In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! - Norient

Die Seite wird erstellt Hermine Binder
 
WEITER LESEN
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! - Norient
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

    In Bayern wird randaliert:
    Bayerischer Mundart-Rap in
    dei G'sicht!
    by Julian Warner

    «Aber der Neger, darf rein?» Ausgehend von diesem Gerhard
    Polt-Sample aus einem Song von BBou und Liquid analysiert
    der Kulturwissenschaftler Julian Warner den Gebrauch der
    stereotypen Begriffe «Neger» und «Kanacke» im
    bayerischen Mundart-Rap. Er zeigt auf, inwieweit sich die
    Akteure dabei hegemonialen Diskursen um Sprache,
    Repräsentation und Rassismus widersetzen.

    Auszug aus meinem Feldtagebuch, Abend des 17. Mai 2013, Konzert von Bbou
    und Liquid im Hansa 39/Feierwerk in München:

              «... Die Halle ist voll: 500 zahlende Gäste, berichtet mir
              Ivi. Die Tour verkauft sich wahnsinnig gut. Die Menge ist
              überwiegend Anfang 20. Hier und da erspäht man einige
              Hiphop-Heads um die 30 mit ihren Kapuzen. Ansonsten
              ist der Style Jeans und T-Shirt, baggy getragene
              Stoffhosen und kariertes Hemd und ganz viele

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                   Page 1 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! - Norient
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

              Lederhosen mit FlipFlops, Lederhosen mit T-Shirt, mit
              Karo-Hemd, mit Sneaker, aber auch mit traditionellen
              Schuhen. Einige Mädels sind im Dirndl, aber im Verhältnis
              viel mehr Jungs in Lederhosn. (...) Die beiden Stars (!)
              betreten die Bühne und die Menge flippt aus, (…) Ein
              satter Bass schlägt durch den Raum. Viel Interaktion mit
              dem Publikum: Zicke zacke Zicke zacke, Heu, Heu, Heu,
              Prost ihr Säcke, Prost Du Sack und diverse andere Trink-
              Rituale werden mit dem Publikum ausgespielt.

              Meine distanzierte Beschreibung transportiert meine
              Befremdung. Die Nummern sind überwiegend Brecher!
              Der Hammer! Ich nicke meinen Kopf und feier ihren Flow,
              ihren Double-Time und den Wortwitz, den ich verstehe. Es
              wird ein Spiel vorgeschlagen: Immer wenn einer der
              beiden ‹GAUDI!› brüllt muss das Publikum ausflippen. (…)
              Es folgen Dubstep-Beats mit Jodel-Sample, Zeilen vom
              Bbou wie ‹I bin da bairische 2Pac, komm in Dei Kuhkaff
              und mach Dei Crew platt› oder ‹I bin a Rudeboy›. Liquid
              rappt ‹I bin geborn im Freestaat›. Am Rande der Bühne
              erspäht Bbou eine Rauferei. Er gibt ein Signal und die
              Musik stoppt. Er redet auf die Leute ein. Er sei nun 26
              Jahre alt und habe schon zu viele blöde Prügeleien mit
              Besoffenen gehabt. Das braucht kein Mensch. Als die
              nicht aufhören wollen, fragt Bbou den Rest des
              Publikums, ob irgendjemand diese Raufereien brauche. Es
              gibt ablehnendes Raunen. Die Gemeinten sind
              eingeschüchtert und weiter geht es.

              Zwischen zwei Liedern hat irgendwer irgendwas gesagt.
              Ich glaube es war eine rassistische Bemerkung. Bbou und
              Liquid gehen kurz drauf ein... ich verstehe nicht, was sie
              sagen, aber dann bekomme ich nur mit, wie Liquid die
              Geschichte mit folgendem Witz entschärfen will: ‹Was
              haben der grüne Punkt und ein Chinese (sprich KINESE)
              gemein? … Den gelben Sack.›

              Mir dreht sich der Magen um. Einige Tracks weiter... es ist
              wieder Pause. Es werden ständig ‹A Hoalbe› aufgemacht
              und kräftig angestossen. ‹Das wirft ma nich weg. Das
              trinkt man›, sagt Bbou. Es folgt Gröhlen. (…) Und dann

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                   Page 2 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! - Norient
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

              kommt der Track ‹Mach doch Deinen Polt› (RMX). Ein
              Track, in Anlehnung an Kool Savas ‹Mach doch deinen
              Scheiß›, gespickt mit Gerhard Polt, statt Klaus Kinski
              Samples. Und die Hook ist immer wieder Polts ‹ABER DER
              NEGER, DARF REIN?›. Das Stück ist ein ulkiger/lustiger
              ‹Represent›-Track. Voll auf die zwölf. Aber wenn das
              ganze Publikum die Negerzeile mitgröhlt wird mir mulmig.
              Im Publikum hatte ich ein paar Schwarze, einen Inder oder
              Pakistani gesehen. Ich frage mich, was die wohl gerade
              denken. Alle kennen den Track. Auch, wenn Bbous
              Nummern ‹Danzbodngeschichdn› und ‹In Bayern wird
              randaliert› (was sich immer auf den entsprechenden Ort –
              ‹In München wird randaliert›, etc. – anpassen lässt) die
              Leute noch mehr zum Ausflippen bringt.

              Letzteres ist dann auch das Finale. Es gibt keine
              Zugaben. Die beiden verschwinden von der Bühne und DJ-
              Sticky legt Rap der 2000er Jahre auf... dazu Chris Brown,
              etc. Viele Gäste gehen, viele eilen zu den Merch-Ständen,
              einige Wenige bleiben auf der Tanzfläche und feiern den
              Hiphop-Sound. War das eine Hiphop-Veranstaltung? Ich
              bin mir unsicher. Ewig sitzen Bbou und Liquid am Merch-
              Stand. Die Fans wollen Fotos mit den Beiden machen, sich
              ihre T-Shirts, frischgekauften Bandshirts und nackten
              Oberkörper signieren lassen»

    Der obige Auszug aus meinem Feldtagebuch zeigt in eindringlicher Weise
    meine ersten Eindrücke von dem Hype um die beiden oberpfälzischen
    Mundart-Rapper Bbou und Liquid. Ich empfand Befremden und
    Unverständnis über diesen Mashup von Oktoberfest-Ritualen, Popstartum
    und Rapkonzert. Der affirmative Gebrauch des Wortes «Neger» durch den
    Schwarzen Bayern Liquid empörte mich, dass das Publikum das Wort
    migröhlte, machte mir als Schwarzen Deutschen gar Angst. Dennoch machte
    mich die Selbstverständlichkeit, mit welcher all dies von statten ging
    neugierig. Auf Grundlage dieser Neugierde begann ich eine kleine
    ethnologische Feldforschung, welche diese Phänomene als ein kulturell
    fremdes Feld begreift und versucht, mithilfe ihrer Akteure eine emische
    Perspektive dessen zu konstruieren. Der vorliegende Artikel ist keine
    abschliessende Theorie dieser «Wasted Bavarian Youth», sondern lediglich
    eine Beschreibung und erste interpretative Annäherung an dieses Feld.

    Bayerische Slangsta

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                   Page 3 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

              «Ich sitze bei Liquid in der WG in Regensburg. Er spielt mir
              ein paar Demos seines nächsten Soloalbums vor. Die
              Beats stammen aus der Hand des Regensburger MCs und
              Produzenten Achim vom englischsprachigen Hiphop-Duo
              Demograffics. Achim ist bereits für die meisten Beats auf
              dem Kollaborationsalbum von Bbou und Liquid Bavarian
              Wasted Youth verantwortlich gewesen. Sein Sound lässt
              sich am ehesten als Old-School oder Boom-Bap Style
              beschreiben: Bassdrum, Snare und Vinyl-Samples.

              Liquids Schlafzimmer ist im Wesentlichen ein Ministudio
              mit Recording-Rechner, Studioboxen und Gesangskabine.
              Die Wände sind mit eigenen und fremden Tourplakaten
              (u.a. Rammstein) zugekleistert, die Möbel und die Tür mit
              Bandsticker vollgeklebt. Ein Sticker mit weißer Schrift vor
              schlichtem schwarzen Hintergrund liest ‹Slangsta›. ‹Wir
              sind Slangster, nicht Gangster›, erklärt Liquid. Er erzählt
              mir, dass er bis vor seinem ersten Tourstop in Österreich
              immer dachte, dass Bbou und er die Pioniere des
              Mundart-Raps seien. In Österreich merkte er, dass der
              Style dort seit Jahren auf einem hohen Level produziert
              werde. Er schwärmt von der technischen Vielseitigkeit
              des Rappers Kroko Jack und zeigt mir auch Youtube-Clips
              von der Gruppe Da Vamummtn. Liquid meint, dass viele
              Leute nicht begreifen würden, dass dies ein Movement
              sei: Eine Mundart-Bewegung. Dies sei das krasseste, was
              gerade aus dem deutschsprachigen Raum kommen
              würde.» (Feldtagebuch, 24. September 2013)

    Doch Liquid rappte nicht schon immer in seinem breiten oberpfälzischen
    Dialekt. Vielmehr begann er, wie andere Mundart-Rap-Akteure auch, seine
    Karriere auf hochdeutsch. In dieser Phase nahm er auch an einem Rap-
    Wettbewerb teil, in welchem der Berliner Rapper Sido der alleinige Juror war.
    Liquid schaffte es auf Anhieb in die Top10 des Wettbewerbs, scheiterte
    jedoch an Sidos finalem Urteil. Rückblickend erklärt Liquid:

      «(...) doa hoat er ja gesoagt so ‹Sein Dialekt gefällt mir nicht, seine
      unentschlossene Art zu rappen›. Doa hoat er eigentlich Recht gehoabt,
      woas er gesoagt hoat, weil I hoab mi verstellt, I hoab hochdeitsch gerappt,
      obwohl I net so red und I hoab noch net so loang gerappt und woar aa no
      net so sicher am Mic. (...)» (Interview, 17. Mai 2013)

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                   Page 4 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

    Der Amberger Bbou (kurz für: Der Bayerische Bub) rappte bereits vor Liquid
    im oberpfälzischen Dialekt. Er war es auch, der Liquid davon überzeugte,
    diesen Weg ebenfalls einzuschlagen. Angesprochen auf die Bedeutung
    dessen, im oberpfälzischen Dialekt zu reimen, erklärt Bbou:

      «(…) Des Ding is, es geht ja net direkt ums Bayerische. Es geht ja bloß drum,
      mia kan irgendwelche Ossis oder sonst irgendwer san. Nur des Ding is des,
      wenn Du Musik moacha wuilst, des is woas persönliches (...) Wenn Du woas
      ausdrückn wuilst, doann moachst's oam besten in der Sproache, die Du
      gelernt hoast. Bloß so koannst Du Gefühle vermitteln und net oanders. Woil,
      wenn I mich verstuell, doann nehm ich mich ja in dem Moment selber net
      ernst. (…)» (Interview, 17. Mai 2013)

    Bbou verknüpft hier die Frage der Rap-Sprache mit der Frage einer
    persönlichen Identität. In einer anderen Sprache zu rappen, als man im Alltag
    gebraucht heisst für Bbou, sich zu verstellen. Ähnlich argumentiert Liquid mit
    seiner Betonung des persönlichen Bezuges zum Text:

      «Hinter jedem Track, doa koann I soagn, ‹Doas san meine Worte› und des
      hoab I bei keunem hochdeitschen Text soagn könna, dass san wirklich
      meine Worte, weil ich es irgendwie umformuliert hoab, dass es so
      irgendwelche Worte san, die sich aaf hochdeitsch reimen. Oba, heit san
      oalles... woas I heit soach moin I so, schmücke vielleicht moanchmoal a bissl
      krassa aus. Oba, I steh hinter jedem Text im Bayerischen und des konnt I
      beim Hochdeitschen loang net. Doa woar es oinfach der Coolness hoalber
      und jetzat fühl I des wirklich aa.» (Interview, 17. Mai 2013)

    Sowohl Bbou als auch Liquid identifizieren sich mit der von ihnen
    gesprochenen Dialektsprache. Liquid deutet aber an, dass diese
    Identifizierung nicht immer leicht gewesen ist: «Der Coolness hoalber» habe
    er damals auf Hochdeutsch gerappt. Die Frage der «Coolness» scheint ein
    Schlüsselbegriff zu sein, um den Hype um die Beiden zu verstehen. Im
    Gespräch mit ihrem Booker, Markus, einem gebürtigen Niederbayer,
    verdichtet sich dieser Eindruck. Seine Augen leuchten, wenn er von den
    Beiden spricht:

      «(…) wenn Liquid sagt ‹Necha›, wenn der Bbou sagt ‹A Dirndlbroit›, wenn's
      viel um ‹Schwänzelutschen›, weiß der Geier geht, salopp gesagt: Das ist ja
      nem bayerischen Musiker noch nie über die Lippen gegangen. Das kennt
      man eigentlich nur aus Berlin. (…) ich bin ja auch so a bissl Hiphop-affin
      aufgewachsen und hatte auch immer Leute um mich herum, die gerappt
      haben und so... und im Endeffekt hat der Bbou genau das gemacht, was
      sich niemand getraut hat, der irgendwie Musik gemacht hat in Bayern. Und
      wir, wir wollten immer so sein, wie die Berliner, wir haben immer den
      Berliner Rap gehört und haben halt dann... klar... die Stimme verstellt.
      Weißte, ich hab nen Dialekt und habs nicht akzeptieren wollen. Dann haste
      halt irgendwie die Stimme verstellt und auch ein bisschen auf straßenmäßig

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                   Page 5 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

      gemacht, aber der Bbou sagt: ‹Nee, ich red so wie ich red und ich bin nicht
      von der Straße. Wir sind vom Dorf!› Und diese Themen aufgreift. Das hat ja
      eigentlich niemand gemacht, weil es sich keiner getraut hat. (…)»
      (Interview, 10. Oktober 2013)

    Laut Markus war es für HipHop-Heads aus Niederbayern lange Zeit schlicht
    nicht «cool» ihre regionale Identität, die sich über das Bekenntnis zum
    ländlichen Raum sowie die Dialektsprache ausdrückt, anzunehmen. Er und
    seine Kumpels versuchten dem zu entkommen, indem sie den damals
    angesagten Berliner Strassenrap nachahmten. Diese alte Ordnung zu
    verwerfen und den Jugendlichen aus der Provinz ein Selbstbewusstsein zu
    geben sieht er als besondere Errungenschaft der beiden an:

      «(…) der Niederbayer hat ja eher so a Minderwertigkeitskomplex, glaub ich.
      Der kommt vom Dorf und der hat Angst vor der großen weiten Welt, vor der
      Stadt, auch vor München. Und dann passt man sich halt eher an, anstatt das
      man sagt ‹Hey! Wir sind doch die Geilsten›. Und ich glaub, das schaffen ja
      auch der Bbou und der Liquid, das den Leuten zu vermitteln: Dass es cool ist
      bayerisch zu sein, Bayer zu sein, aufm Dorf zu wohnen, das man da auch,
      blöd gesagt, einfach cool sein kann. Das muss man sich erstmal trauen. Das
      gab's bis dato nicht.» (Interview, 10. Oktober 2013)

    Bbou & Liquid: «Heastas (Video Trailer)» (2013)

    Die Neubewertung der ländlichen Identität, durch die zur Schau getragenen
    Narrative, aber auch durch den Gebrauch des ihnen eigenen Dialektes,
    korrespondiert mit dem Erfolg von Bbou und Liquid gerade im ländlichen
    Raum. Laut Markus spielen die Beiden an die 50 Konzerte im Jahr. Davon
    finden die meisten rund um den «Weisswurscht-Äquator» statt: Das heisst im
    Wesentlichen in bayerischen Kleinstädten, aber auch in Franken oder
    Österreich. Vom alternativen Club bis zur «Prolldisko» vor 800 Leuten ist
    alles dabei, wobei dem Booker der Club lieber ist.

    Auf einer Hiphop-Jam in Nürnberg treffe ich auf einen weiteren Mundart-
    Rapper namens Monaco Fränzn, der zudem Teil der Rap-Band Doppel D ist.
    Sein Künstlername bezieht sich auf die Fernsehfigur «Monaco Franz», die als
    Prototyp einer regionalen Münchener Coolness gelesen werden kann. Fränzn
    erklärt mir, dass er einer der Erfinder des bayerischen Mundart-Raps sei:

      «(…) also Doppel D, mei Band, die jetzt groad Pause moacht, hoat doas
      erste Mundart-Rap-Album, also das komplette Mundart-Rap Album
      aufgenommen: Das heißt B-AYA-N. Das gib I dia nachher mit. Es hat vorher
      scho aach Dialekt-Rap-Tracks gegeben. Das geht sogar bis in die Anfang
      80er zurück und da gibt’s ein paar... da gibt’s Niederbayern, die da schon
      Rap-Tracks aufgenommen haben...und ähm... woas man vielleicht kennt,
      weil es mal in die Charts war, war ‹Funky Cold Medina auf bairisch›. (...) es
      hat vereinzelt sowas schon gegeben und aa die Münchener, und man derf
      net vergessen Feinkost Paranoia, die hoabn a sehr starken Münchner Slang

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                   Page 6 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

      gehoabt und aa teilweise sehr boarische Soachen, oba des erste, das
      wirklich krasse Dialekte-Ding, gloab I scho, doas i doa der erste war, der den
      Track gemoacht hoat: Der hoast ‹In mein Jargon›... ähm... der ist von
      Anfang 2005 ist der.» (Interview, 17. August 2013)

    Bayernpower: «Funky Cold Medina» (1989)

    Auch Monaco Fränzn erzählt von der Schwierigkeit des eigenen Dialekts. Es
    war nicht nur «uncool», im Dialekt zu rappen, sondern zudem wird es dem
    Dialekt-Sprechenden auch verwehrt eine hochdeutsche Sprach-Identität
    anzunehmen:

      «(…) also ich rapp seit 20 Jahren und hoab die ersten 10 Jahre aa auf
      Hochdeitsch gerappt, weil es hat ja... Anfang der 90er wärst ja nie auf die
      Idee gekemme auf bayerisch zu rappen und aa net Anfang der 2000er war
      das aa noch. Also doa hoab I noch a Plattn gemoacht mit einer anderen
      Crew...und das war auf hochdeitsch und dann hat der Produzent... ah net
      der Produzent... der Typ im Tonstudio hoat das dann an aa poar
      Radiosender gegeben... I woas goar net welche... und doann hoabn die
      gesagt: ‹Aber das hat ja nie eine Chance. Das ist ja furchtbares Zeug. Da
      hört man ja den Dialekt heraus.› Und doas hoat mi so verletzt, dass I mir
      gedenkt hoab ‹jaa, jetzt erst recht› und doann hoab I quasi den ‹In meim
      Jargon›, diesen ersten reinen Dialekt Track geschriebn. Und seitdem gibt’s
      für mi aa gar kein Zurück mehr, weil I doann erkoannt hoab, doass doas ja
      mei eigentliche Sprache is. Und bei Rap find I's scho so... hmmm... Du hörst
      es ja bei amerikanischem Rap aa gaaaanz stark heraus, ob der jetzt aus
      Atlanta is... is der aus LA, is der aus New York oder is der vielleicht aus New
      Orleans oder sonstwo her. Doas is nur irgendwie in Deutschland, ist des
      irgendwie so, weil wir hoalt die Hochsprache hoabn, dass das hoalt
      irgendwie so dümmlich rüberkommt und so... und des woas I rap und wie I's
      hoalt moch is hoalt imma irgendwie so a Gegenpart, um zu soagn: ‹Nein, I
      bin net der Depp für den ihr mi hoaltst, nur weil I die und die Sproache red.›
      Also des woar für mi imma aa Mission und des bleibts aa weiter.»
      (Interview, 17. August 2013))

    Doppel D: «In meim Jargon» (2007)

    Die Mission, von der Monaco Fränzn spricht, findet sich in vieler seiner
    Textzeilen bei Doppel D wieder. In Tracks wie «Der Dialekt Idiot» oder «CSU-
    Rapper» findet man eben jene Aneignung von Dialekt-Sprache und regionaler
    Identität, die Fränzn im Interview anspricht. Im Prozess der Aneignung
    versucht Fränzn sowohl dem bayerischen Dialekt als auch der regionalen
    Identität andere Bedeutungen als «dümmlich» oder «CSU-konservativ»
    entgegenzusetzen:

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                    Page 7 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

    «I scheiss auf Chauvinisten Brauchtum, Lederhosn,
    Sepperldeppen / Ihr kintts mi moi all kreuzweis am Arsch
    lecken / genauso wia ihr andern de song CSU und bayerisch
    des gheat zamm, Mann / oba I scheiss ned auf mei Sprache /
    so red I / wennst as ned vostähst mochst Party ohne mi /»
    (Doppel D, «CSU-Rapper»)

    Fränzn berichtet, dass er in den letzten Jahren oftmals zum Thema «Heimat»
    interviewt worden ist. Ihm sei aber erst im Laufe der Zeit klargeworden, dass
    er den Begriff problematisch findet und stattdessen lieber von «Identität»
    sprechen möchte:

      «(…) Identität ist woas sehr persönliches, find I. Also, des is a Verortung des
      Selbst, wo ma is. Da gehört für mi der Dialekt oanfach dazue. I red hoalt so. I
      bin so aufgewachsn und so bin I. I leb in dem Land, wo's so und so is und
      mia gefoalln vuile Soachn: I geh gern aafs Volksfest. Doas taugt mer. Und I
      find aa die Landschaft wunderscheen, in der I wohn. Aber des is nur so a
      örtliche Verortung von mir selber. Und die Eindrücke und des schoafft
      selbst mei Identität. Und Heimat find I immer so aa... eher so a Dach, wo si
      mehrere Leit drunter sammeln... das ist foast a Ideologie irgendwie. Und
      wenn des doann zu eina Ideologie wird ist's gefährlich. (…)» (Interview, 17.
      August 2013)

    Fränzn verlagert hier sein Gefühl von Zugehörigkeit von einer
    gesellschaftlichen auf eine individuelle Ebene. Er sucht damit somit der
    Gefahr der Vereinnahumg durch Partei oder Freistaat zu entgehen und
    verweist gleichzeitig auf das zentrale Element dieser Zugehörigkeit oder
    Verortung. «Doas taugt mer», sagt er und entkoppelt die Frage der
    Zugehörigkeit von essentialistischen Vorstellungen wie Abstammung,
    Sozialisierung oder ähnlichem und deklariert es zu einer Frage des
    Geschmacks. An dieser Stelle zeigen sich die widersprüchlichen Positionen
    im Feld «Bayerischer Mundart-Rap»: Neben essentialistischen Ideen um
    Authentizität, die sich in den Forderungen aller vier Informanten «sich selbst
    zu erkennen und wertzuschätzen» wiederfinden, formuliert zumindest
    Monaco Fränzn die Möglichkeit von individueller Handlungsmacht.

    Cyborg Rap

    «Ich kam in kein Krankenhaus auf die Welt, sondern im
    Labor / I hoab zwoa Multicore Prozessor'n im Innenohr / Im
    Gehirn verbinden poar Synapsen und a Haufen vuile kleine
    Adern, Kupfern und Nerven mit der Hauptplatina / Sauber
    verschraubt und g'liefert / Oalles funktioniert und laufert /
    nur Dank der besten deitschen Professoren und

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                    Page 8 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

    Wissenschaftler / die Tag und Nacht dran / gehockt san um
    jeden Bauplan / bis ins Feinste auszuoarbeitn, bis wir ihn
    schließlich gebaut hoabn /» (Liquid, «Cyborg Rap»)
    Die Figur des Cyborgs fungiert gemeinhin als metaphorisches Gegenteil einer
    Idee von Natürlichkeit: Der Cyborg wird gebaut, er wird nicht geboren. Im
    folgenden Abschnitt werde ich der obigen Idee von individueller
    Handlungsmacht bei der Identitätskonstruktion im Feld folgen und anhand
    eines Aneignungsprozesses die Komplexität und Ambivalenz von
    Authentizität und Konstrukt aufzeigen.

    Auf die Frage hin, was sein Einstieg für ihn in die Rapszene war, antwortet
    Bbou ohne Umschweife KKS (King Kool Savas) und betont seine Faszination
    für Tracks wie «Lutsch meinen Schwanz» und «Blasen»:

      «(...)King Kool Savas doamals auf Tape. Irgendei Kumpel hoat doas met
      hergebracht und wir san in unserem Dorf gehockt, in so nem kleinen Heisl
      und hoabn oinfach g'suffa und Zeich und doa kummt a Kumpel, ‹Ey, I hoab
      des da oam Start›. Und da spuilt der des oan und da woar des oinfach so...
      BAATSCH! so... und ich koann mir noch erinnern, wey ich doas rappen
      oangefoangen hoab, ich bin doamoals in der Hauptschul'... ich hoab mir die
      Texte aas'druckt und hoab die Texte... ich hoab die no nimma aas'druckt,
      ich hoab die auswendig gekinnt und hoab die gerappt (…)» (Interview, 17.
      Mai 2013)

    Bbous Anekdote verweist zum Einen auf die mobile Qualität von Rapmusik,
    die kontextunabhängig zirkuliert, und zum Anderen auf das
    Identifikationspotential eines deutsch-türkischen «Spitters» wie KKS,
    dessen, im medialen Diskurs oftmals als sexistisch oder homophob markierte,
    Texte den Gefallen eines Amberger Hauptschülers finden und diesen gar
    zunächst zum Nachahmen und später zu eigenen Innovationen führen.
    Gerade die frühen Bbou Tracks veranschaulichen die performative Qualität
    seines Mundart-Rap-Vorhabens.

    Bbou: «Kanona» (2012)

    Das Video zum Song ist in schwarz-weiss gehalten, das blau-weiße
    Rautenmuster der Halstücher bleibt die einzige Farbe. Die Handlung spielt im
    Keller einer Brauerei, wo Bbou und seine blau-weisse Gang alles kurz und klein
    schlagen.

    «I bin im Untergrund dahoam, so wie der Fritzl Sepp / Schau
    in Dei Keller, wenn's wissen willst, wo Dei Bitch'n steckt / (…)
    I bin a stolza Bayer und mei Rrrrrrrr, des rollt Bubi / Scheiß

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                   Page 9 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

    auf a Tracht, I mach Rap und kei Volksmusi / (…) I doa woas
    I ka und I moach woas I will / Lau Dei Rat stecka, weil das
    bei mir Macho nicht hilft / (...)» (Bbou, «Kanona»)

    Die Aneignung der bayerischen Flagge als Gangzeichen (Halstuch oder
    Vermummung) sowie die textlichen Überzeichnungen durch Verweise auf den
    österreichischen Inzest-Sklaverei-Skandal um Joseph Fritzl oder ähnliches
    weisen auf die Konstruktionshaftigkeit und Überzeichnung der Identität Bbou
    hin. Der Rapper verhandelt durch die Aneignung von Symbolen und
    Narrativen, die im medialen Diskurs mit Bayern bzw. Österreich zirkulieren,
    die Beziehung von Subjekt, als Bbou oder bürgerlich Michi, und sozialer
    Kategorisierung, als provinzieller Bayern.

    Markus, der Booker, berichtet mir von der Akribie, mit welcher beide Rapper
    ihre Aussenkommunikation über Facebook oder ähnliches betreiben:

      M: «(...) die denken da soviel nach. Auch wenn es oft nur was völlig plumpes
      ist, die würden dann... Das kommt nicht einfach so aus denen raus, sondern
      die denken da sehr viel nach. Die machen das sehr bewusst. (…)»

    J: «(...) Es wirkt wirklich wie aus der Hüfte geschossen.»

      M: «Genau. Aber das haben die sich lange überlegt. Wenn sie so nen Satz
      hinhauen, der sich ‹wie aus der Hüfte geschossen› anhört... isser aber
      nicht.» (Interview, 10. Oktober 2013)

    Monaco Fränzn weist auf die Gefahren der Überzeichnung hin: Man kann die
    Rezeption nicht steuern.

      MF: «(…) I empfind das so, dass die Figur Bbou ist ein so dermaßen
      überzeichnetes vulgäres Bayernklischee und wenn der des denn moacht, ist
      des aaf der Bühne für meinen Begriff eine weitere Überzeichnung... nur das
      Problem ist mittlerweile, des Publikum nimmt des anders woar. Des is imma
      des Schwierige mit Ironie und Satire... des is goanz schwer zu vermitteln
      (…)» (Interview, 17. August 2013).

    Gerade Monaco Fränzns Ausführungen sprechen von dem Verhältnis
    zwischen Performance, Handlungsmacht und Diskurs bei der
    Identitätskonstruktion. Ich möchte im Folgenden diese Idee theoretisch
    unterfüttern.

    Hiphop ist global gesehen wohl einer der erfolgreichsten Sparten oder
    Praktiken dessen, was einst (teilweise noch immer) als «Black Popular
    Culture» bezeichnet worden ist. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht auf die
    Frage eingehen, ob es sinnvoll ist von «Schwarzen Populärkulturen» zu
    sprechen oder nicht, sondern möchte den Ausdruck lediglich als einen
    Hinweis auf eine historische Genese nutzen. Stuart Hall spricht in seinem

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                  Page 10 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

    Essay «What is this ‹Black› in Black Popular Culture» unter anderem von der
    andauernden Bedeutung Schwarzer-diasporischer oraler Traditionen sowie
    dem Körper als Medium: «...think of how these cultures have used the body –
    as if it was, and it often was, the only cultural capital we had. We have worked
    on ourselves as the canvases of representation» (Hall 1992, S. 27).

    Hall argumentiert in einer historisch-soziologischen Herleitung, dass
    Schwarze Populärkulturen (somit auch Hiphop) die performative Qualität von
    Körper und Sprache besonders ausstellen. Stefanie Menrath sieht in der
    performativen Praxis des Rappens eine Verhandlung der Beziehung von
    Identität und Diskurs.

              «Im Hiphop gibt es den Versuch, herrschende
              Repräsentationen von Ethnizität auf parodistische Weise
              über Wege der Selbstessentialisierung zu vervielfältigen
              und so ihre ihre diskursive Bedingtheit und Nicht-
              Natürlichkeit aufzudecken (…) Als performative
              Inszenierung gefasst, kann sich Identität nicht mehr auf
              einen wahren, inneren Kern stützen» (Menrath 2003, S.
              226).

    Menrath nutzt für diese Sichtweise auf Hiphop Judith Butlers Idee
    subversiver Geschlechtsidentitäten. Einen Ansatz, den ich fruchtbar finde,
    aber anders als Menrath nicht um den Rapper in eine Sphäre des Politischen
    zu heben, im Sinne von Advanced Chemistry, Murat G. etc. , sondern um die
    Handlungsmacht des Individuums bei der Identitätskonstruktion aufzuzeigen.

    Judith Butler nutzt in ihrem Buch Bodies That Matter eine Verknüpfung von
    Austins Sprecht-Akt-Theorie, also der performativen Qualität von Sprache,
    mit Althussers Idee der Anrufung, um die Beziehung von Subjekt und der
    sozialen Kategorisierung durch den Diskurs zu beschreiben:

              «In Althusser's notion of interpellation, it is the police who
              initiate the call or address by which a subject becomes
              socially constituted (…) The call is formativ, if not
              performative, precisely because it initiates the individual
              into the subjecte status of the subject» (Butler 1993, S.
              81f.).

    Butler wählt diesen Ansatz, um einer Idee eines allumfassenden
    Foucaultschen Diskurses zu entgehen. Sie sucht den Moment der
    Handlungsmacht innerhalb der Subjektwerdung und findet ihn in der
    performativen Antwort in der ersten Person Singular auf die Anrufung. In
    einem Interview sagt sie:

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                   Page 11 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

              «My interest is in the Althusserian problem of how, one
              might say, a speech act brings a subject into being, and
              then how that very subject comes to speak, reiterating
              the discursive conditions of its own emergence (…) I think
              Althusser gives me interpellation, the discursive act by
              which subjects are constituted, and Austin gives me a
              way of understanding the speech acts of that subject»
              (Bell 1999, S. 165).

    Mit Sprech-Akten meint Butler die performative Qualität der Antwort des
    Subjektes auf dessen Anrufung. Der Akt ist insofern performativ, als dass er
    die Anrufung und damit einhergehende soziale Kategorisierung
    notwendigerweise mit einer Ambivalenz antwortet:

              «There is no subject prior to its constructions, and neither
              is the subject determined by those constructions; it is
              always the nexus, the non-space of cultural collision, in
              which the demand to resignify or repeat the very terms
              which constitute the ‹we› cannot be summarily refused,
              but neither can they be followed in strict obedience. It is
              the space of this ambivalence which opens up the
              possiblity of a reworking of the very terms by which
              subjectivation proceeds – and fails to proceed» (Butler
              1993, S. 84).

    Es erscheint mir fruchtbar die Performances von Bbou und Liquid, seien sie
    auf der Bühne, als Youtube Video oder als .mp3 im Sinne dieser
    subjektkonstituierenden Performance zu verstehen. In den Worten von
    Stefanie Menrath: «Durch Repräsentationen bringen sich die Hiphopper in die
    Welt» (Menrath 2003, S. 226).

    Die Identitätskonstruktion, wie ich in den vorgehenden Abschnitten dargelegt
    habe, funktioniert mithilfe von Aneignungsprozessen. Handlungsmächtig
    bedienen sich diese Rapper in Sprech-Akten und anderen Performances
    kultureller Zeichen und Symbole. Doch diese Praktik ist nicht auf die
    Hiphopkünstler beschränkt, sondern findet sich im gesamten Feld wieder.

    Bavarian Wasted Youth

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                  Page 12 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

              «Auf der Hiphop-Jam in Nürnberg beobachte ich eine
              Gruppe von weißen jungen Männern und Frauen um die 20
              Jahre alt, die eben jene blau-weißen Rautenflaggen als
              Halstuch oder Vermummung tragen. Die ‹Gangmitglieder›
              sind allesamt stark tätowiert und die Jungs sind
              muskulös. Die meisten Jungs tragen zumeist schwarze
              Wollmützen und schwarze Sonnenbrillen, blau-weißes
              Rautenhalstuch, weißes weites T-Shirt und entweder
              Lederhosen oder Baggy-Pants. Ich komme mit dem
              Betreiber eines Vinyl-Stores namens Kasi ins Gespräch.
              Ich spreche ihn auf meine Beobachtung an und erkläre
              ihm wie mich das an US-amerikanische Gangzeichen a la
              Bloods oder Cribs erinnert. Er teilt meine Interpretation
              und problematisiert das Phänomen sogleich: Natürlich
              könne man sich Zeichen und Symbole aneignen. Hiphop
              sei schließlich, im Gegensatz zu anderen Musiken, alle
              Musikrichtungen. Aber zumindest der Künstler, so Kasi,

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                  Page 13 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

              müsse um die Geschichte des Symbols wissen. Eine blinde
              Aneignung, ohne das kulturgeschichtliche Wissen, sei
              respektlos und zumeist einfach nur platt» (Feldtagebuch
              17. August 2013).

    Was Kasi und mich in dieser Situation gleichermassen irritierte war die
    Aneignung einer Gangsymbolik durch Personen, denen wir jeglichen
    persönlichen Bezug zu oder tiefgreifender Kenntnis von afroamerikanischer
    Gangkultur absprachen. In diesem Sinne bemängelten wir eine
    Entkontextualisierung einer Symbolik durch Aneignung.

    Auf derselben Veranstaltung ergab sich die Möglichkeit eine
    Gruppendiskussion mit fünf männlichen Bbou und Liquid Fans um die 20
    durchzuführen. Zwei von ihnen kamen aus der Nähe von Nürnberg, drei
    weitere waren extra aus dem Münchener Umland angereist. Zu Anfang des
    Gesprächs fragte ich sie nach ihrer Lieblingsmusik. Vier von fünf nannten mir
    verschiedene deutsche, österreichische oder US-amerikanische HipHop-Acts,
    nur einer gab an, dass er genre-übergreifend Musik höre. Acts auf die sich
    mehrere einigen konnten waren u.a. Sido, Kollegah und KIZ. Informant 1 gibt
    an, er höre ausschliesslich Hiphop und Reggae. Ich fragte sie alle nach dem
    Gebrauch der Wörter «Neger» und «Kanaken», die ich in den Texten von
    Liquid wiederfinde.

      4: «Also man sagt nicht einfach ‹Neger› zu jemandem, den man nicht kennt,
      aber wenns a Kumpel von einem ist, oder so, von jemandem ist, dann sagt
      man so ‹hey›… ja Neger oder so. Das ist halt… aber nicht abwertend… in gar
      keiner Weise… sondern das sagt man halt so… eher spaß-mäßig oder so…
      das ist halt eher… ja fast eher cool… also der Neger ist ja eher cool… als
      abwertend gemeint.»

    J: «Okay.»

      3: «I koan mi da aach nur oanschließen. Das ist hoalt so. Wenn ma Leit
      kennt, dann soagt moan hoalt Nega und wenn man sie net kennt, dann geht
      man hoalt hin und soagt: Hey Du Maximal-Pigmentierter. (Alle 5 lachen). Ja,
      wie er hoalt Ginger heußt, so ist das hoalt a Spitzname.»

      1 (lacht sich kaputt).

    J (lacht über 1): «Aber…»

      1: «Maximal-(unverständlich)»

    J: «Pigmentierter. So… äh… aber ähm… aber‚ ‹Kanacke› ist dann schon ein
    Schimpfwort?»

      3: «Ja voll.»

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                  Page 14 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

      2: «Das ist ein richtiges Schimpfwort.»

    J: «Okay.»

      1: «Ja, aber Kanacke steht ja nicht für Neger. Das koan ja ein Türke aach
      sein.»

      2: «Ja eben.»

    J: «Ja nee. Ich frag ja nur. Ich will ja nur ja nur die Begriffe verstehen.»

      1: «Ja, also‚ ‹Kanacke› ist der allgemeine Asi.»

      4: «Genau. Ja, das stimmt.»

      1: «Net jetzt aaf Rassen bezogen, sondern aaf… ‹Du Asi› heißt das
      eigentlich…‚ ‹Du bleede Sau› und net ‹du hoast a bestimmt Hautfarb, jetzt
      bist’ a kanack›, sondern ‹Du bleede Drecksau, Du bist a Kanack›. Des hoast
      des.»

    J: «Okay, also ich könnte zu Dir jetzt sagen. Also, wenn Du mir jetzt auf den
    Sack gehst, kann ich sagen ‹Boar, Du bist voll der Knacke!›»

      1: «Genau.»

      (Alle 5 lachen)

      1: «…darum bin I a Kanack, a bleede Drecksau.»

    (Gruppendiskussion, 17. August 2013)

    Interessanterweise nutzten dieselben Personen vorher das Wort «Kanake» als
    Synonym für «türkisch» bzw. «migrantisch». Zum Beispiel bei der
    Beschreibung der favorisierten Musikstile:

      3: «Mia san auch Hiphop, Deutschrap. Also so komplett durch die Reihe.
      Koan bestimmte Lieblingsband, sondern aach KIZ, bissl Kollegah. Das is mia
      dan scho a bissl zu...ähm...i soag mal zu deitsch...ich weiß nicht, wie ich das
      ausdrücken soll. So deitsch-kanakisch. Aber auch so afro-amerikanischen
      (Hiphop), wie Dr Dre, Snoop Dog. Das is dan eher so mei Ding, ja»
      (Gruppendiskussion, 17. August 2013).

    Das Wort spielt auch eine Rolle im Vergleich von Haftbefehls «Chabos wissen
    wer der Babo ist» und Bbous Remix-Track «Bazis wissen wer der Bbou ist»:

    Haftbefehl: «Chabos wissen wer der Babo ist» (2012)

    Video nicht mehr verfügbar.

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                  Page 15 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

    Bbou: «Bazis wissen wer da Bbou is (Chabos wissen wer der Babo ist RMX)»
    (2013)

      2: «Und das hat Haftbefehl zum Beispiel nicht. Haftbefehl hat ja gar keine
      Kultur dahinter. Das (hier) ist halt… es ist halt Deutsche Kultur.»

      4: «Das ist einfach nur Kanakenkultur.»

      (1-4 lachen)

    J: «Naja.»

      2: «Sowas sag ich nicht. Sowas find ich ganz blöd.»

      5: «Ich find Haftbefehl gar nicht schlecht.»

      2: «Ja, Duuu.»

      3: «Ja klar, es ist irgendwie lustig, aber…»

      4: «Ich find Haftbefehl auch nicht schlecht, aber…»

      2 (zu 5): «Du findest alles gut.»

      5: «Das Lied ‹Chabos wissen, wer der Babo› ist ist einfach richtig gut.»

      4: «Ja, aber das (hier) passt halt einfach auf das Bayerische. Die münzen das
      halt um.»

    (Gruppendiskussion, 17. August 2013)

    Ich möchte zwei Aussagen zu dem hier präsentierten Ausschnitten tätigen,
    eine zum Gebrauch des Wortes «Kanak» und eine zum Gebrauch des Wortes
    «Neger»:

    Der hier präsentierte Gebrauch des Wortes «Kanak» / «Kanake» /
    «Kanakisch» erscheint als eine Bilderbuch-Exemplifikation von dem, was
    Étienne Balibar Anfang der 90er Jahre «Neo-Racism» konzeptualisierte: Er
    bezeichnete damit einen Rassismus ohne Rassen, in dem die Fixierung von
    Ethnien, das heisst die Naturalisierung von Differenz vom Feld der Biologie in
    das der Kultur wandert (vgl. Balibar 1991, S. 21).

    Man bedenke allerdings auch, dass die interviewte Gruppe, neben einem neo-
    rassistischen Gebrauch des Wortes «Kanake», gleichzeitig (zumindest in
    Teilen) eine Wertschätzung für Musik von «Kanaken» zum Ausdruck bringt.
    Und dies geschieht nicht als Wertschätzung einer «kanakisch»-
    emanzipatorischen Position (siehe Güngör und Loh 2002), sondern scheinbar
    in Form entkontextualisierter Diskurse, in dem «Kanake» gleich

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                  Page 16 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

    Türke/Migrant, «Kanake» gleich «Asi» und Haftbefehls «gute» Musik
    scheinbar zusammenhanglos zusammenhängen. Man könnte auch sagen: Es
    findet ein Gebrauch des Wortes nach eigenem Gusto statt.

    Eine Theoretisierung einer solchen Nutzung von entkernten Kulturgütern
    findet man beim Philosophen Byung-Chul Han. Dieser entwirft unter anderem
    in Rekurs auf Deleuzes Idee des Rhizoms die Idee einer ent-
    substantialisierten Kultur, genannt Hyperkultur.

              «Die Hyperkultur als entinnerlichte, entwurzelte,
              entortete Kultur verhält sich in vielfacher Hinsicht
              rhizomatisch. Es geschehen rhizomatische Übergänge
              zwischen subkulturellen und kulturellen Gebilden,
              zwischen Rändern und Zentren, zwischen vorläufigen
              Konzentrationen und erneuter Zerstreuung. (…) Die
              rhizomatische ‹Logik des UND› bringt einen
              asignifikanten Zusammenhang, d.h. einen
              Zusammenhang des Zusammenhanglosen, ein
              Nebeneinander des Verschiedenen, eine Nähe des
              Entfernten hervor. Sie ‹hyphenisiert› die Kultur zu
              Hyperkultur. Die Hyphen wirken auch ohne den ‹tiefen›,
              ‹inneren› Zusammenhang verbindend, ja versöhnend»
              (Han 2005, S. 33ff.).

    Byung-Chul Hans Beschreibung der Aneignungsprozesse in der
    Hyperkulturalität betonen den Wegfall einer Innerlichkeit von Kultur. An
    anderer Stelle zitiert er Deleuzes Idee von der Gedächtnislosigkeit des
    Rhizoms, was bleibt sind also Oberflächen. Eben jene Oberflächen, die zu
    Tage treten, wenn ich auf die Frage nach der Bedeutung des Wortes «Neger»
    in der Gruppendiskussion die Antwort bekomme, es sei ein Spitzname, so wie
    ein Rothaariger der «Ginger» sei. Der Begriff des «Negers» ist scheinbar
    jeglicher Diffamierung enthoben und fungiert somit als «reine Differenz»: Der
    «Neger» wie der «Ginger» und mit Abstrichen auch der «Kanake».

    «Der bairische Busta Rhymes»

              «Auf jener bereits erwähnten Hiphop Jam spreche ich mit
              zwei Schwarzen Franken aus dem Umfeld der Nürnberger
              Hiphop-Kombo NATO. Ich frage sie zu Ihrer Meinung auf
              Liquids Gebrauch des Wortes ‹Neger›. Die Beiden stellen
              klar, dass sie sich niemals als ‹Neger› bezeichnen lassen
              würden. Das sei ein verletzendes Wort, das eine Funktion
              der Abwertung in der Zeit der Sklaverei innehatte. Es jetzt
              zu benutzen sei eine Art Geschichtsvergessenheit und

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                  Page 17 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

              ‹disrespectful› gegenüber all denen, die für die
              Abschaffung der Sklaverei und für die Erlangung von
              Bürgerrechten ihr Leben gelassen hätten. Natürlich
              hätten sich die Zeiten geändert, aber die Beiden sehen
              sich als Nachfahren dieser ‹Freiheitskämpfer›.
              Nichtsdestotrotz habe Liquid in ihren Augen das Recht
              sich so nennen zu lassen, wenn er dies wolle»
              (Feldtagebuch, 17. August 2013).

    Die obigen Ausführungen lassen sich als eine US-amerikanische Perspektive
    beschreiben, welche das deutsche Wort «Neger» mit dem amerikanischen
    «Nigger» gleichsetzt und den Kontext von transatlantischem Sklavenhandel
    und afroamerikanischer Bürgerrechtsbewegung universalisiert. In diesem
    Sinne sind die, hier gleichgesetzten, Worte «Neger» / «Nigger» der
    Schauplatz eines Kampfes um Definitionsmacht. Hieraus leitet sich das an
    Nicht-Schwarze herangetragene Verbot «Neger» zu sagen wie die Erlaubnis
    an den Schwarzen Bürgerrechtler sich dieses Wort rückzuerobern
    gleichermassen ab. Während meines Forschungsaufenthaltes in Nürnberg fiel
    mir zufälligerweise ein Artikel von Tetsuhiko Endo in die Hände mit dem Titel
    «N.I.G.G.E.R: The Slave & Master» und dem Untertitel «A brief history of the
    world's greatest taboo». Ein Auszug:

    «But remember your Foucault; power is ambivalent, and can
    be coopted by those who it oppresses. ‹The power of the N-
    word comes not only from it's historical usage but from
    Black folk reclaiming the word and trying to divest it of its
    racialised power and reinvest it with Black vernacular
    power,› says James Braxton Peterson, the Director of
    Africana Studies and Associate Professor of English at
    Lehigh University» (Endo 2012).

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                  Page 18 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

    Im Falle von Liquid kann man wohl von einer Aneignung eines Wortes
    sprechen. Er ist sich über den Tabubruch im Klaren.

      L: «I tat zu mia nie selber Neger soagn, oba das soagn hoalt... moanche in
      der Oarbeit soagn zu mia, die Russn soagn zu mia ‹Hey! Du Neger!› und
      doann foand I doas lustig und...» (Interview, 17. Mai 2013)

    Und Bbou erklärt, dass dieser Tabubruch Teil ihres Humores ist.

      B: «Das ist unser Humor, so! A bissl abbrüht, a bissl wo's fuir oandere
      aafheart, da fangts fuir uns erst oan. So ungefähr. Und keine Ahnung.
      Oanfach Spaß hoabn, moal a Aug zudrucka und...» (Interview, 17. Mai 2013)

    Gleichzeitig betont Liquid aber, dass es einen kontextspezifischen
    bayerischen Gebrauch dieser Worte gibt, der auf einer rhetorischen Ebene
    bleibt.

      L: «Keine Ahnung. Für mi is bayerisch-sa a bissl engstirnig sa: Darum soag I
      ‹Scheiß Kanaken-Rap‘ oder ‚die Preißnrapper›... I hear ja bloß Preißnrap oder
      Kanaken-Rap... des moacht mia nix, oba I soag's wie die Baya es soagn
      wiad: ‹Die Scheiß Kanaren!›» (Interview, 17. Mai 2013)

    Ähnlich wie in der Gruppendiskussion der fünf Fans vertritt auch Liquid die
    Position, dass die Worte dereinst diffamierend waren, aber heute nur noch als
    entinnerlichte Hülsen zum Aufgreifen bereitliegen.

      L: «Also, wenn in der Oarbeit a Russ kommt und I kenn den, doann koann I
      zu dem locker soagn: ‹Hey! Du dreckerter Russ, woas geht mit Dir?› und der
      checkt wie I des moin und soagt: ‹Ey, was willstn Du, Du Soalz-Nega, Du
      staubiger...› Des is net ernst gemoint. I koann zu... Wenn I des verletzend
      moin, doann is des verletzend gemoint, oba wenn I Nega oder Kanak oder

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                  Page 19 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

      sonstwas soag, doann moin I des in keinster Weise abwertend oder
      sonstwoas. Des moin I... halt neckisch... so... ja? Mei, so san die Namen, die
      se uns gegeben hoabn freiher und mein Gott, des wird nie aussterben des
      Kanak und des Neger. Die Wörter werden nie aussterben. Darum, einfach
      aafgreifa! Das macht der Polt aa.» (Interview, 17. Mai 2013)

    Auf die Frage hin, ob er der Ansicht sei, dass das Publikum beim Mitsingen
    der Hook vom «Mach doch dein Polt Remix» das so sehe wie er, antwortet
    Liquid:

      «...die moinen des oalle net bös! Wenn die doas soagn hoabn die a Smiley im
      Gsicht! Weil der Neger, der doarf ja rein und fuilt sich guad!» (Interview, 17.
      Mai 2013)

    Liquid & Bbou: «Mach doch dein Polt-Remix» (2012)

    Schlussbemerkungen
    Es erscheint mir an dieser Stelle sinnvoll auf die Beziehung von Individuum
    und Diskurs, die ich im Abschnitt Cyborg Rap diskutiert habe, Rekurs zu
    nehmen und noch einmal den, für mich, entscheidenden Punkt in Butlers
    Argumentation herauszustellen: Die performative Qualität bei der
    Identitätskonstruktion entsteht durch die Diskrepanz zwischen dem
    Individuum und dem Subjekt, welches es durch die Anrufung und die eigene
    Antwort werden soll (vgl. Butler 1993, S. 81ff.).

    Das heisst, dass man sich folgendes bewusst machen muss: Liquid ist kein
    «Neger», er ist nicht «Schwarz», er ist nicht Weiss und er ist kein Bayer.
    Sondern, er wird als ein solches Subjekt angerufen und kann nun darauf
    performativ antworten. Und die Antwort kann nur zuviel oder zu wenig Bayer,
    «Neger», Schwarz, Weiss, etc. sein. Die Identitätskonstruktion lässt sich
    somit als eine Verhandlung oder Spiel von Form denken.

    Somit löst sich das ein, was Stuart Hall Anfang der 90er Jahre als ein
    prägnantes Merkmal der Populärkultur identifizierte: «..., style – which
    mainstream cultural critics often believe to be the mere husk, the wrapping,
    the sugar coating on the pill – has become itself the subject of what is going
    on» (Hall 1992, S. 27).

    In diesem Sinne argumentiere ich, dass die Bedeutungsinhalte der
    angeeigneten Zeichen, Symbole und Narrative ihren Stellenwert verlieren und
    hinter dem Statement des Aktes selbst verschwinden: Zu sagen «Ich bin der
    Neger Liquid» meint somit nicht die Bezugnahme auf ein Schwarzes-
    Diasporisches politisch-kulturelles Subjekt, sondern eine machtvolle
    Demonstration einer eigenen Sichtweise, welche sich der Identifikation als
    Schwarz-Diasporisch oder Weiss-Bayerisch widersetzt. Ich argumentiere des
    Weiteren, dass dieser Widerstand sich ebenfalls in den Wortbeiträgen der
    jugendlichen Fans wiederfindet. Sie zeigen ein Verständnis dafür, dass es

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                   Page 20 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

    sich bei den Begriffen «Neger», «Kanake», etc. nicht um Essentialismen
    handelt, sondern um diskursive Zeichen. Und eben als solche diskursive
    Zeichen, die keinen Besitzer, keine Wahrheit kennen und somit angeeignet
    werden können, werden diese eingesetzt. Genau diesen Umstand, dass es
    sich bei dem Gebrauch des Wortes «Neger» durch die Wasted Bavarian
    Youth um einen kreativen und handlungsmächtigen Umgang handelt und
    nicht um eine rassistische Diskriminierung drückt Liquid in seinem letzten
    Satz aus.

    Ich habe weitestgehend auf eine Theoretisierung oder kulturgeschichtliche
    Einordnung des im Feld Gesagten verzichtet, da ich der Ansicht bin, dass es
    in diesem Fall in hohem Masse darum geht, die Informanten zu Wort kommen
    zu lassen. Ich habe mich im Wesentlichen darauf beschränkt, das Gesagte
    verschiedenen Foki zuzuordnen: Bayerische Slangsta
    (Sprache/Heimat/Identität), Cyborg Rap (Identität/Konstruktion), Bavarian
    Wasted Youth (Sprache/Kultur/Aneignung), «Der Bayerische Busta Rhymes»
    (Identität/Kultur/Aneignung). Ich habe keine umfassende oder
    abschliessende Theorie präsentiert, hoffe aber dargestellt zu haben inwieweit
    sich die Akteure hegemonialen Diskursen um Sprache, Repräsentation und
    Rassismus widersetzen.

    → Quellenverzeichnis
    Balibar, Étienne. 1991. «Is there a Neo-Racism?». In Race Nation, Class: Ambiguous
       Identities, edited by Immanuel Wallerstein. Translated by Chris Turner. 17–28. London:
       Verso.
    Bell, Vikki. 1999. «On Speech, Race and Melancholia: An Interview with Judith Butler».
       Theory Culture & Society 16.2: 163–74.
    Butler, Judith. 1993. Bodies That Matter . New York: Routledge.
    Tetsuhiko. 2012. «N.I.G.G.E.R: The Slave & Master». Huck Magazine. December 16.
       Accessed October 20, 2013. (https://www.huckmag.com/perspectives/opinion-
       perspectives/n-i-g-g-e-r/).
    Güngör, Murat, and Hannes Loh. 2002. Fear of a Kanak Planet: Hiphop zwischen
       Weltkultur und Nazi-Rap. Höfen: Hannibal.
    Hall, Stuart. 1992. «What Is this Black in Black Popular Culture?». In Black Popular Culture,
       edited by Gina Dent. 21–36. Seattle: Bay.
    Han, Byung-Chul. 2005. Hyperkulturalität: Kultur und Globalisierung. Berlin: Merve.
    Menrath, Stefanie. 2003. «Die Politik der Repräsentation im HipHop». In HipHop: Globale
       Kultur – Lokale Praktiken, edited by Jannis Androutsopoulos. Bielefeld: Transcript.

    → Sounds
    Bbou. 2012. «Kanona», Guad & Fesch. Download (Zugriff am 2. Mai 2014).
    Bbou. 2013. «Bazis wissen wer der Bbou ist». Volksmusik 2.0. Download (Zugriff am 2. Mai
       2014).
    Doppel D. 2009. «CSU Rapper». B-AYA-N. Bandcamp (Zugriff am 2. Mai 2014).
    Liquid. 2012. «Mach doch dein Polt». LALELULELO. Download (Zugriff am 2. Mai 2014).
    Liquid. 2013. «Cyborg Rap». Bavarian Wasted Youth. Download (Zugriff am 2. Mai 2014).

    → Videos
    Bayernpower. 1989. Funky Cold Medina. YouTube (Zugriff am 20. Oktober 2013).

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                                Page 21 of 22
In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht! | norient.com 5 Feb 2022 01:00:42

    Bbou. 2012. Kanona. YouTube (Zugriff am 12. Oktober 2013).
    Bbou. 2013. Bazis wissen wer da Bbou is (Chabos wissen wer der Babo ist RMX) . YouTube
       (Zugriff am 22. Oktober 2013).
    Bbou & Liquid. 2013. Heastas (Video Trailer). YouTube (Zugriff am 21. Oktober 2013).
    Doppel D. 2007. In meim Jargon. YouTube (Zugriff am 20. Oktober 2013).
    Haftbefehl. 2012. Chabos wissen wer der Babo ist. YouTube (Zugriff am 23. Oktober 2013).
    Hiphop.de. 2011. Newcomer Teil 3.2: Sido über Liquid. YouTube (Zugriff am 20. Oktober
       2013).
    Liquid & Bbou. 2012. Mach doch dein Polt-Remix. YouTube (Zugriff am 16. Oktober 2013).
    Puls. 2012. Interview Liquid: Nix geht über die Neunziger. YouTube (Zugriff am 14.
       September 2013).

    → Interviews
    17. Mai 2013. Bbou und Liquid Interview im Feierwerk, München.
    17. August 2013. Monaco Fränzn Interview im Hirsch, Nürnberg.
    17. August 2013. Gruppendiskussion mit 5 Fans im Hirsch, Nürnberg.
    10. Oktober 2013. Markus Sporrer Interview in seinem Büro, München.

    → Feldtagebuch
    17. Mai 2013. BBou und Liquid Konzert im Feierwerk, München.
    17.August 2013. Hiphop Jam im Hirsch, Nürnberg.
    24. September 2013. Regensburg.

    → Published on June 18, 2014

    → Last updated on October 08, 2020

    Julian Warner. Jahrgang 1985. Studium der Theaterwissenschaft, Amerikanischen
    Literaturgeschichte und Ethnologie. Lebt und Arbeitet in München.

    → Topics

              Belonging
           Ethnomusicology
                  Race
               All Topics

    → Special
    Norient Academic Online Journal Vol.
    3

https://norient.com/academic/bayerischer-mundart-rap                                           Page 22 of 22
Sie können auch lesen