Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich April, 2017 - Autor: Philipp Stavenhagen, DFBEW
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Dieses Dokument ist den Mitgliedern des DFBEW vorbehalten Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich HINTERGRUNDPAPIER April, 2017 Autor: Philipp Stavenhagen, DFBEW philipp.stavenhagen.extern@bmwi.bund.de Gefördert durch: Gefördert durch:
Disclaimer Der vorliegende Text wurde durch das Deutsch-französische Büro für die Energiewende (DFBEW) verfasst. Die Aus- arbeitung erfolgte mit der größtmöglichen Sorgfalt. Das DFBEW übernimmt allerdings keine Gewähr für die Rich- tigkeit und Vollständigkeit der Informationen. Alle textlichen und graphischen Inhalte unterliegen dem deutschen Urheber- und Leistungsschutzrecht. Sie dürfen, teilweise oder gänzlich, nicht ohne schriftliche Genehmigung seitens des Verfassers und Herausgebers weiterver- wendet werden. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung, Verarbeitung, Einspeiche- rung und Wiedergabe in Datenbanken und anderen elektronischen Medien und Systemen. Das DFBEW hat keine Kontrolle über die Webseiten, auf die die in diesem Dokument sich befindenden Links führen. Für den Inhalt, die Benutzung oder die Auswirkungen einer verlinkten Webseite kann das DFBEW keine Verantwor- tung übernehmen. Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 2
Zusammenfassung Deutschland und Frankreich haben ambitionierte Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien: In Deutschland soll der Erneuerbare-Energien-Anteil (EE-Anteil) am Brutto-Stromverbrauch bis 2025 auf 40-45 % steigen, um dann im Jahr 2035 55-60 % zu erreichen. In Frankreich schreibt das 2015 verabschiedete Energiewendegesetz einen EE- Anteil an der Stromerzeugung von 40 % bis 2030 vor. Diese Veränderungen im Zuge der Energiewende stellen die Stromsysteme in beiden Ländern vor Herausforderungen und mit wachsendem Anteil der Erneuerbaren steigt der Flexibilitätsbedarf im deutschen und französischen Stromsystem. Als eine der heute bereits verfügbaren Flexibili- tätsoptionen gewinnt die aktive Steuerung der Stromnachfrage daher zunehmend an Bedeutung. Das sogenannte Demand Side Management - auch Demand Response oder Lastmanagement – betrachtet Flexibili- täten im Strombezugsverhalten von Verbrauchern und ruft diese gezielt ab. Abschaltbare Lasten können punktuell aktiviert werden sobald eine hohe Stromnachfrage auf eine geringe Erzeugung trifft. So können Lastmanagement- maßnahmen die Abregelung von Strom aus erneuerbaren Energien vermeiden und ihre Integration in das Stromsystem insgesamt verbessern. Unabhängig von diesem systemischen Nutzen, bietet DSM flexiblen Verbrau- chern eine zusätzliche Einnahmequelle. Das DFBEW-Hintergrundpapier zu regelbaren Lasten gibt eine inhaltliche Einführung in die Thematik und liefert einen allgemeinen Überblick über die bestehende Regulierung in Deutschland und Frankreich. Betrachtet werden zum einen die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten flexibler Lasten in beiden Ländern sowie deren gesetzlichen Grundlagen. Hierbei wird neben ihrem Einsatz, beispielsweise am Strom- und Regelenergiemarkt, auch auf spezifische nationale Sonderregelungen eingegangen. Zum anderen bietet das Hintergrundpapier eine allgemeine Einführung in das Thema, in der eine konzeptionelle Präzisierung der unterschiedlichen Begrifflichkeiten vorgenommen sowie näher auf die Umsetzung von Demand Side Management eingegangen wird. Technische Aspekte werden dabei ebenso angesprochen wie vorhandene Ver- marktungsmöglichkeiten und die Rolle unabhängiger Last-Aggregatoren. Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 3
Inhalt Disclaimer 2 Zusammenfassung 3 Inhalt 4 I. Einleitung 5 II. Stromverbrauch und Potenziale für regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 6 II.1. Stromverbrauch in Frankreich 6 II.2. Stromverbrauch in Deutschland 8 III. Regelbare Lasten – Demand Side Management 9 III.1. Begriffsbestimmung und Definition 9 III.2. Ziele von Lastmanagementmaßnahmen 11 III.3. Technische Aspekte zur Umsetzung von Demand Side Management 11 III.4. Umsetzung in Privathaushalten, Gewerbe und Industrie 13 III.5. Vermarktungsmöglichkeiten regelbarer Lasten 15 III.6. Die Rolle unabhängiger Last-Aggregatoren 16 IV. Einsatz und Vergütung regelbarer Lasten in Frankreich 17 IV.1. Tarifäre Anreize für DSM in Frankreich 18 IV.2. Vermarktung regelbarer Lasten über den Strommarkt 19 IV.3. Flexible Lasten im Regelenergiemarkt 20 IV.4. Regelbare Lasten im französischen Kapazitätsmarkt 22 IV.5. Mechanismus für abschaltbare Lasten 22 V. Einsatz und Vergütung regelbarer Lasten in Deutschland 23 V.1. Tarifäre Anreize in Deutschland 23 V.2. Flexible Lasten am Strommarkt 24 V.3. Flexible Lasten im Regelenergiemarkt 24 V.4. Verordnung für abschaltbare Lasten (AbLaV) 24 V.5. Zuschaltbare Lasten im EEG 2017 25 V.6. Optimierung der Netzentgelte 25 Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 4
I. Einleitung Deutschland und Frankreich haben sich ambitionierte Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien gesetzt: In Deutschland soll der Erneuerbare-Energien-Anteil (EE-Anteil) am Brutto-Stromverbrauch bis 2025 auf 40-45 % stei- 1 gen, um dann im Jahr 2035 55-60 % zu erreichen. In Frankreich schreibt das 2015 verabschiedete Energiewendege- setz (loi pour la transition énergétique et croisscance verte, hier auf Französisch) einen EE-Anteil an der Stromerzeu- gung von 40 % bis 2030 vor. Diese Veränderungen im Zuge der Energiewende stellen die Stromsysteme in beiden Ländern vor Herausforderungen und mit wachsendem Anteil der Erneuerbaren steigt der Flexibilitätsbedarf im deutschen und französischen Stromsystem. Insbesondere die Zunahme fluktuierender Energiequellen, wie Photo- voltaik (PV) und Wind, machen eine Flexibilisierung der gesamten Stromversorgung notwendig. Bereits heute kön- nen in beiden Ländern Extremsituationen auftreten, in denen beispielsweise eine große Stromnachfrage auf eine geringe Stromerzeugung trifft. Schwankungen in Produktion und Nachfrage treten sowohl im Tages- als auch im Jahresverlauf auf. Angebot und Nachfrage müssen jedoch jederzeit in Einklang stehen, andernfalls droht eine Gefährdung der Versor- gungssicherheit. Netzbetreibern und Stromerzeugern stehen dabei eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung, um bestehende Ungleichgewichte auszugleichen. So ergeben sich Flexibilitäten beispielsweise über eine Steuerung der 2 Stromerzeugungsanlagen durch Einspeisemanagement , Stromspeicher oder Interkonnektoren und leistungsfähige 3 Stromnetze, die den erzeugten EE-Strom großflächig verteilen. Eine weitere Möglichkeit stellt darüber hinaus die aktive Steuerung des Stromverbrauchs dar. Unabhängig von der Art der eingesetzten Flexibilität ist sie grundsätz- lich erforderlich, um die Systemintegration der erneuerbaren Energien zu ermöglichen und die Versorgungssicher- heit weiterhin aufrecht zu erhalten. Vor dem Hintergrund dieser Notwendigkeit wird die angesprochene aktive Steuerung der Stromnachfrage, als eine der heute verfügbaren Flexibilitätsoptionen, zu einem zentralen Element des zukünftigen Stromsystems. Die Poten- ziale für mehr Flexibilität auf Seiten der Verbraucher sind beträchtlich und werden in Deutschland und Frankreich teilweise auch bereits genutzt. So können beispielsweise regelbare Lasten heruntergefahren werden sobald Engpäs- se in der Stromerzeugung auftreten und es eine hohe Nachfrage gibt, bzw. zusätzliche Lasten aktiviert werden so- bald viel Strom aus erneuerbaren Energien eingespeist wird. Über das sogenannte Demand Side Management (DSM), auch Demand Response (DR) oder Lastmanagement genannt, kann so die Abregelung von Strom aus erneuerbaren Energien vermieden und ihre Integration in das Stromsystem insgesamt verbessert werden. In vielen Fällen stellen flexible Lasten die kostengünstigere Alternative zum andernfalls notwendigen Netzausbau dar und bieten einigen Verbrauchern eine zusätzliche Einnahmequelle. Auch auf europäischer Ebene rückt das Thema Demand Side Ma- nagement im Zuge des Markt-Design-Paketes verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit um zukünftig das Poten- zial flexibler Lasten in Europa besser zu erschließen. Das vorliegende Hintergrundpapier beschäftigt sich daher mit folgenden Fragen: Welche technischen und wirt- schaftlichen Potenziale für DSM bestehen in Deutschland und Frankreich? Welche regulatorischen Vorgaben setzen den Rahmen für Lastenmanagementmaßnahmen in beiden Ländern? Wie und wo wird es aktuell eingesetzt? In- wieweit bietet es Akteuren in Deutschland und Frankreich wirtschaftlich eine zusätzliche Einnahmequelle? 1 Vgl. BMWi 2016 (hier) 2 Vgl. beispielsweise ein Memo des DFBEW zu „Einspeisemanagement in Deutschland und Frankreich“ (hier) 3 Im Rahmen der DFBEW-Konferenz „Die Flexibilisierung des Stromsystems in Deutschland und Frankreich“, vom 24.11.2015, wur- den diese Optionen ausführlich vorgestellt und diskutiert. Eine Zusammenfassung der Konferenz und die Präsentationen der Refe- renten können auf der Webseite des DFBEW im Mitgliederbereich abgerufen werden (hier). Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 5
II. Stromverbrauch und Potenziale für regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich Der Stromverbrauch in Deutschland und Frankreich ist gekennzeichnet durch unterschiedliche Strukturen und Verbrauchsmuster, weshalb sich auch die Potenziale regelbarer Lasten in den beiden Ländern unterscheiden. II.1. Stromverbrauch in Frankreich Der Stromverbrauch in Frankreich nimmt seit den 1950er Jahren kontinuierlich zu. Erst ab 2011 lässt sich eine Stabi- 4 lisierung beobachten, die unter anderem auf Energieeffizienzmaßnahmen zurückgeführt werden kann. In den Jahren 2015 und 2016 erreichte der Brutto-Stromverbrauch mit 479 bzw. 483 TWh ein ähnliches Niveau wie bereits 2011. Mit etwa 34 % bzw. 160 TWh stellen private Verbraucher die größte Bezugsgruppe von Strom in Frankreich dar, gefolgt vom tertiären Bereich (Gewerbe-, Handels- und Dienstleistungssektor) mit 29 % (140 TWh). Der industrielle Sektor erreicht mit 115 TWh einen Anteil von 24 %. Privathaushalte 13% Gewerbe, Handel 34% Dienstleistung 479 TWh Industrie 24% Energie, Landwirtschaft, Transport, Verluste 29% Brutto-Verbrauch Netto-Verbrauch Abbildung 1 – Entwicklung des Brutto- und Nettostrom- Abbildung 2 – Aufschlüsselung des jährlichen Stromverbrauchs nach verbrauchs in Frankreich (Festland, in TWh) Verbrauchsgruppe in Frankreich (2015) Quelle: RTE Darstellung: DFBEW; Quelle: RTE Eine wichtige Kenngröße für den Stromverbrauch Frankreichs sind temperaturabhängige Verbrauchsspitzen. Auf- grund einer großen Zahl an elektrisch betriebenen Heizungen, steigt der Verbrauch insbesondere in den Wintermo- naten bei sinkenden Außentemperaturen deutlich schneller, als dies beispielsweise in Deutschland der Fall ist. Die- ses Phänomen eines steigenden Strombezugs bei Temperaturänderungen wird als Thermosensibilität bezeichnet und beschreibt einen Anstieg der Stromentnahme mit jedem zusätzlichem Grad Celsius über den jährlichen Durch- schnittswerten. Frankreich besitzt in diesem Zusammenhang die mit Abstand höchste Thermosensibilität in Europa: 5 2.400 MW/°C. Zum Vergleich: In Deutschland beträgt dieser Wert etwa 500 MW/°C. 40 % der europäischen Thermos- ensibilität entfallen daher alleine auf Frankreich. Je nach Außentemperatur kann die durch Heizungen abgerufene 6 Leistung zwischen 5 GW und 45 GW schwanken. Mit einem Anteil von 28 % für elektrisches Heizen und weiteren 13 % für die Warmwasseraufbereitung, spielt der Stromverbrauch für Wärme insbesondere im privaten Bereich eine sehr wichtige Rolle. 39 % der privaten Wohnge- 4 Ausführlich RTE 2016 (hier, auf Französisch) 5 Dies bedeutet, dass mit jedem zusätzlichen °C der Stromverbrauch um 19 Uhr um 2.400 MW zunimmt. 6 RTE 2016 (hier, auf Französisch) Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 6
7 bäude in Frankreich, bzw. 8 Millionen Haushalte, werden derzeit elektrisch geheizt. Laut einer Schätzung des fran- zösischen Übertragungsnetzbetreibers RTE wird dieser Anteil in Zukunft weiter zunehmen. Gleiches gilt für die elektrische Warmwasseraufbereitung. Dies führt zu einer extremen Volatilität der jährlichen Lastspitzen und zu einer großen Abhängigkeit des Ver- brauchs von Temperaturschwankungen: So stiegen die Stromverbrauchsspitzen in den Jahren 2000-2010 doppelt so schnell wie der Jahresverbrauch an Strom. Im Zusammenhang mit einer extremen Kältewelle führte dies am 8./9. Februar 2012 zur bislang höchsten Verbrauchsspitze von mehr als 102 GW. Auch Anfang 2017 lag der maximale Ver- 8 brauch abermals bei 94,2 GW. Aufgrund einer eingeschränkten Verfügbarkeit des nuklearen Kraftwerksparks stan- den dieser Spitzenlast Stromerzeugungskapazitäten von lediglich etwa 90 GW gegenüber. Dies verdeutlicht, inwie- weit die hohe Thermosensibilität eine Herausforderung für das französische Stromsystem darstellt. 9 Am 7. November 2016 wurden an der Strombörse Preise von bis zu maximal 874 €/MWh erreicht. Wie in Kapitel III.5 10 dargestellt, haben Laststeuerungsmaßnahmen das Potenzial diese Preisspitzen bei Kältewellen abzuschwächen. Aus diesem Grund kommt dem Lastmanagement in Frankreich eine zusätzliche Bedeutung zu, da hierüber die be- schriebenen Effekte der Thermosensibilität abgeschwächt und Verbrauchsspitzen reduziert werden können. Der Einsatz regelbarer Lasten ist in Frankreich somit immer auch vor dem Hintergrund extremer Lastspitzen im Winter zu verstehen. Abbildung 3 – Durchschnittlicher wöchentlicher Leistungsabruf nach Verbrauchsgruppe und Zeitraum (in GW) Quelle: RTE S. 43 Résidentiel = private Haushalte ; Tertiaire = Handel, Dienstleistung, Gewerbe 7 Vgl. CRE (hier, auf Französisch) 8 RTE 2017 (hier, auf Französisch) 9 RTE 2016 (hier, auf Französisch) 10 Zur Wirkung von DSM-Maßnahmen auf den Strompreis ausführlich EWI 2012: 31ff. (hier) Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 7
II.2. Stromverbrauch in Deutschland 11 In Deutschland wurden 2015 etwa 600 TWh Strom verbraucht, wobei davon 32,6 % durch Strom aus erneuerbaren Energien gedeckt werden konnten. Der Bruttostromverbrauch ist nach einem Maximum von 621,5 TWh im Jahr 2007 insgesamt leicht rückläufig. 600 500 400 300 Bruttostromverbrauch 200 Erneuerbare Energieträger 100 0 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Abbildung 4 - Entwicklung des Bruttostromverbrauch und Anteil der erneuerbaren Energieträger am Bruttostromverbrauch in Deutschland, in TWh Darstellung: DFBEW; Quelle: Statistisches Bundesamt (hier) Im Unterschied zu Frankreich stellt die Industrie die größte Verbrauchergruppe in Deutschland dar: Sie konsumiert fast die Hälfte (47 % oder etwa 245 TWh) des Netto-Stromverbrauchs, was nicht zuletzt auch daran liegt, dass die herstellende und verarbeitende Industrie in der deut- 2% schen Wirtschaft eine deutlich größere Rolle spielt, als Industrie die französische Industrie für Frankreich. Den größten Anteil in dieser Gruppe haben Grundstoffchemie (40 %), 26% 12 Private Haushalte Stahl- (20 %) und Papierindustrie (17 %). Im Gegenzug 47% verbraucht der Gewerbe-, Handels- und Dienstleistungs- Gewerbe, Handel sektor in Deutschland anteilig weniger als in Frankreich. Dienstleistung Private Haushalte besitzen nur selten elektrische Hei- Verkehr 25% zungen. Unter anderem aus diesem Grund liegt ihr Anteil am nationalen Stromverbrauch bei lediglich 25 % (etwa 130 TWh). Abbildung 5 - Nettostromverbrauch in Deutschland nach Verbrauchsgruppen (2016), in TWh Darstellung: DFBEW; Quelle: BDEW (hier) 11 Statistisches Bundesamt 2016 (hier) 12 Hochschule Karlsruhe 2013: 3 (hier) Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 8
III. Regelbare Lasten – Demand Side Management Der folgende Abschnitt konkretisiert zentrale Begriffe und liefert einen Überblick darüber, wie regelbare Lasten im Sinne einer Flexibilisierung des Stromsystems eingesetzt werden können. III.1. Begriffsbestimmung und Definition Die Begriffe Lastmanagement, Laststeuerung, Demand Side Management (DSM), Demand-Response (DR) und regel- bare Lasten beschreiben alle eine gewisse Flexibilität im Strombezugsverhalten der Verbraucher und deren Nutzung 13 für das Stromsystem. Die französische Regulierungsbehörde für Energie CRE (Commission de régualtion de l’énergie) definiert Flexibilität der Nachfrage als Kapazität der Endverbraucher (Haushalt, Industrie, Handel und Gewerbe etc.) auf ein externes Signal zu reagieren und ihren Stromverbrauch über einen begrenzten Zeitraum zu verändern. Dieser modifizierte Strombezug erfolgt nicht regelmäßig und dient der Stabilität des Stromsystems zu einem bestimmten Zeitpunkt. Ein externes Signal kann dabei beispielsweise ein tarifärer Anreiz oder auch das di- rekte Ansteuern einer Verbrauchsanlage durch den Netzbetreiber sein. Ein Verbraucher hat die Möglichkeit, in zweierlei Hinsicht auf den externen Stimulus zu reagieren: 14 Er kann seinen Verbrauch senken (franz.: effacement ). Dabei verringert er über einen genau definierten Zeitraum den erwarteten Strombezug um eine bestimmte Menge. Dies kann in Form einer anteiligen Redu- zierung geschehen oder im Sinne eines kompletten Verzichts. Der reduzierte Verbrauch wird ggf. zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (franz.: report). Zweitens kann ein Verbraucher die Strommenge im Vergleich zum erwarteten Bezug insgesamt oder nur temporär erhöhen. Es gibt grundsätzlich zwei unterschiedliche Ausprägungen des externen Signals, auf das der Verbraucher reagiert. 15 Laut einer Studie des Umweltbundesamtes (UBA) kann daraus abgeleitet auch zwischen zwei Arten von Lastma- nagement unterschieden werden: Preisbasierte Optionen: Aktivierung der Last über den Kunden aufgrund preislicher Anreize, die Netzbe- treiber oder Stromanbieter für die Flexibilisierung der Stromnachfrage des Verbrauchers geben. Die Ent- scheidungsgewalt über den Einsatz der Last obliegt weiterhin dem Verbraucher. Flexible Stromtarife sind ein Beispiel hierfür. Anreizbasierte Programme: Auch hier erhält der Verbraucher für die Einwilligung zur Flexibilisierung sei- ner Stromlieferung finanzielle Anreize. Allerdings hat er keine oder nur noch eingeschränkte Entschei- dungsgewalt über den Einsatz der Last. Diese liegt beim Netzbetreiber oder dem Energieversorger, der das Programm aufsetzt. Der Abruf der Last erfolgt entsprechend der punktuellen Bedürfnisse des Stromsys- tems. Beide Arten der aktiven Verbrauchssteuerung unterscheiden sich von Energieeffizienzmaßnahmen dadurch, dass Lastmanagement ausschließlich im Sinne einer kurzzeitigen Serviceerbringung für das Stromsystem erbracht wird. Energieeffizienzmaßnahmen hingegen zielen darauf ab, die eingesetzte Energie eines Verbrauchers langfristig zu optimieren und insgesamt zu reduzieren. Trotz dieser konzeptionellen Unterscheidung kann die Steuerung einer 16 Last unter bestimmten Umständen dennoch auch zu Energieeinsparungen führen. 13 Ausführlicher FFE (hier) 14 Nach Art. 1 des Dekrets 2014-764 vom 3. Juli 2014 15 UBA 2015 (hier) 16 RTE 2016 (hier) Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 9
Abhängig davon, welcher Art des Lastmanagements der Verbraucher zustimmt, und wie er im Detail auf das externe Signal reagiert und seinen Strombezug verändert, beschreiben unterschiedliche Begriffe sein flexibles Verhalten. Freiwilliger Lastverzicht (auch Lastabwurf/ load shaving/ effacement): Der Verbraucher verzichtet zu einem bestimmten Zeitpunkt auf einen Teil seines Stromkonsums (beispielsweise Produktionsverzicht) welcher auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt wird. Der Verzicht erfolgt aus ökonomischen Gründen, sobald zu dem Zeitpunkt die Kosten des Konsums (Stromkosten) den Nutzen des Konsums übersteigen (beispielsweise Herstellung eines Produktes). Diese Art des Lastenmanagements erfordert keine Zwischen- speicher und hat entsprechend keine Fixkosten, führt jedoch aufgrund des Verzichts an Output zu höheren Opportunitätskosten. Lastzuschaltung (Lasterhöhung ohne Ausgleich): Der Verbraucher erhöht zu einem bestimmten Zeitpunkt seinen Stromkonsum, beispielsweise durch eine Erhöhung der Produktion oder das Füllen eines nachgela- gerten Speichers. Diese positive Lastverschiebung ist beispielsweise bei negativen Strompreisen wirtschaft- lich interessant. Lastverschiebung (load shifting/ effacement): Hierbei reduziert (Lastreduktion) oder erhöht (Lasterhöhung) ein Verbraucher den Stromkonsum und holt diesen Verbrauch zu einem späteren Zeitpunkt nach, bzw. zieht ihn vor. Dies bedeutet beispielsweise, dass er nicht auf die Herstellung eines Gutes verzichtet. Viel- mehr wird der Zeitpunkt von dessen Herstellung zeitlich verschoben. Ein solches Verhalten führt insge- samt zu einem stabileren Strompreis – wodurch es gegebenenfalls auch zu einer Stabilisierung des Markt- 17 wertes der erneuerbaren Energien beitragen kann. Allerdings erfordert diese Lastverschiebung vom Ver- braucher zusätzliche Flexibilität, da beispielsweise in der Industrie eine Zwischenlagerung der Produkte notwendig werden kann, was entsprechende Investitionen voraussetzt und mit energetischen Verlusten einhergehen kann (Wärmeverlust etc.). Im Französischen beschreibt der Begriff des effacement alle Arten des Lastmanagements, die auf eine Reduzierung der Last abzielen. Entsprechend definiert beispielsweise Artikel 1 der Verordnung n° 2014-764 vom 3. Juli 2014 (Décret relatif aux effacements de consommation d’électricité) ein effacement als „Handlung, die darauf abzielt, auf ein präzi- ses zeitliches Signal eines Last-Aggregators oder Stromversorgers, kurzfristig die effektiv bezogene Menge an Strom aus dem Übertragungs- oder Verteilnetz – im Vergleich zum zuvor erwarteten Verbrauch - zu reduzieren“. Im Deut- schen umfasst der Begriff Lastmanagement auch das Zuschalten einer Last und kann somit auch eine Erhöhung des Stromverbrauchs bedeuten. Alle vorgestellten Varianten des Lastmanagements haben grundsätzlich einen veränderten Stromverbrauch zur Folge und können das Stromsystem entlasten. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich kann der Verbraucher im Gegenzug direkt oder indirekt vergütet werden (ausführlich hierzu Kapitel IV. und V.). 17 Agora Energiewende 2015: 20; EWI 2012: 32ff. (hier) Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 10
Lastmanagement/ Demand Side Management/ Demand Response/ Laststeuerung Lastverzicht/ Lastverschiebung/ Lasterhöhung load shaving load shifting (ohne Ausgleich) Lasterhöhung Lastreduktion Abbildung 6 - Schematische Darstellung der unterschiedlichen Lastmanagement-Begrifflichkeiten Darstellung: DFBEW III.2. Ziele von Lastmanagementmaßnahmen 18 Lastmanagement kann insgesamt eine Reihe von Vorteilen mit sich bringen: Beitrag zur Versorgungssicherheit Beitrag zur Flexibilisierung des Stromsystems Kappung von Preisspitzen über Lastmanagement, indem der Verbrauch in Zeiten geringerer Nachfrage verschoben wird. So werden Angebot und Nachfrage besser zusammengeführt, was insgesamt zu geringe- ren Systemkosten führen kann. Einsparungen in der Stromproduktion, da beispielsweise der freiwillige Lastverzicht insgesamt zu einem geringeren Stromverbrauch führen kann Einsparungen im Bereich des Stromnetzes aufgrund geringerer Netzausausbaukosten Geringerer CO2-Ausstoß Aufbrechen bestehender Marktstrukturen und mehr Wettbewerb Zusätzliche Einnahmen für flexible Verbraucher III.3. Technische Aspekte zur Umsetzung von Demand Side Management Für die technische Umsetzung von Lastmanagement ist das Vorhandensein detaillierter Energiedaten ein wichtiges Element. Um beispielsweise die Flexibilisierungspotenziale einzelner Prozessschritte in der Industrie besser ein- schätzen zu können, ist es entscheidend, ihre jeweiligen Lastgangdaten zu kennen. Gleiches gilt in ähnlicher Weise für DSM-Maßnahmen in privaten Haushalten oder dem Gewerbe. Die zunehmende Digitalisierung bietet hier neue Ansatzpunkte um Potenziale besser zu erkennen und zu nutzen. Datensicherheit ist in diesem Zusammenhang jedoch eine mögliche Sorge von Unternehmen und Bürgern, da häufig Produktionsdaten oder persönliche Informa- tionen an Dritte weitergegeben werden müssen. Grundsätzlich sind für den Einsatz regelbarer Lasten einige Merk- 18 Europäische Kommission 2016 (hier, auf Englisch) Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 11
19 male der Anlage entscheidend. Sie geben die Einsatzmöglichkeiten vor und sind damit definierend für die Nutzung der Anlage im Rahmen von DSM. Das UBA listet folgende definierende Merkmale der Nutzungsformen auf: Festlegung der Verfügbarkeit: Zeitpunkt, an dem die Leistung der regelbaren Last für die Vermarktung zur Verfügung gestellt wird und abgerufen werden kann. Art des Abrufs: kontinuierlich oder diskret Aktivierungszeit: Zeit bis zur vollständigen Aktivierung der Leistungsänderung, d.h. die Zeit, die die Anlage zur vollständigen Bereitstellung der geforderten Leistungsänderung benötigt. Die Aktivierungszeit ist die Summe aus Totzeit und Anstiegszeit. Zulässige Totzeit: Zeit, die die Anlage bis zum Beginn der Reaktion auf ein internes oder externes Steuer- signal braucht. Mindestens erfüllbare Abrufdauer in der Produktzeitscheibe: Zeit, die die Anlage mindestens pro Vermark- tungsintervall erbringen können muss (getrennt nach Abrufdauer am Stück und Abrufdauer pro Vermark- tungsintervall). Notwendigkeit der Steuerbarkeit der Anlage: direkte Steuerung durch ein Regelsignal oder eine manuelle Steuerung, die durch den Anlagenbetreiber stattfindet. Eine weitere zentrale Frage ist zudem die Messung des veränderten Strombezugsverhaltens: Für eine angemessene Vergütung muss sichergestellt werden, dass die Laststeuerung genau bestimmt und überprüft werden kann. Dafür wird der tatsächliche Verbrauch zum Zeitpunkt der Steuerung, mit dem theoretischen Strombezug verglichen, den die Anlage ohne das externe Signal bezogen hätte. Die Differenz zwischen beiden Werten ist die zu vergütende Energie. Die Messung bzw. Berechnung des theoretischen Stromverbrauchs ist dabei die eigentliche Herausforde- rung bei der Bestimmung einer Lastverschiebung. Im NEBEF in Abrechnung basierend auf: Frankreich kommen hierfür unterschiedliche Methoden zum Festgestellte Verbrauchsreduzierung Einsatz, wie zum Beispiel die Berechnung von Standardlastkur- ven der Anlagen oder die Berechnung einer Verbrauchsprogno- 20 se (nur Übertragungsnetz). Hierbei ist letztlich auch der Zeit- raum der Messung ein interessanter Aspekt, da Lastreduzierun- gen häufig mit einem Nachholeffekt (effet report) verbunden sein können. Diese treten gegebenenfalls jedoch erst mit einiger 21 Verzögerung auf. Verbrauchsreduktion Technischen Fragen dieser Art haben Auswirkungen auf die Abrechnung basierend auf: Wirtschaftlichkeit von Lastmanagementmaßnahmen. Am Bei- Signal zur Lastreduzierung spiel einer Lastverschiebung in der Industrie wird dies deutlich: Um den verschobenen Strombezug – und damit auch die zeit- lich verschobene Produktion – nachzuholen, übertrifft der Stromverbrauch nach Ende der Lastreduzierung den ursprüng- lichen Verbrauch. Der verschobene Stromkonsum wird direkt und vollständig nachgeholt. Allerdings ist dabei nicht immer eindeutig, was mit der Lastverschiebung im Detail beschrieben wird. So kann der Zeitraum der Verschiebung (effacement) auf Signal zur Lastreduzierung zweierlei Weise definiert werden, was für die Vergütung dieser Abbildung 7 - Vergleich unterschiedlicher Messungszeit- Handlung relevant ist (vgl. Abbildung 7). räume für eine Lastverschiebung; Quelle: RTE 19 UBA 2015: 73 (hier) 20 Detailliert unter Punkt VII in den 2016 überarbeiteten NEBEF-Regeln von RTE (hier, auf Französisch) 21 Ausführlich hierzu: RTE 2016 (hier, auf Französisch) Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 12
In der ersten Variante folgt der zeitlichen Verschiebung ein direktes Nachholen des Energieverbrauchs. Dies setzt voraus, dass beispielsweise die Produktion in einem industriellen Prozess mit dem Ende des externen Signals zur Reduzierung der Last, umgehend nachgeholt und kurzzeitig gar überkompensiert werden kann. Der Verbrauch nach der Lastverschiebung übertrifft in diesem Fall kurzzeitig den ursprünglichen Verbrauch und die Produktion eines Produktes wird direkt nachgeholt. Alternativ holt er seinen Verbrauch zu einem deutlich späteren Zeitpunkt nach. 22 Einer Studie von RTE zufolge verhalten sich viele Verbraucher in der Realität jedoch deutlich komplexer als in den vorangegangenen Darstellungen und benötigen einige Zeit, um die Produktion, und damit auch ihren Verbrauch, technisch wieder hochfahren zu können. Demnach gibt es in diesem Fall eine (unfreiwillige) Verschiebung beim Nachholen des Verbrauchs. Aufgrund dieses zeitlichen Verzugs kann bei einigen Verbrauchern daher, laut RTE, insgesamt weniger Strom verbraucht werden und im Gesamtverbrauch ein Teil des Stroms eingespart werden. Eine wichtige Frage für die Vereinbarung mit den Verbrauchern ist hierbei wie diese Einsparung verrechnet wird, bezie- hungsweise ob der gesamte Zeitraum bis zum Ausgangsverbrauch als Lastverschiebung verstanden wird (gelbe Fläche in Abbildung 8). Unabhängig von diesen spezifischen technischen Fragen können Stromverbraucher ihren Strombezug jedoch oh- nehin nicht beliebig flexibel verändern und unterliegen weiteren technischen und betriebswirtschaftlichen Zwän- gen. So sind industrielle Prozesse auf eine kontinuierliche und hohe Auslastung ausgelegt. Anlagen in der DSM- Vermarktung müssen jedoch häufig an- und heruntergefahren werden. Für bestimmte technische Anlagen kann dies potenziell zu einem erhöhten Verschleiß führen, allerdings liegen bislang keine entsprechenden langfristigen Studien zu möglichen negativen Auswirkungen vor. Privathaushalte auf der anderen Seite möchten aufgrund eines Lastmanagements in der Regel nicht auf Komfort verzichten oder ihre Gewohnheiten umstellen. III.4. Umsetzung in Privathaushalten, Gewerbe und Industrie Privathaushalte Im Bereich der Privathaushalte und kleiner Verbraucher finden Lastmanagementmaßnahmen vor allem über einen kurzen Zeitraum (wenige Minuten bis Stunden) statt und zielen auf die elektrischen Geräte im Haushalt ab: Klima- anlagen, elektrische Heizungen/ Nachtspeicherheizungen, elektrische Warmwasseraufbereitung oder Wärmepum- 23 pen. Zukünftig dürften auch Geräte mit einem geringeren Stromverbrauch, wie etwa Kühlschränke oder Wasch- maschinen, stärker in Lastmanagementmaßnahmen einbezogen werden. Auch die zunehmende Bedeutung der Elektromobilität könnte die Rolle privater Haushalte bei der Flexibilisierung des Stromverbrauchs vergrößern. Dennoch macht die geringe Größe der einzelnen Lasten ein Zusammenschalten vieler Verbraucher notwendig, weswegen eine aktive Steuerung des Stromverbrauchs privater Haushalte bislang nur in geringem Umfang prakti- ziert wird. Hinzu kommen erschwerende mögliche Akzeptanzprobleme, da bei vielen Verbrauchern die Angst vor einem Verlust an Komfort durch die Lastmanagementmaßnahmen stärker ist als der erwartete (finanzielle) Nut- 24 zen. Zudem können Verbraucher häufig nicht im Vorhinein absehen, ob sie in einer bestimmten Situation tatsäch- lich auf einen Strombezug verzichten möchten / können (elektrische Heizung), was Last-Aggregatoren den Vertrieb der Kapazitäten erschwert. Lastmanagement in privaten Haushalten funktioniert heute daher vor allem über ta- rifäre Anreize (preisbasierte Optionen). Die Aktivierung und Steuerung dieser diffusen Flexibilisierung der Last bleibt dem Verbraucher selbst überlassen und erfordert keinen koordinierenden Akteur. Gezieltes (und damit auch effizienteres) Lastmanagement wird in diesem Bereich bislang nur sehr eingeschränkt praktiziert. Insbesondere in Frankreich wird jedoch in den letzten Jahren versucht, auch diese Potenziale zu erschließen und die Laststeuerung kleiner Verbrauchsmengen (effacements diffus) zu fördern. Bereits seit 2007 gibt es beispielsweise 22 RTE 2016 (hier, auf Französisch) 23 WIK 2015: 15ff. (hier) 24 CRE 2016 (hier, auf Französisch) Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 13
25 Projekte, private Haushalte in Regelleistungsmärkte zu integrieren. Problematisch bleibt jedoch die Wirtschaft- lichkeit von DSM in Privathaushalten, die, nach einer Einschätzung von RTE, erst in Zukunft unter Einbeziehung 26 weiterer Dienstleistungen (z.B. elektrische Fahrzeuge) attraktiver wird. Handel und Gewerbe DSM-Potenziale im tertiären Bereich können im Vergleich dazu grundsätzlich leichter erschlossen werden. Dies liegt vor allem daran, dass hier größere Einzellasten angesteuert werden können und dass in vielen Fällen bereits vor- handene Steuerungs- und Messtechniken die Nutzung vereinfachen. Lastmanagement über Lüftungssysteme in Bürogebäuden oder Kühlanlagen von Supermärkten, kann in vielen Fällen technisch unkompliziert und ohne grö- ßere Einschränkungen im Gebrauch realisiert werden. Industrie Lastmanagement großer industrieller Verbraucher wird in Deutschland und Frankreich bereits häufig praktiziert und verspricht die größten Potenziale. Klassischerweise werden insbesondere in der Aluminium-, Chlor-, Papier-, Stahl- und Zementindustrie große steuerbare Prozesse für eine aktive Steuerung des Stromverbrauchs verortet. 27 Hierfür ist in vielen Fällen nicht einmal ein Last-Aggregator notwendig, der die Steuerung der Anlagen übernimmt. Dies liegt vor allem daran, dass größere Einzellasten angesteuert werden können und auch hier bereits vorhandene Steuerungs- und Messtechniken eine Erschließung der Potenziale vereinfacht. Zudem können große industrielle Akteure die benötigte Energie gegebenenfalls durch andere Energieträger ersetzen oder eigene Erzeugungsanlagen aktivieren und hierüber den Strombezug aus dem Stromnetz reduzieren. Im Zuge der Digitalisierung der Industrie ist es für Unternehmen auf Basis der zusätzlich gewonnenen Energiedaten zudem leichter möglich, Flexibilitäten in industriellen Prozessen zu identifizieren und zu vermarkten. Unabhängig von einer Steuerung des Strombezugs in der Herstellung ist es in der Industrie auch möglich von der Produktion unabhängige Anlagen, wie beispielsweise Belüftungssysteme, Kompressoren, Pumpen oder Öfen, zu regulieren. Sektor Prozess Aluminium-Elektrolyse, Zementmühle, Papiermaschine, Papierbeschichtung, Papier- Industrie kalander, Zellstoffmahlung, Altpapieraufbereitung, elektrischer Lichtbogenofen, Chlor-Alkali-Elektrolyse, Ventilation, Druckluft Dienstleistung Klimaanlage, Ventilation, Kühlhaus, Kühlraum, Kälteanlage, Gefriertruhe Elektrische Heizung, Klimaanlage, Kühlschrank, Gefriertruhe, Waschmaschine, Wä- Haushalte schetrockner, Spülmaschine, Brauchwassererhitzer, Nachtspeicherheizung, Um- laufpumpe Transport Elektromobilität Kommunal Pump- und Belüftungsprozesse an Kläranlagen Abbildung 8 - Übersicht über mögliche DSM-Prozesse in unterschiedlichen Sektoren Quelle: BMWi (hier) 25 Europäische Kommission 2016: 44 (hier, auf Englisch) 26 RTE 2015 (hier, auf Französisch) 27 Assemblée Nationale 2016 (hier, auf Französisch) Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 14
III.5. Vermarktungsmöglichkeiten regelbarer Lasten Tarifäre Anreize 28 Eine Möglichkeit, die Potenziale regelbarer Lasten zu nutzen, stellen tarifäre Signale dar. In Frankreich gibt es sowohl fixe Stromtarife sowie Tarife mit einer flexiblen Komponente, welche für kleine Verbraucher teilweise noch staatlich reguliert sind. Letztere geben Verbrauchern einen Anreiz, ihrem Strombezug an die Bedürfnisse des Sys- tems anzupassen. Diese flexiblen Stromtarife sind ein wichtiges Werkzeug die französischen Verbrauchsspitzen 29 abzuflachen. In geringerem Umfang gilt dies auch für Deutschland. Tarifäre Anreize ermöglichen es jedoch nicht, auf einen spezifischen Flexibilitätsbedarf zu einem bestimmten Zeitpunkt zu reagieren. Für eine solche Reaktivität der Verbraucher sind die Zeitspannen der Tarife zu lang. Sie spiegeln zeitlich nicht Angebot und Nachfrage auf dem Markt wider und sind nicht in der Lage, Einfluss auf kurzfristige Entwicklungen am Strommarkt auszuüben. Strommarkt Flexibilitäten im Strombezug eines Konsumenten können über die Strombörse vergütet werden. Insbesondere am Intraday-Markt, da Handelszeiträume von einer Stunde oder Viertelstunde auch jenen Akteuren, die Lastmanage- ment nur über einen kurzen Zeitraum anbieten können, eine Teilnahme ermöglichen. Zudem reduzieren kurze zeit- liche Abstände zwischen Handel und Lieferung die Unsicherheit über die tatsächliche Verfügbarkeit zum Liefer- zeitpunkt und erleichtern daher flexiblen Verbrauchern die Teilnahme am Handel. Für große flexible Verbraucher besteht die Möglichkeit, beispielsweise bei hohen Börsenpreisen ihren eigenen Stromverbrauch zu senken und den zuvor bereits am Terminmarkt eingekauften Strom (Energie) wieder am Spotmarkt zu verkaufen. Über diese Art des flexiblen Verhaltens können sie gegebenenfalls zusätzliche Einnahmen generieren. Der Wert der Flexibilität liegt dann in der Fähigkeit, kurzfristig den Strombezug oder die Strombereitstellung (kWh) anzupassen und wird maß- geblich über den Spotmarktpreis ausgedrückt. Sobald dieser sehr hoch oder sehr niedrig ist, setzt er Anreize den Betrieb großer, energieintensiver Anlagen energetisch zu optimieren und die Produktion zu erhöhen (niedriger/ negativer Spotpreis) oder zu reduzieren (hoher Spotpreis). Die Differenz zwischen Einkaufspreis und aktuellem Börsenstrompreis kann der Verbraucher als Gewinn verbuchen. Mit zunehmendem Anteil der fluktuierenden erneuerbaren Energien im Stromsystem nehmen auch die Preis- schwankungen an der Strombörse zu und Flexibilität im Strombezug wird zusätzlich attraktiv. Regulierte Preise, Ausnahmen, Abgaben, Entgelte und Sonderregelungen führen jedoch dazu, dass diese Preissignale an den (Strom- großhandels-)Märkten nicht direkt übersetzt werden. Sie verzerren somit die Knappheitssignale der Märkte, so eine 30 vorgetragene Kritik von Akteuren wie etwa der Agora Energiewende. Flexible Verbraucher würden daher gegebe- nenfalls nicht entsprechend der Logik dieser Preissignale reagieren und ihr Verhalten würde sich nur eingeschränkt an der aktuellen Marktsituation orientieren. Bilanzkreismanagement Jeder Verbraucher und jede Erzeugungsanlage eines Stromsystems ist einem Bilanzkreis (BK) und einem Bilanz- kreisverantwortlichem (BKV) zugeordnet. Die Marktteilnehmer müssen für einen kurzfristigen Ausgleich von ge- planter Last und Erzeugung sorgen und so Nachfrage und Angebot in ihrem BK jederzeit im Gleichgewicht halten. Um diese Balance sicherzustellen, tätigen sie Ausgleichsgeschäfte und schaffen eine Nachfrage an Flexibilität. Diese kann auch von flexiblen Verbrauchern bereitgestellt werden. Über Ausgleichsenergie können Abweichungen ausge- glichen werden. BKV haben hierüber einen starken Anreiz, Abweichungen in ihrem BK mithilfe eines entsprechen- den Portfolios aus flexiblen Lasten und flexiblen Erzeugern auszugleichen. Gelingt ihnen dies nicht, werden die Regelleistungsreserven aktiviert. Im Bilanzkreissystem könnten flexible Lasten daher eine wichtige Rolle spielen. 28 Ausführlicher: Kurzstudie des VZVB 2015: 10 29 Assemblée Nationale (2016): 14 (hier, auf Französisch) 30 Agora Energiewende 2015 (hier), Dena 2016 (hier) Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 15
Regelenergie Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) sind für die Stabilität des Stromsystems verantwortlich und haben sicherzustel- len, dass Stromangebot und -nachfrage zu jedem Zeitpunkt ausgeglichen sind. Um dies gewährleisten zu können stehen den ÜNB in Deutschland und Frankreich eine Reihe an Instrumenten zur Verfügung, über die entweder die Stromeinspeisung oder die Entnahme flexibel geregelt werden kann. Dies kann aufgrund von Vorhersagefehlern, Netzproblemen oder Ausfällen in der Stromproduktion notwendig werden und über positive wie negative Re- 31 gelenergie ausgeglichen werden. Auch flexible Verbraucher können diese Regelenergieleistungen in vielen Fällen anbieten. Inwieweit ihre Teilnahme am Regelenergiemarkt tatsächlich auch erlaubt bzw. wirtschaftlich sinnvoll ist, hängt von den nationalen regulatorischen Vorgaben ab. Sofern diese Regelungen gegeben sind, müssen die Anlagen für eine Teilnahme am Regelleistungsmarkt bestimmte technische Voraussetzungen erfüllen (Präqualifikationsan- forderungen). Hierzu gehören etwa Mindestleistung, vorgegebene Zeitintervalle, über die sich der Strombezug der Anlage verändern lässt, Vorankündigungsdauer oder mögliche Schwankungen der Lastenkurve während des Ab- 32 rufs. Abgaben, Entgelte und Sonderregelungen Eine Optimierung der Abgaben und Entgelte durch aktives Lastmanagement stellt – insbesondere in Deutschland – eine weitere Möglichkeit für flexible Verbraucher dar, zusätzliche Einnahmen zu generieren und ihren Verbrauch an die Bedürfnisse des Stromsystems anzupassen. Eine ausführliche Darstellung der gesetzlichen Regelungen dieser Form der Vermarktung wird in Kapitel IV (Frankreich) und Kapitel V (Deutschland) präsentiert. III.6. Die Rolle unabhängiger Last-Aggregatoren Die Umsetzung eines Lastmanagements und dessen Vermarktung kann über unabhängige (Last-)Aggregatoren 33 (opérateur effacement) erfolgen . Ähnlich wie Aggregatoren in der Erzeugung, fassen diese nachfrageseitige Flexibi- lität zusammen und steuern sie gezielt an. Die Europäische Kommission definiert einen Akteur, der derartige Leis- tungen anbietet als „a service provider who operates – directly or indirectly – a set of demand facilities in order to sell 34 pools of electric loads as single units in electricity markets“ . Insbesondere für die Steuerung kleiner Verbräuche ist die Aggregation mehrerer einzelner Verbraucher notwendig. Dabei werden geografisch verteilte Verbraucher zu- sammengefasst und können so gemeinsam eine größere regelbare Leistung bereitstellen als dies einzelnen Verbrau- chern möglich ist. Zusätzlich können sie auch zeitlich zusammengeschaltet und gezielt nacheinander aktiviert wer- den, was zur Erfüllung bestimmter Präqualifikationen der Netzbetreiber notwendig sein kann. Der Last-Betreiber poolt die kleinen Lasten und stellt sie als einzelne steuerbare Ressource zur Verfügung. Der Pool erhöht zudem die allgemeine Zuverlässigkeit und reduziert das Risiko für einzelne Akteure. Die Verträge zwischen Verbrauchern und Aggregatoren sind dabei grundsätzlich vollkommen unabhängig vom Stromversorger, wenngleich der Aggregator gleichzeitig auch als Stromversorger agieren kann (bzw. andersherum). In seiner Rolle als Betreiber flexibler Lasten, mit dem Ziel diese am Strommarkt zu verkaufen, ist der Last- Aggregator ein in Europa neuartiger Akteur. Für die Erschließung insbesondere kleinerer Lasten, kommt ihm in Zukunft jedoch eine besondere Bedeutung zu: Viele Verbraucher sind zu klein, um ihre Potenziale selbstständig zu vermarkten und der Aggregator kann ihnen helfen am Markt teilzunehmen. 31 Eine ausführliche Darstellung des deutschen und französischen Regelenergiemarktes bietet ein DFBEW-Hintergrundpapier (hier). 32 Dena 2016 (hier) 33 Auch Lastmanagement-Betreiber, Last-Betreiber oder DSM-Vermarkter genannt. Unternehmen, deren Geschäftsaktivitäten sich vor allem durch die Steuerung und Vermarktung von Lastmanagement auszeichnen. Stromversorger und -erzeuger können eben- falls als DSM-Vermarkter bezeichnet werden, jedoch liegt der Schwerpunkt ihrer Aktivtäten in anderen Bereichen. Vgl.: Assemblée Nationale (2016): 13 (hier, auf Französisch) 34 Europäische Kommission (2016) „Demand Response status in EU Member States“: 3. (hier, auf Englisch) Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 16
In Frankreich sind unabhängige Last-Aggregatoren bereits als vollwertige Akteure auf allen Märkten des Stromsys- tems aktiv und bieten ihre Leistungen an. Als einziges Land ist hier sowohl der Markt für Systemdienstleistungen, 35 als auch der Stromgroßhandelsmarkt für Lastmanagement und unabhängige Aggregatoren geöffnet. Bereits 2013 wurde die Beziehung zwischen Aggregator und Stromversorger standardisiert und ist im Gesetz n°2013-312 vom 15. 36 April 2013 (loi Brottes) geregelt. So bestehen klare Regeln für den Ausgleich der Bilanzkreise zwischen BKV und Versorger, allerdings begrenzen hohe Annahmen zu den Strombeschaffungskosten (sourcing costs) bislang die Dy- 37 namik des Marktes, so eine Einschätzung der Europäischen Kommission. Mit der Einbeziehung von DSM- Maßnahmen in den französischen Kapazitätsmechanismus, der seit 1. Januar 2017 in Kraft getreten ist, könnten zukünftig jedoch weitere Anreize für abschaltbare Lasten gesetzt werden. In Deutschland ist dies im Strommarktgesetz vorgesehen, bislang gesetzlich jedoch noch nicht im Detail geregelt und daher nur sehr eingeschränkt möglich. Derzeit diskutiert die Energiebranche eine Öffnung der Regelleistungs- erbringung durch Drittpartei-Aggregatoren und damit erstmals umfangreich die regulatorischen Voraussetzungen für die Teilnahme regelbarer Lasten am Strommarkt in Deutschland. Ein entsprechender Branchenleitfaden wurde bis Dezember 2016 von den Verbänden ausgearbeitet und muss nun noch von der BNetzA und dem Bundeswirt- schaftsministerium bestätigt werden, wobei Änderungen möglich sind (Stand April 2017). IV. Einsatz und Vergütung regelbarer Lasten in Frankreich Flexible Lasten werden in Frankreich bereits seit Jahrzehnten nutzbar gemacht und für eine Stabilisierung des Stromsystems eingesetzt, insbesondere über flexible Stromtarife. Im Jahr 2000 waren so insgesamt über 6 GW an flexiblen Kapazitäten in dem französischen Stromsystem integriert. Mit der Liberalisierung des Strommarktes 38 nahmen diese jedoch kontinuierlich ab und reduzierten sich auf etwa 2,8 GW bis 2012. Diese Entwicklung wurde von Entscheidungsträgern erkannt und das Energieministerium versucht, beispielsweise im Rahmen der ersten mehrjährigen Programmplanung für Energie (Programmation Pluriannuelle de l’énergie, PPE), die Rolle flexibler Lasten zu stärken. Seit 2010 (loi NOME) und verstärkt ab 2013 (loi Brottes) erfolgt eine umfassende Reform der Rah- menbedingungen, die eine Beteiligung von DSM in allen Märkten ermöglicht. Vor dem Hintergrund kritischer Stromlastspitzen und der zunehmenden Bedeutung der erneuerbaren Energien, gewinnen flexible Verbraucher an Bedeutung und Frankreich nimmt in Europa eine Vorreiterrolle bei der Integration regelbarer Lasten in den Strommarkt ein. Die PPE beschreibt die regulatorischen Ziele für die weitere Entwicklung regelbarer Lasten in Frankreich bis 2023. Demnach soll zum einen sichergestellt werden, dass die in Kapitel II.1.2. beschriebenen Lastspitzen abgeflacht und 39 zum anderen, dass die Versorgungssicherheit in Frankreich weiter zu jedem Zeitpunkt aufrecht erhalten werden kann. Statt in neue Spitzenlastkapazitäten zu investieren, gibt das Ministerium hierfür das Ziel vor, Lastredukti- onsmaßnahmen (effacement) zu stärken. So soll das Laststeuerungsvolumen von derzeit 3 GW bis 2018 auf 5 GW 40 ausgeweitet, und dann 2023 im Vergleich zu 2015 auf 6 GW verdoppelt werden. 35 Assemblée Nationale (2016): 16 (hier, auf Französisch) 36 Ausführlich hierzu: Assemblée Nationale 2016: 17ff. (hier, auf Französisch) 37 Europäische Kommission 2016: 44 (hier, auf Englisch) 38 RTE 2014 (hier, auf Englisch) 39 Die Versorgungssicherheit in Frankreich wird gesetzlich definiert als durchschnittliche maximale Unterbrechung der Stromversor- gung von drei Stunden jährlich. Sobald dieser Durchschnitt überschritten wird, gilt die Versorgungssicherheit als nicht mehr gege- ben. Vgl. Zusammenfassung der DFBEW-Konferenz zur Stromversorgungssicherheit in Deutschland und Frankreich (hier) 40 Memo des DFBEW zur PPE (hier) Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 17
Ausgleich Systemdienstleistungen Markt Versorger Direkte Vergütung als Indirekte Vergütung zertifizierte Kapazität über Reduzierung der Kapazität Kapazitätsaus- Verpflichtung für Versor- schreibungen organisiert ger €/MW durch RTE Kapazitätsmechanismus Öffnung für die Teil- nahme von Verbrauch Direkte Vergütung über Optimierung der Portfo- den Strommarkt lios von Versorgern Energie Ausgleichsmechanismus geöffnet für alle Arten €/MWh der Lastabschaltung Systemdienst- leistungspilot NEBEF Abbildung 9 - Übersicht über den möglichen Einsatz flexibler Lasten in Frankreich Quelle: RTE (hier), Darstellung: DFBEW IV.1. Tarifäre Anreize für DSM in Frankreich In Frankreich gibt es sowohl fixe Stromtarife sowie Tarife mit einer flexiblen Komponente, welche für kleine Ver- 41 braucher teilweise noch staatlich reguliert sind . Letztere geben den Verbrauchern einen Anreiz, ihrem Strombezug an die Bedürfnisse des Systems anzupassen. Bereits 1965 wurden tarifäre Anreize für flexible Verbraucher eingerich- tet, die ihren Strombezug in Niedriglastzeiten verschieben können und dafür mit einem dann geringeren Strompreis belohnt werden. Die Ausgestaltung dieser Tarife wurde in den vergangenen Jahren teilweise angepasst, insbesonde- re aufgrund des Wegfalls der regulierten Strompreise für große Verbraucher seit 2016. Abweichend vom klassischen Basistarif, sind für flexible Stromverbraucher folgende Tarifoptionen relevant, die auf nationaler Ebene beispiels- weise von EDF, Engie oder Direct Energie und ansonsten von lokalen Anbietern (ähnlich der deutschen Stadtwerke) 42 wie etwa Électricité de Strasbourg oder Gaz Électricité de Grenoble (GEG) angeboten werden. Heures Pleines/Heures Creuses (HPHC) Der Tarif HPHC beinhaltet zwei Tarife, die zu jeweils vorher festgelegten Zeiträumen im Tagesverlauf gül- tig sind und deren Höhe zwischen den Versorgern variiert. Die genauen Zeiträume, in denen der günstigere Tarif (heures creuses) gilt, bestimmt der französische Verteilnetzbetreiber Enedis (ehemals ERDF). Sie schwanken selbst zwischen den Gemeinden einer Region. Grundsätzlich zahlt ein Verbraucher mit HPHC- Option für seinen Strom in den Hauptzeiten (heures pleines) mehr als im Basistarif und hat auch einen hö- heren Grundbetrag zu entrichten. In den Nebenzeiten (heures creuses), insgesamt acht Stunden pro Tag, ist der Strompreis dann jedoch erheblich günstiger. 45 % der Haushalte in Frankreich nutzen diesen Tarif, ins- besondere jene mit einem eher hohen Stromverbrauch, der teilweise zeitlich verschoben werden kann (bspw. Warmwasseraufbereitung, Wärmespeicherheizung). 41 Verbraucher mit einem Anschluss bis 36 kVA können weiterhin den staatlich regulierten Stromtarif (tarif bleu) wählen oder sich für ein Angebot zu freien Marktpreisen entscheiden (tarifs de marché). 42 CRE 2016: 43 (hier, auf Französisch) Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 18
Tempo 43 Im Tarif „Tempo“ existieren ausschließlich für private Verbraucher über 9 kVA insgesamt sechs verschie- dene Strompreisniveaus: Drei unterschiedliche Preisstufen (rot, blau, weiß), die sich an der erwarteten Stromnachfrage am jeweils nächsten Tag orientieren, sowie jeweils einem Spitzenlasttarif (tarif heures pleines, 6-22h) und einem Niedriglasttarif (tarif heures creuses, 22-6h): o Ein deutlich erhöhter Preis bei Verbrauchsspitzen (rot) setzt einen starken Anreiz den Verbrauch zu diesen Zeitpunkten zu reduzieren. Die Tage, an denen dieser Tarif gültig ist, werden zwischen No- vember und März jeweils am Vortag bekannt gegeben und können nicht auf Wochenenden und Fei- ertage fallen. Zudem wird der Tarif nur 22 Mal im Jahr aktiviert. o An weiteren 43 Tagen ist der Strompreis etwas höher als im Basistarif. Der Zeitraum für die Aktivie- rung dieses Tarifs (weiß) liegt zwischen Oktober und Mai. o Des weiteren besteht ein niedriger Tarif (blau) für die verbleibenden 300 Tage im Jahr, wobei aus- nahmslos alle Sonntag hierunter fallen. Die Grundgebühr im Tarif Tempo entspricht etwa jener im HPHC-Tarif. Der Preis der abgerufenen KWh unterscheidet sich jedoch, wie oben dargestellt, teilweise deutlich. Da der Strompreis an roten Tagen fast vier Mal so hoch ist wie im HPHC-Tarif, ist diese Option nur für jene Kunden interessant, die an Spitzen- 44 lasttagen ihren Verbrauch dauerhaft deutlich reduzieren können . Der Versorger informiert die Kunden über verschiedene Kommunikationskanäle darüber, in welchem Tarif sie sich am jeweils nächsten Tag be- finden. EJP (Effacement des Jours de Pointe) Bei diesem Tarif zahlt der Verbraucher an 343 Tagen im Jahr einen geringeren Strompreis, hat im Gegenzug an den verbleibenden 22 Tagen jedoch einen höheren Tarif. Diese 22 Tage verteilen sich auf den Zeitraum mit dem höchsten Verbrauch in Frankreich vom 1. November bis 31. März. Sie sind von Region zu Region (insgesamt 4 Regionen) unterschiedlich. Der Tarif EJP wird mittlerweile nicht mehr angeboten. Im Zuge der Digitalisierung der Energiewende könnten intelligente Strominfrastrukturen neue Anreize für flexible- re Stromtarife schaffen. Intelligente Stromzähler sind hierfür ein wichtiger Baustein und bis 2021 soll der Roll-out dieser Geräte (Linky) bei allen Verbrauchern in Frankreich abgeschlossen sein. Der zusätzliche Informationsgewinn über das Verbrauchsverhalten der Konsumenten dürfte weitere Anreize für alle Stromversorger schaffen, passende Angebote zu entwickeln, die auch für die privaten Haushalte von Interesse sind. IV.2. Vermarktung regelbarer Lasten über den Strommarkt Nach einer einjährigen Testphase ist es für DSM-Vermarkter in Frankreich seit 2014 möglich, über den NEBEF- 45 Mechanismus (Notification d’Échange de Blocs d’Effacement), Stromeinsparungen aufgrund von Lastverzichtmaß- nahmen direkt an der Strombörse zu vermarkten. Hierfür ist nur die vorherige Einwilligung des Verbrauchers not- 46 wendig, nicht jedoch die des Stromversorgers der Anlage. RTE korrigiert automatisch die Bilanzkreise der Akteure. Die Einheiten werden halbstündlich gehandelt und müssen eine Mindestgröße von 100 kW haben, es ist jedoch mög- 47 lich hierfür mehrere Anlagen zusammenzuschalten. RTE überprüft, dass alle notwendigen technischen Vorausset- zungen gegeben sind und kontrolliert die Berechnung der verschobenen Lastvolumina sowie deren Zertifizierung. 43 Vgl. EDF (hier, auf Französisch) 44 Dies trifft auf Haushalte mit elektrischer Heizung beispielsweise nicht zu. 45 Die Regeln des NEBEF finden sich auf der Internetseite von RTE (hier, auf Französisch) und wurden zuletzt 2016 überarbeitet (NEBEF 2.1) 46 Vgl. hier RTE 47 Vgl. hier Enedis Regelbare Lasten in Deutschland und Frankreich 19
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