KEIN RUHIGES HINTERLAND? - AUTONOMER ANTIFASCHISMUS IN DER PROVINZ - FODEX

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KEIN RUHIGES HINTERLAND? - AUTONOMER ANTIFASCHISMUS IN DER PROVINZ - FODEX
Kein ruhiges
                                                                                      Hinterland?
                                                                                      Autonomer Antifaschismus
                                                                                      in der Provinz

                                                                                      Alexander Deycke / Sören Isele

          A
                                  utonomer Antifaschis-                       tiert.1 Gleichzeitig gibt es Gruppen und -bünd-
                                  mus erscheint auf den                       nisse, die zwar eine starke Bindung an eine
                                  ersten Blick vor allem                      größere Stadt aufweisen, ihrem Selbstverständ-
                                  als ein urbanes Phäno-                      nis zufolge aber umliegende ländliche Regio-
                                  men. In der Regel sind es                   nen als primären Betätigungsraum auffassen.
                                  Gruppen aus den Groß-                       Vorwiegend anhand von Szeneselbstzeugnis-
                                  städten und Metropolen                      sen werden im Folgenden Rahmenbedingun-
                                  der Republik, die durch                     gen, Strategien und Handlungsmuster kämpfe-
            ihre Aktionen, Medienpräsenz, Publikationen
            und Mitwirkung in überregionalen Bündnissen
            bzw. „Organisierungen“ für eine breitere Öf-                      1    Schuhmacher zählte im Jahr 2014 72 Gruppen in
            fentlichkeit wahrnehmbar sind, als Wortführer                          Klein- und Mittelstädten gegenüber 101 Gruppen in
            der Bewegung betrachtet werden und wohl                                Großstädten und Metropolen, sowie 16 „regiona-
            auch nicht zuletzt aus diesem Grund im Fokus                           le Zusammenschlüsse“. Verglichen mit 2009 stellt
                                                                                   Schuhmacher dabei einen deutlichen Rückgang der
            der wissenschaftlichen Auseinandersetzung
                                                                                   Gruppenanzahl fest; in Klein- und Mittelstädten
            mit dem Themenfeld des autonomen Anti-
                                                                                   kam es fast zu einer Halbierung. Kriterium dafür,
            faschismus stehen. Doch auch in Klein- und                             eine Gruppe als aktiv einzustufen, war ein aktueller
            Mittelstädten sind – zumeist auf den gesamten                          Internetauftritt. Vgl. Schuhmacher, Nils: „Nicht nichts
            Landkreis bezogene – Aktivitäten dokumen-                              machen“? Selbstdarstellungen politischen Handelns
                                                                                   in der Autonomen Antifa, Duisburg 2014, S. 40.

 Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29.

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KEIN RUHIGES HINTERLAND? - AUTONOMER ANTIFASCHISMUS IN DER PROVINZ - FODEX
Alexander Deycke / Sören Isele  |  Autonomer Antifaschismus in der Provinz

      risch-intervenierender linksradikaler Politik in                  nicht zuletzt extrem rechte Parteien hingegen
      der Provinz im Allgemeinen und des autono-                        in deren fernerer Umgebung.3
      men Antifaschismus im Besonderen illustriert.
                                                                        Die skizzierten strukturellen Muster des
                                                                        Wahlverhaltens deuten es bereits an: Für eine
                                                                        sich als radikal verstehende Linke bietet die
      „Reservat der Reaktion“                                           Provinz nicht die besten Entfaltungsmöglich-
                                                                        keiten. Schon Rosa Luxemburg sprach von ihr
      Das Verhältnis der deutschen Linken, zumal                        als einem „Reservat der Reaktion“4, für Kurt
      ihrer radikaleren Vertreter, zur Provinz2 ist seit                Tucholsky war sie ein „schwarzer Erdteil“5 und
      jeher schwierig und problembehaftet. Sie tat                      Ernst Bloch sah das Ländliche in besonderem
      sich lange Zeit schwer, in den Gebieten ab-                       Maße von „Ungleichzeitigkeit“6 geprägt – Mo-
      seits urbaner Ballungsräume, in Dörfern und                       dernisierungsschübe würden dort vielfach
      Kleinstädten, Fuß zu fassen. Aus der Perspek-                     verzögert oder nur partiell vollzogen werden,
      tive ruraler Lebenswelten schien sie oftmals                      wohingegen dem (vermeintlich) Traditionel-
      keine attraktiven Politiken im Angebot zu                         len eine besondere Beharrungskraft zu eigen
      haben; und, wichtiger noch, traditionelle Eliten                  sei. Die Provinz fungierte mithin vor allem als
      aus Klerus, Adel und Bürgertum vermochten                         Feindbild.7 Als Ort des Fortschritts und der
      Mehrheiten der Wählerschaft auch nach der                         Emanzipation galt hingegen die große Stadt,
      politischen Mündigwerdung der Massen an sich                      auch – und vielleicht mehr denn je – seit die
      zu binden. So fand schon die systemoppositi-                      radikale Linke die Pfade einer Arbeiterbewe-
      onelle Sozialdemokratie des Kaiserreiches kein
      Rezept, eine breitere Anhängerschaft unter
      den darbenden Kleinbauern der süddeutschen                        3    Vgl. Holscher, Max et al.: Datenanalyse zur Wahl.
      Staaten oder den ausgebeuteten Landarbei-                              Kaum Ausländer in AfD-Hochburgen – Union
      tern der ostelbischen Rittergüter zu gewinnen.                         besonders auf dem Land beliebt, in: Spiegel
                                                                             Online, URL: http://www.spiegel.de/politik/
      In protestantischen Gebieten wurde stramm
                                                                             deutschland/bundestagswahl-2017-kaum-
      konservativ oder allenfalls nationalliberal
                                                                             auslaender-in-afd-hochburgen-a-1169727.html
      gewählt, in katholischen kam dem Zentrum                               [eingesehen am 27.08.2018.]; Simon, Titus et al.:
      die Stimmenmehrheit zu. Später dann konn-                              Rechtsextremismus in den ländlichen Räumen.
      ten die NSDAP wie auch Neonazisten in SRP                              Eine Arbeitshilfe. Herausgegeben von: Bund der
      und NPD in ruralen Milieus ihre größten Erfolge                        Deutschen Landjugend, Berlin 2009, S. 46 ff.
      verbuchen. Ein Blick auf die Wählerhochburgen                     4    Zit. nach Herrenknecht, Albert / Wohlfarth, Jürgen:
      der bundesrepublikanischen Parteien der Ge-                            Vom Kampf gegen die Provinz zum Kampf mit
      genwart bestätigt das abgeschwächte Fortbe-                            der Provinz – 25 Jahre politische Emanzipations-
      stehen der historischen Tendenz: Noch immer                            bewegungen in der Provinz, in: Forschungsjournal
      reüssieren Parteien links der Mitte besonders                          Neue Soziale Bewegungen, Schwerpunkt: Pow-
      in großen Städten, konservative, rechte und                            er in der Provinz, H. 4 (1991), S. 21–31, hier S. 21.

                                                                        5    Ebd.

                                                                        6    Vgl. Bloch, Ernst: Gespräch über Un-
                                                                             gleichzeitigkeit, in: Kursbuch 39, Schwer-
      2    Fast sechzig Prozent der Bevölkerung in Deutsch-
                                                                             punkt: Provinz, S. 1–9, hier S. 1.
           land leben abseits der Ballungszentren in den durch
           Dörfer, Klein- und Mittelstädte geprägten Teilen             7    Vgl. Herrenknecht, Albert / Wohlfarth, Jürgen: Vom
           der Republik, die hier mit Begriffen wie „ländlicher              Kampf gegen die Provinz zum Kampf mit der
           Raum“ und „Provinz“ erfasst werden. Vgl. Bundes-                  Provinz – 25 Jahre politische Emanzipations-
           ministerium für Ernährung und Landwirtschaft,                     bewegungen in der Provinz Forschungsjournal
           URL: https://www.bmel.de/DE/Laendliche-Raeume/                    Neue Soziale Bewegungen, Schwerpunkt: Pow-
           Infografiken/_node.html [eingesehen am 24.08.2018]                er in der Provinz, H. 4 (1991), S. 21–31, hier S. 21.

Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29.

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KEIN RUHIGES HINTERLAND? - AUTONOMER ANTIFASCHISMUS IN DER PROVINZ - FODEX
Demokratie-Dialog 3-2018

            gung in Richtung linker Szenen und Subkultu-                      zur Errichtung „national befreiter Zonen“,
            ren verlassen hatte; das mittelalterliche Diktum                  also von Gebieten rechtsextremer Hegemonie
            der freimachenden Stadtluft schien sich als                       über die lokale politische Kultur, die vor allem
            zeitlos zu erweisen. Doch während sich die                        ländliche Räume adressiert11 – und, so muss
            68er-Studentenrevolte und das anschließende                       konstatiert werden, insbesondere in von Ab-
            „rote Jahrzehnt“8 vor allem über urbane Bilder                    wanderung sowie wirtschaftlichem Niedergang
            von Großdemonstrationen und Straßenschlach-                       betroffenen Provinzregionen Ostdeutschlands
            ten, WG-Kommunen und Häuserkämpfen im                             auch mit gewissem Erfolg.12
            kollektiven Gedächtnis verfestigt haben, bleibt
            oft vergessen, dass der Aufbruch in den Met-
            ropolen, wenn auch nicht selten zeitverzögert,
            alsbald in die Provinz ausstrahlte. Die Schüler-,                 Der aktionsorientierte Antifaschismus
            Lehrlings- und die erstmals links-alternative                     entdeckt die Provinz
            Infrastrukturen in die Provinz tragende Jugend-
            zentrumsbewegung der 1970er Jahre zeugen                          In der linksradikalen Zeitschrift Arranca hieß
            davon.9 Für die ausgehenden 1970er Jahre kann                     es 1994 in einem Text, dessen Inhalte seit-
            in Bezug auf die Ökologie- und Anti-Atom-                         dem von Antifas immer wieder rezipiert und
            kraftbewegung mit den „Schlachten“ um die                         bestätigt werden: „Ohne Einbindung auch der
            Bauplätze der Kraftwerke und Lagerstätten                         Provinz, ohne Beschäftigung mit ihren be-
            dann von einer verstärkten Hinwendung der                         sonderen Gegebenheiten, ohne Antworten,
            urbanen linksradikalen Avantgarde zur Provinz                     wie mit diesen sinnvoll umgegangen werden
            gesprochen werden, bevor sich der Fokus mit                       kann, ist eine positive Veränderung nicht zu
            den Hausbesetzungen in Hamburg bzw. Berlin                        bekommen.“ Diese „besonderen Gegebenhei-
            wieder auf die Metropolen richtete.10                             ten“ wurden dabei als eine Ansammlung von
                                                                              Hemmnissen beschrieben: schlechte Nahver-
            Angesichts einer Welle rechtsextremer vor                         kehrsanbindungen bei räumlicher Trennung der
            allem rassistisch-motivierter Gewalt und des                      verstreuten Aktivisten und kaum Treffpunkte
            personellen Zulaufs zur extrem rechten Szene                      für Gruppenaktivitäten. Fehlende kulturelle
            nach der Wiedervereinigung drängte sich das                       Angebote sowie eine Absenz attraktiver (Aus-)
            Thema Antifaschismus nachgerade auf, zu ei-                       Bildungsmöglichkeiten und Arbeitsperspekti-
            nem zentralen Aktionsfeld der radikalen Linken                    ven resultierten zudem in der Abwanderung
            zu werden. Im Zuge dessen geriet auch die                         engagierter Jugendlicher in die Großstadt und
            Provinz erneut verstärkt ins Blickfeld. Anlass                    verhinderten die Herausbildung linker Szenen
            bot und bietet die seit Beginn der 1990er Jah-                    als Fundament des autonomen Antifaschismus.
            re in rechtsextremen Publikationen erstmals                       Weiter heißt es: Die „größere soziale Kontrolle
            konzeptualisierte Strategie des Raumgewinns

                                                                              11   Vgl. Heitmeyer, Wilhelm: Rechtsextremis-
            8    Koenen, Gerd: Das rote Jahrzehnt: Unsere kleine
                                                                                   mus im ländlichen Raum, in: Dünkel, Frieder
                 deutsche Kulturrevolution 1967–1977, Köln 2001.
                                                                                   u. a. (Hg.): Think rural!: Dynamiken des Wandels
            9    Vgl. Herrenknecht, Albert / Wohlfarth, Jürgen: Vom                in peripheren ländlichen Räumen und ihre Im-
                 Kampf gegen die Provinz zum Kampf mit der                         plikationen für die Daseinsvorsorge, Wiesba-
                 Provinz – 25 Jahre politische Emanzipationsbe-                    den 2014, S. 131–146; Döring, Uta: Angstzonen.
                 wegungen in der Provinz, in: Forschungsjournal                    Rechtsdominierte Orte aus medialer und lo-
                 Neue Soziale Bewegungen, Schwerpunkt: Power                       kaler Perspektive, Wiesbaden 2008, S. 51–55.
                 in der Provinz, H. 4 (1991), S. 21–31, hier S. 23 ff.
                                                                              12   Vgl. Burschel, Friedrich: Verlorene Landstriche, in:
            10   Vgl. Geronimo: Feuer und Flamme. Zur Geschichte                   Ders. (Hg.): Stadt - Land - Rechts. Brauner Alltag
                 der Autonomen, 4. Aufl., Berlin u. a. 1995, S. 140.               in der deutschen Provinz, Berlin 2010, S. 10–21.

 Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29.

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KEIN RUHIGES HINTERLAND? - AUTONOMER ANTIFASCHISMUS IN DER PROVINZ - FODEX
Alexander Deycke / Sören Isele  |  Autonomer Antifaschismus in der Provinz

      macht das Ausscheren aus dem allgemeinen                               als auch von staatlichen Repressionsorganen
      Konsens sicherlich erheblich schwerer als in                           leichter zugeordnet werden.“14
      der Anonymität einer Metropole“13.

      Dabei sollte insbesondere die Bedeutung
      alternativer Jugendzentren und subkultureller                     Provinzspezifische Strukturen und Strategien
      Freiräume keineswegs unterschätzt werden.
      Neben ihrer Funktion als Treff- und Anlauf-                       Derartige Schwierigkeiten, die eine kontinuier-
      punkte stellen sie als Orte des gegenseitigen                     liche und effektive antifaschistische Arbeit in
      Austausches auch Keimzellen künftigen politi-                     der Peripherie nicht nur beeinträchtigen, son-
      schen Engagements dar. Nicht zuletzt dienen                       dern auch die längerfristige Existenz isolier-
      sie antifaschistischen AktivistInnen, welche                      ter, schwach aufgestellter Gruppen bedrohen
      sich allzu häufig mit einem ihnen ablehnend                       können, problematisieren AktivistInnen seit
      gegenüberstehenden oder gar feindlich ge-                         nunmehr fast drei Jahrzehnten. Ebenso lange
      sinnten Umfeld konfrontiert sehen, schlicht als                   werden stets ähnlich lautende Lösungsansätze
      Schutz- und Ruhezonen. So sollte zum einen                        formuliert, um der strukturellen Misere in der
      wenig verwundern, dass vor allem junge Men-                       Provinz zu begegnen. Als wichtigste strategi-
      schen wiederholt die Forderung erheben, ent-                      sche Maßnahme gilt die Unterstützung schwa-
      sprechende lokale Räumlichkeiten zu schaffen;                     cher antifaschistischer Strukturen durch gut
      und zum anderen ist es umso tragischer, wenn                      aufgestellte großstädtische Gruppierungen.15
      vielerorts von Linksalternativen eine – häu-                      Diese weisen dem Antifa-Engagement im länd-
      fig verwaltungsauflagenbedingte – Schließung                      lichen Raum häufig eine besondere Bedeutung
      entsprechender Zentren beklagt wird.                              zu; denn ihnen ist keineswegs lediglich daran
                                                                        gelegen, allein ihre Städte und Kieze „nazifrei“
      Zahlreiche Hemmnisse des Arranca-Beitrages                        zu halten. Vielmehr gilt die Provinz als wich-
      aufgreifend, skizziert ein 22 Jahre später auf                    tiger, viel zu oft vernachlässigter Aktionsraum,
      Facebook veröffentlichter Demonstrationsaufruf                    in dem die extreme Rechte ihre Refugien finde,
      die trotz dieser widrigen Umstände existie-                       gar lokale Hegemonien zu erlangen vermöge
      renden „Antifaschistischen Strukturen“ in der                     und wo sich rechtsextreme Gewalt konzentrie-
      Provinz folgendermaßen:                                           re.16 Überregional wird unter Motti wie „Antifa

           „Sie sind überschaubar und beschränken sich in
           der Regel auf konkretes Handeln zu gegebenen                 14     Siehe URL: https://www.facebook.com/An-
           Anlässen. Eine inhaltliche Ausdifferenzierung, De-                  tifaInfosMobilisierungen/posts/gera:-anti-
           batten, Diskurse, Dissens wie in größeren Städten                   fa-bleibt-landarbeit-strukturen/1798479527049479/
           und Metropolen mit personell starken Gruppen                        [eingesehen am 01.09.2018].
           können selten stattfinden. Antifa auf dem Land
           ist undogmatisch. Oft hängt die Arbeit vor Ort               15     Vgl. Anna und Arthur im Hinterland (AuA): Sind
           stark an einzelnen Personen. […] Die Überschau-                     wir nicht alle ein bisschen Dorf!? Warum uns die
           barkeit der Szenen führt unweigerlich auch zu                       Provinz alle etwas angeht!, 22.04.2011, URL: http://
           einem höheren Risiko einzelner Agierender – Ak-                     annaundarthur.blogsport.de/2011/04/22/kiezki-
           tionen können sowohl von politischen Gegnern                        cker-5-nachgereicht/ [eingesehen am 03.09.2018].

                                                                        16     Vgl. Gastbeitrag der Kampagne HHgoesMV: „Antifa
                                                                               heißt auch raus aus der metropolen Komfortzone …“,
                                                                               in: Antifa-Infoblatt 2 (2016), URL: https://www.
                                                                               antifainfoblatt.de/artikel/antifa-hei%C3%9Ft-auch-
      13     O. V.: Was ist Provinz? Über die Arroganz der Me-                 raus-aus-der-metropolen-komfortzone; o. V.:
             tropole und die Schönheit der Provinz, in: Arranca,               Antifaschistische Aktion – Für die konsequente
             H. 4 (1994), URL: https://arranca.org/ausgabe/4/                  Intervention, in Antifa-Infoblatt 4 (2015), URL: https://
             was-ist-provinz [eingesehen am 01.09.2018].                       www.antifainfoblatt.de/artikel/antifaschistische-

Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29.

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KEIN RUHIGES HINTERLAND? - AUTONOMER ANTIFASCHISMUS IN DER PROVINZ - FODEX
Demokratie-Dialog 3-2018

            heißt Landarbeit“17 und „Es gibt kein ruhiges                     von AntifaschistInnen aus der Provinz wie
            Hinterland“18 für (Gegen-)Demonstrationen und                     auch so mancher Metropolen-Antifas über un-
            Blockaden in Kleinstädten und Dörfern mobi-                       zureichende Hilfe für die Peripherie ist bestän-
            lisiert; „Antifaschistische Kaffeefahrt“19 ist seit               dig zu vernehmen.21
            Jahren eine gängige Bezeichnung für großstäd-
            tische Interventionen in der Provinz. Jüngst
            zeugten Veranstaltungen wie das „JanzWeit-
            Draussen Camp“ in Kuhlmühle bei Wittstock in                      Stadt-Land-Konflikte in der Antifa-Szene
            Brandenburg von Bemühungen gerade städti-
            scher Initiatoren, spezifische Strategien für die                 Die tatsächlich geleistete großstädtische Un-
            (militante) Auseinandersetzung mit der (extre-                    terstützung birgt überdies ein gewisses Kon-
            men) Rechten im ländlichen Raum zu entwi-                         fliktpotenzial. Denn dem erklärten Anspruch,
            ckeln. Namen wie „Antifa 06“ (Halle), „Antifa                     einander auf Augenhöhe begegnen zu wollen,
            goes Brandenburg“ (Berlin) oder „HHgoesMV“                        steht allzu oft ein Gefälle im antifaschistischen
            (Hamburg) stehen exemplarisch für eine Reihe                      Stadt-Land-Verhältnis gegenüber, das sich aus
            von Gruppen, die einen starken Bezug zu einer                     den ungleichen Strukturbedingungen ergibt.
            Großstadt aufweisen und mit dem dezidier-                         Im Gegensatz zu arrivierten großstädtischen
            ten Anspruch auftreten, sich mit der Provinz                      Szenemilieus, deren Vertreter sich langwieri-
            auseinanderzusetzen.20 Und dennoch: Die Klage                     gen Theoriedebatten in den Lokalitäten ih-
                                                                              rer großstädtischen „Komfortzone“22 widmen
                                                                              könnten, stehe für den meist kleinen Kreis
                 aktion-%E2%80%93-f%C3%BCr-die-konsequente-                   engagierter AktivistInnen in der Provinz die
                 intervention [eingesehen am 03.09.3018].                     direkte, kräftezehrende antifaschistische Arbeit
                                                                              gegen rechtsextremistische Umtriebe vor der
            17   „Antifa heißt Landarbeit“, Interview mit der
                 Gruppe Antifa06, in: TRANSIT. Debattenmagazin
                                                                              eigenen Haustür im Vordergrund.23 Eine Ausei-
                 für Halle und Umgebung, URL: https://                        nandersetzung mit linksradikaler Theorie fällt
                 transit-magazin.de/2018/03/antifa-heisst-                    hier notgedrungen schmaler aus.24 Großstadtty-
                 landarbeit/ [eingesehen am 03.09.3018].

            18   Siehe z. B. einen Demoaufruf der Antifa Jugend
                 Hamburg: https://www.facebook.com/Antifa                          Antifa goes Brandenburg, Berlin, URL: http://agbrb.
                 JugendHamburg/posts/1669830373232242 [einge-                      blogsport.eu/why/; Bündnis HHgoesMV, URL: http://
                 sehen am 03.09.3018]. Der Slogan „kein ruhiges                    hhgoesmv.blogsport.de/ [eingesehen am 03.09.2018].
                 Hinterland“ ist allerdings nicht ausschließlich auf
                                                                              21   Vgl. o. V.: Punk in der Thüringer Provinz – Teil 1:
                 den Bereich Antifaschismus beschränkt, son-
                                                                                   Altenburg und die Rote Zora, 16.08.2016, URL:
                 dern findet auch in anderen linksradikalen The-
                                                                                   http://thueringenpunk.blogsport.de/2016/08/16/
                 menzusammenhängen häufige Anwendung.
                                                                                   punk-in-der-thueringer-provinz-teil-1-altenburg-
            19   Aufruf der Autonomen Antifa Berlin, 28.05.2016,                   und-die-rote-zora/ [eingesehen am 03.09.2018].
                 URL: https://a2berlin.org/cms/artikel/
                                                                              22   Staiger, Marcus: Raus aus der Komfort-
                 antifaschismus/440-28-mai-antifa-kaffeefahrt-
                                                                                   zone, in: junge Welt, 11.07.2015.
                 in-den-spreewald.html; Stepputat, Hannes:
                 Neonazis attackieren Antifa-Kaffeefahrt in                   23 Vgl. o. V.: Antifaschismus in der Provinz. Die-
                 M-V, in: Zeit Online, 22.08.2015, URL: https://                 ser Text stammt ursprünglich aus der Broschüre
                 blog.zeit.de/stoerungsmelder/2015/08/22/                        „Das Konzept Antifa“ (1998) der AAB und ist u. a.
                 neonazis-attackieren-antifa-kaffeefahrt-in-                     auch auf der Internetpräsenz des sogenannten
                 m-v_20079 [eingesehen am 03.09.2018].                           Antifaschistischen Textarchivs erschienen, URL:
                                                                                 http://afata.blogsport.eu/1998/12/31/antifaschis-
            20 Siehe die Websites folgender Gruppen und
                                                                                 mus-in-der-provinz/ [eingesehen am 03.09.2018].
               Bündnisse: Association Progrès, Eichsfeld / Göttingen,
               URL: https://associationprogres.wordpress.com/;                24 Vgl. Anna und Arthur im Hinterland (AuA): Sind
               Antifa 06, Halle, URL: http://antifa06.blogsport.eu/;             wir nicht alle ein bisschen Dorf!? Warum uns die

 Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29.

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KEIN RUHIGES HINTERLAND? - AUTONOMER ANTIFASCHISMUS IN DER PROVINZ - FODEX
Alexander Deycke / Sören Isele  |  Autonomer Antifaschismus in der Provinz

      pische ideologische Fraktionskämpfe, die nicht                    Überhaupt sind es oftmals Aktionen in der
      selten zu Spaltungen innerhalb des sozialen                       „Provinz“, die in Konflikte und Frust innerhalb
      Umfeldes führen, gilt es in kleineren Gruppen-                    des antifaschistischen Spektrums münden.
      zusammenhängen zu vermeiden, um deren oh-                         Insbesondere militante Aktionen, die von aus-
      nehin eingeschränkte Leistungsfähigkeit nicht                     wärtigen Gruppierungen durchgeführt werden,
      vollends zum Erliegen zu bringen.                                 ohne dass im Vorhinein ein Austausch mit vor
                                                                        Ort lebenden und dort tätigen Antifas gesucht
      Ein Missverhältnis in der Beziehung zwischen                      worden wäre, sorgen bei Letzteren regelmäßig
      Großstadt und Provinz, wie es keineswegs nur                      für Unmut, weil sie es sind, welche die Folgen
      bezüglich theoretischen Wissens, sondern                          in ihrem alltäglichen Lebensumfeld zu spüren
      auch im divergierenden Habitus, dem (Nicht-)                      bekommen. Ein über längere Zeit hinweg müh-
      Gebrauch des vermeintlich „richtigen“ Szene-                      sam aufgebautes, dabei oftmals fragiles Ver-
      jargons und anderer „Code[s]“25 seine Ausprä-                     trauensverhältnis zu bürgerlichen Kreisen kann
      gungen findet, kann zudem bewirken, dass sich                     durch kurzsichtige Performances Ortsfremder
      „provinzielle“ AktivistInnen von „Durchblickern“                  zerschlagen werden.28 Die – zuweilen nicht nur
      aus den Metropolen bevormundet und herab-                         metaphorischen – Scherben haben dann die
      gesetzt sehen. Dass immer wieder darauf hin-                      diskreditierten lokalen Gruppen aufzusammeln.
      gewiesen wird, unbedingt auf großstädtische
      Besserwisserei, paternalistisches Gehabe und
      „Metropolenarroganz“26 zu verzichten, zeugt
      von der Existenz einer solchen Problematik. So                    „Unversöhnliche Interventionen“
      kann bspw. bereits ein falsch – im Sinne von:                     im Hinterland
      zu wenig radikal – formulierter Flyer dazu füh-
      ren, dass großstädtische Spektren ihre Mitwir-                    Für reichlich Diskussionsstoff sorgen wie-
      kung an Aktionen verweigern.27                                    derholt sogenannte „Strafexpeditionen“ bzw.
                                                                        „unversöhnliche Interventionen“ – ein seit
                                                                        den 1990er Jahren praxiserprobter Aktions-
                                                                        bzw. Demonstrationstypus, welcher vor allem
           Provinz alle etwas angeht!, 22.04.2011, URL: http://         in peripheren Regionen Anwendung findet.29
           annaundarthur.blogsport.de/2011/04/22/kiezkicker-            Ein unter diesem Vorzeichen organisier-
           5-nachgereicht/ [eingesehen am 03.09.2018].
                                                                        ter Straßenprotest zeichnet sich durch eine
      25 O. V.: Redebeitrag zur Demonstration „Antifa                   martialische Erscheinungsform aus: Gerade-
         bleibt Landarbeit“, URL: http://landarbeit.blogsport.
         de/2016/09/15/redebeitrag-antifa-bleibt-
         landarbeit-10-09-2016/ [eingesehen am 03.09.2018].
                                                                             blogsport.de/2014/03/31/kein-bock-auf-hin-
      26 Vgl. Anna und Arthur im Hinterland (AuA): Sind
                                                                             terland/ [eingesehen am 03.09.2018].
         wir nicht alle ein bisschen Dorf!? Warum uns
         die Provinz alle etwas angeht!, 22.04.2011, URL:               28 Vgl. Projektgruppe (Hg.:) Antifa. Diskussionen
         http://annaundarthur.blogsport.de/2011/04/22/                     und Tips aus der antifaschistischen Praxis,
         kiezkicker-5-nachgereicht/ [eingesehen                            Berlin u. Amsterdam 1994, S. 72.; Vgl. Kohlhuber,
         am 03.09.2018]; vgl. o. V.: Antifaschistische                     Soeren: Bleib doch wo der Pfeffer wächst,
         Aktion – Für die konsequente Intervention,                        22.02.2016, URL: https://soerenkohlhuber.
         in: Antifa-Infoblatt 4 (2015), URL: https://www.                  wordpress.com/2016/02/22/bleib-doch-wo-der-
         antifainfoblatt.de/artikel/antifaschistische-                     pfeffer-waechst/ [eingesehen am 03.09.2018].
         aktion-%E2%80%93-f%C3%BCr-die-konsequente-
                                                                        29 Vgl. Winter, Marek: Antideutsch in Ostdeutschland
         intervention [eingesehen am 03.09.3018].
                                                                           – Versuch einer Rekonstruktion, in: Jänicke, Chris-
      27   Vgl. Pacy aus der Gruppe Anna und Arthur                        tin / Paul-Siewert, Benjamin (Hg.): 30 Jahre Antifa in
           im Hinterland (AuA): Kein Bock auf Hinter-                      Ostdeutschland. Perspektiven auf eine eigenständi-
           land?!, 31.03.2014, URL: http://annaundarthur.                  ge Bewegung, Münster 2017, S. 177–191, hier S. 178.

Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29.

                                                                                                                                                  25
KEIN RUHIGES HINTERLAND? - AUTONOMER ANTIFASCHISMUS IN DER PROVINZ - FODEX
Demokratie-Dialog 3-2018

            zu schwarz-uniformiert anmutende, im Block                        weichen“ oder auch: „Geht die Scheiße weiter,
            marschierende AktivistInnen, zuallermeist recht                   gibt’s kein DSL“.31
            jung und ortsfremd, lassen mit ihren drasti-
            schen Statements keinen Zweifel daran, dass                       Derartige Demonstrationen sorgen nicht nur
            es sich bei ihrer Stippvisite nicht um einen                      aufseiten der geschmähten AnwohnerInnen für
            Freundschaftsbesuch handelt. Auf den zahl-                        Unverständnis und Erregung. Doch geht es den
            reichen den Pulk flankierenden Transparenten                      DemonstrantInnen keineswegs „lediglich um
            prangen provokativ formulierte Schriftzüge à la                   Krawall“32. Denn hinter der Protestform einer
            „Scheiß Drecksnest!“ oder „Gegen die Idiotie                      „unversöhnlichen Intervention“ stehen durch-
            des Landlebens“30. Dazu werden despektier-                        aus strategische Zielsetzungen; das Mittel eines
            liche – gleichwohl oftmals kreativ formulier-                     solchen Protestzuges wird von den Organisato-
            te – Sprechchöre in beachtlicher Bandbreite                       ren bewusst in Abhängigkeit von den jeweili-
            skandiert. So erscholl bspw. anlässlich einer                     gen ortsspezifischen Gegebenheiten gewählt.
            Demo im thüringischen Bornhagen, dem
            Wohnort des AfD-Politikers Björn Höcke, unter                     „Unversöhnlich“ interveniert wird meist in
            anderem: „Wir sind hier aus purer Feindschaft,                    Regionen, die zum einen ausgeprägte extrem
            gegen eure Dorfgemeinschaft!“, „Versteck dich                     rechte Organisationsstrukturen aufweisen bzw.
            du Bauer, die Antifa ist sauer!“, „Wir kommen
            aus der Stadt, wir machen Dörfer platt“, „Dör-
            fer sind scheiße, ihr seid die Beweise“, „Käffer
                                                                              31   O. V.: Antifa-Demo legt ein ganzes Dorf in Thüringen
            von der Karte streichen. Dörfer müssen Städten                         lahm, in: tlz.de, 07.05.2016, URL: https://www.
                                                                                   tlz.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Antifa-
                                                                                   Demo-legt-ein-ganzes-Dorf-in-Thueringen-
                                                                                   lahm-573918610 [eingesehen am 04.09.2018].
            30 O. V.: Antifa: „Das Dorf ist empört. Wir sind erfreut.“,
               in: tagesspiegel.de, 05.05.2016, URL: https://www              32 Klaus, Fabian: Kommentar, in: tlz.de, 07.05.2016, URL:
               .tagesspiegel.de/politik/demonstration-in-born                    https://www.tlz.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/
               hagen-antifa-das-dorf-ist-empoert-wir-sind-                       Antifa-Demo-legt-ein-ganzes-Dorf-in-Thueringen-
               erfreut-/13558300.html [eingesehen am 03.09.2018].                lahm-573918610 [eingesehen am 03.09.2018].

                                                                                                                                              https://www.flickr.com/photos/afnpnds/27291482048 / CC BY 2.0
                                                                                                                                              Bild: Antifaschistisches Nachrichtenportal Niedersachsen / URL :

 Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29.

26
KEIN RUHIGES HINTERLAND? - AUTONOMER ANTIFASCHISMUS IN DER PROVINZ - FODEX
Alexander Deycke / Sören Isele  |  Autonomer Antifaschismus in der Provinz

      durch neonazistisch motivierte Gewalttaten                        eine rechtsextreme Szene in die Schlagzeilen
      auffallen und die zum anderen durch eine sich                     geraten“37 sei.
      demgegenüber als allzu passiv verhaltend per-
      zipierte Bevölkerung in den Fokus antifaschis-                    Doch ist ein derartiges „autoritäres“ Konzept
      tischer AktivistInnen geraten.33 Die bewusst                      im heterogenen Antifa-Spektrum nicht unum-
      offensiv-martialisch inszenierten Demonstra-                      stritten. KritikerInnen monieren insbesondere
      tionen sollen eine Art warnende Drohgebärde                       die martialische Erscheinungsform als „sin-
      gegenüber der lokalen Mehrheitsgesellschaft                       nentleerte Anwendung militanten Gebarens“38,
      darstellen und diese unmissverständlich auf-                      das an „anreisende Hooligans“39 erinnere
      fordern, sich gegen die Rechtsextremen tat-                       und „so ziemlich jede_n“ Menschen abschre-
      kräftig aufzulehnen. Hierbei handelt es sich                      cke, welcher sich nicht ohnehin schon daran
      also um ein explizit „autoritäre[s] Konzept der                   beteiligen würde.40 Letztlich verkämen „un-
      ,Bestrafung‘ statt ,Aufklärung‘“34, das darauf ab-                vermittelbare ,Drecksnest‘-Demonstrationen“41,
      zielt, die angenommenen Zustände des heim-                        auf denen „schwarz gekleidete Jugendliche,
      gesuchten Ortes „öffentlich zu demaskieren“35                     in römischer Schildkrötenformation“42 Slo-
      und diesen über massenmediale Berichter-                          gans skandierten, die außer ihnen selber kein
      stattung zu diskreditieren. Den Einwohnern                        Mensch nachvollziehen könne, zu einer reinen
      soll unmissverständlich klar gemacht wer-                         „Selbstbespaßung“43.
      den, dass ihr Verhalten keineswegs weiterhin
      toleriert werde und künftig hohe Kosten nach
      sich ziehen könne.36 Dass ein auf diese Weise
      verursachter Imageschaden für eine Kommune                        37 Zit. nach: Bündnis gegen Rechts Leipzig: Kampf den
      tatsächlich empfindliche soziale und ökono-                          braunen Zonen – den rechten Konsens durch-
      mische Folge haben kann, zeigt das Beispiel                          brechen! Keine Räume für Faschisten, 1996, URL:
      Wurzen: Ein renommierter, 1996 veröffentlichter                      https://www.nadir.org/nadir/initiativ/bgr/aufrufe/
      Immobilienführer warnte davor, in die sächsi-                        wurzen96.htm [eingesehen am 03.09.2018].
      sche Kleinstadt umzusiedeln, weil diese „durch                    38 FAU Dresden: Kritische Nachbetrachtung der
                                                                           Demo zur Erinnerung an rechte Ausschreitungen
                                                                           in Heidenau, 06.10.2016, URL: https://dresden.
      33 Vgl. Winter, Marek: Antideutsch in Ostdeutschland                 fau.org/2016/10/kritische-nachbetrachtung-
         – Versuch einer Rekonstruktion, in: Jänicke, Chris-               heidenau/ [eingesehen am 03.09.2018].
         tin / Paul-Siewert, Benjamin (Hg.): 30 Jahre Antifa in
                                                                        39 Ebd.
         Ostdeutschland. Perspektiven auf eine eigenständi-
         ge Bewegung, Münster 2017, S. 177–191, hier S. 178.            40 Ebd.

      34 Bündnis irgendwo in Deutschland: Unversöhnlich in              41   The Future is unwritten – Leipzig: 1. Mai 2017.
         Wurzen, 06.10.2017, URL: https://irgendwo                           Stand up and fight!, 25.03.2017, URL: https://www.
         indeutschland.org/unversohnlich-in-wurzen-                          unwritten-future.org/index.php/1-mai-2017-stand-
         ein-ruckblick-im-newsflyer-des-conne-                               up-and-fight/ [eingesehen am 03.09.2018].
         island/ [eingesehen am 03.09.2018].
                                                                        42 Fatty McDirty – lowerclassmag.com: In
      35 Vgl.: „Rassismus tötet!“ – Leipzig: Antifa: „Gib                  Schildkrötenformation zum SPD-Stand
         mir irgendwas, das bleibt.“ – Überlegungen und                    Antifa, wir müssen reden!, 08.12.2014,
         Reflexionen über die Notwendigkeit, Pogrome zu                    URL: http://lowerclassmag.com/2014/12/in-
         verhindern, April 2018, URL: https://www.inventati.               schildkroetenformation-zum-spd-stand-antifa-
         org/leipzig/?p=4794 [eingesehen am 03.09.2018].                   wir-muessen-reden/ [eingesehen am 03.09.2018]

      36 Vgl. Winter, Marek: Antideutsch in Ostdeutschland              43 Sophie – Interventionistische Linke Leipzig
         – Versuch einer Rekonstruktion, in: Jänicke, Chris-               (Gruppe Prisma): Was tun in Sachsen?,
         tin / Paul-Siewert, Benjamin (Hg.): 30 Jahre Antifa in            Januar 2018, URL: https://blog.interventionistische-
         Ostdeutschland. Perspektiven auf eine eigenständi-                linke.org/bundestagswahl-2017/was-tun-in-
         ge Bewegung, Münster 2017, S. 177–191, hier S. 178 f.             sachsen [eingesehen am 03.09.2018].

Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29.

                                                                                                                                                  27
KEIN RUHIGES HINTERLAND? - AUTONOMER ANTIFASCHISMUS IN DER PROVINZ - FODEX
Demokratie-Dialog 3-2018

            Lokale Bündnisse                                                  aktionswillige zivilgesellschaftliche Kräfte vor
                                                                              Ort existieren, die bereit sind, mit autonomen
            Der missbilligten Autoreferenzialität in den                      antifaschistischen Kreisen zusammenzuarbei-
            Methoden setzen eine Reihe von Kritikern                          ten. Ihre Absenz kann zuweilen dazu führen,
            gänzlich andere Aktionsformen und strategi-                       dass in der Eigenwahrnehmung lokaler An-
            sche Konzepte entgegen, die über den Teller-                      tifas ihnen selbst eine Rolle als „Zivilgesell-
            rand der engeren Szene hinaus wirken. So wird                     schafts-Ersatz“49 zufällt. Darüber hinaus steht
            nicht nur durch selbsterklärte „Dorfantifas“44                    zu vermuten, dass eine lokale antifaschisti-
            nachdrücklich darauf hingewiesen, dass „die                       sche Szene sich vermehrt auf die Wahl kon-
            Wahl der politischen Mittel immer an die Situ-                    frontativer, militanter Mittel verlegt, wenn sie
            ation vor Ort angepasst“45 werden müsse und                       sich einer ihr gegenüber negativ gestimmten
            mithin Praktiken, die in den Metropolen funkti-                   – oder gar feindlich gesinnten – Mehrheits-
            onierten, keineswegs eins zu eins „auf ländli-                    gemeinschaft und kommunalen Institutionen
            che Strukturen“46 übertragbar seien. Vor allem                    ausgesetzt sieht.
            integrative Aktionsformen, wie Sitzblockaden,
            halten sie für geeigneter, weil sie „für gemä-                    Die vielfach eingeforderte, pragmatische Bünd-
            ßigte oder bürgerliche Antifaschist_innen,                        nisfähigkeit provinzieller Antifa-Gruppen weist
            die in Mittel- oder Kleinstädten bei Protesten                    jedoch auch eine gewisse Ambivalenz auf:
            unverzichtbar“47 seien, „gute Anschlussmöglich-                   Lokale Bündnisse, die ursprünglich von anti-
            keiten“48 böten.                                                  faschistischen AktivistInnen ins Leben gerufen
                                                                              worden sind, können letztlich dazu führen,
            Es zeigt sich: Aufgrund der prekären Situa-                       dass sich autonome Antifas als „Adressaten
            tion antifaschistischer Strukturen in ländlich                    für politische Belehrungen und Ermahnungen
            geprägten Regionen sehen zahlreiche Akti-                         seitens der meisten anderen Beteiligten“50
            vistInnen die Notwendigkeit, sich gegenüber                       wiederfinden und sich letztlich „um den politi-
            weiteren Bevölkerungskreisen zu öffnen, um                        schen Gehalt der eigenen Positionen beraubt“51
            temporäre strategische Bündnisse einzugehen                       sehen. Die Gefahren solcher Marginalisierungen
            – gesetzt den Fall, dass überhaupt weitere                        im Zuge einer Bündnisbereitschaft werden da-
                                                                              her auch häufig in Szenepublikationen kritisch
                                                                              reflektiert. Ebenso problematisch erscheint der
            44 Antifa Jugend Brandenburg: Antifa in der Krise?                Balanceakt zwischen Militanz und Bündnisori-
               Diskussionsbeitrag der Antifa Jugend Brandenburg,              entierung: Eine allzu wenig auf Konfrontation
               23.12.2015, URL: http://fightingfor20years.
               blogsport.de/2015/12/23/antifa-in-der-krise-
               diskussionsbeitrag-der-antifa-jugend-
               brandenburg/ [eingesehen am 03.09.2018].                       49 Aussage eines Antifa-Aktivisten in einem In-
                                                                                 terview, zit. nach Schuhmacher, Nils: „Dass es
            45 Ebd.
                                                                                 nicht nur in deiner Stadt, sondern woanders
            46 Antifa Nierstein: „Antifa in der Provinz“. Redebei-               auch so ist“, in: Jänicke, Christin / Paul-Siewert,
               trag auf einer Demonstration in Wurzen 1996, URL:                 Benjamin (Hg.): 30 Jahre Antifa in Ostdeutsch-
               https://www.nadir.org/nadir/initiativ/bgr/kampagne/               land. Perspektiven auf eine eigenständige Be-
               wurzen/nierst.htm [eingesehen am 03.09.2018].                     wegung, Münster 2017, S. 80–95, hier S. 95.

            47 Antifa Jugend Brandenburg: Antifa in der                       50 Schuhmacher, Nils: „Dass es nicht nur in dei-
               Krise? – Diskussionsbeitrag der Antifa                            ner Stadt, sondern woanders auch so ist“,
               Jugend Brandenburg, 23.12.2015, URL: http://                      in: Jänicke, Christin / Paul-Siewert, Benja-
               fightingfor20years.blogsport.de/2015/12/23/antifa-                min (Hg.): 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland.
               in-der-krise-diskussionsbeitrag-der-antifa-jugend-                Perspektiven auf eine eigenständige Bewe-
               brandenburg/ [eingesehen am 03.09.2018].                          gung, Münster 2017, S. 80–95, hier S. 92.

            48 Ebd.                                                           51   Ebd.

 Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29.

28
KEIN RUHIGES HINTERLAND? - AUTONOMER ANTIFASCHISMUS IN DER PROVINZ - FODEX
Alexander Deycke / Sören Isele | Autonomer Antifaschismus in der Provinz

      ausgerichtete, moderate Haltung lokaler Antifas                   unverzüglich erfolgten Rückmeldungen böten
      birgt das Risiko, von großstädtischen Aktivis-                    – sofern nötig – Gelegenheit, eine zeitnahe
      tinnen, auf deren Unterstützungsleistung man                      strategische Kurskorrektur vorzunehmen.54
      angewiesen ist, nicht respektiert zu werden.
                                                                        Alles in allem kann daher vielleicht von einer
      Doch ist die Situation fernab der großstädti-                     Art strategischem Druck „provinzieller“ Be-
      schen Szenekieze nicht ganz so trist, wie es                      dingungen gesprochen werden, welcher dazu
      zunächst den Anschein haben mag. Denn der                         beitragen mag, auch über periphere Regionen
      periphere ländliche Raum bietet auch gewisse                      hinaus – hinein in die Großstädte – rich-
      vorteilhafte Bedingungen intervenierender Ak-                     tungsweisende Impulse einer künftig forcierten
      tionspolitik. So lässt sich die häufig als Bürde                  gesellschaftlichen Kooperationsbereitschaft im
      empfundene fehlende Anonymität innerhalb                          Kampf gegen rechtsextremistische und rechts-
      einer Dorfgemeinschaft gelegentlich auch als                      populistische Umtriebe zu setzen.
      Chance begreifen.52 Vor allem der geradezu
      zwangsläufige, direkte Kontakt zu „normalen“
      MitbürgerInnen, wie er in den Szeneblasen der                     54 Antifa Nierstein: „Antifa in der Provinz“ Redebei-
                                                                           trag auf einer Demonstration in Wurzen 1996, URL:
      Metropolenkieze seltener erfolgt, wird zuwei-
                                                                           https://www.nadir.org/nadir/initiativ/bgr/kampagne/
      len als positiv empfunden – trägt er doch
                                                                           wurzen/nierst.htm [eingesehen am 03.09.2018].
      entscheidend dazu bei, „die eigenen Inhalte
      mit leicht umsetzbaren Aktionen zum Stadt-
      gespräch“53 machen zu können. Die dadurch

      52 Vgl. Was ist Provinz? Über die Arroganz der
         Metropole und die Schönheit der Provinz,
         in: Arranca, H. 4 (1994), URL: https://arranca.
         org/ausgabe/4/was-ist-provinz [eingesehen
         am 01.09.2018]; AK Wantok (Hg.): Perspekti-
         ven Autonomer Politik, Münster 2010, S. 161.

      53 O. V.: Antifa bleibt Landarbeit. Interview mit Tanja,
         einer Aktivistin der Gruppe „contre la tristesse“
         aus Rosenheim, in: Umrisse. Nika Magazin, No. 1,
         URL: http://nikamagazin.blogsport.eu/files/2018/05/
         antifalandarbeit.pdf [eingesehen am 03.09.2018].

                                                                                                        Alexander Deycke,
                                                                                                        geb. 1987, ist wissen-
                                                                                                        schaftlicher Mitarbeiter
                                                                                                        am Göttinger Institut für
                                                                                                        Demokratieforschung und
                                                                                                        arbeitet in der Bundes-
                                                                                                        fachstelle Linke Militanz.

                                                                                                        Sören Isele, geb. 1985,
                                                                                                        arbeitet seit 2016 als
                                                                                                        studentische Hilfskraft
                                                                                                        am Göttinger Institut für
                                                                                                        Demokratieforschung.

Deycke, Alexander; Isele, Sören (2018): Kein ruhiges Hinterland? Autonomer Antifaschismus in der Provinz. In: Demokratie Dialog 3 (2018), S. 20-29.

                                                                                                                                                  29
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