INFO - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
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INFO 03/2011 SCHWERPUNKT Unterstützung auf dem Weg zu einer freieren Gesellschaft 3 VORDENKEN Die Neuvermessung von Fortschritt und Wohlergehen 21 MITWIRKEN Risiken den Verantwortlichen überlassen 35 TEILHABEN 50 Jahre Anwerbe- abkommen 47 VERNETZEN Konturen einer politischen Union 57
2 AUGUST – SEPTEMBER – OKTOBER – NOVEMBER 2011 Inhalt FES-INFO 3/2011 TEXTBEITRÄGE IN DIESER AUSGABE SCHWERPUNKT Merin Abbas, Heba Ahmed, Henrike Allendorf, Vasyl Andriyko, Christine Unterstützung auf dem Weg zu Arbogast, Frederik Beck, Astrid Becker, Jacob einer freieren Gesellschaft – Birkenhäger, Julia Bläsius, Marc Bohn, Jonas Aktivitäten der FES in der arabischen Welt........................ 3 Brandhorst, Elisabeth Braune, Sara Brombart, Michael Bröning, Matthes Buhbe, Florian Dialog mit allen offenhalten – Dähne, Oliver Dalichau, Olena Davlikanova, „Vom arabischen Frühling zur gerechten Demokratie“...... 4 Knut Dethlefsen, Sina Dürrenfeldt, Felix Der Menschenrechtspreis 2011 – Eikenberg, Helmut Elischer, Samir Farah, Symbolfiguren des Freiheitskampfes.................................. 6 Roland Feicht, Michael Fischer, Pit Gey, Judith Gouverneur, Martin Gräfe, Sergio Grassi, Rainer Gries, Hendrijke Grunow, Björn GESELLSCHAFTLICHES ENGAGEMENT / Hacker, Mirko Herberg, Ralf Hexel, Kathrin SOZIALE DEMOKRATIE Hofmann, Peter Hurrelbrink, Daniela Iller, Hanna Israel, Matthias Jobelius, Martin Johr, Die Neuvermessung von Fortschritt und Wohlergehen – Friederike Kamm, Peter König, Alberto Suche nach neuem Leitfaden wirtschaftspolitischen Koschützke, Julia Kühne, Michael Langer, Handelns ....................................................................... 21 Hajo Lanz, Linda Larsson, Emil Lieser, Annette Lohmann, Thomas Mättig, Henrik Meyer, Von New York bis Tel Aviv – Aktivisten aus Michael Meier, Nicole Nestler, Rolf Paasch, aller Welt diskutieren mit Sigmar Gabriel......................... 23 Tim Petschulat, Markus Pins, Christoph Zeit für Gerechtigkeit! – Pohlmann, Werner Rechmann, Simone Eine internationale Themenwoche..................... ab Seite 25 Reperger, Stefanie Ricken, Ilka Ritter, Ingrid Ross, Alexander Rüsche, Constantin Schäfer, „Im Geist des guten Willens für den Frieden“ – Christina Schildmann, Franziska Schmidt, 40 Jahre Friedensnobelpreis an Willy Brandt.................... 32 Horst Schmidt, Severin Schmidt, Marcus Schneider, Markus Schreyer, Franziska Schröter, Carla Schulte-Reckert, Michael WIRTSCHAFT, ARBEIT, SOZIALES Schultheiß, Günther Schultze, Wenzel Risiken den Verantwortlichen überlassen – Seibold, Sabine Seiffert, Bastian Sendhardt, Konferenz über die Regulierung der Finanzmärkte.......... 35 Beyhan Sentürk, Sebastian Sperling, Susanne Stollreiter, Ulrich Storck, Sandra Tauer, Potenziale besser nutzen – Stephan Thalhofer, Markus Troemmer, Maria Mittel zur Deckung des Fachkräftebedarfs....................... 38 Usacheva, Achim Vogt, Ringo Wagner Nigeria: Jobs statt Deregulierung – Helmut Weber, Frederic Werner, Sidonie Wetzig, Lothar Witte, Christoph Wittmaack „Africa Industrialisation Day“.......................................... 41 Wirkung verfehlt? – Bilanz nach 10 Jahren Riester-Rente................................ 44 IMPRESSUM Herausgeber: INTEGRATION, BILDUNG, KULTUR Friedrich-Ebert-Stiftung Kommunikation und Grundsatzfragen „Ich kam als Ausländer, Godesberger Allee 149 dabei wollte ich nur Mensch sein“ – D-53175 Bonn 50 Jahre Anwerbeabkommen mit der Türkei................... 47 Telefon: 0228/883–0 Internet: www.fes.de Beratung und Hilfe annehmen – E-Mail: presse@fes.de Migrationsfamilien in Deutschland.................................. 49 Alt und arm – Redaktion: Peter Donaiski, Gerechte Rentenpolitik in Europa.................................... 52 Pressestelle Berlin Hiroshimastraße 17, D-10785 Berlin Telefon: 030/269 35–7038 EUROPA UND DIE WELT Telefax: 030/269 35–9244 E-Mail: peter.donaiski@fes.de Konturen einer politischen Union.................................... 57 Nationalstaatliche Egoismen zurückstellen – Satz, Layout, Herstellung: EU als demokratisches Erbe der Menschheit.................... 58 Publix, H. Eschenbach, Berlin Druck: Saarländische Druckerei & Die Türkei vor neuer Verfassung...................................... 65 Verlag GmbH, Saarwellingen Eine Miniatur der chinesisch- Titelseite unter Verwendung deutschen Beziehungen.................................................. 66 von Bildmaterial von fotolia.com Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo – Titelgestaltung / Montage: Der schwierige Weg zur Demokratie?............................. 70 Wolfgang Rabe, Berlin Printed in Germany, Januar 2012 PUBLIKATIONEN Gedruckt auf 90 g matt gestrichen Neue Publikationen der FES............................................. 73 ISSN 0942-1351ISSN 0942-1351 FES I N F O 3 / 2 0 1 1
SCHWERPUNKT 3 REVOLUTION – UND DANN? UNTERSTÜTZUNG AUF DEM WEG ZU Einleitung zum Schwerpunktthema EINER FREIEREN GESELLSCHAFT D I E A K T I V I T Ä T E N D E R F R I E D R I C H - E B E R T- S T I F T U N G I N D E R A R A B I S C H E N W E LT Es besteht heute kein Zweifel daran, dass sich in nicht verstanden zu haben. Auch sind Teile der der arabischen Welt ein Veränderungsprozess Reformwelle in die Königreiche Marokko und Bahn gebrochen hat, den einerseits niemand Jordanien hineingeschwappt und haben dort für möglich hielt, dessen Verlauf und Ergebnisse Veränderungsprozesse beschleunigt, die das Sys- aber nur schwerlich vorauszusagen sind. Die tem ansonsten ausgesessen oder zumindest doch Umsturzbewegungen waren weder ideologisch zögerlicher umgesetzt hätte. Auch wenn heute noch religiös motiviert, sondern wurzeln in er- die ganze Welt auf die Kernländer der arabischen ster Linie in der aussichtslos schlechten wirt- Revolution blickt, darf man doch nicht außer schaftlichen und sozialen Lage der Mehrheit der Acht lassen, die sich auch im Libanon, in Palästi- Bevölkerungen, deren Wut über mangelnde Frei- na wie auch im Südsudan vollziehenden Verän- heit und Würde sich mit einem Schrei auf den derungsprozesse entsprechend zu würdigen. Straßen entlud. Mit dem Sturz der Despoten in Tunesien und Eine Region, die sich weitestgehend durch ihre Ägypten allein sind nicht automatisch die von autoritär „verordnete Ruhe“ auszeichnete, hat ihnen geschaffenen intransparenten und pater- sich binnen eines Jahres in einen Landstrich „or- nalistischen Systeme überwunden. Es ist eine dentlicher Unruhe“ verwandelt: vermeintlich Zeit des Wandels, in der die Hoffnung nach mehr stabile, berechenbare politische Systeme in Tu- Freiheiten, nach Partizipation und Pluralismus nesien oder Ägypten fielen – widerspenstig zwar nicht enttäuscht werden darf. Für die Menschen – wie Kartenhäuser in sich zusammen. Ben Ali muss sich zukünftig eine Demokratiedividende und Mubarak wurden davongejagt, Gaddafi ist abzeichnen, die über den eigentlichen Wahlakt tot, Saleh im Jemen lässt langsam los, Assad ist hinausgeht. Die Regierungen in der Region ste- bereits Vergangenheit, bloß scheint er dies noch hen deshalb vor enormen Herausforderungen. 3 / 2 0 1 1 I N F O FES
4 SCHWERPUNKT Sie müssen nicht nur die Forderungen der De- sprochen. Eine Organisationenlandschaft, die monstranten, sondern auch die Grundbedürf- selbst wiederum, und das darf nicht vergessen nisse der Bevölkerung erfüllen. Dabei müssen werden, in Tunesien und Ägypten einen gewal- wir sie nach Kräften unterstützen. tigen Transformationsprozess durchläuft. Die Zielmarken des Engagements der Friedrich- Im Tunesien und Ägypten von heute kann ein Ebert-Stiftung sind in weiten Teilen deckungs- Modell arabischer Demokratie von morgen ent- gleich mit den Forderungen derer, die mas- stehen, das sein Licht in alle Ecken der Region des senhaft auf den Straßen für Veränderungen Nahen/Mittleren Ostens und Nordafrikas werfen demonstriert haben: Neue, demokratisch legi- kann. Grundsteine dafür hat die FES durch ihre timierte politische Systeme müssen entstehen, langjährige Zusammenarbeit mit der Zivilgesell- deren Führung in freien und fairen Wahlen die schaft, mit Parteien und Gewerkschaften in der Aufgabe zur Gestaltung einer neuen Ordnung Region gelegt. Die Förderung von Pluralismus übertragen wird, die sich an Maßstäben wie und Partizipation war in der Vergangenheit ein Rechtstaatlichkeit, Demokratie, Chancengleich- schwieriges Unterfangen, einfach wird es auch heit und sozialer Gerechtigkeit wird messen las- heute nicht sein, aber sowohl wir, als auch un- sen müssen. sere Partnerorganisationen verfügen in der ara- Neben der Bereitstellung von Erfahrungen und bischen Neuzeit über erheblich mehr Freiheiten, Wissen über institutionelle oder systemische Al- unsere gemeinsamen Ziele zu verwirklichen. ternativen müssen wir jedoch insbesondere dafür Wir treten mit unserem Unterstützungsangebot Sorge tragen, dass der Prozess der Entscheidungs- an Gesellschaften heran, die sich ihrer Despoten findung möglichst partizipativ und inklusiv voll- entledigt und ihr neues Selbstbewusstsein er- zogen wird, d. h. es muss Orte, Plattformen und kämpft und entdeckt haben. Wir sollten daher Mechanismen geben, die eine umfassende Betei- in aller Bescheidenheit und Zurückhaltung all ligung der Bevölkerung gewährleisten. Damit ist diejenigen nach Kräften unterstützen, die sich die wichtige Rolle der Medien, insbesondere aber selbst auf den Weg zu einer freieren Gesellschaft diejenige der Gruppen der Zivilgesellschaft, der gemacht haben. politischen Parteien und Gewerkschaften ange- Bestandsaufnahme DIALOG MIT ALLEN OFFENHALTEN V O M A R A B I S C H E N F R Ü H L I N G Z U R G E R E C H T E N D E M O K R AT I E ? Es wäre falsch, die Proteste in Kairo mit denen Mit Blick auf die Rolle Europas bezüglich po- in New York oder Santiago de Chile gleichzuset- litischer Transformationsprozesse in der ara- zen. Genauso falsch wäre es jedoch, Gemeinsam- bischen Welt, stimmten der SPD-Außenpolitiker keiten zu übersehen. Denn 2011 ging weltweit vor Dr. Rolf Mützenich und Michael Meyer-Resende allem die Jugend auf die Straße, um „Gerechtig- von Democracy Reporting International überein, keit“ einzufordern, so Jochen Steinhilber, Leiter dass Europa sich zügeln müsse, die Welt nach sei- des FES-Arbeitsbereichs Globale Politik und Ent- nem eigenen Bild formen zu wollen. Denn nach wicklung zum Auftakt der Veranstaltung „Vom Jahren zweifelhafter politischer Allianzen Euro- Arabischen Frühling zur gerechten Demokratie?“ pas mit den Herrschern Nordafrikas steht fest: Das Konzept der Demokratieförde- rung ist in der Region nicht leicht glaubhaft vermittelbar. „Es begann mit einem Schrei nach Gerechtigkeit, dann folgte eine Ra- dikalisierung der Protestbewegung und die Forderung nach demokra- tischen Staatskonzepten“, so der Auch in Berlin berichteten arabi- tunesische Gewerkschaftsaktivist sche Jugendliche Habib Guisa über die Entwicklung über die Ziele ihrer Revolution. in Tunesien. Neben Gewerkschafts- FES I N F O 3 / 2 0 1 1
SCHWERPUNKT 5 vertretern sei die Jugend der wichtigste Träger geschehe, werde die tunesische Revolutionsbe- der Revolution. Vor allem 150.000 diplomierte wegung diese „zivilisatorischen“ Errungenschaf- Studenten, die vielfach arbeitslos wurden, hätten ten mit allen Mitteln verteidigen. den Arabischen Frühling in seiner Heimat ge- Der Frage, inwiefern Tunesien nach dem Wahl- tragen. Die Ereignisse seien beispielhaft für eine erfolg der Ennahda um die Früchte seiner revo- demokratische Revolution, ohne Ideologie oder lutionären Arbeit gebracht wird, thematisierte Führerkult. Welche zentrale Rolle dabei soziale auch Rolf Mützenich. Der SPD-Außenpolitiker Gerechtigkeit gespielt habe, zeige einer der wich- gehört nicht zu denjenigen, die ein undifferen- tigsten tunesischen Slogans, der in der gesamten ziertes Bild eines islamistischen Schreckgespens- arabischen Welt übernommen wurde: „Arbeit ist tes zeichnen. Die Nichtanerkennung des Ha- eine Notwendigkeit, ihr Diebe“. mas-Wahlsiegs in Palästina 2006 habe Europa Soziale Ungleichgewichte, Proteste gegen die geschadet, die EU habe erheblich an Überzeu- autoritäre Regierung, eine schwere wirtschaft- gungskraft verloren. Man müsse den Dialog auch liche Krise – das „Regime war am Ende“, so Guisa zu denjenigen Kräften offen halten, mit denen weiter. Tunesien komme nun seine große Verfas- man viele Werte nicht teile. Viele Bundestagsab- sungs- und Demokratietradition zugute. geordnete hätten Hochachtung vor den Errun- Nun sei Tunesien jedoch bedroht durch einen genschaften der arabischen Freiheitsbewegung. politischen wie einen religiösen Autoritarismus. Es gelte zugleich, Demut aufgrund früherer Ko- Insofern sei für die Modernisten der Wahlsieg operation mit den autoritären Regimen zu üben. der Ennahda enttäuschend. Man müsse jedoch Durch die Ereignisse der letzten Monate, als unter Ennahda eine Chance geben und abwarten, ob anderem kopftuchtragende Frauen, etwa auf dem die islamische Partei das demokratisch-moderni- Tahrir-Platz, für persönliche und kollektive Frei- stische Projekt des Arabischen Frühlings mit sei- heiten auf die Straßen gingen, habe zudem die nen Säulen Säkularismus, Rechte der Frauen und europäische Bevölkerung ein differenziertes Bild Soziale Gerechtigkeit akzeptiert. Falls dies nicht vom Islam bekommen. Podiumsdiskussion REVOLUTION – UND DANN? T R A N S F O R M AT I O N I N Ä G Y P T E N , M A R O K K O U N D T U N E S I E N Nach dem revolutionären Aufbruch im Frühjahr und unsicheren Weg zu einer demokratischen 2011 sind die konkreten Wege in die demokra- Transformation. Bestehende Gemeinsamkeiten tische Zukunft in allen nordafrikanischen Staa- und Unterschiede herauszuarbeiten und mit ten politisch hoch umstritten. Wann soll gewählt einem Fachpublikum zu diskutieren, war keine werden? Welches Wahlsystem soll angewendet leichte Aufgabe für die drei Verfassungsrechtler/ werden? Was soll gewählt werden – Parlament, innen, die an den derzeitigen Transformations- Präsident oder verfassungsgebende Versamm- prozessen in ihren Ländern aktiv beteiligt sind. lung? Muss die Verfassung zuerst verändert und Prof. Dr. Amina El Messaoudi (Marokko), Prof. dann ein Parlament gewählt werden, oder um- Dr. Nour Farahat (Ägypten) und Prof. Dr. Farhat gekehrt? Und grundsätzlicher: Sind die autokra- Horchani (Tunesien) gelang es unter Moderati- tischen Rechtssysteme reformierbar oder müssen on der Bundesministerin der Justiz a.D., Prof. Dr. Verfassung und Recht ganz neu gedacht werden? Herta Däubler-Gmelin, gemeinsam mit fast 200 Wer bringt sich mit welchen Vorschlägen in die Teilnehmer/innen einen kritischen Blick auf die Debatte ein und wer findet Gehör? aktuellen Entwicklungen zu werfen. Marokko, Ägypten und Tunesien gehen hier Vorbereitet wurde die Podiumsdiskussion ge- jeweils unterschiedliche Wege. Sie unterschei- meinsam mit der Arbeitsstelle Politik des Vorde- den sich in ihrer Rechtskultur, ihrer politischen ren Orients der Freien Universität Berlin, der Gra- Struktur und insbesondere auch im Grad der ge- duate School Muslim Cultures and Societies, dem sellschaftlichen Umbrüche. Was sie verbindet, Zentrum Moderner Orient sowie der Deutschen sind die kontroversen, gesellschaftlichen Debat- Arbeitsgemeinschaft Vorderer Orient. ten um die nächsten Schritte auf dem langen 3 / 2 0 1 1 I N F O FES
6 SCHWERPUNKT Preisverleihung SYMBOLFIGUREN DES FREIHEITSKAMPFES DER MENSCHENRECHTSPREIS 2011 „Ich kann mich gut erinnern an den Übergang Ägypten, die mit dem Menschenrechtspreis der von der Ohnmacht in die Ermächtigung, die Friedrich-Ebert-Stiftung ausgezeichnet wurden. Vollmacht von Bürgern. Irgendwann war es dann Der Mut der an den Protesten in Tunesien und plötzlich da, dieses schönste Wort der deutschen Ägypten beteiligten Menschen und ihr Ein- Politikgeschichte: „Wir sind das Volk“. Und satz für Freiheit, gleiche Rechte und ein Leben Menschen, die das erlebt haben, sagen zu Euch in Würde, waren entscheidend für den Erfolg der Proteste. Stellvertre- tend für die Protestbewe- gungen in Tunesien und Ägypten wurden Slim Amamou (geb. 1977 in Tu- nis) und posthum Khaled Said (geb. 1982, gest. 2010 in Ägypten) mit dem FES- Menschenrechtspreis 2011 ausgezeichnet. Beide sind als Internetaktivisten und Blogger in ihren Län- dern zu wichtigen Ak- teuren und Symbolfiguren des Freiheitskampfes ge- Der Preisträger worden. Slim Amamou und Künstlerisch eingerahmt die Schwester des ermordeten Khaled wurde die Preisverleihung Said, die den Preis einerseits durch eine Ka- stellvertretend entgegen nahm, vor rikaturen-Ausstellung mit dem Graffiti-Portrait Zeichnungen verschie- ihres Bruders. dener Künstler aus der ara- am Mittelmeer: „Ihr seid das Volk“.“ Mit diesen bischen Welt. Zum anderen malte der deutsche Worten spannte Dr. Joachim Gauck den Bogen Fotorealist und Graffiti-Künstler Andreas von zwischen den Freiheitsbewegungen in der DDR Chrzanowski aka Case während der Preisverlei- und der arabischen Welt. Es war die Laudatio hung ein Portrait von Khaled Said auf zwei Origi- für zwei mutige junge Männer aus Tunesien und nalstücke der Berliner Mauer. Diese Kunstaktion wäre ohne die Unterstützung durch Don Karl von From Here To Frame Publishing sowie Patri- Kurz notiert SCHUTZ VON MENSCHENRECHTEN ce Lux von berlinbrands nicht möglich gewesen. Die Bemühungen um den Aufbau einer hand- lungsfähigen Zivilgesellschaft in den Staaten DAS GESICHT DER REVOLUTION von Marokko bis Jemen, die authentische de- Khaled Said (*1982, † 2010), ägyptischer Inter- mokratische Reformen sowie den Schutz von netaktivist und Blogger, wurde am 6. Juni 2010 Menschenrechten vorantreibt, werden seit Jah- in Alexandria von zwei Polizisten brutal zu Tode ren aktiv vom FES Büro Genf unterstützt. Im geprügelt. Er hatte u. a. Videos ins Internet gestellt, Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Fortbildung die Polizisten bei Misshandlungen und Drogenge- von arabischen Menschenrechtsaktivisten. Im schäften zeigten. Das Foto von Saids Leiche wurde Anschluss an ein Grundlagentraining zum UN- im Internet veröffentlicht und führte zur Gründung Menschenrechtssystem lädt die FES zu einem der Bewegung „Wir alle sind Khaled Said“. Diese einwöchigen Seminar nach Genf ein; so auch Bewegung war Auslöser der folgenden massiven Pro- im November 2011 eine Gruppe aus zehn ara- teste. Seither ist Khaled Said eine Symbolfigur und bischen Staaten. das Gesicht der Revolution in Ägypten geworden. FES I N F O 3 / 2 0 1 1
SCHWERPUNKT 7 SCHLUSS MIT Jugendworkshop „FRÜHER WAR ALLES BESSER“! D I E P O L I T I S C H E PA R T I Z I PAT I O N V O N J U N G E N M E N S C H E N I N Ä G Y P T E N Nach Jahrzehnten der autoritären Herrschaft ver- mierenden politischen Jugendkoalitionen, -ini- trieb in Ägypten eine friedliche Protestbewegung tiativen aber auch Einzelpersonen dabei, sich in Präsident Hosni Mubarak überraschend von der den beginnenden politischen Prozess einzubrin- Macht. Damit wurde der Weg freigemacht für gen. Dazu wurde etwa ein Dialog mit deutschen eine neue Etappe in der Geschichte des Landes, Bürgerinitiativen organisiert, um Erfahrungen das seitdem seinen Weg in eine Zukunft mit mehr mit erfolgreichen Strategien der Bürgerbeteili- Demokratie und sozialer Gerechtigkeit sucht. Die gung auszutauschen. Kräfte der Vergangenheit sind weiterhin stark Viele junge Menschen befinden sich im heutigen und sträuben sich gegen Veränderungen. Man- Ägypten in einem Doppelkampf: vereint gegen che Beobachter meinen, Ägypten habe sich ver- die Überreste des alten Systems, sowie einzeln ändert, ohne dass sich wirklich etwas verändert oder in kleinen Gruppen im Wettbewerb mit den habe. Andere hingegen sind voller Optimismus anderen politischen Kräften. Zudem sehnen sich und haben Vertrauen, dass der schwierige Re- manche in der älteren Generation nach den al- formprozess am Ende er- folgreich sein wird. Die Friedrich-Ebert-Stif- tung ist seit 35 Jahren in Ägypten aktiv. Sie hat seit dem Sturz Mubaraks schnell auf die neuen und sich stetig weiter wandeln- den Rahmenbedingungen reagiert. Während erfolg- reiche bestehende Arbeits- linien weitergeführt wur- Workshop der den, wurden auch neue FES mit jungen Schwerpunkte gesetzt. Kandidatinnen und Kandidaten der Bereits am 24. Januar 2011 ägyptischen Parla- hatte die FES in Zusam- mentswahlen. menarbeit mit der Universität Kairo politisch in- ten Zeiten der sogenannten Stabilität zurück. Die teressierte Studenten und Politikern zusammen- Antwort von jungen Menschen auf solche Revo- gebracht. Die Arroganz und Selbstgefälligkeit lutionsbremser ist eindeutig und klar: Schluss der Vertreter der Regierungspartei war bei die- mit „Früher war alles besser! Jetzt ist es Zeit für ser Veranstaltung kaum zu übertreffen. Ebenso ein neues Ägypten!“ greifbar waren die Frustration und Wut der jun- Die Friedrich-Ebert-Stiftung begleitet junge poli- gen Ägypterinnen und Ägypter, von denen viele tisch aktive Ägypter und Ägypterinnen in dieser ankündigten, am nächsten Tag demonstrieren wichtigen politischen Phase, indem sie die Frage zu wollen. Am 25. Januar 2011 brach dann tat- des gesellschaftspolitischen Engagements zwi- sächlich die sogenannte Revolution los, die von schen Partei und politischer Bewegung themati- jungen, gebildeten Menschen initiiert wurde. siert. Nach dem Sturz Mubaraks fand sich die Mehr- Ein Workshop über das neue Wahlgesetz und die heit dieser jungen Aktivisten unerwartet in einer neue politische Parteienlandschaft in Zusam- völlig neuen politischen Landschaft ohne Kom- menarbeit mit der Universität Kairo diente Mitte pass wieder. Die meisten hatten bisher kaum po- September dazu, junge Kandidatinnen und Kan- litische Erfahrung gesammelt, waren jedoch fest didaten auf die Wahlen für das ägyptische Parla- entschlossen, am Wandel mitzuwirken. In dieser ment vorzubereiten. Situation unterstützte die FES die sich neu for- 3 / 2 0 1 1 I N F O FES
8 SCHWERPUNKT Vernetzung JAHRZEHNTE DER EISZEIT ÜBERWUNDEN ÄGYPTENS ARBEITNEHMER FORDERN IHRE RECHTE Neben der Jugend, waren die Arbeitnehmerin- des Regimes konnte sich die freie Gewerkschafts- nen und Arbeitnehmer für den Erfolg der ägyp- bewegung endlich entfalten. Auch wenn sich die tischen Protestbewegung entscheidend. Es waren rechtlichen Rahmenbedingungen noch nicht gerade die zahllosen lokalen Streiks im gesamten geändert haben: Die Vertretungen der Arbeit- Land, die zwar weniger Medienaufmerksamkeit nehmerinnen und Arbeitnehmer lassen sich als der Tahrir-Platz erhielten, aber im Endeffekt nicht mehr ihr Recht nehmen, sich unabhängig dem Regime deutlich machte, dass es sich nicht und demokratisch zu organisieren. Dabei stehen nur um einen lokalen Protest im Zentrum von sie nach Jahrzehnten der gewerkschaftlichen Kairo handelte, sondern um einen breiten Volks- Eiszeit in Ägypten vor enormen Herausforde- aufstand. rungen. Die FES unterstützt diese neue Bewe- Da die Gewerkschaften in Ägypten vom Regime gung auf vielfältige Weise. gleichgeschaltet waren, hatten sie keinen An- Dazu gehören Bildungsarbeit für neue Gewerk- schaftsmitglieder, Aufklärung über ILO-Kern- arbeitsnormen, Arbeitnehmerrechte und das Konzept des gewerkschaftlichen Pluralismus Die Delegation unabhängiger oder die Beratung bei der Gründung des unab- ägyptischer Gewerk- hängigen Dachverbandes EFITU (Egyptian Fe- schaften überreichte DGB Chef Michael deration of Independent Trade Unions), z. B. Sommer bei ihrem bei der Ausarbeitung der Satzung. Aber auch bei Besuch in Berlin eine Trommel, die auf der internationalen Vernetzung durch Informa- dem Tahrir Platz zu tionsprogramme für ägyptische Gewerkschaf- Beginn des Jahres zur Revolution geru- ter in Deutschland und Brüssel sowie deutsche fen hatte. Gewerkschafter in Ägypten oder durch die Ein- teil an dessen Sturz. Unter Mubarak gab es kei- bindung in die globale Gewerkschaftsarbeit der ne echte Interessenvertretung von Arbeitneh- FES, insbesondere mit Global Union Federations. merinnen und Arbeitnehmern, vielmehr waren Eine wirksame Interessenvertretung der arbei- die Gewerkschaften ein Kontrollinstrument des tenden Ägypterinnen und Ägypter ist entschei- Staatsapparats. Sie beteiligten sich nicht daran, dend, um den Demokratisierungsprozess in der die zahllosen sozialen und wirtschaftlichen Pro- Gesellschaft zu verankern. Nur so kann sicherge- bleme des Landes anzugehen. Trotzdem hatten stellt werden, dass bei der Mehrheit der Bevölke- sich bereits einige wenige unabhängige Gewerk- rung eine Verbesserung der Lebensbedingungen schaften gegründet. Nach dem Zusammenbruch spürbar wird. Planspiel KNOSPEN DES TUNESISCHEN FRÜHLINGS Z U K U N F T S W E R K S TAT T T U N E S I S C H E R S T U D E N T I N N E N Dass die Hauptaufgabe der Frauen darin bestehe, tig ihre Meinung zu sagen. Erst seit der Revoluti- bei der Familie und den Kindern zu sein, fand on vor ein paar Monaten müssen sie nicht mehr unter den etwa dreißig tunesischen und auslän- fürchten, dafür verfolgt zu werden. dischen Teilnehmern nur eine Unterstützerin. Um diesen Jugendlichen ein Forum zu bieten, Alle hatten sich im Raum positioniert auf einem veranstaltete die FES Ende September in Tu- Spektrum zwischen „Ja“ und „Nein“. Jetzt konn- nesien ein viertägiges Planspiel, durchgeführt te die Debatte losgehen. Mit bewundernswertem vom Berliner Unternehmen planpolitik. Dabei Eifer ließen die Studentinnen und Studenten wurde zunächst zwei Tage lang ein Wahlkampf sich schon in dieser Aufwärmphase von der noch simuliert – eine Woche vor dem offiziellen Wahl- ungewohnten Diskussionskultur in den Bann kampfauftakt zur Wahl der verfassungsgebenden ziehen und genossen es sichtlich, einmal so rich- Versammlung. An Kreativität mangelte es den FES I N F O 3 / 2 0 1 1
SCHWERPUNKT 9 internationalen Studenten ganz sicher nicht. die Jugendlichen eine weitreichende Reform des Trotz französisch-arabisch-deutsch-englischer Bildungssektors im Vordergrund, die mit einer Sprachakrobatik wurden ideenreiche Wahlpla- Erneuerung der Verwaltung einhergehen sollte. kate und -werbespots entwickelt, um spielerisch Wichtig waren ihnen auch die demokratische die Stimmen der zahlreichen Interessengruppen Kontrolle von Justiz und Parteien sowie die Ab- zu umwerben. Auch ein Programm musste von schaffung jeglicher Form von Zensur. Darüber jeder Partei erarbeitet und vorgestellt werden. hinaus sollten gesellschaftliches Engagement Dass sich am Ende, nach zähen Koalitionsver- und kulturelle Aktivitäten gefördert und demo- handlungen eine Vier-Parteien-Koalition unter kratische Werte vermittelt werden. Ausschluss der stärksten Fraktion zusammen- Dem Bedürfnis der Jugendlichen nach konstruk- fand, war nicht nur den Taktikern eine Lehre. tiver Debatte haftete noch der revolutionäre Elan Im Anschluss diente eine Zukunftswerkstatt an, mit dem sie den Präsidenten Ben Ali Anfang den tunesischen Studenten dazu, Visionen für des Jahres aus seinem Amt gejagt hatten. Inwie- die Zukunft ihres Landes zu entwerfen. Nach- fern sie es schaffen werden, ihre Visionen der tu- dem erst einmal dem Ärger über die aktuellen nesischen Gesellschaft zum Tragen zu bringen, Verhältnisse Luft gemacht wurde, konnten Ide- hängt nun entscheidend von der weiteren Ent- alvorstellungen entwickelt und mögliche Um- wicklung der politischen Kultur des Landes ab. setzungen erarbeitet werden. Hierbei stand für RELIGION UND RECHTSSTAAT Verfassungs- diskussion A N A LY S E S TA AT L I C H E R R E C H T S F O R M E N Seit dem überraschend deutlichen Wahlsieg der so auch de facto zu verankern, sah der Jurist Yad gemäßigt islamistischen Ennahda bei den ersten Ben Achour, Vorsitzender der „Haute Instance“. freien und demokratischen Wahlen in der Ge- Dieses Quasi-Parlament unter Einbeziehung ver- schichte Tunesiens am 23. Oktober, stellt sich die schiedener Kräfte der Zivilgesellschaft hatte, ge- Frage nach der Rolle von Religion im Rechtsstaat meinsam mit der von der Regierung eingesetzten mit neuer Aktualität: In der am 22. November staatlichen Kommission, in den letzten Monaten erstmals zusammengetretenen Verfassungsge- den Prozess des politischen Wandels in Tunesien benden Versammlung, stellt Ennahda mit 89 weiter vorangetrieben. von 217 Sitzen die stärkste Kraft, und es gibt wohl Intensiv wird beispielsweise über den ersten Ar- wenig, was in Tunesien derzeit so intensiv und tikel der Verfassung diskutiert, in dem es heißt: emotional diskutiert wird, wie die Frage nach „Tunesien ist ein freier, unabhängiger und sou- der Ernsthaftigkeit von Ennahdas Bekenntnis zu veräner Staat, seine Religion ist der Islam, seine einem säkularen Rechtsstaat. Sprache Arabisch und seine Organisationsform „Religion und Politik im Rechtsstaat – Erfah- die Republik.“ rungen im Vergleich“, das Thema des diesjäh- In zwei Panels wurden verschiedene staatliche rigen Forum Réalités am 17. und 18. November Rechtsformen überwiegend muslimischer und in Hammamet, das die Friedrich-Ebert-Stiftung überwiegend christlicher Staaten wie die Türkei, seit rund zehn Jahren gemeinsam mit der Wo- der Iran, Malta, Polen und Frankreich in ihrem chenzeitschrift Réalités veranstaltet, war vor die- historischen Kontext analysiert, um Schluss- sem Hintergrund von besonderer Relevanz und folgerungen für Tunesien daraus abzuleiten. Es erfreute sich auch in den heimischen Medien stellte sich heraus, dass nicht alle Beispiele als größter Aufmerksamkeit. Das Forum Réalités ist Modell für Tunesien gelten können, gleichwohl seit Jahren als ein prominentes Diskussionsfo- lassen sich unterschiedliche Lehren daraus ab- rum bekannt, in dem bereits unter dem im Janu- leiten. Die tunesische Zivilgesellschaft bereitet ar gestürzten Regime Ben Alis immer wieder aufs sich unterdessen darauf vor, gegenüber der Ver- Neue ausgelotet wurde, was öffentlich diskutiert fassungsgebenden Versammlung ggf. als Korrek- werden konnte. Eine große Herausforderung tiv und Mahner für bürgerliche Freiheiten auf- den Rechtsstaat nun in der neuen Verfassung zutreten. 3 / 2 0 1 1 I N F O FES
10 SCHWERPUNKT Politischer Dialog INFORMIEREN, AUSBILDEN UND DEBATTIEREN DRÄNGENSTE FRAGEN DES ÜBERGANGS Die tunesische Revolution hat eine Vielzahl von anstehenden Entscheidungen des Übergangs: Freiräumen geschaffen, damit jede und jeder Verfassung und Staatsbürgerschaft; Gleich- seine Vorschläge, wie das Tunesien der Zukunft stellung und Wahlrecht; Unabhängigkeit des aussehen soll, unbeeinträchtigt darstellen und Richteramtes, sowie den Themen Vielfältigkeit, mit anderen debattieren kann. Unter dem Mot- Macht und Demokratie. Der Enthusiasmus und to „Informieren, Ausbilden und Debattieren: die Energie, mit welcher sich die vielen Teilneh- Für einen erfolgreichen demokratischen Über- menden an diesen Veranstaltungen beteiligten, gang“, beschäftigte sich die „Association des sind nur ein Ausdruck des lange unterdrückten Femmes pour la Recherche et le Développement“ Bedürfnisses der tunesischen Bevölkerung, sich (AFTURD) in Partnerschaft mit der FES bereits in aktiv am politischen Dialog zu beteiligen. sieben Treffen mit den drängendsten Fragen und Medienworkshop BESSER SENDEN Z U R R O L L E D E R M E D I E N I N D E R D E M O K R AT I E Die tunesischen Medien hätten es weder ge- mations- und Kommunikationswesens über die schafft, die Bedeutung und Funktion der ersten erforderlichen rechtlichen Grundlagen. Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung Die Analyse der vorgestellten Modelle nahm fünf zu vermitteln, noch die Vielzahl der politischen Aspekte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Akteure angemessen und ausgewogen zu Wort den Blick: das Mandat, die Eigentumsverhält- kommen zu lassen, so die Kritik der Teilnehmer nisse, Steuerung, Finanzierung und Verankerung eines zweitägigen Workshops über die „Rolle in der Verfassung. Der Direktor für Außenbezie- und Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rund- hungen des staatlichen Senders ERTT überprüfte funks in der Demokratie“. Der Medienberater mit besonders großem Eifer die einzelnen vorge- Hendrik Bussiek, der über umfassende Erfahrung stellten Modelle auf ihre Übertragbarkeit in den bei der Transformation der südafrikanischen tunesischen Kontext. Schließlich einigten sich Medien in ein öffentlich-rechtliches System die Teilnehmer darauf, das deutsche Modell als verfügt, und Olaf Steenfadt von der European Grundlage für weitere Überlegungen auszuwäh- Broadcasting Union, berieten die Arbeitsgruppe len und erarbeiteten eine gemeinsame Roadmap der Nationalen Instanz für die Reform des Infor- für das weitere Vorgehen. Kurz notiert MEDIENCOACHING Bei über 100 zugelassenen Parteien, die sich im tischen Parteien Ettakatol bzw. dem „Pôle démocra- Vorfeld der Wahlen zur Verfassungsgebenden Ver- tique et moderniste“ Gelegenheit, ihr Auftreten vor sammlung in Tunesien gebildet hatten, war allen der Kamera zu erproben und zu perfektionieren. klar, dass ein überzeugender Medienauftritt ausschlaggebend für den Erfolg sein könnte. Vor dem Startschuss für den offiziellen Wahlkampf hatte die Friedrich-Ebert- Stiftung ein professionelles Mediencoaching für Spitzenkandidatinnen und -kandidaten organisiert. Der französische Medientrainer Jean-Michel Boissière gab in zwei jeweils mehrtägigen Seminaren Kandidaten der sozialdemokra- FES I N F O 3 / 2 0 1 1
SCHWERPUNKT 11 DER „ARABISCHE FRÜHLING“ IN BILDERN Ausstellung K A R I K AT U R E N A U S S T E L L U N G A U S D E M N A H E N O S T E N U N D N O R D A F R I K A Junge Menschen aus Nordafrika, alles Teilneh- eine Bewegung etabliert, die sich für politische mer des Young Leaders Nachwuchsförderpro- Reformen und mehr Demokratie einsetzt: Die gramms der FES, die selbst an den Protestbewe- Bewegung des 20. Februar. Deutlich wurde aber gung beteiligt waren, berichteten im Rahmen auch, dass trotz jüngster Reformen und kleiner der Präsentation einer Karikaturenausstellung in positiver Schritte in die richtige Richtung das Berlin von den bahnbrechenden Veränderungen Königreich Marokko noch weit von einer par- in ihren Heimatländern. lamentarischen Monarchie entfernt ist, wie sie Im Fall Tunesiens wurde darauf hingewiesen, von zahlreichen zivilgesellschaftlichen Kräften dass die Selbstverbrennung des tunesischen Ge- gefordert wird. müsehändlers Mohamed Bouazizi, die häufig als Ausgangspunkt für den Arabischen Frühling bezeichnet wird, zwar als Katalysator wirkte, aber keineswegs den Beginn der oppositionellen Aktivitäten gegen Präsident Ben Ali darstellte. Vielmehr hätten Menschenrechtsaktivisten, Ge- werkschaften und weitere zivilgesellschaftliche Akteure durch ihr Engagement über Jahre den Dokumente der Umbruchzeit: Boden für die Massenproteste und Unruhen be- Ausstellung mit 60 reitet, die dann zum Sturz des Regimes führten. Illustrationen aus Zeitschriften in Anders als in Tunesien blieb in Marokko ein po- Nordafrika und dem litischer Umsturz aus. Allerdings hat sich dort Nahen Osten. BLICK ZURÜCK: VON 1989 BIS 2011 G E M E I N S A M K E I T E N I M R E V O L U T I O N Ä R E N WA N D E L Die Umbrüche in der arabischen Welt seit Anfang 2011 haben die politische Weltkarte grundlegend verändert. Die Revolutionen scheinen eine ähnliche Tragweite zu haben wie diejenigen in Osteur- opa, die sich in den 80er Jahren abzeichneten und zum Ende der Sowjetunion führten. Damals wie heute stellt sich die Frage, ob und wie es möglich ist, erkämpfte Freiheiten und Rechte zu sichern und stabile demokratische Regierungssysteme zu etablieren. Gibt es Erfahrungen aus den Demokratisie- rungsprozessen in Osteuropa, die für die Staaten des „arabischen Frühlings“ hilfreich sein können? Eine internationale Konferenz des FES-Büros, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst sowie der Deutschen Botschaft Beirut brachte Aktivisten, Journalisten und Wissenschaftler aus der Region und Osteuropa zusammen. Die Berichte über persönliche Erfahrungen von Aktivisten rundeten da- bei das von Wissenschaftlern und Medienvertretern gezeichnete Bild ab. Trotz aller fundamentalen Unterschiede zwischen den Ereignissen in Osteuropa und der arabischen Welt sahen die Konferenz- teilnehmer Gemeinsamkeiten. So entstanden die Proteste immer aus der Gesellschaft heraus, wie Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik unterstrich. Auch der Domino-Effekt der Proteste sei vergleichbar. Gäste aus Georgien und der Ukraine betonten vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen, dass der schnelle Aufbau von effektiven demokratischen Insitutionen notwendig sei, um ein Wiederer- starken autokratischer Kräfte in den ersten Jahren nach der Revolution zu verhindern. Auch aus dem Fall Libanon lässt sich für viele arabische Länder eine Erkenntnis gewinnen: Die Geschichte des Ze- dernstaats zeigt, wie schwierig es ist, eine Demokratie in einem ethnisch und konfessionell sehr stark gespaltetenen Land zu etablieren. Insgesamt wurde jedoch erkennbar, dass die Übertragung der Er- fahrungungen auf andere Länder nur begrenzt möglich ist. 3 / 2 0 1 1 I N F O FES
12 SCHWERPUNKT Übergreifende Meinungsbildung WANDEL STATT UMSTURZ MAROKKOS SONDERWEG Die marokkanische Variante des arabischen Früh- und Provinzen seinen Anfang nahm und schließ- lings hat weder Regime noch Herrscher gestürzt, lich auf nationaler Ebene zusammenfloss: Hun- doch auch die Marokkaner gingen für ihre Rech- derte von jugendlichen Aktivisten diskutierten te auf die Straße und setzen die Monarchie unter in Sitzungen, Versammlungen und Großveran- Handlungsdruck. Die Massenproteste der Ma- staltungen ihre Zukunftsvorstellungen. Von der rokkaner wurden in einem rasanten politischen Breite der politischen Mitwirkung – zu der die Erneuerungsprozess aufgefangen, in dem die FES ihren Beitrag leisten konnte – zeugen über Verfassung des Landes umfassend reformiert und 180 Memoranden, die letztlich bei der Verfas- zum Jahresende 2011 eine neue politische Füh- sungskommission eingereicht wurden. rung gewählt wurde. Überraschend beteiligungs- Auch nach dem hitzigen Frühjahr blieb wenig orientiert waren die vom König selbst im März Zeit zum Durchatmen: der neu gegründete Na- angekündigten Mechanismen der Verfassungs- tionale Menschenrechtsrat wandte sich an die reform: Erstmalig waren die Marokkaner – und Stiftung, um mithilfe internationaler Expertise insbesondere die Jugend als Träger der Proteste – seinem Auftrag gerecht zu werden, erstmalig die aufgerufen, an der Gestaltung der Reform mitzu- Wahlbeobachtung im aufgeheizten politischen wirken. Die jugendlichen Demonstranten sollten Klima sicherzustellen. nun in Konferenzräumen eilig ihre Frustration in Die nächste Etappe im Erneuerungsprozess – die konstruktive Reformvorschläge umwandeln. vorgezogenen Parlamentswahlen im November So wurde die FES Ansprechpartner für zahlreiche – flankierte die FES mit Analysen zum neuen le- Gruppierungen und Netzwerke und unterstützte gislativen Rahmen sowie zur Berücksichtigung die Bemühungen, jugendliche Akteure in die De- des Gleichberechtigungs-Grundsatzes. batten einzubeziehen. Zentrales Ziel ist es, insbesondere die jugend- In nur zwei Monaten wurde ein umfassendes lichen Initiatoren des politischen Wandels aktiv Abstimmungsverfahren zur übergreifenden Mei- einzubinden und damit zu seiner Glaubwürdig- nungsbildung organisiert, das in Kommunen keit in der gesamten Bevölkerung beizutragen. Bestandsaufnahme HOFFNUNGSLOSIGKEIT ÜBERWINDEN ENTWURF FÜR EINEN NEUEN GESELLSCHAFTSVERTRAG IN MAROKKO Eine der Ursachen für die Aufstände und Umstür- ausschüsse und der (sozial)partnerschaftliche ze, die die arabischen Welt erschüttern, sind die Entwurf eines neuen Gesellschaftsvertrags. gravierenden sozialen Ungerechtigkeiten. Dabei trägt der Mangel an sozialer Absicherung wesent- BEZIEHUNGEN VERTIEFEN lich zum Gefühl der Hoffnungslosigkeit bei. Die FES Marokko arbeitet mit den verantwortlichen Als sich die marokkanische Protestbewegung im Ministerien, den Sozialversicherungsträgern Februar formierte, waren Gewerkschafter von und Expertengruppen an einer umfassenden Anfang an mit im Boot. Allerdings war insbe- Bestandsaufnahme der Gesetzesgrundlagen, sondere dem größten marokkanischen Dach- Institutionen und Mechanismen der sozialen verband UMT an verantwortungsvoller Mitge- Sicherungssysteme. Als Endprodukt entsteht staltung gelegen: Er unterstützte die vom König eine interaktive, mehrsprachige CD, die Politi- eingeleitete Verfassungsreform und stellte sich kern Fakten für die Gestaltung ihrer Reformpo- gegen den von Demonstranten ausgerufenen litik an die Hand gibt. Daneben bemüht sich die Boykott des Reformprozesses. Michael Sommer FES, den zum Interessensausgleich notwendigen sagte als Generalsekretär des Internationalen Dialog zwischen staatlichen Entscheidungsträ- Gewerkschaftsbundes, dem von der FES nach gern, Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft Berlin eingeladenen UMT-Vorsitzenden Miloudi in Gang zu bringen. Zu den ersten Ergebnissen Moukharik zu, die Beziehungen zu dem marok- zählen neu geschaffene Wirtschafts- und Sozial- kanischen Mitgliedsverband zu vertiefen. FES I N F O 3 / 2 0 1 1
SCHWERPUNKT 13 ES REICHT MIT DEM SCHWEIGEN! Besuch in Deutschland JEMENITISCHE FRIEDENSNOBELPREISTRÄGERIN KARMAN IN BERLIN Wer sich im Jemen unter der Herrschaft von und Vorsitzenden des Gesprächskreises Naher Ali Abdallah Salih für Menschenrechte und die Osten und Nordafrika der SPD-Bundestagsfrak- Gleichberechtigung von Frauen einsetzt, muss tion, Günter Gloser, die Herausforderungen und ein dickes Fell besitzen. Das Nobelpreiskomitee Risiken der derzeitigen Lage vor Ort. Gloser hatte ehrte 2011 unter anderem eine junge Frau, die sich in den vergangenen Jahren mehrfach selbst ihre Durchsetzungsfähigkeit und ihren Mut jah- ein Bild der Entwicklungen im Jemen gemacht relang unter Beweis gestellt hatte, mit dem Frie- und sich mit Beratungseinsätzen für die FES im densnobelpreis: Tawakkul Karman. Jemen engagiert. Schnell wurde bei der Diskussi- Die 33-jährige Mutter dreier Kinder ist eine der führenden Persönlichkeiten der jemenitischen Revolution und des friedlichen Widerstands ge- gen das Regime des Despoten Salih. Karman ist als Frauen- und Menschenrechtle- rin geschätzt, gleichzeitig ruft ihre führende Mitgliedschaft in der tribalistisch-islamischen Islah-Partei regelmäßig Misstrauen unter zivilen Aktivisten hervor. Gerade diese Doppelrolle als Bei der FES in Berlin Frauenrechtlerin und gläubige Muslimin hebt traf die Nobelpreis- trägerin Tawakkul ihre Bedeutung hervor. In gewisser Weise perso- Karman u. a. auch nifiziert sie die Möglichkeit der Verbindung von mit dem Nahost- experten der SPD- Islam und persönlichen Freiheitsrechten, wie sie Bundestagsfraktion, derzeit auch im Westen nicht selten als unverein- Günter Gloser, zusammen. bar dargestellt wird. Bereits 2005 nahm die FES die Kooperation mit Karman und ihrer Organisa- on klar, dass der momentane Stillstand in der po- tion Women Journalists Without Chains auf und litischen Entwicklung des Jemen eine trügerische unterstützte deren Engagement für Meinungsfrei- Stabilität darstellt. Karman ist jedoch überzeugt heit und Frauenrechte. davon, dass der Aufbruch des Jemen in eine plu- Nur wenige Tage vor ihrer offiziellen Auszeich- ralistische, friedliche und insbesondere der Rolle nung in Stockholm hat Karman die Einladung der Frau gerecht werdende Zukunft unumkehrbar der FES zu einem Deutschlandbesuch angenom- ist. So plant die revolutionäre Jugendbewegung men und damit ihrer engen, partnerschaftlichen schon bald eine neue politische Partei zu grün- Verbindung Ausdruck verliehen. Die Preisträge- den, in der auch Frau Karman eine tragende Rolle rin erörterte mit dem deutschen Außenpolitiker spielen will. MACHTSPIELE ALTER ELITEN Trainings- workshops V E R S T Ä N D N I S F Ü R D E M O K R AT I S C H E S P I E L R E G E L N I M J E M E N S C H A F F E N Nach Ben Ali, Mubarak und Gaddafi, ist der je- krisentypischer Versorgungsprobleme, perma- menitische Präsident Ali Abdallah Saleh der nenter Stromausfälle und sicherheitsbedingter vierte Autokrat der Region, den der „Arabische Einschränkungen, unterstützt das Büro der FES Frühlingswind“ aus dem Amt geweht hat. in Sanaa die Vorbereitungen für einen demo- Die Übergangsregelung sieht vor, dass die Macht kratischen Neubeginn aktiv. Das Interesse an an den Vizepräsidenten übergeben wird, der mit Beratung und Unterstützung ist auf der jemeni- Hilfe einer Übergangsregierung innerhalb von tischen Seite greifbar. Hunderttausende, zuvor drei Monaten Neuwahlen organisieren soll. Im meist politisch nicht aktive junge Erwachsene Gegenzug wird Saleh, der in dieser Zwischen- demonstrieren seit Januar für Menschenrechte, zeit Präsident ohne Machtbefugnisse bleibt, demokratische Reformen und die Verbesserung Immunität und Reisefreiheit zugesichert. Trotz ihrer Situation. Auch das brutale Eingreifen re- 3 / 2 0 1 1 I N F O FES
14 SCHWERPUNKT gimetreuer Kräfte seit März 2011 mit hunderten searbeit standen auf dem Programm. Die stark von Todesopfern führte nicht zum Stillstand nachgefragten Trainings zielen darauf, das Ver- der Proteste. Dennoch mussten die jungen Ak- ständnis für demokratische Spielregeln zu ver- tivisten erleben, wie die von ihnen begonnene tiefen. Gleichzeitig wurde den Teilnehmerinnen friedliche Revolution zu einem Machtspiel alter und Teilnehmern vermittelt, unter den im Je- Eliten wurde und vielerorts ihren gewaltfreien men herrschenden Bedingungen selbst politisch Charakter einbüßte. Während sich manche in- tätig zu werden und den Wandel mitzugestalten. zwischen frustriert abgewandt haben, suchen Diese Programme werden auch 2012 fortgesetzt. andere weiter einen Weg, ihren politischen For- Auch laufende Programme zur Verbesserung der derungen effektiver Nachdruck zu verleihen, Menschenrechtslage in Gefängnissen oder zur ohne sich dabei von etablierten Eliten manipu- Aktivierung der parlamentarischen Kontroll- lieren zu lassen. funktion gehören in den Kontext der politischen Um der Resignation etwas entgegenzusetzen und Neustrukturierung des Landes. Zusätzlich sind politisches Engagement zu unterstützen, führte Aktivitäten im Bereich der anstehenden Verfas- die FES im November 2011 eine Serie von Trai- sungsreform geplant. Um einer Spaltung des Je- ningsworkshops durch: Möglichkeiten partizi- men vorzubeugen, wird derzeit vor allem über pativer Demokratie, Rolle politischer Parteien die konstitutionell verankerte Einführung eines und demokratischer Institutionen, Wahlkampf föderalen Systems debattiert. und demokratische Kontrolle, Lobby- und Pres- Gesetzesreform UNERWARTETE FRÜCHTE E I N E Z U K U N F T F Ü R D I E PA R T E I E N D E M O K R AT I E I N J O R D A N I E N Jordanien zählt wie Marokko zu den sogenann- 2011 haben den Bemühungen des Königshauses ten Reform-Monarchien. Hier wie dort haben die wieder neuen Schwung verliehen. beiden Könige mit ihrem Amtsantritt vor etwas Dabei brachte der „Arabische Frühling“ auch mehr als einem Jahrzehnt weitreichende Verän- unerwartete Früchte für die Arbeit der Friedrich- derungen angekündigt. In Jordanien blieben die- Ebert-Stiftung: Gemeinsam mit dem Partner- se Reformen jedoch in Ansätzen stecken, immer institut Al Badeel Center arbeitete die FES seit wieder gab es Rückschläge bei der Demokratisie- geraumer Zeit an Reformvorschlägen für zwei be- rung. Erst die Umbrüche in der Arabischen Welt sonders umstrittene Gesetze – das Wahlrecht und das Parteiengesetz. Über Monate hinweg hatten Experten und Ak- Kurz notiert PA R L A M E N T S R E F O R M tivisten in den Vorjahren in zahllosen Runden diskutiert, gestritten und an Entwürfen gefeilt, Auch die besten Gesetze nützen wenig, wenn ele- die dann Abgeordneten vorgestellt worden wa- mentare Grundlagen für die parlamentarische ren. Doch der Erfolg hielt sich in Grenzen: Die Arbeit fehlen. Dazu zählt insbesondere die Ge- politischen Blockaden machten zunächst wenig schäftsordnung des Parlaments. In Jordanien soll Hoffnung, dass substanzielle Reformen in diesen diese nun modernen Erfordernissen angepasst beiden Bereichen durchsetzbar sein könnten. Das werden. Ein Komitee unter dem Vorsitz des sozi- Parteiengesetz war ohnehin erst 2008 restriktiver aldemokratischen Abgeordneten Bassam Hadda- gefasst worden und das Wahlrecht trug eher ei- din erarbeitete einen detaillierten Reforment- ner kontroversen Machtarithmetik denn dem wurf. Das Büro der FES in Amman ermöglichte Wunsch nach Repräsentation Rechnung. einen Erfahrungsaustausch mit dem deutschen Die Situation änderte sich mit den auch in Jorda- Bundestag. Der Wissenschaftliche Dienst des nien aufkommenden Protesten schlagartig. Im deutschen Parlaments analysierte den Entwurf März 2011 setzte König Abdullah II. ein Natio- und machte Vorschläge, um die Anwendbarkeit nales Dialogkomitee ein, dessen Mandat explizit der Geschäftsordnung in der parlamentarischen die Erarbeitung von Reformvorschlägen just für Praxis zu erhöhen. das Wahlrecht und das Parteiengesetz beinhalte- FES I N F O 3 / 2 0 1 1
SCHWERPUNKT 15 te, von einer parallel tagenden zweiten Kommis- die Zahl der notwendigen Gründungsmitglieder sion wurden zudem Vorschläge für Verfassungs- einer politischen Partei deutlich gesenkt, ein – änderungen zusammengetragen. vorerst kleiner – Teil der Parlamentsabgeordneten Mit einem Mal waren die Experten des Al Badeel soll künftig über Listen gewählt werden. Center gefragte Gesprächspartner. Unterstützt Im Rahmen einer weiteren Tagung, die von der durch die Friedrich-Ebert-Stiftung wurden die FES gemeinsam mit jordanischen Partnern or- Vorschläge aktualisiert und dem Nationalen Dia- ganisiert wird, wollen nun Vertreter der Zivilge- logkomitee sowie erneut den Parlamentariern sellschaft Empfehlungen für die 2012 geplanten vorgestellt. Den Aktivisten ging es insbesondere Parlaments- und Kommunalwahlen erarbeiten. darum, die Voraussetzungen für die Gründung Dabei geht es vor allem um die Arbeit der ersten politischer Parteien zu verbessern und das bisher unabhängigen Wahlkommission, die vom Kö- geltende Mehrheitswahlrecht durch Elemente nig im Rahmen der Verfassungsreform eingesetzt des Verhältniswahlrechtes gerechter zu machen. wurde, und die künftigen Arbeitsmöglichkeiten Beide Forderungen fanden schließlich Eingang in unabhängiger Wahlbeobachter. die Empfehlungen des Dialogkomitees: So wird BLICK NACH VORN: WACHSTUM DURCH WIND UND SONNE Die Zeit des Wandels in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas bietet auch erhebliche Chancen, die Region klima- und energiepolitisch gerechter und nachhaltiger zu gestalten. Dazu will das FES-Regionalprogramm „Nachhaltige Energiepolitik“ aktiv beitragen. Die Folgen des Klimawandels bedrohen Arme und sozial Benachteiligte am stärksten. Sie sind es, die am stärksten betroffen sind, wenn Stürme einfache Behausungen hinwegfegen, oder Dürren die Ern- ten bedrohen. Eine auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz ausgerichtete Politik, ist daher auch abseits von globalen Klimagipfeln eine Frage von sozialer Gerechtigkeit. Im Zentrum des FES-Programms stehen Politikempfehlungen, die auf die Förderung erneuerbarer Energien zielen. Studien belegen das erhebliche Potenzial an neuen Arbeitsplätzen und positiver Industrieentwicklung, das ein massiver Ausbau von Solar- und Windenergie in der Region mit sich bringen würde. In diesem Sinne haben bereits die inhaltlichen Vorbereitungen für eine Regionalkonferenz begon- nen, auf der konkrete Politikmaßnahmen für eine gerechte und nachhaltige Energieversorgung prä- sentiert werden. Energieeffizienzmaßnahmen bis hin zu „Green Jobs“ werden dabei im Mittelpunkt stehen. Darüber hinaus wurde mit dem Gulf Research Center in Dubai eine Kooperation auf den Weg gebracht, die eine nachhaltige Energiepolitik auf der arabischen Halbinsel fördern soll, wo bislang Energieeffizienz so gut wie keine Rolle spielte. ANGST VOR ISLAMISIERUNG DER REGION Konferenz AUSWIRKUNGEN DES ARABISCHEN FRÜHLINGS AUF ISRAEL Den arabischen Revolutionen gegenüber in Tunesien und die Vorhersagen für die ägyp- herrscht in Israel ein sorgenvoller, wenn nicht tischen Wahlen bestärken diese Einstellung. Der ablehnender Ton. Die Angst vor einer Islamisie- Euphorie über demokratische Transformationen rung der Region, welche Israels Isolation noch setzt Israel routinierten Pessimismus entgegen. weiter verschärfen oder bestehende Friedensab- Dabei herrscht eine nur wenig differenzierte kommen gefährden könnte ist beinahe allen Betrachtung der verschiedenen Bewegungen politischen Lagern gemein. Das Wahlergebnis des politischen Islams in der Region vor – zu 3 / 2 0 1 1 I N F O FES
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