KEIN INSEKTENSTERBEN IM WALD - ZUM UMGANG MIT SCHWAMMSPINNER-BEFALL IN WÄLDERN - BUND Naturschutz

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KEIN INSEKTENSTERBEN IM WALD - ZUM UMGANG MIT SCHWAMMSPINNER-BEFALL IN WÄLDERN - BUND Naturschutz
Schwammspinner-Raupe, Foto: Moni Nunn

ZUM UMGANG MIT SCHWAMMSPINNER-BEFALL IN WÄLDERN
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KEIN INSEKTENSTERBEN IM WALD
Der BUND Naturschutz in Bayern (BN) kritisierte in den letzten Jahren immer wieder, dass die
Forstverwaltung Eichenwälder mit Pestiziden begiften lässt. Hintergrund sind starke Vermehrungen
des Schwammspinners, dessen Raupen vor allem an Blättern von Eichen fressen.
Nach Ansicht des BN sind die flächigen Pestizideinsätze, durch die zuletzt im Jahr 2020 etwa 3.000
Hektar Eichenwälder vom Hubschrauber aus begiftet wurden, naturschutzfachlich höchst
bedenklich, forstfachlich nicht notwendig und rechtlich nicht zulässig.
Der BN appelliert deshalb an Waldbesitzer und Kommunen, einem flächigen Gifteinsatz in ihren
Wäldern nicht zuzustimmen. Derartige flächige Begiftungen der sehr artenreichen Eichenwälder sind
vor dem Hintergrund des erfolgreichen Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ überhaupt nicht mehr
zeitgemäß und der Bevölkerung nicht vermittelbar.

1. ARTENREICHE EICHENWÄLDER                       Vielfalt ist enorm, aber leider durch die
NICHT WEITER BEGIFTEN UND                         Ausbringung des Fraßgiftes Mimic bedroht:
                                                  insgesamt sind es in Deutschland 699
GEFÄHRDEN
                                                  blattfressende Gliederfüßer-Arten, die auf und
Die Begiftungsaktionen in Eichenwäldern sind      von der Eiche leben.1, 2 Darunter sind 305
naturschutzfachlich höchst bedenklich und         Schmetterlings-, 208 Käfer-, 45 Gallwespen-
deshalb so gravierend, weil die Eiche von allen   und 39 Wanzenarten.
Baumarten den mit Abstand höchsten
natürlichen Insektenreichtum aufweist. Die

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KEIN INSEKTENSTERBEN IM WALD - ZUM UMGANG MIT SCHWAMMSPINNER-BEFALL IN WÄLDERN - BUND Naturschutz
Hunderte von Insektenarten betroffen                         Bodenpflanzen (Abb. 3, 4) in diesen Wäldern
Das 2020 ausgebrachte Insektizid Mimic wirkt                 vorkommen. Da allein von den 1.406
nicht nur speziell gegen die Raupen des                      Großschmetterlingsarten in Deutschland 971
Schwammspinners. Es kann alle frei                           Arten eine Waldbindung haben, kann man,
fressenden, sich häutenden Gliederfüßler-                    wenn man die Kleinschmetterlinge
Arten in diesen Wäldern töten, die an mit dem                hinzunimmt, von einer vierstelligen Zahl an
Insektizid benetzten Blättern der vorhandenen                Schmetterlingsarten ausgehen, die hier in
Bäume, Sträucher, Kräuter und Gräser fressen.                Eichen- bzw. Laubmischwäldern potentiell
                                                             betroffen sein können.

Abb. 1: Der Pustelspanner, der an der Eiche frisst und als
Jungraupe überwintert, Foto: Oskar Jungklaus

Damit sind die Schmetterlinge als die
artenreichste der o.g. Tiergruppen besonders
massiv betroffen (s. Abb. 1, 2, 3, 4). So schreibt
auch das Bundesamt für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit Mimic eine hohe
Toxizität für „Nichtzielarten“ unter den
Schmetterlingen zu3, weil alle Arten, deren
Raupen im Zeitraum der Mimic-Begiftung an
Pflanzen fressen, das Gift aufnehmen und
dadurch getötet werden.

                                                             Abb. 3 und 4: Der Kaisermantel ist ein attraktiver
                                                             Waldschmetterling (oben), dessen Raupen sich von
                                                             Veilchen ernähren (unten).

                                                             Fledermausvorkommen in vielen
                                                             Wäldern nicht bekannt
                                                             In Eichenwäldern sind verschiedene weitere
                                                             relevante Artengruppen mit einer sehr hohen
                                                             Artenvielfalt vertreten, z.B. Fledermäuse oder
Abb. 2: Schwarzes L, ein Trägspinner, dessen Raupen an       Vögel. Diese Gruppen können ebenso
Buchen fressen, dort auch überwintern; Foto: Oskar           betroffen sein, weil sie auf Insekten als
Jungklaus                                                    Nahrung angewiesen sind.
Betroffen sind aber nicht nur die über 300                   Als besonders sensibel gelten dabei
Schmetterlingsarten, die an Eichen leben,                    Fledermäuse, weil sie einen außerordentlich
sondern viele weitere Arten, die an anderen                  hohen Energiebedarf haben, den sie tagtäglich
Bäumen (Abb. 2), Sträuchern und                              durch die Nahrung aufnehmen müssen.2 Durch
                                                             die Begiftung der freifressenden Raupen fällt

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jedoch ein zentraler Teil der energiereichen          Stamm und in der Innenkrone von Eichen nach
Beute weg.                                            Nahrung suchen4.
Viele Fledermausarten nutzen Eichenwälder als         Untersuchungen im Gemeindewald
Lebensraum, Quartier- und Jagdgebiet 2. Alle          Schwebheim aus dem Jahr 1994 belegten
heimischen 22 Arten kommen in Wäldern vor.            massive Auswirkungen auf die Vogelbruten
                                                      (Abb. 7). Wegen der Schwammspinner-
                                                      Begiftung („flächig behandelt“) waren im
                                                      überwiegenden Teil der Nistkästen die Jungen
                                                      gestorben bzw. die Eier leer, was in
                                                      „unbehandelten“ Wäldern nahezu nicht
                                                      vorkam.

Abb. 5: Bechsteinfledermaus, Foto: Wolfgang Willner

Die Verbreitung der Fledermäuse im Wald ist
nur unzureichend bekannt, weil in vielen
Waldgebieten gar keine Erfassung
durchgeführt wurde. So wurde z.B. die
Nymphenfledermaus jahrzehntelang
übersehen, weil sie überwiegend im
Kronenraum lebt. Besonders bedroht durch die
Gifteinsätze ist auch die gefährdete FFH-Art          Abb.7: Vogelmortalität bei Dimilineinsatz;
Bechsteinfledermaus, weil die Raupen, die             Schwammspinner-Bekämpfung 1994;
deren Hauptnahrungsquelle darstellen, durch           Nistkastenkontrollen im Gemeindewald Schwebheim, Lkr.
                                                      Schweinfurt
die Begiftung vernichtet werden (Abb. 5).
                                                      Kein Risiko für Bienen?
                                                      Obwohl Mimic als „nicht bienengefährlich“
                                                      eingestuft ist, hat z.B. das Amt für Ernährung,
                                                      Landwirtschaft und Forsten Schweinfurt im
                                                      Rahmen der Begiftungsaktionen 2020
                                                      empfohlen, dass die Bienenkästen für den
                                                      Zeitraum der Befliegung umgesetzt werden
                                                      oder zumindest am Behandlungstag
                                                      geschlossen gehalten werden sollen.5
                                                      Die Wildbienenarten Frühlings-Schmalbiene
                                                      oder die stark gefährdete Eichen-Erdbiene
Abb. 6: Blaumeise, Foto: Johannes Selmansberger       sammeln Eichenpollen als Nahrung für ihre
                                                      Brut. Damit wird Mimic in die Nester getragen,
Verhungerte Vogeljunge                                die Auswirkungen auf die Brut werden nicht
Eine Untersuchung aus den Jahren 2004 und             untersucht.
2005 in Eichenwäldern am Autobahndreieck
                                                      Hochgiftig für Wasserorganismen
Werneck zeigt, dass die Schwammspinner-
Begiftung mit dem Häutungshemmer Dimilin              Wegen der großen Toxizität von Mimic für
bei den Vögeln zu deutlich weniger Arten und          Wasserorganismen müssen Gewässer, auch
Individuen führt, besonders bei den                   periodische, vom Besprühen mit Gift
Insektenfressern und den Vogelarten, die am           ausgenommen werden (Abstand 25 m) 6.

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Darüber hinaus können auch Krebse und
Amphibien von der Begiftung betroffen sein7.
Aus BN-Sicht ist problematisch, dass nicht alle
kleinen und kleinsten Gewässer, in denen z.B.
Gelbbauchunken vorkommen können, in
diesen Wäldern genau erfasst werden. Somit
besteht die Gefahr, dass die Gewässer
unzulässig begiftet werden.

Abb. 8: BN kämpft mit Imkern gegen Gifteinsätze im
Wald; Foto: BN

                                                     Abb. 9 und 10: Nach Kahlfraß wiederbelaubte
2. „BESTANDSGEFÄHRDUNG“ ALS                          Eichenwälder, oben in Gunzenhausen (Okt. 2019), unten
GRUNDVORAUSSETZUNG NICHT                             bei Rüdisbronn im Landkreis Neustadt/Aisch (Jul. 2018).
                                                     Für diese Wälder hat Forstverwaltung einen Gifteinsatz
GEGEBEN                                              gegen Schwammspinner-Raupen wegen Bestands-
Die zentrale Grundbedingung für einen                gefährdung vorgesehen, was Eigentümer aber abgelehnt
derartigen Gifteinsatz mit Luftfahrzeugen ist,       haben. Fazit: keine Bestandsgefährdung! Fotos: BN
dass die betroffenen Eichenwälder durch den
                                                     Dies liegt unter den Holzmengen, die bei einer
Schwammspinner-Fraß in ihrem Bestand
bedroht sein müssen, d.h. dass ein flächiges         regulären Durchforstung entnommen werden.
Absterben droht.7,8 Eine Landtagsanfrage zu          Die „vermutete“ Bestandsgefährdung ist nicht
den Begiftungsaktionen 2018 hat zu Tage              belegt bzw. das Risiko minimal (s. Abb. 9, 10).
gebracht, dass es nirgends zu derartigem             Damit entfällt nach BN-Auffassung die
                                                     rechtliche Grundlage für einen derartigen
flächigem Absterben gekommen ist, wenn
                                                     Pestizideinsatz.
Eichenwälder entgegen der Forstempfehlung
aus verschiedenen Gründen (z.B. bei speziellen       Auch wenn der BN nachvollziehen kann, dass
Artenvorkommen) nicht begiftet wurden.9              sich Waldbesitzer um ihren Wald sorgen, sind
                                                     Begiftungen auch forstfachlich nicht not-
Auch für frühere Massenvermehrungen ist ein
flächiges Absterben von Eichenwäldern nicht          wendig, wenn Wälder in ihrem Bestand nicht
                                                     gefährdet sind bzw. das Risiko minimal ist.
wissenschaftlich belegt. Der Fraß durch die
Schwammspinner-Raupen kann zwar auch zum             Der BN begrüßt es, dass es Waldbesitzer und
Kahlfraß führen. Da die Eichen aber im Sommer        Kommunen gibt, die sich bei früheren
i.d.R. einen Johannistrieb ausbilden, d.h.           Massenvermehrungen trotz Kahlfraß-Gefahr
wieder austreiben, kommt es bei einem reinen         und trotz einer Begiftungs-Empfehlung der
Schwammspinner-Fraß allenfalls zum Ausfall           Forstverwaltung gegen eine Begiftung ihrer
einzelner Bäume. Selbst die Bayerische               Wälder ausgesprochen haben. Die betroffenen
Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft           Wälder sind nicht abgestorben! Der BN fordert
(LWF) rechnete für diesen Fall mit einer             deshalb für Waldbesitzer eine finanzielle
Ausfallquote von unter 10 Prozent.10                 Honorierung, wenn diese zum Schutz der

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Artenvielfalt auf Gifteinsätze verzichten und sie   Mustern und Zyklen: vom Aufbau der
das Risiko tragen, dass es zum Ausfall einzelner    Population über einen Höhepunkt bis zum
Bäume kommt.                                        natürlichen Zusammenbruch. Dabei fressen die
                                                    Raupen besonders an Eichen, aber auch an
3. BISHERIGE GIFTEINSÄTZE MIT LUFT-                 anderen Laubbäumen und Sträuchern, in
FAHRZEUGEN RECHTLICH UNZULÄSSIG                     extremen Jahren bis zum Kahlfraß.
Aus Sicht des BN sind die mit Luftfahrzeugen        Die Schwammspinner überwintern in den
praktizierten Gifteinsätze in Eichenwäldern         Eihüllen als fertig entwickelte Räupchen. Sie
aus verschiedenen Gründen rechtlich nicht           schlüpfen im Frühling mit dem Blattaustrieb
zulässig.                                           und beginnen sofort zu fressen. Die kleinen
 Eine Bestandsgefährdung der Eichenwälder          Raupen werden mit Hilfe langer Schwebhaare
   als notwendige Grundvorausetzung für             oft kilometerweit mit dem Wind verfrachtet.
   Gifteinsätze aus der Luft ist nicht gegeben.     Während der 6 bis 12 Wochen dauernden
 Unvollständige naturschutz- und                   Entwicklung frisst jede Raupe etwa einen
   artenschutzrechtliche Prüfungen: Die             Quadratmeter Laub und häutet sich mehrfach.
   betroffenen Einzelflächen werden nicht           Die Raupenhaare der späten Raupenstadien
   hinreichend daraufhin untersucht, ob             können bei empfindlichen Menschen
   schützenswerte und gefährdete Arten bzw.         Hautreizungen hervorrufen.11
   relevante Schutzgüter vorkommen.
   o Soweit Natura 2000-Gebiete betroffen
       sind, fehlt eine vollständige FFH-
       Verträglichkeitsprüfung, bei der alle
       FFH-II-Anhang-Arten sowie
       lebensraumtypische Arten der FFH-
       Gebiete erfasst sein müssen. Als
       Voraussetzung dazu müssen
       Erhebungen für alle betroffenen Einzel-
       flächen für die verschiedenen Arten-
       gruppen vorliegen. Dies ist aber nicht
       der Fall.
                                                    Abb. 11: Zwei Schwammspinner-Weibchen mit
   o Der besondere Artenschutz nach § 44            schwammartigen Gelegen; Foto: Sven Finnberg
       Abs. 1 BNatSchG erfordert eine spezielle
       artenschutzrechtliche Prüfung (saP), die     Nach der Verpuppung schlüpfen die Falter
       bei Hinweisen auf bzw. Vorkommen von         (Abb. 11) zwischen Juli und Ende September.
       streng geschützten Arten (d.h. FFH IV-       Nach der Begattung legt das Weibchen einige
       Anhang-Arten und Vogelarten der              Hundert Eier in einem Gelege ab und umhüllt
       Vogelschutzrichtlinie) immer durch-          es mit gelblicher Afterwolle zum Schutz gegen
       geführt werden muss. Als Voraussetzung       die Winterkälte. Dieses schwammige Gebilde
       dazu müssen Erhebungen für alle              hat dem Schwammspinner seinen Namen
       betroffenen Einzelflächen für die            gegeben (Abb. 11).
       verschiedenen Artengruppen vorliegen.        Zusammenbruch der Population
       Dies ist aber nicht der Fall.                Die Schwammspinner haben eine große Anzahl
                                                    natürlicher Feinde, von denen viele dazu
4. HINTERGRUNDINFORMATIONEN                         beitragen, dass eine Massenvermehrung
Steckbrief Schwammspinner                           immer auf natürliche Weise zu Ende geht. Dazu
                                                    zählen Krankheitserreger (z.B. Bakterien und
Der Schwammspinner ist ein wärmeliebender
                                                    Viren), Schmarotzer (z.B. bestimmte Fliegen
Nachtfalter, der vor allem in warmen,
                                                    oder Wespen) (Abb. 12) und Räuber (z.B. Käfer
trockenen Sommern zu Massenvermehrungen
                                                    und Ameisen, Vögel oder Kröten).
fähig ist. Diese folgen immer bestimmten

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verkürzt sich die Zeit zwischen den Kalamitäten
                                                         erheblich und diese können sich dadurch um
                                                         einiges verstärken!
                                                         Rechtliche Vorgaben für Begiftung
                                                         Laut EU-Rahmenrichtlinie zur nachhaltigen
                                                         Verwendung von Pestiziden (RL 2009/128/EG)
                                                         und Pflanzenschutzgesetz (PflSchG §18) ist das
                                                         Sprühen von Pflanzenschutzmitteln mit
                                                         Luftfahrzeugen generell verboten. Es kann aber
                                                         unter bestimmten Bedingungen genehmigt
                                                         werden. Die Ausbringungen werden von der
Abb. 12: Von Igelfliege parasitierte Schwammspinner-
                                                         LWF vorbereitet, geplant und mit
Raupe; Foto: Oskar Jungklaus
                                                         Unternehmern durchgeführt. Bei den
Obwohl die Schwammspinner-Population                     Begiftungen mit dem Hubschrauber sind eine
vielerorts 2020 zusammengebrochen ist, hat               Reihe von Auflagen einzuhalten: Abstände zum
die Forstverwaltung 3.000 Hektar an                      Waldrand, zu Oberflächengewässern, zu
Waldfläche begiftet.                                     Gebäuden und zu relevanten Schutzgütern.
Die BN-Kreisgruppe Bad Kissingen hat 2020                Die Forstverwaltung sieht in den Schwamm-
diesen Prozess begleitet und den                         spinner-Vermehrungen eine Bestands-
Zusammenbruch der Schwammspinner-                        gefährdung von Eichenwäldern, die sie in den
Population durch Parasiten und räuberische               letzten Jahrzehnten versucht hat, mit
Käfer dokumentiert.12 So wurde der ansonsten             Pestizidausbringung aus der Luft (früher
in Bayern vom Aussterben bedrohte                        Dimilin, jetzt Mimic) einzudämmen. Laut LWF
schillernde Große Puppenräuber (Abb. 13)                 zieht „ein hohes Risiko für einen Kahlfraß …
wohl erstmalig in der Region nachgewiesen -              nicht zwingend eine Behandlung des
ausgelöst durch das große Nahrungsangebot.               betroffenen Waldbestandes mit Pflanzen-
Der Käfer wird mehrere Jahre alt und frisst in           schutzmitteln nach sich. Kriterium ist
einer Saison etwa 400 Raupen. Auch seine                 ausschließlich eine bestandsbedrohende
Larven sind sehr gefrässig und entwickeln sich           Gesamtsituation.“8
schnell.                                                 In naturschutzrechtlicher Hinsicht sind dabei
                                                         die rechtlichen Vorgaben der Schutzgebiete
                                                         (insbesondere Naturschutzgebiete und Natura-
                                                         2000-Gebiete) sowie des besonderen Arten-
                                                         schutzes (§ 44 Abs. 1 Bundesnaturschutz-
                                                         gesetz) zu beachten. Für FFH- und Vogelschutz-
                                                         Gebiete ist eine vollständige FFH-Verträglich-
                                                         keitsprüfung verpflichtend, wozu alle FFH-II-
                                                         Anhang-Arten sowie lebensraumtypische Arten
                                                         in den FFH-Gebieten erfasst sein müssen.
                                                         Darüber erfordert der besondere Artenschutz
                                                         eine spezielle artenschutzrechtliche Prüfung
Abb. 13: Der große Puppenräuber, Foto: Oskar Jungklaus   (saP) bei Hinweisen bzw. Vorkommen von
                                                         streng geschützten Arten (d.h. FFH IV-Anhang-
Man muss sich im Klaren sein, dass eine
                                                         Arten und Vogelarten der Vogelschutzricht-
Begiftung Räubern und Parasiten die
                                                         linie). Sie muss für alle Einzelflächen, die
Lebensgrundlage entzieht. Diese Gegenspieler
                                                         begiftet werden sollen, durchgeführt werden
brauchen eben auch einen gewissen „Besatz“
                                                         und zwar unabhängig davon, ob Flächen
an Wirtsorganismen, um bei
                                                         geschützt sind. Relevant sind hier vor allem
Massenvermehrungen schneller aktiv werden
                                                         Fledermäuse, Vögel und Schmetterlinge, die in
zu können. Wenn dies nicht gegeben ist,
                                                         den Eichenwäldern vorkommen können.

                                                                                                           6
KEIN INSEKTENSTERBEN IM WALD - ZUM UMGANG MIT SCHWAMMSPINNER-BEFALL IN WÄLDERN - BUND Naturschutz
Auswirkungen Mimic                                   Waldboden nicht flächig befahren, sondern
Mimic (Wirkstoff Tebufenozid) ist ein                 nur auf Rückegassen in weitem Abstand
Insektizid, das laut Datenblatt „sehr giftig für     waldfreundliche Jagd soll
Wasserorganismen, mit langfristiger Wirkung“          Naturverjüngungen und ggfs.
ist3, dessen Freisetzung in die Umwelt zu             Anpflanzungen ohne Schutz ermöglichen
vermeiden und dessen Eindringen in Erdreich,         Mischwälder mit einer breiteren Palette aus
Gewässer und Kanalisation zu verhindern ist.          wärmetoleranten, heimischen Baumarten
Weiter ist es gesundheitsschädlich bei                anstreben: d.h. neben Eichen auch
Verschlucken, verursacht Hautreizungen, kann          Spitzahorn, Feldahorn, Winter- und
allergische Hautreaktionen verursachen,               Sommerlinde, Vogelkirsche, Elsbeere und
verursacht schwere Augenschäden und                   Speierling. Wichtig sind v.a. auch
–reizungen.                                           schattentolerante Baumarten wie Buche,
Es wirkt als Fraßgift, das eine vorzeitige            Linden und Hainbuche
Häutung der Raupen auslöst. Dabei wirkt es           Wichtig für die Artenvielfalt sind
nicht spezifisch auf Schwammspinner-Raupen,           sogenannte Pionierbaumarten wie die
sondern auf alle frei fressenden (d.h. sich frei      Birke, Aspe, Salweide, Traubenkirsche und
bewegenden) Insektenarten, die sich von               Vogelbeere, an denen viele Arten leben
Blättern der vorhandenen Bäume, Sträucher,           Entscheidend ist es, die Klimakrise durch
Gräser und Kräuter in den begifteten Wäldern          wirksame Maßnahmen so zu begrenzen,
ernähren. Das ausgebrachte Gift benetzt nicht         dass die Wälder nicht deren Opfer werden
nur das Blätterdach, sondern alle Schichten bis
hin zur Bodenvegetation.                            5. SCHWAMMSPINNER-RAUPEN IM
Der Wirkstoff Tebufenozid weist ein                 SIEDLUNGSBEREICH
erhebliches Gefährdungspotential für im             Wenn Haus- und Gartenbesitzer direkt an
Wasser lebende wirbellose Tiere auf.4               Wälder mit starkem Schwammspinner-Befall
Noch Wochen bis Monate nach der                     grenzen, kann es zu Beeinträchtigungen
Anwendung können toxische Konzentrationen           kommen. Um diese zu begrenzen, können
auf den behandelten Flächen verbleiben.             folgende Maßnahmen hilfreich sein:
Hierdurch können auch solche Arten                   Kontrolle der Bäume auf Schwamm-
geschädigt werden, die erst einige Zeit nach           spinnerbefall. Sollten Gelege entdeckt
der Anwendung auftreten.                               werden, können diese mit einer
Laut Risikobericht des Bundesamtes für                 Drahtbürste in einen Eimer gekehrt und
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit           dann verbrannt werden. Auch ein scharfer
aus 20173 an den Landesbetrieb Wald und Holz           Wasserstrahl aus einem Dampfreiniger tut
NRW weist Mimic eine hohe Toxizität für                gute Dienste. Dabei zur Sicherheit
„Nichtzielarten“ auf: bei Schmetterlingen und          Handschuhe und Kleidung tragen, die Arme
allgemein auch bei Gliederfüßern.                      und Beine vollständig schützen. Die Gelege
                                                       finden sich auch an Hauswänden, Garagen
Wälder erhalten – ohne Gift                            oder Lichtmasten.
Insektizideinsätze - gerade flächige aus der Luft    Außenbeleuchtung abstellen und
- können massive Folgewirkungen auf Umwelt             Anstrahlen der Hauswände vermeiden, weil
und Mensch haben, wie immer mehr                       Weibchen zur Eiablage auf Licht zufliegen.
Untersuchungen zeigen.1, 13 Der BN lehnt             Die jungen Raupen können abgesammelt
solche Einsätze ab und wirbt stattdessen für           und mit heißem Wasser abgetötet werden.
giftfreie Maßnahmen, die Waldökosysteme als            Ein Leimring am Baum kann halfen, da die
solche erhalten und deren Vitalität erhöhen:           Raupen an den Stämmen auf und ab laufen.
 Förderung eines feuchten Waldinnenklimas,          Bewährt haben sich auch sogenannte
    d.h. keine starken Holzeinschläge                  Fanggürtel. Dabei werden Jutesäcke (o.ä.)
 Keine Entwässerung                                   locker an Bäume gebundenen. Raupen

                                                                                                    7
KEIN INSEKTENSTERBEN IM WALD - ZUM UMGANG MIT SCHWAMMSPINNER-BEFALL IN WÄLDERN - BUND Naturschutz
nehmen dies als Verstecke gerne an und                       Raupen: absammeln, abkehren oder
       können von dort leicht abgesammelt                           absaugen. Keinesfalls selbständig zu Gift
       werden (Abb. 14).                                            greifen!
                                                                  Kommunen können die betroffenen
                                                                    Einwohner unterstützen, indem sie
                                                                    beispielsweise Abwehrzäune aus Folien mit
                                                                    Klebestreifen oder Metallzäune (ähnlich
                                                                    Schneckenzäunen) aufbauen und diese
                                                                    Barrieren engmaschig kontrollieren oder
                                                                    Kehrmaschinen einsetzen, die die Raupen
                                                                    aufnehmen, wenn diese auf Gärten
                                                                    zukrabbeln.
                                                                  Für Vielfalt im Garten sorgen: Nistkästen für
                                                                    Vögel und Fledermäuse helfen den
    Abb. 14: Fanggürtel, unter denen Raupen und Gespinste           natürlichen Feinden des Schwammspinners
    versteckt sind und abgesammelt werden können. Foto: BN          einen Platz im Garten zu finden.
     Sollte es in der Nähe eines Hauses doch zu                 Wichtig ist, dass solche Phänomene
      einer Massenvermehrung kommen, hilft nur                   vorübergehende Ereignisse sind und die Natur
      noch die mechanische Entfernung der                        sich in der Regel selbst hilft.

                                                                 7 Pflanzenschutz mit Luftfahrzeugen–Naturschutzfach-
    LITERATUR                                                    liche Hinweise für die Genehmigungsprüfung. Gemein-
    1 Brändle, M. & R. Brandl (2001). Species richness of        sames Informationspapier von BfN und UBA. 70/2018.
    insects and mites on trees expanding Southwood. Journal      https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/m
    of Animal Ecology 70(3)                                      edien/1410/publikationen/2018-08-29_texte_70-
    https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.     2018_pflanzenschutz-luftfahrzeuge.pdf
    1046/j.1365-2656.2001.00506.x                                8 Schwammspinner-Massenvermehrung in Franken;
    2 Brunk, I., Sobczyk, T. & Lorenz J. (2017): Schutz des      https://www.lwf.bayern.de/mam/cms04/waldschutz/dat
    Naturhaushaltes vor den Auswirkungen der Anwendung           eien/a121_schwammspinner.pdf
    von Pflanzenschutzmitteln aus der Luft in Wäldern und im     9 https://www.kerstin-celina.de/wp-
    Weinbau; Umweltbundesamt Texte 21/2017, 250 S.               content/uploads/2020/05/Schwammspinner.pdf
    3 Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel-          10 LWF aktuell 5 (1996)
    sicherheit: Extension of Authorisation for minor use, Art.   11 Der Schwammspinner (Lymantria dispar);
    51 Mimic, BVL Registration Number: 024270-00/06,             https://www.waldwissen.net/waldwirtschaft/schaden/ins
    20.01.2017                                                   ekten/wsl_schwammspinner/index_DE
    4 Schönefeld, V. (2005): Einfluss des Häutungshemmers        12 https://www.mainpost.de/regional/bad-
    Diflubenzuron auf die Fauna von                              kissingen/wie-geht-es-dem-
    Waldlebensgemeinschaften; Diplomarbeit                       schwammspinner;art433641,10457941;
    Fachhochschule Weihenstephan, Fachbereich Wald und           https://www.mainpost.de/regional/bad-
    Forstwirtschaft. 187 S.                                      kissingen/parasiten-machen-dem-gefuerchteten-
    5 Mitteilung an Bienenzuchtverein 1872 Schweinfurt;          schwammspinner-das-leben-schwer;art433648,10469619
    https://bienenzuchtverein-sw.de/category/blog/               13 Leopoldina, 2018: Der stumme Frühling – Zur
    6 Insektizid Mimic – Sicherheitsdatenblatt, Wirkung          Notwendigkeit eines umweltverträglichen
    https://www.agrarinfo.de/certis/deutschland/78.htm           Pflanzenschutzes;
                                                                 https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2
                                                                 018_Diskussionspapier_Pflanzenschutzmittel.pdf

BUND Naturschutz in Bayern e.V.                       Bauernfeindstr. 23                          Stand Oktober 2020
                                                      90471 Nürnberg                              Impressum:
Ansprechpartner zum Thema:                                                                        Herausgeber: BUND
Dr. Ralf Straußberger                                 Tel. 0911 / 81 87 8-0
                                                                                                  Naturschutz in Bayern e.V.
0911 / 81 87 8-22                                     Fax 0911 / 86 95 68
                                                                                                  Redaktion und Text:
ralf.straussberger@bund-naturschutz.de                lfg@bund-naturschutz.de                     Dr. Ralf Straußberger
                                                      www.bund-naturschutz.de                     Marion Betzler

                                                                                                                               8
KEIN INSEKTENSTERBEN IM WALD - ZUM UMGANG MIT SCHWAMMSPINNER-BEFALL IN WÄLDERN - BUND Naturschutz KEIN INSEKTENSTERBEN IM WALD - ZUM UMGANG MIT SCHWAMMSPINNER-BEFALL IN WÄLDERN - BUND Naturschutz
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