Harte Kerle lieben Leb-kuchen - Karin Koenicke

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Harte Kerle lieben Leb-kuchen - Karin Koenicke
Harte Kerle lieben Leb-
       kuchen

     Karin Koenicke
1. Edition, 2020
© 2020 All rights reserved.

Alle Rechte bei der Autorin
1. Kapitel

Dario sah aus dem Fenster der Praxis für Psychotherapie,
in der er manchmal sein Unwesen trieb, und erfreute sich
an den dicken, herabschwebenden Schneeflocken. Er stand
mit Viktoria, der die Praxis gehörte, in der kleinen Küche
und deutete zum Fenster.
   „Jetzt ist es richtig Winter geworden“, sagte er. „Ich
mag diese ruhige Zeit total gerne.“
   Viktoria, die sich gerade einen Kaffee eingeschenkt
hatte, stellte die Tasse ab und stellte sich neben ihn.
   „Ja, wirklich idylllisch, wenn der Schnee alles zudeckt.
Und auch passend, dass es jetzt, Anfang Dezember, mal
schneit.“
   Dario legte seinen Arm um sie. Sie könnten ja später
vielleicht zum Adventsmarkt gehen, durch die Buden-
gassen bummeln und sich ein paar gebrannte Mandeln
kaufen. Anschließend würde ihm dann sicher was ein-
fallen, um Viktoria wieder aufzuwärmen. Ein Lächeln der
Vorfreude stahl sich auf sein Gesicht. Ja, der Winter war
echt eine tolle Zeit zum Kuscheln und zur-Ruhe-Kommen
und für Lebkuchen. Die Flocken schienen seiner Meinung
zu sein, denn sie tanzten munter vor dem Fenster auf und
ab.
„Das schaut echt schön aus, so flauschig“, sagte er und
grinste Viktoria an. „Erinnert mich immer an den Staub,
der aus der Wand fällt, wenn ich meine Fräse ansetze.“
    Viktoria boxte ihm gegen den Arm.
    „Wie konnte ich mich nur mit einem völlig unromanti-
schem Gesellen wie dir einlassen?“, fragte sie und schüt-
telte den Kopf. Allerdings lächelte sie dabei ihr Traum-
frau-Lächeln.
    Dario zuckte mit den Schultern. „Weil du auf knackige
Elektriker stehst, nehme ich an. Oder weil meine Ravioli
d’amore dich so verzaubert haben.“
    „Das wird es wohl sein.“ Sie lachte, schaute dann auf
ihre Uhr. „Gleich kommt Frau von Schwarzenberg-Gäns-
heim zu einer Sitzung. Ich schätze, sie hat einen aus-
geprägten Dezember-Blues.“
    „Einen was?“
    Er war nun schon eine Weile mit Viktoria zusammen,
hatte allerlei Psycho-Begriffe aufgeschnappt und sich über
viele mächtig amüsiert. Da gab es lustige Sachen wie ein
Münchhausen-Syndrom, den Ödipuskomplex oder den so
genannten Befriedigungsaufschub, der seltsamerweise gar
nichts mit Sex zu tun hatte. Manches hatte ihn so faszi-
niert, dass er höchstpersönlich ein Fachbuch in die Hand
genommen und darin gestöbert hatte. Dabei war Lesen ein
Hobby, das er ungefähr so intensiv ausübte wie das
Sockenstricken. Ein Dezember-Blues war ihm aber bei
seinen Studien noch nicht untergekommen.
    „Na, dieses Tief, das viele Frauen in den Wochen vor
Weihnachten haben“, erklärte Viktoria geduldig.
    „Und warum?“ Er sah sie voller Unverständnis an. Der
Advent war doch eine klasse Zeit, man musste als Hand-
werker nicht auf einer zugigen Baustelle herumstehen, auf
den Christkindlmärkten gab es leckere Halbmeter-Bock-
würste und man konnte überall Lebkuchen kaufen. Die
liebte er nämlich sehr. Also, er persönlich hatte nichts aus-
zusetzen am Dezember.
   Sie sah ihn an. Mit diesem ganz besonderen Blick, den
sie drauf hatte. Der schien ihn zu durchdringen bis ins
Innerste. Dario fragte sich schon lange, ob man so was im
Studium lernte oder ob Vicky ein Naturtalent war.
   „Du hast es nicht so mit Geschenken oder Christbaum-
schmücken?“, fragte sie.
   „Ähh...“, machte er. „Na ja, meine Eltern kriegen halt
eine Flasche guten Rotwein und Pralinen. Schon seit
Jahren. Und einen Baum hab ich ehrlich gesagt noch nie in
meiner Bude gehabt.“
   Sie grinste breit. „Dachte ich mir schon!“
   „Und Frau von Schwarzenfels-Gänsheim hat da irgend-
wie mehr zu tun? Also im Advent?“
   „Weißt du, was? Sie hat ja sowieso einen Narren an dir
gefressen. Bleib doch heute einfach bei der Sitzung dabei,
sie freut sich wahrscheinlich. Aber du hältst die Klappe,
wenn ich ihr Ratschläge erteile, damit das klar ist. Wir
wissen ja beide, was sonst rauskommt.“ Sie hob die
Augenbrauen und versuchte, ein strenges Gouvernanten-
Gesicht zu machen. Gelang ihr nur halbwegs.
   Dario machte einen Schritt auf sie zu und zog sie an
sich. „Wenn du dreinschaust wie eine Schulrektorin, finde
ich dich so rattenscharf, dass ich dich am liebsten sofort
auf deine Psychologinnen-Couch werfen würde“, raunte er
ihr ins Ohr. Und dann küsste er sie so wild, dass sie nichts
entgegnen konnte.
Dummerweise vergaß Viktoria nie, was sie hatte sagen
wollen, nicht mal nach dem leidenschaftlichsten aller
Küsse.
   „Im Ablenken bist du wirklich klasse“, lobte sie ihn.
„Aber es bleibt trotzdem dabei: Du bist nur Statist.“
   „Aye, aye, Captain Vicky“, sagte Dario und salutierte.
   Viktoria musste lachen. „Was hab ich mir mit dir nur
angetan?“, fragte sie, küsste ihn aber noch einmal.
   Als Dario gerade ernsthaft darüber nachdachte, seinen
Gedanken mit dem Quickie auf der Couch in die Realität
umzusetzen, klingelte es.
   Er seufzte. „Frau von Schwarzbraun-Gänsefuß ist aber
sehr pünktlich“, maulte er und ließ Viktoria nur wider-
willig los.
   Die ging zur Tür und öffnete. „Guten Tag, Frau von
Schwarzenfels-Gänsheim, kommen Sie nur herein. Ein
wunderschönes Kostüm, das Sie tragen!“
   Vicky hatte es echt drauf. Einer Highsociety Lady wie
dieser musste man natürlich gehörig Honig um die stark
geschminkten Lippen schmieren, das gehörte quasi dazu.
Und er selbst beherrschte das auch hervorragend. Immer-
hin hatte er vor ein paar Monaten - als er hier in der Praxis
eine kaputte Leitung reparieren sollte – die Gunst der
Stunde genutzt und sich als Therapeut ausgegeben. Vicky
war fast tot umgefallen, als sie es rausbekam, und hatte ihn
sofort rausgeworfen, doch den Highsociety Ladys hatten
seine unkonventionellen Ratschläge so gut gefallen, dass
sie ihre Sitzungen unbedingt mit ihm als „Doctor Love“
machen wollten.
   Er grinste, als er daran zurückdachte. Mann, was hatten
Viktoria und er sich deswegen gezofft!
HARTE KERLE LIEBEN LEBKUCHEN

   Okay, sein Einsatz als Liebescoach war nicht lange gut
gegangen, aber dafür hatte es zwischen ihm und Vicky so
richtig gefunkt. Und hin und wieder durfte er ja noch ein
bisschen mitwirken bei seinen ehemaligen Klientinnen.
   „Ach, ich bin völlig am Ende“, hörte er Frau von
Schwarzenfels-Gänsheim jammern. „Dieser Stress!“
   „Kommen Sie herein“, bat Vicky, „wir gehen gleich ins
Behandlungszimmer.“
   Dario fand, dass das sein Stichwort war, und trat aus der
Küche heraus. Sofort hellte sich das Gesicht der Klientin
auf.
   „Ah, Sie sind auch hier! Ich soll Ihnen liebe Grüße von
Chantal ausrichten, sie ist auch mega im Stress. Wirklich –
dieser Advent kostet mich noch den letzten Nerv. Beglei-
ten Sie die heutige Sitzung?“
   Er schenkte ihr sein zweitbestes Lächeln. Das beste war
nämlich für Viktoria reserviert, aber sein zweitbestes war
immer noch ziemlich umwerfend, schätzte er.
   „Wenn Sie das wollen, bin ich gerne mit dabei. Sie sind
schließlich meine Lieblingspatientin.“
   Viktoria warf ihm einen warnenden Blick zu, weil sie
natürlich wusste, dass er das zu jeder der Highsociety
Damen sagen würde. Aber es wirkte offenbar, denn Frau
von Schwarzenfels-Gänsheim strich sich durch die Haare,
was bekanntlich ein deutliches Flirtzeichen war, und
strahlte ihn an.
   „Ach, Sie Schmeichler“, sagte sie, stolzierte anschlie-
ßend rüber ins Behandlungszimmer und ließ sich auf die
Couch fallen.

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Karin Koenicke

   Normalerweise saßen Klienten gegenüber von Viktoria
an dem kleinen Tisch, aber wer wollte, konnte sich natür-
lich auch auf dem Sofa ausbreiten.
   Da der Platz frei war, pflanzte sich Dario zu Vicky an
das runde Tischchen und wandte sich aufmerksam der
Patientin zu.
   Viktoria holte den Block hervor, auf dem sie sich immer
Notizen machte, und sah ihre Patientin an. „Ihnen geht es
also nicht besonders gut momentan?“, fragte sie mitfüh-
lend. „Erzählen Sie doch mal genau.“
   Frau von Schwarzenfels-Gänsheim seufzte erst einmal
sehr ausgiebig. „Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll,
es ist sooo viel zu tun.“ Theatralisch presste sie die Hand
gegen ihre Stirn, um anzuzeigen, wie sehr ihr das alles
zusetzte.
   Dario fand das alles ein bisschen lächerlich, war aber
trotzdem gespannt, was sie erzählte.
   „Wissen Sie, es sind ja nicht nur all diese gesellschaft-
lichen Verpflichtungen. Ich bin natürlich Chairwoman
beim alljährlichen Charity-Champagner-Nippen, ich habe
den Vorsitz im Lioness-Club, wo wir immer im Dezember
ein Austern-Schlüfen zugunsten der Babyklappe des ört-
lichen Krankenhauses machen und selbstverständlich
organisiere ich auch das Gute-Zweck-Zwicken, wenn-
gleich das so brandneu ist, dass wir noch nicht viele
Anmeldungen haben.“
   „Das Gute-Zweck-Zwicken?“, wiederholte Dario, weil
er glaubte, sich verhört zu haben.
   Sie nickte. „Eine ganz wunderbare Idee! Ein paar Stadt-
räte haben ihre Mitwirkung versprochen, auf die Zusage
des Bürgermeisters warten wir noch. Bürger, die sich

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geärgert haben, dürfen an einem Abend – natürlich gegen
eine großzügige Geldspende – den Politiker ihrer Wahl in
den Arm zwicken. Wir versprechen uns einen umwer-
fenden Erfolg.“
    Dario sah zu Vicky, die das Grinsen erfolgreich unter-
drückte. Also, diese Reichen, die hatten doch echt nicht
alle Tassen im Schrank!
    „Eine Sache habe ich allerdings abgelehnt“, fuhr die
Patientin fort. „Die Münchner Delegation unserer Lady-
Power-Gruppe hatte mich doch tatsächlich zu einem Wohl-
tätigkeits-Weißwurst-Zutzeln geladen, da habe ich aber
abgesagt. Also wirklich, was denken die sich?“
    „Na ja, wenn es den berühmten Regensburger Händlm-
aier Senf dazu gibt, wäre das vielleicht totzdem eine Über-
legung ...“, begann Dario, wurde aber von Vickys war-
nendem Blick gestoppt. Sie hatte den süßen Senf offenbar
noch nicht versucht, sonst würde sie seinen Einwand ernst
nehmen. Er musst das unbedingt auf die gemeinsame to
do-Liste setzen!
    „Absolut indikiskutabel so etwas!“, entrüstete sich Frau
von Schwarzenfels-Gänsheim. „Echte Damen lassen sich
niemals auf eine so derbe Essensart ein.“
    „Natürlich nicht“, bestärkte Viktoria die Klientin, zwin-
kerte ihm aber heimlich zu. Das hieß wohl, dass sie selbst
durchaus mal für eine Weißwurst mit knuspriger Breze zu
haben wäre, gut zu wissen!
    „Diese Termine setzen Ihnen also nicht zu“, sprach
Viktoria weiter, „was ist es dann?“
    „All die tausend Dinge, die man besorgen muss!“, rief
die Klientin laut, als müsste sie sich über die Frage ganz
schrecklich echauffieren.

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Karin Koenicke

   „Sie meinen Geschenke?“, hakte Dario nach.
   „Oh ja. Man braucht so viele davon! Schließlich will
man ja allen Menschen in seinem Umfeld eine Freude
bereiten. Das gehört sich schließlich so.“
   Wirklich? Dario dachte nach. Außer seinen Eltern hatte
er noch nie jemandem etwas geschenkt, wieso auch? Die
Jungs von seinem Stammtisch in Suzies Bar würden ja
total doof aus der Wäsche schauen, wenn er denen vor
Weihnachten eine Krawatte oder Socken überreichte. Er
stellte sich Thores Gesicht vor und musste innerlich grin-
sen. Mit seinen Elektrikerkollegen hatte er sich hin und
wieder beim Metzger einen gemeinsamen Ring Lyoner zu
Brotzeit geholt, die hatte im Dezember immer einen Niko-
laus als Aufdruck gehabt, aber das war es dann auch
schon.
   „Und Sie haben offenbar viele Menschen, die Sie beglü-
cken wollen?“, fragte Viktoria mit ruhiger Stimme.
   „Für meinen Mann brauche ich natürlich etwas ganz
Besonderes, keine schnöde Rolex oder einen personali-
sierten Golfschläger. Und bei meinen Freundinnen kann
ich schließlich auch nicht mit einer dieser lapidaren
Chanel-Geschenkpackungen          aus     der   Parfümerie
ankommen, die geben sich ja auch immer so viel Mühe.
Chantal hat mir im letzten Jahr ein Wimpern-Wellness-
Rundum-Paket bei ihrer Wimperndesignerin geschenkt,
das war wirklich toll. Und so persönlich!“
   Heiliger Kuhdung, was es nicht alles gab! Fasziniert
lauschte Dario den Ausführungen.
   „Nun“, sagte Viktoria, „da haben Sie tatsächlich allerlei,
über das Sie sich Gedanken machen müssen. Wobei der
Wert eines Geschenkes natürlich auch dadurch entstehen

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HARTE KERLE LIEBEN LEBKUCHEN

kann, dass man zum Beispiel etwas selbst macht. Ich
denke da an selbst gebackene Plätzchen oder selbst gegos-
sene Pralinen.“
   „Um Gottes willen, die Kohlenhydrate! So etwas würde
ich nur meiner Erzfeindin schenken!“
   Vor lauter Entsetzen zuckte Frau von Schwarzenfels-
Gänsheim zusammen, als hätte Vicky ihr vorgeschlagen,
ihren Freundinnen ein Paket voller Küchenschaben zu
übergeben. Oder Küchenutensilien. Dario nahm an, dass
die ebenso verpönt waren. Von den Damen stellte sich
bestimmt keine an den Herd und kochte ihrem Anwalts-
Gatten einen Pichelsteiner Eintopf.
   „Es könnte ja auch was Getöpfertes für den Garten sein.
Oder ein geschnitztes Salatbesteck“, schlug Viktoria vor.
   Wieder einmal konnte Dario sie nur bewundernd
anschauen. Sie schüttelte solche Ideen ganz mühelos aus
dem Ärmel, Wahnsinn!
   Um nicht völlig unbeteiligt dazusitzen und nur dümm-
lich dreinzuschauen, warf er ein: „Oder ein Wagenheberset
speziell für Frauen. So etwas gibt es, das habe ich neulich
in einer Anzeige gesehen.“
   Stolz lehnte er sich zurück. Tja, er hatte es halt auch
drauf!
   Die Patientin zog die schmalen Augenbrauen hoch und
wandte sich ihm zu. „Seien Sie mir nicht böse, Dario. Aber
Ihre Tipps für mein Liebesleben waren deutlich besser als
Ihre Vorschläge für Weihnachtsgeschenke. Da haben Sie
wohl nicht viel Talent.“
   „Äh, ja, kann sein“, nuschelte er. „Bisschen wenig
Erfahrung.“

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   „Ja, scheint so“, erwiderte sie und drehte sich in Vikto-
rias Richtung. „Ich bin absolut unbegabt für solche Bastel-
Dinge, wirklich völlig! Und es soll ja auch etwas kosten,
damit all diese Menschen merken, wie viel sie mir wert
sind. Meine Schwägerin versucht seit Jahren, mich mit
teuren Geschenken zu übertrumpfen. Für die Schwieger-
eltern brauche ich auch etwas, außerdem gibt es eine
Menge Nichten, Neffen, den Tennistrainer, unseren Gärt-
ner, die Köchin, meinen Masseur und natürlich meine
beiden Elfen – meine Haarstylistin und die Kosmetikerin.
Die sind mir eigentlich sogar wichtiger als meine Ver-
wandschaft, wie Sie sicher verstehen. Und ich bin völlig
ratlos! Sie müssen mir helfen, Frau Engelhardt, sonst drehe
ich noch vor dem zweiten Advent total durch!“
   Da war so viel echte Verzweiflung in ihrer Stimme, dass
Dario tatsächlich froh war, die Klappe halten zu dürfen.
Und das war in seinem Leben bisher fast nie vorgekom-
men, normalerweise fiel ihm nämlich zu allem und jedem
ein vorlauter Spruch ein. Aber jetzt war er dankbar, nicht
in Viktorias Haut zu stecken und hochprofessionell etwas
darauf antworten zu müssen.
   „Hm“, machte Viktoria und überlegte einen Moment.
„Sie könnten natürlich auch aus dem Ganzen aussteigen.“
   „Aussteigen?“ Frau von Schwarzenfels-Gänsheim riss
die Augen auf.
   Viktoria nickte. „Ganz genau. Niemand zwingt Sie,
diesen Geschenkewahn mitzumachen. Ich nehme nämlich
an, dass es für die anderen Beteiligten ebenso stressig ist.
Es klingt jetzt sicher seltsam, aber Sie könnten Kärtchen
mit der Hand schreiben, in denen Sie erklären, dass Sie
dieses Jahr einen größeren Betrag an eine Organisation

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spenden und deshalb auf Geschenke verzichten. Das wäre
sehr zeitgemäß.“
   „Zeitgemäß?“ Die Stimme der Patientin schraubte sich
nach oben wie das Geräusch eines Bohrers, der in der
Mauer auf eine Metallstange traf.
   „Ganz genau“, bestätigte Viktoria ruhig. „Sie könnten ja
allen Freundinnen einen Brief dazulegen und kurz schrei-
ben, warum die ihnen wichtig sind. Das ist dann was ganz
Persönliches und doch eigentlich viel wertvoller als teure
Geschenke.“
   „Ein seltsamer Vorschlag.“ Die Klientin klang alles
andere als begeistert. „Darüber muss ich erst nachdenken.
Aber besonders sinnvoll erscheint mir das nicht. Einen
Brief an jede Freundin? Du liebe Zeit, ich wüsste über-
haupt nicht, was ich da schreiben sollte! Für sowas brau-
che ich ja zehnmal länger als für die ausgiebigste aller
Shoppingtouren. Nein, nein, das geht wirklich nicht.“
   „Okay“, lenkte Viktoria ein. „Dann lassen Sie uns eine
Entspannungsübung versuchen, die die Kreativität fördert.
So fällt es Ihnen dann leichter, auf gute Ideen für
Geschenke zu kommen.“
   „Klingt schon besser.“ Tief seufzend lehnte sich die
Highsociety Dame an der Couch an und schloss die
Augen.
   Dario beobachtete die Vorgänge interessiert. Was für
Probleme manche Leute hatten! Für ihn selbst war die
größte Schwierigkeit im Advent, sich zu entscheiden, ob er
an einer Bude den Heidelbeerglühwein und ein Nutella-
Crêpe bestellte oder doch lieber den Jagertee und die Brat-
wurstsemmel. Und das fand er schon echt knifflig! Aber

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wenn er der Frau von Dingsbums zuhörte, wurde ihm ja
richtig schwindlig.
   Gut, dass Vicky die Patientin nun mit auf eine entspan-
nende Phantasiereise nahm. Weil ein wenig Wellness ja nie
schaden konnte, schloss er ebenfalls die Augen und gab
sich Viktorias beruhigender Stimme hin, um ihr an einen
wundervollen Ort zu folgen. Nur stellte er sich nicht wie
vorgeschlagen das Meeresrauschen vor, sondern lieber
Vicky im Bikini am menschenleeren Strand, dazu einen
Sonnenuntergang und romantische Musik im Hintergrund.
Und dann seine Hand, die den Verschluss ihres Oberteils
öffnete, sie an sich zog und dann ...
   „Jetzt kommen wir langsam wieder ins Hier und Jetzt“,
rief Viktorias sanfte Stimme ihn in die Realität zurück, was
er ziemlich gemein fand. Gerade war es doch so schön
gewesen!
   Sie wandte sich an die Klientin. „Machen Sie diese
Phantasiereise immer dann, wenn Ihnen die Aufgaben über
den Kopf wachsen. Das hilft Ihnen, wieder zu sich selbst
zu kommen. Aber jetzt sollten wir mal darüber reden,
welche Ansprüche Sie an sich selbst haben.“
   „Beim nächsten Mal!“, beschloss Frau von Schwarzen-
fels-Gänsheim und setzte sich auf. „Mir ist nämlich gerade
tatsächlich eine grandiose Idee gekommen für ein
Geschenk. Hach, ich bin Ihnen so dankbar. Genau das ist
es, das ist perfekt für Chantal. Und vielleicht nehme ich
auch eines für meine Schwiegermutter, die beiden werden
sich ja nie begegnen. Dann habe ich schon zwei, phantas-
tisch!“
   Voller Elan sprang sie auf und warf sich ihre gigan-
tische Handtasche über die Schulter. Mit schnellen Schrit-

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ten durchquerte sie den Raum in Richtung Garderobe, wo
ihr Designermantel hing.
   Dario starrte ihr hinterher. Wie jetzt? Die wollte gehen,
ohne das Geheimnis zu lüften? Er stand auf und ging ihr
hinterher.
   „Sie machen es aber spannend, Frau von Schwarzen-
fels-Gänsheim. Was ist es denn nun, das Sie verschen-
ken?“
   „Etwas, das ich neulich in einem Prospekt gesehen
habe“, sagte sie und ließ sich von ihm in den Mantel
helfen. „Von Guerlain gibt es Badekugeln mit Eselsmilch,
die können gegen eine stattliche Summe so personalisiert
werden, dass sie den Namen der beschenkten Person spru-
deln, wenn man sie in die Wanne wirft. Ist das nicht
genial?“
   „Äh ja, in der Tat, total großartig“, stammelte er. Wer
zum Teufel hatte Spaß daran, seinen Hintern in Eselsmilch
zu tunken?
   Als die Patientin mit wehendem Mantel die Praxis ver-
lassen hatte, kam Viktoria neben ihn.
   „Cleopatra“, sagte sie, als würde das irgendwas
erklären.
   „Wie bitte?“
   Sie grinste. „Das war ihr Schönheitsgeheimnis. Sie hat
regelmäßig in Eselsmilch gebadet. Nur hat die sicher nicht
ihren Namen gesprudelt.“
   Dario schüttelte den Kopf. „Totaler Wahnsinn, was bei
dieser Frau Schwarzkopf-Gänseleber abgeht!“
   „Nicht nur bei ihr“, erwiderte Vicky.
   Erstaunt sah er sie an. „Du meinst, das ist kein Einzel-
fall?“

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   Sie lachte. „Dario, fast jede Frau in Deutschland macht
sich Gedanken über das Weihnachtsfest! Was man schenkt,
was man kocht, wie man dekoriert, wo man Verwandte
unterbringt und all diese Sachen. Und – na ja – jemanden
zu beschenken ist doch auch schön! Man kann Menschen
zeigen, dass man an sie denkt und sie einem wichtig sind.“
   Moment mal!
   Dario musterte Viktoria ganz genau. „Soll das heißen,
du kaufst auch Geschenke für alle möglichen Leute?“
   „Klar.“ Sie sah ihn an, als wäre das eine saudumme
Frage.
   Verfluchter Mist! Ihm kam gerade ein schrecklicher
Gedanke.
   „Auch für mich?“, fragte er vorsichtig.
   Sie lächelte. „Lass dich überraschen!“
   Dario lief es eiskalt über den Rücken. Mehr als eiskalt
sogar, es war irgendwie, als würde ihm jemand einen
ganzen Eimer Eiswürfel in den Kragen kippen. Denn wenn
er all das zusammenzählte, konnte das ja nur eins
bedeuten:
   Er musste sich für Viktoria ein Geschenk überlegen.
   Hilfe!

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„Puh, heute hast du uns mal wieder richtig zum Schwitzen
gebracht“, stöhnte Rick nach dem Karate-Training, als er
aus der Dusche kam.
   Sein Trainer Greg, der schon in der Umkleide saß und
sich anzog, grinste.
   „Na klar, deshalb kommt ihr doch ins Dojo, oder
nicht?“
   „Logo.“ Rick nickte. Gut trainiert war er sowieso, denn
er arbeitete bei der Feuerwehr und da fanden regelmäßige
Sporteinheiten statt. Das Karatetraining lief zusätzlich und
machte ihm einfach sauviel Spaß, insbesondere bei Greg.
Der war nämlich eine echt coole Socke und nicht nur sein
Sensei, sondern inzwischen auch ein guter Kumpel, mit
dem er öfters mal in Suzies Bar herumhockte. Oder natür-
lich im Café Woll-Lust, obwohl das natürlich viel weniger
männlich war.
   „Kommst du noch mit rüber?“, fragte Greg und stieg in
seine Jeans.
   Rick rubbelte sich mit dem Handtuch über den Kopf.
„Klar. Ich hab Mörderkohldampf. Hoffentlich hat Jasmin
wieder diese scharfen Chili-Nuss-Taler, die machen mich
tierisch an.“
   „Du immer mit deinem Chili!“ Greg schüttelte den
Kopf. „Da lobe ich mir doch meine Bananen-Nougat-Cup-
cakes, die sind ganz neu und super saftig.“

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Karin Koenicke

   „Ach, ist halt was für Weicheier wie dich“, sagte Rick
grinsend, ging aber vorsichtshalber in Deckung, für den
Fall, dass Greg einen seiner berühmt-berüchtigten Zukis
auf ihn losließ. So ein Handstoß des Meisters war nämlich
nicht gerade von schlechten Eltern und hatte mit Weichei
absolut gar nichts zu tun.
   „Pfff“, machte Greg. „Da steh ich drüber.“
   Sie zogen sich schon seit vielen Wochen damit auf.
Gregs Freundin Valerie hatte zusammen mit Jasmin vor
einiger Zeit ein Handarbeitscafé eröffnet. Es trug den krea-
tiven Namen „Café Woll-Lust“ und beheimatete neben
Häkelfan Valerie und der Konditorin Jasmin auch noch
eine Menge skurriler Stammgäste, die Rick inzwischen
ziemlich ans Herz gewachsen waren. Seit Jasmin auch
herzhafte Leckereien im Angebot hatte, begleitete er Greg
und die anderen gerne nach dem Training in das kleine
Café, das auch abends noch geöffnet hatte.
   Zehn Minuten später war auch Rick fertig angezogen
und sie latschten gemeinsam die Straße entlang auf dem
Weg zum Café.
   „Ach du Scheiße, da blinkt und glitzert es schon über-
all“, brummte Thore, der neben ihnen herstapfte und deu-
tete auf die Fenster der Häuserzeilen, an denen sie vorbei-
kamen.
   „Stimmt“, stellte Rick jetzt fest. Da standen schon eine
Menge Lichtbögen und Funkelsterne in den Fenstern, von
einem Balkon seilte sich ein beleuchteter Weihnachtsmann
ab und sogar an ein paar Rentieren im Garten kamen sie
vorbei. Mit blinkend roten Nasen natürlich.
   „Peinlich“, kommentierte Thore und sah wie immer
grimmig drein. „Wenn sich ein Kindergarten sowas in den

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Garten stellt, lass ich das ja noch durchgehen. Aber
erwachsene Menschen, die sich Glitzerzeug ans Fenster
hängen und so komische Elche vor die Haustür stellen –
also die haben doch einen gewaltigen Schuss!“
   „Rentier, nicht Elch“, korrigierte Rick. „Kennst du denn
nicht diesen Song von Rudolph, dem Rentier mit der roten
Nase?“
   „Ich hör doch keine Kinderlieder! Und fang bloß nicht
an zu singen, ich warne dich. Sonst hast du gleich auch
eine rote Nase und zwar eine so leuchtende, dass dieser
Blinke-Hirsch da drin gegen dich total verblasst!“
   Leider musste man bei Thore davon ausgehen, dass er
so eine Drohung ernst machte, also riss Rick sich lieber
zusammen. Fiel ihm allerdings nicht besonders schwer, da
er den Text des Liedes sowieso nicht so ganz parat hatte.
   Greg grinste. „Ihr beiden kommt mir manchmal vor wie
Waldorf und Statler aus der Muppetshow. Fehlt nur noch,
dass ihr so komisch kichert.“
   „Schaue ich aus, als gehöre ich in eine Kindersen-
dung?“, grummelte Thore.
   Rick sah ihn an. Na ja, mit seinem schwarzen Bart, den
dunklen Augen und dem finsteren Blick würde er höchs-
tens als Monster taugen. Aber als ein freundliches, denn
hinter der rauen Fassade verbarg sich ein Kerl, der für
seine Freundin Jasmin sogar Muffins verziert und Petit
Fours gebacken hatte.
   „Nicht wirklich. Und man könnte meinen, du hast mit
Advent nicht viel am Hut.“
   „Stimmt. Überall so süßliche Musik und dämlich grin-
sende Engelchen. Das hält doch kein Mann aus. Oder?“

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Karin Koenicke

    „Schon wahr.“ Greg nickte. „Das Getue geht mir auch
auf den Senkel. Aber ehrlich gesagt lasse ich das einfach
an mir vorbeiziehen. Was ich nämlich toll finde, sind
Dominosteine.“ Er machte ein begeistertes Gesicht. „Vale-
rie hat mir welche eingepackt, die sind mit Quittengelee
und Amarettomarzipan, echt lecker.“
    „Typisch. Du bist der verfressendste aller Karate-Trai-
ner dieser Welt. Mit Abstand!“
    „Gut möglich.“ Greg klang, als wäre das etwas, auf das
man stolz sein musste.
    Als sie um die nächste Ecke bogen, sahen sie ein ganzes
Haus, das in den schillerndsten Farben funkelte. Also, das
war auch Rick zu viel. Da bekam man ja Augenschmer-
zen!
    „Mann, ich bin auch froh, wenn dieser ganze Kram rum
ist. Konnte mit Weihnachten noch nie viel anfangen“,
sagte er.
    „Ist auch nichts für Männer“, stimmte Thore im mit
ernster Miene zu.
    „Genau“, sagte Greg.
    Da waren sie sich ausnahmsweise mal einig. Sie würden
das ganze Glitzerzeug und diese ach so „besondere“ Zeit
halt tapfer ertragen. Wie echte Männer es nun mal taten.
Alles irgendwie an sich vorüberziehen lassen und sich
freuen, wenn endlich Januar war. Mit ihnen hatte dieser
Kram ja zum großen Glück nichts zu tun.
    Das Café Woll-Lust war nur ganz dezent geschmückt.
Rick atmete auf, als sie an die Tür kamen und das Café
betraten. Drinnen dudelte auch kein „Last Christmas“,
sondern ein munterer Pop-Song. Gut so!

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HARTE KERLE LIEBEN LEBKUCHEN

   Wie üblich gingen sie an die Theke und schoben ihre
Hintern auf die Hocker. War ein bisschen wie bei Suzie,
nur dass es hier nicht nach Zigarettenrauch und Altrocker-
Schweiß roch, sondern nach Vanille und Zimt.
   Valerie kam auf Greg zu, küsste ihn kurz, beugte sich
dann aber wieder über eine Liste, die vor ihr lag. Jasmin
begrüßte ihren Thore, kümmerte sich fahrig um die Bestel-
lungen, nahm danach gleich wieder neben Valerie Platz.
   „Was habt ihr denn für einen Stress?“, erkundigte sich
Rick und biss voller Appetit in seine Bärlauch-Paprika-
Focaccia, die vor ihm auf einem Teller lag. Normalerweise
quatschten die Mädels doch immer mit ihnen, wenn sie
kamen. Seine eigene Freundin Simona unterrichtete noch
in ihrem Tanzstudio, kam aber manchmal auch noch dazu.
   Valerie schaute auf.
   „Na, du bist gut. Es ist Vorweihnachtszeit! Wir müssen
eine Menge Wolle bestellen, Nadeln und Knöpfe auch, wir
haben schließlich jeden Tag zwei Workshops. Und fast alle
sind ausgebucht!“
   „Was denn für Workshops?“ Thore nahm einen Schluck
von seinem Espresso. „Häkelt ihr Schwarzgurte?“
   Valerie verdrehte die Augen. „Wieso sind Männer nur
so kleinkariert? Wir machen die abgefahrendsten Sachen!
Und die Leute sind total dankbar für diese Angebote, so
kriegen sie ganz persönliche Geschenke zusammen.“
   Also, jetzt war Rick wirklich neugierig geworden. Er
konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wer Vale-
rie die Füße küssen sollte für irgendwelche Zopfmuster-
Seminare!
   Neben den beiden Inhaberinnen des Cafés lag eine
Liste, auf die deutete er. „Darf ich mal schauen?“

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Karin Koenicke

   „Klar“ Valerie schob sie ihm herüber. „Aber die meisten
sind schon ausgebucht. Nur bei denen mit den grünen
Kreuzen kannst du dich noch anmelden.“ Sie sagte das so
todernst, dass er lachen musste.
   „Mit mir hättest du nicht viel Freude!“, erwiderte er.
   „Ah, verstehe. Dann hast du schon ein Geschenk für
Simona?“ Sie sah ihn an und er musste plötzlich schlu-
cken.
   „Ein Geschenk?“, wiederholte er und hatte irgendwie
einen Frosch im Hals, sodass seine Stimme ganz kieksig
klang. Wie eine Mischung aus Kermit und Philipp Lahm,
echt unheimlich war das.
   „Sag jetzt nicht, du hast dir noch nichts überlegt für
sie?“, hakte Valerie nach.
   Hilfe suchend schaute Rick zu Greg, der war aber
schlagartig ganz blass um die Nase. Und Thore sah aus, als
hätte er gern einen Schnaps statt des Espressos. Immerhin
war er ja jetzt verlobt mit Jasmin und in so einem Fall war
das alles mit den Geschenken bestimmt noch viel ernster.
   „Ist ja noch Zeit“, nuschelte Rick und zog eilig die Liste
zu sich her, damit er sie durchgehen konnte.
   „Kultige Ohrenschützer in Form von Elfenohren“, las er
laut vor. „Flauschige Tassenwärmer in Pastellfarben.
Kürbishaube für den Thermomix.“ Verständnislos sah er
auf.
   „Das ist ein Küchengerät“, erklärte Greg trocken.
   „Und wieso braucht der eine Haube aus Kürbis?“, fragte
Rick, der jetzt irgendwie ziemlich durcheinander war.
   Greg zuckte mit den Schultern. „Deko?“

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HARTE KERLE LIEBEN LEBKUCHEN

   Also weiter. „Zugluftstopper in Form von 7 süßen Läm-
mern. Topflappen im Gingerbreadman-Design. Feine Ohr-
ringe aus Silbergarn und Perlen.“
   „Da wäre noch ein Platz frei“, sagte Valerie ernst. „Und
die würden auch super zu Simonas Tanz-Outfit passen.
Allerdings ist das eher was für Fortgeschrittene. Hast du
denn Häkelerfahrung?“ Skeptisch schaute sie auf seine
Hände, die im Vergleich zu ihren schmalen aussahen wie
Topfdeckel.
   „Ich. Werde. Nichts. Häkeln.“, stellte er klar. Das wäre
ja noch schöner!
   Jasmin mischte sich ein. „Du könntest auch was stri-
cken. Wir haben was Supercooles im Angebot: Eier-
wärmer, die aussehen wie ein VW-Bus. Aber ich glaube,
der Kurs ist schon voll. Aber wie wäre es mit Makramee?
Simona braucht doch sicher einen großen Beutel für ihre
Tanzschuhe, wenn sie in ihr Studio geht. Sowas könntest
du machen. In ihren Lieblingsfarben.“
   „Wir könnten dir in dem Workshop ausnahmsweise
einen zusätzlichen Platz anbieten, obwohl er ausgebucht
ist“, sagte Valerie und schob ihm – ganz Geschäftsfrau –
gleich einen Anmeldebogen hin. „Kostet auch nur fünf-
undzwanzig Euro, da ist das Material dann dabei außer die
Pailletten mit Swarowski-Steinen, die würden extra
gehen.“
   Grinsend hielt Greg ihm einen Kugelschreiber hin. „Na
los, trag dich schnell ein, bevor der Platz vergeben ist!“
   Ungeachtet der Tatsache, dass Greg ein Schwarzgurt
war, knallte ihm Rick seinen Ellbogen in die Seite. „So
witzig ist das jetzt auch wieder nicht“, brummte er.

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Karin Koenicke

Anschließend lehnte er bei Valerie dankend ab. „Ich finde
sicher was anderes für Simona“, erklärte er entschlossen.
   „Okay, wie du meinst“, sagte Valerie und wandte sich
wieder Jasmin zu. Die beiden beschlossen, vor der Mate-
rial-Bestellung erst mal im Woll-Regal nachzuschauen,
und gingen zur anderen Seite des Cafés.
   Als sie außer Hörweite waren, drehte sich Rick zu Greg
und Thore.
   „Habt ihr denn Geschenke?“, fragte er.
   Vor Simona hatte er immer nur kurze Beziehungen
gehabt und irgendwie konnte er sich gar nicht daran
erinnern, mit einer Frau mal Weihnachten verbracht zu
haben. Bei Geburtstagsgeschenken hatte er immer zur
üblichen Pralinenschachtel gegriffen, das musste doch
wohl reichen.
   „Ähhhh“, erwiderte Greg. „Brauchen wir sowas?“
   Thore ergänzte selbstsicher: „Jasmin ist eine moderne,
coole Frau. Die legt auf solche spießigen Sachen über-
haupt keinen Wert.“ Er verschränkte die Arme vor der
breiten Brust und nickte.
   „Lucky you“, sagte Rick. Er hatte keine Ahnung, ob
Simona cool genug war. Dummerweise kannte er nicht mal
ihre Lieblingsfarben. Musste man solche Dinge als Freund
wissen? Unsicher biss er von seiner Focaccia ab, aber sie
schmeckte längst nicht mehr so gut wie vorher.
   „Verdammter Glückpilz“, murmelte auch Greg, dem
offenbar jetzt auch dämmerte, dass er sich etwas aus-
denken sollte für Valerie. Und zwar was, das er nicht selbst
häkeln konnte.
   „Tja“, machte Thore stolz. „Da hab ich es halt besser
erwischt als ihr armen Hunde.“

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HARTE KERLE LIEBEN LEBKUCHEN

    Valerie und Jasmin kamen zurück. Sie kritzelten irgend-
was auf ein Bestell-Formular. Anschließend ging Valerie
zum Tisch der drei grauhaarigen Cousinen, die so oft hier
waren, dass sie schon fast zum Inventar gehörten.
    Jasmin blieb zurück, schaute Thore verliebt an und
strich ihm über die Hand. „Gehen wir am Wochenende auf
den Christkindlmarkt?“, fragte sie. „Ich würde so gern
durch die Buden bummeln. Und wir brauchen ja sowieso
noch Deko für unsere Wohnung. Welche Farben magst du
für die Kugeln?“
    „Da verlasse ich mich ganz auf dich“, erwiderte Thore
gelassen.
    Rick kam das verdächtig vor. Jasmin stand offenbar auf
weihnachtliche Dekoration, wollte aber keine Geschenke?
Das glaubte er erst, wenn er es von ihr selbst hörte!
    „Sag mal, eure Kurse laufen ja wirklich super. Ich hätte
nicht gedacht, dass es da so eine große Nachfrage gibt“,
sagte er.
    „Ach, mir war das klar“, antwortete Jasmin. „Jeder
sucht doch ganz persönliche Geschenke. Ist ja auch
logisch. Gerade an Weihnachten will man Menschen, die
man mag, eine Freude machen. Ich finde das immer so
toll! Man sagt sich ja viel zu selten, dass man sich gern
hat. Und jetzt hat man endlich die Gelegenheit dazu. Übri-
gens, Rick: Ich habe sogar eine Kleinigkeit für dich und
Greg! Weil ihr mir alle so ans Herz gewachsen seid und
das will ich doch zeigen.“
    „A-...aber... du bist doch gar nicht streng gläubig und
so!“, krächzte Thore und war mit einem Mal kreidebleich.
    „Würde ich so nicht sagen“, erwiderte Jasmin. „Ich
glaube, dass es etwas gibt, das größer ist als wir. Egal, ob

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Karin Koenicke

du es jetzt Gott nennst oder sonst wie, aber irgendwer
muss uns alle ja erschaffen haben. Und dieser irgendwer
hat dich schließlich zu mir gebracht, das ist doch ein toller
Grund, seine Geburt zu feiern. Ich gehe jedes Jahr in die
Christmette, du nicht?“
   „Na ja, also, irgendwie, eher nicht so“, murmelte Thore.
   „Macht nichts, ich nehm dich mit“, verkündete Jasmin
fröhlich. „Und ich kann es gar nicht erwarten, dass wir
einen gemeinsamen Heiligen Abend feiern!“
   Rick grinste, als er das entsetzte Gesicht seines Freun-
des sah.
   „Mit Bescherung?“, fragte er.
   Jasmin nickte und schaute ihn komisch an, weil das für
sie wohl ganz selbstverständlich war.
   Vom Tisch der Cousinen rief Valerie herüber: „Jasmin,
hast du noch ein paar Stücke von dem Glühweinkuchen
mit Spekulatiuskruste?“
   „Ich glaube schon.“ Jasmin machte sich auf den Weg in
die Backstube.
   Thore starrte ihr hinterher.
   „Verdammte Scheiße“, fluchte er, als sie außer Hör-
weite war, und wandte sich den Männern zu. „Jungs, wir
haben ein Problem!“
   Rick nickte und Greg machte ein Gesicht, als wäre sein
Kanarienvogel gestorben.
   „Was zum Teufel machen wir jetzt?“, flüsterte Rick den
anderen beiden zu.
   Einen langen Moment lang herrschte Schweigen. Ein
richtig ernstes Schweigen, so ein schweres, das sich wie
ein Bleiumhang über einen legt und alles zusammendrückt,

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HARTE KERLE LIEBEN LEBKUCHEN

sogar der Schaum auf Gregs Cherry-Cappuccino war
plötzlich ganz flach.
   „Kriegsrat“, flüsterte Greg zurück. „Morgen abend,
Suzis Bar. Da halten wir ein Krisentreffen ab. Echte Kum-
pels sind auch in den schwierigsten Zeiten füreinander da.“
   „Gut.“ Rick nickte. Sie hatten eine verdammt schwie-
rige Mission vor sich, aber sie würden sich ihr stellen.
Schließlich waren sie richtig harte Kerle!

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Karin Koenicke

                     3. Kapitel

Als Dario in Suzies Bar kam, hockten Rick, Greg und
Thore schon an der Theke. Rick trank seine übliche Apfel-
schorle, die anderen beiden hatten Hochprozentiges vor
sich stehen. Und sie sahen drein, als hätten sie das auch
wirklich nötig.
   „Dann tagt also heute der Weihnachtsrat?“, versuchte
Dario einen Witz, um die gedrückte Stimmung aufzuhei-
tern.
   „Nicht lustig“, gab Thore zurück und starrte in sein
Whiskyglas, als läge da die Lösung gegen adventliche
Schwermut begraben.
   Dario seufzte tief und bestellte sich einen Schnaps.
   „Wir könnten Suzie fragen“, schlug er vor. Die Gesich-
ter seiner Kumpel zeigten keine große Begeisterung.
   Greg drehte sich zu ihm. „Die sagt bestimmt, dass sie
sich mega über das neue AC/DC-Album freuen würde,
aber ich fürchte, bei unseren Mädels können wir damit
nicht groß Eindruck schinden.“
   „Einen Versuch isses wert“, fand Dario und wandte sich
der Barfrau und Besitzerin von Suzies Höhle zu. Die war
allerdings gerade mit ein paar langzotteligen Bikern
beschäftigt, denen sie Spareribs vor die Nase stellte.

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HARTE KERLE LIEBEN LEBKUCHEN

    Während er wartete, kam Sergej hereinspaziert. Der war
Ricks Kollege bei der Feuerwehr, neuerdings mit Kinder-
gärtnerin Nina liiert und ein echt kantiger Typ.
    „Was sitzt ihr denn hier so trübsinnig rum?“, fragte
Sergej. „Und wieso habt ihr mich hier einbestellt? Rick hat
mir nicht mal genau gesagt, worum es geht.“
    „Um Weihnachten“, brummte Thore und es klang, als
würde er sagen: „Um unsere gemeinschaftliche Hinrich-
tung“
    „Was ist damit?“, fragte Sergej und zog einen Bar-
hocker heran, auf den er sich pflanzte.
    „Es steht vor der Tür“, erklärte Dario.
    Sergej schaute verständnislos in die Runde. „Soll ich
jetzt irgendwie überrascht tun? Übt ihr für ein Theater-
stück oder was soll der ganze Aufzug? Ich spiele keines-
falls nochmal einen Prinzen, denn ich will – bei aller
Freundschaft – keinen von euch Jungs küssen müssen!“
    „Mann, red keinen Scheiß“, knurrte Thore. „Verstehst
du denn den Ernst der Lage nicht? Frauen erwarten was
von uns. Also am Heiligen Abend. Nämlich Geschenke.
Diese hinterhältigen Dinger haben nämlich allesamt schon
für uns was gekauft. Deine bestimmt auch.“
    „Und zwar garantiert was richtig total persönlich Pas-
sendes“, ergänzte Dario, um Sergej den Ernst der Lage klar
zu machen.
    „Verdammt“, sagte der jetzt und hängte noch ein paar
ausschweifende russische Flüche an. „Ihr habt recht, das
ist ein Problem. Ich habe keinen Schimmer, was ich Nina
schenken könnte.“
    Thore nicke. „Sag ich doch, wir sind im Arsch.“

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Karin Koenicke

   Dario war da anderer Ansicht. „Nicht so schnell auf-
geben!“ Okay, sie mussten sich was ausdenken, das war
klar. Aber man konnte sich doch Hilfe holen! Zu ihm
waren ja auch alle möglichen Damen gekommen, weil sie
in Liebesdingen nicht mehr weiter gewusst hatten. Und er
war ein verflucht guter Coach für die alle gewesen! So
etwas musste es doch auch für so knifflige Probleme
geben.
   Und die erste und nahe liegendste Adresse kam gerade
auf ihn zu, mit dickem schwarzen Kajal um die Augen und
in einem Eric Clapton-Shirt über der ausgewaschenen
Jeans – zu einer Zeit, als Clapton noch bei Cream gespielt
hat.
   „Suzie, du bist doch eine Frau ...“, begann Dario und
wollte sagen, „... die sicher ein paar liebe Menschen um
sich hat und immer reich beschenkt wird“, doch soweit
kam es nicht.
   „Herrgott nochmal, jetzt fängst du auch noch an!“,
baffte Suzie ihn an. „Warum kommt eigentlich jeder von
euch Knallköpfen irgendwann mal daher und will irgend-
einen Quark von mir wissen, weil er mit seiner eigenen
Tussi nicht klarkommt?“
   „Nein, nein, so ist das nicht!“, stellte Dario eilig klar.
„Okay, wir sind ein bisschen hilflos, das stimmt schon.
Aber diese Weihnachtssache – ich mein – das ist doch
auch eine ganz wichtige Nummer und so. Also bezie-
hungstechnisch.“
   „Holy cow, was weiß ich schon von euren Bezie-
hungen?“ Suzie rubbelte mit einem Lappen über die
Theke.

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HARTE KERLE LIEBEN LEBKUCHEN

   Hilfe suchend schaute Dario Greg an. Der schenkte
Suzie sein strahlendstes Lächeln. „Suzie, wir wollen doch
einfach nur wissen, worüber du dich freuen würdest. Weil
wir ein paar Anregungen sammeln.“
   Die Barfrau zog die Augenbrauen hoch und schüttelte
den Kopf. „Was seid ihr nur für Waschlappen!“, brummte
sie mit ihrer durchräucherten Whisky-Stimme.
   Dann aber hörte sie mit der Putzerei auf, was immer ein
gutes Zeichen war.
   „Also gut“, sagte sie. „Ich persönlich hab neulich in
einer alten Musikzeitschrift – okay, sie hatte ein paar Jahr-
zehnte auf dem Buckel – was gesehen, das mir super
gefällt. Einen Hendrix-Badvorleger. Aber nicht so ein flau-
schiges Ding für Tussis mit seinem Gesicht und den
Haaren, sondern mit einem Foto, wo er gerade total leiden-
schaftlich Gitarre spielt, und das auch noch mit links! Ach,
diese Fender Strat!“
   Sie sah so verträumt drein, dass Dario fast Angst
bekam, denn Suzie neigte sonst nicht zu Gefühlsausbrü-
chen. Musste echt an Weihnachten liegen, das veränderte
die Menschen offenbar. Krasse Sache!
   „Hm“, machte Sergej. „Ich weiß jetzt nicht, ob sich
Nina über einen Badvorleger mit einem wilden Gitarren-
Hero freuen würde.“
   „Es gibt auch Ohrringe“, fuhr Suzie ungewohnt redselig
fort. „Und zwar als Gibson flying V. Geiles Teil! Und echt
schick, findet ihr nicht?“
   Dario hatte keinen Schimmer, was das sein sollte. Er
beugte sich zu Thore, der bei Bills Biker Box schwere
Maschinen reparierte. „Ist das ein Motorrad?“, flüsterte er.

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Karin Koenicke

   „Das ist eine Gitarre, ihr Ignoranten“, antwortete Suzie
und schüttelte schon wieder fassungslos den Kopf. „Und
zwar eine total kultige.“
   Wie sie es schaffte, trotz des im Hintergrund röhrenden
Ozzie Osbournes zu hören, was er Thore zugeflüstert hatte,
war ihm ein Rätsel. Konnte sie von den Lippen ablesen?
Frauen waren schon echt seltsame Wesen.
   „Ohrringe“, wiederhole Greg langgezogen. „Wär das
was? Also nicht mit einer Klampfe, sondern andere halt.“
   Dario überlegte. „Aber was kauft man da? Silber, Gold,
welche Form? Und – hat deine Valerie überhaupt Ohr-
löcher?“
   Greg spielte an seinem Glas herum. „Glaub schon“,
nuschelte er, klang aber nicht völlig sicher.
   „Also, Schmuck müsste schon was Persönliches sein“,
mischte Suzie sich ein. „Nicht einfach irgendwelche Kreo-
len. Ear Crawler finde ich witzig, muss halt vom Motiv
passen. Helix ist natürlich auch cool. Conch muss es für
mich jetzt nicht sein.“
   Verdammt. Wieso war dieses ganze Frauenzeug so
kompliziert? Viktoria trug Ohringe, das wusste er sicher.
Aber welche Form er nun kaufen sollte, davon hatte er
keine Ahnung. Sie war sehr stilsicher und wenn er mit
einem Geschenk total neben ihrem Geschmack lag, war
das vielleicht fatal. .
   Er griff zu seinem Glas und nahm einen ordentlichen
Schluck. Das Leben war echt schwierig.
   Suzie widmete sich jetzt wieder den anderen Gästen
und ließ ihn und die Jungs ratlos zurück.
   „Bisher war es so schön im Dezember“, sinnierte Thore
halblaut vor sich hin. „Man wurde nicht zu dämlichen

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HARTE KERLE LIEBEN LEBKUCHEN

Grillpartys eingeladen, kein Möchtegern-Motorradfahrer
wollte innerhalb von drei Stunden sein Bike repariert
haben und man konnte es sich daheim beim Eishockey-
schauen gemütlich machen. Aber jetzt? Verflucht. Jetzt ist
alles mit einem Mal so schwierig. Und Jasmin ist ja meine
Verlobte, die hat sicher noch viel höhere Erwartungen.“
   Sie legten eine gemeinsame Gedenkminute ein für die
alten Zeiten. Dario interessierte sich nicht besonders für
Eishockey, deshalb war er nur halbherzig dabei und über-
legte lieber, wo sie noch Ideen herbekommen konnten.
   „In der Werbung wird doch immer alles mögliche vor-
geschlagen“, sagte er nach der Schweigeminute. „Google
doch mal.“
   Rick hatte sein Handy neben seinem Glas liegen, also
übernahm er diese verantwortungsvolle Aufgabe. Er tippte
ein wenig herum, dann hatte er offenbar die ersten Ergeb-
nisse.
   „Tchibo rät zu Perlenkette, Echtlederhandtasche und
Pullover mit Lurexgarn“, las er vor.
   „Du liebe Zeit“, erwiderte Greg. „Mit sowas würde
mich Valerie aus der Wohnung jagen. Sie häkelt ihre
Taschen und Pullis ja selbst.“
   „Jasmin mit Perlenkette? No way“, sagte Thore. „Schau
mal bei Kaufhof. Oder nein, nimm eine Frauenzeitschrift,
die müssen sich da doch auskennen. Brigitte, Vanity Fair
oder Cosmopolitan.“
   Erstaunt schaute Dario ihn an. „Woher kennst du diese
Frauenmagazine?“
   „Ist doch jetzt egal“, knurrte Thore. „Wir haben eine
Mission, lenk nicht ab.“

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Karin Koenicke

   Gehorsam tippte Rick weiter und fand auch schnell
neue Vorschläge.
   „Ich denke mal, der ganze Modeschnickschnack fällt
weg, da kennen wir uns ja nicht aus“, sagte er. „Es gäbe
noch Anxi Ooloong Tee, handgeerntet. Ich schätze, nur
von Jungfrauen und nur bei Vollmond, denn da kosten
hundert Gramm schlappe 280 Euro.“
   „Die haben echt einen Knall“, kommentierte Sergej.
„Weiß doch eh jeder, dass russischer Tee der weltweit
beste ist. Aber lies weiter, es muss doch auch noch was
anderes geben.“
   „Ablagebänkchen für Buttermesser aus Porzellan
werden hier angepriesen. Meine Fresse, was man alles
braucht!“
   „Oder auch nicht“, sagte Dario. „Haben die nichts für
die Küche? Also ich hätte gern einen Ravioli-Automaten,
das ist nämlich eine echt fiese Arbeit, wenn man die mit
der Hand macht.“
   Greg sah ihn fragend an. „Glaubst du, Vicky würde sich
über eine Nudelmaschine freuen?“
   „Wahrscheinlich nicht.“ Dario seufzte. Er stand auf, um
Rick über die Schulter zu schauen, aber was da vor-
geschlagen wurde, kam alles nicht infrage. Weder Viktoria
noch die anderen Frauen brauchten eine Sisal-Stehlampe,
die aussah wie ein Kratzbaum für Katzen, auch kein Edel-
stahl-Obstmesser-Sortiment inklusive dänisch designtem
Orangenschäler und erst recht kein elektronisches Sortier-
system für den begehbaren Kleiderschrank.
   „Schau mal, sogar für uns Kerle gibt es Geschenke. Der
Bestseller ist offenbar ein Kasten, in den man seine sechs

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HARTE KERLE LIEBEN LEBKUCHEN

teuren Automatikuhren legen kann und dann werden die
bewegt.“ Dario sah auf und dann die anderen Jungs an.
   „Ich hab nicht mal eine dran, schau immer nur auf mein
Handy“, stellte Greg fest. „Und selbst wenn – wer zum
Teufel braucht sechs Uhren? Das ist doch nur was für Idio-
ten.“
   „Na ja“, sagte Rick. „Aber diese Idioten finden hier
offenbar Ideen für Geschenke.“
   „Suzie, noch einen!“ Sergej hielt sein Wodkaglas hoch.
   Suzie kam mit der Flasche heran und schenkte nach.
   „Habt ihr immer noch keine vernünftigen Ideen? Dann
solltet ihr vielleicht mal jemanden fragen, der die jeweilige
Lady kennt. Kann doch nicht so schwer sein. Beste Freun-
dinnen wissen immer, was die andere will.“
   Hey, das stimmte! Dario sah plötzlich Licht am Ende
des Tunnels. Nur – dummerweise waren die Mädels ja
untereinander befreundet.
   Greg dachte offenbar Ähnliches. „Wenn ich Jasmin
frage, was sich Valerie wünscht, kommt da sicher eine
Idee. Aber die erzählt es doch dann sofort weiter und ich
steh dumm da.“
   „Ja genau.“ Dario nickte. „Wir bräuchten jemanden, der
die Mädels kennt und weiß, worüber Frauen sich freuen,
aber nicht ganz nah dran ist.“
   „Die Cousinen!“, riefen Greg und Thore gleichzeitig.
   „Genial!“, fanden Rick und Sergej.
   Das war die Lösung! Dario fühlte es. Die drei alten
Damen, die ständig im Café Woll-Lust herumsaßen, wuss-
ten garantiert, womit man Frauen glücklich machen
konnte. Sie kannten die Mädels gut, brachten eine Menge

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Karin Koenicke

Lebenserfahrung mit und hatten immer kreative Ideen,
nicht nur beim Häkeln.
   „Aber wir können die nicht im Café ansprechen“, gab er
zu bedenken. „Wir müssen ihnen irgendwo anders auf-
lauern. Sind die noch im Karatetraining, Greg? Da waren
sie doch eine Zeit lang regelmäßig.“
   „Momentan nicht, weil Ottilie einen Fersensporn hat
und Friederike sich beim Federballspielen einen Bänder-
riss zugezogen hat.“
   „Mist, dann können wir sie da nicht zur Seite nehmen.“
   „Aber wenn sie aus dem Café Woll-Lust heimgehen!“,
fiel Thore ein. „Die bleiben doch immer bis zum Schluss,
zumindest am Samstag. Ich kann Jasmin dazubringen,
pünktlich Feierabend zu machen. Wenn Greg sich noch
was für Valerie ausdenkt, wissen wir genau, wann die drei
auf ihrem Heimweg durch die Brentanostraße schlendern.“
   „Klasse Idee!“, fand Dario. „Ihr beiden lenkt die
Mädels ab, Rick und ich setzen uns in der Nähe des Cafés
ins Auto und warten, bis die Cousinen kommen. Dann
quetschen wir sie aus, ihnen fällt bestimmt was ein.“
   „Sofern sie nicht wieder so viel Eierlikör genippt
haben“, sagte Rick grinsend.
   „Ach, dann haben sie wahrscheinlich die besten Ideen.“
Dario grinste.
   „Abgemacht“, beschloss Rick und nickte Dario ver-
schwörerisch zu. „Du und ich, wir legen uns am Samstag
auf die Lauer. Wir befragen die alten Damen, besorgen
dann die Geschenke und haben anschließend endlich
wieder eine ruhige Adventszeit.“

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HARTE KERLE LIEBEN LEBKUCHEN

   „Genau so läuft es.“ Dario fühlte sich plötzlich um drei-
ßig Kilo leichter. „Ab jetzt ist es geradezu ein Kinder-
spiel!“

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Karin Koenicke

                      4. Kapitel

„Lass doch nochmal kurz den Motor laufen“, sagte Rick
und rieb sich die eisigen Hände.
   Sie saßen schon seit zwanzig Minuten hier in der Kälte
und starrten auf den Eingang des Cafés. Natürlich hatte
Dario in einigem Abstand geparkt, sie wollten ja nicht,
dass Jasmin oder Valerie sie sahen.
   Simona war noch im Tanzstudio, aber bei Darios Freun-
din Viktoria konnte es durchaus möglich sein, dass sie sich
nach dem letzten Klienten noch eine Kirschbombe gönnte.
Deshalb gingen sie lieber auf Nummer sicher.
   „Die müssen doch jetzt jeden Moment kommen“, sagte
Dario, drehte aber trotzdem den Schlüssel im Zündschloss,
sodass sie zumindest einen warmen Hintern bekamen dank
der Sitzheizung.
   „Merci“, sagte Rick. „Kommt in meinem Job eher
selten vor, dass ich bei einem Einsatz kalte Füße
bekomme. Obwohl das Brandlöschen ja gar nicht so oft
vorkommt, wie man denkt. Aber untätig Herumsitzen tu
ich sonst halt nie.“
   „Was sind denn eure häufigsten Einsätze?“
   „Meistens Verkehrsunfälle“, sagte Rick und starrte
weiterhin aus dem Fenster. „Erst gestern haben wir wieder

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HARTE KERLE LIEBEN LEBKUCHEN

zwei Leute aus einem Unfallwagen geschnitten, die waren
beide – da kommen sie!“
   Drei Gestalten verließen das Café und gingen in
erstaunlich schnellen Schritten die Straße entlang.
   „Hinterher!“, sagte Rick und öffnete die Wagentür.
   „Aber nicht im Laufschritt“, ergänzte Dario. „Sonst
erschrecken sich die Damen und kriegen am Ende noch
einen Herzinfarkt. Die drei haben doch bestimmt schon die
siebzig Lenze überschritten.“
   „Stimmt, wir gehen es eher vorsichtig an.“
   Rick hatte zwar das Gefühl, dass Ottilie, Friederike und
Roberta eher hartgesottene Damen waren und nicht gleich
vor Angst schlotterten, wenn sie Schritte hinter sich
hörten, aber Dario hatte schon recht. Ein bisschen Rück-
sicht auf das hohe Alter der Cousinen konnte nicht scha-
den.
   Also gingen sie erst mal auf der anderen Straßenseite
entlang. Da sie beide gut trainierte Sportler waren, konnten
sie schnell zu den alten Damen aufschließen und überquer-
ten schließlich die Straße, so dass sie hinter den Ladys
waren. Die unterhielten sich eifrig und ziemlich lautstark
über irgendwelche Strickmuster, zwischendurch kicherten
sie und wenn Rick sich nicht völlig verhört hatte, riss
Roberta sogar einen unanständigen Witz.
   „Was sagen wir jetzt eigentlich?“, flüsterte er Dario zu,
als sie nur ein paar Schritte hinter dem Trio waren. Da er,
genau wie Dario, Sneakers trug, hatten die Ladys noch gar
nicht bemerkt, dass jemand hinter ihnen ging.
   „Dass es ein Zufall ist, dass wir sie hier treffen. Aber
bei der Gelegenheit eine Frage hätten“, flüsterte Dario
zurück. „Oder hast du eine bessere Idee?“

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