Klagenfurter Geographische Schriften Heft 28 - Eine Zukunft für die Landschaften Europas und die Europäische Landschaftskonvention

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Klagenfurter Geographische Schriften Heft 28 - Eine Zukunft für die Landschaften Europas und die Europäische Landschaftskonvention
Klagenfurter
                 Geographische
                 Schriften Heft 28
                 Institut für Geographie und Regionalforschung
                 der Universität Klagenfurt 2012

Hans Peter JESCHKE und Peter MANDL (Hrsg.)

Eine Zukunft für die Landschaften Europas
und die Europäische Landschaftskonvention
Klagenfurter Geographische Schriften Heft 28 - Eine Zukunft für die Landschaften Europas und die Europäische Landschaftskonvention
Titelblatt: „Unsere Umwelt beginnt in der Wohnung und endet in der Weite der Landschaft“
Aus: IVWSR (1973): Wiener Empfehlungen. Luxemburg. In: Jeschke, Hans Peter (Hrsg.)
    (1982): Problem Umweltgestaltung. Ausgewählte Bestandsaufnahme, Probleme, Thesen
    und Vorschläge zu Raumordnung, Orts- und Stadtgestaltung, Ortsbild- und
    Denkmalschutz, Landschaftspflege und Umweltschutz. Verlag Stocker, Graz.
    (= Schriftenreihe für Agrarpolitik und Agrarsoziologie, Sonderband 1)

Medieninhaber (Herausgeber und Verleger):
Institut für Geographie und Regionalforschung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Universitätsstraße 65-67, A-9020 Klagenfurt

Herausgeber der Reihe:       Ass.-Prof. Mag. Dr. Peter MANDL
                             Prof. Mag. Dr. Friedrich PALENCSAR

Schriftleitung:              Prof. Mag. Dr. Friedrich PALENCSAR

Redaktionelle Betreuung:     Dipl.-Ing. Stefan JÖBSTL, Bakk.
Webdesign und –handling:     Natalie SCHÖTTL, Dipl.-Geogr. Philipp AUFENVENNE

ISBN 978-3-901259-10-4

Webadresse: http://geo.aau.at/kgs28
Klagenfurter Geographische Schriften Heft 28 - Eine Zukunft für die Landschaften Europas und die Europäische Landschaftskonvention
Hans Peter Jeschke, Peter Mandl (Hrsg.) (2012): Eine Zukunft für die Landschaften Europas und
die Europäische Landschaftskonvention. Institut für Geographie und Regionalforschung an der
Alpen-Adria Universität Klagenfurt. Klagenfurter Geographische Schriften, Heft 28.

      DIE „STUMMEN ZEUGEN“ DES NATIONALSOZIALISTISCHEN TERRORS IN
       EUROPA - METHODEN UND INSTRUMENTE ZUR INVENTARISIERUNG,
      INWERTSETZUNG, VISUALISIERUNG UND PFLEGE VON DENKMAL- UND
                      ERINNERUNGSLANDSCHAFTEN
                                    Hans Peter JESCHKE

Das Beispiel der Region Mauthausen / Gusen (Cultural heritage and memorial
landscape Mauthausen / Gusen)

1.      Die monströse topographische Dimension des Terrors in Europa - Die „stummen
        Zeugen“ in der Landschaft
1.1     Ideengeschichtliche Entwicklung und Veränderung der Gedenkstätten
      Die Gedenkstätten
Die Disziplin der Gedenkstättenpädagogik will insbesondere dazu beitragen, dass „[...]
Auschwitz nicht noch einmal sei“ (W. Adorno). Gleichzeitig soll die Erinnerung und das
Gedenken an die in den Konzentrationslagern und an anderen Orten ermordeten und
geschundenen Opfer des Nationalsozialismus in die jeweils nächste Generation in die jeweils
nächste Generation tradiert werden. Die Gedenkstättenarbeit und die wissenschaftliche
Grundlagenforschung hiefür basieren u.a. auf dem immateriellen und materiellen Erbe, das in
verschiedener Weise alle Funktionen eines Erinnerungsortes und anderer historischer Relikte
von zeitgeschichtlicher Bedeutung in den Landschaften Europas unterstützt.
Ohne auf die Ideengeschichte der Gestaltung von Gedenkstätten im Detail einzugehen, kann
doch festgehalten werden, dass sich frühe Gestaltungsinitiativen schwerpunktmäßig auf
Friedhöfe und Monumente bezogen und später die Einrichtung von Museen erfolgte, die mit
einer Rückwirkung auf die Sicherung und Präsentation der Außenanlagen einherging.
Hernach folgten museale Techniken auf Außenanlage und teilweise Inszenierungen. Der
Aspekt eines Erinnerungsmales und dessen Präsentation überlagert jedoch nach wie vor die
anderen bereits genannten Funktionen eines Gedenkstättenareals. Zudem wurden die
Gedenkstätten lange Zeit nach ihrem Erscheinungsbild und weniger nach ihrer historischen
Bedeutung bewertet (Skriebeleit 2002, S. 15). So wurde z. B. „die Gedenkstätte Mauthausen
lange Zeit nahezu als einziger Ort der Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen
wahrgenommen und so der Blick auf die Monstrosität des Lagers Gusen, das nur wenige
Kilometer von Mauthausen entfernt bestanden hatte und in dem mehr Menschen ums Leben
gekommen waren als im Lager Mauthausen selbst, durch die Monopolisierung des Gedenkens
in Mauthausen verstellt“ (Berz 2003, S. 9).
      Funktionen und Bedeutung der „stummen Zeugen“ als Mahnmal
Eine besondere und steigende Bedeutung haben dabei die räumlich in Erscheinung tretenden
zeitgeschichtlichen Relikte als „stumme Zeugen“ in der Landschaft. Dies wird schon sehr
früh durch die Worte des prominenten Zeitzeugen Primo Levi eindrucksvoll illustriert: „Was
wollt ihr mit diesen verseuchten Baracken, diesen alptraumartigen Gittern, den Abortreihen,
den Öfen und Galgen machen?“, hätte ein Großteil von uns, glaube ich, geantwortet: „Weg
mit allem. Ebnet alles ein, macht alles dem Erdboden gleich, zusammen mit dem Nazismus
und allem, was deutsch ist!“ Das hätten wir gesagt (viele haben auch tatsächlich so geantwor-

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tet, den Stacheldraht niedergerissen, die Baracken angezündet), und wir hätten uns geirrt. Die
Schrecken konnten nicht ausgelöscht werden. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte verlieren
jene Reste nichts von ihrer Bedeutung als Mahnmal, im Gegenteil, sie gewinnen an
Bedeutung. Sie lehren besser als jede Abhandlung oder jedes Memorandum, wie
unmenschlich das Hitler-Regime war, auch in seiner Wahl von Schauplätzen und Archi-
tekturen (Ausstellungseröffnung in der Galleria San Fedele in Mailand 1986, S. 163).
1.2  Topographie des nationalsozialistischen Terrors – Überblickshinweise für
Europa (Täter – und Opferperspektive)
Zweifellos gehören in Europa daher die Areale der Konzentrationslager mit ihren baulichen
und sonstigen Zeugnissen, KZ-Überresten und damit im Funktionszusammenhang stehenden
weiteren historischen Relikten in der jeweiligen Region selbst zu den Hauptexponaten. Dies
gilt es daher auch in den Vordergrund zu stellen. Dies bedarf insbesondere der Erklärung, der
Interpretation und Bewertung, wohingegen die Gedenkstättenbauten als interpretative
Elemente gesehen werden müssen. Die Abbildung 1: „Topographie des Terrors“ markiert mit
ausgewählten Zentren der NS-Gewaltherrschaft in graphisch reduzierter Form die monströse
räumliche Dimension des Terrors in Europa. All diese Areale, Zentren, Objekte,
Nutzungsstrukturen und Marschrouten der Häftlinge etc. in verschiedenen Ausprägungen,
haben ein zeitgeschichtliches Potential, das mit neuen Methoden der GIS- und 3D-
Technologie verbessert zu nutzen ist.

Abb. 1: Topographie des nationalsozialistischen Terrors in Europa - Standorte zentraler
Lenkungseinrichtungen oder Lenkungsinitiativen für den Völkermord in Europa. In dieser Darstellung sind aus
graphischen Gründen mehrere Informationen zusammengefasst. (Konzept und Bearbeitung © Dipl.-Ing. Dr. H.P.
Jeschke)
Klagenfurter Geographische Schriften Heft 28 - Eine Zukunft für die Landschaften Europas und die Europäische Landschaftskonvention
DIE „STUMMEN ZEUGEN“ DES NATIONALSOZIALISTISCHEN TERRORS IN EUROPA - METHODEN
UND INSTRUMENTE ZUR INVENTARISIERUNG, INWERTSETZUNG, VISUALISIERUNG UND PFLEGE
VON DENKMAL- UND ERINNERUNGSLANDSCHAFTEN                                    511
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a)    Standorte zentraler Lenkungseinrichtungen oder Lenkungsinitiativen für den
Völkermord in Europa (Bezeichnung in schwarzer Schrift)
Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei (Heinrich Himmler) mit dem Reichsicher-
heitshauptmann, Sicherheitsdienst des Reichsführers SS und der Geheimen Staatspolizei
(GESTAPO) in Berlin.
Dachau war als „Musterlager“ das erste Konzentrationslager, erstes Schulungszentrum 1933 –
1942 (Systematisierung des Terrors durch die Konzeption der „Lagerordnung“ und
„Strafvorschriften“, die im Prinzip bis zum Kriegsende gegolten haben) und erster Standort
der Inspektion der Konzentrationslager 1933 – 1942.
Das Konzentrationslager Oranienburg/Sachsenhausen war Inspektion der Konzentrationslager
ab 1942 – 1945 und Wirtschaftsverwaltungs-Hauptamt mit zentraler Lenkungs- bzw.
Leitungsfunktion für sämtliche KZ-Lager im „T-Gebäude“ sowie ab 16.3.1942 mit der
zentralen Lenkungsaufgabe für den gesamten „Arbeitseinsatz“ der Häftlinge für die Rüstungs-
industrie betraut.
Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion (Reichsminister A. Speer) in Berlin
Wewelsburg/ Paderborn war Konzentrationslager und geplantes Zentrum der SS-Weltan-
schauung.
„Wannseekonferenz“ am 20.11.1942 in Berlin.
b)     Konzentrationshauptlager und Vernichtungszentren
Die Darstellungen beziehen sich aus graphischen Gründen nur auf die zwei angeführten
Kategorien. Als ergänzender Hinweis zur Gesamtzahl der Zentren des Terrors muss erwähnt
werden, dass es von 1933 – 1945 insgesamt im Machtbereich des Nationalsozialismus 17
verschiedene Kategorien von Terrorstätten (Konzentrationslager, Nebenlager bzw. sonstige
Außenkommandos, Vernichtungszentren, Ghettolager, Zuchthäuser mit Hinrichtungsstätten
etc.) und weit über 10.000 Lager (G. Schwarz 1996, S. 261) gab.
1.   KZ-Hauptlager (Standort und Bezeichnung in roter Farbe)
Als KZ-Hauptlager werden jene 23 Lager in ganz Europa bezeichnet, die nach 1936 als große
mit eigenständiger Verwaltung ausgestattete Konzentrationslager mit insgesamt ca. 1202
Außenkommandos (G. Schwarz 1996, S. 179) eingerichtet wurden. Eine dieser Hauptlager
(Mauthausen / Gusen) wird im Punkt 5 beispielhaft auf Grund der neuen Konzepte
vorgestellt. Anzumerken ist, dass der Lagerkomplex Mauthausen / Gusen selbst wieder mehr
als 40 Außenlager in der Ostmark hatte bzw. Ziel von Todesmärschen war, die in der
Abbildung 2 nicht dargestellt sind.
2.   Vernichtungszentren
Die auch als Todes-, Vernichtungslager oder Vernichtungszentren (H. Weinmann, 1990)
bezeichneten 8 Stätten verfügen neben der SS-Infrastruktur und Tötungseinrichtungen nur
über „Häftlings-Sonderkommandos“ für die Tätigkeit der sofortigen Vernichtung der
Verschleppten und daher über keine Strukturen zur Unterbringung von größeren
Häftlingsgruppen. Diese „Häftlings-Sonderkommandos“ wurden „von Zeit zu Zeit ausge-
tauscht“, d.h. ermordet und durch andere „Arbeitsfähige“ ersetzt (G. Schwarz, 1996). Unter
den genannten Orten befindet sich Auschwitz/Birkenau, das Vernichtungsstätte und
Konzentrationslager war. Auschwitz wird daher auch in der Aufstellung der Konzentrations-
hauptlager mitgenannt. Wegen dieser historischen Funktion und herausragenden Bedeutung
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für den Völkermord bzw. als Gedenkstätte (assoziative Bedeutung) hat die UNESCO
Auschwitz im Rahmen der internationalen Welterbekonvention als Weltkulturerbe unter
Schutz gestellt.
c)    „Häftlingseinsatz“ in SS-Wirtschaftsunternehmen und der Rüstungsindustrie
(Auswahl). Die Standorte sind kartografisch nicht ausgewiesen.
      SS – Wirtschaftsunternehmen
Das Wirtschaftsimperium der SS bestand mit dem Stand 30. September 1943 aus neun
Fachgruppen (Stahl W., Amt W I Steine und Erden, Amt W II Steine und Erden Ost, Amt W
III Ernährungsbetriebe, Amt W IV Holzbearbeitungsbetriebe, Amt W V Land-, Forst- und
Fischwirtschaft, Amt W VI Textil- und Lederverwertung, Amt W VII Buch und Bild, Amt W
VIII Sonderaufgaben) mit 34 Einzelunternehmungen. Stellvertretend für die große Anzahl
werden genannt: Deutsche Ausrüstungswerke GmbH, Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH,
Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung GmbH, Gesellschaft für Textil –
und Lederverwertung GmbH, Ostindustrie GmbH und Gusthoff – Werke (Hutterberger 2003).
      Rüstungsindustrie
In zahllosen Firmen erfolgte in unterschiedlicher Intensität ein „Häftlingseinsatz“. Im Bereich
der Rüstungsindustrie können 39 Unternehmen besonders genannt werden. Davon werden
hier herausgehoben: AEG, BMW, Borsig, Flick–Konzern, Ford, Gustloff–Werke, Heinkel,
IG-Farben, Junkers, Klöckner, Krupp, Messerschmitt, Reichswerke Hermann Göring,
Rheinmetall, Siemens – Schuckert, Steyr – Daimler Puch (Hutterberger 2003).
1.3     Zum Verlust und zur Veränderung der authentischen Orte, des Gesamtgefüges,
        der Struktur und des Umfeldes von Gedenkstätten und anderer zeitgeschichtlich
        bedeutsamer Orte und Objekte
Die Veränderung der ehemaligen KZ-Areale und deren Umgebung hat im Laufe der Zeit ein
anderes Aussehen und eine andere Wahrnehmung der historischen Überreste mit sich
gebracht: Die „schöne Natur“ in Gedenkstättenarealen wirkt vielfach im Unterschied zu
überfüllten Baracken lieblich, nachwachsende Bäume verändern die Landschaft, und der
Verfallszustand der Gebäude macht nur schwer nachvollziehbar, wie sie vor mehr als 60
Jahren gewirkt haben (Lutz, Gedenkstätten S. 44). Weitere aktuelle Veränderungen der Areale
der ehemaligen Konzentrationslager etc. sind exogen durch neue Nutzungsansprüche an das
historische Gelände selbst und dessen Umgebungsbereich (Bauland, Verkehrsinfrastruktur,
Mineralrohstoffentnahmen etc.) und endogen durch Ausstellungs- sowie Tagungsbauten, und
vor allem durch viele Vorhaben des „memorial landscaping“ gegeben. Die Banalität der
Relikte und die Nichterkennbarkeit der Inferiorität der Geschehnisse am historischen Ort
verleitet viele Gestalter und Architekten mit weiträumigen Projekten der Landschafts- und
Baugestaltungswettbewerbe das vielfach noch vorhandene historische Gefüge von KZ-
Arealen zu verändern, überlagern und damit zu zerstören (Leo 1998, S. 25). Die Spuren der
Vergangenheit sollen u.a. durch neue „gestalterische Achsenkonzepte“, also durch
landschaftsgärtnerische     Mittel   (Wald    und    Park     etc.)   oder   „künstlerische
Gestaltungen“„sichtbar“ gemacht werden.
Darüber hinaus sind nachhaltige Veränderungen der Umgebung – es werden keine
Umgebungsschutzzonen ausgewiesen - und der Verlust vieler Relikte in diesen Zonen im
Laufe der Zeit zu beklagen.
Klagenfurter Geographische Schriften Heft 28 - Eine Zukunft für die Landschaften Europas und die Europäische Landschaftskonvention
DIE „STUMMEN ZEUGEN“ DES NATIONALSOZIALISTISCHEN TERRORS IN EUROPA - METHODEN
UND INSTRUMENTE ZUR INVENTARISIERUNG, INWERTSETZUNG, VISUALISIERUNG UND PFLEGE
VON DENKMAL- UND ERINNERUNGSLANDSCHAFTEN                                    513
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                                           Abb. 2: Der Steinbruch „Wiener Graben“ in seiner
                                           3 D-Visualisierung mit einem Aufklärungsfoto der
                                           amerikanischen Luftwaffe und (im Hintergrund)
                                           einem Orthofoto 2001. Unterhalb der markierten
                                           Funktionsfläche des Steinbruchs sind deutlich die
                                           SS-Kasernenbaracken (vor dem unmittelbaren
                                           Eintritt in das KZ Mauthausen-Gelände durch das
                                           Jourgebäude) zu erkennen. Links vor den
                                           genannten Kasernengebäuden sind Ausschnitte des
                                           „Krankenlagers“ („Russenlager“) zu sehen.

                                           Abb.3: Der Steinbruch „Wiener Graben in
                                           seiner 3 D-Visualisierung mit dem Orthofoto
                                           2001 und der gleichen Markierung wie in Abb. 2.
                                           Deutlich sind die Veränderungen des historischen
                                           Geländes zu sehen. Die SS-Kasernenbaracken
                                           wurden in den Nachkriegsjahren abgetragen. Auf
                                           den Fundamentterrassen befindet sich jetzt ein
                                           weitläufiger Hain der „Denkmäler der Nationen“.
                                           Gleiches     gilt  für    das    Gelände     des
                                           „Krankenlagers“, der sich als Wiesenfläche mit
                                           einem durch eine kleine Allee gestalteten
                                           Denkmal zur Erinnerung an die inhaftierten und
                                           ermordeten Sowjetbürger darstellt.
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Abb. 4: Steinbruch „Wiener Graben“ mit der „Todesstiege“ (Foto: H. Hutterberger)

Abb. 5: Steinbruch „Wiener Graben“. Ruine des Steinbrechers im östlichen Teil des
Steinbruchs (Foto: H. Hutterberger)
Klagenfurter Geographische Schriften Heft 28 - Eine Zukunft für die Landschaften Europas und die Europäische Landschaftskonvention
DIE „STUMMEN ZEUGEN“ DES NATIONALSOZIALISTISCHEN TERRORS IN EUROPA - METHODEN
UND INSTRUMENTE ZUR INVENTARISIERUNG, INWERTSETZUNG, VISUALISIERUNG UND PFLEGE
VON DENKMAL- UND ERINNERUNGSLANDSCHAFTEN                                     515
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2.     Historische Orte und ihre authentischen Spuren in der Landschaft „zum
       Sprechen bringen“ – Kontextualisierung und Visualisierung
2.1    „Zum Sprechen bringen“ – Hinweise zu Ausgangslage
    „Missverhältnis zwischen Erfahrung, die wir gemacht hatten und dem Bericht, der
darüber möglich war“
Gerade weil die Aura der Authentizität und der (scheinbaren) historischen „face to face“–
Begegnung „vor Ort“ für sehr viele Menschen einen faszinierenden Reiz entfaltet, hoffen
besonders junge Besucher, dass sie bei dem Aufenthalt die Geschichte möglichst „authen-
tisch“ und sinnlich erfahren können. Immer wieder berichten Gedenkstättenpädagogen über
die Enttäuschung der Besucher, wenn das Gesehene nicht diesen Erwartungen entspricht.
Viele Besucher, gerade wenn sie zu der Generation gehören, die mit dem Fernsehen
aufgewachsen ist, erwarten eine Filmkulisse, wo doch die historische Wirklichkeit nur
annäherungsweise nachzuvollziehen ist (Lutz 1995, S. 44). Denn so authentisch z.B. der Ort
des Geschehens, Baulichkeiten und andere „vor Ort“ gegebenen Sach-, Bild- und
Schriftquellen auch sein mögen, dem vergangenen und damit für immer absenten
geschichtlichen Geschehen selbst und dem Handeln und Leiden der einst damit verbundenen
Menschen begegnet man an solchen Orten keineswegs direkt, sondern nur in Spuren bzw.
„Zeugnissen“.
Der Gedenkstättenarbeit wird so bei allen noch so gelungenen Ausstellungsversuchen ein
Ungenügen vor der Wirklichkeit des Genozids zu eigen sein, das von dem KZ-Häftling
Robert Antelme bereits 1947 mit dem „Missverhältnis zwischen Erfahrung, die wir gemacht
hatten und dem Bericht, der darüber möglich war“ artikuliert wurde (Jelich 1994, S. 87).
    Kontextualisierung und Visualisierung
Da diese „authentischen“ Orte nicht für sich selbst sprechen, müssen sie in zutreffender Weise
erklärt und interpretiert werden (Lutz 1995, S. 44). Die Objekte als Zeichenträger, verlangen
daher nach einer Kontextualisierung, nach einer Rück- und Anbindung der Sachzeugnisse an
das Hauptexponat, den Ort sowie die baulichen Denkmale etc. des Konzentrationslagers und
somit die Darstellung des Nationalsozialismus am Ort des Geschehens, in der die
Nachbarschaft von Tat, Täter und Tatort und damit die gesamtgesellschaftliche
Verantwortung sinnfällig wird (Morsch, Überlegungen 1994, S. 89 ff).
Der Begriff „Visualisierung“ bezeichnet die Kommunikation von Informationen durch
bildliche Darstellungen. Visualisierungen werden eingesetzt, um komplexe Sachverhalte und
Zusammenhänge möglichst einfach und anschaulich darzustellen. Zusätzlich haben
Visualisierungen in der Planung oder Geographie die Funktion, Ideen und Entwürfe auf den
Raum zu beziehen, um eine visuelle Bewertung von Eingriffen in die natürliche und/oder
gebaute Umwelt zu ermöglichen. Damit kommt der Visualisierung eine Schlüsselrolle zu,
denn erst durch sie können z.B. die Auswirkungen eines Eingriffes auf die Landschaft
beurteilt werden.
Basierend auf den Ergebnissen der historischen Grundlagenforschung erfolgte mit Hilfe von
historischen Flugbildern der amerikanischen Luftwaffe, aktuellen Orthophotos und
Katasterunterlagen in einem geographischen Informationssystem eine neuartige Identifi-
zierung noch historischer Elemente und Nutzungsformen sowie eine Visualisierung der
Landschaftsentwicklung.
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    „Zum Sprechen bringen“ und Erinnerungspotentiale fruchtbar werden lassen
Die Gedenkstättenkonzeption des Deutschen Bundestages sieht u.a. vor, dass „die
authentischen Orte, gerade bei wachsendem zeitlichem Abstand für die Nachgeborenen
erschlossen und „zum Sprechen gebracht“ werden müssen. Dazu gehört, zunächst die Spuren
der baulichen Überreste zu sichern und in didaktisch-pädagogischer Perspektive
aufzubereiten.“ Dabei dient die Vermittlung historischen Wissens an den authentischen Orten
„der von Generation zu Generation jeweils neu zu gestaltenden Selbstvergewisserung
mitmenschlicher und demokratischer Grundlagen individuellen und gesellschaftlichen
Handelns“. Mit geeigneten Methoden, die der Identität von historischem Ort und Lernort
Rechnung tragen und die deshalb besonders geeignet sind, „soll das in den authentischen
Orten angelegte Erinnerungs- und Aufklärungspotential fruchtbar werden zu lassen“
(Deutscher Bundestag 1998, S. 242-243).
2.2     Ziele und Grundsätze der Visualisierung
Das vorgeschlagene Konzept mit den genannten Methoden und Instrumenten spricht u.a.
folgende Ziele der Identifikation, Inventarisierung, Gedenkstättenpädagogik und Pflege an.
a) Grundsätze

      Umfassende Identifikation
Es ist daher notwendig, dass die Vielzahl der authentischen Orte und Objekte, gerade bei
wachsendem zeitlichem Abstand für die Nachgeborenen verbessert erschlossen und „zum
Sprechen gebracht“ werden. Dazu gehört, zunächst die Spuren der baulichen Überreste und
andere Relikte (z.B. Marschrouten etc.) zu sichern und in didaktisch-pädagogischer
Perspektive aufzubereiten. Um sie aber in einen Bedeutungszusammenhang zu stellen, ist ein
interpretierender Umgang unbedingt notwendig, eine Einbettung in den historischen Kontext
und eine Präsentation, die die Betrachterinnen und Betrachter zur Reflektion auffordert. Nur
dann wird auch die Bedeutung der Relikte sichtbar.
  Unterstützung der Entkräftung der revisionistischen Manipulation z.B. der Zahl der
Opfer und Leugnung der planmäßigen, industriell durchgeführten Ermordung
Durch die Visualisierung des Konzentrationshauptlagers und anderen Anlagen des NS-
Terrors in ihrem räumlichen bzw. technischen Gesamtausmaß wird die funktionelle Ratio-
nalisierung des Terrors im KZ-System nach 1936 erfassbar und damit die Absicht bzw.
Planmäßigkeit eines systematischen Völkermordes verdeutlicht. Damit wird die Entkräftung
einzelner revisionistischer (Bailer–Galanda 1996, S. 19) Argumentationslinien (Leugnung der
Absicht und Planmäßigkeit des Völkermordes (Bailer – Galanda 1996, S. 26) und Zweifel an
der Zahl der Opfer, die in immer neuen Varianten vorgebracht werden (Neugebauer 1996, S.
164 ff.) etc.), nachhaltig unterstützt.
b) Die räumliche Dimension

   Gegenstand der Visualisierung und Kartierung: Das „Gehäuse der Gewalt“ – Ein
Konzentrationslager bestand nicht nur aus einer Ansammlung von Holzbaracken!
Für die Visualisierung der Konzentrationslager müssen wir uns die idealtypische Ausformung
des „Gehäuses der Gewalt“ (Walter Sofsky) in Erinnerung rufen. Der genannte Autor (2002,
S. 62 ff.) skizziert in seinem Buch „Die Ordnung des Terrors“ die typische Raumordnung der
KZ-Lager nach 1936. „Die Modernisierung des KZ-Systems ab 1936 erweiterte nicht nur die
Funktionen der Lager, sie rationalisierte auch die Ordnung des Raums. Die Macht besetzte
DIE „STUMMEN ZEUGEN“ DES NATIONALSOZIALISTISCHEN TERRORS IN EUROPA - METHODEN
UND INSTRUMENTE ZUR INVENTARISIERUNG, INWERTSETZUNG, VISUALISIERUNG UND PFLEGE
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den Raum und wandelt ihn vollständig um. Die Geographie des modernen Konzentra-
tionslagers ist nicht das Resultat einer Geschichte, sondern eines idealen Plans, der auf
historische oder natürliche Bedingungen keine Rücksicht nimmt.“ „Die verschiedenen
Funktionsbereiche des Konzentrationslagers wie Häftlingsbereich, SS-Verwaltungsbereich
und Arbeitseinsatzbereich bestimmten die sozialen Bedingungen im Lager und repräsentierten
unterschiedlichste Lebensverhältnisse und Machtperspektiven“ (Skriebeleit 2002, S. 22). „Die
Aktivitäten wurden funktional entmischt, Arbeitsorte, Unterkünfte und Exekutionsstätten
räumlich getrennt. Das Lagergelände wurde „zoniert“, in Regionen aufgeteilt. Auf den
Lagerplänen erkennt man eine typische Geographie, eine klare Addition von Distrikten und
Feldern ... Ein Konzentrationslager bestand nicht nur aus einer Ansammlung von
Holzbaracken. Je nach Ausbaustadium befanden sich auf seinem Areal Werkstätten,
Fabrikhallen und landwirtschaftliche Betriebe, Heizwerk und Löschteich, Kasernen und
Büros, Bordell und Kino, Kantinen, Lazarette, Gefängnis und Krematorium. Vollständig
ausgebaut war es eine komplette Ortschaft mit Straßennetz und Gleisanschluss, eine Stadt für
Personal und Gefangene, in der tausende, zeitweilig zehntausende Menschen untergebracht
waren. In seiner modernen Standardform ist das Lager eine geschlossene Ortschaft mit
Einrichtungen, die der Infrastruktur einer Stadt entsprechen. Das Machtzentrum lag im
Verwaltungsbezirk (...). Für die Wohnhäuser der SS-Führer war ein Gebiet im Grünen
reserviert“ (...). Während die Offiziere in einer Grünzone wohnten, waren die
Wachmannschaften in eigenen Unterkünften mit eigener Infrastruktur (Kantine und
Krankenrevier, Waffenmeisterei, Garagen, Schießstände, Sportplatz und für die Streifen, ein
Hundezwinger etc.) untergebracht.
    Räumliche Visualisierung als Hilfestellung für die Gedenkstättenpädagogik und
damit Unterstützung neuer raumbezogener Bildungsziele, die durch die Methoden der
Historischen Geographie und ihrer „Raum-Zeit-Kompetenz“ vermittelt werden können.
+        Der Lernende/Besucher soll wissen, dass geschichtliche Prozesse sich in Räumen
abspielen, erfahren, dass jeder Raum geschichtlich geworden ist, einsehen, dass Räume in
verschiedenen Zeiten anders bewertet worden sind, beurteilen, welche Bedingungen und
wann zur Inwertsetzung oder Umwertung eines Raumes geführt haben, zur Überzeugung
gelangen, dass der Raum den Gestaltungsprozess nicht determiniert, sondern dass geistige
Kräfte, gesellschaftliche Bewegungen und technisch-ökonomische Rahmenbedingungen
gleiche Räumen sehr differenziert gestalten können (W. Sperling).
+        Unterstützung der Darstellung des monströsen Ausmaßes des NS-Terrors in Europa
durch die Visualisierung der historischen Situation.
+        Hilfestellung für eine pädagogische Neukonzeption der Besucherführung innerhalb
und außerhalb des jeweiligen Lagerkomplexes (z.B. Sichtbarmachung aller KZ-
Funktionsbereiche, der in der weiteren Umgebungslandschaft vorhandenen Relikte,
historische Zugangswege der Häftlinge, der Objekte der Täterperspektive etc.).
    Hilfestellung für die Sicherung des zeitgeschichtlichen Erbes für die Zukunft
+       Grundlagenforschung im Rahmen eines Pflegewerkes für das zeitgeschichtliche
Erbe;
+         Hilfestellung für ein Pflegewerk zur Sicherung des zeitgeschichtlichen Erbes ange-
sichts einer kompetenzmäßig aufgeteilten Verantwortung (Bund, Land und Gemeinden).
518                                                                   HANS PETER JESCHKE

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    Topographisch orientierte Beforschung der Zeitzeugendokumente – ein
Desideratum?
Ähnliches gilt auch bei der Dokumentation und Auswertung von Zeitzeugenberichten. In
vielen Projekten der Zeitzeugenbefragung finden sich lebensgeschichtliche Berichte, vielfach
ohne Abfragemodus zum authentischen Ort, also die topographische Orientierung. Viele
Befragungs- und Dokumentationsprojekte waren bisher auf die Auswertungen der Lebens-
und Überlebensgeschichte der Opfer ausgerichtet, eine Fragestellung zur Topographie des
Terrors in den Konzentrationslagern ergab sich „zufällig“ und wurde wissenschaftlich meist
nicht angestrebt.
3.     Wissenschaftliche Modelle der europäischen Historischen Raumwissenschaften
       und der UNESCO zur Identifizierung des historischen Ortes mit seinen authen-
       tischen Elementen
Wie soll nun der „authentische Ort“ oder was von ihm als Relikt noch besteht, zum „Sprechen
gebracht“ werden? Mit welchen Methoden soll dies geschehen? Was ist vom ursprünglichen
„authentischen Ort“ noch übrig? Was verdient überhaupt diese Bezeichnung? Was soll
rekonstruiert, archäologisch freigelegt und konserviert werden?
Das Wort „authentisch“ hat, meist relativ abstrakt diskutiert, in den letzten 10 Jahren in der
Gedenkstättenliteratur eine große Karriere gemacht. Obwohl schon 1994 G. Morsch den Ort
in den Mittelpunkt der Gedenkstättenarbeit gerückt hat, ist der „authentische“ Ort weder
methodisch und instrumentell operationalisiert worden. Vielfach hat sich die bisherige
wissenschaftliche Diskussion auf baulichen Objekten (bauliche oder archäologische Relikte)
beschränkt. Die Gedenkstättenarbeit und die Grundlagenforschung verblieben bei den
Historikern, Pädagogen und Denkmalpflegern. In unserem Zusammenhang muss auf die
Aspekte der Authentizität von Objekten und auch von ganzen Landschaftsräumen
eingegangen werden. Für die Betrachtung der historischen Orte sind daher auch das Gefüge,
die Strukturen etc. und deren Authentizität in ihrer Auffächerung (Authentizität in der Form,
Material, Technik, Funktion und des Gebietes) mit zu berücksichtigen (Petzet 1995, S. 89).
a) Der Ansatz der Historischen Geographie bzw. des planerischen und städtebaulichen
   Schutzes und der Pflege des Kulturgutes
Die Kulturlandschaft im raumplanerischen bzw. geographischen Sinne ist geschichtlich
gewachsen und ist einem stetigen Wandel unterworfen. Die Angewandte Historische Geo-
graphie inventarisiert, analysiert und bewertet aus ihrer Raum-Zeit-Komponente historische
Strukturen und historische Substanz in der heutigen Kulturlandschaft bzw. auch gewachsener
bzw. historischer Kulturlandschaften als Ganzes.
Bei der Darstellung der Kulturlandschaftsgeschichte als historisch-genetische Erklärung
finden die Begriffe „Struktur“ und „Gefüge“ wichtige Verwendung. Eine Struktur beschreibt
z.B.    räumlich     zusammenhängende      Kulturlandschaftselemente    und     Kulturland-
schaftsbestandteile nach ihrem Aufbau und ihrer Gliederung unter Berücksichtigung zwischen
ihnen bestehender Beziehungen und funktionaler Zusammenhänge sowie der Prozesse ihrer
Bildung. Ein Gefüge beschreibt eine Gesamtheit von aufeinander bezogenen
Kulturlandschaftselementen und Kulturlandschaftsbestandteilen nach ihrer Form und
Verteilung sowie räumlichen Anordnung und Ausrichtung zueinander. . Damit werden z.B.
nicht nur mehr oder minder sichtbare bauliche Objekte und Strukturen, Fundamente bzw.
archäologische Reste, sondern auch z.B. historische Raumnutzungen aus der Zeit der NS-
Gewaltherrschaft und historische Wege (Transportwege, Marschrouten der Häftlinge etc.)
DIE „STUMMEN ZEUGEN“ DES NATIONALSOZIALISTISCHEN TERRORS IN EUROPA - METHODEN
UND INSTRUMENTE ZUR INVENTARISIERUNG, INWERTSETZUNG, VISUALISIERUNG UND PFLEGE
VON DENKMAL- UND ERINNERUNGSLANDSCHAFTEN                                          519
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erfasst, die in ihrer Gesamtheit das „Gehäuse der Gewalt“ und die „Ordnung des Terrors“
(Walter Sofsky) abbilden.
b) Cultural heritage landscape / relict landscape und ihre assoziative Bedeutung – das
     Modell der UNESCO als wissenschaftlicher Bezugsrahmen
Da Auschwitz als memoriales Kulturerbe von Weltbedeutung auf der Welterbeliste steht und
damit als weltweit bedeutende Gedenkstätte unter Schutz steht, liegt es nahe das fachliche
Instrumentarium (Begriffe, Schutzkategorien, Pflegekonzepte) als Grundlage für neue
Strategien zu nutzen.
Die UNESCO hat für das Kulturerbe und Kulturlandschaften (Cultural heritage landscape) ein
weltweites wissenschaftliches Modell samt Pflegekonzeption (Cleere 1999 und Rössler 1999)
entwickelt, das international als fachlicher Bezugsrahmen auch für Objekte außerhalb der
UNESCO-Welterbeliste dienen kann. Dieses Modell umfasst unter anderen 3 Kategorien von
Kulturlandschaften, darunter den Typus der Reliktlandschaft. In Kulturlandschaften dieses
Typs sind evolutive Prozesse der Gestaltung durch den Menschen beendet. Die bedeutenden
charakterisierenden Merkmale sind jedoch in materieller Form noch sichtbar. Die assoziative
Bedeutung von Kulturlandschaft ist in der 3. Kategorie beschrieben. Assoziative
Landschaften sind Landschaften, mit denen der Mensch besonders herausragende religiöse,
künstlerische, kulturelle oder historische Implikationen verbindet. Diese Implikationen sind
kausal mit der Landschaft verbunden und können auch nicht sichtbar sein (UNESCO 2003).
Damit liegt ein Einordnungsrahmen für das Areal von Mauthausen Gusen als Cultural
heritage landscape vom Typus einer relict landscape mit assoziativer Bedeutung von
europäischem Rang vor, der zusammen mit der Europäischen Landschaftskonvention für das
gegenständliche Projekt im Sinne der Historischen Geographie Anwendung findet.
Im deutschen Sprachgebrauch wird für cultural heritage landscape auch Historische
Kulturlandschaft bzw. teilweise Denkmallandschaft, ein Begriff der Denkmalkunde (T.
Breuer) verwendet. Für die weiter unten vorgestellte Ausstellung wurden neben den
englischen Termini die Begriffe „Denkmallandschaft“ und im Hinblick auf die assoziative
Bedeutung „Erinnerungslandschaft“ gewählt.

4.     Instrumente der GIS- und 3D-Technologie für die verbesserte Kontextualisierung
       und Visualisierung der Topographie des Terrors
a) Vom Relikt oder Detail zum Gesamtsystem

Vor Ort lässt sich die regionale Topografie des Terrors heute nur noch aus Fragmenten
rekonstruieren. Die meisten dieser isoliert erhaltenen Teile sind unspektakuläre Objekte und
Bauwerke, Pfosten, Fundamentreste oder kurze Abschnitte von Mauern und Zäunen. Anlass
sich zu erinnern, bieten sie jedoch allein durch ihre Eigenschaft, ein Teil einer „Memorial
Landscape“ zu sein. Erinnerung aber bedarf auch der Information. Information, die das
Erinnerte in einen Kontext stellt und damit fragmentarische Erinnerungen ergänzt Um die
historische Bedeutung der Relikte, die das zentrale Kriterium für den Denkmalwert ist,
erfassen zu können, bedarf es vieler Blickwinkel: Da das System des KZ-Hauptlagers als
Ganzes bzw. in seiner regionalen Ausformung nicht mehr existiert, müssen sich solche
Aspekte heute über die aussagekräftigen Fragmente erschließen oder in ihrem Kontext
vermittelt werden. Vom Detail zum Gesamtbild, ein ungewöhnlicher Weg der
Informationsvermittlung, aber ein vielschichtiger und abwechslungsreicher.
520                                                                   HANS PETER JESCHKE

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Bei einem derartig komplexen Untersuchungsobjekt können gedruckte Publikationen oft nur
einen unzureichenden Überblick über den Bestand geben. Beim Hin- und Herblättern
zwischen Text, Abbildungen, Plänen und Karten in unterschiedlichen Maßstäben ist es oft
schwierig – gerade im Hinblick auf die topographischen Zusammenhänge -, den Überblick zu
behalten. Ähnliches gilt für bisherige Präsentationen im Internet. Hier setzen
Geoinformationssysteme (GIS) an. Sie erweitern die Darstellungs- und Analysemöglichkeiten
einer konventionellen Datenbank um eine räumliche Komponente. Die in der Datenbank
erfassten Objekte unterschiedlicher Natur lassen sich im Rahmen von georeferenzierten
Karten und Luftbildern darstellen und analysieren. Zugleich ermöglichen Zoom- und
Ausschnittwahlfunktionen sowohl den Blick auf die Gesamtstruktur der Gedenklandschaft als
auch auf das Detail. Geoinformationssysteme überzeugen dabei durch ihre Anschaulichkeit.
Nicht nur Objekte, auch Ereignisse und Persönlichkeiten mit Ortsbezug lassen sich hier
darstellen.
b) Geoinformationssystem - Eine historisch-geographische Objektdokumentation und
Visualisierung der regionalen Topographie des Terrors
Aufgabe eines Geoinformationssystems ist die Zusammenfassung der erhobenen Daten,
Verwaltung, Analyse und Publikation (Digital, analog und auch online). Für die Objekt-
darstellung im Kontext dynamischer Karten und historischer bzw. rezenter Luftbilder des
Geoinformationssystems werden Daten aus ganz unterschiedlichen Quellen aufbereitet,
strukturiert und verknüpft. Ziel ist, einen vollständigen Überblick über alle Reste und Spuren
des jeweiligen Areals, hier die Memorial Landscape Mauthausen – Gusen / St. Georgen zu
geben. Die Objektdaten werden in der Datenbank tabellarisch verwaltet. Neben den
verschiedenen Objekten und ihren Eigenschaften werden Orte, Bereiche und Bilder erfasst.
Personen und Institutionen, Ereignisse sowie Archivalien und Literatur ergänzen das
Datenset. Über die Verknüpfung dieser Datenbestände erweitern sich die
Objektinformationen. Zusammenhänge und Hintergründe lassen sich veranschaulichen. So
lässt sich z.B. schnell der Bestand an Bildern, Literatur und Dokumenten überschauen, der zu
einem bestimmten Objekt vorhanden ist. Darüber hinaus ermöglicht die Einbindung
mehrstufiger Such- und Sortierfunktionen in allen Bereichen der Datenbank eine schnelle
Auswahl nach frei wählbaren Kriterien. Mit der Erfassung weiterer Eigenschaften erweitern
sich die Darstellungs- und Analysemöglichkeiten der Objekte. Dazu gehört z.B. die
Zugehörigkeit zu bestimmten Befundschwerpunkten, der Denkmalstatus eines Objektes oder
das Errichtungsdatum.
DIE „STUMMEN ZEUGEN“ DES NATIONALSOZIALISTISCHEN TERRORS IN EUROPA - METHODEN
UND INSTRUMENTE ZUR INVENTARISIERUNG, INWERTSETZUNG, VISUALISIERUNG UND PFLEGE
VON DENKMAL- UND ERINNERUNGSLANDSCHAFTEN                                    521
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5.     Zur Topographie des nationalsozialistischen
Terrors in der Region Mauthausen, Gusen und St.
Georgen. Ein Beispiel einer Denkmal- und               Mauthausen / Gusen
Erinnerungslandschaft von europäischer Bedeutung

                                                           H. P. Jeschke
                                                                           cultural heritage and

5.1   Anlass und Ausgangslage für das Projekt „Memorial Landscape
authausen/Gusen“ - Zwei Initiativen der Republik Österreich
Zwei Initiativen der österreichischen Bundesregierung markieren einen Paradigmenwechsel
im Umgang mit Zeitgeschichte und zeitgeschichtlichem Erbe.
    Der Versöhnungsfond der Republik Österreich
Mit dem Fonds für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit, der von allen im Parlament
vertretenen Parteien im Jahr 2000 beschlossen wurde, hat die Republik Österreich ein lange
Zeit offenes Kapitel aus den dunklen Jahren des NS-Regimes aufgearbeitet. Die
gesetzgebenden Körperschaften Österreichs beschlossen einstimmig das Versöhnungsfonds-
Gesetz, das am 27. November 2000 in Kraft trat und einen „Fonds für Versöhnung, Frieden
und Zusammenarbeit“ – kurz: den „Versöhnungsfonds“ begründete. Dem Österreichischen
Versöhnungsfonds standen insgesamt 436 Millionen Euro für die symbolische Entschädigung
der Zwangsarbeiter zur Verfügung. Der Österreichische Versöhnungsfonds hat rund 132.000
Anträge ehemaliger Sklaven- bzw. Zwangsarbeiter genehmigt.
    Die Reforminitiative des Bundesministeriums für Inneres für die KZ-Gedenkstätte
Mauthausen – Arbeitsschritte für eine Neupositionierung der Gedenkstättenarbeit in
Österreich
In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wurde von verschiedenen Seiten immer wieder
die Notwendigkeit einer Umgestaltung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen und die
Neupositionierung der Gedenkstättenarbeit betont. Im Herbst 2000 veranlasste der Bundes-
minister für Inneres, Dr. Ernst Strasser, die Konzeption der längst erforderlichen Reformmaß-
nahmen. Im November 2002 wurde zur Beratung des Bundesministeriums bzw. des Bundes-
ministers für Inneres ein wissenschaftlicher Beirat gegründet. Wesentlichste
Reformvorschläge standen im Vordergrund:           die Errichtung eines Besucherzentrums in
Mauthausen und Gusen eine neue, modulartig konzipierte Ausstellung im Besucherzentrum
zur Vor- und Nachbereitung des Lagerbesuchs mit 4 Ausstellungsschwerpunkten               ein
Informationssystem für den Lagerrundgang          das Oral-History-Projekt „Zeitzeugen- und
Zeitzeuginnen Mauthausen“ („Mauthausen Survivors Documentation Poject“) (80 Video- und
800 Audiointerviews mit ehemaligen Häftlingen) die Neugestaltung der Homepage die
Errichtung eines Besucherzentrums in Gusen mit einer Ausstellung zum Thema
„Häftlingsarbeit in der Rüstungsindustrie“. Darüber hinaus erfolgte die Erweiterung der
Bestände des Archivs (elektronische Erfassung und Aufbereitung von Daten sämtlicher in
Mauthausen registrierter Häftlinge („Häftlingserfassungsprojekt“ / „Häftlingsdatenbank“)
sowie die Beschaffung neuer personenbezogener Quellen) Erweiterung des Fotoarchivs.
522                                                                HANS PETER JESCHKE

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< Die erste Phase der Reforminitiative
Die Anforderungen der Reforminitiative machten die Errichtung des neuen Besucherzentrums
in Mauthausen (2002) notwendig. Anlässlich der Befreiungsfeier 2003 am 11. Mai konnte das
fertiggestellte Besucherzentrum und neue Ausstellung „Das Gedächtnis von Mauthausen“ mit
den vier unabhängigen Ausstellungsteilen (Modulen) „ZeitzeugInnen“ (20 Videointerviews),
„Objekte erzählen Geschichte“, „Geschichte der KZ-Gedenkstätte Mauthausen“ und
„Memorial Landscape“ eröffnet werden.
< Die zweite Phase der Reforminitiative
Im Februar 2004 vom damaligen Innenminister Dr. Ernst Strasser wurde das Internationale
Forum Mauthausen beim Bundesministerium für Inneres zur Beratung in grundsätzlichen
Angelegenheiten der KZ-Gedenkstätte Mauthausen gegründet. Wesentliche Schwerpunkte
waren und sind unter anderem: < Besucherzentrum Gusen und Dauerausstellung zur
Geschichte des Konzentrationslagers Gusen, < Veranstaltungsserien, < Neues pädagogischen
Konzept, < Mauthausenarchiv als zentrale Forschungs- und Dokumentationsstelle für
Österreich und Europa, < Bibliothek mit Literatur zur Geschichte des Konzentrationslagers
Mauthausen und seiner Außenlager, < Schriftenreihe „Mauthausen Studien“ mit der
Dokumentation der Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen und der Publikationen
einschlägiger wissenschaftlicher Arbeiten. < Jahresberichte der KZ-Gedenkstätte mit der
Dimensionen „Forschung“ und „Dokumentation“,< Erhaltung und Sicherung der materiellen
Realien und archäologischen bzw. baulichen Überreste der Anlage des ehemaligen
Konzentrationslagers Mauthausen, < Langfristige Denkmalsanierung und –pflege, <
Sicherung des Gedenkstättencharakters des Memorial Gusen in dessen Umgebung, <
Dokumentation       des      zeitgeschichtlichen   Erbes      und     Einleitung    eines
Unterschutzstellungsverfahrens, < Sicherung des nichtverfüllten Restes der im Gemeinde-
gebiet von St. Georgen befindliche Stollenanlage „ Bergkristall“ (Bundesministerium für
Inneres 2009).
      Das Gedächtnis von Mauthausen versus Funktionen des historischen Ortes
Im neuen Besucherzentrum der KZ-Gedenkstätte Mauthausen wurden in vier Abschnitten der
erwähnten Ausstellung unter dem Titel „Das Gedächtnis von Mauthausen“ Formen von
Gedächtnis aufgezeigt, wie sie sich in den Arealen der Konzentrationslager bzw. in der
Gedenkstätte selbst, in Objekten, Artefakten, Dokumenten zur Geschichte, in der
  Erinnerung ehemaliger Häftlinge und in den         historischen Gesamtanlagen in der
Region bzw. noch vorhandenen Relikten davon in der heutigen Landschaft manifestieren.
Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen will als ein „Garant der Erinnerung“ (Hanna Arendt) (Zit.
nach Morsch, 1994) mit dieser parallelen Aufbereitung der historischen Spuren die
Vielschichtigkeit dieser Erinnerung, ihre Notwendigkeit, aber auch ihre Brüchigkeit und
Mehrdeutigkeit sichtbar machen. Sie will damit auch der ersten und wichtigsten Aufgabe der
Gedenkstätten, der Erinnerung gerecht werden, also dem NICHT-IN-VERGESSENHEIT-
GERATEN-LASSEN (Morsch 1994, S. 89), ein treuhändisch zu erfüllender Auftrag der
überlebenden und ermordeten Häftlinge.

    Der „Spiegel der Vergangenheit“ mit EDV-Unterstützung „blankgeputzt" - Die
historischen Relikte in der Landschaft der Region
Im Rahmen der Gesamtausstellung in der KZ-Gedenkstätte wurden auf der
Projektvorschlages des Autors an das Bundesministerium für Inneres aus dem Jahr 2000
daher als Modul 4 die Gesamtanlagen des Konzentrationshauptlagers Mauthausen, der
DIE „STUMMEN ZEUGEN“ DES NATIONALSOZIALISTISCHEN TERRORS IN EUROPA - METHODEN
UND INSTRUMENTE ZUR INVENTARISIERUNG, INWERTSETZUNG, VISUALISIERUNG UND PFLEGE
VON DENKMAL- UND ERINNERUNGSLANDSCHAFTEN                                            523
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Konzentrationslager Gusen I, II und III (Lungitz), der SS-Firmen, Rüstungsfirmen und der
Rüstungsproduktionsstätten in St. Georgen unter Benutzung von neuen EDV-Instrumenten,
historischen Quellenmaterialien und Luftbilder (amerikanische Aufklärungsluftbilder und
Orthofotos) für den Besucher erfahrbar. Damit wurde der „Spiegel der Vergangenheit“
mit EDV-Unterstützung „blankgeputzt“ und für alle Besucher bzw. insbesondere auch für
die junge Generation mit neuen Grundlagen und Medien eine nachhaltige Unterstützung zur
eigenen Urteilsbildung gewährleistet.

5.2 Die Ostmark (Reichsgaue Alpen Donau) und die Region Mauthausen, Gusen und
St.Georgen
    Topographie des nationalsozialistischen Terrors in der Region Mauthausen, Gusen,
St. Georgen
In der Kulturlandschaft des Unteren Mühlviertels nördlich der Donau eröffnet sich eine
vielfältige gestaltete von der Gusen und des Riederbaches in Form von Kerbtälern zer-
schnittene Landschaft. Zu sehen sind die Marktgemeinde Mauthausen, Hauptort des
Gerichtsbezirkes, und die Ortsgemeinde Langenstein, St. Georgen an der Gusen und Ried in
der Riedmark mit ihren zahlreichen Weilern. Das Augebiet der Donau, die Niederterrassen
von Donau und Gusen und das Bergland sind weitere Charakteristika der landschaftlichen
Vielfalt. Der Süden dieses „Mühlviertler Randlandes“ wird jetzt von der Bundesstraße Nr. 3
durchzogen, die parallel bzw. nördlich der Donau verläuft und die Orte Mauthausen,
Langenstein, St. Georgen in Richtung Linz verbindet.
Mauthausen kam durch seine Bedeutung im Salzhandel (seit 1335) bzw. Eisenhandel als
Brückenstandort (erste Brücke 1505) sowie durch Marktrechte schon im späten Mittelalter zu
Ansehen und Reichtum. Die Gewinnung und Verarbeitung von Granit beginnend vom Jahre
1781 bildete eine weitere wirtschaftliche Grundlage. Viele herausragende Bürgerhäuser,
Gebäude des Handels, der Verwaltung und kirchliche Objekte geben Zeugnis von diesem
Wohlstand und ökonomischer Bedeutung.
In der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Standortqualitäten und Naturraumressourcen
der Region nach anderen ökonomischen und ideologischen Gesichtspunkten beurteilt. Am 12.
März 1938 erfolgte der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich. Nur fünf Monate
danach, am 8. August 1938, kam es zur Errichtung des Konzentrationslagers Mauthausen. Die
absolute Macht des Nationalsozialismus zerstörte damit den Raum als Handlungs- und
Lebensraum. Das Granitvorkommen in und um Mauthausen und die räumliche Nähe zu Linz
waren für die Wahl des Standortes entscheidend. Die oberösterreichische Landeshauptstadt
war von Adolf Hitler als „Führer-Stadt“ vorgesehen und sollte zu einer „Kulturmetropole“ im
Sinne des Nationalsozialismus ausgebaut werden. Die Häftlinge waren anfänglich primär in
den Steinbrüchen für den Abbau und die Weiterverarbeitung des Granits eingesetzt. Ab
Sommer 1942 wurden sie sukzessive für Ausbaumaßnahmen zur Fertigung von
Rüstungsgütern herangezogen. Diese standen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den
militärischen Niederlagen der Deutschen Wehrmacht und den Bedarf an zusätzlichen
Arbeitskräften in der NS-Rüstungsindustrie. Ende 1944 standen bereits der Großteil der
Häftlinge des Doppellager Mauthausen-Gusen im Dienste der NS-Rüstungsindustrie
524                                                                    HANS PETER JESCHKE

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   Topographie des nationalsozialistischen Terrors in der Ostmark (Reichsgaue Alpen
Donau): Konzentrationshauptlager Mauthausen mit Nebenlagern und Nebenlager des
Konzentrationslagers Dachau

Die Übersichtskarten dieser Ebene sprechen 6 Themen an:

a) 44 Nebenlager des Konzentrationshauptlagers Mauthausen (G. Botz 2000 und G.
Schwarz 1996)
b) 14 Nebenlager des Konzentrationslagers Dachau (G. Schwarz 1996)
c)    „Euthanasie–Stätte“ Schloss Hartheim (mit Gaskammer und Krematorium)
d) Todesmärsche
Dargestellt ist der Standort des Baues des Südostwalles, die Linienführung der Todesmärsche
vom Konzentrationslager Mauthausen nach Gunskirchen bzw. Ebensee sowie aus dem
Burgenland vom Südostwall-Bau (G. Botz 2000 und Lappin 2001)
e)    SS – Wirtschaftsunternehmen
Das Wirtschaftsimperium der SS bestand mit dem Stand 30. September 1943 aus neun
Fachgruppen (Stahl W., Amt W I Steine und Erden, Amt W II Steine und Erden Ost, Amt W
III Ernährungsbetriebe, Amt W IV Holzbearbeitungsbetriebe, Amt W V Land-, Forst- und
Fischwirtschaft, Amt W VI Textil- und Lederverwertung, Amt W VII Buch und Bild, Amt W
VIII Sonderaufgaben) mit 34 Einzelunternehmungen. Stellvertretend für die große Anzahl
wird genannt: Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH. (Huttenberger 2003).
f)    Rüstungsindustrie
In zahllosen Firmen erfolgte in unterschiedlicher Intensität ein „Häftlingseinsatz“. Im Bereich
der Rüstungsindustrie können 39 Unternehmen beispielhaft besonders genannt werden.
Davon werden hier im regionalen Zusammenhang herausgehoben: Alpine Montanbetrieb,
Deutsche Lebensmittel GmbH., Deutsche Reichsbahn Linz, Ennser Zuckerfabrik AG,
Lenzinger Zellwolle, Messerschmitt, Mittelwerk GmbH., Papierfabrik AG, Reichswerke
Hermann Göring, Steyr – Daimler-Puch AG und Universal Flach-, Stahlbau GmbH.
(Huttenberger 2003).
DIE „STUMMEN ZEUGEN“ DES NATIONALSOZIALISTISCHEN TERRORS IN EUROPA - METHODEN
UND INSTRUMENTE ZUR INVENTARISIERUNG, INWERTSETZUNG, VISUALISIERUNG UND PFLEGE
VON DENKMAL- UND ERINNERUNGSLANDSCHAFTEN                                    525
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                                                                                   Abb. 6 Topographie des
                                                                                   nationalsozialistischen
                                                                                   Terrors in der Ostmark
                                                                                   (Reichsgaue Alpen
                                                                                   Donau):
                                                                                   Konzentrationshauptlager
                                                                                   Mauthausen mit
                                                                                   zugeordneten
                                                                                   Nebenlagern bzw.
                                                                                   Nebenlager des
                                                                                   Konzentrationshauptlager
                                                                                   s Dachau. (Bearbeitung
                                                                                   und Konzept © Dipl.-Ing.
                                                                                   Dr. H.P. Jeschke / GIS/3D
                                                                                   Bearbeitung Büro Dipl.-
                                                                                   Ing. H.
                                                                                   Polly/Auftraggeber:
                                                                                   Österreichisches
                                                                                   Bundesministerium für
                                                                                   Inneres (Sektion IV)
                                                                                   Wien)

   Topographie des nationalsozialistischen Terrors in der Region: Areale der
Konzentrationslager, Steinbruch- und Rüstungsbetriebe in Mauthausen, Gusen I, II, III
und St. Georgen.

Abb. 7: Topographie des nationalsozialistischen Terrors in der Region: Areale der Konzentrationslager,
Steinbruch- und Rüstungsbetriebe in der Region (Mauthausen, Gusen I, II, III und St. Georgen)

Dargestellt ist die Abgrenzung der Denkmal- bzw. Erinnerungslandschaft Mauthausen (Areal
im rechten Teil der Abb.), das engere Areal des ehemaligen Zwillingslagers Gusen I und II
(Bildmitte), von dem nur mehr wenige Relikte (Denkmalensemble Gusen) existieren und des
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unterirdischen Rüstungsbetriebes (B 8 Bergkristall – Esche II / St. Georgen an der Gusen) mit
noch vorhandenen umfangreichen Stollensystemen (Areal im linken Teil der Abb.). Die stark
reduzierte Darstellung der genannten Areale erfolgt auf Aufklärungsluftbildern der
amerikanischen Luftwaffe in den Jahren 1944 und 1945, die als Layer der Österreichkarte
überlagert wurden.
(Bearbeitung und Konzept © Dipl.-Ing. Dr. H.P. Jeschke / GIS/3D Bearbeitung Büro Dipl.-
Ing. H. Polly/Auftraggeber: Österreichisches Bundesministerium für Inneres (Sektion IV)
Wien).

5.3   Internationale sowie europäische Rahmenbedingungen als Grundlage für die
Kontextualisierung und Bedeutung der Region Mauthausen / Gusen
-   Auschwitz ist Kulturerbe von Weltbedeutung
Die UNESCO hat einerseits Auschwitz als Denkmalgebiet mit herausragender assoziativer
Bedeutung auf die Weltkulturerbeliste aufgenommen und damit einen der Hauptschauplätze
nationalsozialistischen Terrors als internationale, also weltweit bedeutende Gedenkstätte unter
Schutz gestellt.
-  Das Areal des ehemaligen KZ-Hauptlagers Mauthausen ist eine Denkmallandschaft
/Reliktlandschaft (Cultural heritage landscape / relict landscape) bzw. Erinnerungsland-
schaft von europäischem Rang (memorial landscape of european significance)
Das Areal des Konzentrationshauptlagers Mauthausen ist zusammen mit dem KZ Gusen
wegen dessen übergeordneten historischen Funktionen von europäischem Rang und ist daher
besonders geeignet als Teil einer „Topographie des Terrors in Europa“ den europaweiten
Mechanismus des NS-Terrors zu dokumentieren sowie dessen Wirkungsweise zu verdeut-
lichen.
5.4   Die GIS–gestützte Bestandsaufnahme und Grundlagenforschung –
Arbeitsschritte für ein zeitgeschichtliches Geoinformationssystem der „Memorial
Landscape Mauthausen / Gusen / St. Georgen“
Für die Ausstellung und weiterführende Zielsetzungen ist die Kombination von Geogra-
phischen Informationssystemen, 3D-Landschaftsvisualisierungen und Kommunikation
entscheidend. Mit Hilfe von Geographischen Informationssystemen (GIS) lassen sich
vielfältige (Geo)-Daten verwalten, verknüpfen und analysieren. Daher können GIS-basierte
Landschaftsvisualisierungen im Vergleich zu herkömmlichen Plänen, Zeichnungen und
Modellen zum einen komplexere Datengrundlagen einbeziehen (Input), zum anderen bieten
sie vielfältigere Möglichkeiten zur Visualisierung von Daten auch in der Gedenkstättenarbeit
(Output). Weil 3D-Computervisualisierungen eine veränderte Wahrnehmung von
zeitgeschichtlich relevanten Räumen bewirken wurde dies auch in der Gedenkstättenarbeit in
Mauthausen genutzt.
Dargestellt werden der Bereich Mauthausen als Denkmal-(Reliktlandschaft) und Erinne-
rungslandschaft Mauthausen (Cultural heritage landscape / relict and memorial landscape) mit
Arealabgrenzung sowie der Bereich des Konzentrationslagers Gusen I, II, III und des
unterirdischen Rüstungsbetriebes in St. Georgen. Dazu gehören Kurzhinweise zu wichtigen
Funktionsbereichen und Anlagen in den verschiedenen KZ- Arealen samt Darstellung von
wichtigen Anlagen und Punkten auch außerhalb der genannten Zonen sowie die
Identifizierung aller noch vorhandenen „Relikte“ in der jetzigen Landschaft. Die Präsentation
erfolgt u.a. unter Verwendung des aktuellen Farborthofotos der Region (2001) und der
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