PERSPEKTIVEN FRÜHKINDLICHER - DFF.FILM
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PERSPEKTIVEN FRÜHKINDLICHER FILMBILDUNG THEMENHEFT 1 FILMÄSTHETIK UND KINOMAGIE ERFAHRUNGEN MIT DEM MINIFILMCLUB
Inhaltsverzeichnis Grußwort von Ellen M. Harrington, DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum 2 Grußwort von Teresa Darian, Kulturstiftung des Bundes 3 Christine Kopf: Auf der immerwährenden Suche nach Qualität in der Frühkindlichen Kulturellen Bildung – Erfahrungen mit dem MiniFilmclub 5 Karin Knauf, Bettina Marsden: Von Lebenswelten und Wegbegleitern Der MiniFilmclub als Wegbereiter einer Kulturkita für Filmbildung 9 Bettina Henzler: Mit allen Sinnen im Kino und in der Welt Der MiniFilmclub aus phänomenologischer Perspektive 13 Alejandro Bachmann: „Im Kino das Gefühl haben, die erste oder zweite Heimat wiederzuentdecken“ Filmbildung und Interkultur im MiniFilmclub – Ein Gespräch 19 PÄDAGOGISCHES BEGLEITMATERIAL ZUR FILMEDITION DES MINIFILMCLUBS Autorinnen: Stefanie Schlüter, Hannah Schreier 27 Vorwort 28 Kinomagie 37 Edition 1 (seit 2015): LES KIRIKI – ACROBATES JAPONAIS 43 RAINBOW DANCE 51 TRÜBSAL ADE 57 SCHATTEN 63 SPIEL MIT STEINEN 69 VIRTUOS VIRTUELL 75 Edition 2 (seit 2020): DAS DURCHGEDREHTE RAD 81 DER PLATZ 87 78 TOURS 93 EINE KLEINE DICKMADAM 101 WHEN CITIES FLY 107 Literaturempfehlungen rund um Frühkindliche Kulturelle Bildung, Filmbildung und Reggio-Pädagogik 113 Autor*innen 116 Danksagung 118 Impressum 118 Bildnachweis 119
Grußworte Ellen M. Harrington Als Kulturerbe-Institution ist das DFF für das Sammeln, Teresa Darian terhaltung zu sehen, wurde dieses einzigartige For- Bewahren, Restaurieren und Teilen der Schätze mat der frühkindlichen ästhetischen Filmbildung ent- Direktorin des DFF – unserer Sammlung verantwortlich, und wir sind der Wissenschaftliche wickelt. Deutsches Filminstitut Meinung, dass wir hiermit am besten schon an den Mitarbeiterin, Kultur- & Filmmuseum Kleinsten wirken sollten. Die Entwicklung von Film- stiftung des Bundes Ermutigt durch die erfolgreiche Implementierung des bildungsangeboten für eine frühkindliche Zielgruppe Programmbereich MiniFilmclubs in Frankfurt, hatten sich das DFF und führte uns wie von selbst die nächsten Schritte vor Kulturelle Vermittlung die Kita Grüne Soße das Ziel gesetzt, dieses erfolg- Augen: noch anregendere Angebote und Lehrpro- reiche Modell auf andere Städte zu übertragen. Dieses gramme auch für ältere Kinder und deren jeweilige Vorhaben hat die Kulturstiftung des Bundes gerne Bildungsetappen zu entwickeln und bereitzustellen – unterstützt. Gemeinsam mit dem Filmmuseum Pots- bis ins junge Erwachsenenalter hinein, an das sich dam und dem Berliner Arsenal – Institut für Film unser Masterstudiengang „Filmkultur“ richtet. Junge und Videokunst e. V. konnte der MiniFilmclub so für Menschen sind während ihrer gesamten Entwick- neue Kontexte und Herausforderungen Frühkindlicher lung empfänglich und begeisterungsfähig für die Kultureller Bildung weiterentwickelt werden. Neben Begegnung mit Film, und wir freuen uns, dass dieses Potsdam und Berlin wird der MiniFilmclub nun auch Liebe Leser*innen, Themenheft den Anfang einer größeren Reihe an Liebe Leser*innen, in Bochum, Oberhausen und Nürnberg durchgeführt Publikationen bildet, die sich mit dem Erfahrungs- – und das ist erst der Anfang. Das nun vorliegende es gibt eine Frage, die mir öfter als jede andere schatz des DFF in diesem Bereich befassen wird. der amerikanische Filmwissenschaftler James Monaco Themenheft lädt Sie und alle Erzieher*innen in Kitas, gestellt wird: Wie gelingt es uns, junge Menschen für bricht schon im Jahre 1977 in seinem Klassiker Lehrende in Schulen, Cineast*innen und Filmlieb- Film zu interessieren? Es besteht die Annahme, Diese erste Ausgabe beginnt sinngemäß am Anfang „Film verstehen“ eine Lanze für eine umfassende haber*innen zum Nachahmen ein: Wagen Sie, ge- dass sie dazu gedrängt werden müssten, so wie man und stellt den MiniFilmclub vor – ein innovatives Filmbildung. Wir wissen sehr wohl, so Monaco, meinsam mit Ihren Kindern, diese faszinierende sie zwingt, ihr Gemüse zu essen. Ja, die Welt strotzt und mittlerweile vorbildhaftes Programm für Vier- bis „dass wir lernen müssen zu lesen, bevor wir versuchen Reise in die Welt der zarten, überraschenden und nur so vor Unterhaltungsangeboten und zahllosen Sechsjährige, das Kinder als Individuen versteht, können, Literatur zu genießen oder zu verstehen; selten gesehenen Experimentalfilme. Ablenkungen, die bloß kurze Aufmerksamkeitsspan- die in der Lage sind, ihren eigenen ästhetischen Ge- aber wir neigen dazu zu glauben, dass jeder einen nen erfordern. Also geht man davon aus, dass Kinder schmack zu entwickeln. Eine einzigartige Struktur Film lesen kann.“ Das DFF – Deutsches Filminstitut & Wir danken dem DFF – namentlich Christine Kopf und Jugendliche lieber zu Hause bleiben und sich ermöglicht dabei zwischen dem Museum, der Kita, Filmmuseum in Frankfurt am Main hat sich dies zur und Susanne Brauer sowie dem gesamten Team und Netflix oder YouTube auf ihren Computerbildschirmen den Eltern und den Kindern eine Partnerschaft auf Aufgabe gemacht: Menschen jeden Alters dafür zu allen Unterstützer*innen – für ein außergewöhnliches anschauen, als ins Kino zu gehen oder einen älteren Augenhöhe. Über eine Reihe von äußerst persönlichen begeistern, Filme lesen zu lernen – nicht erst Kinder, Projekt, das im besten Sinne modellhaft wirkt: „Das Film zu sehen – geschweige denn einen Schwarz- Kinobesuchen hinweg entfalten sich so Beziehun- die lesen können, sondern schon die Allerkleinsten. ist ganz großes Kino!“ Weiß- oder Experimentalfilm. gen, die nachhaltig, unterstützend und vertrauensvoll angelegt sind. Die Kinder werden dazu ermutigt, Seit 2013 entdecken Kinder im Alter von vier bis Diese Frage und ihre vermeintlichen Antworten ganz spontan und natürlich zu reagieren, zu spielen, sechs Jahren im MiniFilmclub am DFF Avantgarde-, offenbaren ein fundamentales Missverständnis zu gestalten und das Material des Filmemachens Kunst- und Experimentalfilme aus der eigens für gegenüber Film, gegenüber Kunst und gegenüber buchstäblich in die eigenen Hände zu nehmen. Das das Projekt entwickelten Filmedition. Sie besuchen Kindern. Doch glücklicherweise ist dem Filmbil- Ergebnis ist eine besondere Art von Liebe. das Museum und die Dauerausstellung, entdecken dungs-Team des DFF – Deutsches Filminstitut & den Ort Kino mit dem Vorführraum und werden, Filmmuseum bewusst, dass es sich hierbei um Ich hoffe, dass Ihnen die Lektüre dieses Themen- inspiriert von den Filmen, selbst kreativ. Das Projekt die falsche Frage handelt. hefts reichlich Stoff zum Nachdenken bietet, und wir begegnet dem Gesamtkunstwerk Film mit größtem freuen uns darauf, in künftigen Publikationen weitere Respekt und allerhöchster Aufmerksamkeit. Es lädt Was Menschen, egal ob Journalist*innen, Politi- Themenbereiche und Projekte zu beleuchten. Vielen die Allerjüngsten in eine „Schule des Sehens“ ein, ker*innen oder Förderer*innen, sich vielmehr fragen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, sich mit unseren die hierbei erkennen und beschreiben können, mit sollten, ist: Wie können wir die großartige Arbeit Ideen und Beiträgen zur frühkindlichen Filmbildung welchen Techniken und Tricks es Filmregisseur*innen unterstützen, die bereits geleistet wird, um den un- auseinanderzusetzen. gelingt, ein Publikum in atemlose Spannung zu befangenen Enthusiasmus und die Kreativität junger versetzen oder ihm durch geeignete Wahl der Kame- Menschen im Umgang mit Bewegtbild zu wecken Äußerst dankbar sind wir nicht zuletzt auch für die raperspektive das Fürchten zu lehren. und zu beflügeln? Wie kann dieses Engagement zu langjährige Unterstützung des Projekts MiniFilmclub einer größeren ästhetischen Wertschätzung führen – durch die Robert Bosch Stiftung und die Kulturstif- Anders als in Frankreich oder Skandinavien findet des Films als Kunstform, des Menschseins und tung des Bundes, sowie der Kita Grüne Soße und Filmbildung in Deutschland hauptsächlich im außer- unserer vielfältigen Möglichkeiten der Kommunikation dem Sozialpädagogischen Verein zur familienergän- schulischen Bereich statt – bei Filmfestivals und in miteinander? Und wie kann „Medienkompetenz“ zenden Erziehung e. V., die uns als Kooperations- kommunalen Kinos. Zu selten wird der Film im Sinne dazu beitragen, bei unseren Mitbürger*innen ein partner seit Beginn dieser Reise zur Seite stehen. einer ästhetisch-kulturellen Bildung als eigenständige Bewusstsein und eine Empfindsamkeit für die Sprache Kunstform und in seinen Verbindungen mit anderen der Bilder und dessen bedeutsame Rolle in unserem Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Lesen! künstlerischen Sparten erfahrbar. Um den Film als Leben zu schaffen? Kunst- und Kulturgut, nicht nur als schnelllebige Un- 2 3
CHRISTINE KOPF Auf der immerwährenden Suche nach Qualität in der Frühkindlichen Kulturellen Bildung Erfahrungen mit dem MiniFilmclub Vom Kind aus zu denken, es immer konsequent in dienen. Nicht, um sie damit zu belehren, sondern den Mittelpunkt zu stellen – das haben wir, das DFF um die richtigen Filme auszuwählen und das Setting – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, in unserer für die ästhetischen Prozesse sorgfältig zu gestalten. nun langjährigen Partnerschaft zwischen Kita und Kinder haben ein Recht darauf, die besten hochwer- Kulturinstitution von den Pädagog*innen der Grünen tigen Materialien zu bekommen und genügend Zeit Soße gelernt. Das klingt einfach und selbstverständ- zu haben, sich ohne festgelegtes Ziel in den Umgang lich – aber wie oft spielt sich stattdessen die Insti- damit zu vertiefen. Sie sind von Anfang an „ganze tution in den Vordergrund, wie schnell sind weit Menschen“, mit denen wir uns gemeinsam auf eine verbreitete Vorannahmen von Erwachsenen wirksam, Entdeckungsreise begeben können. Und: Sie verdie- was kindgerecht oder für Kinder gut sei. Dabei gibt nen unsere permanente Reflexion darüber, was wir Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention Kindern wie und warum tun. das Recht auf volle Beteiligung am kulturellen und künstlerischen Leben und die Bereitstellung geeigne- Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss macht Qualität ter und gleicher Möglichkeiten für die kulturelle und in der Kulturellen Bildung an vier Dimensionen fest. 1 künstlerische Betätigung. Die wichtigste ist nach ihrer Ansicht die vierte, prozes- suale Dimension: die „Gestaltung von ästhetischen Das bedeutet auch: keine Reduktion von Qualität, Prozessen, die Bedingungen für eine positive Pro- wenn es für diese Zielgruppe um die Begegnung mit duktivität schaffen, zum Beispiel‚ durch eine partizi- Kunst, in unserem Fall mit Filmkunst, geht. Für die pative Diskussions- und Kommunikationskultur, ein Konzeption von neuen Formaten in der Frühkindlichen grundsätzliches Interesse an ‚dem Anderenʻ und Kulturellen Bildung bedeutet es: Kinder können und ‚dem Neuenʻ und den Aufbau einer Vertrauenskultur, wollen gefordert werden. Im Alter bis fünf Jahre einer zwischenmenschlichen Bindung der Akteure.“ 2 haben sie ein besonderes „gestalterisches Potential“ (Fridolin Sickinger) und können dieses durch die Lernen – beim Sich-Etwas-Aneignen und Experimen- richtigen Impulse erweitern. Deshalb verdienen sie tieren – findet unserer Erfahrung nach vor allem in weit mehr, als mit niedlichen Figuren oder trivialen Beziehungen statt. Die Pädagog*innen, die die Kinder Filmen abgespeist zu werden. Sie haben ein Recht begleiten, haben diese gewachsenen Beziehungen auf große Kunst, aber auch darauf, selbst zu ent- zu den Kindern sozusagen „im Gepäck“, sie sind scheiden, ob sie dieser überhaupt begegnen wollen. daher bei jedem kulturellem Bildungsangebot in einer Auch das ist in den Kinderrechten geregelt (Artikel besonderen, aktiven Rolle, die weit über Beaufsich- 12, Berücksichtigung des Kindeswillens). tigung hinausgeht. Wenn es zeitlich möglich ist, dass die Vermittler*innen sowohl mit den Kindern als auch Bei der Entwicklung des MiniFilmclubs haben wir vorab mit den Pädagog*innen wirklich in Kontakt festgestellt: Neue Formate können wir nur sinnvoll treten können, entsteht aus unserer Erfahrung eine entwickeln, wenn wir sie wiederholt mit Kindern er- ganz andere Qualität, als bei einem einmaligen proben, genau beobachten, was funktioniert, einiges zweistündigen Besuch. Da der Aufbau einer Bezie- verwerfen (durchaus auch ausgewählte Filme) und hung Zeit benötigt, beginnt der MiniFilmclub mit neu denken, uns von Kindern inspirieren lassen. Der einer mindestens ganztägigen Fortbildung für die MiniFilmclub, obschon im Frankfurter Alltag seit Pädagog*innen und besteht dann aus einer aufeinan- 2015 buchbar, wird als Format nie abgeschlossen sein. derfolgenden Reihe von Kino- und Museumsbesu- chen gemeinsam mit den Kindern. Die Gruppe trifft Akteur*innen der Frühkindlichen Kulturellen Bildung, dabei immer auf die gleiche Vermittlerin oder den denen es um Qualität geht, wissen, dass Kinder gleichen Vermittler. (generell, aber eben auch schon von drei bis sechs Jahren) unser geballtes Wissen, am besten aus 4 Pädagogik und der gesamten Filmgeschichte, ver- 5
Kulturelle Teilhabe gerade auch denjenigen zu ermög- schreiten, transparent machen. So kam es zu dem mich von Herzen beim Team der Kita Grüne Soße lichen, die nachweislich vor allem in Deutschland von Alejandro Bachmann geführten Gespräch mit und bei meinem eigenen Team im DFF bedanken. Ein durch das soziale Hierarchien reproduzierende Daniela Dietrich, Bettina Marsden, Aida Ben Achour Dank geht auch an den Sozialpädagogischen Verein Bildungssystem Schule benachteiligt werden, haben und Britta Yook. Das Arbeitsblatt zu LES KIRIKI – für familienergänzende Erziehung e. V., der stets an wir uns im DFF und im MiniFilmclub-Team auf die ACROBATES JAPONAIS wurde entsprechend von der Seite des MiniFilmclub-Teams ist, und sich mit Fahnen und ins Leitbild geschrieben. Nicht, um Kinder der Autorin Stefanie Schlüter überarbeitet. uns für kulturelle Teilhabe einsetzt. für einen späteren Arbeitsmarkt „flott“ zu machen, sondern um ihnen Kunst als lebenslange Bereicherung In meinem Artikel „Reden wir Tacheles. Ein kritischer Darüber hinaus gibt es seit Januar nun das bundes- nahezubringen, als Ressource für kritisches Denken Blick auf die gegenwärtige Fördersituation für Früh- weite „Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung“ in und Resilienz, als einen erweiterten Handlungsspiel- kindliche Kulturelle Bildung am Beispiel des Mini- der Trägerschaft der Deutschen Kinder- und Jugend- raum. Wir verstehen Kino als einen gemeinschaftlichen Filmclubs“ 3 bin ich ausführlich darauf eingegangen, stiftung (DKJS), für dessen Gründung wir ebenfalls Ort, an dem in der immer neuen Begegnung mit Film was sich in der Kulturellen Bildung ändern müsste, gemeinsam gekämpft haben und für dessen Ausge- nicht zuletzt Gesellschaft neu gedacht und verhan- damit verdienstvolle Mitarbeiter*innen nicht in andere staltung wir parallel zu unserer Arbeit zusätzliche delt werden kann, Utopien ihren Platz haben. Als in Bereiche abwandern. „Projektitis“ in der Kulturförde- Kraft investieren. Wir hoffen, dass die dort vertretene diesem Sommer nach monatelanger pandemiebe- rung, das liegt auf der Hand, kann auf Dauer zu Multiperspektivität und geballte Expertise etwas an dingter Schließung das Kino des DFF wieder öffnete, Erschöpfung bei allen Beteiligten führen, gerade bei den Bedingungen für Frühkindliche Kulturelle Bildung waren es die Kitas und Kindergärten, die zuerst den Hochengagierten, die nicht bereit sind, ihre in Deutschland verändern kann, damit möglichst zurückgekehrt sind, und die Drei- bis Sechsjährigen Qualitätsansprüche herabzusetzen. Dass es uns viele Kinder die Möglichkeit bekommen, ihrem Recht haben diesen für uns so besonderen Ort wieder mit gelungen ist, unter diesen Bedingungen bis heute auf künstlerische Rezeption und Produktion nach- Leben gefüllt. weiterzumachen, ist etwas ganz Besonderes, darauf zugehen und dabei die Qualität vorfinden, die sie können wir stolz sein! An dieser Stelle möchte ich verdienen. Noch zu oft ruft diese Altersgruppe die immer gleichen aus Kitas, Theatern, Museen und Orchestern. Unser Reaktionen im Kulturbetrieb hervor: Da wäre die herzlicher Dank geht hier an Ottilie Bälz, Natalie Kro- Angst vor Menschen, die sich die Welt rennend, laut nast, Julia Teek und Lena Vorholt. und vielleicht sogar mit schmutzigen Händen erobern Einer weiteren Stiftung verdanken wir viel: Die Kultur- – auch die heiligen Museumshallen. Und nicht weni- stiftung des Bundes ermöglichte und ermöglicht uns, 1 Die vier Dimensionen sind nicht getrennt voneinander zu 2 Ebd., S. 15. ger zentral, aber oft nicht ausgesprochen: die Angst unsere Erfahrungen mit dem MiniFilmclub bundes- verstehen. Die ersten drei beziehen sich auf: die (oder doch zumindest der Respekt) vor einer Gruppe, weit zu teilen und dadurch mehr Kinder zu erreichen. Akteur*innen, die Qualität der künstlerischen Ausdrucks- 3 Kopf, Christine: Reden wir Tacheles. Ein kritischer Blick auf bei der die gewohnte formale, kognitive Wissens- Dank den Partnern Filmmuseum Potsdam und der formen und die Kontexte bzw. der äußere Rahmen. die gegenwärtige Fördersituation für Frühkindliche Kultu- vermittlung, die vor allem über Sprache funktioniert, integrativen AWO-Kita Kinderhafen konnten wir erst- Vgl. hierzu Reinwand-Weiss, Vanessa-Isabelle: Qualitäts- relle Bildung am Beispiel des MiniFilmclubs. In: Robert nicht oder nicht immer greift. Oft ist schon in den mals den MiniFilmclub in eine andere Stadt bringen dimensionen ästhetischen Lernens. In: Dies., Andrea Ehlert Bosch Stiftung (Hg.): Positionen Frühkindlicher Kultureller Ankündigungstexten kultureller Angebote für Kita- und und dabei vielfältige Erfahrungen machen. Zusätzlich (Hg.): Qualität ist Bewegung. Qualität(en) in der Kulturellen Bildung. München / Stuttgart: kopaed 2020, S. 133 – 138. Kindergartenkinder die Fixierung darauf, was diese war es möglich, auch mit dem Arsenal – Institut für Bildung. Wolfenbüttel: Bundesakademie für Kulturelle Zielgruppe ja alles noch nicht kann, herauszulesen – Film und Videokunst e. V. zu kooperieren und uns Bildung 2013, S. 8 – 17. das ist ein wenig inspirierender Startpunkt für eine von der Arbeit des Arsenal Filmateliers und der Kita gemeinsame Reise. Regenbogen-Kidz Berlin inspirieren zu lassen. Seit 2020 gibt es den MiniFilmclub im Endstation Kino in Das hängt auch mit den Bedingungen, unter denen Bochum und dem Filmhaus Nürnberg; der Lichtburg gewöhnlich in der Kulturellen Bildung gearbeitet wird, Filmpalast Oberhausen steht in den Startlöchern, zusammen. Sie sind bislang nicht darauf angelegt, zwei weitere Kinos haben Interesse angemeldet. dass Qualität entsteht. Fördergelder gibt es nur für immer neue Modellprojekte, am liebsten mit dem Im Programm „360°“ können wir uns dank der Kultur- Etikett „innovativ“ versehen. Nachhaltigkeit bleibt oft stiftung des Bundes als DFF auf eine weitere Lern- eine Floskel aus den obligatorischen Sachberichten, reise begeben: Gemeinsam mit Aida Ben Achour und Verantwortung dafür liegt ausschließlich bei den Rabih El-Khoury stellen wir das Haus neu auf, sodass Geförderten. Formate sollen schon vor der Antragstel- es im Einwanderungsland Deutschland ein Ort für lung fertig entwickelt sein – dann eben am Schreib- alle Bürger*innen sein und weiterhin gesellschaftliche tisch. So ist eine langsam wachsende Kooperation Relevanz entfalten kann. Dafür ist es nötig, an die zwischen Kita (oder Schule) und Kultureinrichtung Strukturen (im Programm, beim Personal und Publi- kaum möglich. An gemeinsames konzeptionelles Ent- kum) zu gehen und alles in Frage stellen zu können. wickeln, mit Kindern Ideen erproben und wieder verwerfen, an gründliches Feilen und gemeinsames Im Laufe von Fortbildungen, die im Rahmen unseres Lernen auf dem Weg ist nicht zu denken. Projekts „Interkulturelle Filmbildung“ für das ganze Team der Abteilung Filmbildung und –vermittlung Der MiniFilmclub ist in einem wirklich außergewöhn- stattfanden, haben wir dann auch einen etablierten lichen Förderprogramm – dem Programm „Kunst und Film der MiniFilmclub-Edition aufgrund seiner kultu- Spiele“ der Robert Bosch Stiftung und der Stiftung rellen Stereotype analysiert und neu diskutiert. Für Brandenburger Tor – entstanden, das all das oben dieses Themenheft wollten wir diesen institutionellen Genannte ausnahmsweise möglich machte. Zusätzlich Prozess, der nicht einfach ist und bei dem es gilt, gab es auch noch eine Prozessbegleitung sowie ein Widersprüche auszuhalten und neue Wege zu be- 6 lebendiges Netzwerk von bundesweiten Kolleg*innen
KARIN KNAUF, BETTINA MARSDEN Von Lebenswelten und Wegbegleitern Der MiniFilmclub als Wegbereiter einer Kulturkita für Filmbildung „Wenn ich an das Thema Film denke, denke ich Leichter fiel es uns daher, über äußere Veränderun- automatisch an die Grüne Soße“, erzählt Andrea. gen die ästhetische Filmbildung bei uns einziehen zu „ … und ich an das Filmmuseum und das Kino dort“, lassen und dem inneren Prozess Zeit und Raum zu ergänzt Soufian. geben, sodass alle Kolleg*innen ihn mitgehen konn- ten. Die konzeptionelle Auseinandersetzung hat uns Beide sind zehn Jahre alt und Kinder der ersten Stunde als Team wachsen lassen. Wir haben uns intensiv des MiniFilmclubs. Bereits als Fünfjährige haben sie mit unserer Arbeit, unseren pädagogischen Haltungen, sich 2015 gemeinsam mit den Pädagog*innen unse- den eigenen Rezeptionserfahrungen und unserem rer Einrichtung, der Kita Grüne Soße des Trägers Selbstverständnis als Pädagog*innen auseinander- Sozialpädagogischer Verein zur familienergänzenden gesetzt. Wir erleben uns seither als stärker ko-kon- Erziehung e. V. (Sozialpädagogischer Verein), auf struktiv, prozessorientiert und partizipativ, sind den Weg begeben, Filmgeschichte und die Welt der konsequenter und selbstbewusster geworden. Sen- Avantgarde- und Experimentalfilme zu entdecken. sibel nehmen wir ästhetische Bildungsprozesse Ihre Aussagen machen bereits deutlich: Der Film ist bei Kindern auf und begeben uns gemeinsam auf seither bei uns eingezogen und unser Partner, das Entdeckungsreise. Wir haben einen großen Teil der DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum mit Reggio-Pädagogik in unserer Arbeit wiederentdeckt dessen Herzstück, dem Kino, wird von Kindern und und unsere Räume und Materialien entsprechend Erwachsenen als Lebenswelterweiterung der Kita unserer Arbeit und unserer Haltung umgestaltet, empfunden. sodass der Raum als „dritter Erzieher“ fungiert. Für unser Team ist die Auseinandersetzung mit der Im Folgenden möchten wir deshalb rekapitulieren, Kunstform Film heute mehr als ein Schwerpunkt, sie welche besondere Rolle das Projekt MiniFilmclub in ist eine wunderbare Möglichkeit, mit der Welt und der Entwicklungsgeschichte der Kita Grüne Soße miteinander in Berührung zu kommen, Neues mit eingenommen hat. Ausgehend von unserem heutigen eigenen Augen, aber auch mit denen der Kinder, der Selbstverständnis als Kulturkita möchten wir hierfür Filmemacher*innen und der Mitmenschen sehen zu beleuchten, welchen nachhaltigen Gewinn die Be- können. Die Perspektiven sind vielseitig, die Einbli- schäftigung mit Film als Kunstform bedeutet, bevor cke, die wir in andere Lebenswelten und Haltungen die Erkenntnisse aus der Zusammenarbeit mit dem bekommen, wirken in uns. Um es bildlich mit den DFF und später mit bundesweiten Partner*innen Worten der sechsjährigen Chalida zu sagen: „Das ist einen Einblick in wesentliche Projektstationen bieten. ein Wachsfeld, ein Feld, auf dem was wächst!“ Kulturkita und die Prozesse im Team Der Qualität unserer Arbeit sind wir uns dabei bewusst Von der äußeren Sichtbarkeit zur inneren Haltung – – und zeigen das auch gerne. Seit der erste Kinder- so lässt sich in Kürze der Weg beschreiben, den garten im Jahr 1840 von Friedrich Fröbel eröffnet wir im Team der Kita in den vergangenen Jahren wurde, kämpfen Pädagog*innen des frühkindlichen beschritten haben und der dazu führte, dass wir uns Bereichs um die Akzeptanz ihrer Professionalität in heute als Kulturkita für Filmbildung verstehen. Einer der Gesellschaft und für eine Anerkennung der Kinder Kita eine neue Ausrichtung zu geben, bedeutet als Bürger*innen von heute mit den entsprechenden die kritische Auseinandersetzung mit der bisherigen Rechten. Die Kinderrechte sind leider noch nicht Arbeitsweise, das Hinterfragen der inhaltlichen wirklich in der Matrix der Gesellschaft verankert. Es Schwerpunkte, der eigenen pädagogischen Haltung ist daher unerlässlich, diesem Missstand mit Freude und die Begegnung mit Neuem und Unbekanntem. und Spaß an der Arbeit die Stirn zu bieten, indem Damit einher geht aber auch die Scheu vor Verände- wir Bildungsprozesse von und mit Kindern begleiten, rungen und das Festhaltenwollen an Althergebrach- gestalten und darüber sprechen. Öffentlichkeitsar- tem, an Vertrautem. beit, mit und ohne Kinder, ist ein wichtiger Bestandteil unseres Hauses geworden. Die Präsentation unserer Arbeit nach außen – ob in Frankfurt, in Hessen, auf 8 nationaler oder auf europäischer Ebene – gehört 9
selbstverständlich dazu. Als „Konsultationskita Film- Einzelne Kinder der Kita zeigen dabei ein besonders lassen und damit das Wachhalten einer Neugierde Sachsenhausen an wichtigen Orten gedreht, zum bildung“ öffnen wir uns für Fachschulen, geben hohes Interesse an Film – etwa, indem sie sich in als Voraussetzung dafür, um was es eigentlich geht: Beispiel auf meinem Balkon oder im Seehofpark. Workshops zum Thema Filmbildung, Digitalisierung, diesem Jahr für die Jury des Filmfestivals LUCAS um das Stiften gemeinsamer Lernprozesse.“ 1 Haben Ute alles gezeigt, damit sie das mal kennen- Mediennutzung und Sprachförderung und bilden beworben haben. Wie Fay, neun Jahre alt, zusammen- lernt.“ Damit haben sie sicher Utes Welt bereichert. unsere zahlreichen Praktikant*innen in diesen Berei- fasst, möchten sie „ [ … ] die Schule gegen das Kino Das ko-konstruktive und interdisziplinäre Voneinan- Mit diesem Film wurde die Gruppe nach Berlin einge- chen aus. Fachlich und finanziell werden wir in diesen tauschen und Filme sehen und bewerten. Das macht der-Lernen-Wollen erleben auch wir als elementare laden, um ihn im Arsenal im Rahmen des Programms Prozessen von unserem Träger, dem Sozialpädagogi- Spaß und ich kenne mich aus.“ Diese Selbsteinschät- Gelingensbedingung des MiniFilmclubs in Frankfurt. „Großes Kino, kleines Kino“ anderen Kindern vorzu- schen Verein, unterstützt. Ebenso wie die Kinder zung zeigt uns, dass der frühe Kontakt mit Avant- In wöchentlichen gemeinsamen Teamsitzungen des stellen. Selbstbewusst traten die Kinder vor dem sich in der Auseinandersetzung mit der Kunstform garde- und Experimentalfilmen nachhaltig wirkt. DFF und der Kita Grüne Soße reflektieren wir das Publikum auf, ließen andere an ihren Erfahrungen teil- Film als selbstwirksam erleben, wachsen auch der Format, entwickeln es weiter und schaffen als Mini- haben, durften im Anschluss daran die herzliche Träger und wir daran. Bindung und Bildung in der Kooperation Filmclub-Team Transitionen zu anderen Kultur- und Gastfreundschaft der Regenbogen-Kidz erleben und mit dem DFF Bildungsorten. tanzten auf einem muslimischen Gemeindefest. Kinder und ihre Bildungsprozesse mit der „Der MiniFilmclub ist bereichernd, die enge Koopera- Kunstform Film tion mit dem DFF toll. Filme schauen, Filme selbst Bundesweite Partnerschaften Eine weitere unserer vielfältigen Erfahrungen mach- „An Filmen mag ich, dass man sieht, wie andere so machen, Projekte mit Künstler*innen und vieles mehr Durch den Transfer des Projekts MiniFilmclub an ten wir mit der gemeinschaftlichen Vertonung von sind“, sagt Julie, heute neun Jahre alt. Sie hat im Alter – selbst die Oma ist begeistert!“ So fasst es die andere Orte in Deutschland ist dieses Team Bünd- historischen Stummfilmen der Brüder Lumière mit von vier Jahren am MiniFilmclub teilgenommen und Mutter eines Kindes, das den MiniFilmclub besucht nisse auf bundesweiter Ebene eingegangen. Zum der Pianistin und Komponistin Eunice Martins. Die ist so erstmals mit Avantgarde- und Experimentalfilm hat, zusammen. Partner wurde ein Berliner Tandem, das sich aus Kinder aus Frankfurt gaben der Ansicht der alten in Berührung gekommen. In Anlehnung an die Reggio- der muslimischen Kita Regenbogen-Kidz e. V. und „Hauptwache“ einen Klang, ebenso wie die Berliner Pädagogik gehen wir davon aus, dass Kinder dann Mitarbeiter*innen des DFF werden in der Kita von dem Arsenal – Institut für Film- und Videokunst e. V. Regenbogen-Kidz ihre „Friedrichstraße“ aus früheren die Welt verstehen (in diesem Fall einen Ausschnitt den Kindern und uns Erwachsenen ebenso herzlich zusammensetzt. Ein weiterer Partner ist das Film- Zeiten vertonten. So grüßten wir uns von einer der Welt – den Film), wenn diese ein persönliches willkommen geheißen wie wir im DFF. Die Besuche museum Potsdam und die inklusive Kita Kinderhafen Stadt zur andern. Die jeweilige Zusammenarbeit mit Erfahrungsfeld kreuzt. Durch die kreative Auseinan- dort gleichen dem Besuch bei einem lieben Freund, der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Die Kooperation mit den beiden Künstlerinnen ist den Kindern lebhaft in dersetzung mit dem Gesehenen entsteht die Möglich- so vertraut bewegen wir uns mittlerweile in diesem beiden Tandems eröffnete uns auf allen Ebenen neue Erinnerung geblieben und bietet ihnen eine weitere keit, das eigene Erleben mit dem Film zu verknüpfen: Haus. Im DFF wird uns stets deutlich, wie gut es Erfahrungsräume, schaffte liebenswerte Kontakte Dimension für ihre Wahrnehmung. Durch die ent- das Bekannte als Brücke zum Unbekannten, Filme dem Projekt gelungen ist, Bindung und Bildung mit- und gewährte Einblicke in andere Arbeitsweisen und standenen Beziehungen bekamen die Kinder einen als Türöffner für eine erweiterte Weltsicht. In der heu- einander zu verbinden. Die Kinder und ihre Familien Lebenswelten. Wir konnten erkennen, was sich vom persönlichen Zugang zu den Kunstwerken und der tigen Zeit, in der das „Andere“ leider allzu oft als erfahren das DFF als einen lebens- und liebenswerten MiniFilmclub an andere Orte transportieren lässt Professionalität von Eunice und Ute. Neben dem Bedrohung angesehen wird, ist es uns sehr wichtig, Ort, an dem kulturelle Teilhabe wahrhaftig gelebt und haben ihn der Kritik ausgesetzt. Darüber haben Kennenlernen von cinéphilen Menschen in Museen gerade die Diversität unserer Gesellschaft als Berei- wird. Den Mitarbeiter*innen ist es eine Herzensange- wir neue Impulse bekommen und seine Qualitäts- und der eigenen Auseinandersetzung mit den Filmen, cherung zu verstehen. Die frühe Begegnung mit legenheit, die kulturellen Schätze der Ausstellungen merkmale reflektiert. Unsere Lebenswelt ist durch eröffnete die Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen Unbekanntem und die Auseinandersetzung mit Irritie- und ihre Liebe zum Film zu vermitteln. Die Schulkinder die bundesweiten Kooperationen erneut um viele den Kindern einen facettenreichen und persönlichen rendem helfen, die eigene Lebenswelt zu erweitern. wechseln in die Rolle der Vermittler*innen, wenn sie Facetten reicher geworden. Blick auf die Kunstform Film. So wird die Kunst zur Wegbereiterin und -begleiterin für das Filmfestival LUCAS ein Programm für Kinder unserer Weltwahrnehmung. unter sechs Jahren kuratieren, ihnen ihre Lieblings- Die Kinder schickten Briefe und kleine Päckchen Wachsfelder filme des MiniFilmclubs nahebringen und sie mutig und teilten so ihre MiniFilmclub-Erfahrungen mit den Auch unabhängig dieser Projektstationen ist die Im Prozess der Beschäftigung mit der Kunstform durch das Programm führen. Familien erleben die Kindern aus Berlin und Potsdam. Insbesondere mit ästhetische Filmbildung heute fest in unserem Kita- Film, mit deren Einzigartigkeit und Vielfalt, haben die Expertise und den Stolz ihrer Kinder, wenn sie sich den Regenbogen-Kidz ist eine intensive Beziehung Alltag verankert. Die vielen Elemente der Vor- und Kinder der Kita Grüne Soße sich zu kritischen Zu- von ihnen durch die Dauerausstellung im ersten entstanden, die in einem gegenseitigen Besuch der Frühgeschichte des Bewegtbilds im Haus, die gern schauer*innen entwickelt, spielen mit dem Medium Stock führen lassen oder mit ihnen gemeinsam Filme Kinder in den beiden Städten gipfelte. Mit unseren bespielte Licht- und Schattenecke im Schülerladen, und setzen sich eigen-sinnig damit auseinander. schauen und sind tief berührt. „Wir müssen mal wie- Vorschulkindern sind wir nach Berlin gereist, haben das Kino im „Raum“ sowie die frei zugängliche Film- Kinder nehmen Kunst im Ganzen wahr und schlüsseln der ins Filmmuseum, die haben uns da sonst schon die Stadt durch die Augen der Berliner Kinder kennen- bibliothek machen dies sichtbar. Doch abschließend sie nicht in Sparten auf. Da Film als eigenständige vermisst“, sagt Soufian deshalb nicht ohne Grund. gelernt, gemeinsam das Arsenal besucht und souve- bleibt zu sagen, dass viele von Chalidas eingangs Kunstform dennoch viele Künste verbindet, kommt Das Museum als Begegnungs- und Bildungsort bildet rän über Avantgardefilme gefachsimpelt. Diese Reise erwähnten „Wachsfeldern“ noch unbespielt sind. In er diesem kindlichen Ansatz sehr nah. nicht nur für unser Team, sondern auch für unsere war auch für die Eltern eine Herausforderung, weil der ästhetischen und kulturellen Filmbildung stoßen Familien eine Einheit mit der Kita Grüne Soße. Der es doch etwas völlig anderes ist, wenn die Kinder wir auf immer neue Möglichkeiten und, auch im über- Die eigentümliche Magie des Films findet sich auch gegenseitige Einfluss durch die Pendelbewegung ist zwei Nächte in einer weit entfernten Stadt verbringen, tragenen Sinn, auf Licht und Schatten, Spiegelun- in den Elementen der Frühgeschichte des Bewegt- nicht mehr wegzudenken. Eine gute Kooperation wo man sie nicht einfach abholen kann. Alle sind gen, lichtdurchlässige und lichtbrechende Prismen, bilds wieder. Den Kindern der Kita Grüne Soße sind braucht ein starkes Selbst, da ihr das Eingeständnis daran gewachsen – und nach dieser Reise erscheint unterschiedlichste Perspektiven, schauen – aufs diese Elemente vertraut, sie benutzen Begriffe wie vorausgeht, dass das Individuum als Knotenpunkt im uns die Welt kleiner und größer zugleich. Die Kinder Detail bedacht – durch Lupen und stellen die Welt „Praxinoskop“ ebenso selbstverständlich wie sie von sozialen Netzwerk vieles nicht allein bewerkstelligen aus der Anfangszeit des MiniFilmclubs sind nun alle durch die Linse der Laterna Magica auf den Kopf. „Lego“-Bausteinen sprechen und bedienen sich in kann. Sie braucht aber auch das Wissen der Einzelnen Schulkinder. Ihnen eröffnet die Partnerschaft mit Wir freuen uns auf weitere gemeinsame Wege, denn ihren eigenen kreativen Prozessen souverän der ver- um die eigenen Fähigkeiten und die Selbstsicherheit, dem Arsenal, das mit Filmkünstler*innen zusammen- eins ist sicher: „Die ganze Welt führt ja am Filmmu- schiedenen künstlerischen Ausdrucksformen des diese als Ressource zur Verfügung zu stellen. Eine arbeitet, neue Möglichkeiten. In einem „Kitalabor“ seum vorbei.“ Luis, sechs Jahre alt. Films. So entwickeln sie zum Beispiel eigene Ge- gelingende Kooperation braucht eine interdisziplinäre mit der Filmkünstlerin Ute Aurand entsteht ein eigener schichten für die Laterna Magica und malen sie auf Gruppe und lebt von Diversität. Film, gedreht mit ihrer Bolex-Kamera, selbst geschnit- Blankfilm. Ist ihnen der Ton eines Filmes zu düster, ten und uraufgeführt im DFF. Spielend verknüpfen beginnen sie zu experimentieren, schauen den Film Michael Wimmer benennt dieses Merkmal funktionie- die Kinder in diesem Film ihre Welt mit Utes und 1 Wimmer, Michael: „Wenn wir kollaborieren, erfinden wir ohne Ton, spielen andere Musik ab oder sprechen render Kooperationen wie folgt: „Am entscheidends- der des Films, oder wie Soufian sagt: „Wir haben in uns selbst“ (Terkessidis). In: Robert Bosch Stiftung (Hg.): selbst eine ganz eigene Geschichte dazu ein. ten aber erscheint mir die Bereitschaft, sich für andere Positionen Frühkindlicher Kultureller Bildung. 10 zu öffnen, sich auszusetzen, sich verunsichern zu München: kopaed 2020, S. 177 – 183, S. 181. 11
BETTINA HENZLER Mit allen Sinnen im Kino und in der Welt Der MiniFilmclub aus phänomenologischer Perspektive „Ohne Berücksichtigung der ästhetischen Kulturerbe, Ästhetische Bildung und Körperlichkeit Dimension sind kindliche Bildungsprozesse weder skizzieren, worin deren „blinde Flecken“ bestehen. verstehbar noch angemessen gestaltbar.“ 1 Der MiniFilmclub steht, wie auch andere Filmbildungs- Der MiniFilmclub des DFF – Deutsches Filminstitut & projekte, die sich der Geschichte und Ästhetik des Filmmuseum in Frankfurt ist so ungewöhnlich wie Films widmen, der Kulturellen Bildung nahe. Diese einleuchtend. Ungewöhnlich, weil es in Deutschland, entstand bereits in den 1970er Jahren im Zuge der wie europaweit, kaum Filmvermittlungsprojekte für damaligen gesellschaftlichen Emanzipationsbewegung Vorschulkinder gibt und mit dem Experimentalfilm und Modernisierung. Ein wesentliches Anliegen der ein Gegenstand im Fokus steht, der schon Erwach- Kulturellen Bildung ist daher, Partizipation und soziale senen als schwer vermittelbar gilt. Einleuchtend, weil Teilhabe zu fördern, indem der historisch und institu- das Vermittlungskonzept, das die Farben, Formen tionell etablierte Kunstbereich sich für zeitgenössische und Rhythmen, die Dinge und Materialien des Films kulturelle Praktiken öffnet und weniger privilegierte im Schauen und im Machen erschließt, grundlegend soziale Schichten einbezieht. Außerschulische Kultur- an die Erfahrung kleiner Kinder anknüpft, welche orte und die projektorientierte Zusammenarbeit mit die Welt sinnlich be-greifen. Weitreichend ist das Kulturschaffenden und Künstler*innen spielen dabei Projekt zudem, da es einen gemeinsamen Horizont eine Schlüsselrolle. Diese Bestrebungen gehen einher von Kindern und Erwachsenen eröffnet, und – wie mit einer Kritik an den Institutionen und überlieferten ich in der Arbeit mit Studierenden feststellen konnte Formen der „Hochkultur“. Stattdessen werden sub- – auch letztere zur intensiven Auseinandersetzung jektorientierte, an den Lebenswelten und Interessen mit Experimentalfilmen und der eigenen Wahrnehmung von Kindern und Jugendlichen orientierte künstlerische anregen kann. Im Folgenden werde ich zunächst Tätigkeiten gefördert, die auch von Konzepten der einige Gründe dafür skizzieren, warum ein solcher zeitgenössischen Kunst, wie der Performativität und Ansatz hierzulande gewissermaßen „zwischen den der Künstlerischen Forschung, inspiriert sind. In Stühlen“ verschiedener pädagogischer Felder sitzt, jüngerer Zeit wird in diesen Zusammenhang verstärkt um anschließend aus phänomenologischer Perspek- auch das Experimentieren mit (neuen) Medien tive das Bildungspotential für Kinder zu thematisieren. anvisiert. 3 Die Stärke dieses Vermittlungsansatzes liegt darin, dass er die von der Phänomenologie reflektierte kör- Der MiniFilmclub schließt im besten Sinne an diesen perliche Erfahrung der Welt in den Mittelpunkt rückt, emanzipatorischen Ansatz an. Denn hier kooperiert die für die Kindheit ebenso wie für die Filmwahrneh- ein Filmmuseum mit Kindertagesstätten, um – in einer mung grundlegend ist. langfristig angelegten pädagogischen Arbeit – Kin- dern ganz unterschiedlicher Herkunft eine gestaltende Zwischen den Stühlen Auseinandersetzung mit Filmkultur zu ermöglichen. Der MiniFilmclub verbindet die Felder der Kulturellen Und doch steht dieser Vermittlungsansatz auch quer Bildung, der Filmbildung und der frühkindlichen zu in der Kulturellen Bildung verbreiteten Diskursen Bildung, und weist über diese hinaus. Anders gesagt: und Praktiken. Denn kulturelle Teilhabe wird hier Sein Vermittlungsansatz steht quer zu den in Deutsch- auch durch die Rezeption von Werken der Kulturge- land in diesen Feldern etablierten Schwerpunkten schichte ermöglicht. Sie verwirklicht sich gerade und Diskursen. Denn in der Filmbildung und der Kul- darin, über die Lebenswelt der Kinder hinauszugehen turellen Bildung spielt die Arbeit mit Kindergarten- und ihnen Ungewohntes „zuzumuten“. Damit werden kindern eine untergeordnete Rolle. 2 Hinzu kommen die in der Kulturellen Bildung verfestigten Konflikt- je spezifische Ursachen, weshalb die ästhetische linien zwischen zeitgenössischen „partizipativen“ Filmbildung in ihrem weitreichenden Bildungspoten- Kunstformen und den „Machtkonstellationen“ der tial bisher nur teilweise erschlossen wurde. Ohne Hochkultur und Kunstgeschichte aufgehoben, die die genannten Felder hier umfassend diskutieren zu sich in Bezug auf die Film- und Kinokultur als verfehlt können, möchte ich kurz anhand der drei Stichworte erweisen. 4 Angesichts der ökonomischen Macht- 12 strukturen der Film- und Medienindustrien, welche 13
die heutigen Sehgewohnheiten bestimmen und die Der MiniFilmclub verwirklicht damit eine ästhetische wir uns durch Räume bewegen, die Dinge erfassen mungsmodus [lässt] sich durch seine prinzipielle kommerzielle Logik des „Brandneuen“ bedienen, Filmvermittlung, wie sie Alain Bergala in seinem und uns mit Gesten verständigen. Auch die Vorstel- Offenheit und Flexibilität charakterisieren, denn das sind gerade cinéphile Initiativen und kulturelle Institu- 2006 (im Orig. 2002) erschienenen „Kino als Kunst“ lungswelten und sozialen Beziehungen beruhen auf Kind empfängt seine Eindrücke weder durch den tionen, die sich der Diversität und Geschichte des gefordert hat. Laut Bergala ist die Begegnung mit dieser leiblichen Erfahrung der Welt. Diese Grund- Filter normierter Wahrnehmungscodes noch übersetzt Films widmen, „marginalisiert“. Ihre Arbeit aber ist Film als Alterität bildend, also mit ästhetischen Wer- lage der menschlichen Existenz teilen alle, sie ist es sie in sprachlich codierte Sinneinheiten. Vielmehr unerlässlich für die Vielfalt unserer Gesellschaft und ken, die ungewohnt, sperrig, möglicherweise irritie- aber bei Kindern noch besonders gegenwärtig, die hat es noch eine Ahnung davon, dass sich die Bilder für Vermittlungsangebote, welche gewohnte Hori- rend sind und die sich durch die Mechanismen des sich die Welt gewissermaßen erst im Körperkontakt der Welt und der Filme nicht restlos rational aneignen zonte überschreiten und aus der Kenntnis des Ver- Verstehens und der Kommunikation nicht gänzlich erschließen: Für das Kind ist laut Merleau-Ponty der lassen, und so wird der Körper zum Resonanzraum gangenen einen differenzierteren Blick auf die erschließen lassen. Die von ihm vorgeschlagene „Leib [ … ] ein System von Mitteln, das eine Kontakt- für die ästhetische Erfahrung.“ 10 Gegenwart erwachsen lassen. ästhetische Filmvermittlung verbindet die Rezeption aufnahme mit der Außenwelt erlaubt.“ 8 Die phänome- mit der kreativen Praxis, um eine Sensibilisierung nologische Pädagogik setzt bei diesem gemeinsamen Schlüter verweist unter anderem auf Aussagen von Zeitgleich zur Kulturellen Bildung entstand die Medien- der Wahrnehmung und ein Erkunden der filmischen Horizont aller Menschen an. So fordern Bernhard Experimentalfilmern wie Stan Brakhage und Peter pädagogik, welche die Diskurse und Praktiken der Ausdrucksmöglichkeiten zu ermöglichen. Während Waldenfels und Käte Meyer-Drawe pädagogisches Kubelka, die sich auf den kindlichen Blick beziehen, Filmbildung in Deutschland nachhaltig geprägt hat. sich dieser von der französischen Cinéphilie geprägte Handeln nicht ausschließlich auf das Verstehen und um ihre künstlerische Arbeit darzustellen. Auch Auch die Medienpädagogik orientiert sich an der Ansatz jedoch vor allem auf die Mise en Scène von die sprachliche Kommunikation auszurichten, da andere Regisseur*innen der Avantgarde und des Lebenswirklichkeit und den Mediengewohnheiten von Spielfilmen, die mit der Kamera gedreht werden, diese eine Hierarchie zwischen Erwachsenen und Modernen Kinos, ebenso wie Filmtheoretiker*innen, Kindern und Jugendlichen. Sie rückt jedoch die bezieht, bringt die Arbeit mit Experimentalfilmen viel- Kindern etablierten. Stattdessen ermögliche der beziehen sich immer wieder auf die kindliche Wahr- Medienkritik und das medienpraktische Handeln als fältige künstlerische Praktiken ins Spiel. Neben dem geteilte sinnliche Bezug zu den Dingen eine Verstän- nehmung, um nicht-konventionelle filmästhetische emanzipatorische Praktiken in dem Mittelpunkt. Die Stopptrick-Verfahren werden dabei weitere Aspekte digung, welche die grundlegende Verschiedenheit Formen zu legitimieren, aber auch, um die besonderen sogenannte handlungsorientierte Medienpädagogik der filmischen Technik und Ästhetik, wie Licht und von Kindern und Erwachsenen respektiere: Eigenschaften des Mediums Film herauszustellen. 11 fördert die praktische Auseinandersetzung mit Film Farbe, Musik und Rhythmus, Filmstreifen und Projek- Diese Aussagen mögen sich auf eigene Kindheitser- und anderen Medien, die Kinder und Jugendliche tion vermittelt. „Zwischen den Dingen, auf die meine Gesten zielen, fahrungen beziehen, die laut Waldenfels und Meyer- dazu befähigt, kommunikativ an der zeitgenössischen und denen, auf die die Gesten des Kindes zielen, Drawe auch im Erwachsenleben überdauern und Medienwirklichkeit teilzuhaben. In Projekten die der Gerade in der Frühpädagogik ist die Ästhetische breitet sich eine gemeinsame Welt aus, die die Frage „durchaus eine rebellische Kraft bewahren“ können. Filmkultur nahestehen, liegt der Schwerpunkt meist Bildung grundlegend – wie das Eingangszitat aus danach, ob wir diese gemeinsame Welt in gleicher Sie lassen sich aber auch mit phänomenologischen auf der Rezeption, der Analyse und kritischen Ausei- dem Handbuch „Bildung in der frühen Kindheit“ Weise wahrnehmen, zweitrangig werden läßt.“ 9 Filmtheorien begründen, welche die Körperlichkeit nandersetzung mit zeitgenössischen Spielfilmen, nahelegt. Von der Reformpädagogik geprägte An- der Filmerfahrung als Grundlage filmischer Sinnbildung vereinzelt auch mit Dokumentarfilmen. In diesem sätze der Frühpädagogik stellen dementsprechend Sowohl die Filmauswahl als auch die Vermittlungs- und Ästhetik hervorheben. Dies sei am Beispiel des Zusammenhang werden Vermittlungsprozesse vor die Selbstbildung und das sinnliche Erleben von praktiken des MiniFilmclubs setzen diesen geteilten MiniFilmclubs anhand der Stichworte Raum, Ding allem in Bezug auf das Verstehen, die Kommunika- Kindern im Umgang mit Dingen und Räumen, das körperlich-sinnlichen Bezug zur Welt voraus. Stefanie und Synästhesie kurz skizziert. tion und soziale Interaktion, die ethische und morali- handwerkliche Gestalten und das Spiel ins Zentrum. Schlüter hat vor dem Hintergrund ihrer eigenen lang- sche Bildung ausgerichtet. 5 Dementsprechend steht Filme und andere technische Medien werden mit jährigen Vermittlungsarbeit die besondere Eignung Die Phänomenologie betont die Raumerfahrung als häufig die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich diesem konkret-physischen Erleben der Wirklichkeit von Experimentalfilmen für die Arbeit mit Kindern wie grundlegend für die menschliche, insbesondere die relevanten Thematiken im Vordergrund. Es dominieren jedoch kaum in Verbindung gebracht oder gar in folgt begründet: kindliche Wahrnehmung. 13 Die phänomenologische entwicklungspsychologisch begründete Vermitt- bewahrpädagogischer Tradition abgelehnt. Die Stim- Filmtheorie befasst sich dementsprechend mit lungskonzepte, denen zufolge Kinder sich die „Film- men wiederum, die angesichts der Mediatisierung „Kindern fällt, so möchte ich argumentieren, der der Frage, welche Raumerfahrung Filme vermitteln sprache“ erst aneignen müssen, um komplexere der heutigen Bildungsprozesse fordern, dass sich die Zugang zu Avantgarde- und Experimentalfilm leichter und wie die Apparatur des Kinos die Filmerfahrung Filme zu verstehen und kommunikativ handeln zu Frühpädagogik den Medien öffnet, beziehen sich als vielen Erwachsenen, weil sich ihre Wahrnehmungs- prägt. 14 Indem der MiniFilmclub mit einer Erkundung können. Dies findet beispielsweise auch in den Krite- meist auf digitale Formate und das Massenmedium disposition mit den ästhetischen Konzepten dieser des Kinoraums und der Projektion beginnt, setzt rien zur Förderung und Auswahl von „Kinderfilmen“ Fernsehen, da diese die zeitgenössische Alltagskultur Filme trifft. Dies gilt in besonderem Maße für Filme, er bei der Bedeutung des Raums für die kindliche seinen Niederschlag. 6 Die Arbeit mit kleinen Kindern prägen. 7 Die im MiniFilmclub verwirklichte Vermitt- die von den Bildern der Welt abstrahieren oder mit Weltwahrnehmung an und vermittelt den Kindern fokussiert häufig auf Trickfilme, die nicht nur kind- lungspraxis mit Experimentalfilmen bereichert somit fragmentierten, non-linearen Bildanordnungen arbeiten diese als Grundlage der Filmerfahrung. In der Kombi- gerechte Erzählweisen versprechen, sondern auch nicht zuletzt auch die Frühpädagogik. Denn sie und daher einen hermeneutischen Erkenntnisprozess nation analoger Kinotechnik und digitaler Medien vielfältige kreative Möglichkeiten bieten, um mittels erschließt das Bildungspotential des Kinos und der von vorneherein stören. [ … ] der kindliche Wahrneh- erfahren sie zudem, wie mediale Apparaturen und der Stopptrick-Technik die Konstruktion filmischer analogen Technik, die besonders geeignet ist, sich Raumsituationen die Wahrnehmung auf unterschied- Bewegung zu erkunden. mit den Bedingungen der Wahrnehmung zu befassen. Sie vermittelt Film als ein Medium des sinnlichen Er- Die im MiniFilmclub (und bei verwandten Initiativen, lebens, in rezeptiven wie handwerklich-gestaltenden etwa dem Arsenal Filmatelier in Berlin) verwirklichte Formaten, die vom körperlichen Bezug der Kinder Arbeit mit Experimentalfilmen erweitert dieses Feld, zur Welt ausgehen. nicht nur in ihrem Fokus auf die Filmgeschichte, sondern auch, da die ästhetische Gestaltung anstelle Der gemeinsame Horizont von narrativen oder thematischen Aspekten im Mittel- Maurice Merleau-Ponty hat in seinem für die Film- punkt steht. Filme, die viele Erwachsene als „kompli- theorie ebenso wie für die Philosophie, Gesellschafts- ziert“, unverständlich oder anstrengend bezeichnen theorie und Pädagogik einflussreichen Werk „Die würden, werden ausgerechnet kleinen Kindern gezeigt. Phänomenologie der Wahrnehmung“ (1966) dargelegt, Die Logik entwicklungspsychologischer Ansätze dass das menschliche Denken, Kommunizieren und kehrt sich damit um: Dass sich bei Kindern bestimmte Handeln in der Wahrnehmung verankert ist. Es gibt Sehgewohnheiten noch nicht verfestigt haben, ist kein vom Körper losgelöstes Bewusstsein, sondern der Ansatzpunkt des pädagogischen Handelns mit unsere Existenz gründet auf der Art und Weise, wie 14 unkonventionellen filmischen Formen. 15
liche Weise beeinflussen. Darüber hinaus ist auch Schlüter das von Filmen wie TRÜBSAL ADE (Norman Der MiniFilmclub verwirklicht somit eine phänome- MiniFilmclub bietet ihnen einen Raum, sich mit der die filmische Raumdarstellung Ausgangspunkt von McLaren, Evelyn Lambart, CA 1949) inspirierte nologisch fundierte Filmvermittlung, welche die eigenen Wahrnehmung auseinanderzusetzen und die Entdeckungen: Wenn die Kinder in SCHATTEN Bemalen und Auskratzen von Filmstreifen als einen skizzierten Felder der Kulturellen Bildung, der Medien- Umwelt zu erkunden. Gerade die analoge Technik (Hansjürgen Pohland, BRD 1960) sehen, wie Räume „sinnlichen Erkenntnisprozess“, in dem Kinder das pädagogik und der Frühpädagogik erweitert. Diese entfaltet dabei ein spezifisches Bildungspotential, da durch Licht verwandelt werden und danach selbst analoge Material und den zeitlichen Verlauf der erschließt den Film als ästhetisches Medium und sie die Wahrnehmungsprozesse buchstäblich „hand- auf Erkundungsreise in ihrem Umfeld gehen, oder Einzelbilder buchstäblich be-greifen. 17 Das in der Kulturtechnik, welche in besonderem Maße die sinn- habbar“ macht. Die phänomenologische Ausrichtung wenn sie das Spiel mit der Zweidimensionalität in Frühpädagogik grundlegende Zeichnen und Malen liche Wahrnehmung anspricht, und vermittelt eine und die Sensibilisierung für experimentelle Werke LES KIRIKI – ACROBATES JAPONAIS (Segundo de wird dabei in eine filmische Praxis überführt. Analoge Vielfalt an künstlerischen Praktiken der Filmgeschichte. der Filmgeschichte ist im besten Sinne inklusiv, da Chomón, F 1907) nachvollziehen, indem sie sich Techniken des Films, aber auch vorfilmischer Appa- Die phänomenologischen Eigenschaften der Film- sie sich nicht primär sprachlich entfaltet, sondern selbst auf den Boden legen und von oben fotografie- raturen wie der Laterna Magica, des Wunderrads und Kinoerfahrung erweisen sich gerade für die Film- über den geteilten leiblichen Bezug zur Welt verläuft. ren, als wären sie Akrobat*innen in der Luft. und des Thaumatrops, erlauben es zudem, in der vermittlung mit Kindern als geeignet, die sich noch Sie eröffnet Kindern und Erwachsenen einen ge- konkreten Handhabung die Phänomene der Bewe- stärker mit ihren Sinnen in der Welt orientieren. Der meinsamen Horizont. Die Phänomenologie thematisiert den Umgang mit gungsillusion, der Vergrößerung und Abbildung zu den Dingen, die taktile Wahrnehmung der Wirklichkeit, erforschen. als grundlegend für das menschliche Denken und Handeln. Die frühkindliche Pädagogik lässt dement- Die Raumerfahrung, die Handhabung der Dinge, das sprechend „Von den Dingen lernen“ 15. Die Filmtheorie Schauen von Filmen – all diese Praktiken beruhen 1 Duncker, Ludwig / Lieber, Gabriele / Neuß, Norbert: 8 Merleau-Ponty, Maurice: Keime der Vernunft. Vorlesungen hat wiederum schon früh auf die besondere Rolle auf der Sinneswahrnehmung, die zwar audiovisuell Vorwort. In: Dies. (Hg.): Bildung in der Kindheit. an der Sorbonne 1949 – 1952. Hg. und mit einem Nachwort der Dinge im Film verwiesen. Filme – so schreibt Béla vermittelt ist, aber am „ganzen Körper“ erfahren wird. Das Handbuch zum Lernen in Kindergarten und Grund- versehen von Bernhard Waldenfels. München: Fink 1994, Balázs 1924 – geben den Dingen ein Gesicht. Diese Die Phänomenologie stellt dementsprechend den schule. Seelze: Friedrich 2010, S. 8. S. 181. Maurice Merleau-Ponty hat die in diesem Band treten in ihrer Stofflichkeit hervor, werden zu Hand- synästhetischen Charakter der Wahrnehmung heraus. veröffentlichten Vorlesungen den Wissenschaften der Kind- lungsträgern, drücken Gefühle aus oder gewinnen Die Sinne des Menschen existieren nicht unabhängig 2 Siehe beispielsweise Bilstein, Johannes / Neysters, heit gewidmet. eine traumhafte, poetische Dimension. Balázs ver- voneinander, sondern sind ineinander verschränkt Silvia (Hg.): Kinder entdecken Kunst. gleicht dieses Potential des filmischen Mediums mit und bilden eine Einheit. Die Filmtheorie hat im Rück- Kulturelle Bildung im Elementarbereich. 9 Meyer-Drawe, Käte / Waldenfels, Bernhard: Das Kind dem Blick eines Kindes, welches die „Dinge noch griff auf die Synästhesie dargelegt, wie die Kinoer- Pädagogik: Perspektiven und Theorien, Band 24. als Fremder. In: Vierteljahresschrift Wissenschaftliche nicht ausschließlich als Gebrauchsgegenstände, fahrung nicht nur Auge und Ohr, sondern die Körper Oberhausen: Athena 2012. Pädagogik, 1 – 4 (1988), S. 271 – 286, hier: S. 285. Werkzeuge und Mittel zum Zweck ansieht, bei denen der Zuschauenden anspricht, die weniger von den man nicht verweilt“. Ein Kind sehe „in jedem Ding ein Geschichten, die sich vor ihren Augen abspielen, als 3 Siehe dazu Keuchel, Susanne: Wertewandel und Kulturelle 10 Pantenburg, Volker / Schlüter, Stefanie: Experimentalfilme autonomes Lebewesen, das eine eigene Seele und vielmehr von den Bewegungen, Materialitäten und Bildung. Zur Notwendigkeit einer Kulturellen Bildung vermitteln. Zum praktischen und analytischen Umgang ein eigenes Gesicht hat.“ 16 Der MiniFilmclub rückt Formen der Leinwand affiziert werden. 18 Die Filmaus- 3.0 in Zeiten gesellschaftlicher Transformation. In: Dies., mit dem Kino der Avantgarde. In: Gudrun Sommer, Vinzenz diese Dinglichkeit oder Materialität des Films in den wahl des MiniFilmclubs lässt gerade diese sinnliche Viola Kelb (Hg.): Wertewandel in der Kulturellen Bildung. Hediger, Oliver Fahle (Hg.): Orte filmischen Wissens. Film- Mittelpunkt. Erfahrung in den Vordergrund treten: Sei es der Rhyth- Bielefeld: transcript 2017, S. 17 – 65, sowie Forum kultur und Filmvermittlung im Zeitalter digitaler Netzwerke. mus der bewegten Körper, Linien, Flächen, Farben K&B GmbH (Hg.): Reflexion zwischen Theorie und Praxis. Marburg: Schüren Verlag 2011, S. 213 – 238, hier: S. 216f. So werden in SPIEL MIT STEINEN (Jan Švankmajer, und der Musik, die bei RAINBOW DANCE (Len Lye, Sammelband zum Modellprogramm „Kulturagenten für AT 1965) die titelgebenden Steine zu ästhetischen GB 1936) oder TRÜBSAL ADE zum Mittanzen einla- kreative Schulen“ 2011–2015, Essen 2015. 11 Siehe dazu die Beiträge von Alejandro Bachmann, Gestalten, die sich wie von selbst in Bewegung den, seien es taktile Empfindungen der Steine im Bettina Henzler und Stefanie Schlüter in: Henzler, Bettina / versetzen und deren materiellen Eigenschaften zu SPIEL MIT STEINEN , der Tintenkleckse in VIRTUOS 4 Diese Konfliktlinien geraten auch in der Kulturellen Bildung Pauleit, Winfried (Hg.): Kino und Kindheit. vielfältigen Imaginationen einladen. Wenn Kinder VIRTUELL (Maja Oschmann, Thomas Stellmach, in die Kritik. Vgl. Keuchel: Wertewandel und Kulturelle Figur – Perspektive – Regie. Berlin: Bertz + Fischer 2017. das zugrundeliegende Stopptrick-Verfahren selbst DE 2013) oder des Lichts in SCHATTEN . Die Vermitt- Bildung, S. 32. erproben, regt das zur taktilen Handhabung dieses lungskonzepte, die auf diese Filme „antworten“, 12 Meyer-Drawe, Waldenfels: Das Kind als Fremder, S. 285. alltäglichen Naturmaterials an und vermittelt die erschließen die synästhetische Dimension des Medi- 5 Siehe zum Beispiel Tillmann, Angela / Fleischer, Sandra / Technik der filmischen Bewegung. Diese und ande- ums Film und lenken die Aufmerksamkeit auch auf Hugger, Kai-Uwe (Hg.): Handbuch Kinder und Medien. 13 Vgl. Stenger, Ursula / Dietrich, Cornelie / ren Praktiken erschließen nicht nur die Dinge im Film, die alltägliche Umgebung, deren Dinge und Räume, Digitale Kultur und Kommunikation, Band 1. Wiesbaden: Deckert-Peaceman, Heike: Einführung in die Kindheitsfor- sondern auch die Dinge des Films. So beschreibt Atmosphären und Klänge. VS Verlag 2014. schung. München: wbg Academic 2010, S. 47. 6 Siehe dazu Henzler, Bettina: Education à l’image and 14 Siehe dazu Sobchack, Vivian: The Address of the Eye. Medienkompetenz. On the discourses and practices of film A Phenomenology of Film Experience. Princeton / Oxford: education in France and Germany. Übersetzt aus dem Princeton University Press 1992. Französischen von Madeline Whittle. In: Film Education Journal, Jg. 1 (2018), Heft 1, S. 16 – 34 sowie Dies.: 15 Stieve, Claus: Von den Dingen lernen. Die Gegenstände Die Kategorie „Kinderfilm“. In: Kinder- und Jugendfilm- unserer Kindheit. München: Wilhelm Fink 2008. Korrespondenz, Jg. 37 (2016), Heft 4, online: www.kinder-jugend-filmportal.de/was_ist_kinderfilm.html 16 Balázs, Béla (1924): Der sichtbare Mensch oder die Kultur (06.08.2020) des Films. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, S. 59. 7 Siehe beispielsweise Fuhs, Burkhard: Medienpädagogik 17 Pantenburg, Schlüter: Experimentalfilme vermitteln, S. 59. in der Frühen Kindheit? Pädagogische Anmerkungen zur Normalisierung eines neuen Bildungsbereiches. In: 18 Siehe dazu Morsch, Thomas: Medienästhetik des Films. Medienpädagogik. Zeitschrift Für Theorie Und Praxis Verkörperte Wahrnehmung und ästhetische Erfahrung im Der Medienbildung, Heft 22: Frühe Medienbildung (2012), Kino. München / Paderborn: Wilhelm Fink 2011. S. 1 – 14. 17
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