Häufig gestellte Fragen zu Antidoten in der Homöopathie

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Häufig gestellte Fragen zu Antidoten in der
Homöopathie
„Seit den frühesten Tagen der Homöopathie sahen Homöopathen Patienten, die, leider sehr
häufig durch ärztliche Behandlung, Vergiftungserscheinungen, oftmals von beträchtlicher
Heftigkeit, zeigten. Wenn wir uns die hygienischen Verhältnisse von damals vorstellen, wird
uns klar, dass verdorbene Nahrungsmittel und schlechtes Trinkwasser, verschmutzte
Lebensräume, ihr Übriges dazu taten. Für den Umgang mit solchen Fällen konnten
Homöopathen also von Anfang an routinemäßig Erfahrungen sammeln.
Auch heute noch ist dieser Bereich durchaus von einiger Relevanz. Sei es aus den gleichen
zuvor genannten Gründen, sei es, dass wir mit Zuständen durch Arzneimittelmissbrauch,
Alkohol- und Drogenkonsum konfrontiert sind – eine lange Liste ließe sich erstellen.
Viele Homöopathen heutzutage finden für die Therapie von Vergiftungen jeglicher Couleur
nur schwer den richtigen Einstieg. Zu viele Theorien und Vermutungen kursieren, und welche
Informationen wirklich verlässlich sind, lässt sich schwer sagen. Jedenfalls ist erwiesen, dass
der Anwendung von Antidoten gegen Substanzen unterschiedlicher Toxizität in der
Homöopathie ein recht breites Feld eingeräumt wird. Die Ursache für ihre Anwendung liegt
sogar nicht selten im Verschulden eines Homöopathen, da ja auch unsere Arzneimittel
Verschlimmerungen des Krankheitsbildes bewirken können. Daher nun möchten wir im
Folgenden ein paar Fragen stellen, die wir uns von anerkannten Fachleuten beantworten
lassen, deren herausragende Erfahrungen und deren unmittelbarer Kontakt zur ursprünglichen
Homöopathie in keinster Weise angezweifelt wird oder werden kann.

Herr Dr. Samuel Hahnemann, haben sie in ihrer Praxis Antidote angewendet? Wenn ja, in
welchen Fällen ziehen sie die Gabe eines Antidots in Erwägung?“

Dr. Samuel Hahnemann: „Sie haben vom Therapeuten selbst verschuldete
Verschlimmerungen des Krankheitsbildes erwähnt. Darauf möchte ich kurz eingehen. Dies
habe ich auch in Paragraf 249 der 6. Auflage des Organon getan. Nach meinen Erfahrungen
kann fast keine Gabe einer hoch potenzierten, spezifisch passenden, homöopathischen Arznei
zubereitet werden, die zu klein wäre, um deutliche Besserung in einer entsprechenden
Krankheit zu bewirken. Daher ist es falsch und schädlich, bei Nicht-Besserung oder nur
leichter Verschlimmerung der Symptome, die Gabe zu wiederholen oder gar zu verstärken.
Jede Verschlimmerung durch neue Symptome, wenn nicht aktuelle Auslöser vorliegen,
beweist nur die Unangemessenheit der vorigen Arznei in diesem Krankheitsfall, deutet nie
aber auf eine Schwäche der Gabe hin! Für die Auslöschung neuer, arzneimittelbedingter und
beschwerlicher Symptome kann mein ein Antidot geben, bevor man ein für den Fall genauer
gewähltes Folgemittel einsetzt.

In dieser 6. Auflage dieses Werkes habe ich übrigens eine neue Fußnote eingefügt, die in den
vorangegangenen fehlt und die meine jüngsten Erfahrungen, vor allem mit den neuen Q-
Potenzen, widerspiegelt: „Dem wohlunterrichteten und gewissenhaft behutsamen Arzt, kann
nie der Fall vorkommen, dass er es nötig hätte, ein Antidot in seiner Praxis zu geben, wenn
er, wie er soll, in der kleinstmöglichen Gabe seine wohl gewählte Arznei zu brauchen
anfängt; eine eben so kleine Gabe der besser ausgewählten bringt alles wieder in Ordnung.“
„Dies ist der letzte Stand der Einstellung Hahnemanns zu Antidoten, die in der Vergangenheit
eine nicht unwichtige Rolle in seiner Theorie und Praxis gespielt hatten. Und das tun sie heute
noch in vielen homöopathischen Praxen, woran man erkennt, dass die richtige Dosierung
homöopathischer Mittel häufig nicht gelingt.

Nun stellt sich für einen so missglückten Fall zunächst die Frage, woran man die
Notwendigkeit für ein Antidot erkennen kann und wie man es anwendet.“

Dr. Samuel Hahnemann: „Ich kann nur davor warnen, ‘empfohlene Antidote’ blind
anzuwenden, so, wie ich es zum Beispiel im ersten Teil meiner Reinen Arzneimittellehre
(1830) bei Belladonna beschreibe: ‘Fast alle Schriftsteller haben den Essig als Antidot der
Belladonna aufgestellt, bloß aus Vermutung und weil es Einer dem Anderen nachschrieb auf
Treue und Glauben, und dennoch ist nichts weniger wahr als dies. Meine wiederholte
Erfahrung lehrt, dass Essig die widrigen Wirkungen großer Gaben Belladonna nur noch
mehr verschlimmert.’
Wie wir besser vorgehen, habe ich für einen Fall, wie er für den Paragrafen 249
angenommen wird, in meinem Werk über Die Chronischen Krankheiten, Band 1 ab Seite 147
näher ausgearbeitet:
Hier empfehle ich, dass bei der Entstehung neuer, arzneimittelinduzierter Symptome, die dem
Arzneimittelbild entsprechen und die nicht von bedeutender Stärke sind, erst einmal nichts
unternommen wird.
Diese neuen Symptome vergehen unter der weiterhin heilsamen Wirkung des Mittels.

Sind die neuen Beschwerden jedoch von erheblicher, lästiger Stärke, sehe ich das als Zeichen
einer nicht richtig homöopathisch gewählten Arznei. Hier rate ich eine Antidotgabe an bzw.
in Ermangelung einer solchen, ein genauer passendes homöopathisches Mittel.

Verschlimmern sich vorhandene Krankheitssymptome im Rahmen einer homöopathischen
Verschlimmerung in den ersten Tagen nach der Arzneimittelgabe, ist Heilung zu erwarten.
Anders verhält es sich, wenn eine solche Verschlimmerung verspätet eintritt, was für eine zu
große Gabe und eine daraus resultierende Heilungsverhinderung sprechen kann. Schlimmer
noch, die Arznei kann Symptome entfalten, die die Ähnlichkeit aufheben und eine unähnliche
chronische Krankheit an die Stelle der Natürlichen setzt ohne die Ursprüngliche
auszulöschen. Dies erfordert die Gabe eines Antidots, oder wenn dieses nicht bekannt ist,
eines Mittels, das möglichst genau zu den JETZIGEN Symptomen passt – und zwar in sehr
mäßiger Gabe! Eventuell muss noch ein Folgemittel nachgeschoben werden, wenn die
Krankheit davon noch nicht getilgt wurde. Wenn es jetzt noch angemessen ist, kann endlich
das ursprüngliche Mittel in viel geringerer Gabe und viel höherer Potenz verabreicht
werden.“

C. v. Bönninghausen: „An dieser Stelle möchte ich auf einen Artikel von Dr. J. Aegidi
aufmerksam machen, auf den ich in meinem Systematisch-Alphabetischen Repertorium der
homöopathischen Arzneien (1833) auf der Seite IX hinweise. Dieser Artikel erschien im
Archiv für die homöopathische Heilkunst (XII. 1, 121 ff). Darin schreibt Aegidi über die
Möglichkeiten, wie ein homöopathisches Arzneimittel den Krankheitszustand ändern und
dabei verschlimmern, oder aber auch der Krankheit einen anderen Symptomen-Komplex
geben kann: ‘Sehen wir den Krankheitszustand sich verschlimmern, nämlich die
charakteristischen Symptome erhöhen sich intensiv, ohne sich zu verändern oder
umzugestalten; die sogenannte homöopathische Verschlimmerung. Hier hat das Arzneimittel
das Leiden in seinem Wesen erfasst und es darf nun vorerst nichts weiter geschehen, wenn
nicht etwa die gar zu bedeutenden Beschwerden die Anwendung eines geeigneten Antidots
nötig machen, welches man in den meisten Fällen einer zweiten (wo möglich noch kleineren)
Gabe desselben Mittels findet.
Betrifft die Veränderung den Symptomen-Komplex, beweist dies, dass das Arzneimittel
unpassend gewählt war und sobald als möglich mit einem passenden vertauscht werden
muss.’“

„Passend vs. Unpassend. Nun war man in dem Glauben, das richtige Mittel ausgewählt zu
haben, aber man hat sich getäuscht und der erwünschte Erfolg bleibt aus. Was kann man tun,
um seine Arzneimittelwahl besser zu treffen? Was hilft uns, daraufhin das passende Mittel
genau zu bestimmen?“

C. v. Bönninghausens: „Als ersten Ansatz dafür würde ich verstehen lernen, in welchen
unterschiedlichen Beziehungen unsere Arzneien zueinander stehen können. Ich habe ein Buch
mit dem Titel ‘Versuch über die Verwandtschaften der Homöopathischen Arzneien, nebst
einer abgekürzten Übersicht Ihrer Eigentümlichkeiten und Hauptwirkungen (1836)’
geschrieben. Ab Seite 1 bin ich dort näher auf dieses Thema eingegangen:

Hier ziehe ich auch die Grenze zwischen dem verwandtschaftlichen und und dem bloß
antidotarischen Verhältnis der Arzneien zueinander. Also, wenn eine Arznei das Vermögen
besitzt, die von einer Anderen hervorgerufenen Arznei-Symptome, nach der Ähnlichkeit ihrer
eigenen Wirkungen, heilkräftig (also in der Nachwirkung) auszulöschen, so bezeichne ich das
gegenseitige Verhältnis, welches zwischen diesen beiden Arzneien besteht, mit dem Worte
Verwandtschaft.

Aus dieser Definition geht hervor, dass ich einen wesentlichen Unterschied mache zwischen
dem verwandtschaftlichen und bloß antidotarischen Verhältnis der Arzneien zueinander, bei
welchem Letzteren auch die Beschaffenheit der Erstwirkung in Betracht kommen kann, wenn
sie bei schnell wirkenden Arzneien entsprechend ist und bei heftigen Vergiftungen dadurch
eine Entkräftung (Indifferenzierung, Neutralisierung) der giftigen Substanz zuwege gebracht
wird.
Hat man gegen Krankheitssymptome, die durch eine arzneikräftige Substanz hervorgerufen
sind, ein Antidot angewendet, welches (bei hinreichend zeitiger Darreichung) solche durch
seine Erstwirkung hinweg nimmt, so werden erfahrungsgemäß nur diese getilgt, während
sonstige Krankheitszustände, die sich an dem Leidenden vorfinden, dadurch in keiner Weise
gebessert werden.

Anders verhält es sich, wenn man in solchem Falle ein Antidot reicht, welches durch seine
Nachwirkung die Heilung hervorbringt. Hat man nämlich für den Leidenden eine Arznei
ausgewählt, welche der vorhandenen Symptomengruppe am vollständigsten homöopathisch
entspricht, (mithin der früher genommenen Arznei verwandt ist), so wird man in der Regel
finden, dass diese nicht nur die neuerdings erregten Arzneisymptome fortnimmt, sondern
auch, wenn sonst noch Beschwerden da sind, welche irgend im Bereich derselben liegen,
diese Letzteren heilkräftig auslöscht …

Einige Arzneimittel wirken weit heilkräftiger, wenn ein anderes (verwandtes) vorhergegangen
ist!

Das Verständnis, so wie der Gebrauch der nachstehenden Übersicht der Verwandtschaften
ergibt sich zwar schon aus dem zuvor Erwähnten. Indessen dürfte es für die Anfänger nicht
überflüssig sein, in der Kürze noch folgendes Wenige darüber auszuführen:
Die verwandten Arzneimittel sind gegenseitig Antidote, und können innerhalb der
Ähnlichkeit der Symptome vorzugsweise als solche mit Erfolg angewendet werden. Sie
werden gewisser als ein anderes Mittel, auch wenn dieses teilweise ähnliche Symptome
darbieten sollte, die entstandenen Arzneibeschwerden heilkräftig, (also nicht palliativ oder
durch Erstwirkung) auslöschen. Der Grund liegt wahrscheinlich darin, dass jede Arznei
außer den bemerkten, stark und deutlich hervortretenden Symptomen, jedes Mal noch viele
andere, schwächere und daher unbeachtete Befindensveränderungen erregt, die oft der nicht
verwandten Arznei nicht entsprechen und wodurch das Gesamt-Krankheitsbild demnach für
Letztere nicht homöopathisch geeignet ist. Es darf dabei aber auch nicht übersehen werden,
dass nicht jedes verwandte Arzneimittel imstande ist, alle Krankheitssymptome, welche das
vorhergehende erzeugt hat, zu tilgen, sondern dass jede Arznei nur solche Heilkräfte äußern
kann, welche innerhalb ihres Wirkungskreises liegen.

Die verwandten Mittel, nacheinander gereicht, wirken erfahrungsgemäß weit heilkräftiger
als Nichtverwandte. Dass dessen ungeachtet das Prinzip der Ähnlichkeit stets die erste und
notwendigste Rücksicht bei der Wahl der Arznei abgegeben muss, versteht sich von selbst.
Aber gewöhnlich wird man finden, dass unter mehreren zur Wahl konkurrierenden
Heilmitteln, namentlich bei komplizierten chronischen Beschwerden, sich mehrere Verwandte
befinden. Oft ist mir selbst der Fall vorgekommen, dass sich bei fernerer genauerer
Erforschung und Nachfrage noch manches bisher unbeachtet gebliebene Symptom ergab,
welches einem solchen Heilmittel ganz entschieden den Vorzug einräumte, und der Erfolg
war dann jedes Mal ungemein erfreulich.

Es ereignet sich bekanntlich zuweilen, dass nach einem passend scheinenden Mittel die
Symptome sich erhöhen, wie bei einer starken Erstwirkung, ohne dass Besserung darauf folgt.
Nicht immer ist dieses die Folge eines früheren Missbrauchs der eben gereichten Arznei, und
der Grund solcher Erscheinungen lässt sich manchmal auf keine Weise auffinden. Hier ist
eine Gabe einer verwandten und den Symptomen entsprechenden Arznei ganz vorzüglich an
ihrem Orte. In solchen Fällen warte ich die Nachwirkung nicht lange ab, sondern reiche
schon bald das folgende möglichst nahe verwandte Mittel und habe dann fast immer die
Freude gehabt, nicht nur schnelle Linderung der erhöhten Beschwerden, sondern auch sehr
ansehnliche Besserung des ganzen ursprünglichen Krankheitszustandes zu bewirken.“

„Herr Bönninghausen, haben sie eine Erklärung dafür, worauf überhaupt die Kraft der
Antidote beruhen könnte?“

C. v. Bönninghausen: „1832 habe ich ein Buch mit dem Titel ‘Systematisch-alphabetisches
Repertorium der antipsorischen Arzneien’ drucken lassen. Auf Seite XI habe ich dazu einige
Worte gefunden. Ich bin mir sicher, die Kraft der Antidote beruht ganz allein auf rein
homöopathischen Prinzipien. Nur da kann ein antidotarisches Verhältnis obwalten, wo sich
eine Ähnlichkeit in den Wirkungen vorfindet. Weil nun jeder Heilstoff in dieser Beziehung
seine Eigentümlichkeiten besitzt, so muss es natürlich auch viele Fälle geben, wo nur wenige
oder gar keine Symptome zutreffen. Somit bleibt hier ein sonst wirksames Antidot ohne den
erwarteten Erfolg. Daher kommt es, dass z. B. Kaffee und Wein bei dem einen Kranken die
Wirkungen von Nux vomica aufheben können, bei anderen aber dem Heilmittel nichts
entgegenzusetzen haben. Auch die treffliche Erfahrung neuerer Zeit, dass nämlich sehr hoch
potenzierte Arzneien weit weniger empfindlich gegen rohe Genüsse antidotarischer Art sind,
scheint lediglich aus diesem Gesichtspunkte betrachtet werden zu müssen.“

„Herr Bönninghausen, wenn sie auch hier wieder sagen, dass die antidotarische Wirkung auf
rein homöopathischen Prinzipien beruht, heißt das dann, dass die Anwendung von Antidoten
sich nicht von einer gewöhnlichen homöopathischen Therapie unterscheidet?

C. v. Bönninghausen: „In ‚Die Aphorismen des Hippokrates nebst den Glossen eines
Homöopathen‘, Seite 272, wiederhole ich: Bei allen solchen Zufällen, welche durch
übergroße Arzneigaben oder durch sonstige Vergiftungen entstanden sind, helfen nur, so
lange überhaupt noch Hilfe möglich ist, diejenigen Arzneimittel, welche das Vermögen
besitzen, ähnliche Beschwerden zu erzeugen, und bestätigen also abermals die Richtigkeit
unseres Grundprinzips: Similia Similibus.
Bevor wir uns nun mit nutzlosen Grübeleien und Spitzfindigkeiten aufhalten, schauen wir
einmal, wie mein werter Freund, der Leibarzt Ihrer Königlichen Hoheit, Dr. Aegidi, darüber
im Archiv für die homöopathische Heilkunst Band XII, 1. Heft, Seite 123 ausgesprochen hat
(nachzulesen auch in meinem Buch ‚Die Homöopathie, ein Lesebuch für das gebildete, nicht-
ärztliche Publikum‘, Seite 176): ‚Nach Darreichung der passendst (nach der Ähnlichkeit der
Symptome) gewählten Arzneimittel tritt schon (spätestens) nach Verlauf von acht Tagen (bei
akuten Krankheiten in weit kürzerer Zeit, oft schon nach einer Minute), von zweien Fällen
gewiss einer ein, nämlich entweder:
A. der Krankheitszustand verändert sich, oder
B. er verändert sich nicht.
Die Veränderung des Krankheitszustandes begreift wieder drei Fälle:
1. Der Zustand bessert sich, oder
2. Er verschlimmert sich, oder
3. Die Krankheit verändert ihren Symptomen-Komplex.‘

Für uns sind die Fälle 2. und 3. in diesem Zusammenhang interessant.
Aegidi: ‚Im zweiten Falle sehen wir den Krankheitszustand sich verschlimmern, nämlich die
charakteristischen Symptome erhöhen sich intensiv, ohne sich zu verändern oder
umzugestalten; die sogenannte homöopathische Verschlimmerung. Hier hat das Arzneimittel
das Leiden in seinem Wesen erfasst und es darf nun weiter nichts geschehen; man lasse ruhig
die Reaktion vorübergehen, oder falls sie zu stark wäre oder zu lange dauerte, gebe man das
geeignete Antidot. Es wird darauf Besserung erfolgen, nach deren Stillstand man, den
Umständen gemäß, entweder das Mittel nochmals wiederholen, dann aber in noch
schwächeren Gaben, oder ein anderes, nun passenderes geben muss.
Der dritte Fall betrifft die Veränderung des Symptomen-Komplexes, als Beweis, wo sich diese
ereignet, dass das Arzneimittel unpassend gewählt war und sobald als möglich mit einem
passenderen vertauscht werden muss.
Noch ist der unter B. erwähnte Fall zu berücksichtigen, in welchem sich der
Krankheitszustand nach dem mit aller Umsicht gewählten Mittel (und ungeachtet der
untadelhaften Diät und Lebensweise des Leidenden) gar nicht verändert und bleibt, wie er
war. Hier gebe man, je nachdem bei dem Kranken zu ermittelnden Grade der Rezeptivität
(nach Vorgang der für solche Reizlosigkeit oft spezifisch passenden Arzneien) von dem
sorgfältig gewählten Mittel öfter oder seltener eine Gabe, bis entweder eine deutliche
homöopathische Verschlimmerung eintritt, worauf die Besserung unaufhaltsam fortschreiten
wird, oder bis sich mehrere, dem Mittel eigentümliche Symptome zeigen, die in dem
Symptomenkomplex der Krankheit früher nicht einbegriffen waren, und wodurch nun der
Zustand zwar kompliziert wird, sich aber nicht selten zu bessern anfängt oder man
anderenfalls die Indikation zu einem zweiten Mittel erhält.
Es wird hierdurch einleuchtend, wie es auch in dieser Beziehung der neuen Heillehre
keineswegs an festen Normen gebricht, um selbst in zweifelhaften Fällen jeden unnötigen
Zeitverlust zu vermeiden und die Heilung so schnell herbeizuführen, als es die Natur der
Krankheit gestattet. Aber ebenso muss auch jeder einsehen, dass ein Missgriff nur da
schleunig genug erkannt werden kann, wo der Arzt mit dem ganzen Umfang der Wirkungen
einer Arznei völlig vertraut ist, und dass ein solcher Missgriff nur da ohne Nachteil wieder
gutzumachen ist, wo die Arznei in solcher Kleinheit gereicht wurde, dass ihre Kraft schnell
genug wieder ausgelöscht werden kann.‘
Das dürfte ihre Frage ausreichend beantwortet haben.”

„Eingangs haben wir erfahren, dass der wahre Heilkünstler die Anwendung von Antidoten
alleine durch Vermeidung einer Überdosierung der Arzneimittel vermeiden kann. Können sie
uns noch etwas über dieses wichtige Thema anfügen?“

C. v. Bönninghausen: „Ja schauen sie doch einmal in meinen ‚Kleinen Medizinischen
Schriften‘ auf Seite 315 nach: Dort geht es um die Kleinheit der Gaben. Zu diesem Thema
haben sich Widersprüche auf Widersprüche angehäuft. Merkwürdig dabei ist der Umstand,
dass man die Geschichte der allmählichen Verkleinerung der Arzneigaben und was
Hahnemann in verschiedenen Zeiten, nach Maßgabe seiner fortgesetzten Versuche,
Beobachtungen und Erfahrungen, darüber gelehrt hat, gänzlich zu ignorieren scheint.

Hahnemann über homöopathische Verschlimmerung: ‚Zeigen sich aber diese erhöhten,
ursprünglichen Symptome an den späteren Tagen noch von gleicher Stärke wie anfangs, oder
gar in den späteren noch stärker, so ist das ein Zeichen dafür, dass die Gabe dieses, obwohl
homöopathisch gewählten, Mittels allzu groß war. Dies lässt befürchten, dass keine Heilung
durch sie erfolgen kann. Arznei in dieser Gabengröße vermag eine in einiger Hinsicht
ähnliche Wirkung zu erzielen. Aber die Arznei entfaltet bei dieser Heftigkeit noch ihre
anderen, die Ähnlichkeit aufhebenden Symptome und setzt eine unähnliche chronische
Krankheit an die Stelle der natürlichen fest, die größer und beschwerlicher ist, ohne dass
die alte, ursprüngliche dadurch ausgelöscht wurde.‘

In den hervorgehobenen Worten liegt eine große, nirgends angefochtene, und durch
zahlreiche Erfolge allopathischer Behandlung chronischer Krankheiten vielfach bestätigte
Wahrheit, welche wohl der Beherzigung wert ist.

Hahnemann fährt fort: ‚Dies – (nämlich die zu große Arzneigabe) – entscheidet sich schon in
den ersten 16, 18, 20 Tagen der Wirkung der in allzu hoher Gabe gereichten Arznei. Dem
muss man Einhalt gebieten, entweder durch Verordnung ihres Antidots, oder, wenn dies noch
nicht bekannt ist, durch Eingeben einer anderen, auf die jetzt für die Symptome möglichst
passenden, antipsorischen Arznei. Dies muss in sehr mäßiger Gabe erfolgen, und wenn diese
noch nicht zur Tilgung dieser schiefen Arzneikrankheit hinreicht, durch die Verordnung einer
zweiten dann, so gut wie möglich, homöopathisch Passenden.
Ich (Hahnemann) habe diesen, der Heilung sehr hinderlichen und daher nicht sorgfältig
genug zu vermeidenden Unfall selbst erfahren. Zum Beispiel, als ich die Sepia, noch in
Unkenntnis der Stärke ihrer Kräfte, in zu großen Gaben reichte. Noch auffallender aber, als
ich Lycopodium und Silicea noch in einer billionenfachen Potenzierung zu 4, 6
Streukügelchen (obschon von der Kleinheit eines Mohnsamens) zur Gabe Kranke nehmen
ließ.‘

Wie wenig eine große Arzneigabe vermögend ist, ihre volle Heil bringende Wirksamkeit zu
entfalten, ergibt sich auch noch aus dem, was der Stifter der Homöopathie sogleich darauf
folgen lässt:
‚Hat sich nun so der stürmische Angriff von der allzu großen Gabe der, obschon
homöopathisch wohl gewählten Arznei durch das Antidot oder den Nachgebrauch einiger
anderer antipsorischen Mittel gelegt, so kann später dieselbe, nur durch ihre überwiegende
Stärke schädlich gewesene, antipsorische Arznei dennoch wieder einmal, und zwar, sobald
sie homöopathisch angezeigt ist, mit dem besten Erfolg gegeben werden, nur in weit kleinerer
Gabe und in viel höher potenzierter Verdünnung, das ist, in gemilderter Eigenschaft.‘

Endlich sagt Hahnemann noch: ‚… dass man nichts damit versieht, wenn man die Gaben
(wenn es möglich wäre) noch kleiner verordnete, als ich sie selbst angegeben habe. Man
kann sie fast nicht zu klein gewählt haben, wenn nur alles in der Diät und dem übrigen
Verhalten des Kranken die Arzneiwirkung hindernde oder gar aufhebende vermieden wird.
Wenn man dann die Wahl des Arzneimittels nicht richtig getroffen hat, bleibt uns der große
Vorteil übrig, die unrichtig gewählte Arznei in dieser kleinsten Gabe, auf obige Weise,
leichter außer Wirksamkeit setzen zu können, worauf man folglich mit einem passenden
Antipsorikum in der Kur ohne Aufenthalt fortfahren kann.‘

– Dieser Ausspruch sollte besonders von den Anfängern beherzigt und befolgt, und dabei die
dringende Warnung Hahnemanns (in dem Vorworte zu dem Werke über die Chronischen
Krankheiten) nicht so leicht in den Wind geschlagen werden, worin er besonders in dieser
Beziehung sich also äußert: ‚Was würden sie gewagt haben, wenn sie meinen Angaben gleich
anfänglich gefolgt und gerade diese kleinen Gaben zuerst in Gebrauch gezogen hätten? Aber
bei ihrer unverständigen, eigenmächtigen Anwendung großer Gaben zu homöopathischem
Gebrauche, gingen sie nur, in der Tat, abermals denselben für die Kranken so gefahrvollen
Umweg zur Wahrheit, den ich schon, um ihnen denselben zu ersparen, mit Zittern, aber
glücklich zurückgelegt hatte, und mussten nach Anrichtung manchen Unheils und nach
vergeudeter schöner Lebenszeit, doch endlich, wenn sie wirklich heilen wollten, an dem
einzig richtigen Ziele anlangen, was ich ihnen treulich und offen und im Grunde längst zuvor
schon dargelegt hatte.‘
Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass Spezifiker die unerwiesene Behauptung aufstellten,
dass der Urheber der Homöopathie selbst in den letzten Jahren wieder von der, wie sie es
nennen, übertriebenen Kleinheit der Gaben abgekommen sei und größere gebe, wie in der
ersten Epoche der Homöopathie.
Abgesehen davon, dass das zu Ende des Jahres 1838 geschriebene Vorwort zum letzten
Bande der Chronischen Krankheiten, zweite Auflage, gerade das Gegenteil besagt, bin ich
außerdem imstande, durch einen, seit der Mitte des Jahres 1830 bis zu Anfang Mai dieses
Jahres, also bis etwa zwei Monate vor seinem Tod, ununterbrochen fortgeführten und
fleißigen Briefwechsel nachzuweisen, dass an jener Behauptung nicht nur nichts Wahres
ist, sondern dass die Gaben bis zuletzt noch immer mehr verkleinert wurden.“

„Was uns wieder zu dieser neuen Fußnote des Paragrafen 249 der 6. Auflage des Organon
führt.
Nun lässt es sich aber ganz bestimmt nicht leugnen, dass die Anwendung der
homöopathischen Antidote zu einem beträchtlichen Teil im Sinne von Antagonisten – als
Gegenspieler zur Erregungsursache – angewendet werden. Lässt sich dies mit dem oben
genannten Simile-Prinzip, dem auch die antidotarische Behandlung unterliegt, vereinbaren?“

G.H.G. Jahr: „Das darf ich hier einmal ganz deutlich und unzweifelhaft klären. In meinem
Buch ‚ ‘Die Lehren und Grundsätze der gesamten theoretischen und praktischen
Homöopathischen Heilkunst‘, Seite 300, habe ich einen Aufsatz zu diesem Thema verfasst.
Eine tatsächlich nicht selten in unserer Schule gebräuchliche Art, die passende Arznei zu
ermitteln, ist die Erforschung der veranlassenden Ursache, welcher die vorliegende
Krankheit ihr Entstehen verdankt. Denken wir zum Beispiel an Arzneimittelmissbrauch,
Genuss schädlicher Speisen oder Getränke, verdorbenen Magen, übermäßige
Geistesanstrengung, körperliche Ermüdung, mechanische Verletzungen, Gemütsbewegungen,
Erhitzung, Erkältung, Durchnässung usw. Nach deren richtiger Erkennung glaubt man sich
dann nicht selten berechtigt, dasjenige Mittel, welches gegen eine solche Ursache als mehr
oder weniger spezifisch bekannt ist, ohne weitere Untersuchung der Ähnlichkeit seiner
Zeichen mit denen des vorliegenden Krankheitsfalles, als ganz besonders angezeigt in
Anwendung zu bringen. Es kann nun nicht geleugnet werden, dass Arzneien bekannt sind, in
homöopathischer Beziehung zu irgend einer bestimmten Krankheitsursache zu stehen.
Wenigstens müssen diese Arzneien teilweise zu den durch diese Ursache erregten Zeichen
ebenfalls in echt homöopathischer Beziehung stehen. Diese Mittel werden daher gewiss sehr
oft auch in der Tat fast blindlings gegen einen solchen Fall gereicht und mit Erfolg
angewandt werden können. Das sehen wir sogar auch sehr häufig in der Praxis, wenn wir
gegen ein von Ärger erzeugtes Gallenfieber Kamille, gegen die nachteiligen Folgen
übermäßiger Freude Coffea, gegen gastrische Beschwerden von Magenverderbnis Pulsatilla,
gegen Kaffeemissbrauch Nux vomica, oft ohne alle weitere Untersuchung der
Zeichenähnlichkeit und doch nicht selten mit dem besten Erfolge reichen.
Dennoch aber kann auch dieses Verfahren nicht unbedingt als wahrhaft rationell zur
Nachahmung empfohlen werden.
Denn wenn auch in vielen Fällen der Erfolg eine solche Wahl rechtfertigt und wenngleich es
ebenfalls klar ist, dass ein so gegen die veranlassende Ursache gewähltes Mittel immer auch
mehreren charakteristischen Symptomen des Falles, als der unbedingten Folgen ihres einen
Faktors entsprechen muss: Die entsprechenden Zeichen unterliegen nur einem Faktor, nicht
aber beiden, denen sie angehören müssen. Ein solches sogenanntes spezifisches Antidot
entspricht nur der veranlassenden Ursache. Es entspricht aber nicht dem anderen Faktor,
nämlich der Entsprechung der durch die Individualität des erkrankten Organismus
bedingten Zeichen!

Es wird gar oft in der Praxis durch Fälle bestätigt, dass bei dergleichen Spezifika gegen
veranlassende Ursachen diese auch gar nichts tun. Der Arzt ist genötigt, sich nach einem
besser angezeigten Gegenmittel umzusehen. Die Erkenntnis der veranlassenden Ursache ist
für die Aufstellung des Heilplanes oft wichtig. Zumal, wenn direkte Gegenmittel gegen
dieselbe bekannt sind. Und so sicher diese Erkenntnis die Wahl in vielen Fällen leiten kann,
so wenig ist sie doch geeignet, ohne fernere Beachtung der vorliegenden Zeichen für sich
allein ein Mittel mit Bestimmtheit anzuzeigen, ganz gleich, wie dieses Mittel als noch so
spezifisch gegen dieselbe anerkannt sein sollte.
Die Gegenmittel gegen die verschiedenen veranlassenden Ursachen stehen demnach gerade
so da, wie gewisse Spezifika gegen pathognomonische Zustände oder gegen einzelne
charakteristische Symptome. D. h., sie sind wahlfähige Mittel, aber nie ohne weiteres
angezeigte. Mit anderen Worten: Die veranlassende Ursache kann in jedem Falle die Mittel
angeben, welche vorzugsweise in Betracht gezogen zu werden verdienen.
Die Ursache kann aber nicht angeben, welche Arznei als die beste jedes Mal anzuwenden
sind.
Dazu kommt nun noch überdies, dass sehr häufig nichts schwieriger ist, als die richtige
Erkennung der wahren Gelegenheitsursache. So kann der Arzt, wenn ihm in dieser Hinsicht
nicht sichere Kennzeichen vorliegen, sehr leicht einen falschen Heilplan einleiten, wenn er
mit Unrecht seine Diagnose auf diese oder jene Gelegenheitsursache stellt, und wenn er sich
durch eine solche irrige Diagnose bei der Wahl des Mittels leiten lässt. Nur da, wo
erweislichermaßen eine solche Gelegenheitsursache vorliegt, wie z. B. bei langwierigem
Arzneimissbrauch, oder anderen langsamen oder akuten Vergiftungen, oder bei offenbaren
Folgen von Gemütsbewegungen, übermäßigen Anstrengungen usw., da allein kann und darf
der Heilplan auf solche Gelegenheitsursachen gebaut werden.
Aber auch da noch kann der Arzt sich nie mit voller Sicherheit auf die gegen jene Ursache
empfohlenen Mittel verlassen. Er kann nie wissen, ob diejenigen Ärzte, welche diese Mittel
empfohlen haben, ihrerseits auch gewiss waren, dass in den Fällen, wo sie die spezifische
Hilfskraft eines Mittels gegen eine solche Ursache zu beobachten glaubten, die von ihnen
vermutete Ursache auch in der Tat die veranlassende gewesen sei. Daraus folgt, dass alle
solche sogenannten Spezifika zuletzt nie ohne gleichzeitige Erforschung der
Zeichenähnlichkeit angewendet werden können. In jedem Fall wird der Arzt viel besser
tun, dort, wo diese Ähnlichkeit nicht genügend befunden wird, jedes andere nur irgend
zeichenähnliche Mittel eher anzuwenden, als eines jener gegen die veranlassende Ursache
empfohlenen Spezifika.
Ähnliches gilt von den sogenannten Antidoten gegen Arzneien. Der Unterschied liegt nur
darin, dass hier die spezifische Wirkung der als Antidote empfohlenen Mittel auf vielfache
bewusste Beobachtungen beruhen und sie daher meist viel sicherer sind, als bei den gegen
andere Gelegenheitsursachen gerühmten Mitteln.
Doch ist auch hier wieder, wegen der verschiedenen Eigentümlichkeiten der einzelnen
Organismen und der nie ganz genügenden Zulänglichkeit eines Mittels zur Deckung der
gesamten Wirkungssphäre eines anderen, ebenso richtig, dass es fast gegen keine Arznei
irgend ein absolutes Antidot gibt. Kein Mittel kann alle Erscheinungen vernichten, die eine
Arznei im Körper hervorgerufen hat. In den meisten Fällen nimmt ein Mittel einen Teil der
Beschwerden hinweg. Ein anderes weitere Beschwerden. Dies hängt von der Ähnlichkeit der
Zeichen der Arznei mit denen des Antidotes ab.
Daraus folgt dann, dass diejenigen Antidote, welche mit ihren wesentlichen und
charakteristischen Zeichen den meisten Zeichen der Arznei entsprechen, stets die besten und
am häufigsten anwendbaren sein werden, und dass, wenn in einem vorliegenden Falle ein
solches allgemein passendes Antidot auch im Einzelnen angezeigt ist, dieses jedenfalls den
Vorzug vor jedem anderen verdienen wird.
Dagegen aber muss auch ebenso bestimmt wieder nicht nur von dem Hauptantidote jeder
Arznei, sondern überhaupt von allen bisher als Antidot gegen dieselbe angegebenen
Mitteln ganz und unbedingt abgesehen werden, wenn in irgend einem besonderen Fall
keines derselben den vorliegenden Zeichen entspricht. Denn was die antidotarische Kraft
des einen Mittels gegen das andere begründet, das ist, wie bei den natürlichen
Krankheiten, die Zeichenähnlichkeit. Nur bei Vergiftungen mit großen Gaben, wo die
chemischen Wirkungen gewisser noch in den ersten Wegen befindlicher Stoffe auf
chemischem Wege zu neutralisieren sind, treten andere Gesetze ein, die aber nicht hierher
gehören.

Zusammenfassend heiß das: Obgleich die veranlassende Ursache stets ein höchst wichtiges,
bei keiner Mittelwahl außer Acht zu lassendes Moment ist, so kann diese doch für sich allein
ohne gleichzeitige Untersuchung der Zeichenähnlichkeit nie die Wahl entscheiden. Ja, sie
kann sogar da, wo nicht, wie z. B. gegen gewisse Arzneien, sichere Antidote vorliegen,
sondern nur unbestimmte Gegenmittel empfohlen sind, nicht einmal immer ganz zuverlässige
Andeutungen für die wahlfähigsten Mittel geben. Sogar in den Fällen, wo sichere Antidote
vorliegen, ist stets noch die Zeichenähnlichkeit eines solchen Mittels mit dem vorliegenden
Falle in Betracht zu ziehen, und, wenn diese sich nicht bestätigt, jederzeit ein anderes besser
angezeigtes Mittel zu erforschen. Dieses sollte auch ganz außer dem Kreise aller gegen
solche Ursachen empfohlenen Gegenmittel gesucht werden.“

„Das haben sie sehr verständlich klargestellt. Nun gibt es noch den Einwand, dass die übliche
niedrige Dosierung der homöopathischen Gabe in Fällen von Zuständen nach schweren
Vergiftungen jeglicher Art nichts ausrichten kann. Ist es nicht so, dass man bei einem solchen
schwerwiegenden Zustand hoch dosiert eingreifen muss, um überhaupt etwas Positives
ausrichten zu können? Schließlich handelt es sich doch hier um einen Notfall und das Gift
muss schnellstens unwirksam gemacht und die Gesundheit wieder hergestellt werden!“

C. v. Bönninghausen: „Zu diesem Thema finden sie etwas in meinem Buch ‚Die
Homöopathie, ein Lesebuch für das gebildete, nicht-ärztliche Publikum‘ auf Seite 232. Nun,
zunächst einmal macht die Homöopathie keinen wesentlichen Unterschied zwischen Gift und
Arznei. Wenn man nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch unter dem Wort Gift nur solche
Substanzen verstanden werden, welche schon in geringen Mengen lebensgefährliche
Zustände erregen, so wird dadurch im Grunde nur ein höherer Grad von Kraft und
Wirksamkeit bezeichnet. Das Maß dafür ist aber nicht bloß von der Substanz, sondern auch
von dem Individuum und dessen Empfänglichkeit abhängig.
Anders als die normale Nahrung können sowohl die Arzneien, als auch die Gifte, eine
Befindens-Veränderung im menschlichen Körper bewirken. Dies gilt für den kranken und den
gesunden Zustand des Menschen. Ebenso gut also, wie Arsen, das ätzende Quecksilber-
Sublimat und die Blausäure bei Allopathen und Homöopathen zu den Arzneimitteln gezählt
und von ihnen angewendet werden, ebenso gut muss man, wie es auch die Homöopathen tun,
Kamille, Flieder, Kaffee, China, Wurmkraut und dergleichen zu den Giften zählen. Nur die
ganz unarzneilichen, die nährenden Dinge, wie Salep, Kakao, Arrowroot, arabischer Gummi
usw., welche die Apotheker führen, sind weder das eine noch das andere, sondern
Nahrungsmittel, welche mehr der Küche als der Apotheke angehören.

Die bisherige Arzneikunst hat, in der wohltätigen Absicht, die Übersicht zu erleichtern und
dadurch umso schneller und sicherer Hilfe bringen zu können, die Gifte unter besondere
allgemeine Rubriken gebracht und für jedes derselben im Allgemeinen die Gegengifte
(Antidote) angegeben. So rät man z. B. bei Vergiftungen mit korrosiven Dingen Milch und
schleimige Substanzen, bei narkotischen, Salzwasser, Essig, Kaffee, Zitronensaft usw.
anzuwenden.
Die homöopathische Heilmethode, deren Wesen überhaupt in dem strengsten
Individualisieren besteht, beschränkt sich nicht auf solche allgemeine Vorschriften.
Was die Homöopathie mit der Allopathie gemeinsam hat, ist, dass sie erwägt, ob das Gift
etwa noch in Substanz im Körper vorhanden ist und daher so schnell wie möglich entweder
durch Ausleerungen fortgeschafft oder chemisch zersetzt werden muss, oder ob nur die rein
dynamische Wirkung desselben auf den lebenden Organismus fortbesteht und zu vernichten
ist.
Die gleichsam mechanische Fortschaffung, so wie die chemische Neutralisierung der noch in
Substanz vorhandenen Giftstoffe ist bei beiden Heilmethoden im Ganzen dieselbe und muss
natürlich dieselbe sein, weil hier überall die Verfahrensweise auf Empirie gebaut ist. So wie
man die Schmerzen im Auge durch einen hineingeratenen Fremdkörper nicht eher heilen
kann, bis dieser herausgeschafft ist, so ist es auch unmöglich, den Vergifteten wieder
herzustellen, solange das Gift in seinen Eingeweiden wütet.
Ist nun aber die giftige Substanz nicht mehr als solche im Körper vorhanden, so bleibt doch
fast immer eine dynamische Wirkung derselben zurück. Um diese auszulöschen, stehen dem
Arzte zweierlei Wege offen, nämlich der allopathische und der homöopathische.
Die allopathische Behandlung kann nur da Anwendung finden, wo entweder das Gift an und
für sich nur eine sehr kurze Wirkungsdauer besitzt oder wo solche Hilfe nötig ist, um die
anfängliche mechanische Fortschaffung desselben zu befördern. Der Homöopath weiß, dass
dadurch anhaltende Krankheits-Symptome so wenig aufgehoben und vernichtet werden, dass
sie vielmehr nach kurzdauernder, scheinbarer Linderung dann nur in desto verstärkterem
Grade wieder hervorbrechen und sich offenbar verschlimmern.
Der Homöopath schlägt daher in den bei weitem zahlreichsten Fällen den homöopathischen
Heilweg ein. Er behandelt solche dynamische Gift- und Arzneiwirkungen gerade wie jede
andere dynamische Krankheit, indem er diejenigen Mittel reicht, welche am entschiedensten
die Kraft und die Neigung besitzen, ähnliche Beschwerden im lebenden Organismus zu
erregen und die meiste Ähnlichkeit mit den Wirkungen des Giftes oder der Arznei besitzen.

Um das hiervor nur kurz Angedeutete anschaulicher zu machen, wollen wir angeben, wie der
homöopathische Arzt bei einer vorhandenen Vergiftung verfährt, und wählen dafür zuerst
einen Fall von Vergiftung mit einer einzigen Dosis einer giftigen Substanz, z. B. der Frucht
der Belladonna.
Hat jemand einige Beeren dieser giftigen (arzneikräftigen) Pflanze verschluckt, so wird der
hinzugerufene Arzt unverzüglich versuchen, dieselben mechanisch wieder fortzuschaffen.
Hier tritt ihn aber schon gleich die durch das Gift entstandene große Unreizbarkeit des
Magens, gewöhnlich mit tetanischen Krämpfen verbunden, hinderlich entgegen, welche die
Wirkung eines gereichten Brechmittels vereiteln würde. In diesem Falle ist er verpflichtet, um
das Leben zu retten, durch die antipathischen Mittel, nämlich durch eine Menge starken
Kaffeetranks, oder noch schneller und wirksamer durch die weingeistige Tinktur des rohen
Kaffees, in kurz nacheinander wiederholten kleinen Gaben, diese Reizlosigkeit des Magens
und der Speiseröhre zu tilgen und durch gleichzeitige mechanische Reizung des Schlundes
mit einer Federfahne Erbrechen zu bewirken.
Hätte aber das Gift seine Wirkung schon weiter entfaltet, sodass daneben auch
Bauchschmerzen mit lähmigen Zuständen eingetreten wären, so würde man mit Kaffee den
Zweck nicht mehr erreichen, sondern es müsste dann der Mohnsaft zu Hilfe genommen
werden, welcher hier ebenfalls nur antipathisch und palliativ wirken würde. Ist nun aber die
Ausleerung erfolgt und die Substanz solchergestalt fortgeschafft, so hat die mechanische
sowohl, als die allopathische Methode das ihrige getan, und die Tilgung der
zurückgebliebenen Beschwerden dynamischer Art wird nur auf homöopathischem Wege
erwirkt werden können, indem der Arzt nach Maßgabe der jedes Mal vorwaltenden
Symptome das nach der Ähnlichkeit seiner reinen Wirkungen gewählte Heilmittel
reicht. – Wie er dabei verfährt, wollen wir in einigen Beispielen sehen.
Zuvorderst wird häufig nach Vergiftungen mit Belladonna eine gewisse Schlummersucht
beobachtet, ähnlich einem lethargischen, apoplexartigen Zustand. Hier wird sich am
häufigsten und schnellsten Mohnsaft als hilfreich erweisen, und zwar nun nicht mehr
antipathisch, sondern homöopathisch. Zuweilen wird Magnetis polus arcticus, oder, besonders
wenn wirkliche Lähmungen damit verbunden sind, Cocculus, helfen. Diese drei Mittel
erregen alle in dieser Beziehung mit der Belladonna ähnliche Erstwirkungen.
Tritt dagegen, wie nicht selten geschieht, ein Zustand von Betäubung ein, oder entsteht
Wahnsinn und Wut, so wird man am schnellsten und gewissesten durch einige sehr kleine
Gaben Hyoscyamus Hilfe bringen, welches ebenfalls die häufig gleichzeitige Geschwulst und
Verengung des Schlundes in kurzer Zeit wegnimmt, weil sowohl das Eine wie das Andere in
dem Umfange der reinen Wirkungen dieser Arznei liegt.
Blieb aber im günstigeren Fall bloß eine gewisse Art von Trunkenheit, wie von einem Rausch
zurück, so wird dieser schnell nach Genuss von etwas Wein weichen, (wie schon der alte
Botaniker Tragus in seinem Kräuterbuch lehrt), nach der bekannten Kraft dieses Getränks.
Zuweilen ereignet es sich, dass die Belladonna, auch als Arzneimittel in übergroßen Gaben
gereicht, Kopfweh mit Weinerlichkeit und Frostigkeit erzeugt, mit abendlicher
Verschlimmerung, wobei der Leidende vor Mitternacht nicht einschlafen kann. Diesen
Zustand heilt Pulsatilla, welche ähnliche Beschwerden, verbunden mit der abendlichen
Exazerbation unter ihre am meisten charakteristischen Eigentümlichkeiten zählt.
Die rotlaufartigen Geschwülste, welche die Belladonna in so ausgezeichnetem Grad
hervorzubringen geneigt ist, werden bald durch eine kleine Gabe Hepar sulfuris calcarea
beseitigt, weil auch diese in gleichem Grade die Fähigkeit besitzt, ähnliche Rotlauf-
Geschwülste am gesunden menschlichen Körper zu verursachen.
Es würde zu weit führen, diesen Faden weiter zu verfolgen und alle Mittel aufzuzählen,
welche das Vermögen besitzen, als homöopathische Antidote die nachteiligen Wirkungen der
Belladonna zu tilgen. So möchte ich nur noch China, Colchicum, Cuprum und Senega
erwähnen, deren Wirkungen in einigen Punkten mit denen der Belladonna übereinkommen
und ihre antidotarische Wirksamkeit bei entsprechenden Zuständen bereits bewährt haben.
Nur das müssen wir noch hinzufügen, dass der von fast allen Schriftstellern als Antidot gegen
die narkotische Belladonna gerühmte Essig nichts weniger als Heil bringend ist, sondern die
Beschwerden nur verschlimmert.“

„Sie sprechen von kleinen bzw. sehr kleinen Gaben..“

Samuel Hahnemann: „In meiner Reinen Arzneimittellehre finden sie bei Ipecacuanha noch
einmal mehr meine Bestätigung dafür. Bei Anwendung dieses Heilmittels als homöopathische
Arznei, und Vergiftungen sind davon nicht ausgenommen, nein, ich habe Beispiele sogar
extra noch gegeben, gilt: In allen diesen Fällen von homöopathischer Heilanwendung dieser
Wurzel sind ebenfalls nur ganz kleine Gaben angezeigt. Ich gab bisher die verdünnte Tinktur
zu einem Tropfen, welcher ein Millionstel eines Grans Ipekakuanha-Kraft enthielt, habe aber
aus der noch oft unnötig starken Wirkung in vielen Fällen gesehen, dass die Gabe zu
homöopathischem Gebrauche (versteht sich, bei Entfernung aller andern, fremdartigen,
arzneilichen Einflüsse) noch mehr verkleinert sein müsse.

  Nur wo eine starke Vergiftung mit einer grossen Gabe Mohnsaft zu besiegen ist, muss eine
grosse Gabe Ipekacuanha-Tinktur (zu 30, 40, 60 Tropfen der starken Tinktur) angewendet
werden – wo nicht vielmehr starker Kaffeetrank (oder Kampher) den Umständen nach
angezeigt ist.“

                                                                              Siegfried Letzel
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