Hardliner - Zeit für Helden - Jens Wiemken - EduGroup
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Medien und Gewalt – ist Gewalt (v)erlernbar? 6 Niedersächsisches Landesinstitut für Fortbildung und Weiterbildung im Schulwesen und Medienpädagogik (NLI) Niedersächsische Landesmedienanstalt für privaten Rundfunk (NLM) Jens Wiemken Hardliner – Zeit für Helden Ein Modell zum pädagogischen Umgang mit Bildschirmspielen in und außerhalb der Schule
NLI: „Gewalt in den Medien – ist Gewalt (v)erlernbar?“ 6 Inhalt Vorwort 3 1. Theorie 4 1.1 Pädagogik und Bildschirmspiele 4 1.2 „Breaking the Rules“ als pädagogische Herausforderung 5 1.2.1 Roboterspiel 6 1.2.2 Pacman 7 1.3 Gewalt in Bildschirmspielen 9 1.3.1 DOOM/QUAKE – 3D-Ego-Shooter 10 1.3.2 COMMAND & CONQUER 13 1.3.3 Warum spielen Kinder und Jugendliche Bildschirmspiele mit Gewaltinhalten? – Fünf Thesen 14 1.4 „Hardliners“ – Zeit der Helden 17 1.4.1 Vorbemerkung 17 1.4.2 Hardliner-Konzept 18 1.4.3 Arbeitsziel Empathie 21 1.5 Literaturverzeichnis 23 2. Praxis 27 2.1 Geländespiel mit zwei 7. Klassen 27 2.2 Schulspiel mit einer Orientierungsstufen-Klasse 34 2.3 Geländespiel in der außerschulischen Jugendarbeit 41 3. Anhang 47 a) Spielbeispiele 47 i) Aktionsreiche Gruppenspiele 47 ii) Wahrnehmungsspiele 47 b) Grundkonzepte für Schul- und Geländespiele 48 i) Breaking the Rules 48 ii) Hardliner 48 c) Fragebogen Bildschirmkenntnisse 53 d) Beispiel für Arbeitsvertrag 54 e) Beispiele für Kriegsverträge 54 f) Selbstdarstellung der Jugendbildungsarbeit des Landkreises Vechta 55 2
Jens Wiemken: Hardliner – Zeit für Helden Vorwort Wenn Gewalt zum Gegenstand der Diskussion wird, Zu unterschiedlichen Teilaspekten von „Medien und kommen auch immer die Medien zur Sprache. Die Gewalt“ sind im Rahmen des Projektes solche Medienpädagogik wehrt sich zunehmend gegen ihre Materialienpakete entwickelt worden. Sie enthalten Instrumentalisierung in dieser Diskussion. Alle Unter- suchungen zum Thema „Gewalt in den Medien“ ha- • Basisinformationen und Literatur zu spezifischen ben gezeigt, dass der Einfluss der Massenmedien auf Aspekten des jeweiligen Themas Einstellungen und Verhalten nicht exakt zu messen ist. Richtung und Stärke dieses Einflusses ergeben sich • Eine methodische Handreichung für die schulische, erst aus dem Zusammenspiel mit Erfahrungen und zum Teil auch außerschulische Bildungsarbeit Einflüssen aus Sozialisations- und Alltagskontexten. • Medien zu den einzelnen Themenaspekten (Dias, Daraus lässt sich jedoch nicht folgern, dass Medien- Folien, Filmbeispiele, Arbeitsblätter) mit konkreten nutzung völlig wirkungslos bleibt. Sie kann vorhande- didaktischen und methodischen Anleitungen. ne Einstellungen verstärken, und dies gerade bei Kin- dern und Jugendlichen, die im Rahmen ihrer Persön- Je nach Thema sind die Materialpakete in unter- lichkeitsbildung noch über kein ausgeprägtes Werte- schiedlichen Schulformen und Altersstufen einsetz- system verfügen. bar, vom Primarbereich bis zur Sekundarstufe II. Zwar hat Bildungsarbeit, sei sie schulisch oder außer- Die Materialpakete im einzelnen: schulisch, nur einen begrenzten Einfluss auf Einstel- lungen, die vorwiegend in der Familie ausgeprägt 1. Wolfgang Schill: Kleine Helden in Aktion – werden. Dies gilt auch für den Bereich der Medien. Es Materialien zum Thema „Action-Helden im Fern- wäre jedoch falsch, aus diesem Grund auf pädagogi- sehen“ für das 3./4. Schuljahr sches Handeln in diesem Feld zu verzichten. Die vor- liegenden Forschungsergebnisse stützen die Annah- 2. Matthias Günther: Fersehalltag und Medien- me, dass Medieninhalte erst dann verhaltenswirksam ängste von Kindern. Unterrichtsvorschläge für werden, wenn aus ihnen Modelle abgeleitet und die- Lehrkräfte an Fachschulen für Sozialpädagogik se über Sprache und Vorstellungen im Gedächtnis abgebildet bzw. Medieninhalte in vorhandene verhal- 3. Holger Salomo: Sportidole – Medienhelden – tensleitende Modelle integriert werden. Dieser Pro- Fußballgötter. Ein medienpädagogisches Projekt zess ist ein aktiver und selektiver Vorgang und damit für Schüler(innen) an der Grundschule und Orien- von außen – gerade über die pädagogische Arbeit – tierungsstufe beeinflussbar. 4. Karin Stipp-Hagmann: Wie werden Helden ge- Ziel des Projektes ist, Materialien zu erstellen, in die macht? Filmanalyse in der Sekundarstufe II sich Pädagoginnen und Pädagogen schnell einarbei- ten können, die konkrete didaktische und methodi- 5. Wolf-Rüdiger Wagner: Bilder von Tod und Krieg. sche Hilfestellungen bieten und damit die Eigeninitia- Kriegsberichterstattung in den Medien. Anregun- tive von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zur gen für den Unterricht in der Sekundarstufe II. Umsetzung des Themas in und außerhalb von Schule fördern. 6. Jens Wiemken: Hardliner – Zeit für Helden. Ein Modell zum pädagogischen Umgang mit Bildschirmspielen in und außerhalb von Schule. Matthias Günther 3
NLI: „Gewalt in den Medien – ist Gewalt (v)erlernbar?“ 6 1 Theorie 1.1 Pädagogik und Bildschirmspiele Ohne Rücksicht auf die pädagogischen Einwände er- neben Spielen an. Analog zu diesen Befunden oberten sich Kinder und Jugendliche Computer und stieg der Anteil der Spieleabstinenzler auf 14 Pro- Spielkonsolen als neue virtuelle Räume des Auspro- zent. Die meisten Kinder nutzen den PC sowohl bierens und des Erlebens. Mittlerweile gehören die zum Spielen als auch zum Lernen, Programmieren, elektronischen Spiele, die unter dem Begriff Bild- Malen, Rechnen und Schreiben (54 %). schirmspiele subsumiert werden, zum selbstverständ- • Bei der Stichprobe von Friedemann Schindler und lichen Medienalltag von Kindern und Jugendlichen. mir, die 1996 von 226 Kindern und Jugendlichen Untersuchungen zu der Frage, wozu Kinder und Ju- im Alter von 6 bis 22 Jahren in Vechta und Bremen gendliche in ihrer Freizeit den Computer benutzen, durch einen standardisierten Fragebogen Auskünf- ergeben teilweise unterschiedliche Ergebnisse, wie te zur Computerbenutzung einholte, lag das Item folgende drei Studien exemplarisch belegen. „häufig oder manchmal zum Spielen“ an erster • Schindler kam 1992 aufgrund seiner Befragung in Stelle.1 (s.a. Abbildung 1) Bremen zu dem eindeutigen Ergebnis, dass Kinder und Jugendliche den Computer in erster Linie als Auch die Spiele-Kenntnisse der Kinder und Jugendli- Spielemaschine nutzen (Schindler 1993). Über 90 chen in den im Praxisbeispiel angeführten Klassen Prozent der Befragten spielten damals manchmal verweist auf eine häufige Beschäftigung mit Bild- mit einem Rechner, fast die Hälfte von ihnen tat schirmspielen. Eltern und Pädagogen ignorieren die- dies sogar häufig. Nur jeder sechste PC-Besitzer be- sen Bestandteil der Alltagswirklichkeit der nachfol- nutzte häufig Anwenderprogramme, und nur je- genden Generation. Es existiert „ein Abgrund von der zwanzigste beschäftigte sich intensiv damit, Nicht-Wissen und Nicht-Kennen zwischen den Gene- seinen Rechner zu programmieren. rationen“ (Bergmann 1996.48). Wie auch an anderer • Weilers (Weiler 1997) Analyse der Computer- Stelle schon dargelegt (Schindler/Wiemken 1996, nutzung nach rein spielerischer Tätigkeit einerseits 245ff.), besteht ein dringender Bedarf an praktischer und kreativerer Nutzung des PCs andererseits er- pädagogischer Auseinandersetzung mit Computer- gab, dass der Anteil der Kinder, die nur spielen, spielen, welche die Interessen von bildschirmspielen- von 1993 auf 1995 stark abgenommen hat. Be- den Kindern und Jugendlichen aufgreift und nutzt. kannten sich noch 1993 nahezu die Hälfte aller Die Pädagogik verkennt die Möglichkeiten, die Bild- Kinder (48 %) als reine Spieler, erwiesen sich 1995 schirmspiele bieten, um Beziehungen zu Kindern und nur noch ein Drittel der Sechs- bis 13jährigen als Jugendlichen aufzubauen und Bildschirmspielerleb- Spielefreaks. Nur noch jeder fünfte Zwölf- bis nisse z.B. als Gesprächsanlässe zu Themen wie Gewalt 13jährige gab 1995 keine weiteren PC-Tätigkeiten zu nutzen. Abb. 1: Ergebnisse der Befragung 1996 in Vechta und Bremen 4
Jens Wiemken: Hardliner – Zeit für Helden 1.2 „Breaking the Rules“ als pädagogische werkszeug, wie es beispielsweise die Spielpädagogik Herausforderung bietet. Solch einfache, aber immer noch wichtige Mit- tel wie ein Dreieckstuch vermögen die Spieldynamik Sacher merkte 1994 hinsichtlich der Übertragung von eines zuvor als fest angesehenen Spielprinzips aufzu- Gewalt in Bildschirmspielen in die Realität durch Spie- brechen und zu erweitern. ler an, dass „Computerspiele wie alle Medien nur die Realität widerspiegeln (dabei vielleicht manches ver- Vor der Einbringung, Loslösung und Verfremdung viel- größern oder verzerren), sie aber nicht schaffen.“ leicht anders einzusetzender Elemente steht die inten- (Sacher 1994). Die ernstere pädagogische Herausforde- sive Auseinandersetzung mit Bildschirmspielen und de- rung läge darin, dass Kinder und Jugendlichen in einer ren Analyse. Im Sinne der Medienpädagogik geschieht Umwelt leben, in welcher Aggression, Egoismus, Neid an dieser Stelle ein wichtiger Schritt der von Baacke und Konkurrenzdruck ganz alltäglich sind. Bloße (z.B. Baacke 1997) u. a. geforderten Medienkompe- Medienpädagogik greift da zu kurz. Der von mir ent- tenz. Die Kinder und Jugendlichen beschäftigen sich wickelte „Breaking the Rules“-Ansatz versucht hand- aus der Distanz heraus mit dem Medium Bildschirm- lungs- und prozessorientiert das Interesse der jungen spiel und entdecken die spielbestimmenden Elemente, Bildschirmspieler als Impuls für eine bedürfnis- die das „Gameplay“ ausmachen. Eine solche Heran- orientierte Jugendbildungsarbeit zu nutzen. gehensweise von Seiten der Medien- oder Spielpäda- gogen bot aus meiner Sicht eine Alternative von Die Anfänge dieses Ansatzes lagen in der Beobachtung vielen zur allzu häufigen Flucht in die bewahrpädago- von offenen Spieletreffs in Jugendzentren oder ande- gische Strategie, zum erhobenen „pädagogischen Zei- ren Institutionen, welche Kindern und Jugendlichen gefinger“. Gelegenheit bieten, sich untereinander auszutauschen. Die Bildung von sogenannten „informellen Zellen“ un- Hinter dem von mir entwickelten „Breaking the ter Computerspielern2 gilt als hinlänglich bekannt und Rules“-Ansatz6 stand somit die Absicht, Bildschirm- nachgewiesen. Durch das Austauschen von Schummel- spiele zu reflektieren und zu analysieren, sie dann „er- tricks, sogenannten „Cheats“, umschiffen routinierte lebbar“ zu gestalten und zudem für gruppendyna- Spieler ohne langes Studieren der Spielanleitung rasch mische Zwecke zu „missbrauchen“. Diese Absichten ein vorzeitiges Spielende.3 Fehler und Lücken in gliederten sich eher erlebnispädagogischen Ansätzen Computerspielen bieten immer wieder Gelegenheit, einer außerschulischen Jugendarbeit als schulpädago- die vorgegebenen starren Regeln zu durchbrechen gischen Ansätzen7 unter, obwohl die meisten Ansätze, und Raum für eigensinnige Spielstrategien zu schaf- Computerspiele erfahrbar und erlebbar zu machen, fen.4 Kinder bearbeiten so ihrerseits schon lange bisher zumeist im schulischen Rahmen abliefen. Das Computerspiele. Sie brechen wie selbstverständlich wohl bekannteste Beispiel ist die Umsetzung des be- vorgegebene Regeln. Maaß erwähnt beispielsweise, kannten SUPER-MARIO-LAND, eines Jump’n Run-Spiels, dass es Kinder und Jugendliche gibt, „die z.B. alle vier im Rahmen des Sportunterrichts von Wagner (Wagner Rollen im Adventure alleine spielen“ (Maaß 1994.18). 1992). Auch Fritz versucht Lehrer zu ermutigen, Com- Es ist die von Fromme angesprochene „gehörige Porti- puterspiele in Szene umzusetzen (Fritz 1995). Seiner on Eigensinn“, die Kinder als „aktive Personen“ in das Meinung nach gehören Computerspiele zum legitimen Spiel einbringen (Fromme 1995.48). Unterrichtsgegenstand. Über das bloße Darstellungs- Anhand solcher Eingriffe von Jugendlichen in die Spiel- struktur und auch meinen Erfahrungen zufolge verliert die vorgegebene Programmstruktur von Bildschirm- spielen an Starrheit. Pädagogen beklagten im Zu- sammenhang mit diesen Spielen immer wieder eine vermeintliche „Diktatur der Maschine“, die den An- wender zu bestimmten Handlungen und Spielweisen zwingt. Computerspielregeln als Gesetzmäßigkeiten lassen sich aber gezielt aufbrechen und missachten, wie viele Spieler und die zahlreichen Schummeltricks in diversen Spielemagazinen beweisen. Der Pädagoge, der Eingriffsmöglichkeiten und Zugänge in die von der Industrie gesetzten elektronischen Spielwelten sucht, sieht sich durch die „Medienkompetenz“ der Kinder und Jugendlichen nun seinerseits ermutigt, pädagogi- schen „Sinn“ einzubringen. Dies setzt keineswegs Pro- grammierkenntnisse voraus5, sondern lediglich die Rückbesinnung auf altbekanntes pädagogisches Hand- Abb. 2: Tödliches Gemetzel der Mörderspinnen 5
NLI: „Gewalt in den Medien – ist Gewalt (v)erlernbar?“ 6 spiel (Rollenspiele wie „mitten im schönsten Compu- • Die Kinder spielen zu zweit das Spiel gemäß Spiel- terspiel kommt Besuch“) schildert er auch die Umset- anleitung. In dem Fotobeispiel (s.a. Abbildung 3) zung des Denkspiels8 LEMMINGS in die Realität. Kleine spielt die Gruppe zwar das Geschicklichkeitsspiel Schülergruppen entwerfen Lemming-Szenarien und TETRIS, ich favorisiere immer noch das kleine MS- präsentieren diese vor anderen Klassen. DOS-Freeware-Spiel DAS TÖDLICHE GEMETZEL DER MÖRDERSPINNEN (s.a. Abbildung 2 und beiliegen- Der Ansatz „Breaking the Rules“ setzt ebenso bei der des Video). Entgegen dem blutrünstigem Titel steu- Selbsterzeugung von Szenen und Handlungsräumen ern die beiden Spieler an einer Tastatur gleichzeitig durch bildschirmspielbegeisterte Kinder und Jugend- zwei Spinnen, eine blaue und eine gelbe. Diese be- liche an wie bei der Einmischung des Medienpädago- finden sich in einem Spieleraster, in dem rote Punk- gen, der mit den herausgelösten Computerspielele- te auftauchen. Es gilt nun diese Punkte abzuschie- menten frei experimentiert, um neue „Erlebnisräume“ ßen, also schneller in Schußreichweite zu gelangen für sein Klientel zu schaffen. Medienpädagogik sollte als die andere Spinne. Bei sieben abgeschossenen meines Erachtens neben der Vermittlung von Medien- Punkten gibt es einen Spielpunkt. Diesen erhält der kompetenz auch für Vermittlung von sozialer Kompe- Spieler aber auch für das sofortige Abschießen der tenz sorgen. Der Medienpädagoge hat Räume zu ge- gegnerischen Spinne. Gewinner ist, wer zuerst fünf stalten, „die nicht nur das praktische Umgehen mit Spielpunkte erkämpft. Dieses einfache Spiel führt den medialen Möglichkeiten, sondern auch soziale In- oft zu einer hektischen Verfolgungsjagd über den teraktion erlauben“ (Theunert 1996). Bildschirm. Schon in dieser Phase lasse ich die Teil- nehmer die Partner tauschen. Denn schnell stellt Die Beispiele des „Roboterspiels“ und des Geschick- sich heraus, dass einer der beiden Spieler besser ist. lichkeitsspiele-Klassikers PACMAN verdeutlichen im fol- So werden Gewinner neben Gewinner und Verlierer genden kurz, wie sich der „Breaking the Rules“-Ansatz neben Verlierer gesetzt, „um eine bessere Chance von der Idee zur Methode entwickelte. zu haben“. Positiver Nebeneffekt der Umsetz-Akti- on ist das Auseinanderreißen der Cliquen. Die Teil- nehmer kommen oft in Zweier-Grüppchen zu sol- 1.2.1 Roboterspiel chen außerschulischen und schulischen Angeboten („Ich habe mich angemeldet, weil meine Freundin/ Den ersten Schritt unternahm ich während eines ein- mein Freund sich angemeldet hat.“). wöchigen Computercamps anlässlich einer Camp- • Die neu entstandenen Zweiergruppen erhalten ein Olympiade, um endlich die allseits bekannte Compu- Dreieckstuch, was zunächst einem Partner vor die ter-Rallye (Wechsel von Spiel zu Spiel und Punkte Augen gebunden wird (s.a. Abbildung 4a). Der se- sammeln) abzulösen. Im Laufe der Jahre verfeinerte hende Partner erhält einen Zettel, auf dem ein Ort ich das Verfahren, so dass es jetzt als ein fester Be- steht, zu dem er seinen „blinden“ Partner mit Wor- standteil der Kennenlernphase eingebaut ist. Compu- ten geleiten muss, ohne ihn zu berühren. An dem ter, ein kleines und schnell zu verstehendes Zwei-Per- Ort angekommen, tauschen beide die Rollen und es sonen-Bildschirmspiel und Anleihen von bekannten geht wieder zurück. Vertrauensspielen, wie Dreieckstücher9 zum Verbinden • Dieses Vertrauensspiel wird jetzt mit dem zuvor trai- der Augen, reichen aus. Das Roboterspiel selbst unter- niertem Computerspiel verbunden. Der „Steuer- teilt sich in vier Phasen: mann“ sitzt mit dem Rücken zum Computer, während Abb. 3: Phase 1/Gemeinsames Erlernen des Spiels Abb. 4a: Phase 2/Führung des Blinden 6
Jens Wiemken: Hardliner – Zeit für Helden ner in den meisten Fällen nicht, sondern liefen voraus, ohne sich um den Partner zu kümmern oder ihn zu warnen. Im Gegenteil, aufgrund ihrer Ungeduld for- derten sie den Nichtsehenden teilweise sogar zum Lau- fen auf. So kommt es in den Jungengruppen während dieser Phase immer wieder zu Stürzen. Auf den Um- stand der fehlenden Empathie, besonders bei Jungen, werde ich später noch eingehen. 1.2.2 PACMAN Das vollständige Herauslösen eines Computerspiels aus dem Monitor und die Übersetzung in die „Wirk- lichkeit“ mit all seinen Regeln stellt auch für die au- Abb. 4b: Phase 3/Training ßerschulische Jugendarbeit eine besondere Heraus- forderung dar. Dieser Prozess erfordert von Seiten der Spielgestalter und der Mitspieler Kreativität und Einfühlungsvermögen. Die Umsetzung von PACMAN nahmen meine Kolleginnen, meine Kollegen und ich zum ersten Mal anlässlich eines „Computer für Mäd- chen“-Seminars Ostern 1995 im Rahmen der Jugend- bildungsarbeit des Landkreises Vechta vor. Als umzu- setzendes Spiel wählten wir PACMAN. Dieses Spiel aus dem Jahre 1982 ist bei den wenigsten der Bild- schirmspieler noch bekannt. So mussten die Teilneh- mer auch, wie beim vorherigen Beispiel, dieses Spiel erst einmal spielen lernen. Bei der gemeinsamen Ana- lyse ergaben sich folgende Spielelemente10: Pacman: die Spielfigur, die in dem Spiel blind ist und von außen gesteuert werden muss; Spieler: steuert Pacman; Abb. 4c: Phase 4/Wettbewerb Mehrere Monster: verfolgen Pacman und versuchen ihn zu „fressen“; der „Navigator“ ihn mit kurzen Kommandos über den Spielfeld: ein Labyrinth; Bildschirm führt (s. a. Abbildung 4b). Beide tauschen Aufzusammelnde Punkte: liegen im Spielfeld und die Rollen und müssen jeweils die linke wie auch die müssen von Pacman „gefressen“ werden; rechte Tastatur-Steuerung trainieren. Vier Powerpoints: verleihen Pacman für einen kurzen • Nach einer Trainingsphase geben sich die Gruppen Zeitraum Spezialkräfte, damit er seinerseits die Mon- Namen, dann kämpfen die Teams gegeneinander an ster fressen kann; einem Computer. Ein Paar lenkt zusammen die gelbe Spinne, das andere die blaue. Dabei stehen die Navi- gatoren seitlich neben den Steuermännern und ge- ben ihnen Anweisungen (s. a. Abbildung 4c). Das Reizvolle am „Roboterspiel“: durch den Wegfall des Augensinnes fehlt plötzlich bei den Spielern der für das Bildschirmspiel wichtigste Sinn. Die normale Verbindung Auge-Hand reißt ab. Die Konzentration des Steuermanns gilt voll und ganz dem Navigator. Ei- nes fiel grundsätzlich auf: Während der zweiten Phase unterschieden sich Jungengruppen immer wieder deutlich von Mädchengruppen. Die Mädchen liefen immer neben der anvertrauten „blinden“ Partnerin her, beschrieben ihr während der ganzen Zeit die Um- gebung und machten sie schon einige Zeit vorher auf Abb. 5: Pacman mit Original-Raster eine Treppe oder ein anderes Hindernis aufmerksam. Jungen hingegen begleiteten ihren anvertrauten Part- 7
NLI: „Gewalt in den Medien – ist Gewalt (v)erlernbar?“ 6 Die Kirsche: taucht sporadisch im laufenden Spiel auf mente aus der Spielpädagogik, um die „Monster“ wie und kann die Punktzahl erhöhen. auch „Pacman“ zu behindern. Im Computerspiel er- blickt nur der außenstehende, sich nicht selbst im Nach der Analyse der Spielelemente beschränkten Spielraster befindliche und Joystick-haltende Steuer- sich die Gruppen auf einen Level. Als Baumaterial mann die Spielsituation. Um dies auch in der Umset- standen ca. 30 Besenstile zur Verfügung, welche mit zung zu gewährleisten, verbanden wir allen am Spiel- Verkehrsband zu verbinden waren. Die Teilnehmer verlauf Beteiligten, die sich im Spielraster aufhielten, bekamen als Auftrag, einen Level mit dieser begrenz- also den „Monstern“ und „Pacman“, die Augen. Um ten Anzahl an Besenstilen zu konstruieren.11 Im an- den „Pacman“ von außen so steuern zu können, dass schließenden „Architekturwettbewerb“ entschied die „Monster“ nicht gleich wussten, wo er sich be- sich die Gruppe für einen Vorschlag. Den Level baute fand, setzten wir zwei Walkie-Talkies ein, über die die Gruppe auf einem Rasenstück auf. Dabei teilte sie der Steuermann seiner Spielfigur Befehle erteilen sich in drei Kleingruppen auf: Architekten, Besenstil- konnte. „Pacmans“ Behinderung resultierte zusätzlich Gruppe und Verkehrsband-Gruppe. durch ein um das Bein gebundene Glöckchenband, das den „Monstern“ einen akustischen Anhaltspunkt seines aktuellen Standorts gab. Vor jedem Start wur- den die „Monster“ von uns Spielleitern im Raster ver- teilt. Im Spiel selbst durften die „Monster“ durch zu- rufen miteinander kooperieren, was sie jedoch nie taten. „Pacman“ war solange auf der Flucht, bis er ei- nen „Power-Point“ berührte. Ab da zählte der „Po- wer-Point“ von 20 an laut rückwärts. In dieser Zeit konnte „Pacman“ auf die Jagd gehen. Erwischte er ein „Monster“, bekam er 100 Punkte. Wir Spielleiter zogen das berührte „Monster“ aus dem Raster und setzten es erst nach einer Weile wieder ein. Zwischen- durch stellten wir immer wieder die „Kirsche“ ins Spielfeld. Sie verkündete dies durch laute „Ich-bin- die-Kirsche“-Rufe. Für ein Berühren der „Kirsche“ er- Abb. 6: von Teilnehmern selbsterstelltes Pacman-Labyrinth gaben sich für „Pacman“ nochmals 100 Punkte. Wir hatten vor dem Spiel vereinbart, dass die Spielleiter die Zeit für jeden „Pacman“ stoppten und es für jede Die zwölf Kurs-Teilnehmer übernahmen während des Sekunde Überleben 10 Punkte gab. Während des Spiels im Wechsel folgende Funktionen: Vier Teilneh- Spiels tauschten die Kinder ständig die Rollen. Uns mer übernahmen die Rolle der „Powerpoints“, die in überraschte, dass die von uns eigentlich als Lückenbü- den vier Ecken plaziert wurden und bei einer Berüh- ßer übernommene „Kirsche“ eine der begehrtesten rung durch „Pacman“ laut von 20 bis 0 herunter- Rollen war. Das Spiel entwickelte rasch eine eigene zählen mussten, so dass jeder im Labyrinth wusste, Dynamik. Am Ende interessierte sich keiner der Teil- dass nun die Monster gefressen werden konnten. nehmer mehr dafür, wer denn nun gewonnen hatte. Fünf „Monster“ jagten „Pacman“. Ein Teilnehmer war die „Kirsche“. Jeweils zwei Teilnehmer gehörten Auch in diesem Spiel fiel uns das unterschiedliche zu einem Pacman-Team. Wir waren bei unserem er- Spielverhalten der Mädchen- und Jungengruppen sten Versuch zu keinem Entschluss gekommen, wie auf. Bei Pacman-Mädchen-Teams lobte der Steuer- wir das „Punkte-Fressen“ des eigentlichen Pacman- mann in regelmäßigen Abständen seinen „Pacman“, Spiels simulieren sollten, deshalb ließen wir sie weg um ihn zu motivieren. In den Jungen-Teams schnauz- und gestalteten das Spiel zu einem Fang-Spiel um.12 te der Steuermann seinen „Pacman“ an, wenn dieser Auch hier dienten uns wie schon zuvor bekannte Ele- gefährlich in die Nähe der Feinde kam. 8
Jens Wiemken: Hardliner – Zeit für Helden 1.3 Gewalt in Bildschirmspielen gefunden hatten, kamen in einer neuen Studie zu dem Ergebnis, „[...] dass aggressive Zwei-Personen- Die dargestellte und ausgeübte Gewaltdarstellung und Videospiele, unabhängig davon, ob sie kooperativ –verherrlichung in Bildschirmspielen galt in der medi- oder kompetitiv angelegt sind, zu einem Abbau von enpädagogischen Diskussion Mitte der 80er Jahre als aggressivem Verhalten führen“ (Greenfield 1987.97). Grund, Bildschirmspiele als nicht kind- und jugendge- Die Ergebnisse der verschiedenen empirischen Studi- recht einzustufen. Auch heute noch, Ende der 90er, en ordnen sich in vier theoretische Richtungen ein: herrscht das damals geprägte Vorurteil „Computer- • Die Simulationstheorie geht davon aus, dass spiele machen aggressiv“ in den Köpfen der meisten Spieler von Computer- und Bildschirmspielen mit Pädagogen vor. Die Medienwirkungsforschung wider- aggressiven Inhalten sich das auf dem Monitor spricht sich in ihren Ergebnissen immer wieder selbst, dargestellte Verhalten aneignen, also die Aggres- so dass sich hinsichtlich der Aggressivitäts-These keine sionsbereitschaft gefördert wird. endgültigen Aussagen machen lassen. Selbst wenn ein- • Die Inhibitionstheorie13 sagt, dass Gewaltdarstel- zelne Ergebnisse zeigen, dass Kinder nach dem Spielen lungen in Bildschirmspielen Angst erzeugen und so von Computerspielen vermehrt aggressives Verhalten die Bereitschaft zur eigenen Gewaltausübung ge- zeigen, so ist noch nicht belegt worden, dass sich diese hemmt wird. Aggressionsbereitschaft als festes Merkmal bei den be- • Die Habituationstheorie14 schreibt den Gewaltin- treffenden Personen etabliert. Sacher zufolge weisen szenierungen eine den Spieler abstumpfende Wir- von insgesamt 26 empirischen Untersuchungen, die kung zu. Damit wird eine Gewöhnung des Indivi- weltweit ermittelt werden konnten, nur sieben duums an Gewalt verursacht. Aggressionssteigerungen von Computerspielern nach • Die Katharsistheorie15 schließlich schreibt den ag- (Sacher 1994). Beachtung verdienen zudem noch zwei gressiven Inhalten von Computerspielen eine den Umstände: Spieler entspannende Wirkung zu. Spannungen • Gerade in den methodisch besonders sorgfältigen werden abgebaut, die Bereitschaft zu aggressivem Untersuchungen konnten keine aggressionsför- Verhalten wird gemindert. dernden Wirkungen nachgewiesen werden. Es hat den Anschein, dass aggressive Bildschirmspiele vor Der gesetzliche Jugendschutz in Form prüfender Insti- allem bei sehr jungen Kindern zu problematischen tutionen wie der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK)16 Effekten führen. oder der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende • Die manchmal geäußerte Vermutung, dass aggres- Schriften (BPjS) versuchen der Gewalt in Bildschirm- sive Bildschirmspiele in noch stärkerem Maße Ag- spielen durch Prädikate oder Indizierung entgegen zu gressionen erzeugen und bekräftigen als aggressi- treten. Eine Indizierung eines Programmes führt er- ve Videos, bestätigte sich nicht. Man könnte fahrungsgemäß aber bei Kindern und Jugendlichen annehmen, dass der Spieler sich wesentlich stärker leider auch zum gegenteiligen Effekt, da dieser Vor- mit aggressiven Figuren identifiziert als der Be- gang der Tabuisierung ein Programm oft erst richtig trachter von Videos, da er ja deren Part aktiv über- interessant macht. Der Charakter des Verruchten nimmt und gestaltet. In drei amerikanischen Un- trägt dazu bei, dass Jugendliche derartige Machwer- tersuchungen fand man aber heraus, dass es ke als kostbaren Besitz empfinden und als Statussym- keinen Unterschied macht, ob Probanden selbst bol betrachten. Das Beschaffen und Verteilen von in- spielen oder nur dem Spiel anderer zuschauen dizierten Bildschirmspielen gilt als Herausforderung, (was am ehesten mit der Situation des Video- die den Reiz des Verbotenen mit sich bringt. Der In- rezipienten vergleichbar ist). Auch darf man nicht dex der BPjS gilt unter Jugendlichen als „geheime Hit- übersehen, dass viele traditionelle Spiele wie liste“, alles was dort enthalten ist, muss in den Augen „Mensch ärgere-dich-nicht“ oder „Fang-den-Hut“ der Jugendlichen gut sein. Lediglich die Industrie aggressiv sind und Aggressionen provozieren kön- zieht Konsequenzen aus der Indizierung ihrer Produk- nen. So fand der Amerikaner Favaro in einer Un- te, da der wirtschaftliche Erfolg eines Computerspiels tersuchung aggressiver traditioneller Spiele und am deutschen Markt nach einer Indizierung rasch ge- aggressiver Computerspiele die höchste Aggres- gen Null sinkt (Gorman/Lober 1999.82). Entweder er- sionssteigerung bei einer aggressiven Variante von scheint das Spiel gar nicht erst in Deutschland oder „Darts“ Auch mäßig aggressives Fernsehen oder die Hersteller präsentieren spezielle deutsche Versio- aggressive Videos steigerten die Aggressionen nen ihrer Spiele, in denen in der Spielbeschreibung noch stärker als hochgradig aggressive Computer- menschliche Soldaten durch Roboter ersetzt werden, spiele. (Sacher 1994) die beispielsweise im Verlauf eines Kampfes nicht mehr schreien und „schwarzes Öl“ bluten. Diese „pro- Nach Greenfield sind die Auswirkungen von Gewalt phylaktische Wirkung“ der BPjS auf den Hersteller17 in Bildschirmspielen komplizierter als angenommen. umgehen die jugendlichen Bildschirmspieler, die sol- Dieselben Forscher, die Anfang der 80er Jahre negati- che entschärften Versionen ablehnen. Sie besorgen ve Auswirkungen bei Ein-Personen-Computerspielen sich das Original-Spiel im Ausland18, laden sich aus 9
NLI: „Gewalt in den Medien – ist Gewalt (v)erlernbar?“ 6 dem Internet einen sogenannten Patch herunter, wel- Medien Gewalt vermittelt wird. Nahezu alle Kinder cher die entschärfte deutsche Version in die interna- erleben in ihrem unmittelbaren Erfahrungsbereich tionale verwandelt, oder holen sich das Spiel als verschiedenste Formen von Gewalt. In diesem Sinne Raubkopie von einem ausländischen Server. Kurz: sehe ich im „Hardliner“-Ansatz die Beschäftigung von Verbote schrecken nicht vor Gebrauch und Weiterga- Kindern und Jugendlichen mit Gewaltspielen nicht als be von Computerspielen ab. eine Ursache von Aggression und Gewalt an, sondern eher als ein Symptom – als einen Versuch, Probleme Indizierung als bewahrpädagogische Maßnahme mit mit und Fragestellungen zu Gewalt in unserer Gesell- Blick auf die Kinder und Jugendlichen unter 18 Jah- schaft zu bearbeiten. ren dient zumeist als „Alibifunktion“, etwas Pädago- gisches getan zu haben. Bewahrt werden, realistisch In zwei folgenden Kapiteln werden exemplarisch die gesehen, in so einem Fall allerdings nicht die Kinder indizierten 3D-Ego-Shooter DOOM und QUAKE19 und oder Jugendlichen, sondern lediglich die eigenen das Echtzeitstrategiespiel COMMAND & CONQUER, pädagogischen Anschauungen. Die Alternative zur In- drei unter Jugendlichen sehr bekannte Computer- dizierung, jegliche Programme freizugeben und sich spiele20, vorgestellt. Alle drei thematisieren Gewalt als Pädagoge nicht mehr darum zu kümmern, er- oder Krieg, die Spielziele sind auf den ersten Blick de- scheint allerdings auch nicht verlockend. Stattdessen struktiv: Der oder die Gegner müssen besiegt, ver- sehe ich gerade hinsichtlich der Spiele mit Gewalt- nichtet oder umgebracht werden, um zu gewinnen. inhalten eine aktive, medienpädagogische Jugendar- Die Wege und Mittel zur Erreichung des Ziels sind ge- beit als eine Art beziehungsaufbauenden, erzieheri- walttätig: Gegner müssen mit der Axt attackiert, mit schen und „aktiven“ Jugendschutz angebracht. einem Maschinengewehr zerlöchert, Gebiete müssen Pädagogen, die sich mit den Alltagsmedien der Kin- erobert, feindliche Einheiten vernichtet, eigene Ar- der und Jugendlichen beschäftigen, erhalten nicht meen aufgebaut und in den Kampf geführt werden. nur Einblick in deren Alltagswirklichkeit, sondern be- merken vielleicht auch die latenten Kommunikations- bedürfnisse und –themen, die die Beschäftigung mit 1.3.1 DOOM/ QUAKE – 3D-Ego-Shooter indizierten Gewaltspielen verzeichnen. Wagenhäuser zufolge zeigen Untersuchungen, „[...] dass gerade so- Am 10.Dezember 1993 bot die texanische Software- zial benachteiligte Jugendliche, die unter leichter firma id-Soft die erste Sharewareversion des von ih- Beeinflussbarkeit und Leistungsschwächen leiden, nen entwickelten Spiels DOOM im Internet auf den gewaltverherrlichende Computerspiele benutzen.“ Rechnern der Universität von Wiscontin zum kosten- (Wagenhäuser 1996.27) losen Herunterladen an. Das System der Universität brach kurz darauf zweimal wegen der großen Nach- Realistisch gesehen erscheint eine völlige Gewalt- frage zusammen.21 Bislang mehr als 15millionenmal freiheit am Bildschirm (nach dem Motto: „Aktion sau- wurde es vom id-Server heruntergeladen (Gorman/ berer Bildschirm“) als kaum denkbar (Wagenhäuser Lober 1999.87). 1996.26). Pädagogen, die Kinder und Jugendliche gänzlich in einem gewaltfreien Schonraum mit aus- Das Computerspiel DOOM hält sich – wie viele andere schließlich positiven Verhaltensweisen sehen möch- Action- und Ballerspiele auch – nicht mit einer großen ten, übersehen die Tatsache, dass nicht nur durch die Hintergrundstory auf. Die Spielfigur, ein auf dem Abb. 7: DOOM – allein gegen die Monster Abb. 8: Shot Gun in DOOM 10
Jens Wiemken: Hardliner – Zeit für Helden Mars stationierter Space Marine, landet mit einigen besucher im Science-Fiction-Film „Alien“ erlebten. Je- Kameraden auf dem Mond Phobos, wo verantwor- der Raum barg neue Schockeffekte für die Zuschauer/ tungslose Wissenschaftler mit Dimensionstoren her- Spieler, die auf der Flucht aus dem erlebnisarmen All- umexperimentieren. Während der Held draußen die tag im Film die nötige „Angstlust“ suchten. Lage sondiert und die anderen die Station erkunden, erscheinen plötzlich Monster aus der Hölle. Die Be- Ins Spielfenster eingeblendet ist jeweils die verfügba- gleiter werden getötet, der Held – nun auf sich allei- re Waffe. Zu Beginn dienen nur eine Pistole und der ne gestellt – versucht das Dimensionstor zu erreichen, Handkantenschlag der Verteidigung, bessere Waffen um den Mond zu verlassen. Er muss sich dabei durch wie Schrotflinte, Maschinengewehr und verschiedene Horden von Monstern und mutierten, „umgedreh- Arten von Kanonen müssen erst im Labyrinth gefun- ten“ Kameraden schießen. den werden. DOOM unterscheidet sich dabei von Vor- läufer-Spielen durch die Illusion des „direkteren Ein wesentlicher Grund für die Faszinationskraft von Tötens“: es suggeriert dem Spieler, den Abzug einer DOOM liegt in der perfektionierten, „subjektiven Ka- Waffe „wirklich“ durchzuziehen. „DOOM ist ein meraeinstellung“ – der „Ich-Perspektive“. Der Spieler Actionfilm zum Mitspielen.“ (Schindler/Wiemken schlüpft in die Rolle des Helden und betrachtet aus 1997). seinen Augen die Szenerie. Er bewegt sich dabei wie in realer Umgebung: er läuft vorwärts, dreht sich und DOOM war ein so großer Erfolg, dass es in den fol- weicht nach links oder rechts aus. Die spektakuläre genden Monaten und Jahren auf zahlreichen 3D-Grafik wird dabei in Echtzeit berechnet.22 Die Gra- Internetseiten und in Diskussionsforen zum beherr- fik, basierend auf der sogenannten „Grafik-Engine“ schenden Thema wurde. Jeder konnte sich das Spiel war zur damaligen Zeit sehr schnell. Selbst bei schnel- aus dem Internet oder von Mailboxen herunterladen. len 360 Grad-Drehungen ruckelten die Computer- Bald nach seinem Erscheinen fand DOOM seinen bilder nicht mehr. Der Spieler bekam so ohne zusätzli- Nachfolger in DOOM II (Erscheinungsdatum 10. Okto- chen Hardware-Aufwand (z.B. 3D-Brille) den Eindruck ber 1994). Danach folgten im August 1996 QUAKE einer Bewegung, die mit der „realen“ vergleichbar und QUAKE II. ist. Der Stereosound unterstütze dieses Gefühl, sich in einer virtuellen Welt aufzuhalten. Die Klänge erzeug- QUAKE unterscheidet sich im wesentlichen von ten nicht nur eine dichte Atmosphäre, sondern infor- DOOM durch eine noch aufwendigere und höher auf- mierten auch über die Anwesenheit versteckter Mon- lösende Grafik und bessere Netzwerkfähigkeiten. Die ster und trugen damit zum Spannungsaufbau bei. feindlichen Monster werden nicht mehr als Pixelgra- fiken dargestellt, sondern als Vektorgrafiken berech- Der Levelaufbau von DOOM zwingt den Spieler im- net. Dies bewirkt eine realistischere Darstellung der mer wieder in dunkle Räume, in denen zunächst Computergegner und der „menschlichen“ Gegner im Lichtschalter gefunden und angeschaltet werden Netzwerkspiel. QUAKE führte dazu, „[...] dass die Be- müssen, um vernünftig agieren zu können. Doch geisterung für First-Person-Shooter einen neuen Hö- gerade an solchen Plätzen positionierten die Pro- hepunkt erreichte. Es gab 50000 Vorbestellungen, grammierer mit Vorliebe angreifende Monster. Sie er- noch bevor das Spiel oder auch nur eine Seite Wer- zeugten damit eine ähnliche klaustrophobische bung geschaltet war.“ (Gorman/Lober 1999.87) Atmosphäre, wie sie Ende der 70er Jahre viele Kino- Zu Beginn von QUAKE hat der Spieler die Möglich- keit, zwischen Singleplayer- und Multiplayer-Modus zu wählen. Im Singleplayer-Modus spielt er alleine ge- gen den Computer, der gegnerische Monster gene- riert und steuert. Der Multiplayer-Modus bietet die Möglichkeit, über eine direkte Modemverbindung, eine serielle Verbindung zwischen zwei Computern, eine LAN-Verbindung23 oder das Internet gegen ent- fernt sitzende Spielpartner zu spielen. Die Anbindung an das Internet direkt aus dem Spiel heraus hebt QUAKE vom oben genannten DOOM ab. Überall auf der Welt gibt es an das Internet angebundene soge- nannte „QUAKE-Server“, über die sich der Spieler in laufende Spiele auf entfernten Rechnern „einloggen“ kann, um gegen Spielpartner auf der ganzen Welt, die sich ebenfalls in das laufende Spiel „eingeloggt“ Abb. 9: Eingangshalle in QUAKE (linker Eingang – leicht, haben, zu spielen. rechter Eingang – schwer) 11
NLI: „Gewalt in den Medien – ist Gewalt (v)erlernbar?“ 6 Nach der Wahl des Spielmodus befindet sich der Spie- Eine Variante des Teamplays heißt „Capture-The–Flag ler zunächst in einer Halle, in der er den Schwierig- (CTF)“, das in Grundzügen an das aus der Spiel- und keitsgrad („skill-level“) des Spiels („easy skill“, „nor- Erlebnispädagogik bekannte „Wimpelspiel“ erinnert. mal skill“, „hard skill“) bestimmen kann, indem er Dabei spielen zwei Teams (rot/blau) nach bekannter einen der drei Zugänge wählt, welcher wiederum in „Räuber und Gendarm“-Manier in eigens für diese eine entsprechende weitere Halle führt. Schon beim Spielform gestalteten Level gegeneinander. Als pri- Zugang erfährt der Spieler den Schwierigkeitsgrad: märes Ziel innerhalb des Spiels gilt, die gegnerische Der linke, „easy“ Zugang ist normal zu durchlaufen, Fahne zu erobern und die eigene zu verteidigen. Da- während beim rechten „harten“ ein Feuerfluß über- bei stürmen die Spieler gegnerische Festungen oder sprungen werden muss und an der Wand Gestalten Räume und „stehlen“ sich die Flagge. Diese Flagge aufgehängt sind (s. a. Abbildung 9). In der Halle gibt muss in den eigenen Bereich gebracht und auf dem es vier weitere Durchgänge, in denen der Zugang zu eigenen Flaggenbereich abgesetzt werden, um Punk- verschiedenen Episoden von QUAKE zu finden ist te für das eigene Team zu erlangen. Das umfangrei- (1. „Dimension of the DOOMed“, 2. „The realms of che Zählsystem von „CTF“ wertet die Anzahl der ge- black magic“, 3. „The Netherworld“, 4. „The Elder stohlenen Flaggen, die getöteten Gegner, die world“). getöteten Teammitglieder, die Effizienz der Attacken (abgegebene Schüsse/Treffer) usw. Zunächst stehen dem Spieler zwei Waffen zu Verfü- gung: eine Axt und eine „shot gun“. Im Laufe des Die Möglichkeit, das Spiel auch über das Internet ge- Spiels werden dann noch weitere Waffen dazu- geneinander spielen zu können, machte QUAKE zum gesammelt: „Double-Berrelt-Shot gun“, „Nailgun“, ersten erfolgreichen kommerziellen Online-Spiel. In- „Supernailgun“, „granade launcher“, „rocket teressant erscheinen hier die Folgen dieser Öffnung launcher“ und „thunderbold“, mit deren Hilfe, je zum Internet. Zum einen entstanden im Internet so- nach Schlagkraft, die Gegner erschossen, zerfetzt genannte QUAKE-Clans. Diese Gruppierungen treten oder mit Elektroschocks verbrannt werden können über das Internet zu „Clanmatches“ gegeneinander bzw. müssen, um sich zum Ausgang des Gebäudes an. Ein „Clan“ ist eine feste Gruppe von Spielern mit durchzukämpfen. eigener Satzung. Ihre Figuren im Spiel tragen eine einheitliche eigene Uniform. Gemeinsam versucht Auf dem Weg zum Ausgang ist der Spieler – abhän- man gegnerische Stellungen „auszuhebeln“ und muss gig vom gewählten Schwierigkeitsgrad und dem eige- die Schwächen mit den Stärken des eigenen Teams nen Können – immer wieder darauf angewiesen, so- ausgleichen. Neben vielen Männer-Clans existieren genannte „Medikits“ einzusammeln, um seinen auch reine Frauen-Clans.25 „Gesundheitszustand“, der durch Treffer der feindli- chen Monster immer geringer wird, „aufzubessern“. Seit 1997 finden in Amerika Meisterschaften statt: Zudem muss der Spieler sich laufend mit neuer Muni- tion versorgen und kann seine Panzerung durch das Dennis Fong, im Internet besser unter seinem Künst- Aufsammeln von „Amor“-Punkten verstärken. Eine lernamen Thresh bekannt, verdankt seinen ersten abschaltbare Anzeige am unteren Bildschirmrand Ferrari einem besonderen Talent: Kürzlich holte er weist auf den aktuellen Zustand der Gesundheit, der sich den begehrten Titel des inoffiziellen QUAKE- Panzerung und der verfügbaren Munition hin. Weltmeisters. Der Ausrichter des Netzwerk-Cham- pionats, die „Professional Gamer League“ (PGL), hat Besonders im Multiplayer-Modus bietet QUAKE um- fangreiche Möglichkeiten. Bei einem Multiplayer-Spiel werden in der Regel die feindlichen computergesteu- erten Monster abgeschaltet. Dafür befinden sich dann die „elektronischen Stellvertreter“ von anderen Spie- lern in der ausgewählten Welt. In LANs und über das Internet erlaubt QUAKE das Spiel von bis zu 16 Spie- lern gleichzeitig in den Spielmodi „Deathmatch“ oder „Cooperative“ gegeneinander oder miteinander.24 Im „Deathmatch“–Modus spielen alle teilnehmenden Spieler in einer Art Showdown gegeneinander. Der „Cooperative“-Modus bietet zwei Spielvarianten: Mit „Teamplay“, dabei versuchen alle Mitglieder des Teams sich gemeinsam durch das Level „zu schlagen“, und ohne „Teamplay“, so dass die „menschlichen“ Gegner wie die Monster als feindliche Gegner wahr- genommen und bekämpft werden. Abb. 10: Angriff auf die Basis 12
Jens Wiemken: Hardliner – Zeit für Helden ehrgeizige Pläne. Nach dem Vorbild des US-Basket- ein Menü zur Befehlseingabe für die verschiedenen ball-Verbands (NBA) will man eine Profiliga ins Leben Bauoptionen. Ein kleines Radarfenster verschafft rufen. Bis dahin ist es möglicherweise noch ein langer Übersicht über das bereits erkundete Spielfeld. Die Weg. Noch liegen die Preisgelder, die die PGL in ih- Spielfiguren sind relativ klein, ermöglichen jedoch ein rem Gründungsjahr 1997 auslobte, unterhalb des problemloses Agieren. Auf die Befehlseingabe, sich Monatssalärs eines mäßig begabten NBA-Profis; rund an einen bestimmten Punkt zu bewegen oder ein be- 250 000 US-Dollar waren es bisher. Doch der Anfang stimmtes Ziel anzugreifen, bekommt der Spieler von ist gemacht und Computerspielereien gelten nicht den Soldaten ein akustisches Feedback („Schon in Ar- länger als brotlose Kunst. (Lober 1998.146) beit!“ usw.). Die grafisch einfach gehaltenen Spiel- landschaften variieren zwischen Bergen, Wäldern, Die Herausforderungen der 3D-Ego-Shooter liegen in Flüssen und Dörfern. unterschiedlichen Bereichen. Zunächst muss der Spie- ler die Kämpfe mit den Gegnern bestehen. Er muss Das Verschieben des Kartenausschnitts und das Bewe- sich als der Schnellere und Bessere erweisen. Aufge- gen der Spielfiguren geschieht flüssig über die Maus. sammelte Zusatzobjekte helfen die Kämpfe besser zu Obwohl die Maussteuerung für ein Spiel ausreicht, bestehen. Diese beiden Handlungstypen: „kämpfen können zusätzlich einige Funktionen über die Tasta- und sammeln“ bewirken während des gesamten tur aufgerufen werden. Gespielt wird in Echtzeit, d.h. Spiels permanente Spannung, denn überall lauern ge- das Programm setzt alle Befehle unmittelbar spiel- fährliche Monster und befinden sich wichtige Objek- beeinflussend um. Die Levelstruktur führt die Spieler te. Schließlich gilt es noch, den Ausgang aus dem La- langsam an die Komplexität des Spiels heran und byrinth zu finden. Dazu ist räumliche Orientierung macht sie so mit den verschiedenen Einheiten und ih- zwingend notwendig. Der Spieler muss wissen, wo er ren Möglichkeiten vertraut. sich befindet und wohin er gehen will. Die Spielfigur in DOOM will wieder „nach Hause“ geführt werden. Es gibt eine Auswahl von unterschiedlichen, modernen Musikstücken, die auf die jeweilige Spielhandlung ab- gestimmt sind und nach Wunsch auch abgeschaltet 1.3.2 COMMAND & CONQUER werden können. Die Klang-Effekte unterstützen wir- kungsvoll das Geschehen auf dem Bildschirm, z.B. mit Ein klarer Trend zum Genre der Echtzeitstrategie- Schieß- und Explosionsgeräuschen und Kommando- spiele lässt sich seit der Veröffentlichung von COM- bestätigungen. Während in der internationalen und in MAND&CONQUER bei den jugendlichen Bildschirm- Deutschland nicht unter 18 Jahren freigegebenen Ver- spielern erkennen. Alle weiteren Nachfolger sion von COMMAND␣ &␣ CONQUER 2 die Soldaten beim verfahren nach demselben Spielprinzip: Zwei globale Sterben schreien und rotes Blut bluten, ersetzte der Mächtegruppen stehen sich gegenüber und bekämp- Hersteller in der dt. Version die Soldaten durch Robo- fen sich mit allen zur Verfügung stehenden militäri- ter (lt. Anleitung), die schwarzes Öl „bluten“.26 schen Mitteln bis zur Vernichtung, um in der Welt die Vormachtstellung zu erringen. Der Spieler wählt eine Das Spiel bietet verschiedene Spieloptionen. Im Ein- dieser beiden Seiten und muss im Einzelspiel verschie- Personen-Spiel, dem Missionsspiel, entscheidet sich dene „Missionen“ steigenden Schwierigkeitsgrades der Spieler zunächst für eine Seite, die „gute“ oder ausführen. Zwischen den einzelnen Levels werden die „böse“. Dabei wird im Vorfeld dargestellt, welche filmartige Sequenzen gezeigt, welche die Rahmen- die gute Seite und welche die böse Seite ist. Galt es in handlung bilden und den Spieler im „Spielbann“ hal- ten sollen. Diese Sequenzen ähneln in einigen Fällen tagesaktuellen Kriegsberichterstattungen, wie sie in Fernsehnachrichten und politischen Magazinen üblich sind. Des weiteren benutzt das Spiel Filmelemente, die aus einschlägigen Kriegsfilmen bekannt sind, z.B. die Einsatzbesprechung vor der militärischen Aktion, das sogenannte „Briefing“. Im eigentlichen Spiel sieht der Spieler auf dem Moni- tor nur einen mit der Maus verschiebbaren Ausschnitt des Spielfeldes, auf das von schräg oben herabge- blickt wird. Der Rest der Landkarte erscheint zunächst auch als schwarz, da die Einheiten des Spielers erst vorrücken und das Gelände erkunden müssen. Die Lage der gegnerischen Basis ist somit zu Spielbeginn unbekannt. Am rechten Rand des Bildschirms dient Abb. 11: Das Erntefahrzeug (unten links) wird gut bewacht. 13
NLI: „Gewalt in den Medien – ist Gewalt (v)erlernbar?“ 6 COMMAND&CONQUER, die Welt auf der Seite der „Das funktioniert technisch hervorragend, ist gut ver- „Global Defensive-Initative“ (GDI) der Vereinten Na- ständlich, die Handhabung übersichtlich. Die Spiel- tionen gegen die „böse“ Bruderschaft von Nod zu anforderungen steigen von Mission zu Mission. Der verteidigen, hieß der Aggressor in COMMAND & Umfang der Handlungsmöglichkeiten (Bau von Ge- CONQUER 2 Russland, gegen den sich die Alliierten bäuden und militärischen Einheiten; Bewegen der zur Wehr setzten. Die beiden Seiten unterscheiden Einheiten und Einleiten von Kampfsequenzen) ist op- sich jeweils nur hinsichtlich der verschiedenen Waffen timal auf das Spiel abgestimmt. Durch den Missions- und Kampfeinheiten, nicht in ihren Zielen. Charakter bleibt das Spiel bis zum Ende spannend und abwechslungsreich. Die Missionen ähneln sich zumeist. Mit einer zunächst kleinen Gruppe militärischer Einheiten (z.␣ B. Infanterie, Grafik und Sound, also die äußeren Merkmale des Panzer und Baufahrzeug) gilt es, eine Basis Spiels, erreichen ein ähnlich hohes Qualitätsniveau. aufzubauen und sie gegen gegnerische Angriffe zu Zur „Auflockerung“ des militärischen Geschehens verteidigen. Dies bietet die Grundlage für eigene gibt es die Einheit „Commandobot“ mit „coolen“ Expansionen und Angriffe gegen die feindliche Basis, Sprüchen, die aus der Waschküche einer Militär- die erobert oder zerstört werden muss.27 Durch eigene klamotte stammen könnten.“ (Fehr/Fritz 1997a) Finanzmittel werden Waffeneinheiten und Gebäude produziert, die für den Ausgang der Kämpfe entschei- Das Leid der Zivilbevölkerung wird in COMMAND & dend sind. Das Finanzbudget vermehrt sich durch Ab- CONQUER ausgeblendet. Zwar gibt es im ersten Teil bau eines Rohstoffes, der auf der Landkarte verteilt einige „böse“ Nod-Missionen, in denen Dörfer mit ih- wächst.28 Da auch die feindliche Partei versucht, den ren Bewohnern vernichtet werden sollen, doch be- geldbringenden Rohstoff abzuernten, um die eigenen schränkt sich der Bildschirmkrieg auf eigenes Aufrü- Möglichkeiten zu vergrößern, begleitet die militärische sten und Ausschalten der Gegner. Schmerzen und Auseinandersetzung auch immer ein Kampf um die Verletzungen der Soldaten kommen wie die Schäden Rohstoffe. Nach der Reduktion des Spielprinzips ähnelt an Panzern und Gebäuden nur in funktionaler Weise dies dem „kämpfen und sammeln“-Prinzip der oben zum Ausdruck. Jede Einheit verfügt über einen besprochenen 3D-Ego-Shooter. „Lebensbalken“, der von grün über gelb zu rot die verbleibende Lebenskraft anzeigt. Der vom Computer gesteuerte Gegner versucht von Anfang an, die Einheiten der Spieler zu vernichten. Dieser Bedrohung kann prinzipiell nur aggressiv entge- 1.3.3 Warum spielen Kinder und Jugendliche gengewirkt werden: Die Angreifer müssen vernichtet Bildschirmspiele mit Gewaltinhalten? – werden. Das bedeutet, dass der Spieler bereit sein Fünf Thesen muss, sich auf eine kriegerisch-aggressive Auseinander- setzung einzustellen. Eine friedliche Konfliktlösung Die beiden genannten Gewalt-Spiele erfreuen sich sieht COMMAND&CONQUER nicht vor. Es gibt zwar im unter Kindern und Jugendlichen einer hohen Beliebt- Netzspiel-Modus29 die Möglichkeit, sich mit einer ande- heit. Bevor Pädagogen jetzt aber zu der schon oben ren Partei zu verbünden. Die Bündnisse nutzen die erwähnten Bewahrpädagogik greifen und Kinder und Spieler aber nur, um in Ruhe eine große Basis aufbau- Jugendliche im Sinne des gesetzlichen Jugendschut- en zu können und so eine bessere Position für den zes daran hindern, sich mit solchen Spielen zu be- Endkampf zu haben, oder um zunächst alle anderen schäftigen, sollte meiner Ansicht nach zunächst erst Gegner zu besiegen und dann allein um den Endsieg einmal betrachtet werden, woher die Faszination von spielen zu können. Strategisches und taktisches Den- Kindern für diese Bildschirmspielgewalt rührt. Im Lau- ken sind hier im Gegensatz zu den 3D-Ego-Shootern fe der Jahre sammelte ich verschiedene Thesen zu unverzichtbar. Es drängt sich der Vergleich zum dem Thema, deren Inhalte bei der Entwicklung des Schach-Spiel auf, aber hier vollzieht sich dieses Denken „Hardliner“-Ansatzes Berücksichtigung fanden. Im im Rahmen einer Hightech-Mentalität. Nach einer kur- folgenden werden diese kurz dargestellt und tragen zen Zeit spielen einfache „Fußsoldaten“ (Infanterie) vielleicht zum Verständnis bei.30 im Grunde keine Rolle mehr. Es kommt vielmehr dar- auf an, neues und wirkungsvolleres Kriegsgerät wie Panzer, Flugzeuge, Kreuzer oder Atom-Raketen zu Undurchschaubare Vermischung ablehnender und an- entwickeln und gezielt einzusetzen. nehmender Impulse Die Spielerfaszination entsteht durch verschiedene Eltern und Erzieher versichern den Kindern ihre Liebe, Faktoren, zu denen auch die spielerische Qualität ge- während sie so handeln, als hassten sie diese (aus hört, die nicht unwesentlich zur Spielmotivation bei- Sicht des Kindes). Vermischung der Interessen der El- trägt. Fehr und Fritz beurteilten die spielerische Qua- tern mit den Interessen und Lebensbedürfnissen der lität wie folgt: Kinder irritiert die Kinder. Haake führt zur Verdeutli- 14
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