Religionszugehörigkeit in Wiesbaden

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Textarchiv TA-2006-17

                          Religionszugehörigkeit in Wiesbaden

                                              von Isabell Falk

1.   Vorbemerkung

Im September 2005 hat Papst Benedikt XVI Deutschland besucht Dabei hat er im Rahmen von
diversen Open Air Gottesdiensten vor jeweils 250.000 Menschen gepredigt. Gegenüber diesem
Zuspruch steht ein ganz anderer Befund. Die Mitgliederzahlen der beiden großen christlichen
Volkskirchen gehen seit Jahren zurück. Mittlerweile existiert in vielen Städten eine Vielzahl von
unterschiedlichen Religionen und religiösen Gruppen, wobei die größte nicht-christliche Religion
der Islam ist. Der vorliegende Bericht wird mit den Möglichkeiten der kommunalen Statistik dem
Merkmal „Religionszugehörigkeit" nachgehen1: Es werden die Entwicklung und die Struktur der
Kirchenmitglieder über einen Zeitraum von 1970 bis 2005 untersucht. Als wichtigste Datenquelle
wird neben der Volkszählung der Statistikabzug des kommunalen Einwohnermelderegisters ge-
nutzt. Dort sind mit einem Eintrag zur Religionszugehörigkeit jedoch lediglich die Einwohner regist-
riert, die einer Religionsgemeinschaft angehören, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts
anerkannt ist und für die Kirchensteuer zu entrichten ist. Dies trifft auf die Mitglieder der evangeli-
schen Landeskirche und der römisch-katholischen Kirche zu. Um auch zu anderen religiösen Ge-
meinschaften Aussagen machen zu können, wird darüber hinaus eine Schätzung der Zahl der
Muslime und der Anzahl der orthodoxen Christen in Wiesbaden vorgelegt.

„Wurde Religion noch vor drei Jahrzehnten als überholt, vormodern und auf dem unweigerlichen
Niedergang dargestellt, so ist das Pendel der Wahrnehmung und Kategorisierung von Religion in
den vergangenen Jahren in die Gegenrichtung ausgeschlagen: Religion ist omnipräsent, in beinah
Allem verwickelt und mit dem paradigmatischen Feindbild „der Islam" unter Verdacht geraten.“2 Die
neueste Entwicklung in diese Richtung ist die Aufnahme des Merkmals Religionszugehörigkeit in
die geplante Anti-Terror-Datei.

2. Mitgliederentwicklung seit 1970
2.1 Mitgliederentwicklung der christlichen Konfessionen

In der zeitlichen Entwicklung der vergangenen 35 Jahre sieht man auch in Wiesbaden deutlich die
Veränderung des religiösen Lebens.

Waren 1970 noch fast 90 % der Wiesbadener Mitglied der evangelischen Landeskirche oder der
römisch-katholischen Kirche, liegt dieser Anteil 2005 bei 55 %3 (siehe Bild 1). Der Rückgang der

1 Erhebungen und Bestandsaufnahmen der Religionsvielfalt einer Stadt sind derzeit en vogue. Frankfurt. Berlin.
  Marburg. Essen oder auch Bremen haben solche Untersuchungen vorgelegt Hier werden dezidiert die Entste-
  hungsgeschichte. Organisationsstruktur, soziale Angebote und Aktivitäten sowie Adressen und Ansprechpartner
  jeder religiösen Gemeinschaft genannt. Dies ist nicht das Anliegen des vorliegenden Berichtes.
2 Martin Baumann: Kirchen, Moscheen, Synagogen - eine Stadt verträgt viele Religionen. Wiesbaden, 2004.
3 Es ist wichtig festzuhalten, dass es sich hier lediglich um Menschen mit formaler Mitgliedschaft in den beiden
  großen christlichen Konfessionen handelt, nicht aber um solche, die sich - auch ohne „eingeschriebene“ Christen
  zu sein - kraft ihrer christlichen Grundeinstellung dem Christentum verbunden fühlen und sich dazu bekennen. Kir-
  chenmitgliedschaft sagt also nur beding! etwas über den Grad der .Religiosität" der Wiesbadener Bevölkerung aus.

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Mitgliederzahlen hat besonders die evangelische Landeskirche getroffen: Sie hat im Jahr 2005
knapp 60.000 (- 42 %) Mitglieder weniger als 1970, aber auch die katholische Kirche musste einen
Mitgliederschwund von 23.000 oder - 26 % hinnehmen.

Mehr als vervierfacht hat sich in den vergangenen 35 Jahren demgegenüber die Zahl der Perso-
nen, die zu keiner der beiden großen Religionsgemeinschaften gehören So ist im Jahr 2005 dieser
Personenkreis inzwischen mit 45 % deutlich größer als der Kreis der Personen, die der evangeli-
schen Landeskirche (30 %) oder der römisch-katholischen Kirche angehören (25 %). Im Jahr 1990
überstieg die Zahl der Wiesbadener ohne Mitgliedschaft in den beiden großen christlichen Konfes-
sionen erstmals die der Katholiken, im Jahr 1995 auch die Anzahl der Protestanten (siehe Bild 2).

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Der Rückgang der Zahl der Kirchenmitglieder ist natürlich nicht nur auf „Glaubensfragen" zurückzu-
führen, sondern hat auch demografische Ursachen. Im nächsten Kapitel werden die verschiedenen
Einflussfaktoren der Mitgliedschaft in den beiden großen christlichen Glaubensgemeinschaften
quantifiziert

2.1.1 Komponenten der Mitgliederentwicklung

Die Veränderungen in der Zusammensetzung der Bevölkerung nach Religionszugehörigkeit sind
das Ergebnis des Zusammenspiels dreier Komponenten4:

„Natürliche Komponente" (Taufen und Sterbefälle)
„Räumliche Komponente" (Zuzüge und Wegzüge)
„Verhaltensbezogene Komponente" (Eintritte und Austritte)

Im Folgenden werden die drei Komponentenpaare der Mitgliederentwicklung getrennt für die evan-
gelische und katholische Kirche quantifiziert5
Die evangelische Kirche hat zwischen dem 01.01.2000 und dem 31.12.2005 7.700 Mitglieder ver-
loren. Dabei war der Saldo der „natürlichen Komponente“ mit 5.200 mehr Sterbefällen als Taufen6
der quantitativ bedeutsamste Einflussfaktor Der Mitgliederschwund durch Sterbefälle (8.463) lässt
sich in keinster Weise durch Taufen wettmachen (3.289, siehe Tabelle 1).

4 s. Landeshauptstadt Stuttgart (Hrsg.): Statistik und Informationsmanagement, Monatsheft 7,70 06
5 Belastbare Angaben liegen erst sei dem Jahr 2000 vor.
6 Definiert als Kircheneintritte von unter 3-jährigen.

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Aber auch die „Verhaltenskomponente" spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. In den vergan-
genen sechs Jahren sind 3.200 Wiesbadener mehr aus der evangelischen Kirche aus- als eingetre-
ten. Der einzige Mitgliederzuwachs ist den Zuziehenden zu verdanken. Hier sind knapp 700 mehr
Mitglieder der evangelischen Kirche nach Wiesbaden zugezogen als die Landeshauptstadt verlas-
sen haben.

Die katholische Kirche hat in dem betrachteten Zeitraum zwar auch knapp 2.500 Mitglieder verloren
aber deutlich weniger als die evangelische Landeskirche. Zu verdanken hat sie dies in erster Linie
einem Wanderungsgewinn von 3.000 Katholiken, ganz überwiegend aus dem vom Katholizismus
geprägten Polen. Demgegenüber trägt sowohl die „Verhaltenskomponente“ (2.750 mehr Aus- als
Eintritte) als auch die „natürliche Komponente" mit 2.730 mehr Sterbefällen als Taufen in etwa
gleichem Maße zum Mitgliederrückgang der katholischen Kirche in den vergangenen Jahren bei.

2.2 Mitgliederentwicklung der nicht-christlichen Religionsgemeinschaften

Lediglich im Rahmen der Volkszählungen (die letzte gab es im Jahr 1987) wurde die Religionszu-
gehörigkeit relativ detailliert erfasst. 1970 wurden 300 Wiesbadener mit jüdischem Glauben gezählt,
heute hat die jüdische Gemeinde nach eigenen Angaben in Wiesbaden knapp 700 Mitglieder. Bei
der Volkszählung 1987 wurde erstmals die Zahl der Angehörigen einer „islamischen Religionsge-
meinschaft" erfasst - 9.795 Muslime lebten Ende der 80er Jahre in Wiesbaden, das entspricht ei-
nem Anteil von 4 %. Heute können wir von geschätzten 26.000 Muslimen ausgehen, einem Anteil
von gut 9 %.

3.   Religionszugehörigkeit in Wiesbaden 2005

Neben der evangelischen Landeskirche mit 32.700 Mitgliedern und der römisch-katholischen Kir-
che mit 67.200 Mitgliedern ist der Islam mit geschätzten 26.000 Mitgliedern die drittgrößte religiöse
Kraft in Wiesbaden. Weitere geschätzte 10.700 Wiesbadener mit Migrationshintergrund gehören
orthodox-christlichen Glaubengemeinschaften an (z. ß. russisch-orthodox oder griechisch-
orthodox). Zwar dominieren immer noch die beiden großen christlichen Konfessionen mit einem
Bevölkerungsanteil von zusammen 55 %, aber daneben hat sich in der Stadt eine religiöse Vielfalt
wie nie zuvor entwickelt.

Leider ist es nicht möglich, brauchbare vergleichbare statistische Angaben zu den religiösen Ge-
meinschaften zu erhalten. Im Telefonbuch, teilweise auch im Internet, sind knapp 30 Einträge zu
„religiösen Gemeinschaften“ zu verzeichnen: Von der Alt-Katholischen Kirche über die Apostolische
und Neuapostolische Gemeinde, Baptisten, diverse Freie Christengemeinden, Mormonen, Metho-
disten, Anglikaner bis hin zur Jüdischen Gemeinde. Das Wirkungsfeld dieser Gemeinden geht in
der Regel über das Stadtgebiet hinaus, so dass im höchsten Fall die Zahl der Gemeindemitglieder
bekannt ist es sich hierbei aber keinesfalls um Wiesbadener handeln muss. Darüber hinaus ist es
höchst unterschiedlich, was als Gemeindemitglied gezählt wird: mal die Zahl der Aktiven, mal die
Zahl der „Spender", mal die Zahl der Gottesdienstbesucher, mal Einzelpersonen, mal die Zahl der
Familien. Zuverlässige und vergleichbare Angaben sind vor diesem Hintergrund nicht zu recher-
chieren.

So können im Folgenden lediglich Informationen über die Mitglieder der christlichen Religionsge-
meinschaften aufbereitet sowie eine Schätzung zur Zahl der Muslime und zur Zahl der orthodoxen
Christen in Wiesbaden vorgelegt werden. Die folgenden Informationen sind dem Einwohnerregister
entnommen und beziehen sich auf Mitglieder der beiden großen christlichen Konfessionen sowie
der großen „Restgruppe“ derjenigen, die keiner oder einer anderen Religionsgemeinschaft angehö-
ren.

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3.1   Formale Kirchenmitgliedschaft und Geschlecht

Von den Frauen in Wiesbaden gehören knapp 60 % entweder der evangelischen (33 %) oder der
römisch-katholischen Kirche (26 %) an. Dieser Anteil ist bei den Männern mit gut 50 % deutlich
geringer. Männer sind zu 27 % evangelisch und zu 23 % katholisch (siehe Tabelle 2). Geschlechts-
spezifische Unterschiede sind bei den Protestanten etwas ausgeprägter, ein Grund könnte in der
Zuwanderung von ehemaligen Gastarbeitern aus römisch-katholischen Ländern sein, bei deren der
Männeranteil etwas überwiegt.

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3.2   Religionszugehörigkeit der Wiesbadener Migranten

In Wiesbaden hat fast jeder dritte Einwohner einen Migrationshintergrund (31 %). diese Gruppe
prägt natürlich auch das religiöse Leben in unserer Stadt.

Nahezu 70 % der Migranten gehören keiner der beiden großen christlichen Konfessionen an (siehe
Bild 3). Aber immerhin: 23 %, also fast jeder vierte Zugewanderte, ist Mitglied der römisch-
katholischen Kirche. Weitere 9 % aller Migrantinnen und Migranten gehören der evangelischen
Landeskirche an. Für einzelne „Migrationstypen" lassen sich interessante Unterschiede feststellen.
So ist z. B. ein höherer Anteil Ausländer/innen der ersten Generation römisch-katholischen Glau-
bens (die Anwerbeländer Italien, Spanien und Portugal sind katholisch geprägt), während gut 40 %
der Aussiedler der evangelischen Kirche angehören (siehe Tabelle 3).

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Im Folgenden werden die Mitglieder der römisch-katholischen Kirche betrachtet, die aus dem Aus-
land stammen. Unter der Katholischen Bevölkerung in Wiesbaden sind 28 % Migranten. Bei dieser
Gruppe stellen die zugewanderten Italiener mit 3.700 Menschen das größte Kontingent, gefolgt von
den Polen (3.500). Darüber hinaus leben jeweils 1.450 katholische Kirchenmitglieder mit russischer
Herkunft in der Landeshauptstadt (siehe Bild 4). Aus dem katholisch geprägten Kroatien und Portu-
gal leben weitere je 1.200 Menschen hier. Italiener, Kroaten, Spanier sowie die Portugiesen haben
in Wiesbaden eigene katholische Kirchengemeinden.

4. Altersstruktur der Kirchenmitglieder

4.1   Altersstruktur im Jahr 2005
Ältere Wiesbadener sind noch deutlich stärker christlich konfessionell gebunden als Jüngere. Bei
den über 65-Jährigen sind 45 % Mitglied in der evangelischen und 30 % in der katholischen Kirche,
„nur" jeder Vierte gehört einer anderen oder gar keiner Religionsgemeinschaft an (siehe Bild 5)

Ein anderes Bild zeigt sich bei Kindern und Jugendlichen Hier sind schon 55 % kein formelles Mit-
glied der beiden großen Konfessionen, ein Viertel sind evangelisch und 20 % katholisch (siehe
Tabelle 4). Dies hängt sicherlich auch mit einem deutlich höheren Migrantenanteil bei jüngeren
Wiesbadenern zusammen, der es wahrscheinlich macht, von einer stärkeren nicht-christlichen
Glaubensorientierung auszugehen. Ein weiterer Grund liegt darin, dass die Taufe gar nicht mehr
oder erst im Erwachsenenalter vorgenommen wird.

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4.2 Entwicklung der Altersstruktur der Kirchenmitglieder seit 1970

Die Altersstruktur der Kirchenmitglieder verändert sich drastisch. Die Anzahl der Kinder und Ju-
gendlichen in der evangelischen Kirche ist von 32.000 im Jahr 1970 auf 12.000 im Jahr 2005 ge-
sunken, dies entspricht einem Rückgang um 62 %. Nicht besser ist es der römisch-katholischen
Kirche ergangen, auch hier hat sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen von 20.000 auf 9.000
mehr als halbiert (- 57 %). In den Altersgruppen der 18- bis 64-Jährigen (siehe Bild 6) hat die evan-
gelische Kirche deutlich stärkere Mitgliederverluste (im Schnitt um die - 45 %) zu verzeichnen als
die katholische Kirche (- 25 %).

Die Anzahl der Senioren hat sich in der evangelischen Kirche nicht verändert, wohl aber deren
Anteil, der 2005 bei 45 % liegt, 1970 lediglich bei 16 % - hier kann man eindeutig von einer „Überal-

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terung" sprechen. Interessanterweise ist die Zahl der älteren Katholiken um 3.000 oder 22 % ge-
stiegen. Diese Entwicklung ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass in der Vergangenheit im
traditionell „protestantischen“ Wiesbaden die Zahl der Katholiken deutlich unterrepräsentiert war
und die nach dem Krieg nach Wiesbaden zugezogene römisch-katholische Population - auch die
„Gastarbeiter" der ersten Generation - nun in das Alter der Senioren hineingewachsen ist.

Dies führt dazu, dass in Wiesbaden jeder dritte Katholik im Seniorenalter ist - die Alterungstendenz
der Mitglieder zwar auch spürbar ist, aber längst nicht so deutlich, wie bei der protestantischen
Bevölkerung. Das Durchschnittschnittsalter (s. Bild 7) hat sich in beiden Konfessionen jeweils um
sechs Jahre erhöht; Protestanten sind - im Durchschnitt - noch einmal zwei Jahre älter als die
Wiesbadener katholischen Glaubens.

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Auch die Alterspyramide (siehe Bild 8) zeigt deutlich die beschriebenen altersstrukturellen Verände-
rungen zwischen den Jahren 1970 und 2005.

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Exkurs

Schätzverfahren zur Zahl der Muslime und der christlich Orthodoxen in Wiesbaden

Die Zahl der in Deutschland oder auch in Wiesbaden lebenden Einwohner muslimischen Glaubens
ist nicht exakt zu benennen. Das liegt daran, dass bei den deutschen Meldebehörden, die sich
primär am Bedarf der Verwaltung orientieren, lediglich die Art der Religionszugehörigkeit erfasst
wird, die der Kirchensteuerpflicht unterliegt. Muslime gehören nicht in diese Kategorie. Auch im
Ausländerzentralregister wird die Religionszugehörigkeit nicht erhoben.

Der Islam bildet keine geschlossene und einheitliche Glaubensgemeinschaft, er ist vielmehr in eine
Vielzahl von Glaubensrichtungen aufgespalten. Es gibt weltlich und streng gläubig orientierte Grup-
pierungen ebenso wie solche, die sich über die Herkunftsländer definieren. Die bedeutendsten sind
die Sunniten und die Schiiten. Beheimatet sind sie vor allem im nahen und mittleren Osten, auf der
arabischen Halbinsel sowie im nördlichen Afrika.

Bundesweit ist in verschiedenen Publikationen die Rede von ca. 3 bis 3,2 Mio. Muslimen, dies
entspricht einem Anteil von 3,5 bis 4 %7. Diese Schätzungen beruhen in der Regel auf der Zahl der
aus islamischen Ländern stammenden Ausländer, in manchen Fällen zuzüglich der Zahl der Ein-
bürgerungen von Personen aus eben diesen Ländern.

Die Datengrundlage ist in Wiesbaden insofern gut, da nicht nur die Ausländer nach ihrer Nationali-
tät statistisch erfasst, sondern darüber hinaus alle Personen mit Migrationshintergrund ihrer kultu-
rellen Herkunft zugeordnet werden können, also unabhängig von der Staatsangehörigkeit (deutsch
oder ausländisch). So sind alle Personen mit Migrationshintergrund die empirische Basis, um die
Zahl derjenigen mit muslimischem Glauben8 zu bestimmen. Diese Zahl wird in einem zweiten
Schritt mit dem Anteil der Muslime im jeweiligen Herkunftsland gewichtet Dabei wird davon ausge-
gangen, dass die Wiesbadener Migranten die gleiche Zusammensetzung nach der Religionszuge-
hörigkeit wie im Herkunftsland aufweisen.

Somit ergibt sich ein zweistufiges Schätzverfahren:
- Ermittlung der Herkunftsstaaten der Wiesbadener Bevölkerung mit Migrationshintergrund Berück-
  sichtigt werden nur solche Länder, in denen eine deutliche muslimische Bevölkerungsmehrheit (>
  70 %) lebt.
- Gewichtung der Zahl der Migranten nach dem Anteil der Muslime im Herkunftsland. Datengrund-
  lage hierfür ist das Harenberg - Lexikon 20079.

Gerade der zweite Schritt ist, zumindest bei einigen Herkunftsstaaten, als problematisch anzuse-
hen, und zwar immer dann, wenn die Zuwanderung nach Deutschland überwiegend religiös moti-
viert war. Beispielhaft zu nennen sind hier die Herkunftsländer Syrien und Bosnien-Herzegowina.
Aus Syrien sind überproportional viele syrisch-orthodoxe Christen nach Westeuropa zugewandert,
so dass hier die syrischstämmige Bevölkerung einen geringeren Moslemanteil haben dürfte als im
Herkunftsland. Aus Bosnien-Herzegowina sind während des Bürgerkrieges zu Beginn der 90er-
Jahre überwiegend Muslime geflüchtet, so dass ihr Anteil in Wiesbaden höher liegen dürfte als in
Bosnien-Herzegowina selbst10. Trotz dieser „statistischen Ausreißer“ wurde die Gewichtung nicht

7 Das Harenberg - Jahrbuch 2007 weist für Deutschland einen Muslimenanteil von 3,1 % aus.
8 Gemeint ist hier die Zugehörigkeit zum muslimisch geprägten Kulturkreis. Damit können natürlich, wie bei den Kir-
  chenmitgliedern auch, keine Aussagen zur Intensität des Glaubens gemacht werden.
9 Harenberg Aktuell 2007. Das Jahrbuch Mannheim 2006.
10 Aus diesem Grund ist Bosnien-Herzegowina in die Liste der Herkunftsländer mit aufgenommen worden, auch wenn
  Muslima dort nicht die Mehrheit stellen.

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geändert (die Frage wäre auch wie?), sondern die Ungenauigkeiten in Kauf genommen, die sich in
den beiden genannten Fallen sicherlich teilweise ausgleichen dürften11.

Mit Hilfe des Schätzverfahrens wird eine Größe von 26.400 Muslimen in Wiesbaden erzielt, von
denen ein Drittel einen deutschen Pass hat. Dies entspricht einem Anteil an der Wiesbadener Be-
völkerung von 9,6 %12.

Die mit ca. 15.000 Mitgliedern größte Muslimengruppe ist türkischer Herkunft (siehe Bild 9), von
ihnen haben mittlerweile 24 % die deutsche Staatsangehörigkeit. Marokkanischen Ursprungs sind
weitere 3.500 Muslime in Wiesbaden, hier sind sogar fast die Hälfte Deutsche. Aus Iran, Afghanis-
tan und Syrien stammen jeweils zwischen 1.000 und 2.000 Muslime. Auf diese fünf Herkunftsländer
entfallen bereits 88 % der Wiesbadener muslimischen Glaubens. In Wiesbaden gibt es zehn Mo-
scheevereine, die in der Regel die Gläubigen einer nationalen Gruppe ansprechen

Analog zum Schätzmodus für die Muslime wurde auch die Zahl der orthodoxen Christen bemes-
sen, die ja auch (fast) alle einen Migrationshintergrund haben dürften. Herkunftsländer mit ortho-
dox-christlichem Schwerpunkt sind Serbien-Montenegro. Griechenland, Rumänien, Bulgarien,
Mazedonien sowie Russland und die Ukraine. Gewichtet wird die Zahl der Migranten aus diesen
Ländern mit dem Anteil der christlich Orthodoxen im Herkunftsland. Nach diesem Verfahren lässt
sich eine Größenordnung von 10.700 potentiellen Mitgliedern z. B. einer russisch-orthodoxen oder
griechisch-orthodoxen Gemeinde benennen.

11 Bei unserem Schätzverfahren fehlen zudem die deutschen Muslime ohne Migraitarionshintergrund, die zum Islam
  konvertiert sind. Ihre Zahl wird laut Aussagen des Islamarchivs in Soest immer größer Die Zahl der Konvertiten
  schätzt man bundesweit zwischen 13.000 bis 60.000. Jährlich treten ca. 800 Nichtmuslime zum Islam über.
12 Die Größenordnung scheint plausibel. Mit eigenen Schätzverfahren kommen die Städte Frankfurt (12 %) und Stuttgart
  (8 %) auf ähnliche Größenordnungen.

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Zusammenfassung

    •    Mittlerweile zeigt sich in deutschen Großstädten eine Pluralität von unterschiedlichen Re-
         ligionen und religiösen Gruppen, die statistisch kaum gefasst werden kann. Auch wird die
         Zahl derer, die keiner Glaubensgemeinschaft angehören, immer größer

    •    In Wiesbaden ist der Bevölkerungsanteil der beiden großen christlichen Volkskirchen seit
         1970 von 90 % auf 55 % gesunken.

    •    2005 gibt es in Wiesbaden 83 000 Mitglieder der evangelischen Landeskirche sowie 67
         000 Katholiken.

    •    Frauen sind eher christlich konfessionell gebunden als Männer.

    •    Fast 70 % der Migranten gehören keiner kirchensteuerpflichtigen Religionsgemeinschaft
         an, 23 % sind römisch-katholisch, weitere 9 % Protestanten.

    •    Senioren sind zu 75 % Mitglieder der evangelischen und der katholischen Kirche, unter
         18-Jährige nur noch zu 45%.

    •    Die Zahl der Kinder und Jugendlichen in den beiden großen christlichen Kirchen ist seit
         1970 um ca. 60 % gesunken.

    •    Das Durchschnittsalter der Protestanten (2005: 45 Jahre) und der Katholiken (2005: 43
         Jahre) hat sich in den vergangenen 35 Jahren um 6 Jahre erhöht

    •    Die Zahl der Muslime ist geschätzt worden In der Landeshauptstadt leben ca. 26 400
         Muslime; fast jeder zehnte Wiesbadener kommt aus einem Land mit deutlicher muslimi-
         scher Bevölkerungsmehrheit. Die größte Muslimengruppe (15 000) ist türkischer Her-
         kunft.

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Zuerst veröffentlicht in: Wiesbaden, Amt für Statistik und Stadtforschung: „Statistische Berichte 2 /
2006 - Religionszugehörigkeit in Wiesbaden“ (Statistische Informationen 3. Quartal 2006), S. 1-20.

Nicht berücksichtigt wurde das spezielle Kapitel 5 „Kirchenmitglieder in den Stadtteilen“.

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