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Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik Nr. 5/2021 | 07. September 2021 In dieser Ausgabe Aktuelles aus dem iwp … diskutieren Ann-Kristin Becker und Ringvorlesung „Die Wirtschaftspolitik vor, Christoph Oslislo die Einführung einer ver- während und nach der Coronakrise“. pflichtenden Elementarschadenversiche- Im Wintersemester 21/22 thematisieren re- rung für Wohngebäude. Es steht außer nommierte Referent*innen die wirt- Frage, dass die staatlichen Hilfsgelder an Be- schaftspolitischen Auswirkungen der Pan- troffene bei vergangenen Katastrophen demie. Diskutiert werden unter anderem richtig und notwendig waren. das vermehrte Aufkommen von Fake- Allerdings werden im aktuellen Umgang mit News oder die Auswirkungen der Krise auf den finanziellen Folgen von Naturkatastro- die Klimaschutzpolitik und das Gesund- phen Effizienzverluste in Kauf genommen, heitssystem. Ab dem 11.10.2021 immer die durch eine verpflichtende Versicherung montags von 17:45- 19:15 Uhr. Das finale gegen Elementarschäden für alle Wohnge- Format steht noch nicht fest. Nähere Infor- bäude vermieden werden könnten. Die Au- mationen folgen auf unserer Homepage. tor*innen zeigen die zentralen Abwägungen in der Debatte um eine obligatorische Ele- Im August erschien eine neue Ausgabe der mentarschadenversicherung auf und erör- „ZfW“. Im Forum diskutieren Erik Gawel, tern wichtige Ausgestaltungsfragen. Thilo Schaefer und Philipp Steinberg ge- meinsam mit Sabrina Hahm und Benedikt Langner das Thema „Konjunkturhilfen und Klimaschutz – Kommt die Wirtschaft grü- ner aus der Corona-Pandemie?“. Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 5/2021 www.iwp.uni-koeln.de | 1
Alle (zehn) Jahre wieder: Der Ruf nach einer verpflichtenden Versicherung gegen Schäden infolge von Naturkatastrophen Von Ann-Kristin Becker und Christoph Oslislo 1 Einleitung hatten Überschwemmungen hier den größten Anteil (Munich RE 2018). Nach einer jüngsten Stu- Mitte Juli 2021 kommt es in mehreren Regionen die wird der Klimawandel für die Flutkatstrophe Deutschlands, ausgelöst durch Starkregen, zu ei- im Juli 2021 mitverantwortlich gemacht (Pfeiffer nem Jahrhunderthochwasser, bei dem viele Men- 2021). Auch im öffentlichen Diskurs besteht kaum schen ums Leben kommen oder ihr Haus und ihr Zweifel daran, dass ein Zusammenhang zwischen gesamtes Hab und Gut verlieren. Allein in Alte- dem globalen Temperaturanstieg und zunehmen- nahr wurden im Ort Dernau 551 von 612 Wohnge- den und stärkeren Naturereignissen besteht. Der bäuden zerstört (Budras und Jansen 2021). Laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungs- der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsauf- wirtschaft (GDV) prognostiziert für die nächsten sicht (BaFin) waren weniger als die Hälfte aller ge- Jahre einen Anstieg von Schäden durch Naturka- schädigten Wohngebäude und Unternehmen ge- tastrophen. Abhängig vom zugrundeliegenden gen Elementarschäden versichert (Geinitz 2021). Klimamodell werden sich die Schäden durch Um den Menschen in den betroffenen Regionen Hochwasser demnach bis 2100 verdoppeln oder zu helfen, hat sich in der Bevölkerung und der Po- sogar verdreifachen (GDV 2019). litik eine Welle der Solidarität entwickelt. Viele Menschen unterstützen die Betroffenen vor Ort, Um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren bringen Sachspenden oder spenden Geld. Auch und damit dem Temperaturanstieg entgegenzu- Bund und Länder haben schnelle und unbürokra- wirken, wurden in Deutschland und in der Euro- tische Soforthilfen in Millionenhöhe bereitge- päischen Union eine Reihe von Minderungsmaß- stellt. Zudem ist geplant, dass die Wiederaufbau- nahmen implementiert. Minderungsmaßnahmen kosten von privaten Wohngebäuden mit 80 bis können dazu beitragen, den globalen Tempera- 100 Prozent staatlich bezuschusst werden. Insge- turanstieg zu bremsen – die bereits heute präsen- samt sind staatliche Hilfsgelder in Höhe von 30 ten Folgen des Klimawandels können sie aller- Milliarden Euro angekündigt. dings nicht verhindern. Aus diesem Grund sind ne- ben Minderungsmaßnahmen auch Anpassungs- Naturkatastrophen treten in Deutschland noch maßnahmen zum Umgang mit Klimarisiken es- vergleichsweise selten auf. Zwischen 1990 und senziell. Hierzu gehört auch die Frage nach einem 2020 kam es insgesamt zu 80 Naturkatastrophen. geeigneten System zum zukünftigen Umgang mit Ursachen waren am häufigsten Stürme (56 Pro- den finanziellen Folgen von Naturkatastrophen. zent), gefolgt von Überschwemmungen (21 Pro- zent) und extremen Temperaturen (Kälte: 10 Pro- Laut dem GDV sind in Deutschland insgesamt we- zent, Hitze: 6 Prozent) (DKKV o. J.). Die finanziel- niger als die Hälfte aller Wohngebäude gegen Ele- len Schäden, die durch Naturkatastrophen verur- mentarschäden versichert (GDV 2021a). Die Ursa- sacht werden, sind enorm. Für den Zeitraum von chen dafür liegen sowohl auf der Angebots- als 1980 bis 2017 belaufen sie sich in Deutschland auf auch auf der Nachfrageseite. Im Katastrophenfall 96,3 Milliarden Euro, wovon lediglich 45 Milliar- werden in Deutschland betroffene Individuen mit den Euro versichert waren. In den letzten Jahren den zum Teil existenzbedrohenden finanziellen Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 5/2021 www.iwp.uni-koeln.de | 2
Belastungen nicht allein gelassen. Bund und Län- 2 Geringe Absicherung gegen Elementarschäden der stellen in Krisensituationen regelmäßig schnell und unbürokratisch hohe staatliche Not- 2.1 Elementarschadenversicherung hilfegelder bereit. Es steht außer Frage, dass die staatlichen Hilfsgelder bei vergangenen Katastro- In Deutschland gibt es einen privaten Versiche- phen richtig und notwendig waren. Allerdings rungsmarkt, auf dem sich Haushalte gegen Natur- werden bei der Zuteilung, Organisation und Ver- gefahren absichern können. Die Elementarscha- waltung der ad-hoc Zahlungen Effizienzverluste denversicherung ist in Deutschland eine Zusatz- in Kauf genommen, die durch eine gut durch- police, die zur Wohngebäudeversicherung hinzu- dachte, langfristige gesellschaftliche Vorsorge- gebucht werden kann. In der Regel beinhaltet die strategie vermieden werden könnten. Zudem herkömmliche Wohngebäudeversicherung eine steckt hinter den staatlichen ad-hoc Hilfen die Ge- Absicherung gegen Schäden durch Feuer, Blitz- fahr der politischen Willkür. Faktoren wie die me- schlag, Explosion oder Implosion, Sturm und Ha- diale Aufmerksamkeit, die auf die Naturkatastro- gel, Leitungswasser und Überspannung. Die Ele- phe gerichtet wird, die Haushaltslage oder der mentarschadenversicherung übernimmt Schä- nächste Wahltermin können die Höhe der Hilfs- den, die z.B. durch Starkregen, Überschwem- gelder stark beeinflussen.1 mung, Rückstau, Hochwasser, Schneedruck, La- winen, Erdrutsch, Erdsenkung, Erdbeben oder Um diesen Problemen entgegenzuwirken, wird Vulkanausbrauch verursacht wurden (GDV 2020). aktuell die Einführung einer obligatorischen Ele- mentarschadenversicherung diskutiert, wie es sie Die Prämienhöhe in der Elementarschadenversi- bereits in anderen europäischen Ländern gibt. Es cherung für Wohngebäude ist aktuell vom indivi- ist nicht das erste Mal, dass diese Diskussion in duellen Naturgefahrenrisiko des Wohngebäudes Deutschland geführt wird. Bereits nach den Flut- abhängig. Um diese Risiken einzuschätzen, haben katastrophen 2002 und 2013 wurden jeweils die deutschen Versicherer ein Zonierungssystem Bund-Länder-Arbeitsgruppen geschaffen, die für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen eine Pflicht zur Versicherung gegen Elementar- (ZÜRS GEO) eingerichtet, welches die Gebäude in schäden diskutieren und gangbare Wege aufzei- Deutschland in vier Gefährdungsklassen (GK) un- gen sollten. Beide Arbeitsgruppen haben sich im terteilt. Der Großteil aller Gebäude in Deutsch- Ergebnis gegen eine obligatorische Elementar- land (92,4%, 20,4 Millionen) liegt in der GK 1 und schadenversicherung ausgesprochen. Während gilt damit als nicht von Hochwasserrisiken betrof- die wichtigsten Argumente sich auf beiden Seiten fen. Die GK 2 umfasst 6,1% (1,3 Millionen) aller Ge- über die Jahre wiederholen, könnten sie ange- bäude. In dieser Gefährdungsklasse wird das sichts der enormen Schäden der jüngsten Flutka- Hochwasserrisiko auf seltener als 1 mal in 100 Jah- tastrophe und neuen Klimaprognosen, neu ge- ren geschätzt. 1.1% der Gebäude (237.000) liegen wichtet werden. Daher lohnt sich ein Blick auf die in der GK 3, mit einem Hochwasserrisiko von 1 mal zentralen Fragen zur Ausgestaltung einer poten- in 10-100 Jahren. Die restlichen 0.4% der Gebäude ziellen obligatorischen Versicherung gegen Ele- (98.000) liegen in einem Gebiet mit einem Hoch- mentarschäden. Im Fokus der Debatte liegen wasserrisiko von 1 mal in 10 Jahren. Die Anzahl an zwei zentrale Fragen: Wer soll die Versicherung abgeschlossenen Elementarschadenversicherun- anbieten: eine staatliche Monopolversicherung o- gen für Wohngebäude ist in den letzten Jahren der mehrere private Anbieter? Und wie sollen die gestiegen. Waren zur Zeit der Flutkatastrophe im Prämien gestaltet werden: Risikodifferenziert o- August 2002 erst 19 Prozent der Gebäude gegen der zu einem Einheitstarif? Elementarschäden versichert, waren es im Jahr 1 In den USA konnte beispielsweise empirisch gezeigt gerade ein Wahljahr war und ob die betroffene Re- werden, dass die Höhe von in der Vergangenheit ge- gion wahlstrategisch wichtig für den Präsidenten zahlten Katastrophenhilfen stark davon abhängt, ob war (Garrett und Sobel 2003). Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 5/2021 www.iwp.uni-koeln.de | 3
2013 bereits 32 Prozent und im Jahr 2020 46 Pro- lektion betreiben und einzelnen Hauseigentü- zent (GDV 2021a; BMI 2013). Die regionale Versi- mer*innen kein Versicherungsangebot machen.2 cherungsdichte in Deutschland ist sehr hetero- Häuser im Bestand in Hochrisikogebieten werden gen. Während Baden-Württemberg eine Versi- in diesem Fall als unversicherbare Risiken dekla- cherungsdichte von 94 Prozent aufweist, sind in riert. Außerdem ist denkbar, dass Anbieter in be- Bremen aktuell nur 23 Prozent der Gebäude ge- stimmten Fällen die Kosten einer Angebotserstel- gen Elementarschäden versichert (vgl. Abbildung lung gar nicht erst auf sich nehmen, da sie davon 1). Dieser Unterschied lässt sich weniger mit der ausgehen, dass das Angebot von den Hauseigen- Risikolage der Gebäude erklären als damit, dass tümer*innen sowieso abgelehnt wird. Über das es in Baden-Württemberg bis 1993 noch eine Ver- Ausmaß der angebotsseitigen Probleme finden sicherungspflicht gegen Elementarschäden gab sich widersprüchliche Aussagen. Während der und die meisten Hauseigentümer*innen ihre Ele- GDV angibt, dass 99 Prozent aller Immobilien in mentarschadenversicherung nicht gekündigt ha- Deutschland unter zumutbaren Bedingungen ver- ben (GDV 2021a). sicherbar sind, zweifelt die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz diese Zahl im Rahmen einer Stu- Abbildung 1: Anzahl der gegen Elementarschäden die an (Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz versicherten Gebäude je Bundesland 2018; DLF 2021). Nachfrageseitig gibt es drei theoretische Argu- mente, die eine geringe Versicherungsdichte er- klären können. Zunächst kann es sein, dass es ei- nem großen Anteil der Hauseigentümer*innen gar nicht bewusst ist, dass ihr Gebäude nicht ge- gen bestimmte Naturkatastrophen versichert ist (GDV 2021a). Da Schäden durch Stürme durch die Wohngebäudeversicherung abgedeckt sind, könnten Verbraucher*innen beispielsweise da- von ausgehen, dass auch Schäden durch andere Naturgefahren abgesichert sind. Bei Neuab- schlüssen wird heute allerdings in der Regel da- rauf hingewiesen, dass Elementarschäden nicht automatisch in der Wohngebäudeversicherung enthalten sind und eine zusätzliche Police ab- schlossen werden muss. Zudem gibt es seit länge- rem ein breites, leicht zugängliches Informations- angebot über Naturgefahren und Präventions- Quelle: GDV (2021a) maßnahmen (Gross, Schwarze und Wagner 2019). 2.2 Ursachen für geringe Versicherungsdichte Es gibt Evidenz dafür, dass das eigene Risiko, in Zukunft von einem Extremwetterereignis betrof- Damit die Elementarschadenversicherung für fen zu sein, von vielen unterschätzt wird. Gross, Wohngebäude in Hochrisikogebieten für Versi- Schwarze und Wagner (2019) erklären man- cherer tragbar ist, müssten die Versicherungsprä- gelnde Awareness unter anderem dadurch, dass mien teilweise sehr hoch sein. Aus Sorge vor einer sich Menschen bei der Risikobewertung häufig Rufschädigung könnten Versicherungen Risikose- auf Erfahrungswissen verlassen. Das vergleichs- weise seltene Auftreten von Naturkatastrophen 2 Konkret könnten Versicherer Sorge davor haben, dass dem Anbieter kündigen bzw. keine weiteren Ange- Hausbesitzer*innen auf Grund eines unzumutbaren bote zu anderen Versicherungen einholen. Versicherungsangebots andere Versicherungen bei Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 5/2021 www.iwp.uni-koeln.de | 4
kann so als Erklärungsansatz für eine systemati- gungen zur Verfügung steht und der Kontrahie- sche Unterschätzung der tatsächlichen Risiken rungszwang nicht durch unzumutbare Versiche- bei Hauseigentümer*Innen herangezogen wer- rungsprämien oder Selbstbehalte umgangen den. werden kann. Das in der Literatur meistdiskutierte Problem auf Um dem Problem des unzureichenden Risikobe- der Nachfrageseite basiert auf der Annahme, wusstseins gegenüber Naturgefahren zu begeg- dass Individuen sich darauf verlassen, dass der nen, ist der naheliegendste Ansatz eine Verbesse- Staat im Katastrophenfall finanzielle Hilfen für rung des Informationsstands in der Gesellschaft Reparaturen (im Extremfall für den Wiederauf- und eine Schärfung der Awareness für Naturge- bau) bereitstellt. Die Antizipation von staatlichen fahren. Hier könnte zum einen über eine umfang- Hilfsgeldern kann theoretisch die Anreize verrin- reiche Informationspflicht von Seiten der Gebäu- gern, selbst eine Versicherung abzuschließen. In deversicherung zum Zeitpunkt des Versiche- der Literatur wird diese Anreizproblematik Cha- rungsabschlusses nachgedacht werden. Zum an- rity Hazard genannt. Einige empirische Arbeiten deren kann gehofft werden, dass die jüngste Flut- geben Hinweise darauf, dass es tatsächlich einen katastrophe und die aktuelle Debatte zu einer zu- starken Zusammenhang zwischen der Versiche- mindest temporären Erhöhung der Awareness rungsnachfrage und antizipierten Hilfsgeldern führt.3 Ob Informations- und Awareness-Kampag- gibt (z.B. Raschky und Weck-Hannemann 2007; nen das Problem der geringen Versicherungs- Browne und Hoyt 2000; Lewis und Nickerson dichte allerdings alleine lösen können, ist fraglich. 1989). Eine empirische Untersuchung der Effektivität von groß angelegten Awareness-Kampagnen von 3 Lösungsvorschläge Osberghaus und Hinrichs (2021) findet bisher kei- nen signifikanten Effekt der durchgeführten Kam- Es ist davon auszugehen, dass die Ursachen der pagnen auf die Versicherungsnachfrage deut- geringen Versicherungsdichte sowohl auf der An- scher Haushalte. gebots- als auch auf der Nachfrageseite liegen. Eine unterschiedliche Gewichtung der jeweiligen Vermehrt kommt auch der Vorschlag auf, Nudges einzelnen Argumente kann zu sehr unterschiedli- einzusetzen, um die Versicherungsnachfrage zu chen Positionen hinsichtlich der Frage führen, mit erhöhen. Zu den effektivsten Nudges zählt die welchen wirtschaftspolitischen Instrumenten die Änderung von Standardvorgaben (Defaults), die Versicherungsdichte erhöht werden kann. insbesondere dann zu Wohlfahrtsgewinnen füh- ren kann, wenn davon auszugehen ist, dass ein Wird die Ursache für die geringe Versicherungs- großer Teil der Individuen sich zwar gern anders dichte hauptsächlich in einem unzureichenden verhalten würde, allerdings aufgrund hoher Versicherungsangebot gesehen, könnte ein ein- Transaktionskosten im Status-Quo verharrt. Die- seitiger Versicherungszwang einen effektiven ser Nudge findet bereits in der Versicherungswirt- Markteingriff darstellen. In diesem Modell wären schaft Anwendung. So existieren Zeichnungs- die Versicherer dazu verpflichtet, allen Wohnge- richtlinien, die Versicherungen dazu anhalten, bei bäudeeigentümer*innen ein Versicherungsange- Neuabschlüssen von Wohngebäudeversicherun- bot zu machen. Allerdings müssten zusätzliche gen Elementarschadenversicherungen mit anzu- Maßnahmen getroffen werden, die sicherstellen, bieten (Gross, Schwarze und Wagner 2019). Eine dass für alle Hauseigentümer*innen ein Versiche- Studie der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz rungsangebot zu wirtschaftlich tragbaren Bedin- (2018) legt allerdings nahe, dass Versicherungen, 3 Tatsächlich verzeichnen Versicherungen nach der dieses Mal dazu führen, dass das Thema im „sozialen Flutkatastrophe zumindest kurzfristig ein deutlich Langzeitgedächtnis“ (Welzer 2008) verankert wird, höheres Interesse an Elementarschadenversiche- bleibt abzuwarten. rungen (dpa 2021). Ob die verheerenden Ereignisse Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 5/2021 www.iwp.uni-koeln.de | 5
insbesondere bei Gebäuden in Hochrisikogebie- an seinem vorherigen Beschluss fest und verrin- ten, häufig von dieser Richtlinie abweichen. Hier gerte die Soforthilfe für Personen die sich hätten könnte darüber nachgedacht werden, die Zeich- versichern können um 50 Prozent. Ungeachtet nungsrichtlinie zu einer obligatorischen Opt-Out- dessen kann angezweifelt werden, ob die Verwei- Lösung auszubauen. Allerdings bleibt fraglich, ob gerung staatlicher Unterstützung im Katastro- Transaktionskosten die geringe Versicherungs- phenfall in einem Sozialstaat gesellschaftlich er- dichte erklären können, da davon auszugehen ist, wünscht wäre.4 dass sich der Mehraufwand zum Abschluss einer zusätzlichen Police zeitgleich mit dem Abschluss Ein anderer Ansatz, um dem Problem des Charity einer Wohngebäudeversicherung in Grenzen Hazards zu begegnen, wäre die Einführung einer hält. obligatorischen Deckungsvorsorge. Konkret würde dies bedeuten, dass die Wohngebäudever- Alle drei Vorschläge – Kontrahierungszwang, In- sicherung nur noch im Paket mit einer Elementar- formations- und Awarenesskampagnen und Nud- schadenversicherung angeboten werden darf. Da ges - können zwei Probleme nicht adressieren: bisher nur 7,6 Millionen von insgesamt 19,4 Milli- Erstens zielen sie zunächst nur auf Neuabschlüsse onen abgeschlossenen Wohngebäudeversiche- ab. Häuser im Bestand wären von diesen Maßnah- rungen in Deutschland die Elementarschaden-Zu- men nicht betroffen. Zweitens wird das Problem satzpolice enthalten, kann erwartet werden, dass des Charity Hazards, das von vielen als zentrales die Versicherungsnachfrage nach der Elementar- Argument zur Erklärung der geringen Versiche- schadenversicherung mit einer obligatorischen rungsdichte genannt wird, nicht gelöst. Kopplung an die Gebäudeversicherung deutlich ansteigt (GDV o. J.; 2020). 5 Allerdings könnte das Um dem Problem der antizipierten Hilfsgelder Problem eines unzureichenden Versicherungsan- entgegenzuwirken wurde 2017 auf der Umwelt- gebots durch diese Lösung sogar verschärft wer- ministerkonferenz beschlossen, dass staatliche den, wenn Versicherer auf die Bündelungspflicht Hilfen nur noch dann gezahlt werden, wenn fest- reagieren, indem sie zukünftig in gefährdeten Ge- gestellt werden kann, dass sich Betroffene erfolg- bieten nicht einmal mehr Wohngebäudeversiche- los um eine Versicherung bemüht haben oder die rungen anbieten. Würde daraus folgen, dass die Bedingungen für die angebotene Versicherung Maßnahme mit einem Kontrahierungszwang ge- wirtschaftlich unzumutbar waren (BMU 2017). Ei- koppelt wird, kann argumentiert werden, dass es nige Bundesländer wie Bayern oder Nordrhein- sich bei dieser Lösung um eine Art „Versiche- Westfalen gingen sogar noch weiter und legten rungspflicht durch die Hintertür“ handeln würde, fest, dass Nothilfen nur noch in wenigen Härtefäl- der eine direkte und transparente Lösung vorzu- len gewehrt werden (GDV 2019). Bei der jüngsten ziehen wäre. Flutkatastrophe im Juli 2021 hat sich allerdings ge- zeigt, dass bei Katastrophen mit einer großen me- Sieht man erstens die Ursache der geringen Ab- dialen Aufmerksamkeit politisch nur schwer an deckung in den meisten Bundesländern zumin- diesen Ankündigungen festgehalten werden dest auch auf der Nachfrageseite, glaubt man kann. Bund und Länder haben daher entgegen ih- zweitens, dass die Fehlanreize aufgrund des Cha- rer vorherigen Beschlüsse wieder schnelle und rity Hazards eine entscheidende Ursache für die unbürokratische Soforthilfe für Betroffene be- geringe Versicherungsdichte darstellen und will reitgestellt und weitere Aufbauhilfe wird folgen. man drittens daran festhalten, Betroffene mit Auf einen Nachweis unversicherbarer Risiken den zum Teil existenzbedrohenden, finanziellen wurde verzichtet. Lediglich Bayern hielt teilweise 4 Ein Vergleich mit anderen europäischen Ländern zeigt, 5 Die hohe Dichte an Wohngebäudeversicherungen lässt dass es ein reines Marktmodell in keinem Land gibt. sich dadurch erklären, dass diese Versicherung Unregulierte Versicherungsmärkte sind immer mit meistens bei der Finanzierung des Hauses durch die staatlichen Hilfen im Katastrophenfall verbunden Banken gefordert wird. (Schwarze 2019). Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 5/2021 www.iwp.uni-koeln.de | 6
Folgen von Naturkatastrophen nicht alleine zu dazu verpflichtet, einen Versicherungsvertrag mit lassen, drängt sich die Idee einer verpflichtenden einem öffentlich-rechtlichen Versicherungsträger Naturgefahrenabsicherung für alle Wohngebäu- abzuschließen, bei dem es sich um einen (regio- de nahezu auf. Dieses Instrument stellt einen re- nalen) Monopolversicherer handelt. Im zweiten lativ starken Eingriff in die Privatautonomie und Fall werden alle Betroffenen dazu angehalten, Vertragsfreiheit dar. Die zusätzlichen Kosten wür- eine Elementarschadenversicherung abzuschlie- den nicht nur Hauseigentümer*innen treffen, wie ßen, wobei sie zwischen verschiedenen privaten im ersten Augenblick angenommen werden Versicherungsanbietern wählen können. Zur Si- könnte, sondern alle Haushalte in Deutschland. cherstellung eines entsprechenden Versiche- Dies liegt daran, dass die Versicherungsprämien rungsangebots ist eine Versicherungspflicht in gemäß der Betriebskostenverordnung von Woh- der Regel mit einem Kontrahierungszwang für nungseigentümer*innen auf Mieter*innen umge- die Versicherungsanbieter verbunden. legt werden können. Selbst wenn dies anders ge- staltet werden würde, würde das Mietniveau mit- Aus ökonomischer Perspektive sprechen für eine telfristig ansteigen und die Kosten dadurch indi- staatliche Monopolversicherung insbesondere rekt auf die Mieter*innen umgelegt werden. zwei theoretische Argumente: Erstens können Trotz dieses erheblichen Eingriffs werden die Versicherungsnehmer in diesem Fall nicht zu Stimmen lauter, die eine verpflichtende Elemen- Wettbewerbern abwandern, wodurch die Versi- tarschadenversicherung vor dem Hintergrund im- cherung sich Werbe-, Vertreter- und Akquisitions- mer häufiger auftretender Extremwetterereig- kosten sparen kann. Durch die Betriebskostener- nisse mittlerweile als verhältnismäßig ansehen. sparnis kann ein Monopolist die Versicherung the- oretisch zu einem niedrigeren Prämienniveau an- 4 Überlegungen zur Ausgestaltung einer obliga- bieten als Versicherer in einem Wettbewerbs- torischen Versicherung markt. Dies wird dadurch verstärkt, dass staatli- che Monopolversicherer keine Gewinne aus- Die Idee einer Versicherungspflicht zur Schaffung schütten. Außerdem sinken auf Seiten der Nach- von Solidargemeinschaften und zur Vermeidung frager Informationssuchkosten, da sie keine An- von Risikoselektion ist nicht neu. In Deutschland gebote verschiedener Anbieter vergleichen müs- basieren beispielsweise große Teile der Sozialver- sen. Zweitens wird argumentiert, dass Monopol- sicherung (Arbeitslosen-, Renten-, Kranken-, Un- versicherer maßgeblich zur Prävention beitragen, fall- und Pflegeversicherung) auf einer Versiche- da sie mehr Anreize für Investitionen in Präventi- rungspflicht.6 Während viele Ökonom*innen eine onsmaßnahmen haben und sich aktiver in der obligatorische Versicherung gegen Elementar- kommunalen Vorsorgeplanung einbringen kön- schäden befürworten, gehen bei der genauen Ge- nen (Schwarze 2019). Zunächst könnte man da- staltung die Meinungen stark auseinander. von ausgehen, dass auch private Versicherer An- reize haben, Innovationen bei der Schadensver- 4.1 Versicherungspflicht oder Pflichtversiche- meidung voranzutreiben und über Interessenver- rung? bände Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Allerdings gibt es auf Wettbewerbs- Eine Kernfrage bei der Ausgestaltung einer Versi- märkten ein „Trittbrettfahrerproblem“, da alle cherungspflicht für Elementarschäden ist, wer Wettbewerber von bestimmten lokalen Präventi- Hausbesitzer*innen die Versicherung anbieten onsmaßnahmen profitieren würden, unabhängig soll. Hier werden zwei Modelle diskutiert: eine davon, ob sie sich an der Finanzierung bzw. an Pflichtversicherung und eine Versicherungspflicht. den Kosten zur Durchsetzung der Entscheidun- Im ersten Fall werden die Hauseigentümer*innen gen beteiligen. 6 Auch einige Versicherungen, bei denen es vorrangig um den Schutz Dritter geht, sind in Deutschland ver- pflichtend, beispielsweise die KFZ-Haftpflicht- und die Berufshaftpflichtversicherung. Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 5/2021 www.iwp.uni-koeln.de | 7
Bei einer staatlichen Monopolversicherung muss im Wettbewerb zueinander stehen. Es zeigt sich, jedoch auch beachtet werden, dass die darge- dass die Versicherungsprämie, die von Monopol- stellte Anreizkompatibilität in der Praxis alles an- versicherern verlangt wird, deutlich geringer ist, dere als selbstverständlich ist, wie zentrale Mo- als jene die von privaten Versicherungsanbietern dellansätze der Ökonomischen Theorie der Büro- veranschlagt wird. Außerdem investieren die kan- kratie zeigen. So sollte z.B. sichergestellt werden, tonalen Monopolisten einen erheblichen Anteil dass die Anreize für die neue Institution derart ge- ihrer Prämieneinkünfte in Präventionsmaßnah- staltet sind, dass von Seiten der Versicherung men und wirken in kantonalen Entscheidungsgre- nicht reine Budget- und Output-Maximierung im mien zur öffentlichen Raum- und Katastrophen- Vordergrund stehen oder Versicherungsbeiträge schutzplanung mit. Ihre Schadensbelastung liegt, zur Finanzierung sachfremder Projekte instru- im Vergleich zu Kantonen mit privaten Versiche- mentalisiert werden, sondern tatsächlich ein rungsanbietern, deutlich niedriger (von Ungern- möglichst effizientes gesellschaftliches Risikoma- Sternberg 2002). Allerdings unterscheidet sich nagement das Ziel ist. Zudem muss bedacht wer- der institutionelle Rahmen in der Schweiz, auf- den, dass Aufbau, Betrieb und Überwachung ei- grund der kantonalen Strukturen, stark von ner neuen Institution mit dem Auftrag, alle Ge- Deutschland und ein Vergleich sollte mit Vorsicht bäudebesitzer*innen in Deutschland zu versi- betrachtet werden. Zudem existieren die kanto- chern, mit hohen Kosten verbunden wäre – Kos- nalen Gebäudeversicherer teilweise schon seit ten, die vor dem Hintergrund eines etablierten dem 19 Jahrhundert, wohingegen sich in Deutsch- privaten Versicherungsmarktes in Deutschland land über die Jahre ein privater Versicherungs- möglicherweise vermeidbar wären. markt für Wohngebäude- und Elementarschaden- versicherungen etabliert hat, dessen Strukturen Demgegenüber stehen die grundsätzlichen Vor- und Know How genutzt werden sollten. teile, die Ökonom*innen typischerweise in de- zentralen Wettbewerbslösungen sehen. Dies sind 4.2 Abwägungen zwischen Äquivalenz und Soli- insbesondere dynamische Innovationsanreize darität und Anreize zur effizienten Betriebsorganisation. Auf wettbewerblichen Versicherungsmärkten Ein weiteres Streitthema bei der Ausgestaltung müsste die individuelle Risikoeinschätzung sowie einer obligatorischen Elementarschadenversiche- ein sinnvoller Präventionsmaßnahmenkatalog rung dreht sich um die Frage, wie die Prämien ge- nicht von Bürokrat*innen festgelegt werden, wo- staltet werden sollten. Auf der einen Seite steht durch Prozesse möglicherweise anreizkompatib- der Vorschlag der Schaffung einer Solidargemein- ler und dadurch effizienter gestalten werden. Pri- schaft mit einheitlichen Tarifen für alle Hausei- vater Wettbewerb kann zudem für eine Ange- gentümer*innen (z.B. in Abhängigkeit vom Ge- botsvielfalt sorgen, die bei einem Monopolversi- bäudewert). Im Kern dieser Idee liegt die Vorstel- cherer nicht gegeben ist. Es kann z.B. eine Ange- lung, dass nur auf diese Weise bezahlbare bzw. botsdifferenzierung hinsichtlich des Kundenser- zumutbare Versicherungsprämien für alle Hausei- vices oder diverser anderer Zusatzleistungen er- gentümer*innen sichergestellt werden können. folgen, die zu einem insgesamt präferenzgerech- Zudem lässt sich ins Feld führen, dass die zuneh- teren Angebot führen können. mende Gefährdung durch Extremwetterereig- nisse als Folge des Klimawandels eine direkte In der Schweiz sind interessanterweise beide Mo- Konsequenz gesamtgesellschaftlichen Verhaltens delle vorzufinden: In den meisten Kantonen sind ist. Dem umweltrechtlichen Verursacherprinzip Gebäudeeigentümer*innen verpflichtet, ihre Ge- folgend könnte argumentiert werden, dass die bäude gegen Elementarschäden bei der kantona- gesamte Gesellschaft folglich in eine Solidarge- len Monopolversicherung zu versichern. In drei meinschaft treten und diese Kosten gemeinsam Kantonen besteht zwar ebenfalls eine Versiche- stemmen sollte. Allerdings lässt sich damit nur rungs-pflicht für Gebäudeeigentümer*innen – al- schwer begründen, weshalb auch Neubauten in lerdings können diese hier zwischen verschiede- Hochrisikogebieten zukünftig von der Solidarge- nen privaten Versicherungsanbietern wählen, die meinschaft profitieren sollten. Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 5/2021 www.iwp.uni-koeln.de | 8
Die Nachteile einer einheitlichen Versicherungs- die eigene Risikoschadensklasse zu verbessern prämie liegen auf der Hand und wiegen schwer. und eine Prämienreduktion zu erhalten.7 Ferner Der Solidargedanke hinter einheitlichen Prämien werden riskante Lagen in der langfristigen Pla- bedeutet gleichzeitig, dass hohe Risiken durch nung teurer und damit unattraktiver. Beim Neu- niedrige Risiken subventioniert werden. Dies liegt bau werden Anreize gesetzt, die Risiken von Ele- daran, dass für die Berechnung der Prämienhöhe mentarschäden bei der individuellen Bauplanung ein durchschnittliches Schadensrisiko angesetzt sowie bei der Standortwahl zu berücksichtigen. werden muss, wodurch tendenziell die Prämie für Durch differenzierte Beiträge kann außerdem der niedrige Risiken zu hoch und für hohe Risiken zu Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften niedrig ist. Wenn sich in Zukunft also auch Haus- gefördert werden. Regionen, die es schaffen eigentümer*innen in weniger exponierten Lagen durch entsprechende Investitionen und geeig- zu relativ hohen Prämien versichern müssen, nete Maßnahmen die Risiken von Extremwetter- könnte dies in der Gesellschaft als ungerecht ereignissen zu reduzieren, werden langfristig at- empfunden werden. Des Weiteren führt die Um- traktiver. Letztlich kann durch risikoäquivalente verteilung zugunsten von hochwassergefährde- Prämien eine Quersubventionierung zwischen ten Gebäuden dazu, dass Anreize zur privaten Versicherungsnehmer*innen mit unterschiedli- Vorsorge im Rahmen von Versicherungsverträ- chen Risiken, die als ungerecht empfunden wer- gen nur noch über andere Gestaltungsaspekte, den und damit die Zustimmungsfähigkeit einer z.B. Selbstbehalte, gesetzt werden können. Versicherungspflicht in der Gesellschaft verrin- Letztlich wird durch eine Einheitsprämie das gern könnte, verhindert oder zumindest in Ma- Bauen in riskanten Lagen subventioniert (ex-ante ßen gehalten werden. moral hazard). Ein Einwand gegen risikoäquivalente Prämien ist Auf der anderen Seite steht der Vorschlag, dass hingegen im Umkehrschluss, dass die Versiche- das Versicherungssystem, wie bei anderen Versi- rungsprämien für Hauseigentümer*innen in cherungen üblich, auf dem Äquivalenzprinzip auf- Hochrisikogebieten unter Umständen sehr hoch gebaut wird. Demzufolge sollten Versicherungs- sein können und wie eine Enteignung wirken. Um beiträge bei Abschluss eines Vertrages grundsätz- zu gewährleisten, dass sich tatsächlich alle Ge- lich äquivalent zu den individuellen Risikofakto- bäudeeigentümer*innen eine Elementarversiche- ren kalkuliert werden. Hierbei müssten sich die rung leisten können, sind zwei Ansätze denkbar: Prämien nicht nur nach der Gefährdungsklasse Zum einen könnten die Versicherungsprämien richten, sondern auch individuelle sowie kollek- durch eine festgelegte Obergrenze gedeckelt tive Präventionsmaßnahmen einpreisen. Aus öko- werden. Dann ist allerdings davon auszugehen, nomischer Perspektive gibt es vier entscheidende dass der Versicherer ein Stück weit von der Risi- Vorteile von risikoäquivalenten Prämien: Durch koäquivalenz abweicht und hohe Risiken zum Teil die Orientierung an den individuellen Risiken wird durch niedrigere Risiken quersubventioniert wer- dem erwarteten Schaden bereits heute ein Preis den. Soll das vermieden werden, könnte über gegeben. Der Preis wirkt als Signal und kann zu kostengünstige staatliche Rückversicherungsve- einem größeren Risikobewusstsein führen (Zwei- hikel oder über eine staatliche Übernahme von fel und Eisen 2003). Es entstehen individuelle An- Ausfallgarantien für den Fall außerordentlicher reize, Präventionsmaßnahmen vorzunehmen, um Schäden nachgedacht werden.8 Zum anderen 7 Botzen, Aerts und van den Bergh analysieren 2009 in zwei Drittel aller Befragten Eigentümer*innen, die einem Beitrag die tatsächlichen Anreizwirkungen von Hochwasserrisiken betroffen sind, zum Zwecke unterschiedlicher Risikoschadensklassen. In ihrer einer Prämienreduktion dazu bereits sind, in Was- Studie haben sie untersucht, inwieweit Gebäudei- serbarrieren zu investieren. gentümer*innen in den Niederlanden dazu bereit 8 Wie hoch die Versicherungsprämien für eine obligato- sind, in Präventionsmaßnahmen zu investieren, um rische Naturgefahrenabsicherung bei risikoäquiva- Vergünstigungen auf ihre Versicherungsprämie zu lenten Prämien für Haushalte in Deutschland sein erhalten. Die Ergebnisse der Studie zeigen u.a., dass könnte, haben Gross, Schwarze und Wagner (2019) Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 5/2021 www.iwp.uni-koeln.de | 9
könnten Hauseigentümer*innen in Hochrisikoge- Fall einer Versicherungspflicht mit mehreren Ver- bieten durch Subventionen unterstützt werden. sicherungsanbietern sind zudem maximal zuläs- Damit dadurch nicht die positive Lenkungswir- sige Vertragslaufzeiten und Kündigungsfristen kung von risikoadäquaten Prämien zunichte ge- festzulegen. Längere Vertragslaufzeiten haben macht wird, sollten Subventionen für die Nachfra- den Vorteil, dass Versicherer mehr Anreize haben, geseite als Übergangslösung nur temporär ge- langfristig wirksame Präventionsmaßnahmen währleistet werden. Sie könnten beispielsweise durchzusetzen. Andererseits sind Hauseigentü- über einen festgelegten Zeitraum sinken, mer*innen durch lange Vertragslaufzeiten für ei- wodurch Anreize bestehen bleiben würden, zu- nen langen Zeitraum an eine Versicherung gebun- künftig in hochgefährdeten Gebieten nicht mehr den, die dadurch wiederum weniger dynamische zu bauen. Hohe Risiken würden auf diese Weisen Innovationsanreize hat. zwar (temporär) vergemeinschaftet – allerdings gilt das auch für die aktuelle Situation, in der ad- 5 Fazit und Ausblick hoc Hilfsgelder von Steuerzahler*innen gezahlt werden. Nach den letzten Flutkatastrophen besteht im öf- fentlichen Diskurs überwiegend Einigkeit darin, 4.3 Weitere wichtige Überlegungen dass die finanzielle Absicherung von Wohngebäu- den in ihrer derzeitigen Form den erwarteten Zusätzlich zu den beiden diskutierten Aspekten Schäden von Naturgefahren nicht gerecht wird. muss über eine Reihe weiterer Ausgestaltungsde- Im Zuge dieser anlaufenden Debatte werden die tails nachgedacht werden. Beispielsweise ist es Rufe nach einer verpflichtenden Elementarscha- bei Gebäudeversicherungen üblich, dass die Absi- denversicherung immer lauter. Den häufig vorge- cherung an einen Selbstbehalt geknüpft ist. Hier- brachten Kritikpunkten, dass eine verpflichtende durch sollen Versicherungsleistungen im Falle Versicherung sowohl staatliche als auch individu- von Frequenzschäden – häufig vorkommende, im elle Fehlanreize zur Risikovorsorge setzen würde Ausmaß allerdings nur geringe Gebäudeschäden und dass sich die Finanzierbarkeit für Gebäudeei- – verhindert werden. Einerseits können auf diese gentümer*innen in besonders exponierten Lagen Weise Verwaltungskosten für die Versicherer, als problematisch darstellen wird, liegen kon- welche die Prämien ansteigen lassen würden, ver- krete Ausgestaltungsannahmen zu Grunde. Diese mieden und positive Anreize für private Präventi- Argumente sprechen daher nicht pauschal gegen onsmaßnahmen gesetzt werden. Andererseits die Einführung einer obligatorischen Naturgefah- könnte es passieren, dass Versicherer durch hohe renversicherung. Auch wenn es theoretisch logi- Selbstbehalte den Kontrahierungszwang umge- sche Argumente für verschiedene Ausgestal- hen oder die Prämiendeckelung kompensieren tungsvorschläge gibt, erscheint uns ein wettbe- bzw. Versicherte durch hohe Selbstbehalte die werblich organisiertes System mit Versicherungs- Versicherungspflicht aufweicht wird. Aus diesem pflicht für Hauseigentümer*innen, Kontrahie- Grund sollte auch über eine Regulierung der zu- rungszwang für Versicherer und risikoäquivalen- lässigen Selbstbeteiligungen diskutiert werden. ten Prämien in Deutschland am geeignetsten. Durch eine Anpassung der Sozialleistungen, wie Von staatlicher Seite muss allerdings bei der Aus- dem Wohngeld, könnten außerdem uner- gestaltung darauf geachtet werden, dass einer- wünschte Verteilungseffekte einer Versiche- seits der Kontrahierungszwang nicht durch für rungspflicht zumindest für diejenigen, die eine zu- Hauseigentümer*innen unzumutbar hohe Prä- sätzliche Abgabe besonders hart treffen würde, mien für hohe Risiken umgangen werden kann abgefedert werden. Solche Maßnahmen können (z.B. durch eine Kappungsgrenze), andererseits die allgemeine Zustimmungsfähigkeit einer Versi- aber hinreichender Freiraum bei der Ausgestal- cherungspflicht in der Gesellschaft erhöhen. Im tung der Versicherungsverträge gewährleistet kalkuliert. In ihrem Modell liegt die monatliche Prä- schen 5 und 50 Euro, abhängig von der Gefährdungs- mienhöhe für ein Standard-Einfamilienhaus zwi- klasse und, wohlgemerkt, unter der Annahme ver- schiedener Selbstbehalte. Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 5/2021 www.iwp.uni-koeln.de | 10
wird, um langfristig sinnvolle Anreize für private Botzen, W. J. W., J. C. J. H. Aerts, und J. C. J. M. und kommunale Präventionsmaßnahmen zu van den Bergh. 2009. „Willingness of homeown- schaffen. ers to mitigate climate risk through insurance“. Ecological Economics 68 (8): 2265–77. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Ein- https://doi.org/10.1016/j.ecolecon.2009.02.019. führung einer Versicherungspflicht einen erhebli- chen Eingriff in die Privatautonomie und in die Browne, Mark J., und Robert E. Hoyt. 2000. „The Vertragsfreiheit darstellt. Von juristischer Seite Demand for Flood Insurance: Empirical Evi- werden immer wieder Bedenken bezüglich der dence“. Journal of Risk and Uncertainty 20 (3): Verhältnismäßigkeit einer Versicherungspflicht 291–306. geäußert und damit auch die Vereinbarkeit mit https://doi.org/10.1023/A:1007823631497. dem Verfassungs- und Unionsrecht angezweifelt. Trotz dieser Zweifel will sich Peter Biesenbach Budras, Corinna, und Jonas Jansen. 2021. „Hoch- (CDU), Justizminister in NRW und Vorsitzender wasser: 30 Milliarden Fluthilfe – reicht das?“ FAZ, der Justizministerkonferenz, bei der nächsten 11. August 2021. Zugegriffen 27. August 2021. Konferenz im November für eine bundesweite https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/hochwas- Versicherungspflicht einsetzen. Es bleibt abzu- ser-30-milliarden-fluthilfe-reicht-das- warten, wie sich die Justizminister*innen der an- 17481051.html. deren Länder positionieren und ob den aktuellen Geschehnissen dieses Mal politische Konsequen- DKKV. o. J. Zugegriffen 3. August 2021. zen folgen oder ob das Interesse an dem Thema https://www.dkkv.org/de/naturgefahren-in- mit den Pegelständen der Ahr, Ruhr und Mosel deutschland. wieder abnehmen wird. Es kann davon ausgegan- gen werden, dass sich politische Entscheidungs- DLF. 2021. „Flutschäden - Deutsche Versicherer: träger*innen mit dem Vorschlag einer zusätzli- Pflichtversicherung reicht als alleinige Lösung chen Pflichtversicherung vor allem vor dem Hin- nicht aus“. Deutschlandfunk. 23. Juli 2021. Zuge- tergrund anhaltender Mietpreisdebatten und griffen 27. August 2021. https://www.deutsch- dem Traum vieler Bürger*innen vom Eigenheim landfunk.de/flutschaeden-deutsche-versicherer- in Wahlkampfzeiten nicht nur Freunde machen – pflichtversicherung.694.de.html?dram:ar- schließlich ist das, was ökonomisch sinnvoll er- ticle_id=500711. scheint, nicht immer automatisch politisch oppor- tun. dpa. 2021. „Nach Hochwasser: Interesse an Ele- mentarversicherungen hoch“. Süddeutsche Zei- Literaturhinweise tung, 28. Juli 2021. Zugegriffen 27. August 2021. https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/versi- BMI. 2013. „Bericht zur Flutkatastrophe 2013: Ka- cherungen-nach-hochwasser-interesse-an-ele- tastrophenhilfe, Entschädigung, Wiederaufbau“. mentarversicherungen-hoch-dpa.urn-newsml- Bundesministerium des innern, für Bau und Hei- dpa-com-20090101-210728-99-567011. mat. Zugegriffen 27. August 2021. http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/down- Garrett, Thomas A., und Russell S. Sobel. 2003. loads/DE/veroeffentlichungen/themen/bevoelke- „The Political Economy of FEMA Disaster Pay- rungsschutz/kabinettsbericht-flut- ments“. Economic Inquiry 41 (3): 496–509. hilfe.pdf?__blob=publicationFile&v=3. https://doi.org/10.1093/ei/cbg023. BMU. 2017. „Verbesserung des Schutzes vor den GDV. 2019. „Staat schränkt Nothilfe ein“. 17. Juli Folgen von Naturgefahren“. Zugegriffen 27. Au- 2019. Zugegriffen 27. August 2021. gust 2021. https://www.gdv.de/de/themen/news/staat- https://www.umweltministerko- schraenkt-nothilfe-ein--31872. frenz.de/documents/0_top41_bmub-be- richt_1522238674.pdf. Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 5/2021 www.iwp.uni-koeln.de | 11
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