Monitoring der Felchenfänge der Berufsfischer von Brienzersee, Thunersee und Bielersee 1984-2018 - Kanton Bern

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Monitoring der Felchenfänge der Berufsfischer von Brienzersee, Thunersee und Bielersee 1984-2018 - Kanton Bern
Monitoring der Felchenfänge der Berufsfischer von
Brienzersee, Thunersee und Bielersee 1984-2018
Amt für Landschaft und Natur, Fischereiinspektorat   Mai 2021

Amt für Landwirtschaft und Natur
Auftragnehmer         WFN - Wasser Fisch Natur AG
                      Brunnmattstrasse 15
                      3007 Bern

Bearbeitung           Arthur Kirchhofer
                      Martina Breitenstein
                      Pascal Vonlanthen, Aquabios

Projektkoordination   Andreas Hertig, Fischereiinspektorat

Auftraggeber          Fischereiinspektorat des Kantons Bern
                      Schwand 17
                      3110 Münsingen

Titelbild             Thunersee © Fischereiinspektorat des Kantons Bern

V1.0                  11.8.2020
V2.0                  22.2.2021
V2.1                  10.4.2021
V2.2 Final            15.5.2021
WFN 2021                                           Felchenmonitoring 1984-2018

Inhalt
Zusammenfassung1

1 Einleitung4

2 Kurzporträt der drei grossen Berner Seen                                 5

3 Die Felchenvielfalt der drei Seen                                        9
  3.1 Einleitung9
  3.2 Artenvielfalt9
      3.2.1 Thuner und Brienzersee 9
      3.2.2 Bielersee10
  3.3 Bestimmungsschlüssel11
  3.4 Empfehlungen zu methodischen Anpassungen für das
      Routinemonitoring der Felchenfänge                                 12

4 Die Felchenfischerei in den drei Seen                                  13

5 Monitoringprogramm Felchenfänge Berufsfischer                          16
  5.1 Zielsetzung16
  5.2 Datenerfassung16
  5.3 Statistische Analysen                                               17
  5.4 Virtual Population Analysis                                         18

6 Resultate Monitoringprogramm                                           19
  6.1 Brienzersee19
      6.1.1 Statistische Basisdaten       19
      6.1.2 Länge, Gewicht und Kondition  20
      6.1.3 Alter und Arten               21
      6.1.4 Geschlechtsunterschiede22
      6.1.5 Artunterschiede23
      6.1.6 Jahrgangsstärken24
      6.1.7 Gesamtbetrachtung Brienzersee 26
Felchenmonitoring 1984-2018                 WFN 2021

   6.2 Thunersee28
       6.2.1 Statistische Basisdaten      28
       6.2.2 Länge, Gewicht und Kondition 29
       6.2.3 Alter und Arten              30
       6.2.4 Geschlechtsunterschiede31
       6.2.5 Artunterschiede32
       6.2.6 Jahrgangsstärken33
       6.2.7 Gesamtbetrachtung Thunersee  34
   6.3 Bielersee36
       6.3.1 Statistische Basisdaten      36
       6.3.2 Länge, Gewicht und Kondition 37
       6.3.3 Alter und Arten              38
       6.3.4 Geschlechtsunterschiede39
       6.3.5 Artunterschiede40
       6.3.6 Jahrgangsstärken41
       6.3.7 Gesamtbetrachtung Bielersee  42
   6.4 Gesamtbetrachtung aller drei Seen        44

7 Schlussfolgerungen49

8 Literatur50
WFN 2021                                                                 Felchenmonitoring 1984-2018

Zusammenfassung
In den drei grossen Berner Seen – Brienzer-,       Zooplanktonbiomasse weist grosse saisonale
Thuner- und Bielersee – leben mehrere Fel-         Schwankungen auf und im Brienzersee konnte
chenarten, die durch die Berufsfischerei inten-    1999/2000 mit dem vollständigen Fehlen der
siv genutzt werden. Die verschiedenen Arten        Wasserflöhe (Daphnien) ein einmaliges Phäno-
unterscheiden sich in Aussehen, Fortpflan-         men beobachtet werden. Da die Daphnien die
zungsbiologie und Wachstumscharakteristik.         wichtigste Nahrung für die Felchen darstellen,
Um die gemäss Bundesgesetz über die Fische-        wirkte sich diese Absenz auf das Wachstum
rei vorgeschriebene nachhaltige Nutzung der        der Felchen katastrophal aus. Die Fänge der
Fischbestände und die Erhaltung der Artenviel-     Berufsfischerei in diesem See brachen denn
falt zu gewährleisten, werden die Felchenfänge     auch stark ein und heute ist am Brienzersee
der Berufsfischer vom Fischereiinspektorat des     nur noch ein einziger Berufsfischer teilzeitlich
Kantons Bern seit 1984 stichprobenweise mo-        tätig, währenddem vor 35 Jahren fünf Famili-
natlich untersucht.                                en vollamtlich von der Fischerei lebten. Seither
                                                   hat sich sowohl der Daphnienbestand als auch
Die drei Seen weisen unterschiedliche lim-
                                                   der Felchenfang wieder erhöht. Im Bielersee
nologische Verhältnisse auf. Brienzer- und
                                                   wurden in den letzten Jahren mehrere früher
Thunersee sind tiefe Voralpenseen mit wenig
                                                   nicht vorhandene Algenarten und eine neue
Nährstoffen und relativ geringer biologischer
                                                   Zooplanktonart entdeckt. Dies wird als Auswir-
Produktion. Dank den ganzjährig guten Sauer-
                                                   kung des Klimawandels und der heissen Som-
stoffverhältnissen auch in den tiefen Wasser-
                                                   mer mit starker Erwärmung der oberen Was-
schichten können sie als typische Felchenseen
                                                   serschichten gedeutet. Allfällige Auswirkungen
bezeichnet werden. Der Bielersee dagegen
                                                   dieser Veränderungen im Artenspektrum der
weist – aufgrund des grossen Einzugsgebietes
                                                   Futterorganismen auf die Felchenbestän-
mit dichter Besiedlung und intensiver Landnut-
                                                   de, deren Wachstum und damit auch auf die
zung durch Landwirtschaft und Gewerbe – ei-
                                                   Berufsfischerei sind noch nicht untersucht.
ne deutlich grössere Nährstoffbelastung auf
und die Sauerstoffversorgung von mindestens        Neue Erkenntnisse aufgrund detaillierter Ana-
4 mg/l in der Tiefe ist nicht ganzjährig sicher-   lysen des Erbgutes der Felchen der Schweizer
gestellt. Durch die tiefere Höhenlage ist der      Seen (EAWAG) zeigen, dass in Thuner- und
Bielersee auch deutlich stärker vom Klimawan-      Brienzersee eine bis anhin nicht bekannte
del und den gehäuften Hitzesommern betrof-         Vielfalt verschiedener Felchenarten lebt: Im
fen. Der Brienzersee kann als ultra-oligotroph,    Thunersee wurden sechs verschiedene Arten,
der Thunersee als oligotroph und der Bielersee     im Brienzersee deren vier und im Bielersee
als mesotroph klassiert werden. Die Nährstoff-     ebenfalls vier Arten identifiziert. Mehrere, vor
und Temperaturverhältnisse, sowie Menge und        allem schnellwüchsige Arten werden vom kan-
Zusammensetzung der Algen und des Zoo-             tonalen Fischereiinspektorat durch Aufzucht-
planktons werden durch das Gewässer- und           und Besatzmassnahmen gefördert. Von der
Bodenschutzlabor des Kantons Bern seit den         Berufsfischerei werden sowohl schnell- als
1990er Jahren monatlich untersucht.                auch langsamwüchsige Arten genutzt. Der
                                                   Ertrag lag in den 1960er bis 1980er Jahren
Dank dem technischen Gewässerschutz
                                                   zwischen 8 (Brienzersee) und 70 (Thunersee)
(Abwasserreinigung) wiesen die Nährstof-
                                                   kg/ha Jahr. Seither hat der Jahresfang im
fe – insbesondere der Phosphatgehalt –seit
                                                   Brienzersee markant abgenommen und liegt
den Höchstständen in den 1970er Jahren ei-
                                                   aktuell unter 1 kg/ha Jahr. Im Thunersee hat er
ne stark abnehmende Tendenz auf. Seit ca.
                                                   sich relativ stabil zwischen 6 und 10 kg/ha Jahr
2000 haben sich die Nährstoffgehalte auf tie-
                                                   eingependelt, in den letzten Jahren allerdings
fem Niveau mehr oder weniger stabilisiert. Die

                                                                                                -1-
Felchenmonitoring 1984-2018                                                              WFN 2021

eher abnehmend. Im Bielersee wurde über ca.        dieser kleinen Fischchen zu gross, um noch
20 Jahre ein Jahresfang zwischen 20 und 30         eine kostendeckende Fischerei zu ermögli-
kg/ha Jahr angelandet, in den letzten Jahren       chen. Die Durchschnittswerte von Länge und
ging aber auch hier der Ertrag zurück und lag      Gewicht haben bis ca. 2011 markant abgenom-
2018 nur noch knapp über 10 kg/ha pro Jahr.        men, seither steigen sie wieder an, da fast nur
                                                   noch die schnellwüchsigen Felchen gefangen
Mit dem Routineprogramm der Felchenfänge
                                                   werden. Dies ist eine Folge der veränderten
der Berufsfischer werden monatlich aus je-
                                                   Befischungsintensität. Auch der Konditionsin-
dem See 25 Felchen aus den regulär einge-
                                                   dex ist vom Tiefpunkt von ca. 0.6 im Jahr 2000
setzten Netzen untersucht (Länge, Gewicht,
                                                   wieder auf annähernd «normale» 0.75 ange-
Geschlecht, Kiemenreusendornen (KRD) und
                                                   stiegen. Das Durchschnittsalter lag zu Beginn
Altersbestimmung). Länge und Gewicht wer-
                                                   des Monitorings unter dem angestrebten Ziel-
den primär durch die eingesetzten Fanggeräte
                                                   band von 3 – 5 Jahren, hat die Untergrenze je-
(Netztyp und Maschenweiten) bestimmt. Das
                                                   doch 1986 überschritten und seither liegt das
Verhältnis von Länge und Gewicht – der Kon-
                                                   Durchschnittsalter in den allermeisten Jahren
ditionsindex (KI) – erlaubt Rückschlüsse auf
                                                   innerhalb des Zielbandes. Währenddem das
den Ernährungszustand und die Gesundheit
                                                   Alter der schnellwüchsigen Felchen beim Fang
der Fische. Das Alter der gefangenen Fische
                                                   zunimmt, nimmt das Alter der langsamwüchsi-
wird aus der Analyse der Schuppen ersicht-
                                                   gen Brienzlig dagegen ab. In Ausnahmejahren
lich und sollte aus biologischen Gründen nicht
                                                   erreichten die Jahrgangsstärken Werte von
unter 3 Jahren liegen, damit die Fortpflanzung
                                                   200'000 (1993) oder sogar 330'000 (1982) Fi-
und damit die natürliche Bestandeserhaltung
                                                   schen. Seit der Jahrgang 1995 befischt wird,
nicht gefährdet sind. Aus ökonomischen Grün-
                                                   liegen die Werte jedoch zwischen 50'000 und
den sollten die Fische aber auch nicht viel län-
                                                   100'000 Fischen. Die Zahlen für die letzten 10
ger als 5 Jahre im See verbleiben, damit der
                                                   Jahre sind nur beschränkt aussagekräftig, da
Biomassezuwachs der Gesamtpopulation das
                                                   aufgrund der geringen Befischungsintensität
Optimum nicht überschreitet. Die Altersstruktur
                                                   die einzelnen Jahrgänge nicht mehr vollstän-
der Fänge in Kombination mit der Fangstatis-
                                                   dig ausgefischt werden. Eine Anpassung der
tik erlaubt auch eine Schätzung der minimalen
                                                   Fischereivorschriften scheint im Moment nicht
Jahrgangsstärken. Der vorliegende Bericht
                                                   notwendig.
fasst die Ergebnisse dieses 35-jährigen Moni-
toringprogramms zusammen und liefert detail-       Am Thunersee ist der Felchenfang über die 35
lierte statistische Analysen dieses umfangrei-     Jahre des Monitorings recht stabil geblieben
chen Datensatzes.                                  und jährlich werden rund 20 bis 40 Tonnen Fel-
                                                   chen gefangen, mit einzelnen Ausnahmejah-
Im Brienzersee sind die Felchenfänge in den
                                                   ren mit bis zu 60 Tonnen. Länge und Gewicht
35 Jahren des Monitorings um über 90 % auf
                                                   haben auch im Thunersee abgenommen, seit
weniger als 2 Tonnen eingebrochen. In dieser
                                                   ca. 2000 sind die Durchschnittswerte jedoch
Zeit wurde die Netzmaschenweite mehrmals
                                                   recht stabil. Dasselbe Bild zeigt sich beim Kon-
auf zuletzt 24 – 30 mm für Schweb- und 30
                                                   ditionsindex der 1986 stark gegen oben aus-
mm bzw. 20 mm für Grundnetze reduziert, um
                                                   schlug und 1996 und 2007 Tiefstwerte von 0.8
auf das aufgrund der Reoligotrophierung stark
                                                   erreichte. In allen anderen Jahren lag der KI
abnehmende Wachstum zu reagieren. Insbe-
                                                   um 0.9, was einem «normalen» Wert für die-
sondere der Brienzlig, der noch in den 1980er
                                                   se Fischarten entspricht. Das Durchschnitts-
Jahren bis über 80 % des Fangs ausmachte, ist
                                                   alter und die Anzahl KRD zeigen deutliche
kaum mehr zu fangen. Wenn er gefangen wird,
                                                   zyklische Schwankungen innerhalb von 5 bis
ist zudem der Arbeitsaufwand zur Verarbeitung

-2-
WFN 2021                                                                 Felchenmonitoring 1984-2018

7 Jahren. Dies dürfte mit dem unterschiedli-        gewünschten Bandbreite. Mehrheitlich besteht
chen Anteil schnell- und langsamwüchsiger           der Fang aus den langsamwüchsigen Bondel-
Felchen im Fang zusammenhängen, da die              les und die schnellwüchsigen Palées sind nur
schnellwüchsigen Albock und Balchen relativ         zu einem geringen Prozentsatz im Fang vertre-
wenig Kiemenreusendornen haben und in ei-           ten. Die Jahrgangsstärken liegen in der Regel
nem eher jungen Alter gefangen werden. Die          bei 200'000 bis 400'000 Fischen, in einzelnen
langsamwüchsigen Brienzlig und Kropfer da-          Jahren treten jedoch «starke» Jahrgänge mit
gegen haben viele KRD und werden aufgrund           bis zu 600'000 Tieren auf. Angesichts der ab-
der Wachstumscharakteristik etwas älter ge-         nehmenden Indikatoren Länge, Gewicht und
fangen. Das Durchschnittsalter beim Fang            Konditionsindex scheint eine Reduktion der
lag – mit wenigen Ausnahmen – während der           Netzmaschenweiten angezeigt zu sein.
gesamten Monitoringperiode innerhalb des
Zielbandes von 3 – 5 Jahren. Die Jahrgangs-
stärken lagen meistens zwischen 100'000 und         Das Monitoring der Felchenfänge der
140'000 Fischen, mit einzelnen Ausschlägen          Berufsfischerei bedeutet für das Fischereiin-
bis über 250'000 (1982). Die seit 2013 abneh-       spektorat des Kantons Bern einen beträcht-
mende Tendenz ist darauf zurückzuführen,            lichen Arbeitsaufwand. Dieser ist jedoch an-
dass die letzten Jahrgänge noch nicht voll-         gesichts des gesetzlichen Auftrages zur Si-
ständig rekrutiert waren. Die Veränderungen         cherstellung der nachhaltigen Nutzung der
in Länge und Durchschnittsalter wurden zur          Fischbestände und der Artenvielfalt durchaus
Ertragsstabilisierung mittels leichten, teilweise   gerechtfertigt. Dank diesem Monitoring konn-
jahreszeitlich variablen Vorschriften zur           ten verschiedene Spezialsituationen erkannt
Maschenweite aufgefangen.                           und mit zusätzlichen Untersuchungen abge-
                                                    klärt werden, z.B. die Gonadenveränderungen
Der Bielersee ist der produktivste der drei Se-
                                                    der Thunerseefelchen. Zudem erlauben diese
en und entsprechend sind hier die Felchenfän-
                                                    Daten eine zeitnahe Anpassung der Fische-
ge mit 60 bis 100 Tonnen pro Jahr am grössten.
                                                    reivorschriften bei sich ändernden Umwelt-
Allerdings ist seit 2012 eine Abnahme auf rund
                                                    bedingungen. Gerade in den letzten Jahren
40 bis 50 Tonnen zu beobachten. Dies dürfte
                                                    werden Veränderungen im Fangertrag, bei der
eine Folge der zunehmenden Reoligotrophie-
                                                    Länge und Korpulenz der Bielerseefelchen
rung (Reduktion der Nährstoffzufuhr) sein.
                                                    offensichtlich. Diese Beobachtungen lassen
Parallel dazu wird über die gesamte Monito-         sich mit den langen Datenreihen des
ringperiode eine Abnahme der Durchschnitts-         Monitorings sehr gut überprüfen.
längen und des mittleren Gewichtes beobach-
tet, obschon bis 2008 die Netzmaschenweiten         Die genetischen Untersuchungen haben
                                                    gezeigt, dass die bisher verwendete Anzahl
nicht geändert wurden. Seither wurden sie in
                                                    Kiemenreusendornen die Artunterscheidung
mehreren Schritten reduziert. Der Konditions-
                                                    der Felchen zu wenig genügend determiniert
index war über lange Zeit recht stabil zwischen
                                                    und zudem möglicherweise relativ schnellen
0.8 und 0.85, in den letzten zehn Jahren ist        evolutiven Veränderungen unterliegt. Daher
dieser Wert allerdings auf 0.75 bis 0.8 abge-       wird empfohlen, das Routinemonitoring
sunken. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass die     mit stichprobeweisen Genanalysen und
Felchen aufgrund des geringeren Nahrungs-           morphometrischen Messungen zu ergänzen,
angebotes schlanker gefangen werden. Das            um die offenen Fragen zur Häufigkeit und
Durchschnittsalter beim Fang ist in den 35          fischereilichen Bedeutung der einzelnen Arten
Jahren des Monitorings von 2.5 auf 4 Jahre          etwas genauer zu beleuchten.
angestiegen und liegt nun stabil innerhalb der

                                                                                                -3-
Felchenmonitoring 1984-2018                                                              WFN 2021

1 Einleitung

Um die gemäss Bundesgesetz über die Fische-        Die Felchen (Coregonus sp) sind wohl eine
rei (BGF Art. 1) vorgeschriebene nachhaltige       der Tiergattungen mit der grössten Plastizität
Bewirtschaftung der Fischbestände sicher-          und Variabilität in Morphologie, Ethologie und
zustellen, werden verschiedene Monitoring-         Reproduktionsbiologie. Von einem namhaften
methoden angewandt. In den 1970er Jahren           US-amerikanischen Biologen wurden sie denn
wurden von der Berufsfischerei im Thunersee        auch schon als «Chamäleons» bezeichnet
schier unmöglich scheinende Fangerträge von        (Lindsey 1981, 1988). Nicht zuletzt aufgrund
rund 65 kg/ha erzielt. Eine darauffolgende Un-     ihrer kommerziellen Bedeutung als «Brotfisch»
tersuchung ergab, dass die Fische deutlich         für die kommerzielle Süsswasser-Fischerei
schneller wuchsen als früher und daher viel zu     der gesamten Holarktis werden sie seit bald
jung gefangen wurden (Kirchhofer & Tschu-          150 Jahren intensiv erforscht. Dabei ergeben
mi 1984). Daraufhin beschloss das Fischereiin-     sich immer wieder neue Erkenntnisse über die
spektorat des Kantons Bern, die Felchenfänge       sympatrischen (im gemeinsamen Lebensraum
der Berufsfischerei auf den drei Berner Seen       eigenständig nebeneinander lebenden) Popu-
- Bielersee, Thunersee und Brienzersee – mit       lationen in vielen Seen und deren Entwicklung
einem regelmässigen Monitoring zu überwa-          in Abhängigkeit der zur Verfügung stehenden
chen, so dass in Zukunft ungünstige Entwick-       Ressourcen (Hudson et al. 2007; Selz et al.
lungen frühzeitig erkannt und Gegenmassnah-        2019). Heute können die Felchen als Parade-
men getroffen werden können. Seit 1984 wer-        beispiel für die vor unseren Augen ablaufende
den nun die Felchenfänge der Berufsfischerei       Evolution und Aufspaltung in viele Arten be-
aller drei Seen monatlich beprobt. Die Resul-      trachtet werden. Im Laufe der Zeit wurden zahl-
tate dieses Überwachungsprogramms wer-             reiche Arten, Unterarten, Ökotypen, Formen
den jährlich statistisch ausgewertet und nach      oder Populationen beschrieben und vonein-
Seen, Altersklassen und Formen tabellarisch        ander abgegrenzt. Seit den 1980er Jahren hat
zusammengefasst. Diese Analysen bilden die         die fischereibiologische Forschung immense
Grundlage zur Festlegung der Fischereivor-         Fortschritte gemacht und inzwischen erlauben
schriften – insbesondere der Netzmaschen-          umfangreiche genetische Untersuchungen die
weiten - und als Basis für eine Erfolgskontrolle   Verwandtschaftsverhältnisse und Eigenstän-
von Anpassungen der Vorschriften.                  digkeiten der Felchen in den Schweizer Seen
                                                   neu zu bewerten und einzuordnen. Auf diese
Nach 10 Jahren (Kirchhofer 1995) und nach          Untersuchungen wird in einem zusammen-
20 Jahren (Kirchhofer & Breitenstein 2004)         fassenden Kapitel über die Felchen der drei
wurden die Daten dieses Monitorings auf lang-      Berner Seen kurz eingegangen. Dieses Kapi-
fristige Trends hin untersucht. Nachdem dieses     tel wurde gemeinsam mit Pascal Vonlanthen,
Monitoring nun seit 35 Jahren durchgeführt         AQUABIOS, Cordast, verfasst.
wurde, beauftragte das Fischereiinspektorat
des Kantons Bern WFN – Wasser Fisch Natur
AG, Bern, diese Langzeitanalyse erneut durch-
zuführen, um eventuelle Trends zu erkennen
und gegebenenfalls entsprechende Anpassun-
gen der Fischereivorschriften vorzuschlagen.

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WFN 2021                                                                                Felchenmonitoring 1984-2018

2 Kurzporträt der drei grossen Berner Seen

Alle drei grossen Seen im Kanton Bern werden                   die rund 30% der Seefläche einnehmen, und
von der Aare durchflossen. Die beiden obers-                   wäre am ehesten als tiefer Brachsmensee zu
ten, im voralpinen Raum liegenden Brienzersee                  bezeichnen. Entsprechend der zunehmenden
und Thunersee sind tiefe, kühle Trogseen mit                   Besiedlungsdichte und Intensität der landwirt-
kleinem Litoral und können aufgrund ihrer Mor-                 schaftlichen und industriell/gewerblichen Land-
phologie, Nährstoff- und Sauerstoffverhältnis-                 nutzung vom alpinen Raum ins Mittelland ist
se als typische Felchenseen bezeichnet wer-                    eine Zunahme der Nährstoffe mit abnehmen-
den. Der rund 130 Höhenmeter tiefer im Mit-                    der Meereshöhe zu beobachten. Die wichtigsten
telland liegende Bielersee weist dagegen eine                  Kenndaten sind in Tabelle 1 zusammengefasst, die
geringere Tiefe und grosse Litoralzonen auf,                   geografische Lage ist in Abbildung 1 dargestellt.

 Tabelle 1: Morphologische, hydrologische und limnologische Kennzahlen der drei grossen Berner Seen.

                                                               Brienzersee        Thunersee            Bielersee

   Mittlere Meereshöhe und Seespiegelschwankungen                564 ± 1.4        558 ± 0.95           429 ± 0.8
   Oberfläche [ha]                                                 2’966             4’830               3’930
   Mittlere Tiefe [m]                                               174               135                28.5
   Maximaltiefe [m]                                                 259               217                 74
   Volumen [Mio m³]                                                5’160             6’500               1’240
   Theor. Wassererneuerungszeit [Tage]                              973               684                 59
   Einzugsgebiet [km²]                                             1’140             2’490               8’305
   Mittlerer Abfluss bis 2016 (Min. - Max) [m³/s]             61.8 (52.9-72.1)   111 (80.7-141)      243 (150-311)
   Mittlere Abflusstemperatur bis 2017                              9.8              10.8                11.7
   Minimaler Sauerstoffgehalt an der tiefsten Stelle [mg/l]         >8                >4                  0-1

   Produktionsverhältnisse                                    ultra-oligotroph    oligotroph          mesotroph

                                                                      Bielersee

                                                                                                  Brienzersee
                                                                       Thunersee

Abbildung 1: Geografische Lage der drei
grossen Seen im Kanton Bern (© d-maps.
com).

                                                                                                                     -5-
Felchenmonitoring 1984-2018                                                                                                   WFN 2021

Dank des technischen Gewässerschutzes und                                            Wie ausführliche wissenschaftliche Untersu-
der gesetzlichen Vorgaben konnte der Nähr-                                           chungen verschiedenster Fachrichtungen im
stoffgehalt in den letzten 35 Jahren in allen Se-                                    Rahmen des Projektes «Brienzersee» zeigten,
en deutlich gesenkt werden und entsprechend                                          hatte dieser starke Rückgang der Nährstoffe in
hat sich deren Trophiegrad verändert. Vor al-                                        diesem bereits vorher oligotrophen See drama-
lem im Bielersee hat der produktionsbestim-                                          tische Auswirkungen auf das gesamte Ökosys-
mende Gehalt an Gesamtphosphor in dieser                                             tem und dessen Nahrungsnetz (Kirchhofer
Zeit von über 130 µg/l P-Tot um rund 90% auf                                         et al. 2006; Wüest et al. 2007). Dabei zeigte
ca. 15 µg/l P-Tot abgenommen (Abbildung 2).                                          sich, dass das Wachstum der Felchen direkt
In Brienzer- und Thunersee war die Abnahme                                           durch die Dichte der Nährtiere (Zooplankton)
weniger stark, aber heute liegen die Werte für                                       bestimmt wird und diese wiederum durch die
den pflanzenverfügbaren Nährstoff PO4 nahe                                           Biomasse der Algen (Phytoplankton), die di-
oder unter der Nachweisgrenze (1 µg/l PO4-P)                                         rekt vom Nährstoffgehalt abhängig ist. Damit
und der Gehalt an Gesamtphosphor liegt im                                            konnte gezeigt werden, dass der Felchenbe-
Bereich von 2 – 5 µg/l P-Tot. Seit dem Beginn                                        stand «bottom up» (von unten nach oben) ge-
des neuen Jahrtausends hat sich der Rück-                                            steuert wird.
gang der Nährstoffe in allen drei Seen ziemlich
stabilisiert.

                                                                                                           Bielersee
                                                                                                           Thunersee
                                0.100                                                                      Brienzersee
  Gesamtphosphor [mg/l P-tot]

                                0.010

                                0.001
                                     1972     1977    1982     1987     1992     1997     2002     2007     2012       2017

                                        Abbildung 2: Gesamtphosphorkonzentration an der tiefsten Stelle während der Zirku-
                                        lationsperiode in den drei grossen Berner Seen (Daten: Gewässer- und Bodenschutzla-
                                        bor des Kantons Bern).

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                               Die Daten des seit 1994 in allen drei Seen                       der Felchen «bottom up» reguliert werden, d.h.
                               monatlich erhobenen Monitorings der Was-                         dass der Nährstoffgehalt die Menge und Zu-
                               serqualität durch das Gewässer- und Boden-                       sammensetzung des Phytoplanktons, dieses
                               schutzlabor (Amt für Wasser und Abfall AWA)                      die Biomasse des Zooplanktons und dies wie-
                               des Kantons Bern zeigen, dass die Biomasse                       derum den Felchenbestand direkt beeinflussen
                               des Zooplanktons – der wichtigsten Futterorga-                   und steuern (Müller et al. 2007; Wüest at al.
                               nismen der Felchen – nicht so stark abgenom-                     2007).
                               men hat wie die Nährstoffe und z.B. 2011/12 im                   Im Bielersee wird seit 2006 eine neue Zoo-
                               Bielersee sogar höher war als 1996/97 (Abbil-                    planktonart (Thermocyclops crassus) nachge-
                               dung 3).                                                         wiesen (Guthruf et al. 2019). Die Einwande-
                               Diese Monitoringdaten zeigen allerdings auch,                    rung dieser wärmeliebenden Art dürfte mit dem
                               dass sich in den letzten 20 Jahren neben der                     Klimawandel und der zunehmenden Häufig-
                               Menge auch die Zusammensetzung des Zoo-                          keit von Hitzesommern in Verbindung stehen.
                               planktons (und des Phytoplanktons) verän-                        Weiter haben viele Arten und Artengruppen,
                               dert hat. So wird z.B. das Verschwinden und                      insbesondere solche, die eutrophe Gewässer
                               «Wiederauftauchen» der für den Felchenbe-                        bevorzugen, stark abgenommen. Kompensiert
                               stand zentralen Wasserflöhe (Daphnia sp.) in                     wurde dies durch eine starke Zunahme von Eu-
                               einzelnen Jahren im Brienzersee aufgezeigt.                      diaptomus gracilis. Wie sich diese Veränderun-
                               Ausführlich untersucht wurden die Auswirkun-                     gen des Artengefüges in der Zooplanktonge-
                               gen der fehlenden Daphnien auf die Brienzer-                     meinschaft und das Auftreten neuer Arten auf
                               seefelchen. In einem grossen interdisziplinä-                    die Felchenbestände auswirken werden, ist bis
                               ren Forschungsprojekt konnte gezeigt werden,                     anhin nicht klar. Hier besteht ein grosser For-
                               dass der Felchenbestand und das Wachstum                         schungsbedarf.

                              180

                                                                                                                                                Brienzersee
                              160
                                                                                                                                                Thunersee
                                                                                                                                                Bielersee
                              140
Zooplankton Biomasse [g/m2]

                              120

                              100

                              80

                              60

                              40

                              20

                               0
                                1994 1995 1996 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

                                    Abbildung 3: Zooplanktonbiomasse monatlicher Stichproben in den drei Seen. Im Bielersee in der Wassersäule von
                                    0 - 70 m Tiefe, im Thuner- und Brienzersee von 0 - 100 m Wassertiefe (Daten: Gewässer- und Bodenschutzlabor des
                                    Kantons Bern).

                                                                                                                                                              -7-
Felchenmonitoring 1984-2018                                                                                                     WFN 2021

Wird die Biomasse des Phytoplanktons zu der-                                              Damit können 21 bis 42 % der Variabilität der
jenigen des Zooplanktons in Relation gesetzt,                                             Zooplanktonbiomassen mit der Variabilität der
zeigt sich in allen drei Seen ein Zusammen-                                               Phytoplanktonbiomassen erklärt werden. Bei
hang, der jedoch recht schwach ausgeprägt ist                                             der Biomasse von Phyto- und Zooplankton
(Abbildung 4).                                                                            spielen jedoch nicht nur Nährstoffe eine Rol-
Wird für diese zwei Parameter eine Korrelati-                                             le, sondern auch Temperatur und andere Ein-
onsanalyse durchgeführt, zeigt sich auch dafür                                            flüsse. So konnten in den letzten 20 Jahren
ein recht schwacher Zusammenhang, der je-                                                 – vor allem im Bielersee – neue Algen- und
doch vom Bielersee zum Brienzersee deutlich                                               Zooplanktonarten festgestellt werden, die sich
zunimmt:                                                                                  wahrscheinlich als Folge des Klimawandels an-
                                                                                          gesiedelt haben (Guthruf et al. 2019).
                                     •         Bielersee: R2 = 0.208
                                     •         Thunersee: R2 = 0.319
                                     •         Brienzersee: R 2 = 0.417

                                    80
      Zooplankton Biomasse [g/m2]

                                    8

                                                                                                                Brienzersee
                                                                                                                Thunersee
                                                                                                                Bielersee

                                    1
                                         0.5                                 5                             50
                                                                          Phytoplankton Biomasse [g/m2]

                                           Abbildung 4: Gegenüberstellung der Zooplankton- und Phytoplanktonbiomasse der drei
                                           Berner Seen (Daten: Gewässer- und Bodenschutzlabor des Kantons Bern).

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WFN 2021                                                                  Felchenmonitoring 1984-2018

3 Die Felchenvielfalt der drei Seen
Autoren: Pascal Vonlanthen, Thomas Kreienbühl, Oliver Selz

3.1 Einleitung                                      3.2 Artenvielfalt
Das System der beiden im Berner Oberland            3.2.1 Thuner und Brienzersee
gelegenen Seen weist eine sehr hohe                 Fatio beschreibt für den Thuner- und
Felchenvielfalt auf. Kein Schweizer See oder        Brienzersee 1885 ursprünglich zwei Arten,
Seensystem beherbergt mehr Felchenarten             C. balleus schinzii alpinus (Balchen) und C.
als das System Brienzer- und Thunersee.             dispersus crassirostris nobilis (Fatio 1885). Die
Insgesamt wurden          bis heute sieben          zweitgenannte Art teilt er damals jedoch schon
Felchenarten identifiziert. Das ist im weltweiten   in zwei Varietäten auf, den Albock und das
Vergleich zwar kein Rekord. In Russland             Kropflein resp. Brienzling. Fünf Jahre später
kommen teilweise mehr als zehn Felchenarten         ordnet er diesen Varietäten dann eine eigene
im gleichen See vor. Dennoch zeugt die              Art zu, C. wartmanni alpinus und C. exiguus
Vielfalt vom ursprünglichen und gut erhaltenen      albellus (Fatio, 1890). Steinmann (1950) baute
Charakter der Biodiversität in den beiden           auf der Taxonomie von Fatio auf, revidierte und
Seen. Gleichzeitig ist sie ein einzigartiges        verfeinerte diese. Er beschreibt zwar nur noch
Zeugnis der sympatrischen Artenbildung bei          eine Felchenart (C. laveratus L. nat. arurensis).
Fischen. Der Bielersee seinerseits beherbergt       Diese teilt er jedoch in verschiedene Ökotypen
vier Felchenarten, wovon zwei vermutlich            ein. Am Thunersee beschreibt Steinmann fünf
nach dem Bau des Hagneckkanals aus dem              und am Brienzersee zwei Ökotypen. Aufbauend
Thunersee eingewandert sind.                        auf dem biologischen Artkonzept überarbeitete
                                                    (Kottelat 1997) die Felchentaxonomie
Eine detaillierte Beschreibung der einzelnen        erneut. Dabei beschrieb er für die beiden
Arten kann dem Fachbericht der EAWAG                Seen je drei Arten. Am Thunersee differenziert
entnommen werden, der 2021 publiziert               Kottelat zwischen Albock, Kropfer und
werden soll. Im vorliegenden Kapitel werden         Brienzlig. Den Balchen beschrieb Kottelat nicht
lediglich die wichtigsten Erkenntnisse aus          als eigenständige Art. Für den Brienzersee
diesem Bericht, die für die Bewirtschaftung         unterscheidet Kottelat zwischen Herbst- und
relevant sind, zusammengefasst. Darunter            Sommerbrienzlig sowie Albock. Den Balchen
fällt insbesondere die Anzahl bekannter             beschrieb Kottelat auch hier nicht nicht als
Felchenarten      und    die   methodischen         eigenständige Art.
Möglichkeiten, diese zu bestimmen.                  Anhand von genetischen Methoden und
                                                    einer Vielzahl von beprobten Fischen wurde
                                                    die Taxonomie der Felchen des Thuner-
                                                    und Brienzersee zwischen 2011 und 2020
                                                    weiter aufgeschlüsselt (Hudson et al.
                                                    2011, Vonlanthen et al. 2012, Doenz et
                                                    al. 2018, Selz et al. 2020). Im Unterschied
                                                    zu Kottelat und Steinmann wurde der von
                                                    Fatio beschriebene Balchen gefunden. Der
                                                    Balchen wurde in darauf aufbauenden Studien
                                                    aufgrund von genetischen, morphologischen
                                                    und ökologischen Unterschieden sogar in zwei
                                                    Arten unterteilt (C. alpinus und C. steinmanni).
                                                    Insgesamt liegt die heute nachweisbare
                                                    Felchenartenvielfalt am Thunersee bei
                                                    sechs Arten.

                                                                                                 -9-
Felchenmonitoring 1984-2018                                                                                    WFN 2021

Am Brienzersee werden heute vier Arten                         nachzuvollziehen. Allerdings findet Steinmann
unterschieden. Auch hier kann der Balchen                      die als «confusus» bezeichneten alten Stücke
in zwei Arten aufgespalten werden. Jedoch                      aus der Sammlung von Fatio und erkennt in
ergaben neuste und noch nicht publizierte,                     ihnen ebenfalls die Übergangsformen, die
hochauflösende genetische Untersuchungen,                      Fatio beschrieb. Eine weitere bemerkenswerte
dass sich C. steinmanni und C. sp. aff.                        Äusserung Steinmanns ist der Fang von zwei
steinmanni von den beiden Seen genetisch                       Felchen aus dem Jahr 1942, die er - würden
unterscheiden. Die These von Kottelat, nach                    sie aus dem Thunersee stammen - ohne
der es sich beim Winter- und Herbstbrienzlig                   mit der Wimper zu zucken dem «Brienzlig»
um zwei Arten handelt, konnte bisher nicht                     zugeordnet hätte (je 39 und 40 KRD). Die
bestätigt werden. Im System Thuner- und                        Bielerseefelchen teilt Steinmann in zwei seiner
Brienzersee können heute insgesamt                             Ökotypen ein. Einerseits erkannte Steinmann
sieben Arten unterschieden werden. Die                         ein Grossfelchen, das Neuenburger Palée (C.
Bezeichnung alpinus wurde, den Regeln der                      lavaretus L. nat. jurassica, oekot. primigenius),
Taxonomie folgend, wieder der ursprünglich                     mit Laichzeit zwischen Mitte und Ende
mit den entsprechenden Eigenschaften                           Dezember (19-32 KRD). Andererseits das
beschriebenen Art zugewiesen (Balchen).                        Bondelle (C. lavaretus L. nat. jurassica, oekot.
                                                               nasus), etwas früher laichend und mit Tendenz
                                                               zu Zwergwüchsigkeit (26-35 KRD). Unter
3.2.2 Bielersee
                                                               Einbezug neuer genetischer Daten (Douglas
Fatio beschreibt 1890 am Bielersee zwei                        et al. 1999) revidieren Kottelat und Freyhof
Felchenarten, die hybridisierten. C. schinzii                  (2007) die Felchentaxonomie vom Bielersee
palea (ugs. Palée, Palchen, 22-28 KRD)                         und bezeichnen nun das Bieler Bondelle als C.
und C. exiguus bondella (ugs. Bondelle,                        confusus (KRD 33-38). Als zweite Felchenart
Pfärrit, 34-39 KRD). Den Hybriden aus den                      beschreibt Kottelat (1997) das Palée (C.
beiden beschrieben Arten bezeichnet Fatio                      palaea) für den Bielersee (KRD 22-32).
als «confusus»-Form. Trotz Durchsicht der
Originalsammlung von Fatio fällt es Steinmann
(1950) schwer, die Arteneinteilung von Fatio

Tabelle 2: Artenvielfalt der Felchen der drei grossen Berner Seen (Anzahl KRD nach Selz et al. 2020, * nach vorl. Bericht).

Lateinisch                         Umgangssprachlich            Vorkommen                                KRD (Min-Max)

Coregonus alpinus                  Balchen                      Thunersee, Brienzersee                         25-34
Coregonus steinmanni               Steinmannsbalchen            Thunersee                                      30-35
Coregonus acrinasus                Albock                       Thunersee                                      30-40
Coregonus fatioi                   Felchen/Wanderalbock         Thunersee, Brienzersee                         32-34
Coregonus profundus                Kropfer                      Thunersee, Bielersee                           15-27
Coregonus albellus                 Brienzlig                    Thunersee, Brienzersee, Bielersee              32-44
Coregonus brienzii                 Brienzer Kleinbalchen        Brienzersee                                    32-39
Coregonus confusus                 Pfärrit/Bondelle             Bielersee                                     21-30 *
Coregonus palaea                   Palée                        Bielersee                                     30-43 *

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WFN 2021                                                                  Felchenmonitoring 1984-2018

Auch im Bielersee werden heute vier                um eine stabile Population handelt. Die Fische
Felchenarten gezählt. Grundsätzlich ist es         wanderten offenbar über die Aare, die im Jahr
zwar bei den Artbeschreibungen von Kottelat        1887 über den Hagneckkanal in den Bielersee
und Freyhof (2007) geblieben. Jedoch haben         geleitet wurde, ein. Interessant ist, dass bereits
inzwischen genetische Analysen den Brienzlig       Steinmann den Brienzlig erwähnt, sich aber
(C. albellus) und den Kropfer (C. fatioi) im       offenbar noch nicht vorstellen konnte, dass
Bielersee nachgewiesen (Bittner, 2009, Doenz       der Brienzlig natürlicherweise einwanderte.
et al., 2018, Selz et al., 2020). Vor allem beim   Es ist daher nicht auszuschliessen, dass der
Brienzlig ist davon auszugehen, dass es sich       Brienzlig schon 1942 im Bielersee präsent war.

3.3 Bestimmungsschlüssel
Die Bestimmung der einzelnen Felchenarten
der drei Seen ist mit dem Beschrieb bzw.
dem Nachweis von neuen Arten nicht
einfacher geworden, im Gegenteil. Für die
Bewirtschaftung und insbesondere für das
Monitoring ist jedoch entscheidend, dass die
einzelnen Arten erkannt werden können. Die
Bestimmungsschlüssel für die einzelnen Arten
sind im Rahmen einer Publikation des BAFU
zu den Felchen in der Schweiz in Erarbeitung.
Sie werden ab dem Zeitpunkt des Erscheinens
dieser Publikation zur Verfügung stehen.

                                                                                                - 11 -
Felchenmonitoring 1984-2018                                                            WFN 2021

3.4 Empfehlungen zu methodischen Anpassungen für das Routine-
monitoring der Felchenfänge

Gemäss        den     aktuellen    Kenntnissen   Schritt 1: Bei zukünftigen Probenahmen
der Taxonomie und den Methoden der               im Rahmen des Routinemonitorings soll ein
Artbestimmung, wird im Rahmen des                Teil der während eines Jahres untersuchten
Routinemonitorings eine Zuordnung eines          Felchen zusätzlich anhand der neuen
Fisches zu einer Art oft nicht möglich sein.     Bestimmungskriterien     untersucht  werden
Der Wissensstand zur morphometrischen            (alle jeweils «im Feld», morphometrisch und
Differenzierung zeigt, dass ein Erkennen der     genetisch). Dazu müssten ganze Fische
Arten anhand der Kiemenreusendornen und          entnommen und tiefgefroren werden. So
des Wachstums nicht ausreicht, um Fische         stehen die Fische für die morphometrischen
eindeutig einer Art zuzuordnen. Im Thunersee     und     genetischen    Untersuchungen    zur
kann heute kann nur noch der Kropfer sicher      Verfügung. Standardisierte Fotos sind dann
anhand der KRD separiert und identifiziert       am sinnvollsten, wenn sie sofort nach dem
werden. Im Brienzersee geht das nur noch mit     Fang gemacht werden (Farbgebung). Die
dem Balchen. Es hat in den letzten Jahrzehnten   anschliessend daraus erlangte Artzuweisung
offensichtlich eine Annäherung der KRD-Zahlen    soll mit dem bisherigen Vorgehen verglichen
gegeben. Palée und Bondelle sollten auch im      werden.
Bielersee anhand Ihrer Morphologie bestimmt
werden können. Die anderen Felchenarten          Schritt 2: Anhand der Ergebnisse aus Schritt
können mit morphometrischen Merkmalen            1 kann die Eignung der verschiedenen Ebenen
nicht in jedem Fall bestimmt werden. Bei         der Bestimmung («im Feld», morphometrisch,
Individuen mit eindeutigen Merkmalen, wie für    genetisch) geklärt und ihre Grenzen aufgezeigt
den Thunersee im Schlüssel von Selz et al.       werden. Weiter ist es möglich, das bisherige
(2020) dargelegt, kann eine Zuordnung möglich    Vorgehen       beim     Routinemonitoring    zu
sein. Der neue Bestimmungsschlüssel ist in       überprüfen und zu optimieren. Damit kann ein
der Praxis jedoch noch nicht erprobt worden.     sinnvolles, realistisches und zukunftsweisendes
                                                 Vorgehen erarbeitet werden.
Es ist absehbar, dass mit einfachen Aufnahmen
im Feld, ergänzt durch morphometrische           Da der Thuner- und der Brienzersee zusammen
Messungen nach heutigem Wissensstand und         eine schweizweit einmalige Felchenartenvielfalt
auch in Zukunft eine eindeutige Artzuweisung     aufweisen, wäre ein solches Vorgehen sinnvoll
einzelner Individuen oft nicht möglich sein      und auch gerechtfertigt. Ohne diesen Versuch
wird. Damit wird es schwierig, alle Ziele        ist es anhand des bisher vorliegenden Wissens
des Routinemonitorings zu erfüllen. Dies         nicht möglich, ein optimales Vorgehen für die
betrifft vor allem Punkt 3 «Veränderung der      zukünftige Artbestimmung im Rahmen des
Populationsstruktur; Hinweise auf eine starke    Routinemonitorings zu empfehlen.
Populationsabnahme einer bestimmten Art».

Wir empfehlen daher für die Arterkennung im
Rahmen des Routinemonitorings folgendes
Vorgehen:

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WFN 2021                                                                                                     Felchenmonitoring 1984-2018

4 Die Felchenfischerei in den drei Seen

In den meisten grösseren Seen der Schweiz                                         menbruch war umso heftiger. Im Brienzersee
sind die Felchen die wichtigsten Arten für die                                    wurden seit 1960 nur selten Fänge über 10 kg/
Berufsfischerei, so auch in den drei Berner                                       ha realisiert, seit ca. 1990 ist aber ein mas-
Seen. Im Kanton Bern wurde 1931 für die                                           siver Fangrückgang auf zuletzt unter 1 kg/ha
Berufsfischerei die Pflicht eingeführt, die Fänge                                 festzustellen. Inzwischen wird der Felchenbe-
nach Arten, Anzahl und Gewicht in der Fang-                                       stand im Brienzersee wohl «unterfischt», da
statistik zu erfassen. Mit dieser langen Zeitrei-                                 nur noch ein einziger Berufsfischer in Teilzeit
he kann die kontinuierliche Weiterentwicklung                                     tätig ist. Bei einer Vollzeitfischerei wären im
der Berufsfischerei nachvollzogen werden (Ab-                                     Moment wohl deutlich höhere Erträge möglich.
bildung 5).                                                                       Im Thunersee liegt der Ertrag heute ungefähr
Daraus ersichtlich wird die kriegsbedingte Er-                                    auf dem Niveau der 50er Jahre, im Brienzersee
tragszunahme in den vierziger Jahren (inten-                                      dagegen auf demjenigen der 1930er Jahre.
sivere Fischerei), der technische Fortschritt                                     Diese Entwicklung wurde im Rahmen der Un-
in den fünfziger Jahren (Motor- an Stelle der                                     tersuchungen zum «Projekt Brienzersee» klar
Ruderboote, Kunststoff- anstelle der Baum-                                        als Folge der «Reoligotrophierung», des Rück-
wollnetze) und die eutrophierungsbedingten                                        gangs der Nährstoffeinträge erkannt und kann
Ertragssteigerungen in den 1960er und 1970er                                      heute auch in anderen natürlicherweise wenig
Jahren. Für den Bielersee lagen zwischen den                                      produktiven Seen der Voralpen wie Walensee,
1980er Jahren und ca. 2015 die Felchenfänge                                       Vierwaldstättersee und Bodensee beobachtet
recht stabil über 10 kg/ha, für den Thunersee                                     werden (Müller et al. 2007).
zwischen 5 und 10 kg/ha. Im Thunersee wur-                                        Für die Angelfischerei im Kanton Bern
de in den 1970er Jahren eine massive Er-                                          wurde die Fangstatistik 1989 eingeführt. Die
tragssteigerung realisiert mit Fängen um 50                                       Aufteilung zwischen Berufs- und Angelfischerei
kg/ha, die – zumindest für die Schweiz – als                                      am Gesamtfang der Felchen in einem See ist
einmalig bezeichnet werden können. Der aus                                        deshalb erst seit diesem Jahr dokumentiert. Die
dieser Überfischung resultierende Zusam-                                          entsprechende Zusammenstellung zeigt, dass
                                                                                  der Anteil der Angelfischerei am Gesamtfang im
                             100
                                         Brienzersee

                                         Thunersee

                                         Bielersee
       Ertrag [kg/ha Jahr]

                             10

                              1

                              0

                               Abbildung 5: Zeitliche Entwicklung der Felchenfänge der Berufsfischerei in den drei Seen von 1931 bis
                               2018.
                 100%
Gesamtfang

                       90%              Brienzersee
                                        Thunersee                                                                                      - 13 -
                       80%
                                        Bielersee
                       70%
Ertrag
                                                                                                     1

                                                                                                    100
Felchenmonitoring 1984-2018                                                                                                                                                                                WFN 2021
                                                                                                                   Brienzersee

                                                                                                                   Thunersee
                                                                                                     0
                                                                              Ertrag [kg/ha Jahr]                  Bielersee

                                                                                                    10

                                                                  100%
                                               Anteil der Angelfischer am Gesamtfang

                                                                                 90%1                             Brienzersee
                                                                                                                  Thunersee
                                                                                 80%
                                                                                                                  Bielersee
                                                                                 70%

                                                                                 60%
                                                                                    0
                                                                                 50%

                                                                                 40%

                                                                                 30%

                                                                            100%
                                                                            20%
                Anteil der Angelfischer am Gesamtfang

                                                                                  90%
                                                                                 10%                              Brienzersee
                                                                                                                  Thunersee
                                                                                           80%
                                                                                           0%
                                                                                                                  Bielersee
                                                                                           70%

                                                                                           60%
                                                                                                      Abbildung 6: Entwicklung des Anteils der Angelfischerei am Gesamtfang der Felchen in den drei
                                                                                           50%
                                                                                             Seen von 1989-2018.
                                                                                           40%
                                                                                            40
                                                                                           30%                                                                                            Brienzersee
Bielersee
        35 in der Regel zwischen 10 und 30 %, im                                                                                                          zahl Fische, die er zu verarbeiten      hat. Waren
Thunersee zwischen 10 und 20 % lag (Abbildung 6).
       20%                                                                                                                                                dies über die ganze Zeit seit 1931 in Bieler- und
                                                                                                                                                                                          Thunersee

Im Brienzersee
        30
       10%        ist der Anteil der Angelfischerei                                                                                                       Thunersee jeweils ungefähr drei    bis fünf Fische
                                                                                                                                                                                          Bielersee
 Anzahl Fische / kg

am Gesamtfang nach 2010 auf zeitweise über                                                                                                                pro kg, lag diese Zahl im Brienzersee bis En-
        0%
        25
90 % angestiegen,       dies als Folge der stark                                                                                                          de der 1950er Jahre bei 25 bis 30 und sank
reduzierten
        20
                kommerziellen      Fischerei (vgl.                                                                                                        dann ebenfalls auf rund fünf Fische (Abbildung
Kapitel 6.1).Für den Berufsfischer ist nicht nur                                                                                                          7). Seit anfangs 1990er Jahre stieg die Zahl im
der Fang15 in kg relevant, sondern auch die An-                                                                                                           Brienzersee jedoch wieder rasant bis auf 20 bis
                                                                                                    10
                                                                                                     40
                                                                                                                                                                                               Brienzersee
                                                                                                     5
                                                                                                     35
                                                                                                                                                                                               Thunersee
                                                                                                     0                                                                                         Bielersee
                                                                                                     30
                                          Anzahl Fische / kg

                                                                                                     25

                                                                                                     20

                                                                                                     15

                                                                                                     10

                                                                                                      5

                                                                                                      0

                                                                                                          Abbildung 7: Anzahl Fische pro kg Fang gemäss Fangstatistik der Berufsfischerei 1931 - 2019.

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WFN 2021                                                                                           Felchenmonitoring 1984-2018

25 Fische pro kg, und seit 2013 ist sie wieder                             Fische zu fangen und mit diesen noch einen
auf rund 5 Fische pro kg abgesunken. Dies ist                              immensen Arbeitsaufwand zu haben, ist wohl
darauf zurückzuführen, dass im Brienzersee                                 kaum eine Motivation für junge Leute, den
zwischen 2010 und 2015 die geringsten Fän-                                 Beruf des Fischers zu erlernen. Seit 2016 ist
ge der neueren Zeit getätigt wurden und ein                                auf dem Brienzersee kein Berufsfischer mehr
grosser Anteil aus sehr kleinen Brienzlig be-                              vollamtlich tätig. Die Berufsfischerei dürfte hier
stand.                                                                     wohl nur eine reelle Überlebenschance ha-
Wird angenommen, dass drei bis fünf Fische                                 ben, wenn wieder mehr Felchen als Brienzlig
pro kg einen akzeptablen Arbeitsaufwand                                    gefangen werden und der Arbeitsaufwand für
darstellen, um mit den zu Filets verarbeiteten                             die Verarbeitung dadurch auf ein akzeptables
Fischen ein realistisches Einkommen zu er-                                 Niveau (5 Fische/kg) gesenkt werden kann. Die
reichen, zeigt sich, dass dies im Brienzersee                              aktuellste Entwicklung lässt hoffen, dass dies
nur in Ausnahmejahren der Fall gewesen sein                                wieder der Fall sein wird.
dürfte (Abbildung 8). Nur wenige Kilogramm

                               120'000
                                                                       3 Fische/kg
                                               Brienzersee

                               100'000         Thunersee

                                               Bielersee                                        5 Fische/kg

                                80'000
             Jahresfang [kg]

                                60'000

                                40'000

                                20'000

                                    0
                                         0        100'000    200'000        300'000   400'000   500'000       600'000

                                                                 Jahresfang [Anzahl]

                                         Abbildung 8: Gegenüberstellung der beiden Variablen Gewicht (kg) und
                                         Anzahl des Jahresfangs. Die Linien markieren 3 und 5 Fische pro kg.

                                                                                                                         - 15 -
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5 Monitoringprogramm Felchenfänge Berufsfischer
5.1 Zielsetzung

Das Monitoringprogramm der Felchenfänge          Das Fischereigesetz des Kantons Bern vom
der Berufsfischerei in den drei Berner Seen      21. Juni 1995 gibt der Vollzugsbehörde auch
wurde aufgrund des massiven Fangeinbruchs        das rechtliche Instrumentarium, um schnell
auf dem Thunersee ausgearbeitet und 1984         und pragmatisch auf festgestellte Veränderun-
implementiert. Mit diesem Monitoring werden      gen reagieren zu können. Seit 1996 liegt die
mehrere Ziele verfolgt:                          Kompetenz für Anpassungen der Fischerei-
                                                 vorschriften für die Berufsfischerei bei der zu-
1. Eventuelle Veränderungen der Zusam-           ständigen Fachstelle der Kantonsverwaltung
   mensetzung des Fanges der Berufsfischer       (Fischereiinspektorat des Kantons Bern), ohne
   sollen rasch erkannt werden, um innerhalb     dass Anpassungen der Fischereiverordnung
   nützlicher Frist, gemeinsam mit den invol-    durch die Regierung oder der Direktionsver-
   vierten Fischern entsprechende Korrektur-     ordnung durch die Volkswirtschaftdirektion
   massnahmen auszuarbeiten (→ Sicherstel-       notwendig sind. Diese effiziente Regelung
   lung der nachhaltigen Nutzung).               hat zur Folge, dass die Rahmenbedingungen
2. Die Auswirkungen getroffener Mass-            (Maschenweiten, Setztiefen, Art und Anzahl
   nahmen sollen überwacht werden (→             der Netze etc.) in Absprache mit den betrof-
   Erfolgskontrolle).                            fenen Berufsfischern laufend – auch während
3. Veränderungen der Populationsstruktur,        der Saison – seespezifisch angepasst werden
   die auf eine starke Abnahme einer der in      können. In den vergangenen 35 Jahren wur-
   den Berner Seen vorkommenden Felchen-         de denn auch mehrmals von dieser Möglich-
   arten hindeuten, sollen rechtzeitig wahrge-   keit, die Vorschriften flexibel anzupassen, Ge-
   nommen werden, so dass entsprechende          brauch gemacht.
   Schutzmassnahmen in die Wege geleitet
   werden können (→ Erhaltung aller Arten
   und Rassen).
4. Reaktionen auf sich langfristig ändernde
   Umweltbedingungen sollen frühzeitig er-
   kannt werden, so dass wenn nötig entspre-
   chende Massnahmenszenarien ausgear-
   beitet werden können (→ Früherkennung).

5.2 Datenerfassung
Pro See wurden vom zuständigen Fischereiauf-     einem Minigrip-Säckchen gekühlt aufbewahrt.
seher monatlich bei einem Berufsfischer je 25    Im Labor wurden für jeden Fisch mindestens
Felchen aus dem normalen Fang vermessen.         sechs Schuppen zwischen zwei Objektträgern
Erfasst wurden Netztyp, Maschenweite, Fang-      präpariert und auf einem Projektionsmikroskop
tiefe und von jedem Fische Länge, Gewicht        (Reichert, Austria) bzw. ab ca. 2000 unter ei-
und Geschlecht, zudem wurden die Kiemen-         nem Binokular mit Videoaufsatz (Olympus) bei
reusen entnommen und die Dornen auf dem          Vergrösserungen von 20 – 40x analysiert und
ersten Kiemenbogen ausgezählt. Weiter wur-       das Alter bestimmt. Da im November nicht ge-
den pro Fisch Schuppen aus der ersten Rei-       fischt werden darf (Schonzeit) wurden in die-
he unterhalb der Seitenlinie entnommen und in    sen Monaten keine Proben erhoben.

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5.3 Statistische Analysen
Zum Erkennen langfristiger Änderungen wur-         Die Zeitreihenanalysen werden für jeden See
den die Datenreihen mit Hilfe von Zeitreihen-      separat durchgeführt. Um die Seen oder Pa-
analysen untersucht. Das Ziel einer Zeitreihen-    rameter mit verschiedenen Masseinheiten un-
analyse ist das Erkennen und Herausschälen         tereinander vergleichen zu können, werden
einer Entwicklung über einen längeren Zeit-        die gleitenden Mittel über 11 Monate «normali-
raum. Werden die Rohdaten betrachtet, stellt       siert». Dazu wird vom jeweiligen Wert der lang-
man eine sehr grosse Variabilität über die Zeit    jährige Mittelwert subtrahiert und die Resultie-
fest. Um dieses «Rauschen» der Rohdaten            rende durch die Standardabweichung geteilt.
zu reduzieren werden für jeden Parameter die       Nun bilden die gleitenden Mittel eine Normal-
Monatsmittelwerte berechnet. Nun wird eine         verteilung mit Mittelwert 0 und Standardabwei-
Entwicklung des Parameterwertes über die           chung 1 und sind unabhängig von der Mass-
Zeit sichtbar. Allerdings wird diese noch durch    einheit. Dies erlaubt einerseits, verschiedene
grössere zeitliche (saisonale) Schwankungen        Parameter eines Sees zu vergleichen, oder
überdeckt. Um auch diese «Oszillationen» her-      andererseits die Parameter für alle drei Seen
auszufiltern und die Daten zu glätten, wird das    zu vergleichen und gleichlaufende oder zeitlich
gleitende Mittel der Monatsmittelwerte über        verschobene oder abweichende Entwicklun-
mehrere Monate berechnet. Eine Autokorrelati-      gen in den Seen zu visualisieren.
onsanalyse zeigt, dass eine Verschiebung der
Mittelwerte über 11 Monate die besten Werte        Um auch den Einfluss von Geschlecht oder
ergibt. Damit werden einerseits längerfristige     Art auf die verschiedenen Messgrössen zu
mehr oder weniger regelmässige Schwan-             untersuchen, wurden die Monatsmittelwerte
kungen erkannt («Zyklen»), andererseits kann       getrennt nach Geschlecht und Arten (jeweils
eventuell eine gerichtete Entwicklung über die     langsam und schnellwüchsige) pro See dar-
Zeit – ein Trend – sichtbar werden. Je nach        gestellt und eine Trendlinie hinzugefügt. Damit
Parameter ist dieser Trend mehr oder weniger       werden unterschiedliche Entwicklungen zwi-
ausgeprägt. Um auch solche Abweichungen            schen den Geschlechtern und den Arten sicht-
vom langfristigen Mittelwert zu untersuchen,       bar und können diskutiert werden.
wird eine Differenzanalyse 1. Ordnung durch-
geführt, bei der jeweils der Wert zum Zeitpunkt
t aufgrund des Wertes zum Zeitpunkt t-1 vor-
hergesagt werden soll. Diese Vorhersage wird
mit Hilfe einer Regressions- und Residuenana-
lyse durchgeführt und auf Signifikanz überprüft.

                                                                                               - 17 -
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5.4 Virtual Population Analysis
Grundlage der Analyse einer virtuellen Popu-     Daraus lassen sich nun für die schnell- und
lation sind die Häufigkeitsverteilungen aus-     langsamwüchsigen Populationen jeden Sees
gewählter Parameter und die Fangstatistik.       die minimalen Jahrgangsstärken für die voll-
Aus der Häufigkeitsverteilung des Alters des     ständig rekrutierten Jahrgänge abschätzen.
Probematerials kann der Anteil der einzelnen     Zudem zeigt der Anteil schnell- bzw. lang-
Altersklassen (in %) am Monats- oder Jah-        samwüchsiger Felchen im Probematerial eine
resfang gemäss Fangstatistik berechnet wer-      eventuelle Verschiebung der Artenzusammen-
den. Daraus lässt sich die Zahl der gefange-     setzung des Fanges. Die Eigenschaften der
nen Fische eines Jahrgangs berechnen und         einzelnen Parameter wurden in der 20-Jahres-
über eine Aufsummierung rückwärts über die       Analyse ausführlich beschrieben und anhand
Fangjahre ergeben sich schlussendlich die        von Detailresultaten diskutiert (Kirchhofer &
Mindeststärken der einzelnen Jahrgänge im        Breitenstein 2004), weshalb an dieser Stel-
See, die scheinbare («virtuelle») Populations-   le darauf verzichtet wird. Für alle nachfolgend
stärke. Korrekterweise muss diese Analyse        vorgestellten Resultate muss festgehalten wer-
für die gefangenen Arten separat durchgeführt    den, dass sich diese ausschliesslich auf den
werden, da diese unterschiedlich wachsen und     Fang beziehen und nicht auf die Populationen,
dementsprechend in unterschiedlichem Alter       da nur der Fang repräsentativ beprobt wurde.
gefangen werden. Um die Fische des Probe-        In den folgenden Kapiteln werden die Resultate
materials den verschiedenen Arten zuordnen       aller Parameter für die einzelnen Seen disku-
zu können, wurde die Anzahl Kiemenreusen-        tiert und am Schluss werden alle drei Seen ge-
dornen benutzt. Da diese für die Arten jeweils   meinsam zusammenfassend betrachtet.
einen Überlappungsbereich aufweisen, wurde       Die taxonomische Zuordnung basiert auf
das arithmetische Mittel zwischen der Dornen-    der Anzahl KRD. Da diese Messgrösse
zahl für schnell- und langsamwüchsige Arten      aufgrund von Veränderungen heute weniger
als Differenzierungsgrenze festgelegt:           Aussagekraft hat, muss sie für die Zukunft
                                                 angepasst oder zumindest mit genetischen
                                                 Stichproben ergänzt werden.
Brienzersee:
• Felchen (schnellwüchsig) KRD ≤ 36
• Brienzlig (langsamwüchsig) KRD > 36

Thunersee:
• Kropfer (langsamwüchsig) KRD ≤ 24,
• Albock/Balchen (schnellwüchsig) > 24 KRD ≤ 35
• Brienzlig (langsamwüchsig) KRD > 35

Bielersee:
• Palée (schnellwüchsig) KRD ≤ 30
• Bondelle (langsamwüchsig) KRD > 30

- 18 -
WFN 2021                                                                              Felchenmonitoring 1984-2018

6 Resultate Monitoringprogramm
                                                                                                       Brienzersee

6.1 Brienzersee
6.1.1 Statistische Basisdaten

In den 35 Untersuchungsjahren wurden ins-                   index zum Ausdruck, der über die gesamten
gesamt 9‘262 Felchen des Brienzersees ana-                  35 Jahre bloss 0.75 erreicht. Das mittlere Al-
lysiert (Tabelle 3). Die mittlere Länge lag bei             ter beim Fang von 3.4 Jahren entspricht den
knapp 26 cm. Das langjährige Durchschnitts-                 Zielsetzungen einer nachhaltigen Fischerei,
gewicht von 143 g pro Fisch zeigt, dass gröss-              wonach die Felchen in einem Alter von 3 – 5
tenteils schlanke Fische gefangen wurden.                   Jahren gefangen werden sollten.
Dies kommt auch beim mittleren Konditions-

           Tabelle 3: Zusammenstellung der wichtigsten statistischen Eckdaten des Monitorings
           der Felchenfänge der Berufsfischerei am Brienzersee.

             Brienzersee
                                   Länge [mm] Gewicht [g]      KI      KRD      Alter [Jahre]
             Anzahl                   9296        9296        9296     9185         9292
             Mittelwert              256.990     143.292     0.753     37.644      3.396
             Standardfehler           0.474       0.800      0.001     0.044       0.012
             Median                    265         138       0.744      38           3
             Modus                     270         200       0.741      40           3
             Standardabweichung       45.692      77.166     0.117     4.177       1.133
             Stichprobenvarianz      2087.742    5954.593    0.014     17.447      1.285
             Kurtosis                 -0.262      1.152      2.802     0.487       -0.084
             Schiefe                  -0.510      0.677      0.747     -0.679      0.578
             Wertebereich              315         715       1.265      38           9
             Minimum                   90           5        0.405      15           0
             Maximum                   405         720       1.671      53           9
             Summe                   2388979     1332040    6999.738   345759      31552

             Thunersee
                                   Länge [mm] Gewicht [g]      KI      KRD      Alter [Jahre]
             Anzahl                   9164        9164        9164     9109         9161
             Mittelwert              310.673     276.741     0.894     36.173      3.448
             Standardfehler           0.310       1.024      0.001     0.054       0.014
             Median                    310         256                  37           3
             Modus                     320         200       0.916      38           2
             Standardabweichung       29.639      98.067     0.109     5.134       1.310
             Stichprobenvarianz      878.491     9617.060    0.012     26.362      1.717
             Kurtosis                 1.508       10.746     2.359     1.234       -0.640
             Schiefe                  0.620       2.062      0.647     -1.023      0.340
             Wertebereich              336        1386       1.405      36           8
             Minimum                   168         34        0.484      15           1
             Maximum                   504        1420       1.889      51           9
             Summe                   2847004     2536050    8189.785   329498      31584

             Bielersee                                                                                      - 19 -
                                   Länge [mm] Gewicht [g]      KI      KRD      Alter [Jahre]
             Anzahl                   9556        9556        9556     9391         9554
Felchenmonitoring 1984-2018                                                                   WFN 2021

                                                                                                                                   Brienzersee

                                     6.1.2 Länge, Gewicht und Kondition

                                     Durchschnittliche Länge und Gewicht der Bri-      beobachtet werden (Abbildung 9 unten). Dies
                                     enzerseefelchen sind von 1984 bis 2012 konti-     war denn auch der Auslöser für die intensi-
                                     nuierlich gesunken und haben sich von rund 30     ve Suche nach den Ursachen im «Projekt
                                     auf unter 20 cm (Abbildung 9 oben) bzw. von       Brienzersee», auf das bereits hingewiesen
                                     250 auf knapp über 50 g pro Fisch (Abbildung      wurde. Nach einer kurzen Erholung auf 0.85
                                     9 Mitte) verringert.                              hat sich der Konditionsindex der Brienzersee-
                                     Beim Konditionsindex kann vom Höchststand         felchen um 0.7 eingependelt und ist in den letz-
                                     1987 - mit rund 0.95 waren die Fische damals      ten 5 Jahren des Monitorings wieder auf leicht
                                     recht
                                      320
                                            korpulent - eine ungebremste Abnah-        über 0.75 angestiegen. Parallel zu dieser Ent-
                                     me auf 0.68 und nach einer kurzen Erholung        wicklung hat auch die Befischungsintensität
                                      300
                                     1997/98
                                      320      ein Tiefststand von 0.6 im Jahr 2000    stark abgenommen, da von den ursprünglich
                                     280                                                        fünf Berufsfischerfamilien deren vier
                                     300
                                     320                                                        aufgegeben haben und der verbliebe-
                   Länge [mm]

                                     260
                                     280
                                     300                                          Länge         ne Fischer seinen Beruf nur noch in
                                     240
                                                                                                Teilzeitarbeit ausübt.
            Länge [mm]

                                     260
                                     280
                                     220
                                     240
     Länge [mm]

                                     260
                                     200
                                     220
                                     240
                                     180
                                     200
                                     220
                                     180
                                     200
                                     350

                                     180
                                     300
                                     350
                                     250
                                     300                                         Gewicht
                                     350
                           [g]

                                     200
                                     250
                   Gewicht

                                     300
                                     150
                     [g]

                                     200
                                     250
      GewichtGewicht

                                     100
                                     150
              [g]

                                     200
                                      50
                                     100
                                     150
                                       0
                                      50
                                     100
                                       0
                                      50
                                     1.00
                                     0.95
                                       0                                  Konditionsindex
                                     1.00
                                     0.90
                                     0.95
                                     0.85
                                KI

                                     1.00
                                     0.90
                                     0.80
                Konditionsindex

                                     0.95
                                     0.85
                                     0.75                                                       Abbildung 9: Zeitliche Entwicklung der durch-
                         KI

                                     0.90
                                     0.80
                                     0.70                                                       schnittlichen Längen (oben), Gewichte (Mitte)
        Konditionsindex

                                     0.85
                                     0.75
                                     0.65
                                                                                                und Konditionsindices der gefangenen Felchen
                 KI

                                     0.80
                                     0.70
                                                                                                im Brienzersee von 1984 - 2018. Hell sind die
Konditionsindex

                                     0.60
                                                                                                Monatsmittelwerte dargestellt, dunkel das glei-
                                     0.75
                                     0.65
                                     0.55
                                                                                                tende Mittel über 11 Monate.
                                     0.70
                                     0.60
                                     0.50
                                     0.65
                                     0.55
                                     0.60
                                     0.50
                                     0.55

                                     -0.50
                                       20 -
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