Rückfälligkeit nach Entlassung aus Jugendstrafe
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Nr. 16, März 2022 Kurzberichte zur Evaluation des Jugendstrafvollzugs in der JSA Regis-Breitingen Rückfälligkeit nach Entlassung aus Jugendstrafe Rückfallraten von aus dem Jugendstrafvollzug Ent- • Leistungsziele werden erreicht, wenn das Gelern- lassenen werden sowohl in der Fachliteratur als auch im te zu einem hilfreicheren Verhalten in bestimmten gesellschaftlichen Diskurs häufig als Maße für den Er- Situationen führt, z. B. zu weniger Konflikteskala- folg des Jugendstrafvollzugs herangezogen. Dabei lässt tion oder stärkerer Bindung in Freundschaften. sich aus der allgemeinen Rückfallrate (aller Entlasse- • Wirkungsziele sind entferntere Ziele, die mittel- nen) kaum schließen, ob sie nun hoch oder niedrig ist bar durch Erreichung von Maßnahme- und Leis- oder ob sie für einen Misserfolg oder Erfolg des Jugend- tungszielen erreicht werden können, beispielsweise strafvollzugs spricht: Ist beispielsweise eine Rückfallrate die Legalbewährung. von 70 % hoch, weil ein recht hoher Prozentsatz trotz Haft wieder straffällig wird, oder bedeutet sie einen Die Rückfälligkeit von Entlassenen allein sagt also nur Erfolg, weil ohne Jugendstrafvollzug ein noch höherer etwas über die Erreichung eines Wirkungsziels, nicht Anteil der Straftäter erneut Straftaten begangen hätte? aber über (Miss-)Erfolge einzelner Interventionen im Die Rückfallrate allein gibt auch keine Auskunft dar- Sinne von Maßnahme- oder Leistungszielen aus. über, wie viele Straftaten die Einzelnen begehen, wie In dieser Ausgabe werden Rückfallraten, Häufigkeit, schnell nach der Entlassung diese geschehen oder ob Schnelle und Schwere von Rückfällen sowie Zusammen- sich die Schwere der Delikte geändert haben. Wäre es hänge solcher Maße mit Merkmalen der entlassenen nicht schon ein Erfolg, wenn Straftaten seltener und Jugendstrafgefangenen (JSG) berichtet. Die Ergebnisse mit weniger Schäden erfolgten? Informativer sind Rück- sollen beschreiben, wie es um die Legalbewährung nach fallraten im Vergleich: Unterscheiden sich beispielsweise einer Jugendstrafe steht. Aus den hier vorgestellten Da- Rückfallraten von Entlassenen mit verschiedenen Ent- ten lässt sich hingegen nicht unmittelbar folgern, wie lassungsarten oder von Entlassenen mit versus ohne effektiv Maßnahmen des Jugendstrafvollzugs sind. Suchtmittelproblematik? In Ausgabe 14 dieser Reihe werden Zusammenhänge Der Einfluss von Maßnahmen des Jugendstrafvoll- des Rückfalls mit sozialen Beziehungen diskutiert. zugs auf Rückfallraten ist begrenzt. Das liegt unter Gemessen wurde Rückfälligkeit anhand von Eintra- anderem daran, dass Erfahrungen im Jugendstrafvoll- gungen im Bundeszentralregister (BZR). Auszügen aus zug nur ein Faktor von vielen, die erneute Kriminalität diesem liegen für die Entlassungsjahrgänge 2013 bis begünstigen oder davor schützen, ist, daran, dass kon- 2018 vor. Für die Jahrgänge 2017 und 2018 ist der krete Maßnahmen nicht direkt „die Rückfälligkeit“ re- Zeitraum zwischen Entlassung und Abfrage der BZR- duzieren (können), sondern, soweit überhaupt möglich, Auszüge (letzte bisherige Abfrage Ende 2020) zu knapp nur bestimmte kriminogene Faktoren beeinflussen, und für einen Beobachtungszeitraum von 3 Jahren; hier kann schließlich daran, dass in der Regel einige Zeit zwischen nur geprüft werden, ob Rückfälle in den ersten beiden Behandlungsmaßnahmen und rückfallbegünstigenden Jahren nach der Entlassung erfolgten. Situationen nach der Entlassung liegt. Suhling (2012) verdeutlicht den Weg von konkreten Maßnahmen bis Die Stichprobe zum Ziel der Rückfallprophylaxe durch die Unterschei- dung verschiedener Zielarten: Rückfall nach Entlassung aus dem Jugendstrafvollzug lässt sich nur dann sinnvoll bestimmen, wenn tatsäch- • Maßnahmeziele sind unmittelbare Ziele einzelner lich eine Entlassung aus dem Jugendstrafvollzug erfolgt Maßnahmen, wie z. B. eine verbesserte Impulskon- und nicht etwa nach der Jugendstrafe eine (längere) trolle oder Konfliktkompetenzen. Freiheitsstrafe vollzogen wird. Die folgende Abbildung Über Daten & Dialog Die Reihe „Daten & Dialog“ informiert über Ergebnisse der Evaluation des Jugendstrafvollzugs in der sächsischen Jugend- strafvollzugsanstalt Regis-Breitingen. Jede Ausgabe widmet sich einem umgrenzten Aspekt des Jugendstrafvollzugs: mit Ergebnissen von Datenanalysen, Interpretationen und Denkanstößen. Bisherige Ausgaben finden Sie im Internet unter https://www.justiz.sachsen.de/kd/ . Autor*innen: Sven Hartenstein (verantwortl. Redakteur), Aaron Philipp, Sylvette Hinz und Maja Meischner-Al-Mousawi Herausgeber: Kontakt: Kriminologischer Dienst des Freistaates Sachsen B kd@smj.justiz.sachsen.de JVA Leipzig mit Krankenhaus T 0341 8639-118 Leinestraße 111, 04279 Leipzig m www.justiz.sachsen.de/kd/
Daten & Dialog Nr. 16, März 2022 Seite 2 zeigt, wie häufig verschiedene Arten des Endes der Ju- Anzahl der Folgeverurteilungen und gendstrafe sind. Betrachtet werden JSG, welche seit Schnelligkeit des Rückfalls Anfang 2011 in die Jugendstrafvollugsanstalt Regis- Breitingen (JSA) zugegangen sind, dort mindestens 90 Im folgenden Diagramm ist dargestellt, wie schnell nach Tage Jugendstrafe verbüßten und in den Jahren 2013 der Entlassung Folgeverurteilungen stattfinden.1 Der bis 2018 die JSA verlassen haben. Zeitpunkt der Rückfälligkeit selbst (Datum der Tat) N = 1087 500 liegt freilich vor dem Datum der Verurteilung. 400 N zwischen 875 und 772 Anzahl 300 100% 200 Anzahl der Anteil der JSG 75% 100 Verurteil. 0 50% keine Endstrafe Entlassung Ausnahme Andere Zurück− Sonstige eine zur vom Ju− Strafe nach stellung zwei 25% Bewährung gendstraf− Ende der nach § 35 mind. drei vollzug Jugendstrafe BtMG Ende der Jugendstrafe 0% 0 1 2 3 Am häufigsten werden JSG nach vollständiger Ver- Jahre nach Entlassung büßung der Jugendstrafe oder zur Bewährung nach Verbüßung eines Teils der Jugendstrafe entlassen. Aber Bis etwa zwei Jahre nach der Entlassung ist der Zu- auch die Ausnahme vom Jugendstrafvollzug nach § 89b wachs an der Rückfallquote recht konstant. Danach JGG geschieht recht häufig. flacht die Kurve ab: JSG, die in den ersten zwei Jahren In allen folgenden Auswertungen werden diejenigen nach ihrer Entlassung nicht erneut verurteilt wurden, 875 JSG betrachtet, die aus der Jugendstrafe oder spä- werden es etwas weniger wahrscheinlich im dritten Jahr. testens zwei Monate nach deren Ende in Freiheit ent- Die folgende Tabelle zeigt die Anteile nach einem, lassen wurden. Dabei unterscheiden sich allerdings – je zwei und drei Jahren. nach Entlassungsart – die Bedingungen der JSG nach der Entlassung: Bei Entlassung zur Bewährung oder Zurückstellung nach § 35 BtMG besteht vermutlich zu- Beobachtungsjahr erst ein stärkerer äußerer „Druck“, keine Straftaten zu begehen, als bei einer Entlassung wegen Strafende. Anz. Folgeentsch. 1. 2. 3. Rückfallrate (mindestens eine keine 73,3 % 42,9 % 29,9 % Folgeentscheidung) eine 21,8 % 31,0 % 27,3 % Das Diagramm zeigt den Anteil der JSG, die nach ei- zwei 3,9 % 17,4 % 22,5 % nem, nach zwei beziehungsweise nach drei Jahren erneut mind. drei 1,0 % 8,8 % 20,2 % verurteilt wurden. Da zwischen dem Zeitpunkt einer Straftat und dem der Verurteilung einige Zeit vergeht, wären Raten bezogen auf Straftaten (statt Verurteilun- Rückfälligkeit ist häufig kein einmaliges Ereignis. gen) im jeweiligen Beobachtungszeitraum höher. Der 3 Jahre nach der Entlassung wurden mehr JSG mehr- Bezug auf gerichtliche Entscheidungen wird hier ge- fach als einfach verurteilt. Immerhin jeder fünfte JSG wählt, da er üblich ist und somit die Vergleichbarkeit hat 3 oder mehr Folgeverurteilungen. mit anderen Veröffentlichungen leichter ist. 100% 75% Mindestens eine Folge− Schwerste Sanktion Anteil 50% entscheidung? nein Das folgende Diagramm zeigt im Zeitverlauf, welcher 25% ja Anteil der JSG nach der Entlassung aus der Bezugshaft zu welcher schwersten Sanktion verurteilt wurde. Die 0% ein Jahr 2 Jahre 3 Jahre leichteste Kategorie „andere als Jugend- oder Freiheits- (n = 875) (n = 875) (n = 772) strafe“ bedeutet fast immer Geldstrafe (Häufigkeit für Länge des Beobachtungszeitraums den 2-Jahres-Beobachtungszeitraum: n = 216); in we- 70,1 % der Jugendlichen wurden im Beobachtungs- nigen Fällen aber auch die Einstellung des Verfahrens zeitraum von 3 Jahren nach ihrer Haftstrafe erneut nach § 47 JGG (n = 9), jugendrichterliche Maßnahmen verurteilt. Eine sehr ähnliche Rate von 71,2 % berich- (n = 8), Jugendarrest (n = 5) oder einen Schuldspruch teten Hohmann-Fricke und Gundlach (2012) auf Basis nach § 27 JGG (n = 1). von Bundeszentralregisterdaten aus den Jahren 2004 bis 2007 für Sachsen. Auch für Deutschland insgesamt 1 Für jeden Zeitraum werden nur diejenigen JSG berücksichtigt, liegt die Rückfälligkeit nach Jugendstrafe bei ca. 70 % deren Beobachtungszeitraum (Entlassungsdatum bis Erstel- (Jehle et al., 2016). lung des BZR-Auszugs) mindestens diesen Zeitraum umfasst.
Daten & Dialog Nr. 16, März 2022 Seite 3 100% Unterschiede in der Rückfälligkeit zwischen Gruppen N zwischen 875 und 772 dürfen nicht unmittelbar kausal interpretiert werden. Schwerste Anzahl der JSG 75% Für den Zusammenhang können auch Drittvariablen, Sanktion keine die mit der Gruppenzugehörigkeit und mit Rückfällig- andere 50% als JS/FS keit zusammenhängen, verantwortlich sein. Beispiels- 25% JS/FS zur Bewährung weise kann es verschiedene Gründe dafür geben, warum unbedingte JS/FS JSG, deren Strafrest zur Bewährung ausgesetzt wird, 0% im Mittel etwas später rückfällig werden als JSG, die 0 1 2 3 zum Strafende entlassen werden: Einerseits ist plausi- Jahre nach Entlassung bel, dass die Bewährungssituation dazu motiviert, keine Straftaten zu begehen, und/oder dass die Bewährungs- Die nachstehende Tabelle zeigt die Anteile nach ei- hilfe bei der Legalbewährung unterstützt. Andererseits nem, zwei und drei Jahren. ist aber auch zu erwarten, dass JSG mit schwererer Ausprägung kriminogener Faktoren und damit einher- Beobachtungsjahr gehender schlechterer Prognose seltener vorzeitig entlas- sen werden, aber schon allein aufgrund der ungünstigen Schwere der Sanktion 1. 2. 3. Faktoren schneller rückfällig werden. keine 73,1 % 42,9 % 30,1 % andere als JS/FS 16,2 % 27,4 % 27,3 % JS/FS zur Bewährung 3,9 % 9,7 % 12,7 % Entlassungsart unbedingte JS/FS 6,7 % 20,0 % 29,9 % 100% Rund 30 % der JSG sind drei Jahre nach der Entlas- sung erneut zu einer unbedingten Jugend- oder Frei- nicht rückfällig 75% Entlassungsart heitsstrafe verurteilt worden. Bewährungsstrafen sind Anteil Entlassung zur vergleichsweise selten. Vermutlich sind die von den Ge- 50% Bewährung (n = 301) richten gestellten Prognosen häufig auch deswegen ne- +++ +++++++++++ +++++++ + Endstrafe (n = 491) 25% gativ, weil die Angeklagten bereits in Haft waren. +++++++++++ +++++++++++++ ++++++++++++++ +++ ++ ++++++++++++++++ +++++ ++++++++++ +++ 0% 0 1 2 3 4 5 6 Zusammenhänge zwischen Merkmalen der Jahre seit Entlassung JSG und Rückfälligkeit JSG, die zum Strafende entlassen werden, werden – Die folgenden Diagramme2 geben Auskunft über Zu- erwartungsgemäß – schneller rückfällig als solche, die sammenhänge zwischen Merkmalen der JSG und ihrer unter Bewährung stehen (χ2 (1)=4.5, p=.034). Der Un- Rückfälligkeit. Dargestellt ist im Zeitverlauf der An- terschied in Prozentpunkten zu einem bestimmten Zeit- teil derjenigen JSG, die (noch) keine erneute Straftat punkt ist durchaus beträchtlich (z. B. nach einem Jahr begangen haben, die später zu einer Verurteilung führ- 55,5 % versus 47,3 %). Nach circa einem Jahr wird der te. Im Gegensatz zu den bisherigen Ergebnissen wird Unterschied unbedeutend klein. hier der Zeitpunkt der (ersten) Straftat statt des (spä- ter liegenden) Zeitpunkts der Verurteilung betrachtet.3 Verschiedene Gruppen von JSG werden durch verschie- denfarbige Linien dargestellt. Alter Um die Linien herum sind durch helle Flächen Kon- fidenzintervalle eingezeichnet. Diese können helfen, zu 100% beurteilen, ob die Höhen der Linien sich zu einem be- stimmten Zeitpunkt statistisch bedeutsam voneinander Alter bei nicht rückfällig 75% Entlassung unterscheiden: Erst wenn sie nicht überlappen, liegt ein Anteil Alter überhalb signifikanter Unterschied vor. 50% des Medians Die kleinen vertikalen Striche zeigen an, wann für ++++ ++ (n = 437) Alter unterhalb +++++ +++++++ einzelne JSG der Beobachtungszeitraum endet (weil zu 25% ++++++++ + +++++ ++ + +++++++++++++++++++++++ +++ +++ + +++++ +++++++++ ++++ +++++++++ + +++++ ++++++++++ des Medians (n = 438) diesem Zeitpunkt die Datenabfrage vom BZR erfolgte). 0% Eine etwaige Rückfälligkeit nach Ende des Beobach- 0 1 2 3 4 5 6 tungszeitraums bleibt hier unberücksichtigt. Die in den Jahre seit Entlassung Legenden angegebenen Gruppengrößen gelten jeweils für den Entlassungszeitpunkt. Teilt man die Entlassenen in die bei Entlassung äl- 2 Es handelt sich um Kaplan-Meier-Diagramme. tere und jüngere Hälfte, zeigt sich anfangs ein etwas 3 Wenn mehrere Taten gemeinsam verurteilt werden, ist im BZR schnellerer Rückfall für die jüngeren JSG (χ2 (1)=7.6, nur das Datum der letzten dieser Straftaten angegeben. p=.006). Auch hier nähern sich die Kurven an.
Daten & Dialog Nr. 16, März 2022 Seite 4 Haftdauer JSG, deren Rückfallrisiko vom Sozialdienst als eher hoch eingeschätzt wird, werden durchschnittlich tat- 100% sächlich schneller und häufiger rückfällig als andere Haftlänge JSG (χ2 (2)=18.7, p
Daten & Dialog Nr. 16, März 2022 Seite 5 Einschätzung durch den Sozialdienst zu Mitarbeit, währung zusammen. Mindestens tendenziell zeigen sich Fähigkeiten und Zukunftsplänen aber erwartungsgemäße Unterschiede. 100% Ausbildung oder Arbeit nach der Haft Arbeitet der JSG nicht rückfällig 75% aktiv an der 100% Erreichung des Anteil 50% Vollzugszieles Ausbildung oder nicht rückfällig mit? 75% ++++++ Arbeit nach Haft + +++++++++ Anteil 25% ++++ ++++++++ ++++++++++++++++ ja (n = 494) in Aussicht oder + + +++ ++++++++++++++++++ +++++ 50% ++++ ++ ++++++ ++ +++ nein (n = 241) gesichert +++ 0% + +++++++++++ ja (n = 289) 25% +++++ + ++++++ + + +++++++++++++ nein (n = 404) 0 1 2 3 4 5 6 ++ ++ +++++ ++++++++++++ ++++ ++++++++++++++++++ +++ + Jahre seit Entlassung 0% 100% 0 1 2 3 4 5 6 Fähigkeiten, nach Jahre seit Entlassung nicht rückfällig 75% d. Entlassung e. geregelten Ausb. JSG, die nach der Haft einen Platz in einer schuli- Anteil 50% o. Beschäftigung schen Ausbildung/Förderung, in einer beruflichen Aus- ++++ nachzugehen bildung/Qualifizierung oder einen Arbeitsplatz in Aus- sicht oder sicher haben, weisen keine statistisch bedeut- +++++++ 25% +++++ ++ + ++ ja (n = 547) ++++++++++ ++++++ ++++++ ++++++++++++++++++ ++ ++++++++++++ +++++ nein (n = 177) sam geringere Rückfälligkeit auf (χ2 (1)=2.7, p=.101). 0% Dieser Befund mag verwundern. Möglicherweise fin- 0 1 2 3 4 5 6 Jahre seit Entlassung det ein Teil der JSG in der Haft einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, der aber nach der Haft nicht tatsächlich 100% besteht (z. B. private Zusage) oder nicht kriminalprä- realistische, auf ventiv wirkt (z. B. weil fachliche, motivationale oder nicht rückfällig 75% legalem Wege selbstorganisatorische Anforderungen zu hoch sind und Anteil erreichbare die Ausbildung oder Arbeit dadurch eher Stress als 50% Zukunftspläne + Integration bewirkt). + ja (n = 335) 25% + +++++++ +++++++ +++++++++++++++++++++++++++ +++ nein (n = 301) ++ +++ + ++++++++++++++++++++ ++++ Folgeentscheidungen nach Delikt und Jahr 0% 0 1 2 3 4 5 6 In der Tabelle unten auf dieser Seite werden für verschie- Jahre seit Entlassung dene Deliktarten (Bezugshaft) Rückfallhäufigkeiten und Die Einschätzungen des Sozialdienstes bei Ende der -raten (insgesamt, einschlägig und nur mit anderen De- Jugendstrafe, ob der JSG aktiv am Vollzugsziel mitar- liktarten) dargestellt. Hier werden nur JSG betrachtet, beitet (χ2 (1)=6.7, p=.010), ob er die Fähigkeiten, nach für die ein mindestens dreijähriger Beobachtungszeit- der Entlassung einer geregelten Ausbildung oder Be- raum nach der Entlassung besteht. Einzelne JSG können schäftigung nachzugehen, besitzt (χ2 (1)=0.7, p=.399) in mehrere Zeilen der Tabelle eingehen, wenn verschiede- und ob er über realistische, auf legalem Wege erreichbare ne Deliktarten zur Bezugsinhaftierung führten. (Wenn Zukunftspläne verfügt (χ2 (1)=9.6, p=.002), hängen sta- die Gesamtanzahl in den Bezugsentscheidungen nied- tistisch nicht bedeutsam (Fähigkeiten) oder vergleichs- rig ist, werden keine Prozentwerte angegeben, da sie weise gering (Mitarbeit, Zukunftspläne) mit Legalbe- ungenau wären.) Bezugsentscheidung rückfällig insg. rückf. (auch) einschlägig rückf. nur and. Delikt(e) Delikt Anzahl Anzahl Anteil Anzahl Anteil Anzahl Anteil Diebstahl 432 320 74,1 % 241 55,8 % 79 18,3 % Körperverletzung 308 217 70,5 % 101 32,8 % 116 37,7 % Betrug 171 126 73,7 % 67 39,2 % 59 34,5 % Raub 163 119 73,0 % 17 10,4 % 102 62,6 % BtMG 103 70 68,0 % 29 28,2 % 41 39,8 % gegen pers. Freiheit 81 54 66,7 % 10 12,3 % 44 54,3 % Verkehrsdelikte 70 51 – 23 – 28 – Sexualdelikt 28 18 – 2 – 16 – Brandstiftung 18 13 – 0 – 13 – Mord 2 0 – 0 – 0 – Sonstiges 318 232 73,0 % 136 42,8 % 96 30,2 %
Daten & Dialog Nr. 16, März 2022 Seite 6 Die Quoten für einschlägigen Rückfall unterscheiden wurde, dass sie keine Maßnahme begonnen haben, weil sich deutlich zwischen Delikttypen in der Bezugshaft. der JSG die Teilnahme ablehnt. Die Gruppe „keine Über die Hälfte der JSG mit Diebstahl im Bezugsdelikt Ablehnung“ bilden die verbleibenden JSG, für die dies begehen erneut einen Diebstahl; auch für Betrug ist höchstens einmal dokumentiert wurde. die Rate einschlägigen Rückfalls vergleichsweise hoch. 100% JSG mit Bezugsdelikten, die durch körperliche Gewalt nicht rückfällig begangen werden (Körperverletzung, Raub), werden 75% "Ablehnung" etwas seltener einschlägig rückfällig. Bei den (seltenen) Anteil nein 50% Bezugsdelikten Sexualstraftat und Brandstiftung finden (n = 662) ja sich kaum einschlägige Rückfälle. 25% ++++++ + + +++++++ + +++ ++++ +++++ ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ (n = 106) + + + +++ ++ 0% Behandlungsmaßnahmen: Ablehnung, 0 1 2 3 4 5 6 Abbruch und Misslingen Jahre seit Entlassung Behandlungsmaßnahmen für Straftäter sind unter ande- Die JSG, die Maßnahmen ablehnen, werden er- rem dann wirkungsvoller, wenn sie für die Adressaten in- wartungsgemäß zu einem größeren Anteil rückfällig dividuell passend und ansprechend sind („Responsivity- (χ2 (1)=5.8, p=.016). Der Unterschied fällt vergleichs- Prinzip“, Bonta & Andrews, 2016). Marshall et al. weise gering aus. (2008) diskutieren4 drei Momente, an denen sich zeigen kann, wenn Maßnahmen dieses Kriterium für bestimmte „Abbruch“ Straftäter nicht erfüllen: Hier wurden JSG aus dem Datensatz ausgeschlossen, • Die Teilnahme an einer Behandlungsmaßnahme die weniger als drei Maßnahmen begonnen haben, denn wird durch den Klienten abgelehnt. andernfalls gibt es wenig Möglichkeit, Maßnahmen ab- • Die Teilnahme an einer Behandlungsmaßnahme zubrechen. Die Gruppe „Abbruch“ bilden JSG, für die wird durch den Klienten abgebrochen. bei mindestens zwei Maßnahmetypen ein Abbruch aus • Die Ziele einer Behandlungsmaßnahme werden einem der folgenden Gründe dokumentiert wurde: „auf trotz vollständiger Teilnahme nicht oder kaum er- Wunsch des Gefangenen“, „wegen mangelnder Eignung reicht. des Gefangenen“ oder „aus disziplinarischen Gründen“. Wenn eine Maßnahme wegen Entlassung oder Verle- In allen drei Fällen profitieren Straftäter nicht (oder gung in eine andere JVA vorzeitig beendet wurde, zählt kaum) von der Maßnahme. In Studien zeigen sich höhere dies hier nicht als „Abbruch“, weil hier nur Gründe Rückfallraten für solche „Ablehner“, „Abbrecher“ oder betrachtet werden sollen, welche die Passung und An- „Erfolglose“ (Marshall et al., 2008; Marques et al., 2005; sprechbarkeit der Maßnahmen betreffen. Die anderen siehe auch Endres et al., 2016). JSG stellen die Vergleichsgruppe „kein Abbruch“ dar. Im Folgenden wird versucht, diese Ergebnisse aus der 100% Literatur anhand der vorliegenden Daten für den säch- nicht rückfällig sischen Jugendstrafvollzug zu replizieren. Dazu muss 75% "Abbruch" einschränkend vorweggestellt werden, dass die verwende- Anteil nein 50% ten Daten nicht explizit für diese Fragestellung erhoben (n = 534) ja wurden und keine genauen Messungen von Ablehnung, 25% ++ +++ +++++ +++++ + +++ +++ (n = 48) ++++ ++ +++++++++++++++++++++++++++++++++++ +++ Abbruch und Misslingen enthalten. Es handelt sich also + + + + + + + um eine grobe Annäherung. Datengrundlage ist neben 0% den BZR-Auszügen der „Bogen zu jeder Vollzugspla- 0 1 2 3 4 5 6 Jahre seit Entlassung nung“, in dem der Sozialdienst der JSA dokumentiert, ob ein Bedarf an bestimmten Maßnahmetypen besteht, Die Gruppe „Abbruch“ ist sehr klein (48 JSG), wo- ob eine Maßnahme begonnen wurde (und ggf. warum durch die statistische Schätzung des Verlaufs ungenau nicht), ob eine Maßnahme abgebrochen wurde (und ggf. ist. In der betrachteten Stichprobe hängen Abbrüche warum) und ob die Maßnahmeziele erreicht wurden. von Maßnahmen (aus den hier betrachteten Gründen) allerdings mit deutlich schnellerer Rückfälligkeit zu- „Ablehnung“ sammen (χ2 (1)=6.7, p=.010). Die Rückfallraten unter- scheiden sich ein Jahr nach Entlassung um über 20 Von dieser Analyse wurden alle JSG ausgeschlossen, Prozentpunkte. für die bei weniger als 3 Maßnahmetypen ein Bedarf dokumentiert wurde, denn wenn kein Bedarf besteht, lässt sich auch keine Maßnahme ablehnen. Die Gruppe „Misslingen“ „Ablehnung“ besteht aus allen verbleibenden JSG, für Diese Auswertung enthält JSG, die mindestens zwei die bei mindestens zwei Maßnahmetypen dokumentiert Maßnahmetypen begonnen und nicht abgebrochen ha- 4 Die Autoren diskutieren dies in Bezug auf Sexualstraftäter; die ben. Die Gruppe „Misslingen“ besteht aus JSG, für die Überlegungen dürften sich aber verallgemeinern lassen. bei mindestens zwei Maßnahmetypen die Erreichung der
Daten & Dialog Nr. 16, März 2022 Seite 7 Maßnahmeziele gemäß fachdienstlicher Beurteilung mit oder gar nicht konnte einschlägiger Rückfall bei den „gar nicht“ oder „nur ansatzweise“ (statt „annähernd“ (verhältnismäßig selten vorkommenden) Deliktgruppen oder „vollständig“) eingeschätzt wurde. Die Vergleichs- Sexualdelikt und Brandstiftung beobachtet werden. gruppe „kein Misslingen“ bilden die verbleibenden JSG. Kein Zusammenhang mit Legalbewährung findet sich 100% für das Vorhandensein eines Ausbildung- oder Arbeits- angebots nach der Entlassung. nicht rückfällig 75% "Misslingen" Anteil 50% nein (n = 386) Literatur ja +++ ++++++++++++ (n = 144) Bonta, J. & Andrews, D. A. (2016). The psychology of 25% +++ ++ ++ +++++ + +++++ ++ +++++++++++++++++++++++++++ ++ ++ ++++++ ++ + criminal conduct (6. Aufl.). Routledge. Endres, J., Breuer, M. M. & Stemmler, M. (2016). „Intention 0% to treat“ oder „treatment as received“ – Umgang mit 0 1 2 3 4 5 6 Jahre seit Entlassung Abbrechern in der Forschung zur Straftäterbehandlung. Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, 10 (1), Tendenziell werden JSG, bei denen Ziele in Behand- 45–55. https://doi.org/10.1007/s11757-015-0348-x lungsmaßnahmen nicht erreicht wurden, etwas schnel- Hohmann-Fricke, S. & Gundlach, T. (2012). Legalbewäh- ler rückfällig. Der Unterschied ist allerdings statistisch rung nach strafrechtlichen Sanktionen in Sachsen - Eine nicht signifikant (χ2 (1)=2.7, p=.101). Rückfalluntersuchung auf Basis von Bundezentralregister- Zusammenfassend zeigt sich, dass die Merkmale „Ab- daten 2004 - 2007 [Unveröffentlichter Bericht]. Abteilung lehnung“, „Abbruch“ und „Misslingen“ erwartungsge- für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug der mäß mit höheren Rückfallraten einhergehen. Jedoch Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göt- tingen. wäre eine größere Stichprobe notwendig, um die Unter- Jehle, J.-M., Albrecht, H.-J., Hohmann-Fricke, S. & Tetal, C. schiede statistisch besser abzusichern. (2016). Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen. Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2010 bis 2013 Fazit und 2004 bis 2013. Forum Verlag Godesberg. Marques, J. K., Wiederanders, M., Day, D. M., Nelson, C. & In dieser Ausgabe werden Häufigkeit und Schwere von van Ommeren, A. (2005). Effects of a Relapse Prevention Rückfall von JSG nach Entlassung aus der JSA quanti- Program on Sexual Recidivism: Final Results From Cali- fiziert und zahlreiche Zusammenhänge zwischen Merk- fornia’s Sex Offender Treatment and Evaluation Project malen der JSG und ihrer Rückfälligkeit dargestellt. Die (SOTEP). Sexual Abuse: A Journal of Research and Treat- betrachteten Merkmale umfassen ment, 17 (1), 79–107. https://doi.org/10.1007/s11194- 005-1212-x • das statische Merkmal Alter, Marshall, L., Marshall, W., Fernandez, Y., Malcolm, P. & • Vollzugsmerkmale wie Haftdauer und Entlassungs- Moulden, H. (2008). The Rockwood Preparatory Pro- art, gram for Sexual Offenders - Description and Prelimi- nary Appraisal. Sexual Abuse: A Journal of Research • Belastungsfaktoren wie Suchtmittelproblematik and Treatment, 20 (1), 25–42. https://doi.org/10.1177/ oder Ausbildung/Arbeit nach der Haft, 1079063208314818 • Einschätzungen durch den Sozialdienst, Suhling, S. (2012). Evaluation der Straftäterbehandlung und • Selbsteinschätzungen durch die JSG sowie der Sozialtherapie im Strafvollzug - Ansätze zur Bestim- mung von Ergebnis-, Struktur- und Prozessqualität. In • Probleme bei Behandlungsmaßnahmen wie Ableh- B. Wischka, W. Pecher & H. van den Boogart (Hrsg.), nung oder Abbruch. Sozialtherapie, Maßregelvollzug, Sicherungsverwahrung. Centaurus Verlag. Die Ergebnisse geben einen Eindruck, wie es um die Rückfälligkeit der JSG bestellt ist. Die einzelnen Zu- sammenhänge dürfen nicht kausal interpretiert werden, da Einflüsse von Drittvariablen möglich (und plausibel) Fragen, Anmerkungen, Ideen? sind. Wir freuen uns über Rückmeldungen zur Berichtsreihe Höhere Rückfallraten und/oder schnellerer Rückfall allgemein oder zu einzelnen Ausgaben! Schreiben Sie fanden sich erwartungsgemäß bei Entlassung zum Stra- an sven.hartenstein@jval.justiz.sachsen.de . fende (statt zur Bewährung), jüngerem Alter, Vorliegen einer Suchtmittelproblematik sowie bei vom Sozialdienst oder den JSG selbst als höher eingeschätztem Rückfall- risiko. Auch Ablehnung und Abbruch von Behandlungsmaß- nahmen hängen mit schnellerem Rückfall zusammen. Einschlägiger Rückfall zeigt sich häufiger bei Delik- ten mit erwartetem materiellen Gewinn wie Diebstahl und Betrug. Delikte, die eine Anwendung körperlicher Gewalt beinhalten, wie Körperverletzung oder Raub, zeigen niedrigere Raten einschlägigen Rückfalls. Selten
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