Praktische Bedeutung der Genetik bei Angststörungen - www.kup.at
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Praktische Bedeutung der Genetik Homepage: bei Angststörungen www.kup.at/ Domschke K JNeurolNeurochirPsychiatr Journal für Neurologie Online-Datenbank mit Autoren- Neurochirurgie und Psychiatrie und Stichwortsuche 2014; 15 (2), 90-95 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
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Genetik der Angststörungen Praktische Bedeutung der Genetik bei Angststörungen K. Domschke Kurzfassung: Bei der Entstehung von Angst- wenn auch derzeit kein prädiktives oder diagnos- (GWAS) yielded support for some vulnerability störungen wirken genetische Faktoren (Heri- tisches, so doch ein erhebliches therapeutisches genes such as the MAO-A, COMT, ADORA2A, 5- tabilität: 30–67 %) mit zahlreichen Umwelt- Potenzial, indem sie zum Verständnis von biolo- HTT, 5-HT1A, and NPSR1 genes to confer an in- faktoren in einem komplex-genetischen Modell gischen Entstehungsfaktoren von Angststörun- creased risk of anxiety disorders. Additionally, zusammen. Es wurden mehrere chromosomale gen beiträgt und daraus möglicherweise die Ent- first evidence has been gathered for gene-envi- Risikoregionen und möglicherweise risikoer- wicklung innovativer Therapien erlaubt. Auch ist ronment interactions between candidate genes höhende genetische Varianten identifiziert. Eini- denkbar, dass auf der Basis pharmakogeneti- of anxiety disorders and stressful life events, po- ge Gen-Umwelt-Interaktionsstudien bei angst- scher Befunde in Zukunft individuelle, prädiktive tentially mediated by epigenetic processes such relevanten Phänotypen zeigen die Bedeutung genetische Profile hinsichtlich des Ansprechens as DNA methylation. On a system level, neural dieses Ansatzes – zumal ergänzt um epigeneti- auf eine anxiolytische Pharmakotherapie gene- activation correlates of anxiety-relevant emo- sche Untersuchungen – für das bessere Ver- riert werden und damit zu einer individuell ange- tional processing and neurophysiological meas- ständnis der komplexen Interaktion von geneti- passten, noch gezielteren Anwendung von thera- ures such as peripheral sympathetic activity or schen Faktoren und psychosozialen Einflüssen peutischen Optionen führen könnten. the startle reflex have been shown to be poten- bei der Entstehung von Angststörungen auf. Eine tially driven by vulnerability genes of anxiety dis- zunehmende Bedeutung bei der Identifikation Schlüsselwörter: Genetik, Angststörung, Vul- orders. Finally, first pharmaco- and psycho- der relevanten Vulnerabilitätsgene für Angst- nerabilität, Heritabilität, pharmakogenetische therapy-genetic studies provide evidence for cer- störungen zeichnet sich für die Untersuchung Untersuchung, Risikogen tain risk genes to confer interindividual variabil- von funktionell, mittels moderner neuropsycho- ity in response to a pharmacological or psycho- logischer, neurophysiologischer und bildgeben- Abstract: Genetics of Anxiety – Theory and therapeutic intervention in anxiety disorders. Ge- der Verfahren erfassbaren intermediären Phäno- Practice. The pathogenesis of anxiety disorders netic research in anxiety disorders, though pres- typen als Risikofaktoren für die Entstehung von is multifactorial with an interaction of biological ently of no diagnostic or predictive value, might Angststörungen ab. Schließlich liegen erste and environmental factors. Among biological risk thus contribute to the development of innovative pharmakogenetische Untersuchungen bezüglich factors of anxiety disorders, a strong genetic and individually tailored therapeutic approaches des Therapieerfolgs einer Pharmako- bzw. Psy- contribution has been demonstrated by clinical for patients with anxiety disorders. J Neurol chotherapie bei Angststörungen vor, die andeu- genetic studies with heritability estimates rang- Neurochir Psychiatr 2014; 15 (2): 90–5. ten, dass dieser zu einem Gutteil von geneti- ing between 30 and 67 %. Molecular genetic schen Faktoren mitbestimmt zu sein scheint. Die studies comprising linkage studies, association Key words: genetics, anxiety disorder, vulner- Identifikation von Risikogenen der Angst hat, studies, and genome-wide association studies ability, heritability, pharmacogenetics, risk genes Einleitung dien wie Familien-, Zwillings-, Adoptions- und Segregations- untersuchungen zum Erbgang näher definieren. Bei der Entstehung von Angsterkrankungen geht man von ei- nem komplexen Entstehungsmodell mit einer Interaktion von Familienstudien Umweltfaktoren und biologischen, insbesondere genetischen Familienstudien vergleichen das Erkrankungsrisiko von An- Faktoren aus. Im Folgenden werden die bisherigen Befunde gehörigen Betroffener mit dem von Angehörigen Nicht- der klinisch-genetischen und molekulargenetischen For- betroffener und können damit eine Aussage über die so ge- schung bei Angsterkrankungen vorgestellt. Weiterhin werden nannte „Familialität“, also die Summe gemeinsamer familiä- Gen-Umwelt-Interaktionsstudien, epigenetische Untersuchun- rer Umwelteinflüsse und genetischer Faktoren in der Entste- gen sowie Pharmako-/Psychotherapie-genetische Studien bei hung der Erkrankung machen. Bisherige Familienstudien Angsterkrankungen besprochen und im Hinblick auf ihre kommen zu dem Schluss, dass Angehörige ersten Grades von diagnostischen und therapeutischen Implikationen sowie Panikpatienten ein etwa 3–5-fach höheres Erkrankungsrisiko ethischen Aspekte diskutiert. haben als Angehörige der Vergleichsgruppen, familiäre For- men der Erkrankung aber insgesamt eher selten sind [1]. Klinische Genetik Auch bei der Generalisierten Angststörung und den spezifi- schen Phobien [2] sowie der Posttraumatischen Belastungs- Der Beitrag genetischer Faktoren zur Entstehung einer Er- störung (PTSD) [3] findet sich eine erhöhte Familialität. krankung lässt sich über so genannte klinisch-genetische Stu- Zwillingsstudien Eingelangt am 22. August 2012; angenommen nach Revision am 8. November 2012; In Zwillingsstudien wird die Konkordanz, d. h. das gemeinsa- Pre-Publishing Online am 19. Dezember 2012 me Vorliegen der Erkrankung bei beiden Zwillingen, verglei- Aus der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universitäts- chend bei eineiigen (monozygoten) und zweieiigen (dizygo- klinikum Würzburg, Deutschland ten) Zwillingspaaren untersucht, wobei signifikant höhere Korrespondenzadresse: Univ.-Prof. Dr. Dr. med. Katharina Domschke, MA (USA), Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universi- Konkordanzraten bei monozygoten im Vergleich zu dizygo- tätsklinikum Würzburg, D-97080 Würzburg, Füchsleinstraße 15; E-Mail: Dom- ten Zwillingen auf den Einfluss genetischer Faktoren („Heri- schke_K@klinik.uni-wuerzburg.de tabilität“) schließen lassen. Nach einer Metaanalyse liegt die 90 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2014; 15 (2) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Genetik der Angststörungen Heritabilität für Panikstörung bei bis zu 48 %, für die Genera- den Adenosin-A2A-Rezeptor (ADORA2A) [18, 19], den lisierte Angststörung und spezifische Phobien bei ~30 %, für Cholezystokinin-B- (CCK-B-) Rezeptor [20, 21], die Mono- die Soziale Phobie bei 51 %, für die Blut-Spritzen-Phobie bei aminooxidase-A (MAO-A) [22, 23], die Catechol-O-Methyl- 59 % und für die Agoraphobie bei 67 %, wobei die verblei- transferase (COMT) [24–26] und den Serotonin-1A-Rezeptor bende Varianz jeweils durch individuelle Umweltfaktoren, (5-HT1A) [27–29] berichtet. Als neue Kandidatengene der wie z. B. Lebensereignisse, erklärt wird [2]. Die Heritabilität Panikstörung außerhalb der klassischen Neurotransmitter- der Posttraumatischen Belastungsstörung wird mit 20–35 % systeme zeichnen sich der Neuropeptid-S-Rezeptor (NPSR1) angegeben [4–6]. [30–32] und das „Regulator of G-protein signaling 2“-Protein (RGS2) [33, 34] ab. Varianten in den Genen für den Dopamintransporter (DAT1) [35], den Serotonin-2A-Rezep- Adoptionsuntersuchungen tor (5-HT2A) [36], COMT [37], MAO-A [38] sowie RGS2 Adoptionsuntersuchungen prüfen, ob das Erkrankungsrisiko [39] scheinen eine Rolle bei der Sozialen Phobie, den spezifi- in den biologischen Eltern oder den Adoptiveltern begründet schen Phobien bzw. der Generalisierten Angststörung zu spie- liegt, und erlauben damit ebenfalls eine Aussage über den len. Bei der Posttraumatischen Belastungsstörung wurden das Anteil der genetischen Komponente in der Genese der Er- Serotonin-Transportergen (5-HTT) [40], das Cannabinoid- krankung, wobei diese Untersuchungen bei Angsterkran- Rezeptorgen (CNR1) [41] sowie Gene der Hypothalamus- kungen bislang nicht durchgeführt wurden. Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (FKBP5) und des dopaminergen Systems (DRD2, DAT1, DRD4) als Risiko- Segregationsstudien gene identifiziert [42]. Wie bereits in klinisch-genetischen In Studien zum Erbgang (Segregationsstudien) konnte für Untersuchungen und Kopplungsstudien nahegelegt, sprechen Angsterkrankungen kein eindeutiger Erbgang nach Men- damit auch die Befunde aus den klassischen Assoziations- delschen Mustern definiert werden [7], sodass man bei Angst- studien für eine komplex-genetische Entstehung der Angst- störungen von so genannten komplex-genetischen Erkran- störungen mit einem additiven bzw. womöglich auch interak- kungen spricht, zu deren Entstehung mehrere „Vulnera- tiven Einfluss mehrerer Risikogene. Die bisherigen Asso- bilitätsgene“ oder „Risikogene“ in individueller Kombination ziationsbefunde sind allerdings bis auf wenige Ausnahmen und/oder Wechselwirkung („Epistase“) miteinander sowie im nicht zuverlässig repliziert und daher noch als vorläufig zu Zusammenspiel mit Umweltfaktoren beitragen. bewerten und zudem mit Risikoerhöhungen meist um einen Faktor < 2, also mit einem relativ kleinen Effekt verbunden. Molekulare Genetik Genomweite Assoziationsstudien Robustere Befunde sowie die Identifikation neuer Kandi- Spezifische Vulnerabilitäts- oder Risikogene lassen sich datengene für komplex-genetische Erkrankungen verspricht molekulargenetisch durch Kopplungs- („Linkage-Studien“) man sich von einem weiteren molekulargenetischen Ansatz, und Assoziationsstudien identifizieren. der erst in jüngster Zeit aufgrund der Vervollständigung der Sequenzierung des menschlichen Genoms und der Fortschrit- Kopplungsuntersuchungen te in der notwendigen Hochdurchsatz-Genotypisierungstech- Kopplungsuntersuchungen weisen auf mehrere Risikore- nik möglich geworden ist. In so genannten genomweiten As- gionen („Risikoloci“) im menschlichen Genom hin, die in soziationsstudien (GWAS) werden mehrere hunderttausend, Familien mit Angsterkrankungen kosegregieren. Für die das gesamte menschliche Genom repräsentierende Marker Panikstörung wurden potenzielle Risikoloci auf den Chromo- hypothesenfrei auf Assoziation mit der betreffenden Erkran- somen 1p, 4q, 7p, 9q, 11p, 15q und 20p [8–15], für die Soziale kung untersucht. Für die Panikstörung liegen bislang 3 ge- und die spezifischen Phobien auf den Chromosomen 16q und nomweite Assoziationsuntersuchungen (GWAS) vor: Eine ja- 14p [16, 17] identifiziert. Die bisher beschriebenen Genloci panische GWAS erbrachte Hinweise auf mehrere, bislang sind allerdings noch sehr groß und umfassen bis zu Hunderte nicht mit der Pathogenese der Panikstörung in Verbindung von Genen. Insgesamt bestätigen die vorliegenden Kopp- gebrachte Kandidatengene (z. B. PKP1, PLEKHG1, lungsuntersuchungen aber die Annahme der klinisch-geneti- TMEM16B, CALCOCO1, SDK2, CLU [43]), die einer Re- schen Untersuchungen, dass bei der Entstehung der Angst- plikationsuntersuchung jedoch nicht standhielten [44]. Deut- störungen mehrere Gene zusammenwirken. lich robustere Befunde liegen aus einer weiteren GWAS für das TMEM132D-Gen vor, dessen Rolle bei der Entstehung von Angsterkrankungen auch in Replikationsstudien und im Assoziationsuntersuchungen Tiermodell bestätigt werden konnte [45]. Dennoch bedarf es Assoziationsuntersuchungen, in denen die Häufigkeit des in Zukunft weiterer GWAS in größeren und diagnostisch ho- Auftretens eines genetischen Markers in einer Stichprobe von mogenen Stichproben, um zuverlässig neue Vulnerabilitäts- erkrankten Personen und in einer Stichprobe nichterkrankter gene für Angsterkrankungen identifizieren zu können. oder für die Gesamtpopulation repräsentativer Personen ver- gleichend untersucht wird, haben bislang mehrere Risiko- varianten („Polymorphismen“) in Kandidatengenen mit Gen-Umwelt-Interaktionsstudien Angsterkrankungen assoziiert gefunden. Bei der Panik- störung wurden in mehreren Studien Assoziationen – zu de- Nachdem aus Familienstudien neben einem signifikanten nen allerdings zum Teil auch Non-Replikationen vorliegen – Einfluss genetischer Faktoren auf die Entstehung der Angst- mit Polymorphismen in klassischen Kandidatengenen wie für erkrankungen auch deutliche Hinweise auf die Rolle von J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2014; 15 (2) 91
Genetik der Angststörungen Umweltfaktoren vorliegen, liegt ein weiterer Schwerpunkt (5-HTTLPR) mit der Neigung zum Erröten bei der Generali- der genetischen Forschung auf Gen-Umwelt-Interaktions- sierten Sozialen Phobie in Verbindung gebracht wurde [30, analysen („gene × environment“; „G × E“-Analysen). 66–68]. Weiterhin wurden unter Verwendung des so genann- ten „Imaging-genetics“-Ansatzes bei der Panikstörung Va- Die meisten Gen-Umwelt-Interaktionsstudien bei Angst- rianten in den COMT-, 5-HT1A- und NPSR1-Genen, bei der erkrankungen wurden für den Phänotyp der Posttraumati- Sozialen Phobie Varianten in den 5-HTT- und Tryptophan- schen Belastungsstörung durchgeführt. Hier wurde ein inter- hydroxylase- (TPH-) Genen jeweils mit einer kortiko- aktiver Einfluss von traumatischen Erlebnissen und Varianten limbischen Dysfunktion während der Verarbeitung angst- in den Genen für den Serotonin-Transporter (5-HTT), für ein relevanter Reize assoziiert gefunden [30, 69–72]. Co-Chaperon des Glukokortikoidrezeptors (FKBP5), die Dopamin-Beta-Hydroxylase (DBH), den GABRA2-Rezep- tor, RGS2 sowie COMT auf die Entstehung der PTSD berich- Pharmako-/Psychotherapiegenetik tet [46–55]. Die Generalisierte Angststörung scheint interak- tiv durch eine Neuropeptid-Y- (NPY-) Genvariation und trau- In welcher Weise genetische Varianten über ihre Wirkung auf matische Ereignisse beeinflusst zu sein [56]. Weiterhin wur- die Pharmakodynamik und -kinetik den Erfolg einer Phar- den signifikante Gen-Umwelt-Interaktionen der 5-HTT- und makotherapie wie auch deren Nebenwirkungen beeinflussen, NPSR1-Gene mit frühen bzw. rezenten negativen Lebens- wird über den Ansatz der so genannten Pharmakogenetik un- ereignissen auf die Angstsensitivität beschrieben [57–59]. tersucht. Bezüglich des Ansprechens auf eine anxiolytische Pharmakotherapie mit Antidepressiva bei Angststörungen lie- gen bislang folgende Studien vor: Vier dieser Untersuchun- Epigenetik gen berichten einen signifikanten Einfluss des funktionellen Promotorpolymorphismus des Serotonin-Transportergens (5- In diesem Zusammenhang können so genannte epigenetische HTTLPR) auf die Therapieantwort unter selektiven Sero- Untersuchungen – wie z. B. des DNA-Methylierungs- oder tonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) bei der Panikstö- Histon-Acetylierungsstatus relevanter Genregionen – einen rung, der Generalisierten Sozialen Phobie und der Generali- weiteren Beitrag zur Aufklärung der Rolle genetischer Fakto- sierten Angststörung [73–76]. Bei der Panikstörung und ren und deren Bezug zu Umwelteinflüssen bei der Pathogene- der Generalisierten Angststörung wurde zudem ein signifi- se von Angststörungen leisten. Spezifisch mit Blick auf kanter modulierender Einfluss des Serotonin-Rezeptor-1A- Angsterkrankungen wurden bislang v. a. DNA-Methylie- (5-HT1A-) Gens auf die Therapieresponse unter SSRIs gefun- rungsmuster bei der Posttraumatischen Belastungsstörung den [77, 78]. Das Ansprechen auf eine antidepressive Thera- untersucht, wobei Gene des Immunsystems, das MAN2C1- pie bei Patienten mit Generalisierter Angststörung scheint und das 5-HTT-Gen – z. T. in Abhängigkeit von der Anzahl weiterhin durch Variation im Serotonin-Rezeptor-2A- traumatischer Erfahrungen – differenziell methyliert gefun- (5-HT2A-) Gen beeinflusst zu sein [79]. In ähnlicher Weise den wurden [60–63]. Eine erste epigenetische Pilotstudie bei wurde auch für das Ansprechen auf eine psychotherapeuti- Panikstörung zeigte eine signifikante DNA-Hypomethy- sche Intervention bei Panikstörung ein Einfluss eines funktio- lierung des Monoaminooxidase-A- (MAO-A-) Gens ins- nellen COMT-Genpolymorphismus berichtet [80]. besondere bei Frauen, wobei negative Lebensereignisse mit einer Hypomethylierung, positive Lebensereignisse mit einer relativen Hypermethylierung einhergingen [64]. Zusammenfassung und Ausblick Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass erhebliche Fort- Genetik intermediärer Phänotypen schritte bei der Identifikation genetischer Risikofaktoren für die Pathogenese von Angststörungen erzielt werden konnten. Zur Aufklärung des genetischen Risikos für komplex-geneti- Kopplungs- oder „Linkage“-Untersuchungen konnten mehre- sche Erkrankungen, also auch für Angststörungen, wird zu- re so genannte „Risikoloci“, z. B. auf den Chromosomen 1p, nehmend das Konzept der so genannten „intermediären Phä- 4q, 7p, 9q, 11p, 15q und 20p für Angststörungen identifizie- notypen“ bzw. „Endophänotypen“ verfolgt. Intermediäre ren. Assoziationsstudien deuten auf einen möglichen Einfluss Phänotypen stellen mit der Krankheit assoziierte, eng um- von Genen der Monoaminooxidase-A (MAO-A), des Sero- schriebene psychopathologische oder neurobiologische Cha- tonin-Transporters (5-HTT), des Serotonin-Rezeptors 1A (5- rakteristika dar, von denen ein unmittelbarer kausaler Zusam- HT1A), der Catechol-O-Methyltransferase (COMT) und des menhang mit dem zugrunde liegenden Genotyp erwartet wird Neuropeptid-S-Rezeptors (NPSR1) auf die Pathogenese von [65]. Mit Blick auf Angsterkrankungen wurden hierzu z. B. Angsterkrankungen, insbesondere die Panikstörung hin. Ers- neurobiologische Marker wie sympathikotone Reaktionen te Gen-Umwelt-Interaktionsstudien konnten ein komple- oder neuronale Aktivierungskorrelate der emotionalen Reiz- xes Zusammenspiel von genetischen Risikofaktoren (z. B. verarbeitung herangezogen. 5-HTT, NPSR1) mit traumatischen Kindheitserfahrungen oder auch rezenten belastenden Lebensereignissen bei der So wurde z. B. eine erhöhte sympathikotone Reaktion mit Entstehung von Angst aufzeigen. Weiterhin liegen erste Hin- Adenosin-A2A- (A2A-) Rezeptorvarianten bei Blut-Spritzen- weise auf einen möglichen Einfluss von epigenetischen Fak- Phobie bzw. mit COMT- und NPSR1-Genpolymorphismen toren – wie einer differenziellen DNA-Methylierung von bei Panikstörung assoziiert gefunden, während der funktio- regulatorischen Bereichen in Risikogenen – auf die Entste- nelle Promotorpolymorphismus im Serotonin-Transportergen hung von Angsterkrankungen vor. Die funktionelle Auswir- 92 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2014; 15 (2)
Genetik der Angststörungen kung von genetischen Risikofaktoren auf neuronaler Netz- werkebene wurde unter Verwendung des so genannten Relevanz für die Praxis „Imaging-genetics“-Ansatzes untersucht, bei dem neuronale Aktivierungskorrelate z. B. der emotionalen Reizverarbei- Aussagen prädiktiver (z. B. in utero) oder prognostischer tung z. B. in der funktionellen Magnetresonanztomographie Art auf der Grundlage von genetischen Untersuchungen (fMRT) als intermediäre Phänotypen für komplex-genetische lassen sich aktuell und auf absehbare Zeit nicht treffen [90, Erkrankungen zugrunde gelegt wurden. Schließlich liegen 91]. Der genetischen Forschung bei Angsterkrankungen erste pharmakogenetische Studien vor, die einen Einfluss kommt allerdings sowohl perspektivisch als auch jetzt z. B. des 5-HT1A- und des COMT-Gens auf eine anxiolytische schon in zweierlei Hinsicht große Bedeutung zu: Pharmakotherapie mit Antidepressiva bzw. eine kognitive 1. Zum einen kann das wachsende Verständnis von biolo- Verhaltenstherapie bei Panikstörung zeigen. gischen Entstehungsfaktoren von Angststörungen durch genetische Befunde zur Entwicklung innovativer Dennoch ist das Netzwerk der komplex-genetischen Ätiolo- Therapieansätze – wie z. B. das NPS-System targe- gie der Angststörungen mit einem Zusammenspiel multipler tierender anxiolytischer Substanzen [92] – beitragen. genetischer Risikovarianten und risikoerhöhender Lebens- 2. Zum anderen ist denkbar, dass auf der Basis pharmako- ereignisse lediglich ansatzweise verstanden. Die zukünftige und psychotherapiegenetischer Befunde in Zukunft in- Erforschung der Genetik von Angststörungen wird daher so- dividuelle, prädiktive genetische Profile hinsichtlich wohl in technischer als auch in klinischer Hinsicht Folgendes des Ansprechens auf eine anxiolytische Therapie gene- berücksichtigen müssen: Neben weiteren genomweiten riert werden könnten. Damit wäre eine individuell an- Assoziationsstudien in größeren Stichproben besteht die Not- gepasste gezieltere Anwendung von therapeutischen wendigkeit der umfassenderen Untersuchung von bei- Optionen („personalisierte Medizin“) möglich, die zu spielsweise die gesamte genomische Region eines Gens re- einem rascheren Behandlungserfolg und damit einer präsentierenden, so genannten „tagging single nucleotide verkürzten Leidenszeit für die betroffenen Patienten polymorphisms“ (SNPs), von Haplotypen und von epistati- sowie einer signifikanten Kostenersparnis im Gesund- schen Effekten von Varianten in mehreren Genen. Dabei muss heitssystem führen könnte. auch die Frage nach der funktionellen Konsequenz der assozi- iert gefundenen genetischen Varianten sowie epigenetischen Veränderungen beispielsweise auf Expressions- oder Protein- ebene in weiten Teilen noch befriedigender beantwortet wer- den. Weiterhin werden zukünftig die Untersuchung von Mik- ro-RNAs [81] und „copy number variations“ (CNV), d. h. Literatur: 11. Gelernter J, Bonvicini K, Page G, et al. Deletionen oder Duplikationen größerer Teile des Genoms Linkage genome scan for loci predisposing 1. Maier W, Lichtermann D, Minges J, et al. to panic disorder or agoraphobia. Am J Med [82], sowie „Pathway“-Analysen, die den Einfluss von Vari- Genet 2001; 105: 548–57. A controlled family study in panic disorder. J anten in Genen einer Kette funktionell miteinander interagie- Psychiatr Res 1993; 27 (Suppl 1): 79–87. 12. Hamilton SP, Fyer AJ, Durner M, et al. render Elemente, wie z. B. einer Signalkaskade von Rezeptor- 2. Hettema JM, Neale MC, Kendler KS. A Further genetic evidence for a panic disor- bis Zellkernebene, verfolgen [83], und „Next-generation- review and meta-analysis of the genetic der syndrome mapping to chromosome 13q. epidemiology of anxiety disorders. 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