Lesen und Schreiben - (k)eine Selbstverständlichkeit
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
21.09.2020 Lesen und Schreiben – (k)eine Selbstverständlichkeit Workshop zum Thema Illettrismus «Weiterbildung für Sozialämter 2020» 15. September 2020 – Rothenthurm – Elisabeth Zellweger 17. September 2020 – Wollerau – Paula Klemt 1 Boggsen – Wer zur Schule gegangen ist, kann lesen und schreiben. Von Jürg Neuenschwander (2011) 2 1
21.09.2020 Ablauf • Boggsen – ein Film von Jürg Neuenschwander • Definition Grundkompetenzen und die rechtlichen Fördergrundlagen • Illettrismus – ein gesellschaftliches Phänomen • Ursachen und Folgen • Der Weg hinaus • Die Rolle von Drittpersonen • Fragen • Informationen zu regionalen Förderangeboten 3 Das Weiterbildungsgesetz (WeBiG 2017) Art. 14 Ziel Der Bund setzt sich gemeinsam mit den Kantonen ein, Erwachsenen den Erwerb und Erhalt von Grundkompetenzen zu ermöglichen... Art. 13 Grundkompetenzen Erwachsener • Lesen, Schreiben und mündliche Ausdrucksfähigkeit in einer Landessprache • Grundkenntnisse der Mathematik • Anwendung von Informations- und Kommunikationstechno- logien (IKT) 4 2
21.09.2020 SKOS-Richtlinien (2021) C.6.2. «Kosten für Fort- und Weiterbildung können übernommen werden, wenn diese zur Unterstützung der beruflichen und/oder sozialen Integration beitragen.» SKOS-Weiterbildungsinitiative «Arbeit dank Bildung» 2018 3.2. «... Alltägliche Situationen, deren Bewältigung Sozial- und Methodenkompetenzen erfordern, bilden den Ausgangspunkt für Lernprozesse zur Verbesserung der Grundkompetenzen. Bildungsmassnahmen, die praktischen individuellen Nutzen versprechen, motivieren die TN und fördern sie im Alltag. Wer mehr liest, schreibt und IKT anwendet wird mit jeder selbständig gemeisterten Situation sicherer. Dies führt zu kontinuierlich wachsenden Grundkompetenzen und schliesslich zu erweiterter Handlungsfähigkeit, mehr Selbstvertrauen und einer Stabilisierung im Alltag...» 5 Lesen und Schreiben – komplexe Fähigkeiten 6 3
21.09.2020 Laute heraushören Was passt hier nicht? Ma-ndarine A-pfel Ma-ulwurf 7 Zuordnung: Zeichen und Laute . . A= I= N= T= B= K= R= SCH = E= L= S= 8 4
21.09.2020 Zu Wörtern verschmelzen H-A-S-E Ersatzteillagerregaleinlegeboden 9 Wörter als Ganzes wahrnehmen Luat eienr Stduie der Cambrdige Uinevrstiät speilt es kenie Rlloe in welcehr Reiehnfogle die Buhcstbaen in eniem Wrot vorkmomen, die eingzie whictige Sahce ist, dsas der ertse und der lettze Buhcstbae stmimt. Der Rset knan ein vlilöges Duchrienanedr sein und knan trtozedm prboelmols gelseen wreden. 10 5
21.09.2020 Automatisch lesen blau rot gelb blau grün rot rot blau gelb grün blau rot blau gelb grün rot blau grün nach John Ridley Stroop: der Stroop-Effekt, 1935 11 Strategien Textverständnis Der Textsorte angepasste Strategie wählen: ▪ von A-Z lesen ▪ wiederholtes Lesen ▪ im Text hin und her springen ▪ markieren, Notizen schreiben ▪ unbekannte Begriffe nachschauen ▪ andere Texte zum selben Inhalt lesen ▪ nachfragen, diskutieren ▪ weitere Personen- oder textspezifische Strategien 12 6
21.09.2020 Wissen, wem man schreibt Schreiben für sich ▪ Tagebuch ▪ Notizen ▪ Listen Schreiben für andere ▪ bekannte private Empfänger: Briefe, SMS, Mails ▪ Öffentlichkeit: Schilder, Artikel ▪ für Vorgesetzte: Rapporte, Berichte ▪ im Internet: Foren, Social Media 13 Schreibfertigkeit – Stift oder Tastatur 14 7
21.09.2020 Komplexer Ablauf und ein Zusammenspiel aller Bereiche 17 Aus der Praxis Text eines Kursteilnehmenden Feuerzeug erinnert mich an früher wo ich noch geraucht habe, und jetzt 8 Jahre später, kommt mir Romantische Abend im Kerzen Licht. So vern ich das Feuerzeug dabei habe, und nicht vergessen im Ausgang wo immer wider nach Feuer gefragt wird. 18 9
21.09.2020 Aus der Praxis Text eines Kursteilnehmenden zum Thema «Autoprüfung» …und ich hatte auch wirich keiten bei der Theori ich konnte alles erklären wenn ich unter wegs war auf dem Programm nichts. Aber ich habe sie bei 3 Mal bestanden. Und seit zwei Wochen habe ich die Praktische Autoprüfung bestanden und ich war happy☺ 19 Fazit Lesen und Schreiben sind komplexe Prozesse. Um sie zu lernen braucht es: ▪ Viel Übung! ▪ Motivation ▪ Frustrationstoleranz ▪ Selbstvertrauen ▪ Erfolgserlebnisse 20 10
21.09.2020 Gestiegene Anforderungen: früher – heute 21 Im Beruf: Geschäftskorrespondenz 22 11
21.09.2020 Im Beruf: Arbeitseinsätze 23 Im Beruf: Arbeitsplätze ohne Schreibarbeit 24 12
21.09.2020 Im Beruf: Menge der Schreibarbeit 25 Im Alltag: Automaten 26 13
21.09.2020 Im Alltag: Wortschatz-Explosion 27 Im Alltag: Geräte 28 14
21.09.2020 Fazit ▪ Nur wer eine gute Basis hat, kann sich ständig weiterentwickeln. ▪ Wer nicht dranbleibt, wird abgehängt ▪ Eine dauernde Überforderung führt zu Stress. 29 Hohe Erwartungen – Realität 30 15
21.09.2020 Stufen der Lesekompetenzen 5 Flexible Nutzung unvertrauter komplexer Texte 4 Detailliertes Verständnis komplexer Texte 3 Integration Textelemente / Schlussfolgerungen 2 Herstellen einfacher Verknüpfungen 1 Oberflächliches Verständnis einfacher Texte 31 Stufe 1: Lesen Dieses Medikament hilft gegen Schmerzen. Erwachsene dürfen pro Tag maximal 3 Tabletten einnehmen. Kinder unter 12 Jahren dürfen dieses Medikament nicht nehmen. 32 16
21.09.2020 Stufe 2: Lesen Diese Medikament kann bei Schmerzen oder Entzündungen eingenommen werden. Die maximale Dosierung für Erwachsene liegt bei 3 Tabletten am Tag, bei Kindern sollte diese mit einem Arzt abgesprochen werden. 33 Stufe 3: Lesen Bei anhaltenden Kopf-, Glieder- und Rückenschmerzen wird Erwachsenen empfohlen, max. 3 Mal täglich eine Tablette à 500mg einzunehmen. Bei Kindern unter 12 Jahren bitte die Anweisungen des Arztes befolgen. Eine Erhöhung der Dosierung sollte zwingend mit einer ärztlichen Fachperson besprochen werden. 34 17
21.09.2020 Stufe 4 / 5: Lesen Beim Sumerischen handelt es sich um eine genetisch isolierte agglutinierende Ergativsprache mit grammatikalischem Geschlecht, die bis ins 20. Jh. v. Chr. in der mesopotamischen Alluvialebene (südlich von Nippur) als Standardsprache fungierte. 35 Texte erfordern unterschiedliche Lesestufen Beim Lesen... ▪ eines Krimis ▪ eines Textes aus Ihrem Fachbereich ▪ aus einem fremden Fachbereich ▪ einer Anleitung zur Installation einer Software ▪ beim Bedienen eines SBB-Billett-Automaten ▪ eines Handy-Abo-Vertrags ▪ des Begleithefts zu den eidgenössischen Abstimmungen 36 18
21.09.2020 Situation in der Schweiz Bundesamt für Statistik, Adult Literacy and Lifeskills Survey ALL, 2006 37 ALL-Studie, Bundesamt für Statistik 2006 Lesen von Texten allgemein 0% 20% 40% 60% 80% 100% Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Stufe 4/5 38 19
21.09.2020 ALL-Studie, Bundesamt für Statistik 2006 Lesen, Schematische Darstellung nach Alter 56-65 Stufe 1 Stufe 2 46-55 Stufe 3 Stufen 4/5 36-45 26-35 16-25 0% 20% 40% 60% 80% 100% 39 ALL-Studie, Bundesamt für Statistik 2006 Lesen von Texten nach Berufsgruppen Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Stufe 4 / 5 Akademische Berufe Technische Berufe Führungskräfte Bürokräfte / Kaufmännische Angestellte Verkauf Handwerkliche Berufe Bedienung und Montage von Maschinen Hilfsarbeitskräfte Landwirtschaft und Fischerei (Fachkräfte) 0% 20% 40% 60% 80% 100% 40 20
21.09.2020 ALL-Studie, Bundesamt für Statistik 2006 Lesen von Texten nach Ausbildung der Eltern 41 Fazit: ▪ An die Lese- und Schreibkompetenzen der einzelnen Menschen werden sehr hohe Erwartungen gestellt. ▪ Lese- und Schreibdefizite sind oft mit Schamgefühlen und niederem Selbstwert verbunden. 42 21
21.09.2020 Tabu und soziales Stigma 43 Das Tabu «Illettrismus» 44 22
21.09.2020 Folgen des Tabu Betroffene… ▪ wissen nicht, dass sie nicht die Einzigen sind. ▪ kennen niemanden, mit dem sie darüber sprechen könnten. ▪ wissen nicht, dass es passende Angebote gibt. 45 Die Schublade «Illettrist/in» 46 23
21.09.2020 Folgen der Stigmatisierung Betroffene…. ▪ glauben selbst, dass sie «dumm» sind. ▪ glauben nicht, dass sie besser lesen und schreiben lernen können. ▪ geben oft ihre Schwäche vor sich selbst und vor anderen nicht zu. 47 Fazit: Darüber sprechen ist schwierig. Aber nur ein offenes Gespräch ermöglicht Lösungen. 48 24
21.09.2020 Hindernisse im Lernprozess (Ursachen) ▪ Gesundheit: nicht erkannte Seh- oder Hörschwäche, Absenzen durch lange Krankheit, Legasthenie ▪ Persönlichkeit: Konzentrationsschwierigkeiten, Entwicklungsdefizite ▪ Biographie: kritische Lebensereignisse ▪ Soziales Umfeld: bildungsferne Familie, ungünstige Situation in der Schule 49 Zwischen Anforderungen und Erwartungen komplexe Fähigkeiten hohe Erwartungen Frust, Resignation Scham, fehlendes Vertrauen hohe Anforderungen Tabu und Stigma Überforderung, Stress keine Auseinandersetzung 50 25
21.09.2020 Strategien als Folgen und Verstärker vermeiden verheimlichen anders bewältigen 51 Strategien: Was würden Sie tun? ▪ Sie sitzen im Restaurant und verstehen die Karte nicht. ▪ Sie müssen vor Ort ein Formular ausfüllen und verstehen die Fragen nicht. ▪ Sie bekommen einen Brief von einem Amt und verstehen nicht, was Sie tun sollen. ▪ Sie müssen in einer Weiterbildung auf einen Flipchart schreiben. 52 26
21.09.2020 Die Folgen für Betroffene ▪ Gesundheit: Stresssymptome/-erkrankungen wie Burn-Out, hoher Blutdruck, Magenbeschwerden ▪ Beruf: erschwerter Zugang zu Weiterbildungen, Ablehnung von Beförderungen, schlechte Lohnbedingungen, Stellenverlust ▪ Soziales Umfeld: Abhängigkeit, erschwerte Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben, Schwierigkeiten bei der schulischen Begleitung der Kinder 53 Ursachen und Folgen Boggsen – Wer zur Schule gegangen ist, kann lesen und schreiben. Von Jürg Neuenschwander (2011) 54 27
21.09.2020 Der Weg hinaus… 55 Aus der Praxis 56 28
21.09.2020 Einzelne Schritte Eingeständnis Bedarf erkennen, Schwäche eingestehen Entscheidung Zutrauen in die eigene Lernfähigkeit Anmeldung den Schritt wagen, Kursbesuch organisieren Kursbesuch dranbleiben 57 Lese- und Schreibkurse für Erwachsene Leistungsdruck individuell persönlich ohne 58 29
21.09.2020 Neue Strategien sich auseinandersetzen, statt verheimlichen lesen und schreiben, statt vermeiden selber Erfolge erleben, statt delegieren 59 Die Rolle von Vermittlern 60 30
21.09.2020 erkennen, ansprechen, unterstützen Gruppenarbeit zu den Fragen: Wie erkenne ich von Illettrismus Betroffene? Wie spreche ich Betroffene an? Wie unterstütze ich Betroffene? 61 Prozess und einzelne Phasen weite Verbreitung erwähnen, Kurse Eingeständnis erwähnen, aktiv zuhören Kurse beschreiben, zum Entscheidung Erstgespräch motivieren, aktiv zuhören Rahmenbedingungen schaffen, Anmeldung Anmeldeformalitäten Kursbesuch motivieren, unterstützen, nachfragen 62 31
21.09.2020 Eine von vielen Ansprechpersonen Eine betroffene Person braucht auf ihrem Weg mehrere Gesprächspartner/innen. Man braucht nur eine/r davon zu sein. 63 Erfolgsgeschichten... Boggsen – Wer zur Schule gegangen ist, kann lesen und schreiben. Von Jürg Neuenschwander (2011) Film erhältlich für 10.- 64 32
21.09.2020 Kontakte Hotline 0800 47 47 47 65 33
Sie können auch lesen