Forum Sozialpädiatrie - Die Medizinische Kinderschutzhotline in Zeiten der Pandemie - DGSPJ
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Forum Sozialpädiatrie Die Medizinische Kinderschutzhotline in Zeiten der Pandemie Barbara Holzmann 04. März 2021
Sustainable Development Goal (SDG) 16.2 Indikatoren: Ziel Indikatoren Proportion of children aged 1-17 years who 16.2.1 experienced any physical punishment and/or End abuse, exploitation, psychological aggression by caregivers in the past trafficking and all forms of month 16.2 violence against and torture of 16.2.2 Number of victims of human trafficking per 100,000 children population, by sex, age and form of exploitation 16.2.3 Proportion of young women and men aged 18-29 years who experienced sexual violence by age 18 Deutsche Übersetzung Beendigung von Missbrauch, Anteil an Kindern zwischen einem und 17 Jahren, die Misshandlung, Ausbeutung, 16.2.1 körperliche Bestrafung und/oder psychische Menschenhandel und aller Aggression durch Bezugspersonen im letzten Monat Formen von Gewalt gegen erfahren 16.2 Kinder und Folter von Kindern Anzahl an Opfern von Menschenhandel pro 100.000 16.2.2 Einwohnern, aufgeteilt in Geschlecht, Alter und Form Deutschland > 10 % (nach Witt der Ausbeutung et al.,2017 und Witt et al. Anteil an jungen Frauen und Männern zwischen 18 submitted) 16.2.3 und 29 Jahren, die sexuelle Gewalt vor dem 18. Lebensjahr erfahren haben
Erstes Fazit • Die Corona-Pandemie betrifft Kinder in unterschiedlichen Ländern auf der Welt unterschiedlich stark. • Für Deutschland besteht keine Gefahr einer „Lost Generation“, aber erhöhte Risiken bei Familien mit Unterstützungsbedarf (Wegfall von Selbsthilfe, Wegfall zahlreicher Unterstützungsangebote und Wegfall von Schutz- und Kontaktmöglichkeiten z.B. im Rahmen der regelmäßigen Beschulung). • Trotz der Renaissance der Kernfamilie und des Haushalts während der Corona-Pandemie, wurden zu Beginn die Interessen von Kindern und Jugendlichen kaum diskutiert. • Die Kinderrechte müssen im Grundgesetz, nicht nur im Kontext „gewaltfreies Aufwachsen“, sondern generell zur Wahrung von Entwicklungschancen verankert werden. • Die Partizipations- und Informationsrechte von Kindern sind vielfältig im Verfahrensrecht erwähnt, sind aber häufig, selbst bei Justizpraktikern, zu wenig bekannt, denn sie kommen im Studium nicht vor.
Entwicklung der Inanspruchnahme der Medizinischen Kinderschutzhotline 160 140 120 100 80 60 40 20 0 Jul 17 Sep Nov Jan Mrz Mai Jul 18 Sep Nov Jan Mrz Mai Jul 19 Sep Nov Jan Mrz Mai Jul 20 Sep Nov 17 17 18 18 18 18 18 19 19 19 19 19 20 20 20 20 20 Gesamt Kerngruppe Heilberufe und Jugendhilfe Seit Projektstart mehr als 2900 Anrufe dokumentiert
Entwicklung der Inanspruchnahme der Medizinischen Kinderschutzhotline 120,0 100,0 80,0 60,0 40,0 20,0 0,0 - Anstieg der Inanspruchnahme über den Projektzeitraum - Lockdown-Zeiträume führen zu „Knick“ in der Inanspruchnahme
Entwicklung der Inanspruchnahme der Medizinischen Kinderschutzhotline in der Pandemie 60,0% 54,1% 50,0% 40,0% 30,0% 26,8% 20,0% 10,0% 7,5% 0,0% 0,0% -10,0% Durchschnitt Mrz 20 Apr 20 Mai 20 Jun 20 Jul 20 Dez19 - Feb -20,0% 20 -21,3% -30,0% -31,0% -40,0%
Entwicklung während des Lockdowns - Kinderschutzhotline: -30% - Zahnärzte: -80% - Kardiologen und Onkologen: -30% bis -50% - Krankhausfallzahlen insgesamt: -39% Rückgang der Inanspruchnahme der Hotline unter dem Rückgang in der Inanspruchnahme im medizinischen Bereich
Anruftypen 76; 3% 0; 0% 14; 0% 807; 26% ~70% Zielgruppe 20; 1% 2078; 68% 53; 2% Zielgruppe Aufgelegt Scherzanruf "Fachfremder Anruf" Verwählt Beratungsstelle/Jugendamt (neu) Familiengericht (neu)
Setting 39; 2% 155; 7% 199; 9% 561; 26% 127; 6% 1073; 50% Klinik Ambulanz Niedergelassen andere Rettungsdienst keine Angabe
Berufsgruppen keine Angabe andere Medizinische Fachangestellte (Familien-)Hebamme Heilerziehungspfleger Gesundheits- und Krankenpfleger/in Rettungsdienst Andere Therapeuten Zahnarzt Psychologe/in Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/in in… Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/in Psychologische/r Psychotherapeut/in in… Psychologische/r Psychotherapeut/in Ärztin/Ärzt 0 200 400 600 800 1000 1200
Fachbereich Psychiatrie und Psychosomatik keine Angabe andere Zahnmedizin Frauenheilkunde Chirurgie Innere Kinder- und Jugendpsychiatrie Kinderchirurgie Kinderheilkunde 0 100 200 300 400 500 600 700 800
Vermutete Misshandlungsformen Mehrere Formen 12,8% Vernachlässigung 25,4% Sexueller Missbrauch 28,6% Emotionale Misshandlung 13,3% Körperliche Misshandlung 30,2% 0,0% 5,0% 10,0% 15,0% 20,0% 25,0% 30,0% 35,0%
Kontakt zu anderen Akteuren im Kinderschutz? Besteht wegen diesem Fall Kontakt zu anderen Akteuren im Kinderschutz? 333; 18% 1542; 82% ja Nein
Inhalte der Beratung rechtliche Fragen im Kontext §4KKG* 32,8% Medizinisches Prozedere* 21,1% anderes 7,7% Dokumentation 13,8% rechtliche Fragen 11,2% Verweis Akteure 25,7% Gesprächsführung 23,5% Vorgehen im Kontext der Jugendhilfe* 56,8% Befund 29,7% 0,0% 10,0% 20,0% 30,0% 40,0% 50,0% 60,0%
Inhalte der Beratung 98% 100,0% 90,0% 80,0% 80,0% 70,0% 60,0% 50,0% 40,0% 30,0% 19,0% 20,0% 10,0% 0,8% 0,3% 0,0% sehr hilfreich eher hilfreich eher nicht hilfreich gar nicht hilfreich
Wobei hat die Beratung geholfen?
Was sind das für Fälle?
Kasuistik 7 Jahre alter Junge seit langem in ambulanter Anbindung an ein SPZ. In der Vergangenheit wiederholt „schlechtes“ Bauchgefühl seitens der Therapeut*Innen vor Ort. Mutter merklich überfordert mit dem Kind, kommt Förderbedarf nicht ausreichend nach. Bisher keine Kontaktaufnahme mit dem Jugendamt, da bestehende Probleme im freiwilligen Hilfenetzt aufgefangen werden konnten. Nun Pandemie bedingt einzige außerfamiliäre Bezugsperson. Termine werden nicht mehr eingehalten, da Mutter angibt, Pandemie bedingt, kein Risiko eingehen zu wollen. Kooperation und Absprachen funktionieren nicht mehr. • Anruf bei der Hotline: Was nun? Jugendamt? • Beratung: • Welche Hürden bestehen – mangelnde Problemwahrnehmung oder mangelnde Ressourcen? • Welche Maßnahmen sind aus medizinischer Sicht zwingend? • Welche alternativen Möglichkeiten gibt es, diese wahrzunehmen? • Sind die Eltern willens, sich selbst um notwendige Hilfe zu bemühen? • Wenn es nicht gelingt, in der Zusammenarbeit mit den Eltern, diese zwingenden Maßnahmen umzusetzen und Hilfe abgelehnt wird, darf und soll das Jugendamt informiert werden • Gespräch über Dringlichkeit führen, Alternativen darlegen • Wichtig: Dann auch dem Jugendamt deutlich machen, welche medizinischen Maßnahmen umgesetzt werden müssen
Entwicklung im Allgemeinen Kontext der Kinderschutzarbeit
Vergleich Kinderschutzfälle Kliniken und Ambulanzen in Deutschland
Externe Evaluation durch das DJI
Externen Evaluation durch das DJI Quelle: Dr. Kindler/ Miehlbradt, DJI
Ergebnisse externe Evaluation • Ein deutlich erkennbarer Anstieg der Inanspruchnahme der Hotline seit Juli 2017. Die Hotline wird allgemein sehr gut angenommen und gezielt fallbezogen und mit konkretem Anliegen kontaktiert. • Ein hoher Anteil der Anrufe kommt aus dem Bereich der niedergelassenen Praxen. Das ist besonders erfreulich, da diese Gruppe häufig eher schwer zu erreichen ist. Insgesamt besteht eine breite Nachfrage und Akzeptanz der Hotline. Quelle: Dr. Kindler/ Miehlbradt, DJI
Ergebnisse externe Evaluation Es zeigt sich eine sehr hohe Zufriedenheit bei den Anrufenden. Die Beratung führt überwiegend zu mehr Handlungssicherheit der Anrufer*In. Die Akquise über aktive Medienarbeit des Projekts ist sehr erfolgreich. Nach dem Gespräch wollen viele das Projekt ausdrücklich unterstützen und machen sich die Mehrarbeit an der externen Evaluation teilzunehmen. Quelle: Dr. Kindler/ Miehlbradt, DJI
Entwicklung der Medizinischen Kinderschutzhotline seit Projektstart
Übersicht Meilensteine 2016 - 2018 07/2018 Vorortbesuch von 04/2017 Frau Dr. Giffey Start 11/2017 10/2016 Pilotbetrieb in Berlin, 1. Kitteltaschenkarte Projektstart Branden- 09/2017 burg und 1. Fachkonferenz Baden- 2. Beiratstreffen Württemberg 2016 2017 2018 02/2017 07/2017 2018 09/2018 1. Beiratstreffen Start des deutsch- WHO nennt Hotline 2. Fachkonferenz landweiten Regel- als Positivbeispiel betriebs Pressekonferenz mit Frau Dr. Barley
Übersicht Meilensteine 2019-2021 08/2019 Antragstellung Er- Weiterung der 03/2020 01/2021 Beratung Kitteltaschen- Zusage Karte Corona Erweiterung 01/2019 05/2019 und Zusage für Verläng- Verlänge- 3. Beiratstreffen rung bis 2014 erung bis 09/21 2019 2020 2021 05/2019 08/2020 02/2021 Positive externe 4. Beirats- Fachkonferenz Evaluation treffen im Hybridformat durch das DJI mit mehr als 700 Teilnehmenden
Team der Medizinischen Kinderschutzhotline
Struktur DRK Kliniken Berlin | Westend: Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Universitätsklinikum Ulm: Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie Universitätsklinikum Freiburg: Institut für Rechtsmedizin
Projektstruktur
Qualifikation der Berater*Innen • Ärztinnen und Ärzte aus den Fachbereichen Kinder- und Jugendpsychiatrie, Pädiatrie und Rechtsmedizin • 5 Fachärzt*Innen • E-Learning Grundkurs Kinderschutz in der Medizin • Zertifizierung Kinderschutzmediziner*In (DGKiM) • Schulung zur insoweit erfahrenen Fachkraft • Teilnahme an der InterCAP 2019
bundesweite Befragung
Bundesweite Befragung von Berufsgeheimnisträgern • Befragung aller in Deutschland tätigen • Kinder- und Jugendmediziner*innen • Kinder- und Jugendpsychiater*innen • Kinderchirurg*innen • Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen • Zeitraum: Oktober 2019 – Februar 2020 • Kooperation mit DGKJ, DGKJP, DGKCh, fast allen Landespsychotherapeutenkammern • Fragen zur rechtlicher Situation im Kinderschutzfall • Artikel ist derzeit im Review- Verfahren
Bundesweite Befragung von Berufsgeheimnisträgern • Die Wahrscheinlichkeit von einer Kindeswohlgefährdung auszugehen war bei Ärzt*Innen 3-fach höher, wenn eine Kinderschutzfortbildung gemacht worden war. • Alle Teilnehmer*Innen wiesen eine signifikant höhere Chance auf sich an das Jugendamt zu wenden, wenn in den vergangenen 12 Monaten bereits ein KWG Fall vorgelegen hatte. • Eine größere Erfahrung mit Kinderschutzfällen war mit der doppelten Wahrscheinlichkeit verbunden, im vorliegenden Fall richtig vorzugehen. • Deutlich das auch 8 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetztes große Unsicherheiten im Vorgehen bestehen. • Große Mehrzahl gibt an, nicht zu wissen, welche Auswirkungen das BKischG auf konkrete Entwcheidungen hat. • Die Mehrheit hat fälschlicherweise angegeben, auch die Polizei gegen Willen der Eltern zu informieren. • Die Sicherheit in der Anwendung des Rechtsrahmen steigt mit der Erfahrung.
Welche Aussage zum Bundeskinderschutzgesetz trifft auf Sie zu? Kinderchirurgen (N = 40) 44,74 55,26 Pädiater (N = 1832) 12,46 70,35 17,18 Psychotherapeuten/Psychiater ( N = 795) 11,86 68,94 19,2 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Ich kenne das Bundeskinderschutzgesetz nicht Ich habe bereits vom Bundeskinderschutzgesetz gehört, aber fühle mich nicht sicher in der Anwendung auf einen konkreten Fall Ich kenne das Bundeskinderschutzgesetz und fühle mich sicher in der Anwendung auf einen konkreten Fall
Ich hätte mich für diese Entscheidung gerne durch die Medizinische Kinderschutzhotline beraten lassen. Kinderchirurgen (N = 33) 45,45 54,55 Pädiater (N = 1607) 82,32 17,68 Psychotherapeuten/Psychiater ( N =651) 78,58 21,42 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Ja Nein
Wie groß müsste die Wahrscheinlichkeit für Misshandlung / Missbrauch / Vernachlässigung sein, damit für Sie „gewichtige Anhaltspunkte“ für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen würden? Damit ist gemeint: bräuchten Sie eine 100%ige Sicherheit, es liege Misshandlung / Missbrauch / Vernachlässigung vor, bevor Sie von gewichtigen Anhaltspunkten sprechen, eine 1%ige Wahrscheinlichkeit oder etwas dazwischen?) 51,5 59,1 60,9 0 20 40 60 80 100 Kinderchirurgen ( N = 33) Pädiater ( N = 1625) Psychotherapeuten / Psychiater ( N =685)
Aktivitäten/ Pandemie
Publikationen und Berichterstattung
Publikationen
Kitteltaschenkarten • Aktuell 7 Versionen zu den Themen: • Kindesmisshandlung • Schütteltrauma • Frakturen • Sexueller Missbrauch • Kinder psychisch kranker Eltern • Informationen Covid-19 (Eltern) • Informationen Covid-19 (Fachkräfte) • Bisher mehr als 50.000 Exemplare gedruckt und verteilt • Große Nachfrage auch ohne Werbung
Kitteltaschenkarten
Kitteltaschenkarten-APP • App mit den Kitteltaschenkarten • Kostenlos im google Playstore • Veröffentlichung im Apple-Store in Arbeit
Drei Ebenen der Kindeswohlgefährdung
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Barbara Holzmann Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde Kinderschutzmedizinerin Mitarbeiterin der Medizinischen Kinderschutzhotline
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Gefördert von:
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