Monitoring der Felchenfänge der Berufsfischer von Brienzersee, Thunersee und Bielersee 1984-2018 - Kanton Bern
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Monitoring der Felchenfänge der Berufsfischer von Brienzersee, Thunersee und Bielersee 1984-2018 Amt für Landschaft und Natur, Fischereiinspektorat Mai 2021 Amt für Landwirtschaft und Natur
Auftragnehmer WFN - Wasser Fisch Natur AG Brunnmattstrasse 15 3007 Bern Bearbeitung Arthur Kirchhofer Martina Breitenstein Pascal Vonlanthen, Aquabios Projektkoordination Andreas Hertig, Fischereiinspektorat Auftraggeber Fischereiinspektorat des Kantons Bern Schwand 17 3110 Münsingen Titelbild Thunersee © Fischereiinspektorat des Kantons Bern V1.0 11.8.2020 V2.0 22.2.2021 V2.1 10.4.2021 V2.2 Final 15.5.2021
WFN 2021 Felchenmonitoring 1984-2018 Inhalt Zusammenfassung1 1 Einleitung4 2 Kurzporträt der drei grossen Berner Seen 5 3 Die Felchenvielfalt der drei Seen 9 3.1 Einleitung9 3.2 Artenvielfalt9 3.2.1 Thuner und Brienzersee 9 3.2.2 Bielersee10 3.3 Bestimmungsschlüssel11 3.4 Empfehlungen zu methodischen Anpassungen für das Routinemonitoring der Felchenfänge 12 4 Die Felchenfischerei in den drei Seen 13 5 Monitoringprogramm Felchenfänge Berufsfischer 16 5.1 Zielsetzung16 5.2 Datenerfassung16 5.3 Statistische Analysen 17 5.4 Virtual Population Analysis 18 6 Resultate Monitoringprogramm 19 6.1 Brienzersee19 6.1.1 Statistische Basisdaten 19 6.1.2 Länge, Gewicht und Kondition 20 6.1.3 Alter und Arten 21 6.1.4 Geschlechtsunterschiede22 6.1.5 Artunterschiede23 6.1.6 Jahrgangsstärken24 6.1.7 Gesamtbetrachtung Brienzersee 26
Felchenmonitoring 1984-2018 WFN 2021 6.2 Thunersee28 6.2.1 Statistische Basisdaten 28 6.2.2 Länge, Gewicht und Kondition 29 6.2.3 Alter und Arten 30 6.2.4 Geschlechtsunterschiede31 6.2.5 Artunterschiede32 6.2.6 Jahrgangsstärken33 6.2.7 Gesamtbetrachtung Thunersee 34 6.3 Bielersee36 6.3.1 Statistische Basisdaten 36 6.3.2 Länge, Gewicht und Kondition 37 6.3.3 Alter und Arten 38 6.3.4 Geschlechtsunterschiede39 6.3.5 Artunterschiede40 6.3.6 Jahrgangsstärken41 6.3.7 Gesamtbetrachtung Bielersee 42 6.4 Gesamtbetrachtung aller drei Seen 44 7 Schlussfolgerungen49 8 Literatur50
WFN 2021 Felchenmonitoring 1984-2018 Zusammenfassung In den drei grossen Berner Seen – Brienzer-, Zooplanktonbiomasse weist grosse saisonale Thuner- und Bielersee – leben mehrere Fel- Schwankungen auf und im Brienzersee konnte chenarten, die durch die Berufsfischerei inten- 1999/2000 mit dem vollständigen Fehlen der siv genutzt werden. Die verschiedenen Arten Wasserflöhe (Daphnien) ein einmaliges Phäno- unterscheiden sich in Aussehen, Fortpflan- men beobachtet werden. Da die Daphnien die zungsbiologie und Wachstumscharakteristik. wichtigste Nahrung für die Felchen darstellen, Um die gemäss Bundesgesetz über die Fische- wirkte sich diese Absenz auf das Wachstum rei vorgeschriebene nachhaltige Nutzung der der Felchen katastrophal aus. Die Fänge der Fischbestände und die Erhaltung der Artenviel- Berufsfischerei in diesem See brachen denn falt zu gewährleisten, werden die Felchenfänge auch stark ein und heute ist am Brienzersee der Berufsfischer vom Fischereiinspektorat des nur noch ein einziger Berufsfischer teilzeitlich Kantons Bern seit 1984 stichprobenweise mo- tätig, währenddem vor 35 Jahren fünf Famili- natlich untersucht. en vollamtlich von der Fischerei lebten. Seither hat sich sowohl der Daphnienbestand als auch Die drei Seen weisen unterschiedliche lim- der Felchenfang wieder erhöht. Im Bielersee nologische Verhältnisse auf. Brienzer- und wurden in den letzten Jahren mehrere früher Thunersee sind tiefe Voralpenseen mit wenig nicht vorhandene Algenarten und eine neue Nährstoffen und relativ geringer biologischer Zooplanktonart entdeckt. Dies wird als Auswir- Produktion. Dank den ganzjährig guten Sauer- kung des Klimawandels und der heissen Som- stoffverhältnissen auch in den tiefen Wasser- mer mit starker Erwärmung der oberen Was- schichten können sie als typische Felchenseen serschichten gedeutet. Allfällige Auswirkungen bezeichnet werden. Der Bielersee dagegen dieser Veränderungen im Artenspektrum der weist – aufgrund des grossen Einzugsgebietes Futterorganismen auf die Felchenbestän- mit dichter Besiedlung und intensiver Landnut- de, deren Wachstum und damit auch auf die zung durch Landwirtschaft und Gewerbe – ei- Berufsfischerei sind noch nicht untersucht. ne deutlich grössere Nährstoffbelastung auf und die Sauerstoffversorgung von mindestens Neue Erkenntnisse aufgrund detaillierter Ana- 4 mg/l in der Tiefe ist nicht ganzjährig sicher- lysen des Erbgutes der Felchen der Schweizer gestellt. Durch die tiefere Höhenlage ist der Seen (EAWAG) zeigen, dass in Thuner- und Bielersee auch deutlich stärker vom Klimawan- Brienzersee eine bis anhin nicht bekannte del und den gehäuften Hitzesommern betrof- Vielfalt verschiedener Felchenarten lebt: Im fen. Der Brienzersee kann als ultra-oligotroph, Thunersee wurden sechs verschiedene Arten, der Thunersee als oligotroph und der Bielersee im Brienzersee deren vier und im Bielersee als mesotroph klassiert werden. Die Nährstoff- ebenfalls vier Arten identifiziert. Mehrere, vor und Temperaturverhältnisse, sowie Menge und allem schnellwüchsige Arten werden vom kan- Zusammensetzung der Algen und des Zoo- tonalen Fischereiinspektorat durch Aufzucht- planktons werden durch das Gewässer- und und Besatzmassnahmen gefördert. Von der Bodenschutzlabor des Kantons Bern seit den Berufsfischerei werden sowohl schnell- als 1990er Jahren monatlich untersucht. auch langsamwüchsige Arten genutzt. Der Ertrag lag in den 1960er bis 1980er Jahren Dank dem technischen Gewässerschutz zwischen 8 (Brienzersee) und 70 (Thunersee) (Abwasserreinigung) wiesen die Nährstof- kg/ha Jahr. Seither hat der Jahresfang im fe – insbesondere der Phosphatgehalt –seit Brienzersee markant abgenommen und liegt den Höchstständen in den 1970er Jahren ei- aktuell unter 1 kg/ha Jahr. Im Thunersee hat er ne stark abnehmende Tendenz auf. Seit ca. sich relativ stabil zwischen 6 und 10 kg/ha Jahr 2000 haben sich die Nährstoffgehalte auf tie- eingependelt, in den letzten Jahren allerdings fem Niveau mehr oder weniger stabilisiert. Die -1-
Felchenmonitoring 1984-2018 WFN 2021 eher abnehmend. Im Bielersee wurde über ca. dieser kleinen Fischchen zu gross, um noch 20 Jahre ein Jahresfang zwischen 20 und 30 eine kostendeckende Fischerei zu ermögli- kg/ha Jahr angelandet, in den letzten Jahren chen. Die Durchschnittswerte von Länge und ging aber auch hier der Ertrag zurück und lag Gewicht haben bis ca. 2011 markant abgenom- 2018 nur noch knapp über 10 kg/ha pro Jahr. men, seither steigen sie wieder an, da fast nur noch die schnellwüchsigen Felchen gefangen Mit dem Routineprogramm der Felchenfänge werden. Dies ist eine Folge der veränderten der Berufsfischer werden monatlich aus je- Befischungsintensität. Auch der Konditionsin- dem See 25 Felchen aus den regulär einge- dex ist vom Tiefpunkt von ca. 0.6 im Jahr 2000 setzten Netzen untersucht (Länge, Gewicht, wieder auf annähernd «normale» 0.75 ange- Geschlecht, Kiemenreusendornen (KRD) und stiegen. Das Durchschnittsalter lag zu Beginn Altersbestimmung). Länge und Gewicht wer- des Monitorings unter dem angestrebten Ziel- den primär durch die eingesetzten Fanggeräte band von 3 – 5 Jahren, hat die Untergrenze je- (Netztyp und Maschenweiten) bestimmt. Das doch 1986 überschritten und seither liegt das Verhältnis von Länge und Gewicht – der Kon- Durchschnittsalter in den allermeisten Jahren ditionsindex (KI) – erlaubt Rückschlüsse auf innerhalb des Zielbandes. Währenddem das den Ernährungszustand und die Gesundheit Alter der schnellwüchsigen Felchen beim Fang der Fische. Das Alter der gefangenen Fische zunimmt, nimmt das Alter der langsamwüchsi- wird aus der Analyse der Schuppen ersicht- gen Brienzlig dagegen ab. In Ausnahmejahren lich und sollte aus biologischen Gründen nicht erreichten die Jahrgangsstärken Werte von unter 3 Jahren liegen, damit die Fortpflanzung 200'000 (1993) oder sogar 330'000 (1982) Fi- und damit die natürliche Bestandeserhaltung schen. Seit der Jahrgang 1995 befischt wird, nicht gefährdet sind. Aus ökonomischen Grün- liegen die Werte jedoch zwischen 50'000 und den sollten die Fische aber auch nicht viel län- 100'000 Fischen. Die Zahlen für die letzten 10 ger als 5 Jahre im See verbleiben, damit der Jahre sind nur beschränkt aussagekräftig, da Biomassezuwachs der Gesamtpopulation das aufgrund der geringen Befischungsintensität Optimum nicht überschreitet. Die Altersstruktur die einzelnen Jahrgänge nicht mehr vollstän- der Fänge in Kombination mit der Fangstatis- dig ausgefischt werden. Eine Anpassung der tik erlaubt auch eine Schätzung der minimalen Fischereivorschriften scheint im Moment nicht Jahrgangsstärken. Der vorliegende Bericht notwendig. fasst die Ergebnisse dieses 35-jährigen Moni- toringprogramms zusammen und liefert detail- Am Thunersee ist der Felchenfang über die 35 lierte statistische Analysen dieses umfangrei- Jahre des Monitorings recht stabil geblieben chen Datensatzes. und jährlich werden rund 20 bis 40 Tonnen Fel- chen gefangen, mit einzelnen Ausnahmejah- Im Brienzersee sind die Felchenfänge in den ren mit bis zu 60 Tonnen. Länge und Gewicht 35 Jahren des Monitorings um über 90 % auf haben auch im Thunersee abgenommen, seit weniger als 2 Tonnen eingebrochen. In dieser ca. 2000 sind die Durchschnittswerte jedoch Zeit wurde die Netzmaschenweite mehrmals recht stabil. Dasselbe Bild zeigt sich beim Kon- auf zuletzt 24 – 30 mm für Schweb- und 30 ditionsindex der 1986 stark gegen oben aus- mm bzw. 20 mm für Grundnetze reduziert, um schlug und 1996 und 2007 Tiefstwerte von 0.8 auf das aufgrund der Reoligotrophierung stark erreichte. In allen anderen Jahren lag der KI abnehmende Wachstum zu reagieren. Insbe- um 0.9, was einem «normalen» Wert für die- sondere der Brienzlig, der noch in den 1980er se Fischarten entspricht. Das Durchschnitts- Jahren bis über 80 % des Fangs ausmachte, ist alter und die Anzahl KRD zeigen deutliche kaum mehr zu fangen. Wenn er gefangen wird, zyklische Schwankungen innerhalb von 5 bis ist zudem der Arbeitsaufwand zur Verarbeitung -2-
WFN 2021 Felchenmonitoring 1984-2018 7 Jahren. Dies dürfte mit dem unterschiedli- gewünschten Bandbreite. Mehrheitlich besteht chen Anteil schnell- und langsamwüchsiger der Fang aus den langsamwüchsigen Bondel- Felchen im Fang zusammenhängen, da die les und die schnellwüchsigen Palées sind nur schnellwüchsigen Albock und Balchen relativ zu einem geringen Prozentsatz im Fang vertre- wenig Kiemenreusendornen haben und in ei- ten. Die Jahrgangsstärken liegen in der Regel nem eher jungen Alter gefangen werden. Die bei 200'000 bis 400'000 Fischen, in einzelnen langsamwüchsigen Brienzlig und Kropfer da- Jahren treten jedoch «starke» Jahrgänge mit gegen haben viele KRD und werden aufgrund bis zu 600'000 Tieren auf. Angesichts der ab- der Wachstumscharakteristik etwas älter ge- nehmenden Indikatoren Länge, Gewicht und fangen. Das Durchschnittsalter beim Fang Konditionsindex scheint eine Reduktion der lag – mit wenigen Ausnahmen – während der Netzmaschenweiten angezeigt zu sein. gesamten Monitoringperiode innerhalb des Zielbandes von 3 – 5 Jahren. Die Jahrgangs- stärken lagen meistens zwischen 100'000 und Das Monitoring der Felchenfänge der 140'000 Fischen, mit einzelnen Ausschlägen Berufsfischerei bedeutet für das Fischereiin- bis über 250'000 (1982). Die seit 2013 abneh- spektorat des Kantons Bern einen beträcht- mende Tendenz ist darauf zurückzuführen, lichen Arbeitsaufwand. Dieser ist jedoch an- dass die letzten Jahrgänge noch nicht voll- gesichts des gesetzlichen Auftrages zur Si- ständig rekrutiert waren. Die Veränderungen cherstellung der nachhaltigen Nutzung der in Länge und Durchschnittsalter wurden zur Fischbestände und der Artenvielfalt durchaus Ertragsstabilisierung mittels leichten, teilweise gerechtfertigt. Dank diesem Monitoring konn- jahreszeitlich variablen Vorschriften zur ten verschiedene Spezialsituationen erkannt Maschenweite aufgefangen. und mit zusätzlichen Untersuchungen abge- klärt werden, z.B. die Gonadenveränderungen Der Bielersee ist der produktivste der drei Se- der Thunerseefelchen. Zudem erlauben diese en und entsprechend sind hier die Felchenfän- Daten eine zeitnahe Anpassung der Fische- ge mit 60 bis 100 Tonnen pro Jahr am grössten. reivorschriften bei sich ändernden Umwelt- Allerdings ist seit 2012 eine Abnahme auf rund bedingungen. Gerade in den letzten Jahren 40 bis 50 Tonnen zu beobachten. Dies dürfte werden Veränderungen im Fangertrag, bei der eine Folge der zunehmenden Reoligotrophie- Länge und Korpulenz der Bielerseefelchen rung (Reduktion der Nährstoffzufuhr) sein. offensichtlich. Diese Beobachtungen lassen Parallel dazu wird über die gesamte Monito- sich mit den langen Datenreihen des ringperiode eine Abnahme der Durchschnitts- Monitorings sehr gut überprüfen. längen und des mittleren Gewichtes beobach- tet, obschon bis 2008 die Netzmaschenweiten Die genetischen Untersuchungen haben gezeigt, dass die bisher verwendete Anzahl nicht geändert wurden. Seither wurden sie in Kiemenreusendornen die Artunterscheidung mehreren Schritten reduziert. Der Konditions- der Felchen zu wenig genügend determiniert index war über lange Zeit recht stabil zwischen und zudem möglicherweise relativ schnellen 0.8 und 0.85, in den letzten zehn Jahren ist evolutiven Veränderungen unterliegt. Daher dieser Wert allerdings auf 0.75 bis 0.8 abge- wird empfohlen, das Routinemonitoring sunken. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass die mit stichprobeweisen Genanalysen und Felchen aufgrund des geringeren Nahrungs- morphometrischen Messungen zu ergänzen, angebotes schlanker gefangen werden. Das um die offenen Fragen zur Häufigkeit und Durchschnittsalter beim Fang ist in den 35 fischereilichen Bedeutung der einzelnen Arten Jahren des Monitorings von 2.5 auf 4 Jahre etwas genauer zu beleuchten. angestiegen und liegt nun stabil innerhalb der -3-
Felchenmonitoring 1984-2018 WFN 2021 1 Einleitung Um die gemäss Bundesgesetz über die Fische- Die Felchen (Coregonus sp) sind wohl eine rei (BGF Art. 1) vorgeschriebene nachhaltige der Tiergattungen mit der grössten Plastizität Bewirtschaftung der Fischbestände sicher- und Variabilität in Morphologie, Ethologie und zustellen, werden verschiedene Monitoring- Reproduktionsbiologie. Von einem namhaften methoden angewandt. In den 1970er Jahren US-amerikanischen Biologen wurden sie denn wurden von der Berufsfischerei im Thunersee auch schon als «Chamäleons» bezeichnet schier unmöglich scheinende Fangerträge von (Lindsey 1981, 1988). Nicht zuletzt aufgrund rund 65 kg/ha erzielt. Eine darauffolgende Un- ihrer kommerziellen Bedeutung als «Brotfisch» tersuchung ergab, dass die Fische deutlich für die kommerzielle Süsswasser-Fischerei schneller wuchsen als früher und daher viel zu der gesamten Holarktis werden sie seit bald jung gefangen wurden (Kirchhofer & Tschu- 150 Jahren intensiv erforscht. Dabei ergeben mi 1984). Daraufhin beschloss das Fischereiin- sich immer wieder neue Erkenntnisse über die spektorat des Kantons Bern, die Felchenfänge sympatrischen (im gemeinsamen Lebensraum der Berufsfischerei auf den drei Berner Seen eigenständig nebeneinander lebenden) Popu- - Bielersee, Thunersee und Brienzersee – mit lationen in vielen Seen und deren Entwicklung einem regelmässigen Monitoring zu überwa- in Abhängigkeit der zur Verfügung stehenden chen, so dass in Zukunft ungünstige Entwick- Ressourcen (Hudson et al. 2007; Selz et al. lungen frühzeitig erkannt und Gegenmassnah- 2019). Heute können die Felchen als Parade- men getroffen werden können. Seit 1984 wer- beispiel für die vor unseren Augen ablaufende den nun die Felchenfänge der Berufsfischerei Evolution und Aufspaltung in viele Arten be- aller drei Seen monatlich beprobt. Die Resul- trachtet werden. Im Laufe der Zeit wurden zahl- tate dieses Überwachungsprogramms wer- reiche Arten, Unterarten, Ökotypen, Formen den jährlich statistisch ausgewertet und nach oder Populationen beschrieben und vonein- Seen, Altersklassen und Formen tabellarisch ander abgegrenzt. Seit den 1980er Jahren hat zusammengefasst. Diese Analysen bilden die die fischereibiologische Forschung immense Grundlage zur Festlegung der Fischereivor- Fortschritte gemacht und inzwischen erlauben schriften – insbesondere der Netzmaschen- umfangreiche genetische Untersuchungen die weiten - und als Basis für eine Erfolgskontrolle Verwandtschaftsverhältnisse und Eigenstän- von Anpassungen der Vorschriften. digkeiten der Felchen in den Schweizer Seen neu zu bewerten und einzuordnen. Auf diese Nach 10 Jahren (Kirchhofer 1995) und nach Untersuchungen wird in einem zusammen- 20 Jahren (Kirchhofer & Breitenstein 2004) fassenden Kapitel über die Felchen der drei wurden die Daten dieses Monitorings auf lang- Berner Seen kurz eingegangen. Dieses Kapi- fristige Trends hin untersucht. Nachdem dieses tel wurde gemeinsam mit Pascal Vonlanthen, Monitoring nun seit 35 Jahren durchgeführt AQUABIOS, Cordast, verfasst. wurde, beauftragte das Fischereiinspektorat des Kantons Bern WFN – Wasser Fisch Natur AG, Bern, diese Langzeitanalyse erneut durch- zuführen, um eventuelle Trends zu erkennen und gegebenenfalls entsprechende Anpassun- gen der Fischereivorschriften vorzuschlagen. -4-
WFN 2021 Felchenmonitoring 1984-2018 2 Kurzporträt der drei grossen Berner Seen Alle drei grossen Seen im Kanton Bern werden die rund 30% der Seefläche einnehmen, und von der Aare durchflossen. Die beiden obers- wäre am ehesten als tiefer Brachsmensee zu ten, im voralpinen Raum liegenden Brienzersee bezeichnen. Entsprechend der zunehmenden und Thunersee sind tiefe, kühle Trogseen mit Besiedlungsdichte und Intensität der landwirt- kleinem Litoral und können aufgrund ihrer Mor- schaftlichen und industriell/gewerblichen Land- phologie, Nährstoff- und Sauerstoffverhältnis- nutzung vom alpinen Raum ins Mittelland ist se als typische Felchenseen bezeichnet wer- eine Zunahme der Nährstoffe mit abnehmen- den. Der rund 130 Höhenmeter tiefer im Mit- der Meereshöhe zu beobachten. Die wichtigsten telland liegende Bielersee weist dagegen eine Kenndaten sind in Tabelle 1 zusammengefasst, die geringere Tiefe und grosse Litoralzonen auf, geografische Lage ist in Abbildung 1 dargestellt. Tabelle 1: Morphologische, hydrologische und limnologische Kennzahlen der drei grossen Berner Seen. Brienzersee Thunersee Bielersee Mittlere Meereshöhe und Seespiegelschwankungen 564 ± 1.4 558 ± 0.95 429 ± 0.8 Oberfläche [ha] 2’966 4’830 3’930 Mittlere Tiefe [m] 174 135 28.5 Maximaltiefe [m] 259 217 74 Volumen [Mio m³] 5’160 6’500 1’240 Theor. Wassererneuerungszeit [Tage] 973 684 59 Einzugsgebiet [km²] 1’140 2’490 8’305 Mittlerer Abfluss bis 2016 (Min. - Max) [m³/s] 61.8 (52.9-72.1) 111 (80.7-141) 243 (150-311) Mittlere Abflusstemperatur bis 2017 9.8 10.8 11.7 Minimaler Sauerstoffgehalt an der tiefsten Stelle [mg/l] >8 >4 0-1 Produktionsverhältnisse ultra-oligotroph oligotroph mesotroph Bielersee Brienzersee Thunersee Abbildung 1: Geografische Lage der drei grossen Seen im Kanton Bern (© d-maps. com). -5-
Felchenmonitoring 1984-2018 WFN 2021 Dank des technischen Gewässerschutzes und Wie ausführliche wissenschaftliche Untersu- der gesetzlichen Vorgaben konnte der Nähr- chungen verschiedenster Fachrichtungen im stoffgehalt in den letzten 35 Jahren in allen Se- Rahmen des Projektes «Brienzersee» zeigten, en deutlich gesenkt werden und entsprechend hatte dieser starke Rückgang der Nährstoffe in hat sich deren Trophiegrad verändert. Vor al- diesem bereits vorher oligotrophen See drama- lem im Bielersee hat der produktionsbestim- tische Auswirkungen auf das gesamte Ökosys- mende Gehalt an Gesamtphosphor in dieser tem und dessen Nahrungsnetz (Kirchhofer Zeit von über 130 µg/l P-Tot um rund 90% auf et al. 2006; Wüest et al. 2007). Dabei zeigte ca. 15 µg/l P-Tot abgenommen (Abbildung 2). sich, dass das Wachstum der Felchen direkt In Brienzer- und Thunersee war die Abnahme durch die Dichte der Nährtiere (Zooplankton) weniger stark, aber heute liegen die Werte für bestimmt wird und diese wiederum durch die den pflanzenverfügbaren Nährstoff PO4 nahe Biomasse der Algen (Phytoplankton), die di- oder unter der Nachweisgrenze (1 µg/l PO4-P) rekt vom Nährstoffgehalt abhängig ist. Damit und der Gehalt an Gesamtphosphor liegt im konnte gezeigt werden, dass der Felchenbe- Bereich von 2 – 5 µg/l P-Tot. Seit dem Beginn stand «bottom up» (von unten nach oben) ge- des neuen Jahrtausends hat sich der Rück- steuert wird. gang der Nährstoffe in allen drei Seen ziemlich stabilisiert. Bielersee Thunersee 0.100 Brienzersee Gesamtphosphor [mg/l P-tot] 0.010 0.001 1972 1977 1982 1987 1992 1997 2002 2007 2012 2017 Abbildung 2: Gesamtphosphorkonzentration an der tiefsten Stelle während der Zirku- lationsperiode in den drei grossen Berner Seen (Daten: Gewässer- und Bodenschutzla- bor des Kantons Bern). -6-
WFN 2021 Felchenmonitoring 1984-2018 Die Daten des seit 1994 in allen drei Seen der Felchen «bottom up» reguliert werden, d.h. monatlich erhobenen Monitorings der Was- dass der Nährstoffgehalt die Menge und Zu- serqualität durch das Gewässer- und Boden- sammensetzung des Phytoplanktons, dieses schutzlabor (Amt für Wasser und Abfall AWA) die Biomasse des Zooplanktons und dies wie- des Kantons Bern zeigen, dass die Biomasse derum den Felchenbestand direkt beeinflussen des Zooplanktons – der wichtigsten Futterorga- und steuern (Müller et al. 2007; Wüest at al. nismen der Felchen – nicht so stark abgenom- 2007). men hat wie die Nährstoffe und z.B. 2011/12 im Im Bielersee wird seit 2006 eine neue Zoo- Bielersee sogar höher war als 1996/97 (Abbil- planktonart (Thermocyclops crassus) nachge- dung 3). wiesen (Guthruf et al. 2019). Die Einwande- Diese Monitoringdaten zeigen allerdings auch, rung dieser wärmeliebenden Art dürfte mit dem dass sich in den letzten 20 Jahren neben der Klimawandel und der zunehmenden Häufig- Menge auch die Zusammensetzung des Zoo- keit von Hitzesommern in Verbindung stehen. planktons (und des Phytoplanktons) verän- Weiter haben viele Arten und Artengruppen, dert hat. So wird z.B. das Verschwinden und insbesondere solche, die eutrophe Gewässer «Wiederauftauchen» der für den Felchenbe- bevorzugen, stark abgenommen. Kompensiert stand zentralen Wasserflöhe (Daphnia sp.) in wurde dies durch eine starke Zunahme von Eu- einzelnen Jahren im Brienzersee aufgezeigt. diaptomus gracilis. Wie sich diese Veränderun- Ausführlich untersucht wurden die Auswirkun- gen des Artengefüges in der Zooplanktonge- gen der fehlenden Daphnien auf die Brienzer- meinschaft und das Auftreten neuer Arten auf seefelchen. In einem grossen interdisziplinä- die Felchenbestände auswirken werden, ist bis ren Forschungsprojekt konnte gezeigt werden, anhin nicht klar. Hier besteht ein grosser For- dass der Felchenbestand und das Wachstum schungsbedarf. 180 Brienzersee 160 Thunersee Bielersee 140 Zooplankton Biomasse [g/m2] 120 100 80 60 40 20 0 1994 1995 1996 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Abbildung 3: Zooplanktonbiomasse monatlicher Stichproben in den drei Seen. Im Bielersee in der Wassersäule von 0 - 70 m Tiefe, im Thuner- und Brienzersee von 0 - 100 m Wassertiefe (Daten: Gewässer- und Bodenschutzlabor des Kantons Bern). -7-
Felchenmonitoring 1984-2018 WFN 2021 Wird die Biomasse des Phytoplanktons zu der- Damit können 21 bis 42 % der Variabilität der jenigen des Zooplanktons in Relation gesetzt, Zooplanktonbiomassen mit der Variabilität der zeigt sich in allen drei Seen ein Zusammen- Phytoplanktonbiomassen erklärt werden. Bei hang, der jedoch recht schwach ausgeprägt ist der Biomasse von Phyto- und Zooplankton (Abbildung 4). spielen jedoch nicht nur Nährstoffe eine Rol- Wird für diese zwei Parameter eine Korrelati- le, sondern auch Temperatur und andere Ein- onsanalyse durchgeführt, zeigt sich auch dafür flüsse. So konnten in den letzten 20 Jahren ein recht schwacher Zusammenhang, der je- – vor allem im Bielersee – neue Algen- und doch vom Bielersee zum Brienzersee deutlich Zooplanktonarten festgestellt werden, die sich zunimmt: wahrscheinlich als Folge des Klimawandels an- gesiedelt haben (Guthruf et al. 2019). • Bielersee: R2 = 0.208 • Thunersee: R2 = 0.319 • Brienzersee: R 2 = 0.417 80 Zooplankton Biomasse [g/m2] 8 Brienzersee Thunersee Bielersee 1 0.5 5 50 Phytoplankton Biomasse [g/m2] Abbildung 4: Gegenüberstellung der Zooplankton- und Phytoplanktonbiomasse der drei Berner Seen (Daten: Gewässer- und Bodenschutzlabor des Kantons Bern). -8-
WFN 2021 Felchenmonitoring 1984-2018 3 Die Felchenvielfalt der drei Seen Autoren: Pascal Vonlanthen, Thomas Kreienbühl, Oliver Selz 3.1 Einleitung 3.2 Artenvielfalt Das System der beiden im Berner Oberland 3.2.1 Thuner und Brienzersee gelegenen Seen weist eine sehr hohe Fatio beschreibt für den Thuner- und Felchenvielfalt auf. Kein Schweizer See oder Brienzersee 1885 ursprünglich zwei Arten, Seensystem beherbergt mehr Felchenarten C. balleus schinzii alpinus (Balchen) und C. als das System Brienzer- und Thunersee. dispersus crassirostris nobilis (Fatio 1885). Die Insgesamt wurden bis heute sieben zweitgenannte Art teilt er damals jedoch schon Felchenarten identifiziert. Das ist im weltweiten in zwei Varietäten auf, den Albock und das Vergleich zwar kein Rekord. In Russland Kropflein resp. Brienzling. Fünf Jahre später kommen teilweise mehr als zehn Felchenarten ordnet er diesen Varietäten dann eine eigene im gleichen See vor. Dennoch zeugt die Art zu, C. wartmanni alpinus und C. exiguus Vielfalt vom ursprünglichen und gut erhaltenen albellus (Fatio, 1890). Steinmann (1950) baute Charakter der Biodiversität in den beiden auf der Taxonomie von Fatio auf, revidierte und Seen. Gleichzeitig ist sie ein einzigartiges verfeinerte diese. Er beschreibt zwar nur noch Zeugnis der sympatrischen Artenbildung bei eine Felchenart (C. laveratus L. nat. arurensis). Fischen. Der Bielersee seinerseits beherbergt Diese teilt er jedoch in verschiedene Ökotypen vier Felchenarten, wovon zwei vermutlich ein. Am Thunersee beschreibt Steinmann fünf nach dem Bau des Hagneckkanals aus dem und am Brienzersee zwei Ökotypen. Aufbauend Thunersee eingewandert sind. auf dem biologischen Artkonzept überarbeitete (Kottelat 1997) die Felchentaxonomie Eine detaillierte Beschreibung der einzelnen erneut. Dabei beschrieb er für die beiden Arten kann dem Fachbericht der EAWAG Seen je drei Arten. Am Thunersee differenziert entnommen werden, der 2021 publiziert Kottelat zwischen Albock, Kropfer und werden soll. Im vorliegenden Kapitel werden Brienzlig. Den Balchen beschrieb Kottelat nicht lediglich die wichtigsten Erkenntnisse aus als eigenständige Art. Für den Brienzersee diesem Bericht, die für die Bewirtschaftung unterscheidet Kottelat zwischen Herbst- und relevant sind, zusammengefasst. Darunter Sommerbrienzlig sowie Albock. Den Balchen fällt insbesondere die Anzahl bekannter beschrieb Kottelat auch hier nicht nicht als Felchenarten und die methodischen eigenständige Art. Möglichkeiten, diese zu bestimmen. Anhand von genetischen Methoden und einer Vielzahl von beprobten Fischen wurde die Taxonomie der Felchen des Thuner- und Brienzersee zwischen 2011 und 2020 weiter aufgeschlüsselt (Hudson et al. 2011, Vonlanthen et al. 2012, Doenz et al. 2018, Selz et al. 2020). Im Unterschied zu Kottelat und Steinmann wurde der von Fatio beschriebene Balchen gefunden. Der Balchen wurde in darauf aufbauenden Studien aufgrund von genetischen, morphologischen und ökologischen Unterschieden sogar in zwei Arten unterteilt (C. alpinus und C. steinmanni). Insgesamt liegt die heute nachweisbare Felchenartenvielfalt am Thunersee bei sechs Arten. -9-
Felchenmonitoring 1984-2018 WFN 2021 Am Brienzersee werden heute vier Arten nachzuvollziehen. Allerdings findet Steinmann unterschieden. Auch hier kann der Balchen die als «confusus» bezeichneten alten Stücke in zwei Arten aufgespalten werden. Jedoch aus der Sammlung von Fatio und erkennt in ergaben neuste und noch nicht publizierte, ihnen ebenfalls die Übergangsformen, die hochauflösende genetische Untersuchungen, Fatio beschrieb. Eine weitere bemerkenswerte dass sich C. steinmanni und C. sp. aff. Äusserung Steinmanns ist der Fang von zwei steinmanni von den beiden Seen genetisch Felchen aus dem Jahr 1942, die er - würden unterscheiden. Die These von Kottelat, nach sie aus dem Thunersee stammen - ohne der es sich beim Winter- und Herbstbrienzlig mit der Wimper zu zucken dem «Brienzlig» um zwei Arten handelt, konnte bisher nicht zugeordnet hätte (je 39 und 40 KRD). Die bestätigt werden. Im System Thuner- und Bielerseefelchen teilt Steinmann in zwei seiner Brienzersee können heute insgesamt Ökotypen ein. Einerseits erkannte Steinmann sieben Arten unterschieden werden. Die ein Grossfelchen, das Neuenburger Palée (C. Bezeichnung alpinus wurde, den Regeln der lavaretus L. nat. jurassica, oekot. primigenius), Taxonomie folgend, wieder der ursprünglich mit Laichzeit zwischen Mitte und Ende mit den entsprechenden Eigenschaften Dezember (19-32 KRD). Andererseits das beschriebenen Art zugewiesen (Balchen). Bondelle (C. lavaretus L. nat. jurassica, oekot. nasus), etwas früher laichend und mit Tendenz zu Zwergwüchsigkeit (26-35 KRD). Unter 3.2.2 Bielersee Einbezug neuer genetischer Daten (Douglas Fatio beschreibt 1890 am Bielersee zwei et al. 1999) revidieren Kottelat und Freyhof Felchenarten, die hybridisierten. C. schinzii (2007) die Felchentaxonomie vom Bielersee palea (ugs. Palée, Palchen, 22-28 KRD) und bezeichnen nun das Bieler Bondelle als C. und C. exiguus bondella (ugs. Bondelle, confusus (KRD 33-38). Als zweite Felchenart Pfärrit, 34-39 KRD). Den Hybriden aus den beschreibt Kottelat (1997) das Palée (C. beiden beschrieben Arten bezeichnet Fatio palaea) für den Bielersee (KRD 22-32). als «confusus»-Form. Trotz Durchsicht der Originalsammlung von Fatio fällt es Steinmann (1950) schwer, die Arteneinteilung von Fatio Tabelle 2: Artenvielfalt der Felchen der drei grossen Berner Seen (Anzahl KRD nach Selz et al. 2020, * nach vorl. Bericht). Lateinisch Umgangssprachlich Vorkommen KRD (Min-Max) Coregonus alpinus Balchen Thunersee, Brienzersee 25-34 Coregonus steinmanni Steinmannsbalchen Thunersee 30-35 Coregonus acrinasus Albock Thunersee 30-40 Coregonus fatioi Felchen/Wanderalbock Thunersee, Brienzersee 32-34 Coregonus profundus Kropfer Thunersee, Bielersee 15-27 Coregonus albellus Brienzlig Thunersee, Brienzersee, Bielersee 32-44 Coregonus brienzii Brienzer Kleinbalchen Brienzersee 32-39 Coregonus confusus Pfärrit/Bondelle Bielersee 21-30 * Coregonus palaea Palée Bielersee 30-43 * - 10 -
WFN 2021 Felchenmonitoring 1984-2018 Auch im Bielersee werden heute vier um eine stabile Population handelt. Die Fische Felchenarten gezählt. Grundsätzlich ist es wanderten offenbar über die Aare, die im Jahr zwar bei den Artbeschreibungen von Kottelat 1887 über den Hagneckkanal in den Bielersee und Freyhof (2007) geblieben. Jedoch haben geleitet wurde, ein. Interessant ist, dass bereits inzwischen genetische Analysen den Brienzlig Steinmann den Brienzlig erwähnt, sich aber (C. albellus) und den Kropfer (C. fatioi) im offenbar noch nicht vorstellen konnte, dass Bielersee nachgewiesen (Bittner, 2009, Doenz der Brienzlig natürlicherweise einwanderte. et al., 2018, Selz et al., 2020). Vor allem beim Es ist daher nicht auszuschliessen, dass der Brienzlig ist davon auszugehen, dass es sich Brienzlig schon 1942 im Bielersee präsent war. 3.3 Bestimmungsschlüssel Die Bestimmung der einzelnen Felchenarten der drei Seen ist mit dem Beschrieb bzw. dem Nachweis von neuen Arten nicht einfacher geworden, im Gegenteil. Für die Bewirtschaftung und insbesondere für das Monitoring ist jedoch entscheidend, dass die einzelnen Arten erkannt werden können. Die Bestimmungsschlüssel für die einzelnen Arten sind im Rahmen einer Publikation des BAFU zu den Felchen in der Schweiz in Erarbeitung. Sie werden ab dem Zeitpunkt des Erscheinens dieser Publikation zur Verfügung stehen. - 11 -
Felchenmonitoring 1984-2018 WFN 2021 3.4 Empfehlungen zu methodischen Anpassungen für das Routine- monitoring der Felchenfänge Gemäss den aktuellen Kenntnissen Schritt 1: Bei zukünftigen Probenahmen der Taxonomie und den Methoden der im Rahmen des Routinemonitorings soll ein Artbestimmung, wird im Rahmen des Teil der während eines Jahres untersuchten Routinemonitorings eine Zuordnung eines Felchen zusätzlich anhand der neuen Fisches zu einer Art oft nicht möglich sein. Bestimmungskriterien untersucht werden Der Wissensstand zur morphometrischen (alle jeweils «im Feld», morphometrisch und Differenzierung zeigt, dass ein Erkennen der genetisch). Dazu müssten ganze Fische Arten anhand der Kiemenreusendornen und entnommen und tiefgefroren werden. So des Wachstums nicht ausreicht, um Fische stehen die Fische für die morphometrischen eindeutig einer Art zuzuordnen. Im Thunersee und genetischen Untersuchungen zur kann heute kann nur noch der Kropfer sicher Verfügung. Standardisierte Fotos sind dann anhand der KRD separiert und identifiziert am sinnvollsten, wenn sie sofort nach dem werden. Im Brienzersee geht das nur noch mit Fang gemacht werden (Farbgebung). Die dem Balchen. Es hat in den letzten Jahrzehnten anschliessend daraus erlangte Artzuweisung offensichtlich eine Annäherung der KRD-Zahlen soll mit dem bisherigen Vorgehen verglichen gegeben. Palée und Bondelle sollten auch im werden. Bielersee anhand Ihrer Morphologie bestimmt werden können. Die anderen Felchenarten Schritt 2: Anhand der Ergebnisse aus Schritt können mit morphometrischen Merkmalen 1 kann die Eignung der verschiedenen Ebenen nicht in jedem Fall bestimmt werden. Bei der Bestimmung («im Feld», morphometrisch, Individuen mit eindeutigen Merkmalen, wie für genetisch) geklärt und ihre Grenzen aufgezeigt den Thunersee im Schlüssel von Selz et al. werden. Weiter ist es möglich, das bisherige (2020) dargelegt, kann eine Zuordnung möglich Vorgehen beim Routinemonitoring zu sein. Der neue Bestimmungsschlüssel ist in überprüfen und zu optimieren. Damit kann ein der Praxis jedoch noch nicht erprobt worden. sinnvolles, realistisches und zukunftsweisendes Vorgehen erarbeitet werden. Es ist absehbar, dass mit einfachen Aufnahmen im Feld, ergänzt durch morphometrische Da der Thuner- und der Brienzersee zusammen Messungen nach heutigem Wissensstand und eine schweizweit einmalige Felchenartenvielfalt auch in Zukunft eine eindeutige Artzuweisung aufweisen, wäre ein solches Vorgehen sinnvoll einzelner Individuen oft nicht möglich sein und auch gerechtfertigt. Ohne diesen Versuch wird. Damit wird es schwierig, alle Ziele ist es anhand des bisher vorliegenden Wissens des Routinemonitorings zu erfüllen. Dies nicht möglich, ein optimales Vorgehen für die betrifft vor allem Punkt 3 «Veränderung der zukünftige Artbestimmung im Rahmen des Populationsstruktur; Hinweise auf eine starke Routinemonitorings zu empfehlen. Populationsabnahme einer bestimmten Art». Wir empfehlen daher für die Arterkennung im Rahmen des Routinemonitorings folgendes Vorgehen: - 12 -
WFN 2021 Felchenmonitoring 1984-2018 4 Die Felchenfischerei in den drei Seen In den meisten grösseren Seen der Schweiz menbruch war umso heftiger. Im Brienzersee sind die Felchen die wichtigsten Arten für die wurden seit 1960 nur selten Fänge über 10 kg/ Berufsfischerei, so auch in den drei Berner ha realisiert, seit ca. 1990 ist aber ein mas- Seen. Im Kanton Bern wurde 1931 für die siver Fangrückgang auf zuletzt unter 1 kg/ha Berufsfischerei die Pflicht eingeführt, die Fänge festzustellen. Inzwischen wird der Felchenbe- nach Arten, Anzahl und Gewicht in der Fang- stand im Brienzersee wohl «unterfischt», da statistik zu erfassen. Mit dieser langen Zeitrei- nur noch ein einziger Berufsfischer in Teilzeit he kann die kontinuierliche Weiterentwicklung tätig ist. Bei einer Vollzeitfischerei wären im der Berufsfischerei nachvollzogen werden (Ab- Moment wohl deutlich höhere Erträge möglich. bildung 5). Im Thunersee liegt der Ertrag heute ungefähr Daraus ersichtlich wird die kriegsbedingte Er- auf dem Niveau der 50er Jahre, im Brienzersee tragszunahme in den vierziger Jahren (inten- dagegen auf demjenigen der 1930er Jahre. sivere Fischerei), der technische Fortschritt Diese Entwicklung wurde im Rahmen der Un- in den fünfziger Jahren (Motor- an Stelle der tersuchungen zum «Projekt Brienzersee» klar Ruderboote, Kunststoff- anstelle der Baum- als Folge der «Reoligotrophierung», des Rück- wollnetze) und die eutrophierungsbedingten gangs der Nährstoffeinträge erkannt und kann Ertragssteigerungen in den 1960er und 1970er heute auch in anderen natürlicherweise wenig Jahren. Für den Bielersee lagen zwischen den produktiven Seen der Voralpen wie Walensee, 1980er Jahren und ca. 2015 die Felchenfänge Vierwaldstättersee und Bodensee beobachtet recht stabil über 10 kg/ha, für den Thunersee werden (Müller et al. 2007). zwischen 5 und 10 kg/ha. Im Thunersee wur- Für die Angelfischerei im Kanton Bern de in den 1970er Jahren eine massive Er- wurde die Fangstatistik 1989 eingeführt. Die tragssteigerung realisiert mit Fängen um 50 Aufteilung zwischen Berufs- und Angelfischerei kg/ha, die – zumindest für die Schweiz – als am Gesamtfang der Felchen in einem See ist einmalig bezeichnet werden können. Der aus deshalb erst seit diesem Jahr dokumentiert. Die dieser Überfischung resultierende Zusam- entsprechende Zusammenstellung zeigt, dass der Anteil der Angelfischerei am Gesamtfang im 100 Brienzersee Thunersee Bielersee Ertrag [kg/ha Jahr] 10 1 0 Abbildung 5: Zeitliche Entwicklung der Felchenfänge der Berufsfischerei in den drei Seen von 1931 bis 2018. 100% Gesamtfang 90% Brienzersee Thunersee - 13 - 80% Bielersee 70%
Ertrag 1 100 Felchenmonitoring 1984-2018 WFN 2021 Brienzersee Thunersee 0 Ertrag [kg/ha Jahr] Bielersee 10 100% Anteil der Angelfischer am Gesamtfang 90%1 Brienzersee Thunersee 80% Bielersee 70% 60% 0 50% 40% 30% 100% 20% Anteil der Angelfischer am Gesamtfang 90% 10% Brienzersee Thunersee 80% 0% Bielersee 70% 60% Abbildung 6: Entwicklung des Anteils der Angelfischerei am Gesamtfang der Felchen in den drei 50% Seen von 1989-2018. 40% 40 30% Brienzersee Bielersee 35 in der Regel zwischen 10 und 30 %, im zahl Fische, die er zu verarbeiten hat. Waren Thunersee zwischen 10 und 20 % lag (Abbildung 6). 20% dies über die ganze Zeit seit 1931 in Bieler- und Thunersee Im Brienzersee 30 10% ist der Anteil der Angelfischerei Thunersee jeweils ungefähr drei bis fünf Fische Bielersee Anzahl Fische / kg am Gesamtfang nach 2010 auf zeitweise über pro kg, lag diese Zahl im Brienzersee bis En- 0% 25 90 % angestiegen, dies als Folge der stark de der 1950er Jahre bei 25 bis 30 und sank reduzierten 20 kommerziellen Fischerei (vgl. dann ebenfalls auf rund fünf Fische (Abbildung Kapitel 6.1).Für den Berufsfischer ist nicht nur 7). Seit anfangs 1990er Jahre stieg die Zahl im der Fang15 in kg relevant, sondern auch die An- Brienzersee jedoch wieder rasant bis auf 20 bis 10 40 Brienzersee 5 35 Thunersee 0 Bielersee 30 Anzahl Fische / kg 25 20 15 10 5 0 Abbildung 7: Anzahl Fische pro kg Fang gemäss Fangstatistik der Berufsfischerei 1931 - 2019. - 14 -
WFN 2021 Felchenmonitoring 1984-2018 25 Fische pro kg, und seit 2013 ist sie wieder Fische zu fangen und mit diesen noch einen auf rund 5 Fische pro kg abgesunken. Dies ist immensen Arbeitsaufwand zu haben, ist wohl darauf zurückzuführen, dass im Brienzersee kaum eine Motivation für junge Leute, den zwischen 2010 und 2015 die geringsten Fän- Beruf des Fischers zu erlernen. Seit 2016 ist ge der neueren Zeit getätigt wurden und ein auf dem Brienzersee kein Berufsfischer mehr grosser Anteil aus sehr kleinen Brienzlig be- vollamtlich tätig. Die Berufsfischerei dürfte hier stand. wohl nur eine reelle Überlebenschance ha- Wird angenommen, dass drei bis fünf Fische ben, wenn wieder mehr Felchen als Brienzlig pro kg einen akzeptablen Arbeitsaufwand gefangen werden und der Arbeitsaufwand für darstellen, um mit den zu Filets verarbeiteten die Verarbeitung dadurch auf ein akzeptables Fischen ein realistisches Einkommen zu er- Niveau (5 Fische/kg) gesenkt werden kann. Die reichen, zeigt sich, dass dies im Brienzersee aktuellste Entwicklung lässt hoffen, dass dies nur in Ausnahmejahren der Fall gewesen sein wieder der Fall sein wird. dürfte (Abbildung 8). Nur wenige Kilogramm 120'000 3 Fische/kg Brienzersee 100'000 Thunersee Bielersee 5 Fische/kg 80'000 Jahresfang [kg] 60'000 40'000 20'000 0 0 100'000 200'000 300'000 400'000 500'000 600'000 Jahresfang [Anzahl] Abbildung 8: Gegenüberstellung der beiden Variablen Gewicht (kg) und Anzahl des Jahresfangs. Die Linien markieren 3 und 5 Fische pro kg. - 15 -
Felchenmonitoring 1984-2018 WFN 2021 5 Monitoringprogramm Felchenfänge Berufsfischer 5.1 Zielsetzung Das Monitoringprogramm der Felchenfänge Das Fischereigesetz des Kantons Bern vom der Berufsfischerei in den drei Berner Seen 21. Juni 1995 gibt der Vollzugsbehörde auch wurde aufgrund des massiven Fangeinbruchs das rechtliche Instrumentarium, um schnell auf dem Thunersee ausgearbeitet und 1984 und pragmatisch auf festgestellte Veränderun- implementiert. Mit diesem Monitoring werden gen reagieren zu können. Seit 1996 liegt die mehrere Ziele verfolgt: Kompetenz für Anpassungen der Fischerei- vorschriften für die Berufsfischerei bei der zu- 1. Eventuelle Veränderungen der Zusam- ständigen Fachstelle der Kantonsverwaltung mensetzung des Fanges der Berufsfischer (Fischereiinspektorat des Kantons Bern), ohne sollen rasch erkannt werden, um innerhalb dass Anpassungen der Fischereiverordnung nützlicher Frist, gemeinsam mit den invol- durch die Regierung oder der Direktionsver- vierten Fischern entsprechende Korrektur- ordnung durch die Volkswirtschaftdirektion massnahmen auszuarbeiten (→ Sicherstel- notwendig sind. Diese effiziente Regelung lung der nachhaltigen Nutzung). hat zur Folge, dass die Rahmenbedingungen 2. Die Auswirkungen getroffener Mass- (Maschenweiten, Setztiefen, Art und Anzahl nahmen sollen überwacht werden (→ der Netze etc.) in Absprache mit den betrof- Erfolgskontrolle). fenen Berufsfischern laufend – auch während 3. Veränderungen der Populationsstruktur, der Saison – seespezifisch angepasst werden die auf eine starke Abnahme einer der in können. In den vergangenen 35 Jahren wur- den Berner Seen vorkommenden Felchen- de denn auch mehrmals von dieser Möglich- arten hindeuten, sollen rechtzeitig wahrge- keit, die Vorschriften flexibel anzupassen, Ge- nommen werden, so dass entsprechende brauch gemacht. Schutzmassnahmen in die Wege geleitet werden können (→ Erhaltung aller Arten und Rassen). 4. Reaktionen auf sich langfristig ändernde Umweltbedingungen sollen frühzeitig er- kannt werden, so dass wenn nötig entspre- chende Massnahmenszenarien ausgear- beitet werden können (→ Früherkennung). 5.2 Datenerfassung Pro See wurden vom zuständigen Fischereiauf- einem Minigrip-Säckchen gekühlt aufbewahrt. seher monatlich bei einem Berufsfischer je 25 Im Labor wurden für jeden Fisch mindestens Felchen aus dem normalen Fang vermessen. sechs Schuppen zwischen zwei Objektträgern Erfasst wurden Netztyp, Maschenweite, Fang- präpariert und auf einem Projektionsmikroskop tiefe und von jedem Fische Länge, Gewicht (Reichert, Austria) bzw. ab ca. 2000 unter ei- und Geschlecht, zudem wurden die Kiemen- nem Binokular mit Videoaufsatz (Olympus) bei reusen entnommen und die Dornen auf dem Vergrösserungen von 20 – 40x analysiert und ersten Kiemenbogen ausgezählt. Weiter wur- das Alter bestimmt. Da im November nicht ge- den pro Fisch Schuppen aus der ersten Rei- fischt werden darf (Schonzeit) wurden in die- he unterhalb der Seitenlinie entnommen und in sen Monaten keine Proben erhoben. - 16 -
WFN 2021 Felchenmonitoring 1984-2018 5.3 Statistische Analysen Zum Erkennen langfristiger Änderungen wur- Die Zeitreihenanalysen werden für jeden See den die Datenreihen mit Hilfe von Zeitreihen- separat durchgeführt. Um die Seen oder Pa- analysen untersucht. Das Ziel einer Zeitreihen- rameter mit verschiedenen Masseinheiten un- analyse ist das Erkennen und Herausschälen tereinander vergleichen zu können, werden einer Entwicklung über einen längeren Zeit- die gleitenden Mittel über 11 Monate «normali- raum. Werden die Rohdaten betrachtet, stellt siert». Dazu wird vom jeweiligen Wert der lang- man eine sehr grosse Variabilität über die Zeit jährige Mittelwert subtrahiert und die Resultie- fest. Um dieses «Rauschen» der Rohdaten rende durch die Standardabweichung geteilt. zu reduzieren werden für jeden Parameter die Nun bilden die gleitenden Mittel eine Normal- Monatsmittelwerte berechnet. Nun wird eine verteilung mit Mittelwert 0 und Standardabwei- Entwicklung des Parameterwertes über die chung 1 und sind unabhängig von der Mass- Zeit sichtbar. Allerdings wird diese noch durch einheit. Dies erlaubt einerseits, verschiedene grössere zeitliche (saisonale) Schwankungen Parameter eines Sees zu vergleichen, oder überdeckt. Um auch diese «Oszillationen» her- andererseits die Parameter für alle drei Seen auszufiltern und die Daten zu glätten, wird das zu vergleichen und gleichlaufende oder zeitlich gleitende Mittel der Monatsmittelwerte über verschobene oder abweichende Entwicklun- mehrere Monate berechnet. Eine Autokorrelati- gen in den Seen zu visualisieren. onsanalyse zeigt, dass eine Verschiebung der Mittelwerte über 11 Monate die besten Werte Um auch den Einfluss von Geschlecht oder ergibt. Damit werden einerseits längerfristige Art auf die verschiedenen Messgrössen zu mehr oder weniger regelmässige Schwan- untersuchen, wurden die Monatsmittelwerte kungen erkannt («Zyklen»), andererseits kann getrennt nach Geschlecht und Arten (jeweils eventuell eine gerichtete Entwicklung über die langsam und schnellwüchsige) pro See dar- Zeit – ein Trend – sichtbar werden. Je nach gestellt und eine Trendlinie hinzugefügt. Damit Parameter ist dieser Trend mehr oder weniger werden unterschiedliche Entwicklungen zwi- ausgeprägt. Um auch solche Abweichungen schen den Geschlechtern und den Arten sicht- vom langfristigen Mittelwert zu untersuchen, bar und können diskutiert werden. wird eine Differenzanalyse 1. Ordnung durch- geführt, bei der jeweils der Wert zum Zeitpunkt t aufgrund des Wertes zum Zeitpunkt t-1 vor- hergesagt werden soll. Diese Vorhersage wird mit Hilfe einer Regressions- und Residuenana- lyse durchgeführt und auf Signifikanz überprüft. - 17 -
Felchenmonitoring 1984-2018 WFN 2021 5.4 Virtual Population Analysis Grundlage der Analyse einer virtuellen Popu- Daraus lassen sich nun für die schnell- und lation sind die Häufigkeitsverteilungen aus- langsamwüchsigen Populationen jeden Sees gewählter Parameter und die Fangstatistik. die minimalen Jahrgangsstärken für die voll- Aus der Häufigkeitsverteilung des Alters des ständig rekrutierten Jahrgänge abschätzen. Probematerials kann der Anteil der einzelnen Zudem zeigt der Anteil schnell- bzw. lang- Altersklassen (in %) am Monats- oder Jah- samwüchsiger Felchen im Probematerial eine resfang gemäss Fangstatistik berechnet wer- eventuelle Verschiebung der Artenzusammen- den. Daraus lässt sich die Zahl der gefange- setzung des Fanges. Die Eigenschaften der nen Fische eines Jahrgangs berechnen und einzelnen Parameter wurden in der 20-Jahres- über eine Aufsummierung rückwärts über die Analyse ausführlich beschrieben und anhand Fangjahre ergeben sich schlussendlich die von Detailresultaten diskutiert (Kirchhofer & Mindeststärken der einzelnen Jahrgänge im Breitenstein 2004), weshalb an dieser Stel- See, die scheinbare («virtuelle») Populations- le darauf verzichtet wird. Für alle nachfolgend stärke. Korrekterweise muss diese Analyse vorgestellten Resultate muss festgehalten wer- für die gefangenen Arten separat durchgeführt den, dass sich diese ausschliesslich auf den werden, da diese unterschiedlich wachsen und Fang beziehen und nicht auf die Populationen, dementsprechend in unterschiedlichem Alter da nur der Fang repräsentativ beprobt wurde. gefangen werden. Um die Fische des Probe- In den folgenden Kapiteln werden die Resultate materials den verschiedenen Arten zuordnen aller Parameter für die einzelnen Seen disku- zu können, wurde die Anzahl Kiemenreusen- tiert und am Schluss werden alle drei Seen ge- dornen benutzt. Da diese für die Arten jeweils meinsam zusammenfassend betrachtet. einen Überlappungsbereich aufweisen, wurde Die taxonomische Zuordnung basiert auf das arithmetische Mittel zwischen der Dornen- der Anzahl KRD. Da diese Messgrösse zahl für schnell- und langsamwüchsige Arten aufgrund von Veränderungen heute weniger als Differenzierungsgrenze festgelegt: Aussagekraft hat, muss sie für die Zukunft angepasst oder zumindest mit genetischen Stichproben ergänzt werden. Brienzersee: • Felchen (schnellwüchsig) KRD ≤ 36 • Brienzlig (langsamwüchsig) KRD > 36 Thunersee: • Kropfer (langsamwüchsig) KRD ≤ 24, • Albock/Balchen (schnellwüchsig) > 24 KRD ≤ 35 • Brienzlig (langsamwüchsig) KRD > 35 Bielersee: • Palée (schnellwüchsig) KRD ≤ 30 • Bondelle (langsamwüchsig) KRD > 30 - 18 -
WFN 2021 Felchenmonitoring 1984-2018 6 Resultate Monitoringprogramm Brienzersee 6.1 Brienzersee 6.1.1 Statistische Basisdaten In den 35 Untersuchungsjahren wurden ins- index zum Ausdruck, der über die gesamten gesamt 9‘262 Felchen des Brienzersees ana- 35 Jahre bloss 0.75 erreicht. Das mittlere Al- lysiert (Tabelle 3). Die mittlere Länge lag bei ter beim Fang von 3.4 Jahren entspricht den knapp 26 cm. Das langjährige Durchschnitts- Zielsetzungen einer nachhaltigen Fischerei, gewicht von 143 g pro Fisch zeigt, dass gröss- wonach die Felchen in einem Alter von 3 – 5 tenteils schlanke Fische gefangen wurden. Jahren gefangen werden sollten. Dies kommt auch beim mittleren Konditions- Tabelle 3: Zusammenstellung der wichtigsten statistischen Eckdaten des Monitorings der Felchenfänge der Berufsfischerei am Brienzersee. Brienzersee Länge [mm] Gewicht [g] KI KRD Alter [Jahre] Anzahl 9296 9296 9296 9185 9292 Mittelwert 256.990 143.292 0.753 37.644 3.396 Standardfehler 0.474 0.800 0.001 0.044 0.012 Median 265 138 0.744 38 3 Modus 270 200 0.741 40 3 Standardabweichung 45.692 77.166 0.117 4.177 1.133 Stichprobenvarianz 2087.742 5954.593 0.014 17.447 1.285 Kurtosis -0.262 1.152 2.802 0.487 -0.084 Schiefe -0.510 0.677 0.747 -0.679 0.578 Wertebereich 315 715 1.265 38 9 Minimum 90 5 0.405 15 0 Maximum 405 720 1.671 53 9 Summe 2388979 1332040 6999.738 345759 31552 Thunersee Länge [mm] Gewicht [g] KI KRD Alter [Jahre] Anzahl 9164 9164 9164 9109 9161 Mittelwert 310.673 276.741 0.894 36.173 3.448 Standardfehler 0.310 1.024 0.001 0.054 0.014 Median 310 256 37 3 Modus 320 200 0.916 38 2 Standardabweichung 29.639 98.067 0.109 5.134 1.310 Stichprobenvarianz 878.491 9617.060 0.012 26.362 1.717 Kurtosis 1.508 10.746 2.359 1.234 -0.640 Schiefe 0.620 2.062 0.647 -1.023 0.340 Wertebereich 336 1386 1.405 36 8 Minimum 168 34 0.484 15 1 Maximum 504 1420 1.889 51 9 Summe 2847004 2536050 8189.785 329498 31584 Bielersee - 19 - Länge [mm] Gewicht [g] KI KRD Alter [Jahre] Anzahl 9556 9556 9556 9391 9554
Felchenmonitoring 1984-2018 WFN 2021 Brienzersee 6.1.2 Länge, Gewicht und Kondition Durchschnittliche Länge und Gewicht der Bri- beobachtet werden (Abbildung 9 unten). Dies enzerseefelchen sind von 1984 bis 2012 konti- war denn auch der Auslöser für die intensi- nuierlich gesunken und haben sich von rund 30 ve Suche nach den Ursachen im «Projekt auf unter 20 cm (Abbildung 9 oben) bzw. von Brienzersee», auf das bereits hingewiesen 250 auf knapp über 50 g pro Fisch (Abbildung wurde. Nach einer kurzen Erholung auf 0.85 9 Mitte) verringert. hat sich der Konditionsindex der Brienzersee- Beim Konditionsindex kann vom Höchststand felchen um 0.7 eingependelt und ist in den letz- 1987 - mit rund 0.95 waren die Fische damals ten 5 Jahren des Monitorings wieder auf leicht recht 320 korpulent - eine ungebremste Abnah- über 0.75 angestiegen. Parallel zu dieser Ent- me auf 0.68 und nach einer kurzen Erholung wicklung hat auch die Befischungsintensität 300 1997/98 320 ein Tiefststand von 0.6 im Jahr 2000 stark abgenommen, da von den ursprünglich 280 fünf Berufsfischerfamilien deren vier 300 320 aufgegeben haben und der verbliebe- Länge [mm] 260 280 300 Länge ne Fischer seinen Beruf nur noch in 240 Teilzeitarbeit ausübt. Länge [mm] 260 280 220 240 Länge [mm] 260 200 220 240 180 200 220 180 200 350 180 300 350 250 300 Gewicht 350 [g] 200 250 Gewicht 300 150 [g] 200 250 GewichtGewicht 100 150 [g] 200 50 100 150 0 50 100 0 50 1.00 0.95 0 Konditionsindex 1.00 0.90 0.95 0.85 KI 1.00 0.90 0.80 Konditionsindex 0.95 0.85 0.75 Abbildung 9: Zeitliche Entwicklung der durch- KI 0.90 0.80 0.70 schnittlichen Längen (oben), Gewichte (Mitte) Konditionsindex 0.85 0.75 0.65 und Konditionsindices der gefangenen Felchen KI 0.80 0.70 im Brienzersee von 1984 - 2018. Hell sind die Konditionsindex 0.60 Monatsmittelwerte dargestellt, dunkel das glei- 0.75 0.65 0.55 tende Mittel über 11 Monate. 0.70 0.60 0.50 0.65 0.55 0.60 0.50 0.55 -0.50 20 -
Sie können auch lesen