KEIN RUHIGES HINTERLAND? - AUTONOMER ANTIFASCHISMUS IN DER PROVINZ - FODEX
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Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz Alexander Deycke / Sören Isele A utonomer Antifaschis- tiert.1 Gleichzeitig gibt es Gruppen und -bünd- mus erscheint auf den nisse, die zwar eine starke Bindung an eine ersten Blick vor allem größere Stadt aufweisen, ihrem Selbstverständ- als ein urbanes Phäno- nis zufolge aber umliegende ländliche Regio- men. In der Regel sind es nen als primären Betätigungsraum auffassen. Gruppen aus den Groß- Vorwiegend anhand von Szeneselbstzeugnis- städten und Metropolen sen werden im Folgenden Rahmenbedingun- der Republik, die durch gen, Strategien und Handlungsmuster kämpfe- ihre Aktionen, Medienpräsenz, Publikationen und Mitwirkung in überregionalen Bündnissen bzw. „Organisierungen“ für eine breitere Öf- 1 Schuhmacher zählte im Jahr 2014 72 Gruppen in fentlichkeit wahrnehmbar sind, als Wortführer Klein- und Mittelstädten gegenüber 101 Gruppen in der Bewegung betrachtet werden und wohl Großstädten und Metropolen, sowie 16 „regiona- auch nicht zuletzt aus diesem Grund im Fokus le Zusammenschlüsse“. Verglichen mit 2009 stellt Schuhmacher dabei einen deutlichen Rückgang der der wissenschaftlichen Auseinandersetzung Gruppenanzahl fest; in Klein- und Mittelstädten mit dem Themenfeld des autonomen Anti- kam es fast zu einer Halbierung. Kriterium dafür, faschismus stehen. Doch auch in Klein- und eine Gruppe als aktiv einzustufen, war ein aktueller Mittelstädten sind – zumeist auf den gesamten Internetauftritt. Vgl. Schuhmacher, Nils: „Nicht nichts Landkreis bezogene – Aktivitäten dokumen- machen“? Selbstdarstellungen politischen Handelns in der Autonomen Antifa, Duisburg 2014, S. 40. Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29. 20
Alexander Deycke / Sören Isele | Autonomer Antifaschismus in der Provinz risch-intervenierender linksradikaler Politik in nicht zuletzt extrem rechte Parteien hingegen der Provinz im Allgemeinen und des autono- in deren fernerer Umgebung.3 men Antifaschismus im Besonderen illustriert. Die skizzierten strukturellen Muster des Wahlverhaltens deuten es bereits an: Für eine sich als radikal verstehende Linke bietet die „Reservat der Reaktion“ Provinz nicht die besten Entfaltungsmöglich- keiten. Schon Rosa Luxemburg sprach von ihr Das Verhältnis der deutschen Linken, zumal als einem „Reservat der Reaktion“4, für Kurt ihrer radikaleren Vertreter, zur Provinz2 ist seit Tucholsky war sie ein „schwarzer Erdteil“5 und jeher schwierig und problembehaftet. Sie tat Ernst Bloch sah das Ländliche in besonderem sich lange Zeit schwer, in den Gebieten ab- Maße von „Ungleichzeitigkeit“6 geprägt – Mo- seits urbaner Ballungsräume, in Dörfern und dernisierungsschübe würden dort vielfach Kleinstädten, Fuß zu fassen. Aus der Perspek- verzögert oder nur partiell vollzogen werden, tive ruraler Lebenswelten schien sie oftmals wohingegen dem (vermeintlich) Traditionel- keine attraktiven Politiken im Angebot zu len eine besondere Beharrungskraft zu eigen haben; und, wichtiger noch, traditionelle Eliten sei. Die Provinz fungierte mithin vor allem als aus Klerus, Adel und Bürgertum vermochten Feindbild.7 Als Ort des Fortschritts und der Mehrheiten der Wählerschaft auch nach der Emanzipation galt hingegen die große Stadt, politischen Mündigwerdung der Massen an sich auch – und vielleicht mehr denn je – seit die zu binden. So fand schon die systemoppositi- radikale Linke die Pfade einer Arbeiterbewe- onelle Sozialdemokratie des Kaiserreiches kein Rezept, eine breitere Anhängerschaft unter den darbenden Kleinbauern der süddeutschen 3 Vgl. Holscher, Max et al.: Datenanalyse zur Wahl. Staaten oder den ausgebeuteten Landarbei- Kaum Ausländer in AfD-Hochburgen – Union tern der ostelbischen Rittergüter zu gewinnen. besonders auf dem Land beliebt, in: Spiegel Online, URL: http://www.spiegel.de/politik/ In protestantischen Gebieten wurde stramm deutschland/bundestagswahl-2017-kaum- konservativ oder allenfalls nationalliberal auslaender-in-afd-hochburgen-a-1169727.html gewählt, in katholischen kam dem Zentrum [eingesehen am 27.08.2018.]; Simon, Titus et al.: die Stimmenmehrheit zu. Später dann konn- Rechtsextremismus in den ländlichen Räumen. ten die NSDAP wie auch Neonazisten in SRP Eine Arbeitshilfe. Herausgegeben von: Bund der und NPD in ruralen Milieus ihre größten Erfolge Deutschen Landjugend, Berlin 2009, S. 46 ff. verbuchen. Ein Blick auf die Wählerhochburgen 4 Zit. nach Herrenknecht, Albert / Wohlfarth, Jürgen: der bundesrepublikanischen Parteien der Ge- Vom Kampf gegen die Provinz zum Kampf mit genwart bestätigt das abgeschwächte Fortbe- der Provinz – 25 Jahre politische Emanzipations- stehen der historischen Tendenz: Noch immer bewegungen in der Provinz, in: Forschungsjournal reüssieren Parteien links der Mitte besonders Neue Soziale Bewegungen, Schwerpunkt: Pow- in großen Städten, konservative, rechte und er in der Provinz, H. 4 (1991), S. 21–31, hier S. 21. 5 Ebd. 6 Vgl. Bloch, Ernst: Gespräch über Un- gleichzeitigkeit, in: Kursbuch 39, Schwer- 2 Fast sechzig Prozent der Bevölkerung in Deutsch- punkt: Provinz, S. 1–9, hier S. 1. land leben abseits der Ballungszentren in den durch Dörfer, Klein- und Mittelstädte geprägten Teilen 7 Vgl. Herrenknecht, Albert / Wohlfarth, Jürgen: Vom der Republik, die hier mit Begriffen wie „ländlicher Kampf gegen die Provinz zum Kampf mit der Raum“ und „Provinz“ erfasst werden. Vgl. Bundes- Provinz – 25 Jahre politische Emanzipations- ministerium für Ernährung und Landwirtschaft, bewegungen in der Provinz Forschungsjournal URL: https://www.bmel.de/DE/Laendliche-Raeume/ Neue Soziale Bewegungen, Schwerpunkt: Pow- Infografiken/_node.html [eingesehen am 24.08.2018] er in der Provinz, H. 4 (1991), S. 21–31, hier S. 21. Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29. 21
Demokratie-Dialog 3-2018 gung in Richtung linker Szenen und Subkultu- zur Errichtung „national befreiter Zonen“, ren verlassen hatte; das mittelalterliche Diktum also von Gebieten rechtsextremer Hegemonie der freimachenden Stadtluft schien sich als über die lokale politische Kultur, die vor allem zeitlos zu erweisen. Doch während sich die ländliche Räume adressiert11 – und, so muss 68er-Studentenrevolte und das anschließende konstatiert werden, insbesondere in von Ab- „rote Jahrzehnt“8 vor allem über urbane Bilder wanderung sowie wirtschaftlichem Niedergang von Großdemonstrationen und Straßenschlach- betroffenen Provinzregionen Ostdeutschlands ten, WG-Kommunen und Häuserkämpfen im auch mit gewissem Erfolg.12 kollektiven Gedächtnis verfestigt haben, bleibt oft vergessen, dass der Aufbruch in den Met- ropolen, wenn auch nicht selten zeitverzögert, alsbald in die Provinz ausstrahlte. Die Schüler-, Der aktionsorientierte Antifaschismus Lehrlings- und die erstmals links-alternative entdeckt die Provinz Infrastrukturen in die Provinz tragende Jugend- zentrumsbewegung der 1970er Jahre zeugen In der linksradikalen Zeitschrift Arranca hieß davon.9 Für die ausgehenden 1970er Jahre kann es 1994 in einem Text, dessen Inhalte seit- in Bezug auf die Ökologie- und Anti-Atom- dem von Antifas immer wieder rezipiert und kraftbewegung mit den „Schlachten“ um die bestätigt werden: „Ohne Einbindung auch der Bauplätze der Kraftwerke und Lagerstätten Provinz, ohne Beschäftigung mit ihren be- dann von einer verstärkten Hinwendung der sonderen Gegebenheiten, ohne Antworten, urbanen linksradikalen Avantgarde zur Provinz wie mit diesen sinnvoll umgegangen werden gesprochen werden, bevor sich der Fokus mit kann, ist eine positive Veränderung nicht zu den Hausbesetzungen in Hamburg bzw. Berlin bekommen.“ Diese „besonderen Gegebenhei- wieder auf die Metropolen richtete.10 ten“ wurden dabei als eine Ansammlung von Hemmnissen beschrieben: schlechte Nahver- Angesichts einer Welle rechtsextremer vor kehrsanbindungen bei räumlicher Trennung der allem rassistisch-motivierter Gewalt und des verstreuten Aktivisten und kaum Treffpunkte personellen Zulaufs zur extrem rechten Szene für Gruppenaktivitäten. Fehlende kulturelle nach der Wiedervereinigung drängte sich das Angebote sowie eine Absenz attraktiver (Aus-) Thema Antifaschismus nachgerade auf, zu ei- Bildungsmöglichkeiten und Arbeitsperspekti- nem zentralen Aktionsfeld der radikalen Linken ven resultierten zudem in der Abwanderung zu werden. Im Zuge dessen geriet auch die engagierter Jugendlicher in die Großstadt und Provinz erneut verstärkt ins Blickfeld. Anlass verhinderten die Herausbildung linker Szenen bot und bietet die seit Beginn der 1990er Jah- als Fundament des autonomen Antifaschismus. re in rechtsextremen Publikationen erstmals Weiter heißt es: Die „größere soziale Kontrolle konzeptualisierte Strategie des Raumgewinns 11 Vgl. Heitmeyer, Wilhelm: Rechtsextremis- 8 Koenen, Gerd: Das rote Jahrzehnt: Unsere kleine mus im ländlichen Raum, in: Dünkel, Frieder deutsche Kulturrevolution 1967–1977, Köln 2001. u. a. (Hg.): Think rural!: Dynamiken des Wandels 9 Vgl. Herrenknecht, Albert / Wohlfarth, Jürgen: Vom in peripheren ländlichen Räumen und ihre Im- Kampf gegen die Provinz zum Kampf mit der plikationen für die Daseinsvorsorge, Wiesba- Provinz – 25 Jahre politische Emanzipationsbe- den 2014, S. 131–146; Döring, Uta: Angstzonen. wegungen in der Provinz, in: Forschungsjournal Rechtsdominierte Orte aus medialer und lo- Neue Soziale Bewegungen, Schwerpunkt: Power kaler Perspektive, Wiesbaden 2008, S. 51–55. in der Provinz, H. 4 (1991), S. 21–31, hier S. 23 ff. 12 Vgl. Burschel, Friedrich: Verlorene Landstriche, in: 10 Vgl. Geronimo: Feuer und Flamme. Zur Geschichte Ders. (Hg.): Stadt - Land - Rechts. Brauner Alltag der Autonomen, 4. Aufl., Berlin u. a. 1995, S. 140. in der deutschen Provinz, Berlin 2010, S. 10–21. Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29. 22
Alexander Deycke / Sören Isele | Autonomer Antifaschismus in der Provinz macht das Ausscheren aus dem allgemeinen als auch von staatlichen Repressionsorganen Konsens sicherlich erheblich schwerer als in leichter zugeordnet werden.“14 der Anonymität einer Metropole“13. Dabei sollte insbesondere die Bedeutung alternativer Jugendzentren und subkultureller Provinzspezifische Strukturen und Strategien Freiräume keineswegs unterschätzt werden. Neben ihrer Funktion als Treff- und Anlauf- Derartige Schwierigkeiten, die eine kontinuier- punkte stellen sie als Orte des gegenseitigen liche und effektive antifaschistische Arbeit in Austausches auch Keimzellen künftigen politi- der Peripherie nicht nur beeinträchtigen, son- schen Engagements dar. Nicht zuletzt dienen dern auch die längerfristige Existenz isolier- sie antifaschistischen AktivistInnen, welche ter, schwach aufgestellter Gruppen bedrohen sich allzu häufig mit einem ihnen ablehnend können, problematisieren AktivistInnen seit gegenüberstehenden oder gar feindlich ge- nunmehr fast drei Jahrzehnten. Ebenso lange sinnten Umfeld konfrontiert sehen, schlicht als werden stets ähnlich lautende Lösungsansätze Schutz- und Ruhezonen. So sollte zum einen formuliert, um der strukturellen Misere in der wenig verwundern, dass vor allem junge Men- Provinz zu begegnen. Als wichtigste strategi- schen wiederholt die Forderung erheben, ent- sche Maßnahme gilt die Unterstützung schwa- sprechende lokale Räumlichkeiten zu schaffen; cher antifaschistischer Strukturen durch gut und zum anderen ist es umso tragischer, wenn aufgestellte großstädtische Gruppierungen.15 vielerorts von Linksalternativen eine – häu- Diese weisen dem Antifa-Engagement im länd- fig verwaltungsauflagenbedingte – Schließung lichen Raum häufig eine besondere Bedeutung entsprechender Zentren beklagt wird. zu; denn ihnen ist keineswegs lediglich daran gelegen, allein ihre Städte und Kieze „nazifrei“ Zahlreiche Hemmnisse des Arranca-Beitrages zu halten. Vielmehr gilt die Provinz als wich- aufgreifend, skizziert ein 22 Jahre später auf tiger, viel zu oft vernachlässigter Aktionsraum, Facebook veröffentlichter Demonstrationsaufruf in dem die extreme Rechte ihre Refugien finde, die trotz dieser widrigen Umstände existie- gar lokale Hegemonien zu erlangen vermöge renden „Antifaschistischen Strukturen“ in der und wo sich rechtsextreme Gewalt konzentrie- Provinz folgendermaßen: re.16 Überregional wird unter Motti wie „Antifa „Sie sind überschaubar und beschränken sich in der Regel auf konkretes Handeln zu gegebenen 14 Siehe URL: https://www.facebook.com/An- Anlässen. Eine inhaltliche Ausdifferenzierung, De- tifaInfosMobilisierungen/posts/gera:-anti- batten, Diskurse, Dissens wie in größeren Städten fa-bleibt-landarbeit-strukturen/1798479527049479/ und Metropolen mit personell starken Gruppen [eingesehen am 01.09.2018]. können selten stattfinden. Antifa auf dem Land ist undogmatisch. Oft hängt die Arbeit vor Ort 15 Vgl. Anna und Arthur im Hinterland (AuA): Sind stark an einzelnen Personen. […] Die Überschau- wir nicht alle ein bisschen Dorf!? Warum uns die barkeit der Szenen führt unweigerlich auch zu Provinz alle etwas angeht!, 22.04.2011, URL: http:// einem höheren Risiko einzelner Agierender – Ak- annaundarthur.blogsport.de/2011/04/22/kiezki- tionen können sowohl von politischen Gegnern cker-5-nachgereicht/ [eingesehen am 03.09.2018]. 16 Vgl. Gastbeitrag der Kampagne HHgoesMV: „Antifa heißt auch raus aus der metropolen Komfortzone …“, in: Antifa-Infoblatt 2 (2016), URL: https://www. antifainfoblatt.de/artikel/antifa-hei%C3%9Ft-auch- 13 O. V.: Was ist Provinz? Über die Arroganz der Me- raus-aus-der-metropolen-komfortzone; o. V.: tropole und die Schönheit der Provinz, in: Arranca, Antifaschistische Aktion – Für die konsequente H. 4 (1994), URL: https://arranca.org/ausgabe/4/ Intervention, in Antifa-Infoblatt 4 (2015), URL: https:// was-ist-provinz [eingesehen am 01.09.2018]. www.antifainfoblatt.de/artikel/antifaschistische- Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29. 23
Demokratie-Dialog 3-2018 heißt Landarbeit“17 und „Es gibt kein ruhiges von AntifaschistInnen aus der Provinz wie Hinterland“18 für (Gegen-)Demonstrationen und auch so mancher Metropolen-Antifas über un- Blockaden in Kleinstädten und Dörfern mobi- zureichende Hilfe für die Peripherie ist bestän- lisiert; „Antifaschistische Kaffeefahrt“19 ist seit dig zu vernehmen.21 Jahren eine gängige Bezeichnung für großstäd- tische Interventionen in der Provinz. Jüngst zeugten Veranstaltungen wie das „JanzWeit- Draussen Camp“ in Kuhlmühle bei Wittstock in Stadt-Land-Konflikte in der Antifa-Szene Brandenburg von Bemühungen gerade städti- scher Initiatoren, spezifische Strategien für die Die tatsächlich geleistete großstädtische Un- (militante) Auseinandersetzung mit der (extre- terstützung birgt überdies ein gewisses Kon- men) Rechten im ländlichen Raum zu entwi- fliktpotenzial. Denn dem erklärten Anspruch, ckeln. Namen wie „Antifa 06“ (Halle), „Antifa einander auf Augenhöhe begegnen zu wollen, goes Brandenburg“ (Berlin) oder „HHgoesMV“ steht allzu oft ein Gefälle im antifaschistischen (Hamburg) stehen exemplarisch für eine Reihe Stadt-Land-Verhältnis gegenüber, das sich aus von Gruppen, die einen starken Bezug zu einer den ungleichen Strukturbedingungen ergibt. Großstadt aufweisen und mit dem dezidier- Im Gegensatz zu arrivierten großstädtischen ten Anspruch auftreten, sich mit der Provinz Szenemilieus, deren Vertreter sich langwieri- auseinanderzusetzen.20 Und dennoch: Die Klage gen Theoriedebatten in den Lokalitäten ih- rer großstädtischen „Komfortzone“22 widmen könnten, stehe für den meist kleinen Kreis aktion-%E2%80%93-f%C3%BCr-die-konsequente- engagierter AktivistInnen in der Provinz die intervention [eingesehen am 03.09.3018]. direkte, kräftezehrende antifaschistische Arbeit gegen rechtsextremistische Umtriebe vor der 17 „Antifa heißt Landarbeit“, Interview mit der Gruppe Antifa06, in: TRANSIT. Debattenmagazin eigenen Haustür im Vordergrund.23 Eine Ausei- für Halle und Umgebung, URL: https:// nandersetzung mit linksradikaler Theorie fällt transit-magazin.de/2018/03/antifa-heisst- hier notgedrungen schmaler aus.24 Großstadtty- landarbeit/ [eingesehen am 03.09.3018]. 18 Siehe z. B. einen Demoaufruf der Antifa Jugend Hamburg: https://www.facebook.com/Antifa Antifa goes Brandenburg, Berlin, URL: http://agbrb. JugendHamburg/posts/1669830373232242 [einge- blogsport.eu/why/; Bündnis HHgoesMV, URL: http:// sehen am 03.09.3018]. Der Slogan „kein ruhiges hhgoesmv.blogsport.de/ [eingesehen am 03.09.2018]. Hinterland“ ist allerdings nicht ausschließlich auf 21 Vgl. o. V.: Punk in der Thüringer Provinz – Teil 1: den Bereich Antifaschismus beschränkt, son- Altenburg und die Rote Zora, 16.08.2016, URL: dern findet auch in anderen linksradikalen The- http://thueringenpunk.blogsport.de/2016/08/16/ menzusammenhängen häufige Anwendung. punk-in-der-thueringer-provinz-teil-1-altenburg- 19 Aufruf der Autonomen Antifa Berlin, 28.05.2016, und-die-rote-zora/ [eingesehen am 03.09.2018]. URL: https://a2berlin.org/cms/artikel/ 22 Staiger, Marcus: Raus aus der Komfort- antifaschismus/440-28-mai-antifa-kaffeefahrt- zone, in: junge Welt, 11.07.2015. in-den-spreewald.html; Stepputat, Hannes: Neonazis attackieren Antifa-Kaffeefahrt in 23 Vgl. o. V.: Antifaschismus in der Provinz. Die- M-V, in: Zeit Online, 22.08.2015, URL: https:// ser Text stammt ursprünglich aus der Broschüre blog.zeit.de/stoerungsmelder/2015/08/22/ „Das Konzept Antifa“ (1998) der AAB und ist u. a. neonazis-attackieren-antifa-kaffeefahrt-in- auch auf der Internetpräsenz des sogenannten m-v_20079 [eingesehen am 03.09.2018]. Antifaschistischen Textarchivs erschienen, URL: http://afata.blogsport.eu/1998/12/31/antifaschis- 20 Siehe die Websites folgender Gruppen und mus-in-der-provinz/ [eingesehen am 03.09.2018]. Bündnisse: Association Progrès, Eichsfeld / Göttingen, URL: https://associationprogres.wordpress.com/; 24 Vgl. Anna und Arthur im Hinterland (AuA): Sind Antifa 06, Halle, URL: http://antifa06.blogsport.eu/; wir nicht alle ein bisschen Dorf!? Warum uns die Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29. 24
Alexander Deycke / Sören Isele | Autonomer Antifaschismus in der Provinz pische ideologische Fraktionskämpfe, die nicht Überhaupt sind es oftmals Aktionen in der selten zu Spaltungen innerhalb des sozialen „Provinz“, die in Konflikte und Frust innerhalb Umfeldes führen, gilt es in kleineren Gruppen- des antifaschistischen Spektrums münden. zusammenhängen zu vermeiden, um deren oh- Insbesondere militante Aktionen, die von aus- nehin eingeschränkte Leistungsfähigkeit nicht wärtigen Gruppierungen durchgeführt werden, vollends zum Erliegen zu bringen. ohne dass im Vorhinein ein Austausch mit vor Ort lebenden und dort tätigen Antifas gesucht Ein Missverhältnis in der Beziehung zwischen worden wäre, sorgen bei Letzteren regelmäßig Großstadt und Provinz, wie es keineswegs nur für Unmut, weil sie es sind, welche die Folgen bezüglich theoretischen Wissens, sondern in ihrem alltäglichen Lebensumfeld zu spüren auch im divergierenden Habitus, dem (Nicht-) bekommen. Ein über längere Zeit hinweg müh- Gebrauch des vermeintlich „richtigen“ Szene- sam aufgebautes, dabei oftmals fragiles Ver- jargons und anderer „Code[s]“25 seine Ausprä- trauensverhältnis zu bürgerlichen Kreisen kann gungen findet, kann zudem bewirken, dass sich durch kurzsichtige Performances Ortsfremder „provinzielle“ AktivistInnen von „Durchblickern“ zerschlagen werden.28 Die – zuweilen nicht nur aus den Metropolen bevormundet und herab- metaphorischen – Scherben haben dann die gesetzt sehen. Dass immer wieder darauf hin- diskreditierten lokalen Gruppen aufzusammeln. gewiesen wird, unbedingt auf großstädtische Besserwisserei, paternalistisches Gehabe und „Metropolenarroganz“26 zu verzichten, zeugt von der Existenz einer solchen Problematik. So „Unversöhnliche Interventionen“ kann bspw. bereits ein falsch – im Sinne von: im Hinterland zu wenig radikal – formulierter Flyer dazu füh- ren, dass großstädtische Spektren ihre Mitwir- Für reichlich Diskussionsstoff sorgen wie- kung an Aktionen verweigern.27 derholt sogenannte „Strafexpeditionen“ bzw. „unversöhnliche Interventionen“ – ein seit den 1990er Jahren praxiserprobter Aktions- bzw. Demonstrationstypus, welcher vor allem Provinz alle etwas angeht!, 22.04.2011, URL: http:// in peripheren Regionen Anwendung findet.29 annaundarthur.blogsport.de/2011/04/22/kiezkicker- Ein unter diesem Vorzeichen organisier- 5-nachgereicht/ [eingesehen am 03.09.2018]. ter Straßenprotest zeichnet sich durch eine 25 O. V.: Redebeitrag zur Demonstration „Antifa martialische Erscheinungsform aus: Gerade- bleibt Landarbeit“, URL: http://landarbeit.blogsport. de/2016/09/15/redebeitrag-antifa-bleibt- landarbeit-10-09-2016/ [eingesehen am 03.09.2018]. blogsport.de/2014/03/31/kein-bock-auf-hin- 26 Vgl. Anna und Arthur im Hinterland (AuA): Sind terland/ [eingesehen am 03.09.2018]. wir nicht alle ein bisschen Dorf!? Warum uns die Provinz alle etwas angeht!, 22.04.2011, URL: 28 Vgl. Projektgruppe (Hg.:) Antifa. Diskussionen http://annaundarthur.blogsport.de/2011/04/22/ und Tips aus der antifaschistischen Praxis, kiezkicker-5-nachgereicht/ [eingesehen Berlin u. Amsterdam 1994, S. 72.; Vgl. Kohlhuber, am 03.09.2018]; vgl. o. V.: Antifaschistische Soeren: Bleib doch wo der Pfeffer wächst, Aktion – Für die konsequente Intervention, 22.02.2016, URL: https://soerenkohlhuber. in: Antifa-Infoblatt 4 (2015), URL: https://www. wordpress.com/2016/02/22/bleib-doch-wo-der- antifainfoblatt.de/artikel/antifaschistische- pfeffer-waechst/ [eingesehen am 03.09.2018]. aktion-%E2%80%93-f%C3%BCr-die-konsequente- 29 Vgl. Winter, Marek: Antideutsch in Ostdeutschland intervention [eingesehen am 03.09.3018]. – Versuch einer Rekonstruktion, in: Jänicke, Chris- 27 Vgl. Pacy aus der Gruppe Anna und Arthur tin / Paul-Siewert, Benjamin (Hg.): 30 Jahre Antifa in im Hinterland (AuA): Kein Bock auf Hinter- Ostdeutschland. Perspektiven auf eine eigenständi- land?!, 31.03.2014, URL: http://annaundarthur. ge Bewegung, Münster 2017, S. 177–191, hier S. 178. Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29. 25
Demokratie-Dialog 3-2018 zu schwarz-uniformiert anmutende, im Block weichen“ oder auch: „Geht die Scheiße weiter, marschierende AktivistInnen, zuallermeist recht gibt’s kein DSL“.31 jung und ortsfremd, lassen mit ihren drasti- schen Statements keinen Zweifel daran, dass Derartige Demonstrationen sorgen nicht nur es sich bei ihrer Stippvisite nicht um einen aufseiten der geschmähten AnwohnerInnen für Freundschaftsbesuch handelt. Auf den zahl- Unverständnis und Erregung. Doch geht es den reichen den Pulk flankierenden Transparenten DemonstrantInnen keineswegs „lediglich um prangen provokativ formulierte Schriftzüge à la Krawall“32. Denn hinter der Protestform einer „Scheiß Drecksnest!“ oder „Gegen die Idiotie „unversöhnlichen Intervention“ stehen durch- des Landlebens“30. Dazu werden despektier- aus strategische Zielsetzungen; das Mittel eines liche – gleichwohl oftmals kreativ formulier- solchen Protestzuges wird von den Organisato- te – Sprechchöre in beachtlicher Bandbreite ren bewusst in Abhängigkeit von den jeweili- skandiert. So erscholl bspw. anlässlich einer gen ortsspezifischen Gegebenheiten gewählt. Demo im thüringischen Bornhagen, dem Wohnort des AfD-Politikers Björn Höcke, unter „Unversöhnlich“ interveniert wird meist in anderem: „Wir sind hier aus purer Feindschaft, Regionen, die zum einen ausgeprägte extrem gegen eure Dorfgemeinschaft!“, „Versteck dich rechte Organisationsstrukturen aufweisen bzw. du Bauer, die Antifa ist sauer!“, „Wir kommen aus der Stadt, wir machen Dörfer platt“, „Dör- fer sind scheiße, ihr seid die Beweise“, „Käffer 31 O. V.: Antifa-Demo legt ein ganzes Dorf in Thüringen von der Karte streichen. Dörfer müssen Städten lahm, in: tlz.de, 07.05.2016, URL: https://www. tlz.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Antifa- Demo-legt-ein-ganzes-Dorf-in-Thueringen- lahm-573918610 [eingesehen am 04.09.2018]. 30 O. V.: Antifa: „Das Dorf ist empört. Wir sind erfreut.“, in: tagesspiegel.de, 05.05.2016, URL: https://www 32 Klaus, Fabian: Kommentar, in: tlz.de, 07.05.2016, URL: .tagesspiegel.de/politik/demonstration-in-born https://www.tlz.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/ hagen-antifa-das-dorf-ist-empoert-wir-sind- Antifa-Demo-legt-ein-ganzes-Dorf-in-Thueringen- erfreut-/13558300.html [eingesehen am 03.09.2018]. lahm-573918610 [eingesehen am 03.09.2018]. https://www.flickr.com/photos/afnpnds/27291482048 / CC BY 2.0 Bild: Antifaschistisches Nachrichtenportal Niedersachsen / URL : Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29. 26
Alexander Deycke / Sören Isele | Autonomer Antifaschismus in der Provinz durch neonazistisch motivierte Gewalttaten eine rechtsextreme Szene in die Schlagzeilen auffallen und die zum anderen durch eine sich geraten“37 sei. demgegenüber als allzu passiv verhaltend per- zipierte Bevölkerung in den Fokus antifaschis- Doch ist ein derartiges „autoritäres“ Konzept tischer AktivistInnen geraten.33 Die bewusst im heterogenen Antifa-Spektrum nicht unum- offensiv-martialisch inszenierten Demonstra- stritten. KritikerInnen monieren insbesondere tionen sollen eine Art warnende Drohgebärde die martialische Erscheinungsform als „sin- gegenüber der lokalen Mehrheitsgesellschaft nentleerte Anwendung militanten Gebarens“38, darstellen und diese unmissverständlich auf- das an „anreisende Hooligans“39 erinnere fordern, sich gegen die Rechtsextremen tat- und „so ziemlich jede_n“ Menschen abschre- kräftig aufzulehnen. Hierbei handelt es sich cke, welcher sich nicht ohnehin schon daran also um ein explizit „autoritäre[s] Konzept der beteiligen würde.40 Letztlich verkämen „un- ,Bestrafung‘ statt ,Aufklärung‘“34, das darauf ab- vermittelbare ,Drecksnest‘-Demonstrationen“41, zielt, die angenommenen Zustände des heim- auf denen „schwarz gekleidete Jugendliche, gesuchten Ortes „öffentlich zu demaskieren“35 in römischer Schildkrötenformation“42 Slo- und diesen über massenmediale Berichter- gans skandierten, die außer ihnen selber kein stattung zu diskreditieren. Den Einwohnern Mensch nachvollziehen könne, zu einer reinen soll unmissverständlich klar gemacht wer- „Selbstbespaßung“43. den, dass ihr Verhalten keineswegs weiterhin toleriert werde und künftig hohe Kosten nach sich ziehen könne.36 Dass ein auf diese Weise verursachter Imageschaden für eine Kommune 37 Zit. nach: Bündnis gegen Rechts Leipzig: Kampf den tatsächlich empfindliche soziale und ökono- braunen Zonen – den rechten Konsens durch- mische Folge haben kann, zeigt das Beispiel brechen! Keine Räume für Faschisten, 1996, URL: Wurzen: Ein renommierter, 1996 veröffentlichter https://www.nadir.org/nadir/initiativ/bgr/aufrufe/ Immobilienführer warnte davor, in die sächsi- wurzen96.htm [eingesehen am 03.09.2018]. sche Kleinstadt umzusiedeln, weil diese „durch 38 FAU Dresden: Kritische Nachbetrachtung der Demo zur Erinnerung an rechte Ausschreitungen in Heidenau, 06.10.2016, URL: https://dresden. 33 Vgl. Winter, Marek: Antideutsch in Ostdeutschland fau.org/2016/10/kritische-nachbetrachtung- – Versuch einer Rekonstruktion, in: Jänicke, Chris- heidenau/ [eingesehen am 03.09.2018]. tin / Paul-Siewert, Benjamin (Hg.): 30 Jahre Antifa in 39 Ebd. Ostdeutschland. Perspektiven auf eine eigenständi- ge Bewegung, Münster 2017, S. 177–191, hier S. 178. 40 Ebd. 34 Bündnis irgendwo in Deutschland: Unversöhnlich in 41 The Future is unwritten – Leipzig: 1. Mai 2017. Wurzen, 06.10.2017, URL: https://irgendwo Stand up and fight!, 25.03.2017, URL: https://www. indeutschland.org/unversohnlich-in-wurzen- unwritten-future.org/index.php/1-mai-2017-stand- ein-ruckblick-im-newsflyer-des-conne- up-and-fight/ [eingesehen am 03.09.2018]. island/ [eingesehen am 03.09.2018]. 42 Fatty McDirty – lowerclassmag.com: In 35 Vgl.: „Rassismus tötet!“ – Leipzig: Antifa: „Gib Schildkrötenformation zum SPD-Stand mir irgendwas, das bleibt.“ – Überlegungen und Antifa, wir müssen reden!, 08.12.2014, Reflexionen über die Notwendigkeit, Pogrome zu URL: http://lowerclassmag.com/2014/12/in- verhindern, April 2018, URL: https://www.inventati. schildkroetenformation-zum-spd-stand-antifa- org/leipzig/?p=4794 [eingesehen am 03.09.2018]. wir-muessen-reden/ [eingesehen am 03.09.2018] 36 Vgl. Winter, Marek: Antideutsch in Ostdeutschland 43 Sophie – Interventionistische Linke Leipzig – Versuch einer Rekonstruktion, in: Jänicke, Chris- (Gruppe Prisma): Was tun in Sachsen?, tin / Paul-Siewert, Benjamin (Hg.): 30 Jahre Antifa in Januar 2018, URL: https://blog.interventionistische- Ostdeutschland. Perspektiven auf eine eigenständi- linke.org/bundestagswahl-2017/was-tun-in- ge Bewegung, Münster 2017, S. 177–191, hier S. 178 f. sachsen [eingesehen am 03.09.2018]. Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29. 27
Demokratie-Dialog 3-2018 Lokale Bündnisse aktionswillige zivilgesellschaftliche Kräfte vor Ort existieren, die bereit sind, mit autonomen Der missbilligten Autoreferenzialität in den antifaschistischen Kreisen zusammenzuarbei- Methoden setzen eine Reihe von Kritikern ten. Ihre Absenz kann zuweilen dazu führen, gänzlich andere Aktionsformen und strategi- dass in der Eigenwahrnehmung lokaler An- sche Konzepte entgegen, die über den Teller- tifas ihnen selbst eine Rolle als „Zivilgesell- rand der engeren Szene hinaus wirken. So wird schafts-Ersatz“49 zufällt. Darüber hinaus steht nicht nur durch selbsterklärte „Dorfantifas“44 zu vermuten, dass eine lokale antifaschisti- nachdrücklich darauf hingewiesen, dass „die sche Szene sich vermehrt auf die Wahl kon- Wahl der politischen Mittel immer an die Situ- frontativer, militanter Mittel verlegt, wenn sie ation vor Ort angepasst“45 werden müsse und sich einer ihr gegenüber negativ gestimmten mithin Praktiken, die in den Metropolen funkti- – oder gar feindlich gesinnten – Mehrheits- onierten, keineswegs eins zu eins „auf ländli- gemeinschaft und kommunalen Institutionen che Strukturen“46 übertragbar seien. Vor allem ausgesetzt sieht. integrative Aktionsformen, wie Sitzblockaden, halten sie für geeigneter, weil sie „für gemä- Die vielfach eingeforderte, pragmatische Bünd- ßigte oder bürgerliche Antifaschist_innen, nisfähigkeit provinzieller Antifa-Gruppen weist die in Mittel- oder Kleinstädten bei Protesten jedoch auch eine gewisse Ambivalenz auf: unverzichtbar“47 seien, „gute Anschlussmöglich- Lokale Bündnisse, die ursprünglich von anti- keiten“48 böten. faschistischen AktivistInnen ins Leben gerufen worden sind, können letztlich dazu führen, Es zeigt sich: Aufgrund der prekären Situa- dass sich autonome Antifas als „Adressaten tion antifaschistischer Strukturen in ländlich für politische Belehrungen und Ermahnungen geprägten Regionen sehen zahlreiche Akti- seitens der meisten anderen Beteiligten“50 vistInnen die Notwendigkeit, sich gegenüber wiederfinden und sich letztlich „um den politi- weiteren Bevölkerungskreisen zu öffnen, um schen Gehalt der eigenen Positionen beraubt“51 temporäre strategische Bündnisse einzugehen sehen. Die Gefahren solcher Marginalisierungen – gesetzt den Fall, dass überhaupt weitere im Zuge einer Bündnisbereitschaft werden da- her auch häufig in Szenepublikationen kritisch reflektiert. Ebenso problematisch erscheint der 44 Antifa Jugend Brandenburg: Antifa in der Krise? Balanceakt zwischen Militanz und Bündnisori- Diskussionsbeitrag der Antifa Jugend Brandenburg, entierung: Eine allzu wenig auf Konfrontation 23.12.2015, URL: http://fightingfor20years. blogsport.de/2015/12/23/antifa-in-der-krise- diskussionsbeitrag-der-antifa-jugend- brandenburg/ [eingesehen am 03.09.2018]. 49 Aussage eines Antifa-Aktivisten in einem In- terview, zit. nach Schuhmacher, Nils: „Dass es 45 Ebd. nicht nur in deiner Stadt, sondern woanders 46 Antifa Nierstein: „Antifa in der Provinz“. Redebei- auch so ist“, in: Jänicke, Christin / Paul-Siewert, trag auf einer Demonstration in Wurzen 1996, URL: Benjamin (Hg.): 30 Jahre Antifa in Ostdeutsch- https://www.nadir.org/nadir/initiativ/bgr/kampagne/ land. Perspektiven auf eine eigenständige Be- wurzen/nierst.htm [eingesehen am 03.09.2018]. wegung, Münster 2017, S. 80–95, hier S. 95. 47 Antifa Jugend Brandenburg: Antifa in der 50 Schuhmacher, Nils: „Dass es nicht nur in dei- Krise? – Diskussionsbeitrag der Antifa ner Stadt, sondern woanders auch so ist“, Jugend Brandenburg, 23.12.2015, URL: http:// in: Jänicke, Christin / Paul-Siewert, Benja- fightingfor20years.blogsport.de/2015/12/23/antifa- min (Hg.): 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland. in-der-krise-diskussionsbeitrag-der-antifa-jugend- Perspektiven auf eine eigenständige Bewe- brandenburg/ [eingesehen am 03.09.2018]. gung, Münster 2017, S. 80–95, hier S. 92. 48 Ebd. 51 Ebd. Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29. 28
Alexander Deycke / Sören Isele | Autonomer Antifaschismus in der Provinz ausgerichtete, moderate Haltung lokaler Antifas unverzüglich erfolgten Rückmeldungen böten birgt das Risiko, von großstädtischen Aktivis- – sofern nötig – Gelegenheit, eine zeitnahe tinnen, auf deren Unterstützungsleistung man strategische Kurskorrektur vorzunehmen.54 angewiesen ist, nicht respektiert zu werden. Alles in allem kann daher vielleicht von einer Doch ist die Situation fernab der großstädti- Art strategischem Druck „provinzieller“ Be- schen Szenekieze nicht ganz so trist, wie es dingungen gesprochen werden, welcher dazu zunächst den Anschein haben mag. Denn der beitragen mag, auch über periphere Regionen periphere ländliche Raum bietet auch gewisse hinaus – hinein in die Großstädte – rich- vorteilhafte Bedingungen intervenierender Ak- tungsweisende Impulse einer künftig forcierten tionspolitik. So lässt sich die häufig als Bürde gesellschaftlichen Kooperationsbereitschaft im empfundene fehlende Anonymität innerhalb Kampf gegen rechtsextremistische und rechts- einer Dorfgemeinschaft gelegentlich auch als populistische Umtriebe zu setzen. Chance begreifen.52 Vor allem der geradezu zwangsläufige, direkte Kontakt zu „normalen“ MitbürgerInnen, wie er in den Szeneblasen der 54 Antifa Nierstein: „Antifa in der Provinz“ Redebei- trag auf einer Demonstration in Wurzen 1996, URL: Metropolenkieze seltener erfolgt, wird zuwei- https://www.nadir.org/nadir/initiativ/bgr/kampagne/ len als positiv empfunden – trägt er doch wurzen/nierst.htm [eingesehen am 03.09.2018]. entscheidend dazu bei, „die eigenen Inhalte mit leicht umsetzbaren Aktionen zum Stadt- gespräch“53 machen zu können. Die dadurch 52 Vgl. Was ist Provinz? Über die Arroganz der Metropole und die Schönheit der Provinz, in: Arranca, H. 4 (1994), URL: https://arranca. org/ausgabe/4/was-ist-provinz [eingesehen am 01.09.2018]; AK Wantok (Hg.): Perspekti- ven Autonomer Politik, Münster 2010, S. 161. 53 O. V.: Antifa bleibt Landarbeit. Interview mit Tanja, einer Aktivistin der Gruppe „contre la tristesse“ aus Rosenheim, in: Umrisse. Nika Magazin, No. 1, URL: http://nikamagazin.blogsport.eu/files/2018/05/ antifalandarbeit.pdf [eingesehen am 03.09.2018]. Alexander Deycke, geb. 1987, ist wissen- schaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung und arbeitet in der Bundes- fachstelle Linke Militanz. Sören Isele, geb. 1985, arbeitet seit 2016 als studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29. 29
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