"Full Metal Village" - Norient

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"Full Metal Village" - Norient
«Full Metal Village» | norient.com                                    24 Aug 2024 21:34:30

    «Full Metal Village»
    R E V I E W by Sarah Chaker

    Ein Bauerndorf in Deutschland wird überschwemmt von
    «Wochenend-Metallern»! Ein Dokumentarfilm von Cho
    Sung-Hyung (Korea/Deutschland).

    Wacken – für Freunde harter Gitarrenmusik ist dieser Ort untrennbar mit dem
    Wacken Open Air verbunden, dem grössten Heavy Metal Festival der Welt.
    Seit 1990 findet es jährlich am ersten Wochenende im August statt, mehr als
    80’000 Menschen besuchten die Veranstaltung im Jahr 2010.

    Wacken – das ist aber auch und vor allem ein 1800-Seelen-Dorf in Schleswig-
    Holstein, hoch oben im Norden Deutschlands, dort, wo das Land flach und der
    Himmel weit ist, wo das Gras saftig grün hervorspriesst, die Häuser rot
    geklinkert sind und die Rinder schwarz-weisse Flecken tragen, wo der Wind
    stürmisch durch Wald und Wiesen fegt und durch Dorfstrassen, die auch am
    Tag leer und unbelebt erscheinen. Von den Bewohnerinnen und Bewohnern
    des kleinen Örtchens Wacken handelt dieser Film.

    Full Metal Village ist also kein Musikfilm, keine Heavy Metal-Dokumentation
    und auch keine Making-Off-Produktion des Wacken-Festivals, sondern ein
    «Heimatfilm» – so jedenfalls der mit einem kleinen Augenzwickern versehene
    Untertitel, der dennoch durchaus programmatischen Charakter hat. Mit
    instinktiv-sicherem Blick für interessante Charaktere und Geschichten
    gewährt Regisseurin Cho Sung-Hyung einen intimen Einblick in die

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«Full Metal Village» | norient.com                                      24 Aug 2024 21:34:30

    bäuerliche Kultur Norddeutschlands nach der Jahrtausendwende und damit in
    eine Welt, die weiten Bevölkerungsschichten in Deutschland inzwischen kaum
    weniger fremd erscheinen dürfte als so manche juvenile Subkultur.

    Während das Festival lediglich den Anlass für das Dorfporträt darstellt, gilt
    Sung-Hyungs eigentliches Interesse den Einwohnern von Wacken – eine
    kluge Entscheidung, würde sich doch das Wacken Open Air als eine
    inzwischen hochgradig kommerzialisierte Veranstaltung für eine
    authentische filmische Studie über die Heavy Metal Szene ohnehin nicht
    eignen. Zu gross sind inzwischen die Anteile an sogenannten «Wochenend-
    Metallern», die weniger der Musik wegen zum Wacken fahren als deshalb, um
    sich dort einmal so richtig gehen lassen zu können. Mittlerweile als
    «Ballermann des Nordens» (SpiegelOnline) verschrien, haben sich weite Teile
    der Heavy Metal Szene längst von diesem Festival abgewandt.

    Was sind das nun für Menschen, die in Wacken leben? Wie sieht ihr Alltag
    aus? Und wie gehen sie mit der alljährlichen «Invasion» ihres Zuhauses durch
    Tausende von Festivalbesucher um?

    Da ist zum Beispiel der geschäftstüchtige Bauer Trede, der den Veranstaltern
    des Open Airs seine Wiesen verpachtet: Schon morgens checkt er den
    aktuellen Stand der Aktien und rät Männern ab 65 zu mindestens einer
    Freundin neben der Ehepartnerin, um letztere zu «entlasten». Die 16-jährige
    Kathrin träumt von einer Model-Karriere in der Stadt und freut sich über das
    Festival in unmittelbarer Nachbarschaft, bedeutet es für junge Menschen wie
    sie doch eine echte Abwechslung vom ansonsten eher ereignisarmen Alltag.
    Bauer Plähn, den das Event eher weniger zu interessieren scheint, erklärt auf
    rührend geduldige Art die Unterschiede zwischen Kühen, Kälbern, Bullen und
    Ochsen. Und Oma Irmchen, die nach wie vor nicht recht weiss, was von den
    jährlich in Wacken einfallenden schwarzen Horden zu halten ist und deshalb
    vorsorglich in dieser Zeit verreist, präsentiert ebenso stolz wie ehrfürchtig
    ihre selbstgezogenen Kartoffeln.

    Dem «entschleunigten» Leben in Wacken und der norddeutschen Mentalität
    entsprechend verzichtet Sung-Hyung in ihrem Film auf schnelle Schnitte und
    lässt die häufig von einer unfreiwilligen Situationskomik geprägten
    Sequenzen in voller Länge auf den Zuschauer wirken. Genau beobachtend,
    neugierig fragend, aber nie wertend gelingt es der Filmemacherin, das
    Vertrauen der interviewten Menschen zu gewinnen, die sich in diesem Film so
    frei und natürlich äussern, als würde keine Kamera zwischen ihnen und Sung-
    Hyung stehen. Ein tiefsinniger, liebenswerter Film, und auch wenn der «Clash
    der Kulturen», den die Regisseurin nach eigener Aussage eigentlich
    ursprünglich hatte zeigen wollen, ausbleibt: eine hochinteressante Studie
    über kulturell geprägte Mentalitäten und Identitäten im heutigen
    Deutschland – wirklich sehenswert!

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    Sarah Chaker, Musikwissenschaftlerin mit einem Faible u.a. für harte Rockmusik,
    arbeitet derzeit als Universitätsassistentin am Institut für Musiksoziologie der
    Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.

    → published on january 15, 2011

    → last updated on april 30, 2024

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