Zur Rechtfertigung von Ho- mophobie in der deutschen Reggae/Dancehall-Szene

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Schriftenreihe:
firme Beiträge gegen die extreme Rechte
Herausgeber_innen: Marcus Buschmüller und Martina Ortner

Zur Rechtfertigung von Ho-
mophobie in der deutschen
Reggae/Dancehall-Szene
Eine empirische Studie

Herausgeber: Marc Grimm
Autoren: Patrick Bellgardt, Benedikt Jaschik, Felix Kugele

Feierwerk e.V.
Fachinformationsstelle Rechtsextremismus
München (firm)
Hansastraße 39-41
81373 München
Telefon 089 72488-410
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Zur Rechtfertigung von Homophobie in der deutschen Reggae/Dancehall-Szene

Vorwort

Seit der erfolgreichen Kampagne von Homosexuellenverbänden gegen die Auftritte des jamai-
kanischen Dancehallmusikers Buju Banton im Jahr 2004, finden die Themen Homophobie im
Reggae und Dancehall und Homophobie auf Jamaika in regelmäßigen Abständen ihren Weg in
die Öffentlichkeit.

Vielfach steht dabei die Situation von Homosexuellen und Homosexuellenverbänden auf Ja-
maika im Fokus. Diverse journalistische Arbeiten1 zeigen, wie die Gesetzeslage, die Gewalt
gegen Homosexuelle und die Einstellungen der Bevölkerung sich ergänzen und offene Homo-
sexualität unmöglich machen.

Die homophoben Texte vieler Dancehallkünstler spiegeln nicht einfach nur die verbreiteten Ein-
stellungen, sondern sind selbst ein Faktor: Wie die im Juli 2012 veröffentliche National Survey
of Perceptions and Attitudes of Jamaicans Towards Same Sex Relationsships2 zeigt, korreliert
die Ablehnung gleichgeschlechtlichen Sexualbeziehungen mit Geschlecht, Bildung und Hör-
verhalten: "Frauen, Personen mit höherem Bildungsgrad und solche, die nicht hauptsächlich
Reggae und Dancehall Music hören, haben tendenziell eine weniger negative Einstellung ge-
genüber Homosexuellen".3

Die Dancehallmusiker regierten auf die Boykotte und Kritik fast durchgängig, indem sie sich
selbst zu Opfer erklärten und kundtaten, sie würden sich weder entschuldigen noch beugen.4
Unterstützung erfuhren sie von deutschen Musikern, die die Kritik an homophoben Texten als
Angriff auf ihre Szene verstanden und mit Hinweis auf die jamaikanische Kultur erklärten.5

1
    Taylor, Diane: "If you're gay in Jamaica, you are dead", in: the Guardian, 02.08.2004;
http://www.guardian.co.uk/world/2004/aug/02/gayrights.gender; zuletzt abgerufen am 20.10.2012
Greenberg, Illan: Murder Music, in: Guernica, 01.12.2012;
http://www.guernicamag.com/features/greenberg_12_1_10/; zuletzt abgerufen am 20.10.2012
2
    Leitung: Ian Boxill, Department of Sociology, Psychology and Social Work, University of the West Indies, Mona,
Jamaika:
http://www.jflag.org/wp-content/uploads/2012/09/2012-ATTITUDES-AND-PERCEPTIONS-OF-JAMAICANS-
TOWARDS-SAME-SEX-RELATIONSHIPS.pdf; zuletzt aufgerufen am 20.10.2012
3
    Vgl. S.3. Übersetzung M.G., Vgl. auch: S.28
4
    Petridis, Alexis: Pride and Predudice, in: the Guardian 10.12.2004;
http://www.guardian.co.uk/music/2004/dec/10/gayrights.popandrock; zuletzt abgerufen am 20.10.2012
5
    Interview von Daniel Bax mit Gentleman; http://www.taz.de/!50795/, zuletzt abgerufen am 20.10.2012

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Zur Rechtfertigung von Homophobie in der deutschen Reggae/Dancehall-Szene

Anzunehmen war, dass die Konsumenten von Dancehallmusik in Deutschland ähnlich argu-
mentieren. Bisher aber gab es hierzu keine Untersuchungen. Unklar war sowohl, wie die Sze-
ne, die sich selbst als weltoffen und tolerant versteht, mit homophoben Texten umgeht, als
auch, wie die Boykotte und die Kritik diskutiert werden. In der vorliegenden Arbeit von Patrick
Bellgardt, Benedikt Jaschik und Felix Kugele werden diese Fragen aufgegriffen. Die Autoren
widerlegen viele in der Debatte immer wieder vorgebrachte Argumente, wonach bspw. die Tex-
te von den Konsumenten nicht verstanden würden. Durch die Integration offener Fragen kön-
nen sie zudem aufzeigen, mit welchen Argumenten die Konsumenten von Reggae ihr Hörver-
halten rechtfertigen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Studie dazu beträgt, dass das Thema weiterhin öffentlich diskutiert
wird und jenen den Rücken stärkt, die nicht gewillt sind, Homophobie zu rechtfertigen und als
Ausdruck jamaikanischer Kultur zu entschuldigen.

Die Arbeit entstand im Rahmen des zweisemestrigen Lehrforschungsprojekt Rechtsextremis-
mus, das ich im Sommersemester 2011 und im Wintersemester 2011/2012 an der Universität
Augsburg angeboten habe.

Augsburg, November 2012

Marc Grimm

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Zur Rechtfertigung von Homophobie in der deutschen Reggae/Dancehall-Szene

1. Einleitung

“One good thing about music, when it hits, you feel no pain”. Dieses Zitat aus dem Song
Trenchtown Rock von Bob Marley & The Wailers scheint heute auf die Musikrichtung des Reg-
gae und Dancehall nicht mehr vollständig zuzutreffen. Nicht nur der Lesben- und Schwulenver-
band in Deutschland (LSVD) zeigte sich in den vergangenen Jahren immer wieder über die
homophoben Inhalte so genannter Battyman Tunes empört. Seit dem Sommer 2004, als meh-
rere Auftritte des jamaikanischen Künstlers Buju Banton unter Druck des LSVD abgesagt wur-
den, scheint dieses Thema in Deutschland angekommen zu sein. Seither kommt es regelmäßig
zu Konzert- bzw. Tourabsagen oder gar zu Forderungen nach einem Einreiseverbot für die In-
terpreten lesben- und schwulenfeindlicher Texte. Auch die Presse nahm sich wiederholt dem
Thema an und sorgte dafür, dass die Thematik einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde.

Innerhalb der Reggaeszene selbst finden in unregelmäßigen Abständen, oftmals durch diese
Anstöße von außen, kontroverse Diskussionen zu homophoben Inhalten in Reggae und
Dancehall Songs statt. Unter anderem in diversen Internetforen1 oder in der Musikzeitschrift
Riddim kommt es zu Auseinandersetzungen mit dieser Thematik. Bisher unerforscht aber sind
die Einstellungen der KonsumentInnen von Reggaemusik und Mitgliedern der Szene, sowohl
was die Einstellung zu homophoben Texten, als auch was die politischen Maßnahmen gegen
einzelne Künstler angeht. Wie also wird der Konsum von Battyman Tunes begründet, wo die
Szene sich selbst als weltoffen und tolerant versteht?

Diese Forschungsarbeit will dieser und weiteren Fragen nachgehen. Hierzu wurden mit Hilfe
eines Online-Fragebogens sowohl quantitative, als auch qualitative Daten innerhalb der Reg-
gaeszene erhoben.

Im Folgenden soll in einem ersten Teil die theoretische Grundlegung im Fokus stehen. Hierzu
wird zunächst eine Begriffsklärung vorgenommen, um im Anschluss eine Einführung in die zu
geben. Der zweite Teil stellt die methodischen Grundlagen vor. Nachfolgend werden die erho-
benen Daten präsentiert.

1
    Hier wären beispielsweise das Forum der größten deutschsprachigen Reggae/Dancehall Community DHM
(www.dhmforum.net) oder das inzwischen eingestellte Projekt Reggae Town (www.reggae-town.de) zu nennen.

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Zur Rechtfertigung von Homophobie in der deutschen Reggae/Dancehall-Szene

2. Theoretische Grundlegung

2.1 Definition von Homophobie

In den Sozialwissenschaften wird Homophobie unter den von Wilhelm Heitmeyer geprägten
Begriff der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit gefasst, zu dem u.a. auch Rassismus,
Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie und die Diskriminierung von Behinderten
gezählt werden können (vgl. Zick 2011: 6).

Wir orientieren uns im Folgenden an den Definitionen von Timmermanns und dem Bündnis ge-
gen Homophobie:

      „Homophobie kann als Aversion oder Intoleranz bzgl. Homosexualität und Homosexuellen sowie
      deren Lebensweisen oder Kultur definiert werden und geht auf den US-amerikanischen Psychothe-
      rapeuten George Weinberg zurück. Einige Forscherinnen und Forscher sehen Homophobie als ei-
      ne irrationale Sorge, weil es keine objektiven Gründe dafür gibt, vor Lesben oder Schwulen und ih-
      ren Lebensweisen Angst zu haben. Diese vorurteilsbehafteten Gefühle stärken Mythen, Stereoty-
      pen, Diskriminierung und Gewalt gegen Menschen, die bi- oder homosexuell leben“ (Timmermanns
      2008: 265).

      „Homophobie ist eine soziale, gegen nicht-heterosexuelle Menschen gerichtete Feindseligkeit. Es
      handelt sich um eine irrationale, sachlich nicht begründete Aversion gegenüber homosexuellen, bi-
      sexuellen und transidenten Menschen und ihren Lebensweisen. Homophobie hat viele Facetten
      und Ausdrucksformen: Diskriminierung, Ausgrenzung und Benachteiligung, Beleidigung, Mobbing,
      Körperverletzung und Sachbeschädigung, Verschwörungstheorien, Hassparolen und Hetzartikel“
      (Bündnis gegen Homophobie).

Der Begriff der Homophobie wird durchaus kontrovers diskutiert. Während Menschen mit klas-
sischen Phobien versuchen die jeweiligen Angst auslösenden Objekte zu meiden, beschäftigen
sich homophobe Menschen teilweise exzessiv mit Homosexualität. Des Weiteren impliziert der
Begriff der Homophobie, dass es sich bei schwulen- und lesbenfeindlichen Vorurteilen um ein
individuelles und klinisches Phänomen handelt. Dementgegen ist festzuhalten: Homophobie ist
ein gesellschaftliches Problem (vgl. Timmermanns 2008: 265).

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Zur Rechtfertigung von Homophobie in der deutschen Reggae/Dancehall-Szene

2.2 Homophobie in Reggae und Dancehall Lyrics

Vorab gilt es anzumerken, dass homophobe Reggae und Dancehall Songs nur einen Bruchteil
des Gesamtspektrums dieser Musikrichtung ausmachen. Es sollte nicht der Fehler gemacht
werden, dieses Genre darauf zu reduzieren. Songs mit homophobem Inhalt werden oftmals
Battyman Tunes genannt. Battyman, batty boy oder auch chi chi man sind abwertende Be-
zeichnungen für homosexuelle Männer und kommen aus der jamaikanischen Kreolsprache,
auch bekannt als Patois (vgl. Jetz 2005: 19).

Die Bandbreite homophober Texte reicht von „einfacher“ Abwertung von Homosexualität, über
religiös begründete Ablehnung bis hin zum Aufruf zu Mord und Gewalt gegen Schwulen oder
Lesben.1

2.3 Die deutsche Reggaeszene und der Umgang mit
        homophoben Texten

Innerhalb der deutschen Reggaeszene finden in unregelmäßigen Abständen durchaus kontro-
verse Diskussionen bezüglich homophober Inhalte in Reggae und Dancehall Songs statt. Einen
Anstoß finden diese Diskurse oftmals durch außen, beispielsweiße durch Konzertabsagen, Ak-
tionen seitens des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland (LSVD) oder auch durch die
Presse, welche in den letzten Jahren zunehmend auf das Thema aufmerksam geworden ist. So
berichteten beispielsweise die taz (vgl. Wrusch 2009; Bax 2010), die Süddeutsche Zeitung (vgl.
Rabe 2010; Brühl 2010) oder die Welt (vgl. Backhaus 2012) mehrfach in diesem Zusammen-
hang.

In Deutschland nahm sich der LSVD im Sommer 2004 der Thematik an, als er mehrere Kon-
zertabsagen für den innerhalb der Szene sehr populären Jamaikaner Buju Banton durchsetzen
konnte. Im Zuge dieses Vorgehens schalteten sich u.a. auch die damalige Bundesbeauftragte
für Menschenrechte, Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) und der damalige FDP-Vorsitzende
Guido Westerwelle ein. Im Fokus der Kritik stand Buju Bantons zum damaligen Zeitpunkt 12
Jahre alter Song „Boom Bye Bye“, von welchem er sich daraufhin öffentlich distanzierte (vgl.

1
    Eine unvollständige Liste von Reggae und Dancehall Songs mit homophoben Texten bietet beispielsweise die
Webseite www.soulrebels.org/dancehall.htm an.

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Zur Rechtfertigung von Homophobie in der deutschen Reggae/Dancehall-Szene

Karnik 2004; Köhlings / Lilly 2004). Die Aufregung in der Reggaeszene war groß und die schon
oftmals angerissene Diskussion über homophobe Texte fand ihren vorläufigen Höhepunkt.
Seitdem kommt es immer wieder zu Konzert- oder Tourabsagen. Als Beispiele wären hier u.a.
Bounty Killer (vgl. Biazza / Kappes 2008), Sizzla (vgl. Brühl 2010) oder Elephant Man (vgl.
Backhaus 2012) zu nennen.

Mit dem so genannten Reggae Compassionate Act (RCA) gab es einen Versuch entsprechen-
de Künstler vertraglich dazu zu verpflichten, homophobe Texte, sowie diskriminierende und
gewaltverherrlichende Inhalte im Allgemeinen, bei Auftritten in Europa zukünftig zu unterlassen.
Die Initiatoren waren u.a. „Outrage!“, eine Organisation, die sich für die Rechte von Homosexu-
ellen in England einsetzt, sowie die jamaikanische Gruppierung „J-Flag“. Da einige Künstler den
Vertrag brachen, sich ausschließlich in Europa daran hielten bzw. ihn gar nicht erst unterschrie-
ben, verlor er jedoch stark an Bedeutung (vgl. laut.de 2007).

Immer wieder ist im Zusammenhang mit homophoben Texten in Reggae und Dancehall Songs
zu hören, dass man doch die jamaikanische Kultur, die Lebensumstände und Sozialisation der
Künstler beachten müsse. Im Zuge dessen werden Konzertabsagen bzw. Einreiseverbote in-
nerhalb der Reggaeszene häufig als „autoritär, überzogen und unsensibel“ bezeichnet (vgl.
Karnik 2004). Der Journalist und Autor Olaf Karnik schreibt in diesem Kontext jedoch: „Wo sich
die deutsche Reggae-Szene nicht von selbst ausdrücklich von Homophobie distanziert, darf sie
sich nicht wundern, wenn ‚Hasstexte’ betroffene Interessenverbände auf den Plan rufen“ (ebd.).
Die offene Ablehnung und Distanzierung von schwulen- und lesbenfeindlichen Inhalten ist eher
die Seltenheit. Auch Solidaritätsbekundungen mit Homosexuellen bleiben aus (vgl. Karnik
2004). „Die Verdrängung des Problems hat vor allem eine Funktion – die Stabilisierung der Illu-
sion einer Eins zu Eins-Aneignung von jamaikanischer Musik und Kultur in Deutschland“ (ebd.).
Ein einfacher Kulturtransfer ist nach Karnik jedoch nicht möglich, da schwulen- und lesbenfeind-
liche Texte in der Musik in Deutschland auf einen völlig anderen kulturellen und historischen
Zusammenhang treffen als in Jamaika.

Ulli Güldner, u.a. Autor des deutschen Riddim-Magazins, bezieht bezüglich homophober Inhalte
eine völlig andere Position. Seiner Meinung nach würden beispielsweise Gewaltverherrlichun-
gen, Sexismus, sowie die komplette Bandbreite an „Kill- und Murder-Metaphern“, die innerhalb
der Dancehall-Kultur in den Songs thematisiert werden, akzeptiert werden, während Battyman
Tunes eher als problematisch gelten (vgl. Karnik 2007: 229f). „Schwulen-Dissing als Element
von Dancehall Entertainment sei (...) hinzunehmen, wenn man sich hundertprozentig mit Reg-
gae identifizieren wolle – so ließe sich Güldners Credo zusammenfassen“, kritisiert Karnik.
(Karnik 2007: 230).

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3. Methodisches Vorgehen

3.1 Forschungsgegenstand & Probanden

In dieser Forschungsarbeit sollen die verschiedenen Ausprägungen und Wahrnehmungen von
Lesben- und Schwulenfeindlichkeit in der Reggaeszene im Hinblick auf Songs mit homopho-
bem Inhalt untersucht und aufgezeigt werden. Hierbei ist mehr die Form der Argumentation der
Befragten von Bedeutung, als die Häufigkeit solcher Einstellungen. Uns interessieren dabei vor
allem die Beweggründe für entsprechende Argumentationsmuster, die bei den einzelnen Pro-
banden zu erkennen waren. Es wurde im Vorfeld der Erhebung davon ausgegangen, dass sich
die Befragten in verschiedene Argumentationsgruppen aufteilen lassen.

Die Probanden, an die sich die Befragung richtete, sind Mitglieder der Reggaeszene allen Al-
ters, wozu wir KonsumentInnen dieser Musikrichtung, Reggaefans, Konzert- und Festivalbesu-
cherInnen, KünstlerInnen, Deejays, sowie alle Personen, die mehr oder weniger regelmäßig mit
Reggae in Berührung kommen, zählen.

3.2 Konzeption und Relevanz der Befragung

Eine Online-Befragung stellte das Erhebungsinstrument dar. Sie wurde als asynchrone Einzel-
befragung durchgeführt, d.h. die Befragten konnten auf einen im Internet bereitgestellten Fra-
gebogen zurückgreifen, der sowohl quantitative, als auch offene, qualitative Fragen beinhaltete.
Eine Kombination erschien sinnvoll, da dadurch die Vorteile beider Methoden zu Tragen kom-
men. So wurden durch qualitative Fragen nicht nur die verschiedenen Argumentationsformen
erkennbar, sondern sie ermöglichten zudem eine Vielzahl an Antwortmöglichkeiten. Der ent-
scheidende Vorteil von quantitativen Fragen war die relativ schnelle Auswertbarkeit. Zudem
konnten uns quantitative Daten, wie beispielsweise Alter und Geschlecht, Auskunft über die
Zusammensetzung der Befragten geben. Die entscheidenden Vorteile einer internetbasierten
Befragung stellten die größere Offenheit der Befragten durch die Anonymität des Internets, so-
wie der Zugang zu speziellen Zielgruppen dar.

Der Online-Fragebogen wurde vom 14.12.2011 bis zum 22.01.2012 in erster Linie in Internetfo-
ren mit dem Hauptthema Reggae/Dancehall veröffentlicht. Hier wären beispielsweise die wohl
größte deutschsprachige Community DHM (dancehallmusic.de), das inzwischen eingestellte

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Zur Rechtfertigung von Homophobie in der deutschen Reggae/Dancehall-Szene

Projekt Reggae Town (reggae-town.de), sowie die Webseite des Chiemsee Reggae Summer
(chiemsee-reggae.de) zu nennen.

4. Die Ergebnisse

4.1 Zusammensetzung der Befragten

Von den 199 befragten Personen ist mit 80,4 % eine deutliche Mehrheit männlichen Ge-
schlechts. Das Durchschnittsalter beträgt 27,17 Jahre. Betrachtet man sich die Zusammenset-
zung nach Altersgruppen, so ist mit 56,06 % die Mehrheit zwischen 20 und 30 Jahren alt.

92,42 % der Probanden haben die deutsche Staatsangehörigkeit, während nur 7,58 % nicht
deutscher Nationalität sind.

Hinsichtlich des höchsten erreichten Bildungsabschlusses geben 38,2 % an, eine Fachhoch-
schulreife bzw. ein Abitur zu besitzen. Etwa ein Viertel der Befragten (26,6 %) hat einen (Fach-
)Hochschulabschluss, 23,1 % einen Realschulabschluss, 2% einen Hauptschulabschluss und
5,5 % sind (noch) ohne Schulabschluss.

Auf die Frage, welche Partei sie wählen würden, wenn am kommenden Sonntag Bundestags-
wahl wäre, gehen die Grünen mit 28,28 % als klarer Favorit hervor. Es folgt die Piratenpartei
(19,7 %), die Linke (11,62 %), die SPD (9,6 %) und die CDU/CSU (8,08 %). Erstaunlich ist die
hohe Zahl der Nichtwähler (13,13 %), sowie der sonstigen Parteien (9,6 %).

Fast drei Viertel (73,87%) haben eine oder mehrere Personen im Bekanntenkreis, die homose-
xuell sind. Demgegenüber stehen folglich 26,13% der Probanden, auf die diese Tatsache nicht
zutrifft.

4.2 Verständnis und Bekanntheit der Texte

Die Frage nach dem Verständnis von Reggae/Dancehall Songs wurde in den Fragebogen auf-
genommen, um herauszufinden, ob die Befragten unter Umständen aufgrund des jamaikani-
schen Patois und/oder der englischen Sprache homophobe Inhalte nicht als solche erkennen
können.

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61,31 % der Befragten geben an, die Lyrics von Reggae/Dancehall Songs größtenteils zu ver-
stehen, 24,62 % sogar vollständig. Demgegenüber stehen nur 13,57 % mit der Antwort „teilwei-
se“, sowie lediglich 0,5 %, denen die Texte gar nicht verständlich sind.

Darüber hinaus kennen 96,48 % die Debatte bezüglich homophober Inhalte, während nur 3,52
% dies verneinen. Das Phänomen scheint folglich nahezu jedem Hörer und jeder Hörerin be-
kannt zu sein. Die Frage, ob so genannte Battyman Tunes gehört werden, weil man sie als sol-
che nicht erkennt, kann folglich verneint werden.

4.3 Hörverhalten bei homophoben Inhalten

60,8 % der Befragten geben an, grundsätzlich Reggae/Dancehall Songs mit homophoben Inhal-
ten zu hören, während 33,67 % dies nicht tun. 5,53 % antworten in diesem Zusammenhang mit
„weiß nicht“.

Die Frage nach dem Hörverhalten in Bezug auf so genannte Battyman Tunes wurde durch die
Frage nach einer Begründung der jeweiligen Antwort qualitativ ergänzt. Hierbei sollten die ver-
schiedenen Argumentationsmuster aufgedeckt werden, um diese gegebenenfalls zu Gruppen
zusammenzufassen.

Betrachtet man zunächst die Gruppe derjenigen, die keine Songs mit lesben- bzw. schwulen-
feindlichen Texten hören (33,67 %), so lassen sich mehrere Argumentationsarten erkennen.

Homophobe Inhalte werden aufgrund von Werten wie Toleranz, Weltoffenheit oder dem Recht
auf sexuelle Selbstbestimmung abgelehnt. Die Diskriminierung bzw. Diffamierung von Men-
schen hinsichtlich ihrer Sexualität sei nicht zu akzeptieren und dürfe nicht unterstützt werden.
Jeder, der entsprechende Songs hört, trage zur Verbreitung der beinhalteten Botschaft bei. So
schreiben beispielsweise zwei der Befragten:

          „Da ich eine positive Einstellung gegenüber Menschen egal welcher sexuellen Orientierung habe,
          finde ich Diffamierungen gegen egal wen, nicht akzeptabel und höre mir dies auch nicht an, da
          ich Patois zu 90 Prozent verstehe und sprechen kann“ (vgl. Fragebogen (im Folgenden: FB),
                          1
          R006_01, 53).

          „Generell hör ich solche Songs nicht, weil ich die Meinung dieser Künstler in der Hinsicht nicht
          teile. Jeder sollte sein Leben so leben dürfen wie er es möchte und für richtig hält“ (vgl. FB,
          R006_01, 51).

1
    Die im Folgenden zitierten Aussagen der Befragten sind unverändert aus dem Fragebogen übernommen worden.

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Die Aussagen bzw. Einstellungen der Künstler werden in diesem Fall nicht geteilt und klar ab-
gelehnt. Aus diesem Grund hören die Befragten keine Songs mit homophoben Inhalten, distan-
zieren sich von ihnen und lehnen diese bewusst ab.

Ein weiterer Argumentationsstrang ist, dass Homophobie nicht zu Reggae passen würde. Wäh-
rend in manchen Texten von Gleichberechtigung, Einheit und Freiheit die Rede sei, wird in an-
deren offen gegen Homosexuelle gehetzt. Dies stelle einen klaren Widerspruch dar. Dement-
sprechend passen solche Texte nach den Aussagen einiger Befragten nicht in dieses Bild und
werden somit auch nicht gehört.

        „Ich finde es passt einfach nicht zum Reggae. Sonst singen sie immer von Gleichberechtigung
       und Gerechtigkeit aber dann sind sie gegen Homosexualität. Das ist keine Gleichberechtigung
       wenn man nicht alle Sexualitäten respektiert“ (vgl. FB, R006_01, 122).

Des Weiteren werden so genannte Battyman Tunes aufgrund der Behandlung der Thematik als
solches nicht gehört.

        „Das Thema Homosexualität interessiert mich nicht. Ich will Musik mit angenehmen Themen hö-
       ren oder auch Themen die mich interessieren. Das Thema Homosexualität ist für mich eher be-
       lästigend“ (vgl. FB, R006_01, 121).

In diesem Zusammenhang werden Songs mit homophoben Inhalten nicht gehört, da die The-
matik als uninteressant, langweilig oder gar belästigend empfunden wird. Hier kann nicht
zwangsläufig von einer klaren Distanzierung entsprechender Aussagen gesprochen werden.

Ein letzter hier anzuführender Grund, keine Songs mit lesben- oder schwulenfeindlichen Inhal-
ten zu hören, ist die persönliche Bekanntschaft mit Homosexuellen - sei es in der Familie oder
im Freundeskreis.

        „Ich habe viele homosexuelle Freunde, aus Respekt denen gegenüber meide ich Tunes mit ho-
       mophoben Inhalten“ (vgl. FB, R006_01, 26).

Hier spielt offenbar die persönliche Erfahrung mit Homosexuellen die ausschlaggebende Rolle
für die Ablehnung homophober Songs.

Während sich die Gruppen derjenigen, die keine Songs mit lesben- bzw. schwulenfeindlichen
Texten hören hinsichtlich ihrer Argumentationsvielfalt noch relativ übersichtlich darstellt, ergibt
sich für die Gruppe der HörerInnen (60,80 %) ein höchst mannigfaltiges Bild.

Songs mit homophoben Lyrics werden wegen ihrer musikalischen Qualität bzw. dem Rhythmus,
der Stimmung, der Melodie etc. unabhängig von ihrem Text gehört. Der transportierte Inhalt
wird in diesem Fall ausgeblendet oder aber in Kauf genommen.

        „Ich verurteile schwulen- bzw. lesbenfeindliche Texte und würde sie wenn ich selbst auflege
       nicht spielen, im privaten höre ich mir einige wenige schwulen- lesbenfeindliche lieder an, aller-

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       dings nur wenn sie mich musikalisch so weit überzeugen dass ich die Texte ausblenden kann“
       (vgl. FB, R006_01,15).

       „Weil sie mir UNABHÄNGIG vom Inhalt gefallen...Inhalt eines Liedes ist nicht das wichtigste um
       Gefallen an dem Lied zu haben“ (vgl. FB, R006_01, 60)!

Die Befragten, die dieser Gruppe angehören, unterstützen demnach die entsprechenden Aus-
sagen nicht zwangsläufig selbst, doch blenden sie diese bewusst aus, wenn sie in ihrer Ansicht
nach musikalisch wertvollen Songs vorkommen.

Ein weiteres Argumentationsmuster stellt das unbeabsichtigte Hören von Songs mit lesben-
oder schwulenfeindlichen Inhalten dar. So können sich entsprechende Lieder beispielsweise
auf Mixtapes und Compilations befinden oder auf Partys und sonstigen Veranstaltungen ge-
spielt werden. Der jeweilige Hörer bzw. die jeweilige Hörerin hat sich infolgedessen nicht unbe-
dingt bewusst für den Konsum dieser Musik entschieden.

        „Ich höre immer den ganzen Songkatalog eines Künstlers. Befinden sich auch homophobe Text-
       stücke in Liedern, höre ich diese somit auch. Ich lösche nicht einzelne Songs aus Alben nur weil
       sie mir inhaltlich nicht zusagen“ (vgl. FB, R006_01,104).

       „Bewusst höre ich das nicht, es bleibt zum teil nicht aus (ältere mixtapes etc.), ist zum teil auf
       dances unumgänglich (ich werde mit hier nicht die ohren zuhalten)“ (vgl. FB, R006_01, 31).

Diese beiden Aussagen zeigen jedoch auch, dass das Bewusstsein, was da gerade für Inhalte
durch die Songs transportiert werden, durchaus vorhanden ist. Eine ausdrückliche Distanzie-
rung zu Homophobie wird hier nicht vorgenommen, vielmehr scheinen auch hier entsprechende
Texte toleriert bzw. ausgeblendet zu werden.

In eine völlig andere Richtung geht die Argumentation, dass die Aussagen so genannter
Battyman Tunes zu tolerieren bzw. zu respektieren seien. Hier wird auf den religiösen bzw. kul-
turellen Hintergrund der Künstler verwiesen.

        „Ich bin ein weißer Mitteleuropäer der in Deutschland aufgewachsen ist. Auf Jamaika ist Homo-
       sexualität seit Ende des 18. Jahrhunderts Illegal. Schwierig für mich das zu ändern, aber nicht
       unbedingt schwierig zu verstehen da ich die kulturellen Hintergründe kenne. Deshalb ignoriere
       ich diesen Fakt bzw. toleriere Ihn bgei Künstlern die ich gerne höre. Nur weil Sizzla gegen schwu-
       le ist, hör ich nicht auf seine Musik zu hören und zu mögen“ (vgl. FB, R006_01, 222).

       „Weil, obwohl ich selber nichts gegen homosexuelle habe, ich akzeptieren kann und muss, das
       es menschen gibt, die aus sozialem oder religiösen background“ (vgl. FB, R006_01, 5).

Es wird deutlich, dass diese Gruppe der Befragten die Aussagen der Künstler tolerieren bzw.
akzeptieren, jedoch kann nicht notwendigerweise von einer homophoben Einstellung der Pro-
banden selbst ausgegangen werden.

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Zur Rechtfertigung von Homophobie in der deutschen Reggae/Dancehall-Szene

In eine ähnliche Richtung geht die Argumentation, dass schwulen- und lesbenfeindliche Äuße-
rungen mit dem Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt seien.

         “Free Speech find ich super. Wenn jemand es so dringend sagen will das er schwule nicht mag,
         soll er doch. Ich hör mir das an, und bilde mir meine meinung“ (vgl. FB, R006_01, 232).

Die Frage, die sich hier dennoch zwangsläufig stellt, ist, wie weit Toleranz und Meinungsfreiheit
gehen sollten, schließlich werden in einigen Texten durchaus offen zur Gewalt gegen Lesben
und Schwule aufgerufen.

Ein weiteres Argumentationsmuster stellt die These dar, dass die Texte metaphorisch als Stil-
mittel bzw. Kunstform zu verstehen seien. Desweiteren zielen einige Aussagen der Befragten
darauf ab, dass die Lyrics nicht ernst zu nehmen seien bzw. als schlichte Provokation angese-
hen werden müssen.

         „Texte sind meiner Meinung nach nicht ernstzunehmen, ist reine Kunst, mal mit mehr oder weni-
         ger Ernst bzw. Realitätsbezug“ (vgl. FB, R006_01, 214).

         „Ähnlich wie beim HipHop ist Provokation für mich ein Stilmittel, Texte sollte man nicht wörtlich
         nehmen“ (vgl. FB, R006_01, 70).

In der Tat beinhalten einige Texte unter Umständen tatsächlich Metaphern, doch ändert dies
nichts an der Tatsache, dass die Lyrics zumindest in Jamaika auf eine weit verbreitete homo-
phobe Einstellung seitens der Bevölkerung treffen. Zudem handelt es sich bei anderen Song-
texten um deutliche Aussagen, die nur schwer missinterpretiert werden können.

Das letzte Argumentationsmuster, das hier skizziert werden soll, stellt die tatsächliche Überein-
stimmung mit der Aussage lesben- und schwulenfeindlicher Songs dar. In diesem Fall vertritt
der Hörer bzw. die Hörerin die Inhalte so genannter Battyman Tunes und hört sie aus diesem
Grund.

         „Ich hör die Songs hauptsächlich weil sie mir gefallen. Aber ich bin auch gegen schwule und
         Lesben, da ich das nicht natürlich finde. Wenn es nur noch Menschen mit so einer Einstellung
         geben würde, dann würden wir aussterben. Deshalb kann so etwas nicht gewollt sein. Aus die-
         sem Grund finde ich auch Lieder mit solchen Inhalten ok (vgl. FB, R006_01, 246).

         „Weil ich Homosexualität nicht richtig finde. Ich will NICHT das Schwule und Lespen desswegen
         bestraft oder diskrimminiert werden, sondern dass ihnen geholfen wird wieder in ein ‚normales‘
         Leben zurück zu kommen. Denn meiner Ansicht und den ergebnissen einiger Studien kann man
         Homosexualität auch als Psychisch/Sexuelle Krankheit einstufen“ (vgl. FB, R006_01, 236).

Homosexualität wird von dieser Gruppe der Befragten offen abgelehnt. Gewalt oder Diskriminie-
rung wird in diesem Zusammenhang jedoch nicht befürwortet bzw. zumindest nicht gefordert. In
diesem Zusammenhang könnte die persönliche Einstellung der Probanden eine wichtige Rolle
spielen und demnach den Ausschlag geben, Songs mit homophobem Inhalt zu hören.

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Zur Rechtfertigung von Homophobie in der deutschen Reggae/Dancehall-Szene

Neben den beiden im Vorherigen vorgestellten Gruppen der HörerInnen und Nicht-HörerInnen
gibt es diejenigen, die nicht wissen, ob sie Reggae und Dancehall Songs mit homophoben In-
halten hören (5,53 %). Hier lässt sich erkennen, dass aufgrund eines fehlenden Textverständ-
nisses seitens der Befragten keine Aussage darüber getroffen werden kann.

4.4 Einstellung zu Konzertabsagen bzw. Einreisever-
       boten
Etwa drei Viertel der Befragten (76,38 %) halten Konzertabsagen bzw. Einreiseverbote für nicht
geeignet. Demgegenüber sind 15,58 % der Meinung, dass solche Sanktionen durchaus sinnvoll
sind. 8,04 % antworten auf die Frage mit „weiß nicht“.

Die Frage, ob Konzertabsagen bzw. Einreiseverbote für Künstler mit schwulen- beziehungswei-
se lesbenfeindlichen Texten sinnvoll sind, wurde auch an dieser Stelle zusätzlich bewusst mit
der qualitativen Methode erhoben, womit sich nochmals unterstreichen lässt, welche Argumen-
tationsweisen es hierzu in der Reggaeszene gibt.

So lässt sich bei der Gruppe der BefürworterInnen (15,58 %) ein komplexes Muster verschie-
denster Argumentationsweisen erkennen. Einreiseverbote und Konzertabsagen werden für
sinnvoll erachtet, da Menschen bei Konzerten durch homophobe Inhalte diskriminiert und belei-
digt werden könnten. Außerdem werden die Themen Toleranz und Akzeptanz angesprochen,
die einen sehr hohen Stellenwert in der Gruppe der BefürworterInnen einnehmen. An dieser
Stelle wird klar, dass die Würde des Menschen und die Werte, die in modernen Gesellschaften
unserer Zeit für selbstverständlich erachtet werden sollten, bedeutende Argumentationsmuster
für die Befragten darstellen. Aussagen wie beispielsweise „Es sollen alle Menschen akzeptiert
werden“ (vgl. FB, R008_01, Nr. 17) oder „Bin gegen jede Art von Diskriminierung“ (vgl. FB,
R008_01, Nr. 212) lassen erkennen, dass hier eine eindeutige Distanzierung und Ablehnung zu
homophoben Einstellungen vorgenommen wird. Unterstützt wird dieses Argumentationsmuster
durch die Forderung nach einem aktiven Vorgehen.

       „Es gilt ein Zeichen gegen Homophobie, Rassismus und Gewalt zu setzen“ (vgl. FB, R008_01,
       Nr. 156).

       „Solche Künstler, die gegen Menschen egal welcher Herkunft, sexuellen Orientierung hetzen,
       sollten nicht in Deutschland auftreten“ (vgl. FB, R008_01, Nr. 53).

Ein weiterer wichtiger Teil dieser Gruppe legt den Fokus auf die Künstler selbst, die für die Hö-
rerInnen und die Fans eine gewisse Vorbildfunktion haben und somit auch maßgeblich Einfluss
auf diese nehmen können. Darüber hinaus müsse sich der jeweilige Künstler an gewisse Richt-

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Zur Rechtfertigung von Homophobie in der deutschen Reggae/Dancehall-Szene

linien und Vorschriften halten, da Texte mit homophoben Inhalten ihrer Meinung nach nichts in
Deutschland verloren hätten. Zusätzlich wird die Meinung vertreten, dass die Künstler durch
Sanktionen auf der einen und finanziellen Druck auf der anderen Seite zu einem Umdenken
bewegt werden könnten.

Demgegenüber steht die Gruppe, die sich gegen Konzertabsagen bzw. Einreiseverbote aus-
spricht (76,38 %).

Im Kontrast zur Menschenwürde wird auf das Recht auf freie Meinungsäußerung verwiesen:

       „Es soll eine freie Meinungsäußerung zu dem Thema geben“ (vgl. R008_01, Nr. 154).

       „In Deutschland haben wir eine Meinungsfreiheit, Leute die lesbisch oder schwul sind brauchen ja
       nur nicht diese Bands hören“ (vgl. FB, R008_01, Nr. 246).

Konzertabsagen und Einreiseverbote würden einfach nichts bringen, da man die Einstellung der
Künstler nicht ändern könne und diese sich auch meistens nicht davon beeindrucken lassen.
Ein zentraler Punkt in den Argumentationsmustern findet sich in dem Ansatz, dass man den
Dialog suchen und die Ursachen bekämpfen müsse, anstatt die Tore zu verschließen und nur
die „Symptome“ zu bekämpfen. Dies trage lediglich zu einer Verschärfung des Konflikts, insbe-
sondere zwischen dem LSVD und den Reggaefans, bei.

       „Dies ist nur eine stumpfe Symptombekämpfung die den falschen Schadet und an der eigentli-
       chen Problematik nichts ändert“ (vgl. FB, R008_01, Nr. 11).

Reggaefans sehen sich in dieser Frage auch benachteiligt gegenüber Anhängern und Künstlern
anderer Musikrichtungen. So verweisen sie darauf, dass andere diskriminierende und men-
schenverachtende Künstler und Bands auftreten dürfen, dies in den Medien jedoch ein weitaus
geringeres Aufsehen erregt als das Problem, das in der Reggaeszene vorherrscht. Besonders
rechtsextreme Künstler und Bands, die nicht selten homophobe Inhalte in ihren Texten zum
Besten geben, könnten ungehemmt performen.

       „Bands mit Rechten Leidtexten spielen auch in Deutschland und kein Mensch kümmert sich da-
       rum“ (vgl. FB, R008_01, Nr. 46).

Auch die Tatsache, dass der Papst ungehindert in Deutschland einreisen und Reden halten
könne, wird hier angesprochen.

Es lässt sich zudem eine Gruppe erkennen, die versucht das ganze Thema herunterzuspielen
und das Problem zu umgehen. Sie argumentieren, dass Texte mit homophobem Inhalt nicht oft
gesungen werden, vor allem nicht in Deutschland, und die Anzahl dieser Texte im Allgemeinen
zurückgeht.

       „Wenn besagte Künstler auf Deutschlands Parties auftreten, verlieren sie im Regelfall kein Wort
       über ihre Einstellung zur Homosexualität“ (vgl. FB, R008_01, Nr. 99).

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Zur Rechtfertigung von Homophobie in der deutschen Reggae/Dancehall-Szene

Anknüpfend an diesen Punkt wird auf die Bedeutungsgehalt des Wortes „schwul“ eingegangen,
da behauptet wird, es handle sich um ein gebräuchliches Schimpfwort, das jeder Schüler in
Deutschland zwar als herabwertendes Wort benutzten würde, aber in seiner eigentlichen Be-
deutung mit der Lebenseinstellung von Menschen gar nichts zu tun habe.

Die Probanden verweisen darauf, dass das Problem vorwiegend in Jamaika herrscht, da dort
gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften verboten sind und die Motivation homophobe Tex-
te zu schreiben, kulturell motiviert ist.

        „Homophobie gehört zur jamaikanischen Kultur und damit ist klar, dass es in den Texten jamai-
        kanischer Künstler auch eine Rolle spielt“ (vgl. FB, R008_01, Nr. 250).

In Deutschland hingegen existiere das Problem nicht, da es sich hier um keine vorherrschende
Einstellung handle, sondern um ein von den Medien aufgeputschtes, politisch konstruiertes
Thema, das die Wirklichkeit verzerren würde. Auch an dieser Stelle spielt der Dialog eine wich-
tige Rolle. Verträge mit Künstlern, die sich verpflichten Texte mit homophobem Inhalt nicht zu
performen, würden weitaus mehr bringen als Konzerte abzusagen oder Einreiseverbote zu ver-
hängen. Zudem müsse ein Umdenken in Jamaika stattfinden und nicht in Deutschland, da die
meisten Reggaefans hier alt genug seien und wissen würden, wie sie mit Texten mit homopho-
bem Inhalt umgehen. Einige sind der Meinung, dass viele ReggaehörerInnen sowieso nicht ver-
stehen würden, was in den Musikstücken gesungen wird und es deshalb nicht so schlimm sei,
solche Musik zu hören bzw. zu spielen.

Ein letzter Ansatz zu dieser Thematik findet sich in der Argumentation wieder, es handle sich
nur um ein Racheakt der Schwulen und Lesben, die versuchen würden um Aufmerksamkeit zu
ringen, da sie sonst keiner beachten würde.

    „Diese ‚texte’ sind hier verboten und werden nicht mehr vorgetragen , deshalb ist ein vebot nichts
    weiter als ein racheakt von schwulen gegenüber der ReggaeSzene, […] Eins is aber ja wohl klar,
    durch konzertabsagen entsteht mit sicherheit keine schwulenfreundlichkeit , dadurch wird der "hass"
    auf schwule höchstens erst vorangetrieben“ (vgl. FB, R008_01, Nr. 32).

5. Fazit
Abschließend bleibt festzuhalten, dass mit 60,80 % ein hoher Anteil der Befragten so genannte
Battyman Tunes hört. Die Bereitschaft innerhalb der deutschen Reggaeszene Songs mit les-
ben- und schwulenfeindlichen Texten zu tolerieren, auszublenden bzw. zu ignorieren ist dem-
entsprechend durchaus vorhanden, was auch die dargestellten Argumentationslinien bestäti-
gen. Auch die Tatsache, dass mit insgesamt 85,93 % eine eindeutige Mehrheit der Befragten
angibt, die Lyrics von Reggae/Dancehall Songs größtenteils oder sogar vollständig zu verste-

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Zur Rechtfertigung von Homophobie in der deutschen Reggae/Dancehall-Szene

hen, spricht für diese These. Darüber hinaus ist überwältigenden 96,48 % die Debatte bezüglich
homophober Inhalte ohnehin bekannt. Die Frage, ob so genannte Battyman Tunes nur gehört
werden, weil sie als solche nicht erkannt werden, muss also in den meisten Fällen verneint
werden.

Hier liegt zwar nicht notwendigerweise unter den Probanden selbst eine Aversion gegen
Schwule oder Lesben vor, nichtsdestotrotz war bei einigen Wenigen eine offene Ablehnung von
Homosexualität und somit womöglich eine Übereinstimmung ihrer persönlichen Einstellung mit
den durch die Songs transportierten homophoben Inhalte zu erkennen.

Hinsichtlich der Frage nach Konzertabsagen bzw. Einreiseverbote für Künstler mit homophoben
Texten halten etwa drei Viertel der Befragten (76,38 %) solche Maßnahmen für nicht sinnvoll.
Hier fällt auf, dass sich trotz aller diskriminierenden Inhalte mehrfach auf die in Deutschland
herrschende Meinungsfreiheit berufen wird. Zudem wird auf den kulturellen und religiösen Hin-
tergrund des jeweiligen Künstlers verwiesen und aufgrund dessen, Toleranz für schwulen- und
lesbenfeindliche Ansichten eingefordert. Statt Konzertabsagen oder gar Einreiseverbote wird
ein zunehmender Dialog zwischen den Schwulen und Lesben auf der einen und der Reggaes-
zene auf der anderen Seite gefordert, da nur so die verhärteten Fronten wieder aufgebrochen
werden könnten. Überhaupt bedürfe es einer Bekämpfung der Ursachen homophober Einstel-
lungen in den jeweiligen Herkunftsländern der Künstler.

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Zur Rechtfertigung von Homophobie in der deutschen Reggae/Dancehall-Szene

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Autorenangaben:
Bellgardt, Patrick, Jaschik, Benedikt, Kugele, Felix,
Alle sind Studenten der Sozialwissenschaften an der Universität Augsburg

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