Realität und Fiktion in Fernando del Pasos neuem historischen Roman
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513.332 Span. LW SE (Der neuere historische Roman in Lateinamerika) Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Erna Pfeiffer SS 2011 Realität und Fiktion in Fernando del Pasos neuem historischen Roman Noticias del Imperio verfasst von: Füreder Anita 0611259 anita.fuereder@edu.uni-graz.at Datum der Abgabe: 30.09.2011
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1 2 Historischer und neuer historischer Roman in Lateinamerika 1 2.1 Historischer Roman in Lateinamerika 1 2.2 Neuer historischer Roman in Lateinamerika 2 Noticias del Imperio als neuer historischer Roman 4 3 Inhaltsangabe 5 4 Historische Hintergründe 6 5 Interpretation von Noticias del Imperio 8 5.1 Der postmoderne Charakter von Noticias del Imperio 9 5.2 Noticias del Imperio – ein totaler Roman 10 5.3 Realität vs. Fiktion in Noticias del Imperio 10 5.3.1 Der Titel 11 5.3.2 Der Prolog 11 5.3.3 Die Kapitel 11 5.3.4 Beispiele für fiktionale Elemente in Noticias del Imperio 13 6 Literarische und stilistische Merkmale 14 6.1 Erzählinstanzen und Erzählformen 14 6.2 Textsorten 16 6.2.1 Der Monolog 17 6.2.2 Der Dialog 18 6.3 Stil 18 6.4 Intertextualität 19 7 Zusammenfassung und Ausblick 19 8 Literaturverzeichnis 21 8.1 Primärliteratur 21 8.2 Sekundärliteratur 21 8.3 Internetquellen 21
1 Einleitung In dieser Seminararbeit soll analysiert werden, warum Fernando del Pasos 1987 erschienener Roman Noticias del Imperio nicht nur ein historischer Roman ist, sondern sogar dem Subgenre „neuer historischer Roman“ zugeordnet werden kann. Dafür werden die wichtigsten Kennzeichen und Charakteristika des neuen historischen Romans, in Abgrenzung und Vergleich zum historischen, erarbeitet und auf Noticias del Imperio umgelegt und mit ihm in Verbindung gebracht. Ein weiteres Ziel dieser Arbeit ist es herauszufinden, welche Daten, Ereignisse und Personen in Fernando del Pasos Werk historisch belegt, also wahr, und welche fiktiv, also erfunden, sind. In einem nächsten Schritt sollen, wenn möglich, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion aufgezeigt und Beispiele für erfundene Elemente angeführt werden. Außerdem sollen in einer allgemeinen Werkinterpretation literarische und stilistische Merkmale des Romans untersucht werden. 2 Historischer und neuer historischer Roman in Lateinamerika 2.1 Historischer Roman in Lateinamerika Der historische Roman - im Spanischen novela histórica genannt – ist ein fiktionales Prosawerk, das eine Handlung aus einer historischen Zeit erzählt. (Vgl. MENTON 1993:33) In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde dieses Subgattung des Romans in Lateinamerika bekannt, nicht zuletzt wegen der regen schriftstellerischen Tätigkeit europäischer Autoren wie Alexandre Dumas der Ältere, E. Sue und der Vater des historischen Romans Walter Scott und der steigenden Anzahl an Übersetzungen. Zu den ersten lateinamerikanischen Autoren, die historische Romane schrieben, gehören der Kolumbianer Juan José Nieto mit Ingermina (1844), der Peruaner Vicente López mit La novia del hereje (1846-1854) und der Uruguayer Eduardo Acevedo mit Grito de gloria (1894). Dabei orientierten sie sich an ihren europäischen Vorbildern, deren primäres Ziel es war, die Aufmerksamkeit auf eine Vergangenheit zu lenken, die die Gesellschaft zu vergessen drohte. Sie hätten kein Interesse daran, „controvertir la versión oficial de la historia“ (MALAVER 2010). (Vgl. MALAVER 2010) 1
In den Anfangszeiten des historischen Romans unterschieden die Autoren – sowohl die europäischen als auch die lateinamerikanischen – noch sehr genau zwischen Realität und Fiktion: De alguna manera, la ficción que ellos creaban no tenía derecho alguno a invadir -vale decir, a contaminar- el terreno de la historia propiamente dicho. Ésta, por su parte, era algo inmodificable, cuya función era solamente servir de ambientación [...] para los hechos ficticios [...] de sus novelas. (MALAVER 2010) Bei Walter Scott war jedoch schon ansatzweise der Hauch einer Spannung zwischen Realität und Fiktion zu finden. (Vgl. MALAVER 2010) Recurrió, por ejemplo, a narrar hechos ficticios empleando textos similares a los que maneja el historiador -cartas, memorias, confesiones, diarios de viaje-, e incorporando en ellos figuras y eventos de la historia real. (MALAVER 2010) Der Aufbau dieses Spannungsverhältnisses bzw. das ständige Switchen zwischen Realität und Fiktion, das im neuen historischen Roman ad extremum geführt wird, ist für den Autor so, als ob er „tuviera que adoptar alternadamente dos personalidades que pretendieran, sin lograrlo del todo, mantenerse alejadas la una de la otra: la del historiador objetivo [...] y la del creador de ficción” (MALAVER 2010). 2.2 Neuer historischer Roman in Lateinamerika In der Mitte des 20. Jahrhunderts kommt eine Art des historischen Romans auf, bei der die Grenzen zwischen Realität und Fiktion beinahe bis zur Unkenntlichkeit verschwommen sind: „[… ] ha llegado al máximo la tensión entre los elementos ficticios y los elementos ‚histórico- objetivos„“ (MALAVER 2010). Dieser Romantyp wird im Deutschen als neuer historischer Roman, im Spanischen als nueva novela histórica oder novela de historia-ficción bezeichnet. (Vgl. MALAVER 2010 und MALAVER CRUZ 2004: 109) Zu den ersten lateinamerikanischen Schriftstellern, die sich mit dem neuen historischen Roman beschäftigten, zählen unter anderem Jorge Luis Borges, Alejo Carpentier, Carlos Fuentes und Augusto Roa Bastos. Obwohl Jorge Luis Borges keinen einzigen historischen Roman schrieb, ist er dennoch als Wegbereiter dieses Romantyps nicht wegzudenken, da er mit seinen philosophischen Reflexionen einen wesentlichen Beitrag zur Theorie über den neuen historischen Roman leistete. (Vgl. MALAVER 2010) Eine seiner Überlegungen war beispielsweise, dass es unmöglich sei, die historische Wahrheit vollends herauszufinden: „Cualquier relato de los hechos trascendentales de la humanidad no 2
es más que una versión de ellos, y el número de versiones es virtualmente infinito.” (MALAVER CRUZ 2004: 114) Die oben erwähnte, scheinbar ausradierte Grenze zwischen Realität und Fiktion führt bei der Rezipientin bzw. beim Rezipienten zu einer besonderen Spannung: „por una parte espera cierto grado de fidelidad a los hechos, y por otra parte espera cierto grado de invención, pero no está seguro de cuál es cuál“ (MALAVER CRUZ 2004: 116). Der Autor erwartet sich von diesem Spannungsverhältnis, dass die Leserin bzw. der Leser eine besonders kritische und aufmerksame Lesehaltung einnimmt. Zudem erwartet er von ihr bzw. ihm ein bestimmtes historisches Wissen und ein gewisses Misstrauen, um herauszufinden, was wahr und was falsch ist. (Vgl. MALAVER CRUZ 2004: 116) Dass Realität und Fiktion oft nicht zu trennen sind, zeigt sich auch darin, dass sich beide gegenseitig als Inspiration dienen können. (Vgl. MALAVER 2010) Ein weiteres wesentliches Charakteristikum des neuen historischen Romans – neben verschwommenen Grenzen zwischen Realität und Fiktion –, das auch gleichzeitig als Grund seines Auftretens angesehen werden kann, ist seine kritische Haltung gegenüber der historischen Vergangenheit, basierend auf Fiktion: [La nueva novela histórica] surge como resultado de una preocupación por fundar una estética basada en la ficción como fundamento para tomar una posición crítica ante el pasado histórico. Tal actitud crítica hace que [la nueva novela histórica] sea proclive a distorsionar de manera consciente la “versión oficial” de los hechos históricos, llegando incluso a carnavalizarlos. (MALAVER CRUZ 2004: 113) Der Autor des historischen Romans ist also nicht davon abgeneigt, die offizielle Version der Geschichtsschreibung zu verzerren. Ganz im Gegenteil, er fühlt sich dazu sogar berechtigt: [...] el novelista de la [nueva novela histórica] considera que la “versión oficial” de la historia es ya en sí una primera ficción -elaborada en virtud de la particular percepción de un determinado historiador-, y por eso se siente autorizado para deformar tal versión mediante omisiones, exageraciones y anacronismos. (MALAVER CRUZ 2004: 114) Mit anderen Worten bedeutet dies, dass der Historiker wie der Romanautor ein “escritor de ficción“ (MALAVER CRUZ 2004: 116) ist. Beide wählen bestimmte Tatsachen und Ereignisse aus, interpretieren sie und drücken sie in einem narrativen Text aus, mit dem Unterschied, dass der Historiker nicht absichtlich etwas erfindet. (Vgl. MALAVER CRUZ 2004: 116) Esto es así, no en el sentido de que el historiador se proponga conscientemente inventar una historia, pero sí en cuanto que construye su discurso siguiendo un proceso cognoscitivo similar al 3
del escritor de ficción, es decir, escoge ciertos hechos, los interpreta, y elabora con ellos una intriga que plasma en un texto narrativo. (MALAVER CRUZ 2004: 116) Ein weiteres wichtiges Merkmal des neuen historischen Romans ist, dass große historische Persönlichkeiten entmythifiziert werden. Es importante resaltar que el novelista de [la nueva novela histórica] no acepta que la historia "oficial" se tome la atribución de absolver o condenar a los grandes personajes de la historia. [En la nueva novela histórica] éstos son desmitificados: son hombres del común en los que se pueden hallar simultáneamente tanto las virtudes como los defectos humanos [...]. (MALAVER 2010) Diese Entmythifizierung ist vor allem darauf zurückzuführen, dass der neue historische Roman versucht, die Realität aus möglichst vielen verschiedenen Perspektiven darzustellen und auch Sichtweisen von Personen einzubringen, die in der offiziellen Geschichtsschreibung in Vergessenheit gerieten. (Vgl. MALAVER 2010) [...] [la nueva novela histórica] suele interesarse en contar la historia desde el punto de vista de aquellos a los que la versión “oficial” ha querido voluntaria o involuntariamente olvidar -por ejemplo, los pueblos derrotados, esclavizados o exterminados-. Tal es el concepto de lo polifónico, es decir, la pluralidad de voces autónomas y conciencias independientes e inconfundibles [...]. (MALAVER CRUZ 2004: 115) Diese polyfone Sichtweise dient dazu, die Komplexität der historischen Realität und die Unmöglichkeit, sie nur aus einer Perspektive zu betrachten, aufzuzeigen. [Se trata] de mostrar la complejidad de esos hechos históricos y cómo se producen. La visión de los acontecimientos no puede ser única; ninguna historia puede dar veredictos ya que no es tan sencillo como aplicar un código penal. Las realidades históricas son mucho más complejas [...]. (TORRES PERDIGÓN o.J.: 8) Während die Protagonistinnen und Protagonisten des traditionellen historischen Romans weitgehend noch fiktive Personen sind, die von den historischen berichten, werden die historischen im neuen historischen Roman selbst zu Hauptdarstellerinnen und Hauptdarstellern. Anders ausgedrückt, im neuen historischen Roman werden die Ereignisse aus der Sicht historischer Personen erzählt. (Vgl. TORRES PERDIGÓN o.J.: 3) Noticias del Imperio als neuer historischer Roman Fernando del Pasos Noticias del Imperio wird in allen oben genannten Belangen (unklare Grenzen zwischen Realität und Fiktion, historische Personen als Protagonistinnen und Protagonisten, kritische Haltung gegenüber der Geschichtsschreibung, Erzählung aus verschiedenen Perspektiven, etc.) den Anforderungen des neuen historischen Romans gerecht. Der Autor selbst bekräftigt das Vorkommen des wohl wesentlichsten Merkmals des neuen historischen Romans in seinem Werk, die unscheinbare Grenze zwischen Realität und Fiktion: 4
Noticias del Imperio es una novela en la cual evidentemente no se puede trazar una línea entre la ficción y la historia, no se puede decir aquí termina la ficción y aquí comienza la historia. (PASTOR 2007) Er vermischt also Realität und Fiktion ganz nach den Regeln des neuen historischen Romans, was auch in der Bezeichnung novela con historia, wie er selbst Noticias del Imperio bezeichnet, deutlich wird. Wichtig dabei ist klarzustellen, dass das Hauptaugenmerk auf novela und nicht auf historia liegt. (Vgl. PASTOR 2007 und CORRAL PEÑA 2001: 298) 3 Inhaltsangabe Fernando del Pasos historischer Roman Noticias del Imperio handelt von der Intervention Frankreichs in die politischen Angelegenheiten Mexikos in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dem daraus resultierenden zweiten mexikanischen Kaiserreich mit Kaiser Maximilian von Mexiko und seiner Frau Charlotte. In zwei Handlungssträngen, einem vorwärts- und einem rückwärtsgerichteten, werden die Ereignisse zwischen 1861 und 1867 erzählt, einmal in chronologischer Form durch Beiträge am Geschehen beteiligter Personen und einmal in Form eines Rückblicks der dem Wahnsinn verfallenen Kaiserin Charlotte im Jahr 1927. Die Folgen und Auswirkungen des mexikanischen Bürgerkriegs (1857-1861), die Spannungen innerhalb Mexikos zwischen dem konservativen und dem liberalen politischen Lager, die militärische Einmischung der europäischen Großmächte Frankreich, Großbritannien und Spanien, die Installation einer Monarchie nach französischem Vorbild, der Weg von Erzherzog Maximilian von Österreich und seiner Frau Charlotte von Belgien zur Kaiserkrone, die Ankunft des Kaiserpaars in ihrer neuen mexikanischen Heimat, der Alltag des Herrscherpaars und die Probleme und Schwierigkeiten, mit denen sie sich konfrontieren müssen, der langsame Zerfall des Kaiserreichs, der Tod Maximilians, die Rückkehr Charlottes nach Europa und ihr mentaler und körperlicher Verfall im Schloss Bouchout (Belgien) werden durch die Verwendung unterschiedlichster Textsorten (Briefe, Zeitungsartikel, Lieder, etc.), durch das Einbringen der Perspektiven verschiedenster historischer sowie fiktiver Figuren und durch das Spiel mit der Grenze zwischen Realität und Fiktion abwechslungsreich dargestellt. 5
4 Historische Hintergründe Um den Inhalt von Noticias del Imperio besser und leichter verstehen zu können, werden im Folgenden die wichtigsten historischen Ereignisse zusammengefasst, die im Roman behandelt werden. Mexiko erlebte zwischen dem Ende des Unabhängigkeitskriegs 1821 und der Wiederherstellung der Republik 1867 wohl eine der turbulentesten Zeiten seiner Geschichte. Ständige Regierungswechsel zwischen dem liberalen und dem konservativen politischen Lager mit einer Flut an neu eingeführten und plötzlich abgeschafften Erlässen und Gesetzen standen an der Tagesordnung. Dieser Teil der Geschichte Mexikos, also die Zeitspanne von 1821 bis 1867, in der das Land nie zur Ruhe kam, wird zur Orientierung in drei Abschnitte eingeteilt. 1. Die Ära des Generals Santa Ana, der 30 Jahre lang wesentlich zur Entwicklung Mexikos beitrug. In diese Zeit fällt auch das erste Kaiserreich unter Augustin I., das allerdings nur zehn Monate Bestand hatte. Danach wurde in Mexiko eine Republik ausgerufen. 2. Die Phase der Liberalen, die 1854 unter Benito Juárez an die Macht kamen. In dieser Zeit ist auch die Intervention Frankreichs in die politischen Belange Mexikos sowie das zweite Kaiserreich unter Maximilian I und seiner Frau Charlotte anzusiedeln. Benito Juárez schaffte es nach langen Kämpfen, sich 1867 gegen die französischen Truppen und die von ihnen gestützte und nach ihrem Vorbild installierte Monarchie durchzusetzen. 3. Die Zeit unter Diktator Portfirio Diáz. (Vgl. NASERADSKY 2007: 8) Für Fernando del Pasos historischen Roman ist aber nur die Phase der Liberalen von Bedeutung, in die auch die Intervention Frankreichs und das zweite mexikanische Kaiserreich fällt, da der Roman genau die historische Zeit zwischen 1861 und 1867 behandelt. Folglich sollen die Ereignisse dieser Jahre nun genauer betrachtet werden. In Mexiko herrschte von 1857 bis 1861 Bürgerkrieg. Auslöser dafür war die 1857 neu erarbeitete Verfassung der Liberalen, in der die Rechte der röm.-kath. Kirche (Aufhebung des Religionsmonopols) eingeschränkt wurden. Die Konservativen versuchten dagegen anzukämpfen, aber ohne Erfolg. Die Liberalen gingen als Sieger aus diesem Krieg hervor. Nach dieser kriegerischen Auseinandersetzung war das Land wirtschaftlich völlig ruiniert. Juárez beschloss daher die Rückzahlung der Auslandsschulden an die europäischen 6
Großmächte Frankreich, Großbritannien und Spanien einzustellen. Die drei Kreditgeber reagierten erbost und legten 1861 im Londoner Vertrag fest, die ausstehenden Schulden mit allen Mitteln einzutreiben. Gesagt, getan. Ein paar Monate später trafen die ersten spanischen, französischen und britischen Flotten in Mexiko ein und begannen mit Waffengewalt das zurückzufordern, was ihnen gehörte. Großbritannien und Spanien waren nur auf die Rückzahlung der Schulden aus, doch Frankreich unter Napoleon III wollte mehr, nämlich den Sturz Juárez, die „Eroberung“ Mexikos und die Errichtung einer Monarchie nach französischem Vorbild. Die französischen Truppen verfolgten dieses Vorhaben zielstrebig und drangen immer weiter ins Landesinnere vor. Am 5. Mai 1862 wurde ihr Eroberungsfeldzug aber fürs Erste gestoppt: 4.000 Mexikaner fügten 6.000 Franzosen eine vernichtende Niederlage zu. Doch lange konnten die Mexikaner die Franzosen nicht am Vordringen in Ciudad de México hindern. Schon ein Jahr später fiel Puebla und die französischen Truppen marschierten in Ciudad de México ein, womit die erfolgreiche Eroberung Mexikos besiegelt war. Nun brauchte man jemanden, der dieses riesige, neu eingenommene Reich regierte. Erzherzog Ferdinand Maximilian von Österreich, der jüngere Bruder von Kaiser Franz Joseph, und seine Frau Charlotte von Belgien wurden mit dieser Aufgabe betraut. Maximilian stellte aber eine Bedingung für die Annahme der Kaiserkrone: Er verlangte eine Volksabstimmung in Mexiko, um sicherzugehen, in diesem fernen Land als Kaiser wirklich gewollt und akzeptiert zu sein. Die Franzosen fälschten aber unter Mithilfe der Konservativen, die mit ihnen unter einer Decke steckten, die Wahl, wodurch Maximilian im Glauben gelassen wurde, er sei an seiner künftigen neuen Wirkungsstätte willkommen. Am 29. Mai 1864 kam das Kaiserpaar schließlich in Mexiko, einem Land, das von Bürgerkriegen und Staatsbankrotten erschüttert war, an. Neben den diffizilen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen fand er aber auch noch große soziale Probleme vor. Eine der ersten Amtshandlungen Maximilians war es, ein Gesetz gegen Kinderarbeit zu erlassen, Höchstgrenzen für Arbeitszeiten anzusetzen und eine Landreform anzukündigen. Dieses Vorgehen war den anfangs von Maximilian noch begeisterten Konservativen aber zu liberal, weshalb sie ihm zusehends die (militärische) Unterstützung verweigerten. Der Kaiser musste also zusehen, wie die Kämpfe zwischen französischen und mexikanischen Truppen in seinem Land weitergingen, ihm das französische Militär unter Einfluss der Konservativen aber immer mehr die Unterstützung verweigerte und das mexikanische Militär ohnehin an seiner Abdankung interessiert war. 7
Als 1865 der Bürgerkrieg in Amerika endete, erhielten die mexikanischen Truppen Unterstützung von ihren nördlichen Nachbarn. Ein Jahr später begann Frankreich wegen der immer aussichtsloseren Situation des Fortbestandes des Kaiserreichs seine Truppen aus Mexiko abzuziehen. Maximilian konnte folglich die „Rückeroberung“ Mexikos durch die Mexikaner nicht mehr aufhalten. Charlotte startete 1867 einen letzten Rettungsversuch und reiste nach Europa, um Napoleon III und Papst Pius IX persönlich um Hilfe zu bitten, aber vergebens. Maximilian zog sich Anfang 1867 nach Querétaro zurück, das wenig später von Juárez„ Truppen eingenommen wurde. Der Kaiser wurde vor ein Kriegsgericht gestellt, das veranlasste, ihn am 19. Juni 1867 zu erschießen. Charlotte, die sich, als Maximilian starb, in Europa befand, kehrte nie mehr nach Mexiko zurück. Sie zog sich aus der Öffentlichkeit zurück und führte ein unscheinbares und einsames Leben, bis sie schließlich 1927, dem Wahnsinn verfallen, im Schloss Bouchout in Belgien starb. (Vgl. RUHL/GARCIA IBARRA 2000: 139-154 und RATZ/GÓMEZ TEPEXICUAPAN 2007: 17-27) 5 Interpretation von Noticias del Imperio Fernando del Paso rekonstruiert in seinem historischen Roman Noticias del Imperio die Zeit des zweiten mexikanischen Kaiserreichs und der vorausgegangenen Intervention Frankreichs in Mexiko, indem er sie basierend auf historischen Daten, Fakten, Ereignissen und Personen mit fiktiven Elementen ausschmückt, also fiktionalisiert. „A priori”, en el prefacio, el autor expone sus propósitos como novelista e historiador, puesto que indica que la novela está basada en un hecho histórico. A través de una documentación precisa y directa, Del Paso se esmera primero en cumplir todos los requisitos que exige el relato histórico, colocando la novela indudablemente dentro de la tradición decimonónica de filtrar el pasado por la “ficcionalización” y la “novelización”. (CLARK/GONZÁLEZ 1994) In Noticias del Imperio entspringt vieles der Fantasie del Pasos bzw. überwiegt der fiktionale Charakter, was der Autor auch, wie folgt, begründet: „[…] yo quise hacer de ese libro una novela, no un libro de historia [...]“ (PASTOR 2007). (Vgl. TÉLLEZ o.J.) Fernando del Pasos Roman besteht aus 23 Kapiteln, die sich in zwei Typen gliedern lassen: auf der einen Seite stehen die zwölf ungeraden Kapitel „Castillo de Bouchout“, in denen die dem Wahnsinn verfallene Charlotte im Jahr 1927, dem Jahr ihres Todes, in Monologen von ihrem früheren Leben und ihren Erlebnissen in Mexiko erzählt; auf der anderen Seite stehen 8
die elf geraden Kapitel mit unterschiedlichen Titeln und Jahreszahlen, in denen die Ereignisse zwischen 1861 und 1867 aus den unterschiedlichsten Perspektiven mit den verschiedensten literarischen und stilistischen Mitteln berichtet werden. Die ungeraden Kapitel stellen also einen rückwärtsgerichteten Handlungsstrang dar, die geraden einen vorwärtsgerichteten. (Vgl. SANMIGUEL 2005) Noticias del Imperio es una vasta obra construida en torno a la alternancia regular de dos tipos de capítulos; los impares, que se titulan todos “Castillo de Bouchout” y tienen por fecha de referencia 1927, y los capitulos pares, que llevan títulos variados y fechas diversas. Los doce capítulos denominados “Castillo de Bouchout” son una serie de monólogos pronunciados por Carlota de Sajonia en el año de su muerte. En contrapunto tenemos once capítulos (los pares) donde se manejan los datos históricos desde diferentes perspectivas por medio de variados matices narrativos. En suma, tenemos por un lado doce monólogos de Carlota, y por el otro un discurso histórico que narra la intervención francesa y los avatares del archiduque Maximiliano de Habsburgo y Carlota de Bélgica. La novela lleva a cabo una revisión de los eventos históricos en sentido estrícto, pues el narrador continuamente cita sus fuentes documentales, las confronta, las pone en tela de juicio, duda de su veracidad o la confirma. (SANMIGUEL 2005) Ein besonderes Augenmerk ist auch auf die einzelnen Titel und Subtitel der 23 Kapitel zu legen. Während die ungeraden Kapitel alle gleich tituliert sind, nämlich mit „Castillo de Bouchout, 1927“, sind in den geraden 45 unterschiedliche Titel und Subtitel auszumachen. Los capítulos nones [...] llevan todos el mismo título: “Castillo de Bouchout, 1927”. En los capítulos pares, por el contrario, encontramos cuarenta y cuatro títulos diferentes. Cada capítulo par tiene un título global que incluye el año o los años considerados en sus páginas, siguiendo de cerca una cronología lineal de los acontecimientos. En seguida encontramos un título para cada una de las tres secciones que componen cada capítulo. (CORRAL PEÑA 2001: 313f) 5.1 Der postmoderne Charakter von Noticias del Imperio Wissenschaftler schreiben Noticias del Imperio wegen seiner „original aproximación al hecho histórico como referente textual y el uso heterodoxo de las fuentes documentales que le sirven de intertextos” (ESPINO BARAHONA 2000) einen postmodernen Charakter zu. Im Gegensatz zur Moderne, in der die Geschichtsschreibung als „discurso global y jerarquizado por los diversos metarrelatos teleológicos“ (ESPINO BARAHONA 2000) oder anders gesagt als macrohistoria mit offiziellem und eurozentrischem Charakter mit hohem Maß an Wahrheitsgehalt angesehen wird, lehnt die Postmoderne diese „visiones totalizadoras“ (ESPINO BARAHONA 2000) ab und unterteilt sie in viele microhistorias. [...] en Noticias del Imperio se textualiza una operación desconstructora cuyo objetivo es “descomponer una historia lineal previa, destrozando su armazón discursiva aparente, (...) componer mediante la lectura una historia que existe, discursivamente, en fragmentos, en una discontinuidad para los historiadores quizás irritante e ininteligible". (ESPINO BARAHONA 2000) 9
Auch der eurozentrische Gedanke wird in Noticias del Imperio verworfen und der Präsenz des „„otro„ cultural o político“ (ESPINO BARAHONA 2000) Platz gemacht. Uno lo puede ver no sólo en la revisión crítica que se hace de la Historia oficial en todo el texto, sino también en la mención de esos oscuros protagonistas olvidados como por ejemplo, aquellos "pobres soldaditos zacapoaxtlas que murieron con los cráneos destrozados por los obuses de Forey junto a los muros del Fuerte de la Misericordia de Puebla". (ESPINO BARAHONA 2000) Mit anderen Worten ist es unmöglich, „organizar discursivamente la experiencia histórica con modelos lógicos, trascendentes, con narraciones ejemplares” (ESPINO BARAHONA 2000). Es geht vielmehr darum, “traer al público narraciones privadas, testimonios personales" (ESPINO BARAHONA 2000). Ein weiteres Merkmal für die Postmoderne in Noticias del Imperio ist “la doble codificación del la ficción posmoderna” (ESPINO BARAHONA 2000). Diese definiert sich dadurch, dass die unterschiedlichsten Themen behandelt werden und mehrere Erzählverhalten Verwendung finden, um „„tratar de conciliar todo lo verdadero que pueda tener la historia con lo exacto que pueda tener la invención‟” (ESPINO BARAHONA 2000). 5.2 Noticias del Imperio – ein totaler Roman Fernando del Paso versucht in seinem historischen Roman Noticias del Imperio die Realität vollständig abzubilden. Zeuge ist nicht zuletzt die Darstellung ein und desselben historischen Ereignisses aus den unterschiedlichsten Perspektiven und unter Einbezug der diversesten Themen. Erfüllt ein Roman diese Eigenschaft, wird er gemäß der Literaturtheorie von Mario Vargas Llosa als total bezeichnet. [Fernando del Paso] escribió una novela total, a partir del encuentro entre la historia y la ficción, la realidad y la fantasía, la filosofía y el mito, el amor y el erotismo, la política y la religión, la experiencia colectiva y la aventura personal. (HERRERA GUIDO 2009) En Noticias del Imperio se trata una misma información histórica más de una vez [...]. [...] El tomar varias veces un mismo acontecimiento histórico responde, entre otras cosas, al deseo de evitar una visión unilateral de la historia. (CORRAL PEÑA 2001: 300) 5.3 Realität vs. Fiktion in Noticias del Imperio Wie oben schon erwähnt, ist die Grenze zwischen Realität und Fiktion im neuen historischen Roman äußerst schwer auszumachen. Laut del Paso sei es in Noticias del Imperio auch nicht wichtig, zwischen Fakt und Fiktion unterschieden zu können, sondern das Erzählte für wahrscheinlich zu halten. 10
Fernando del Paso afirma [...] que interesa “más que lo históricamente exacto, lo simbólicamente verdadero”, y que su propósito consiste en “tratar de conciliar todo lo verdadero que pueda tener la historia con lo exacto que puede tener la invención”. (BRADU 1988: 48) 5.3.1 Der Titel Die Polemik zwischen Realität und Fiktion wird schon im Titel erkennbar. Das Wort noticias, ein Begriff aus dem Journalismus, bezeichnet normalerweise eine Textsorte, deren Wesensmerkmale Unmittelbarkeit, Richtigkeit und Aktualität sind, und wird nur selten mit etwas Vergangenem und Erfundenem in Verbindung gebracht. Daher ist die Frage “¿cómo puede, entonces, haber noticias sobre algo que ocurrió hace más de cien años, y además encontrarse éstas en una novela, texto que por definición da cabida prioritariamente a lo ficticio?” (MALAVER 2010) nicht unangemessen. Die Rezipientin bzw. der Rezipient wird also vom frühesten Beginn des Romans an, nämlich vom Titel weg, mit dem Wechselspiel zwischen Realität und Fiktion konfrontiert. Fernando del Paso gibt der Leserin bzw. dem Leser noch vor dem ersten Kapitel eine Denkaufgabe für die restliche Lektüre: sie bzw. er soll zum kritischen, hinterfragenden Mit- und Nachdenken angeregt werden, ob die noticias, die Charlotte aus Mexiko bekommt, nun wahr oder falsch sind. 5.3.2 Der Prolog Im Prolog informiert del Paso kurz über die historischen Rahmenbedingungen, auf denen Noticias del Imperio basiert, welche er auch klar als hecho histórico, also als historische Tatsache deklariert. Impliziert bedeutet dies, dass nicht alles auf historischen Fakten gründet, sondern vieles auch fiktiv ist und nur als real dargestellt wird. En 1861, el Presidente Benito Juárez suspendió los pagos de la deuda externa mexicana. Esta suspensión sirvió de pretexto al entonces emperador de los franceses, Napoleón III, para enviar a México un ejército de ocupación, con el fin de crear en ese país una monarquía al frente de la cual estaría un príncipe cátolico europeo. El elegido fue el Archiduque austríaco Fernando Maximiliano de Habsburgo, quien a mediados de 1864 llegó a México en compañía de su mujer, la Princesa Carlota de Bélgica. Este libro se basa en este hecho histórico y en el destino trágico de los efímeros Emperadores de México. (PASO 2008: 9) 5.3.3 Die Kapitel Trotz des schier unmöglichen Unterfangens, exakt zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden, versuchten Wissenschaftler dennoch die einzelnen Kapitel den beiden Polen zuzuordnen. Sie schrieben die ungeraden Kapitel, in denen Charlotte in ihrer Wahnsinnigkeit 11
spricht, der Fiktion zu und die geraden Kapitel, die der Feder eines Historikers zu entstammen scheinen, der Realität. Die alternierende Erzählweise der geraden, realitätsnahen und der ungeraden, eher fiktionalen Kapitel habe laut Nancy Malaver eine besondere Funktion: [...] tal entreveramiento de los capítulos es el rasgo fundamental de la estructura de trama de la novela, y obedece a la intención del autor de hacer ver al lector que en lo esencial no hay diferencia entre el texto de ficción y el texto del historiador "objetivo", o, en otras palabras, que en el primero la ficción conduce sutilmente a la verdad histórica, y en el segundo el relato "objetivo" conduce sutilmente a la ficcionalización de la historia. (MALAVER 2010) Vereinfacht ausgedrückt, soll durch das abwechselnde Erzählen eines realitätsnahen und eines eher fiktionalen Kapitels gezeigt werden, dass zwischen beiden Texten – den Texten des vermeintlichen Historikers und denen des Schriftstellers – keine Unterschiede sind. Im einen führt die Fiktion zur historischen Realität, im anderen die historische Realität zur Fiktion. Mit anderen Worten sind die Grenzen nicht klar auszumachen und ein Versuch, dies zu ändern, scheint sinnlos. 1. Kapitel „Castillo de Bouchout, 1927“ – ein veranschaulichendes Beispiel Als Beispiel für den nahtlosen Übergang von fiktionalen zu faktualen Elementen soll das erste Kapitel „Castillo de Bouchout, 1927“ dienen. An seinem Anfang steht das vom französischen Philosophen Nicolas Malebranche (1638- 1715) stammende Zitat „La imaginación, la loca de la casa“ (PASO 2008: 11), mit dem zwei Funktionen erfüllt werden: einerseits wird ein historischer Fakt, nämlich der Wahnsinn der mexikanischen Kaiserin Charlotte, dargelegt, andererseits wird auf den hohen Anteil fiktionaler Elemente dieses Kapitels, oder besser gesagt, aller ungerader Kapitel, in denen die Ereignisse aus der Sicht der wahnsinnigen Charlotte präsentiert werden, hingewiesen. Charlottes Wahnsinn gibt dem Roman Raum, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion beliebig und ohne Bedenken zu überschreiten [...] contar otra(s) historia(s) con una retórica libre de condicionamientos sociales o ideológicos. Si la imaginación -la loca de la casa- impera, todo se puede decir, y todo se dirá por medio de Carlota: „es mi privilegio, el privilegio de los sueños y el de los locos, inventar si quiero un inmenso castillo de palabras, palabras tan ligeras como el aire en el que flotan‟ (117). (ESPINO BARAHONA 2000) Dass Charlotte in ihrer Wahnsinnigkeit immer wieder fantasiert und Dinge erfindet, bedeutet aber nicht, dass dabei die Geschichte verfälscht wird. Der argentinische Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Noé Jitrik meint, dass eher das Gegenteil der Fall 12
sei: “[...] la verdad puede ser más plena por la intervención de la mentira, o más densa; en cambio, la verdad que no pasa por esa prueba puede aparecer como más superficial, o fragmentaria, o sin fundamento”. (ESPINO BARAHONA 2000) Im folgenden Textbeispiel nützt Fernando del Paso Charlottes Wahnsinn und lässt sie in ihrem fiktionalen monologischen Delirium negativ über die französische Politik sprechen. “...Maximiliano, diles que no es verdad, que tú siempre fuiste y serás el amor de mi vida, y que si estoy loca es de hambre y de sed, y que siempre lo he estado desde ese día en el palacio de Saint Cloud en que el mismísimo diablo Napoleón Tercero y su mujer Eugenia de Montijo me ofrecieron un vaso de naranjada fría y yo supe y lo sabía todo el mundo que estaba envenenada porque no les bastaba habernos traicionado, querían borrarnos de la faz de la Tierra, envenarnos.” (ESPINO BARAHONA 2000) 5.3.4 Beispiele für fiktionale Elemente in Noticias del Imperio Auch wenn es, wie oben bereits mehrmals erwähnt, sehr schwer ist, im neuen historischen Roman zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden, lassen sich in Noticias del Imperio dennoch eine Reihe von eindeutig erfundenen Elementen, seien es Ereignisse oder Personen ausmachen. Diese sollen im Folgenden beispielhaft angeführt werden. Im Unterkapitel “Seducciones: (II) „Espérate, Esperanza...‟” des 18. Kapitels “Queretaro, 1866-67” legt einer von Maximilians vermeintlichen Richtern seine Sicht der Dinge dar und bereitet seine Argumente für den Mordprozess gegen den Kaiser vor. Die Figur des Richters ist allerdings der Imagination del Pasos entsprungen und in der Geschichtsschreibung so nicht zu finden. (Vgl. ORTEGA 2010) [...] “Espérate, Esperanza”, que es el que narra la visión de unos de los supuestos, ficticios, jueces del Consejo de Guerra contra Maximiliano, quien prepara sus argumentos en Querétaro. (ORTEGA 2010) Weitere Beispiele für nicht-historische Personen sind die beiden französischen Brüder, die die Verfasser der Briefe im Unterkapitel „De la correspondencia – incompleta – entre dos hermanos“ des vierten Kapitels „Una cuestión de faldas, 1862-63“ sind. (Vgl. CORRAL PEÑA 2001: 302) Folglich ist ihr Briefwechsel ebenfalls kein geschichtliches Faktum, auch wenn er auf der Basis historischer Daten beruht, wie Fernando del Paso klarstellt: “[Yo inventé la correspondencia] pero por supuesto en base a datos históricos; es decir, lo que yo me propuse hacer en esa correspondencia incompleta es exponer de una manera literaria, el punto de vista de aquellos pocos pero distinguidos franceses que siempre estuvieron en contra de la invasión francesa.” (BARRÓN 2002: 15) 13
Auch der Privatsekretär Juárez‟, der beispielsweise im Unterkapitel „„Es como la gelatina…„“ des zwölften Kapitels „„Lo llamaremos el austriaco„, 1865“ vorkommt, ist eine Erfindung del Pasos, und nicht als historische Persönlichkeit auszumachen. (Vgl. CORRAL PEÑA 2001: 301) Die Fiktion spielt auch eine große Rolle, wenn von der Geliebten Maximilians, Concepción Sedano, die Rede ist. Ihre Existenz sowie auch ihre Beziehung zu Maximilian sind zwar historisch belegt, aber die Wissenschaftler sind sich nicht einig, ob es sich bei ihr um die Ehefrau oder die Tochter von Maximilians Gärtner handelt. (Vgl. PASTOR 2007) Fernando del Paso entschied aus Gründen der Dramatik, dass sie die Ehefrau war: Yo como novelista, escogí que fuera la esposa, porque si hubiera sido la hija el jardinero más bien se hubiera visto a aprovechar la situación y la hubiera aprovechado muy bien y yo lo que quería era hacer un ejercicio poético sobre el abuso del poder, entonces tenía que ser la esposa amada del jardinero, un buen hombre, un hombre de Dios, que estaba enamorado de su esposa con toda su alma, pero que al mismo tiempo el emperador Maximiliano era una especie de ser divino [...]. (PASTOR 2007) Als Beispiel für ein fiktionales Ereignis kann die Schlacht von Puebla genannt werden, die zwar historisch belegt ist, aber nicht am 5. Mai 1863, wo sie del Paso stattfinden ließ, sondern ein Jahr früher, am 5. Mai 1862. (Vgl. PASTOR 2007) El caso de la batalla de Puebla, que nosotros festejamos aquí el 5 de mayo como un gran triunfo sobre los franceses [...] le hago un homenaje en mi novela al sitio de Puebla un año después. (PASTOR 2007) 6 Literarische und stilistische Merkmale Noticias del Imperio als totaler Roman, wo die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen, bedient sich verschiedener literarischer und stilistischer Merkmale, um die historische Zeit der französischen Intervention in Mexiko und des zweiten mexikanischen Kaiserreichs möglichst vollständig, glaubwürdig und divers darzustellen. 6.1 Erzählinstanzen und Erzählformen Wie oben schon erwähnt, ist es ein Charakteristikum des neuen historischen Romans, die historische Realität aus möglichst vielen verschiedenen Perspektiven darzustellen: „crear […] un número potencialmente infinito de interpretaciones de la historia“ (MALAVER CRUZ 2004: 119) Fernando del Paso trata de darle voz a cada personaje que tuvo un papel que jugar durante ese período de la historia, a través de los veintitrés capítulos de su novela. (TÉLLEZ o.J.) 14
Es wird also nicht nur aus der Sicht historischer Persönlichkeiten wie Benito Juárez, Napoleon III und seiner Frau Eugénie, Kaiser Maximilian von Mexiko und Kaiserin Charlotte von Mexiko berichtet, sondern es kommen auch Personen zu Wort, die in der offiziellen Geschichtsschreibung in Vergessenheit gerieten. Manchmal wird sogar aus der Sicht erfundener Personen erzählt, die von Bettlern und Gärtnern über Spione bis hin zu Priestern und Soldaten alles sein könnten. (Vgl. TÉLLEZ o.J.) [...] la novela presenta unas voces anónimas de personajes ficticios que narran determinados episodios de las batallas entre juaristas y el ejército francés en México [...]. (TORRES PERDIGÓN o.J.: 4) So ist die Erzählinstanz in allen ungeraden Kapiteln Charlotte, die in Ich-Form die historischen Ereignisse der Jahre 1861 bis 1867 monologisch erzählt. In den geraden Kapiteln kommen die verschiedensten Erzählinstanzen – historische sowie erfundene – vor. Auch die vorkommenden Erzählformen und Textsorten sind sehr vielschichtig und abwechslungsreich. Einmal wird in Ich-Form, ein anderes Mal in Er-Form berichtet, einmal hat man es mit Zeitungsartikeln, Briefen, Dokumenten oder Liedern, ein anderes Mal mit Mono- und Dialogen zu tun. (Vgl. TORRES PERDIGÓN o.J.: 3f) Si los capítulos nones de la novela mantienen siempre la forma de un soliloquio, los capítulos pares, por el contrario, son muestra de la diversidad de estrategias narrativas que Del Paso echó a andar para la representación de la realidad histórica. (CORRAL PEÑA 2001: 299f) Abgesehen von diesen “voces de la representación y el diálogo” (CLARK/GONZÁLEZ 1994) gibt es aber auch noch eine Reihe anderer Erzähler, auf die im Folgenden genauer eingegangen werden soll. Zum einen gibt es den supernarrador, einen Erzähler, der sehr große Glaubwürdigkeit genießt, da er die offizielle Version der historischen Vergangenheit darlegt. Die meiste Zeit ist er nicht spürbar, manchmal manipuliert er aber die Leserin bzw. den Leser oder unterbricht die Erzählung mit seiner Allwissenheit. (Vgl. CLARK/GONZÁLEZ 1994) [...] aparece [...] un “supernarrador” que escoge, encuadra e intercala la documentación histórica, y que al seleccionar transmite con eficacia la «historia oficial». Su versión de los hechos contribuye al proceso de crear una vista «fiel» del México del siglo XIX, desde los elementos más mundanos hacia los movimientos políticos más importantes. De una manera casi imperceptible esta voz está siempre en el trasfondo mirando, manipulando y, a veces, irrumpiendo como narrador omnisciente. El supernarrador es importante porque su papel no es tan distinto al del historiador prototípico, el que rastrea el pasado y selecciona lo que le parece verosímil para presentar su versión de los hechos. (CLARK/GONZÁLEZ 1994) 15
Zum anderen gibt es den impliziten Autor, der die historische Vergangenheit bewertet. Seine Präsenz ist beispielsweise im Prolog oder in Textstellen erkennbar, die Zweifel ausdrücken. Weiters ist er dort spürbar, wo er Gesagtes anderer Personen verurteilt oder bestätigt oder seine Missbilligung gegenüber historischen Quellen ausdrückt. (Vgl. CLARK/GONZÁLEZ 1994) [...] se revela un “autor implícito” que sobrepesa y evalúa la documentación. [...] Su voz aparece en el prólogo y dentro del texto, expresándose con frases que siembran la duda: “[Al] parecer, casi todos los biógrafos e historiadores posteriores a Corti leyeron una u otra versión, pero no las dos” (469). En varias ocasiones confirma, expande, contradice o condena lo dicho por otros: “Cuenta Hidalgo y Esnaurrízar en sus memorias que se permitió preguntarle a Luis Napoleón...” (84). Condena a veces también a las fuentes históricas: “algunos autores, como Adrien Marx..., no saben de lo que hablan” (461). En otros casos se imagina “datos” históricos no consignados por los historiadores: “esto no lo dice Corti ni ningún otro historiador, pero es de suponerse que el Pontífice no descuidaría un detalle semejante -dos bacinillas o tazas de noche: una para Carlota y otra para la señora del Barrio.” (469). (CLARK/GONZÁLEZ 1994) Ein weiterer Erzähler ist der autor dramatizado, der in Ich-Form spricht, ohne am Geschehen teilzuhaben. Durch seine Einwürfe reißt er die Leserin bzw. den Leser immer wieder aus ihrer bzw. seiner Illusion. (Vgl. CLARK/GONZÁLEZ 1994) [Noticias del Imperio] incluye un «autor dramatizado» que habla en primera persona sin actuar en la obra. Este narrador se hace evidente en el capítulo que funciona de epílogo: “En mi opinión, Rodolfo Usigli no pudo eludir la historia” (642). O más adelante, “Como le advertimos al lector - le advierto yo- el problema no es que en México hayamos matado a Maximiliano... [y] hayamos vuelto loca a Carlota: el problema es que a ninguno de los dos los enterramos en México” (643). Involucrado emocionalmente en su narración, y viéndose obligado a comentar y especular, rompe con sus palabras la ilusión de realidad creada por la novela [...]. (CLARK/GONZÁLEZ 1994) Diese Vielzahl an Erzählern, Perspektiven und Erzählinstanzen macht aus Noticias del Imperio einen Roman, der aus unzähligen Fragmenten zu bestehen scheint. Viele microhistorias verhindern eine einseitige Sichtweise der historischen Realität. (Vgl. SANMIGUEL 2005) La elección de una diversidad de perspectivas lleva a la existencia de diversos núcleos o centros en la novela, con el subsecuente enriquecimiento y la complejización de la trama. Los relatos provenientes de diferentes personas ofrecen versiones distintas e incluso contradictorias de los hechos, lo que conduce a la imposibilidad de hacerles converger por completo. (CORRAL PEÑA 2001: 314f) 6.2 Textsorten Fernando del Paso verwendet, um die historische Realität möglichst vollständig und aus verschiedenen Blickwinkeln darzustellen, nicht nur mehrere Erzählinstanzen und Erzählformen, sondern auch eine Vielzahl unterschiedlicher Textsorten. Diese sollen im Folgenden aufgezählt und, so sie häufig verwendet werden, auch analysiert und kommentiert werden. 16
Neben literarischen Textsorten wie Mono- und Dialogen kommen auch solche vor, die eigentlich zum Alltag eines Historikers gehören, wie Zeitungsartikel, Briefe, Dokumente oder Lieder. Letztere werden als historische Quellen in den Roman eingeflochten, um ein höheres Maß an Realität und Glaubwürdigkeit zu schaffen. Die Mono- und Dialoge – im Übrigen die vorherrschenden Textsorten – kommen vor allem dort zu tragen, wo die historische Realität fiktionalisiert wird. (Vgl. CORRAL PEÑA 2001: 300) Im Folgenden sollen die Mono- und Dialoge genauer betrachtet werden. 6.2.1 Der Monolog Der Monolog als Mittel, Fiktion zu erzeugen, ist in allen ungeraden Kapiteln, also allen Kapiteln, in denen aus der Sicht Charlottes erzählt wird, die dominierende, ja sogar die einzig vorkommende Textsorte. In Noticias del Imperio hat er allerdings dialogischen Charakter, da sich Charlotte, die schon seit Jahren dem Wahnsinn verfiel, an ihren Gatten Maximilian richtet, der aber schon gut 60 Jahre tot ist. Wie im gesamten Roman ist auch in Charlottes Monologen schwierig herauszufinden, wo die Grenze zwischen Realität und Fiktion liegt. En principio el discurso de Carlota es poco creíble. Esto es así por dos razones. En primer lugar, su discurso suele ser efectivamente el de una loca. [...] En segundo lugar, Carlota dice recibir en 1927 noticias de un imperio que murió con Maximiliano sesenta años atrás. El lector no puede menos que desconfiar de un discurso que llama la atención sobre sí mismo, pues dice inspirarse en noticias que llegan con sesenta años de atraso. (MALAVER CRUZ 2004: 117) Teilweise ist sich Charlotte selbst nicht sicher, was sie glauben soll und was nicht: „porque estoy tan confundida que a veces no sé si fui de verdad María Carlota de Bélgica, si soy aún Emperatriz de México, si seré algún día Emperatriz de América. Y porque estoy tan confundida que a veces no sé dónde termina la verdad de mis sueños y comienzan las mentiras de mi vida” (23). (CLARK/GONZÁLEZ 1994) Abgesehen von den Monologen in den ungeraden Kapiteln kommt diese Textsorte auch noch an anderen Stellen des Romans vor. Beispiele dafür sind die Unterkapitel “Camarón, camarón...”, “Yo soy un hombre de letras” und “Camino del paraíso y del olvido”. (Vgl. CORRAL PEÑA 2001: 307) 17
6.2.2 Der Dialog Der Dialog, in welcher Erscheinungsform er auch auftritt, sei es als Gespräch zwischen zwei Personen oder sei es als Briefkorrespondenz, soll, wie oben schon erwähnt, dazu beitragen, die historischen Daten zu fiktionalisieren. Beispiele für das Auftreten des Dialogs als Gespräch zwischen zwei Personen finden sich im Unterkapitel „Del baile de anoche, en las Tullerías“ des zweiten Kapitels „Entre Napoleón te veas, 1861-1862“, wo sich Napoleón III und Fürst Richard Metternich auf einem Maskenball unterhalten und im Unterkapitel ‚“Es como gelatina…„“ des zwölften Kapitels „„Lo llamaremos el austríaco„, 1865“, wo Benito Juárez mit seinem Privatsekretär spricht. (Vgl. CORRAL PEÑA 2001: 300) Briefe als schriftlicher Ausdruck von Dialogen kommen in drei Unterkapiteln des Romans vor. Sie alle tragen den Titel „De la correspondencia – incompleta – entre dos hermanos” und sind im vierten, siebten und vierzehnten Kapitel situiert. Die Autoren dieser Briefe sind Alphonse und Jean-Pierre, ein französisches Brüderpaar, von denen der eine als Mitglied des französischen Heeres nach Mexiko reiste und der andere in Paris blieb. In den drei Korrespondenzen erzählen sie von ihren Erlebnissen und diskutieren über die politische Lage und die aktuellen Geschehnisse in Mexiko und Frankreich. (Vgl. CORRAL PEÑA 2001: 301) Ein wichtiger Grund, weshalb Fernando del Paso so häufig die dialogische Struktur verwendet, ist, dass er so seine Figuren nicht extra vorstellen muss, da sie dies, dadurch wie sie denken, selbst tun. Otra razón del uso de la estructura dialógica se relaciona con la ventaja de enfrentar al lector directamente con los personajes, es decir, el lector conoce a los personajes sin mediación ni interposición, a través de lo que piensan [...]. (CORRAL PEÑA 2001: 301) 6.3 Stil Um die verschiedenen Sichtweisen ein und desselben historischen Ereignisses möglichst anschaulich und umfassend darzustellen, ist es unabdingbar, dass die Figuren, aus deren Perspektive erzählt wird, unterschiedliche Sprachebenen und Stile aufweisen. “Cada una de [los personajes] posee un registro lingüístico particular” (TORRES PERDIGÓN o.J.: 3), was als Heteroglossie bezeichnet wird. 18
In den Subkapiteln “La ciudad de los pregones” und “Corrido del tiro de gracia” wird aus der Perspektive von Leuten aus dem Dorf berichtet. Ihr Bildungs- und Sprachniveau scheint nicht sehr hoch zu sein, was aus ihren syntaktischen und grammatischen Fehlern beim Sprechen hervorgeht. So ist die Figur in „Corrido del tiro de gracia“ beim Gebrauch der Pronomen sehr unsicher und verwendet ständig „les“ anstatt von „le“ und „lo“ anstatt von „los“. In „La ciudad de los pregones“ ist sich die Figur nicht sicher, ob es „escrúpulos“ oder „crepúsculos“ heißt und welches von beiden sie nun meint. (Vgl. CORRAL PEÑA 2001: 311) Analog dazu wird den europäischen und mexikanischen Herrschern - seien es Kaiser Maximilian und Kaiserin Charlotte von Mexiko oder Napoleon III und seine Frau Eugénie oder sei es Benito Juárez - ein höheres Bildungs- bzw. Sprachniveau zugeschrieben. Maximilian und Charlotte werden sogar durch ihre Muttersprachen, Französisch und Deutsch, charakterisiert. (Vgl. TORRES PERDIGÓN o.J.: 3) 6.4 Intertextualität Fernando del Paso macht im Laufe seines umfangreichen historischen Romans immer wieder intertextuelle Verweise. So verwendet er, wie oben schon mehrmals erwähnt, historische Quellen wie Briefe, Zeitungsartikel, Dokumente, Lieder, etc. ein. Außerdem erwähnt er Historiker und ihre Sicht und Interpretation der historischen Daten und Ereignisse, die er dann kommentierend, bewertend, deutend oder erklärend in den Text integriert. 7 Zusammenfassung und Ausblick Resümierend kann gesagt werden, dass Fernando del Pasos Noticias del Imperio ein Paradebeispiel für den neuen historischen Roman ist, da das Werk alle typischen Charakteristika und Prämissen erfüllt: Es sind keine klaren Grenzen zwischen Realität und Fiktion auszumachen, die Protagonistinnen und Protagonisten sind historische Personen, es wird eine kritische und hinterfragende Haltung gegenüber der Geschichtsschreibung eingenommen und die historische Realität wird aus verschiedenen Perspektiven dargestellt. Für eine Fortsetzung und Vertiefung der Seminararbeit könnte noch genauer auf die intertextuellen Beziehungen zwischen Noticias del Imperio und anderen fiktionalen und nicht- fiktionalen Werken eingegangen werden. Weiters könnte der Roman auf die Darstellung Europas hin untersucht werden -immerhin wurde Noticias del Imperio von einem Mexikaner 19
verfasst-, die Michael Rössner in „Fernando del Paso: Realismo loco ο lo real maravilloso europeo. Algunas observaciones a propósito de „Noticias del Imperio‟” als märchenhaft beschreibt. Noch eine Möglichkeit wäre, die wichtigsten Haupt- und Nebenfiguren unter die Lupe zu nehmen und sie auf Realitäts- bzw. Fiktionsgehalt hin zu analysieren. Selbstverständlich könnten auch noch mehr Beispiele für fiktive Ereignisse und Personen gesucht werden – eine Suche, die wahrscheinlich, ob der diffusen Grenzen zwischen Realität und Fiktion, nie enden würde. 20
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