LA CARAVANE DU LIVRE 2009 - IMPRESSIONEN.
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LA CARAVANE DU LIVRE 2009 - IMPRESSIONEN. Liebe Freunde und Freundinnen, in diesem Jahr hatte die Caravane du Livre einen langen Weg vor sich. Die Reise von Marrakesch nach Figuig dauerte beinahe zwei komplette Tage, die „caravaniers“ hatten also genügend Zeit, sich schon unterwegs kennenzulernen. Aber … warum nach Figuig? Für Jamila ging es „back to the roots“, denn ihre Familie stammt aus Figuig, einem Ort, wo das Buch so rar ist wie der Regen. Im letzten Winter aber gab es viel, viel zu viel Regen in Figuig. Bei den Überflutungen haben Menschen ihr Leben verloren und die Beduinen, die rund um die Oase ihre Zelte aufgebaut hatten, standen ohne Hab und Gut da. Figuig hatte immer, vor allem durch seine geografisch-politischen Lage, direkt an der algerischen Grenze, eine Sonderstellung in Marokko. Einst lag es an der Kreuzung der zwei wichtigsten Handelskarawanen Nordafrikas. Im 15. und 16.Jahrhundert besaß es sogar mit 10.000 Büchern, die Sidi Abdel Jappar aus Fes und aus Algerien holen ließ, die größte Bibliothek in Marokko. Es hat nicht mal zum französischen Protektorat gehört; die Franzosen hatten alles um Figuig herum besetzt, aber hielten es für ausgesprochen unklug, Figuig zu belagern. 12.000 Einwohner leben in dieser Oase mit 200.000 Palmen, mehr schlecht als recht und die ganze Problematik Marokkos findet sich in dieser kleinen Welt wieder. 75 % des Einkommens werden von den ausgewanderten Figuigiens bestritten, nur ein Viertel wird vor Ort erwirtschaftet. Eine wachsende Arbeitslosigkeit in Europa trifft also auch auf indirektem Weg diesen magischen Ort am Rande der Sahara. Die Palmenkrankheit und die Sorgen um die natürlichen Wasserreserven beschäftigen diese Menschen genauso wie die sich ändernden Sozialstrukturen. Figuig empfing uns mit Begeisterung. Es überraschte uns bereits am ersten Abend und sollte nicht aufhören, uns zu überraschen. Die Vorbereitung dieser Caravane hatte sich etwas schwieriger gestaltet als sonst. Vieles, was in den Vorjahren in monatlichen Einzeltreffen besprochen wurde, musste per Mail oder per Telefon erledigt werden. Noch nie zu vor aber sind wir auf besser vorbereiteten Schüler und Frauen gestoßen. Schon gleich nach dem offiziellen Teil des Empfangs, zeigten uns die Lehrer und Schüler des Collège, in einer Diashow die Entwicklung und Realisierung zweier wichtiger Schulprojekte: der Bau einer Bibliothek und die Anlage eines Gartens. Hier wurde uns gezeigt, wie Lehrer und Schüler sich beim 1
Schleppen und Graben, beim Malen und Pflanzen, bei der Gestaltung und beim Einordnen der Bücher genähert hatten. Wir waren, gelinde gesagt, sehr positiv überrascht, auch davon, dass das gesamte Material von der örtlichen Bevölkerung besorgt worden war. Der Stolz stand unseren Gastgebern im Gesicht geschrieben und das Gefühl, es in Figuig mit stolzen Menschen zu tun zu haben, sollte sich in den folgenden Tagen noch verstärken. Am nächsten Tag teilten wir uns in 2 Gruppen auf: Die einen gingen ins Collège En Nahda, wo die Workshops mit den Schülern stattfanden, die anderen gingen mit den Frauen von 13 Frauenvereinen zum „Haus für die Frau und das Kind“. Im Letzteren gab es, unter der Leitung der römischen Anwältin Luigia Barone, den Workshop “Gemeinsam gibt es einen Weg aus der Gewalt“. Häusliche Gewalt ist ein ernstes Problem in Marokko und das Parlament arbeitet fieberhaft an ein Gesetz zum Schutz gegen Gewalt. Die Frauen in Figuig aber kennen keine körperliche Gewalt. Wie die Frauen in der Sahara werden sie respektiert. Ein Mann, der seine Frau schlagen würde, müsste unmittelbar die Familie verlassen und hätte kein Ansehen mehr. Die 2 Anwältinnen und 2 Psychologinnen lasen einen Brief aus dem Centro Antiviolenza in Rom vor, geschrieben von einer marokkanischen Einwanderin, in dem diese ihren schweren Weg aus der Klammer der Gewalt erzählt. Es herrschte tiefes Mitleid mit dieser Frau, aber in Figuig wäre so etwas nicht vorstellbar. Die Frauen stellten sich mit Stolz und voller Elan vor, trotz der Last der massiven wirtschaftlichen und sozialen Probleme. Darüber wollten sie gerne mit uns sprechen. Auf den Teppichen fanden wir uns in kleinen Gruppen zusammen, und beim Couscous-Kochkurs wurde viel gefragt und gelacht. Es wurde verabredet, dass am nächsten Tag jede Frau einen Zettel mitbringen sollte, worauf ihr größter Wunsch und der Vorschlag eines Logos stehen sollten. Nach dem gemeinsamen Essen besuchten wir noch einen Ausstellungsraum, in dem die Frauen ihre Arbeiten auch verkaufen. Sehr erstaunlich war, dass obwohl ein Großteil dieser Frauen erst vor einigen Jahren alphabetisiert wurde, die meisten sogar französisch sprachen. Im Collège war man währenddessen natürlich auch nicht untätig, ganz im Gegenteil. Mit Riesenbegeisterung nahmen die Schüler an den Workshops teil und waren bald nicht dazu zu bewegen, zum Mittagessen zu fahren. Die Geschichte “au delà des dunes…“ von Lucia Casteldini und Maurizia Benassi aus Bologna, faszinierte die Schüler sehr, sollten sie doch diese „halbe“ Geschichte zu Ende schreiben und das in 3 Gruppen. Sie waren überrascht, wie gut die beiden Italienerinnen über Figuig informiert waren. In dem vom deutschen Goethe-Institut in Marrakesch angebotenen Workshop ging es um den Ausdruck der Gefühle in Gesten und Mimik, ein Thema, das uns immer sehr am Herzen liegt. Marokkanische Kinder lernen nicht, ihre Gefühle auszudrücken und „rezitieren“ ohne Regung. Wie viel Spaß diese Arbeit brachte, konnten alle am Abend im Theater sehen. In den anderen Workshops ging es teils um Wasser, teils um die bewegte Geschichte Figuigs. In den Bildern zeigte sich der Stolz auf die eigene Geschichte und die Hoffnung, gehört zu werden. Eine Schülergruppe hatte ein sehr aussagekräftiges Bild über Figuig als Treffpunkt für Bücherkarawanen früher und jetzt gemalt. Nachmittags waren wir Gäste unserer Lehrer und Schüler und wurden unter lautem Gesang und Getrommel 20 km weitergefahren, um die prähistorischen Felsenzeichnungen zu besichtigen. Besonders beeindruckend war auch die Landschaft; Figuig-Fluss-Algerien … Abends trafen sich alle wieder zum Vortrag “das Buch, das Kind und die Familie“ von Jilali Hassoune. 2
Der Sprecher beschäftigte sich ausführlich mit der Verbindung zwischen Buch und Familie, zwischen Lesen und kindliche Entwicklung. Er erklärte die Stufen: lesen sehen, lesen wollen, lesen können und lesen weiterentwickeln. Jilali Hassoune spach auch über die Schwierigkeiten der Eltern ihre Kinder für das Lesen zu begeistern, vor allem in einer Zeit, in der es so viele andere Reize gibt. Er plädierte für eine Art "Elternerziehung", damit Kinder nicht nur gerne Geschichten vorgelesen bekämen, sondern auch selbst zum Buch greifen würden. Ein besonderes Kapitel widmete er der Rolle des Buchs und des Lesens in Afrika , und betonte ausdrücklich die Wichtigkeit des Buches zum Erhalt des Kulturpatrimoniums der afrikanischen Ländern. Sehr erfreulich war, dass auch diesen Vortrag vor einem vollen Gemeindesaal stattfand, vor Schülern und Eltern. Der Freitag fing für alle pünktlich um 9 Uhr an. Nun trafen sich die Frauen wieder und die Marokkanerinnen lernten von den Italienerinnen, wie man ein leckeres Pastagericht mit Zwiebeln, Chili, Knoblauch und Auberginen kocht. Man kannte sich nun schon, aber was trotzdem keine von uns erwartet hatte … die Damen hatten zu Hause emsig gearbeitet und hatten nicht nur ihre Zettel dabei, sondern auch einen von ihnen aus Plastikabfallresten gewebten Teppich, an dem diese nun geheftet wurden. Es waren sehr emotionale, unvergessliche Momente für alle. Und plötzlich war sie denn doch da, die Gewalt, wenn auch in einer anderen, psychischen Form. Wie sollen sie fertig werden mit den geänderten Lebensumständen? Was passiert mit den allein lebenden Frauen, wovon sollen sie leben? Es wurde der große Wunsch nach Austausch mit Frauen aus anderen Entwickelungsländern geäußert, der Wunsch nach Arbeit, nach finanzieller Unabhängigkeit. Man möchte lernen sich zu organisieren, um Dinge voranzubringen, man möchte Hilfe in Anspruch nehmen, um neue Ideen zu entwickeln und die erfolgreiche Produktion von Vollkorncouscous zu vermarkten. „Unsere Gewalt“, so sagte eine Frau, „ist wie eine Käseglocke, die über den ganzen Ort hänge und ständig Druck erzeuge, nach traditionellen Mustern zu leben. Aber die sich ändernden Lebensumstände ermöglichen dieses nicht“. Nach dem gemeinsamen Essen und dem Freitagsgebet der Gastgeberinnen traf man sich zu einem ausführlichen Spaziergang durch Figuig. 3
Heute war auch das Gymnasium Moulay Rachid an der Reihe. Um es gleich vorwegzunehmen … das Collège war erheblich besser vorbereitet. Trotzdem, auch in dieser Schule fanden wir viel Enthusiasmus vor. Die 3 Geschichten vom Vortag mussten nun illustriert werden. Da passte es natürlich gut, dass diese Schule über eine Gruppe Zeichner verfügt, die regelmäßig Zeichentricks veröffentlicht. Die Schüler vom Collège waren, teils mit Rosen “bewaffnet“, zum Gymnasium gekommen, um die Fortsetzung ihrer Arbeit zu betrachten. Maurizia und Lucia lebten wirklich in Symbiose mit ihren Arbeitsgruppen. Der Workshop “Geschichte“ war weniger gelungen. Wir hörten nachher, dass die Schüler diesen hatten vorbereiten müssen, ohne zu wissen zu welchem Zwecke. Da sie alles bald auswendig abrappelten, auch noch in Arabisch, verloren wir viel Zeit mit den Übersetzungen. Das, was wir immer fördern möchten, die Auseinandersetzung, das Hinterfragen der Geschichte, konnte nicht stattfinden, da die Schüler überhaupt nicht damit konfrontiert werden. Schade … Schade auch der verheerende Zustand der Schulbücherei. Abdelah Taibi und Amal Chmiti, 2 Lehrkräfte aus Skoura, mit den wir im letzten Jahr gut zusammengearbeitet hatten, begeisterten ihre Schüler mit Theater und Schreibworkshops., der eine auf Englisch, die andere auf Französisch. Es hat uns sehr erfreut zu sehen, wie beide sich auch nach der Caravane 2008 weiter entwickelt haben und neue, spielerische Elemente in Ihrer Arbeit einbrachten. Amal Ewida, Journalistin beim ägyptischen Staatsfernsehen und Schriftstellerin sprach über die diversen Schreibarten, vom Gedicht bis zum journalistischen Bericht. Diese faszinierende Frau hat alle mit ihrem Elan und ihrem Lächeln mitgerissen. Die Schüler waren begeistert und arbeiteten sehr gut mit. 4
Während der gesamten Dauer der Caravane gab es im Collège eine Bücherausstellung, die vor allem von den Lehrern besucht wurde. Am Nachmittag fing ein Programm an das sich bis in die späten Abendstunden fortsetzen sollte. Die Schüler und die Lehrer begleiteten uns zuerst durch die Altstadt mit ihrem jüdischen und moslemischen Teil, mit den unterirdischen Naturbädern mit herrlich lauwarmem Wasser. Manch einer fand da auch die wohlverdiente Erfrischung für den Tag. Dann ging es in den Saal, wo nun die Schüler, die am Projekt des Goethe-Instituts mitgearbeitet hatten, zeigten, was sie gelernt hatten. Schon erstaunlich, was Jessica Laignel und Jemal Oudali da in der kurzen Zeit hatten vermitteln können. Danach stellte Amal Ewida ihr neues Buch vor, eine Sammlung von Kurzgeschichten mit dem Titel „Frauenträume.“ Sie las, sehr emotional, die Geschichte einer Palästinenserin vor. Der Höhepunkt aber kam am Abend. Die weit über die Grenzen Marokkos hinaus bekannte Sängerin Sumaya Abdelaziz gab ein Konzert, bei dem die Wände bebten und ganz Figuig tobte. Am Samstag hieß es Abschiednehmen, aber nicht ohne noch einen letzten Besuch an die Wasserreservoirs und die Sandbäder. Auf unserer Heimfahrt nach Marrakesch mit einer Übernachtung in Ouarzazate waren wir erschöpft, standen aber vor allem sehr unter dem Eindruck von dem, was wir in Figuig erlebt hatten. Und wie letztes Jahr in Skoura, hoffen wir, dass auch der Austausch mit unseren Freunden in Figuig andauert. Liebe Freundinnen und Freunde, auch im Namen von Jamila sage ich noch einmal Danke für alles, was Ihr getan habt, um uns zu helfen. Ob Ihr unsere Taschen verkauft oder etwas überwiesen habt, ob Ihr etwas für uns erledigt, übersetzt oder nachgefragt habt … es gab so viel Hilfe und mit einiger Mühe haben wir auch die Finanzierung in den Griff bekommen. Euch allen von ganzem Herzen DANKE und bis zur nächsten Caravane du Livre. Eure Françoise Grabowski. Fotos: Helfried Nagel, Stéphane Billerey, Maurizia Benassi und Françoise Grabowski. Mehr Infos: jamila-hassoune.ma 5
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