Shared Decision Making - Arzt und Patient entscheiden gemeinsam
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DDQFMH Die Abteilung Daten, Demographie und Qualität (DDQ) erstellt Grundlagenpapiere basierend auf wissenschaftlicher Literatur zu verschiedenen Themen im Bereich Qualität, welche in der Schweizeri schen Ärztezeitung veröffentlicht werden. Die FMH nimmt auf der Basis der erarbeiteten Grundlagen Stellung zum Thema und gelangt über das Papier «Die Meinung der FMH» mit ihrer Position an die Öffentlichkeit. Nachfolgend werden das Grundlagenpapier sowie die Meinung der FMH zum Thema «Shared Decision Making» präsentiert. Grundlagenpapier der DDQ Shared Decision Making – Arzt und Patient entscheiden gemeinsam Michelle Gerber, Zusammenfassung Shared Decision Making (SDM) oder partizipative Esther Kraft, Shared Decision Making (SDM) ist ein Modell Entscheidungsfindung wird immer häufiger als idea- Christoph Bosshard der Entscheidungsfindung im klinischen Kon les Modell der Entscheidungsfindung im klinischen text, gemäss welchem Arzt1 und Patient aktiv Kontext gesehen. So hält der Zentralvorstand der Informationen austauschen, verschiedene Behand FMH 2004 bei der Revision des Zivilgesetzbuches lungsoptionen abwägen und partnerschaftlich zum Erwachsenenschutz fest, dass Behandlungsent- eine Entscheidung fällen. Entscheidend für das scheide bei urteilsunfähigen Patienten grundsätz- lich im Konsens zwischen den Angehörigen und Gelingen von SDM ist, dass der Arzt während * Die Literatur findet sich dem medizinischen Betreuungsteam gefällt werden unter www.saez.ch der ganzen Konsultation eine Atmosphäre → Aktuelle Ausgabe oder sollen [1]*. SDM wird als einer der wichtigsten Para- schafft, in welcher sich Patienten frei äussern → Archiv → 2014 → 50. digmenwechsel in der Medizin bezeichnet und häu- können. SDM wird in Situationen angewendet, fig als ein Indikator von guter medizinischer Quali- in welchen einmalige Entscheidungen in Abhän tät bewertet [2–5]. Gemäss SDM-Modell treffen Arzt gigkeit der Präferenzen der Patienten getroffen und Patient gemeinsam die Entscheidung für eine werden, aber auch bei längerfristigen Interven bestimmte Behandlung. In Abgrenzung zum vor- tionen zu Verhaltensänderungen. Dabei ist um herrschenden Paternalismus in der Arzt-Patient- stritten, ob SDM abgesehen von Notfällen im Beziehung früherer Generationen ist eine weniger mer durchgeführt werden soll oder bloss dann, autoritäre und mehr patientenzentrierte Arztrolle wenn zwei gleichwertige Behandlungsoptionen gefragt, welche sich in Ansätzen des «Patient Cen vorliegen. tered Care» und in verschiedenen patientenzentrier- Wenn sogenannte Entscheidungshilfen einge ten Konzepten und Methoden wie beispielsweise Ge- setzt werden, erhöht SDM das Wissen der Pa sundheitskompetenz, Patientenempowerment oder tienten über die Erkrankung, fördert deren ak Motivational Interviewing zeigt. Diese Entwicklun- tiven Einbezug und hilft ihnen, Präferenzen zu gen zum stärkeren Einbezug von Patienten spiegeln reflektieren. Weiter gibt es Hinweise, dass mit sich in den aktuellen Diskussionen im Schweizer Ge- SDM unnötige Behandlungen verhindert wer sundheitswesen. Der Bundesrat fordert im Bericht den können. Gemäss bisheriger Evidenz hat Gesundheit2020 zu seinen aktuellen gesundheits SDM aber weder klar positive noch negative politischen Prioritäten, dass «die Patienten/-innen 1 Zur besseren Lesbarkeit wird Auswirkungen auf Gesundheitszustand, Wohl künftig eine vollwertige, gleichberechtigte und in der Regel die männliche befinden und Zufriedenheit der Patienten. Ins selbstbestimmte Rolle in der Beziehung zu den Ge- Form verwendet; Frauen sind sundheitsfachpersonen erhalten» [6]. Im Kontrast zu immer mitgemeint. gesamt braucht es aber mehr und differenzierte Forschung zur Wirksamkeit von SDM. der genannten Forderungen nach mehr Patienten- Aus ethischen Gründen erscheint SDM sehr sinn autonomie wird in der aktuellen gesundheitspoliti- schen Diskussion aber auch vor einer Ökonomisie- voll. Dennoch werden Patienten häufig nicht rung der Medizin und einem Verständnis der Patien- Korrespondenz: wie von ihnen gewünscht in die Entscheidungs ten als Kunden gewarnt [7]. FMH/DDQ findung miteinbezogen. Entscheidend für die Elfenstrasse 18 In der Schweiz [8] bestehen – im Vergleich zu Umsetzung in die Praxis sind die Einstellungen CH-3000 Bern 15 den USA [9] oder Deutschland, wo ein Förderschwer- und Kompetenzen der Ärzte in Bezug auf SDM. Tel. 031 359 11 11 punkt für Forschung zu SDM finanziert wird [10] – Fax 031 359 11 12 Hilfreich ist das Vorliegen von wirksamen Trai kaum formale Initiativen zur Untersuchung, Ver- ddq[at]fmh.ch ningsprogrammen und qualitativ hochwertigen breitung und Umsetzung von SDM. Neben ein paar www.fmh.ch Entscheidungshilfen. Studien zum Thema SDM, wie beispielsweise eine Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2014;95: 50 1883
DDQ FMH Bevölkerungsbefragung in Genf [11] oder eine Befra- scheiden. Zum anderen wird zur Stärkung der Pa gung von Assistenzärzten und ihren Weiterbildungs- tientenautonomie gefordert, dass SDM immer durch- verantwortlichen [12], gibt es das Gesundheitscoa- geführt wird, ausser wenn die Situation das nicht zu- ching [13] des Kollegiums für Hausarztmedizin lässt, z. B. wenn in einem Notfall schnell gehandelt (KHM), welches SDM miteinbezieht. In diesem Pro- werden muss. jekt unterstützen Ärzte ihre Patienten dabei, Loh und Simon [24] definieren SDM als «ein In- ihr Gesundheitsverhalten in einem selbstgewählten teraktionsprozess mit dem Ziel, unter gleichberech- konkreten Bereich zu optimieren (weitere Projekt- tigter aktiver Beteiligung von Patient und Arzt auf Beispiele siehe Cornuz et al. 2011 [8]). In der Schweiz Basis geteilter Information zu einer gemeinsam ver- wird SDM auch in Informationsbroschüren themati- antworteten Übereinkunft zu kommen». SDM zeich- siert: die von der Non-Profit-Organisation Dialog net sich durch folgende Merkmale [3] aus: Ethik zur Arzt-Patient-Beziehung herausgegebene – Involviert sind mindestens zwei Beteiligte (ein Patientenbroschüre [14] und der Leitfaden der SAMW Arzt und ein Patient), häufig aber noch weitere zum Thema Kommunikation im medizinischen All- Personen wie z. B. Familie, Freunde und weitere tag [15]. An einigen Universitäten werden Medizin- Gesundheitsfachpersonen. studierenden Inhalte aus dem Bereich SDM vermit- – Beide Beteiligte nehmen aktiv am Prozess der telt und an Universitätskliniken Weiterbildungs- Entscheidungsfindung teil. kurse durchgeführt [8]. – Zwischen beiden Beteiligten findet ein Informa- tionsaustausch statt. Was ist Shared Decision Making? – Beide Parteien wollen gemeinsam eine Behand- Der Begriff SDM wird unterschiedlich verwendet lungsentscheidung treffen. und unklar von verwandten Konzepten abgegrenzt [3, 16–18]. Dieser Abschnitt zeigt auf, was unter SDM SDM unterscheidet sich von anderen theoretischen verstanden wird und wie sich SDM von anderen Modellen der klinischen Entscheidungsfindung (Ta- Modellen und Begriffen der Entscheidungsfindung belle 1) am meisten darin, dass Arzt und Patient in im klinischen Kontext unterscheidet. allen Phasen der Entscheidungsfindung (Informa Die evidenzbasierte Medizin ist der Ausgang- tionsaustausch, Abwägungsprozess und Treffen der punkt, um im klinischen Kontext Entscheidungen Entscheidung) gemeinsam beteiligt sind. Bei den zu treffen, wenn mindestens zwei Optionen (inkl. anderen drei Modellen verläuft der Informationsaus- der Möglichkeit des Abwartens) zur Auswahl stehen tausch einseitig. Im paternalistischen und im inter- [2]. Beispielsweise muss entschieden werden, ob bei pretativen Modell wägt der Arzt alleine die Vor- und einer an Brustkrebs erkrankte Patientin eine Brust Nachteile verschiedener Behandlungsmöglichkeiten entfernt wird (Mastektomie) oder eine brusterhal- ab und trifft anschliessend die Entscheidung. Im tende Operation durchgeführt wird. Häufig sind die Informed Decision Modell führt der Patient diese zur Auswahl stehenden Behandlungsoptionen im Schritte alleine durch. Ein weiterer Unterschei- Prinzip gleichwertig (sogenannte «equipoise» [19]) dungspunkt der Modelle bezieht sich auf die Arzt- mit verschiedenen Vor- und Nachteilen, die gegenei- rolle und auf das Patientenbild. Gemäss dem SDM- nander abgewogen werden müssen, wie z. B. längere Modell sind Patient und Arzt gleichberechtigte, sich Lebensdauer gegenüber verminderter Lebensqua ergänzende Partner in der Entscheidungsfindung. lität. Ausserdem sind die möglichen Auswirkungen Patienten bringen Informationen bezüglich ihres Le- einer Behandlung mit Unsicherheit behaftet und bensumfeldes, ihrer Werte, Bedürfnisse und Ängste die Evidenz für Behandlungsempfehlungen nicht in sowie ihr subjektives Wissen über ihre Gesundheit jedem Fall stark. Da es grosse Unterschiede in den und die Erkrankung in die Diskussion ein. Der Arzt Präferenzen, Bedürfnissen und Werten gibt und Pa vermittelt fachliches Wissen und klinische Erfah- tienten über unterschiedliche Ressourcen im Umgang rung, aber auch ethische Werte, und trägt durch mit einer Erkrankung verfügen, können Ärztinnen eine objektive Distanz zur klinischen Problematik zu und Ärzte gemäss dem SDM-Modell diese Entschei- einer optimalen Entscheidungsfindung bei [24, 25]. dung nur gemeinsam mit den Patienten treffen. Bei Aus Patientensicht ist eine der meistgenannten Bar- präferenzsensitiven Entscheidungen ist SDM daher rieren für SDM das Machtungleichgewicht zwischen besonders angebracht [3, 20–22]. Für die Umsetzung Arzt und Patient. Patienten möchten keine unange- von SDM ist eine Grundfrage, in welchen Entschei- nehmen Patienten sein und die beschäftigten Ärz- dungssituationen SDM durchgeführt werden soll tinnen und Ärzte nicht stören [27]. Für die Durch- und wie die Auswahl der den Patienten zur Diskus- führung von SDM ist deshalb nicht nur der Moment sion vorgelegten Behandlungsoptionen erfolgt [19, der Entscheidung wichtig, sondern auch die Atmo- 20, 23]. Zum einen wird vorgeschlagen, dass SDM sphäre und Interaktion während der gesamten Kon- einzig angewandt wird, wenn gemäss medizinischer sultation. Diese ist geprägt durch folgende Faktoren: Evidenz zwei gleichwertige Optionen vorliegen, die Sensibilität für die Bedürfnisse der Patienten, Ein- keine Nachteile für die Bevölkerung haben und sich fühlungsvermögen, individualisierte Informationen, auch in Bezug auf die Kosten nur geringfügig unter- Ermutigung von Patienten, sich aktiv zu beteiligen, Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2014;95: 50 1884
DDQ FMH Tabelle 1 Modelle der Entscheidungsfindung im klinischen Kontext.1 Paternalistisches Modell Interpretatives Modell 2 Shared Decision Making Informed Decision Modell Modell Arztrolle Beschützer, Wohltäter Stellvertreter des Patienten Partner Technischer Experte Informationsaustausch Einseitig Einseitig Gegenseitig Einseitig Arzt → Patient Arzt → Patient (Wissen) Arzt Patient Arzt → Patient Patient → Arzt (Werte) Einbezug von Werten und Präferenzen sind nicht Arzt erfragt Präferenzen vom Arzt diskutiert Präferenzen mit Patient kennt die eigenen Präferenzen des Patienten relevant für eine objektive Patienten und bezieht sie in dem Patienten. Präferenzen. Entscheidung. den Abwägungsprozess mit ein. Abwägungsprozess Arzt alleine, evtl. gemeinsam mit anderen Fachpersonen. Arzt und Patient gemeinsam, Patient alleine, evtl. mit evtl. mit sozialem Umfeld und sozialem Umfeld und anderen anderen Fachpersonen. Fachpersonen. Entscheidung treffen Arzt, Patient gibt Zustimmung Arzt und Patient gemeinsam Patient Ärztliche Aufgabe Basierend auf Fachwissen und Basierend auf Fachwissen, Basierend auf Fachwissen und Basierend auf Fachwissen und Erfahrung ist der Arzt ethisch Erfahrung und den erfragten Erfahrung informiert der Arzt Erfahrung ist der Arzt ethisch verpflichtet, die objektiv beste Werten des Patienten ist der den Patienten über verschie verpflichtet, den Patienten Behandlung für den Patienten Arzt ethisch verpflichtet, die dene Behandlungsmöglich neutral und verständlich über zu wählen und sich dessen optimale Behandlung für den keiten und erfragt die Präferen verschiedene Behandlungs Zustimmung zu holen. Patienten zu wählen und sich zen des Patienten. möglichkeiten zu informieren, dessen Zustimmung zu holen. Der Arzt ist ethisch verpflichtet, damit dieser unbeeinflusst den Patienten zu ermutigen, am die beste Behandlung wählen Entscheidungsprozess teilzuneh- kann. men, ihn dabei zu unterstützen und gemeinsam die optimale Behandlung zu wählen. Patientenbild Patient kann aufgrund mangelndem Wissens, Patient kann gemeinsam mit Patient kann selbstständig ent- mangelnder Objektivität und Einschränkungen durch die dem Arzt entscheiden, wenn scheiden, wenn ihm fehlendes Erkrankung keine optimale Entscheidung treffen. er dazu ermutigt und im Ent- Wissen auf verständliche Weise scheidungsprozess begleitet vermittelt wird. wird. Basierend auf: [16, 23, 26]. Diese vier Modelle werden häufig in der wissenschaftlichen Literatur genannt. Daneben sind weitere Modelle denkbar, z. B. ein Coaching-Modell, in welchem 1 der Arzt gemeinsam mit den Patienten Informationen austauscht und den Abwägungsprozess durchführt, aber den Patienten anleitet, die Entscheidung selber zu treffen. Auch Professional-as-agent-Modell genannt. 2 sowie Möglichkeiten für Patienten, ihren Gedanken Durchführung der Behandlung eingeholt [3, 23, 26]. und Emotionen Ausdruck zu verleihen. So beteiligen Wichtig ist, dass Ärztinnen und Ärzte ihrer Aufklä- sich Patienten aktiver, äussern ihre Präferenzen und rungspflicht, wie sie in den kantonalen Gesund- Werte, benennen eher Barrieren der Behandlungen heitsgesetzten verankert ist, korrekt nachkommen oder berichten von nicht eingehaltenen Behand- und dies bei Bedarf auch nachweisen können [32– lungsentscheidungen wie zum Beispiel unregelmäs 34]. Wenn sie unter diesen Bedingungen eine heikle sige Medikamenteneinnahmen. Eine gute Bezie- Behandlungsentscheidung treffen, in welcher die hung ist auch deshalb relevant, da die Konsultation Lebensqualität höher gewichtet wird als die Lebens- beim Arzt für sich bereits eine therapeutische Inter- dauer, brauchen sie keine Haftpflichtansprüche oder vention ist [28–31]. Schadenersatzforderungen zu fürchten. Verwandt mit diesen Modellen der klinischen Entscheidungsfindung ist der Begriff «informed con- Prozess des Shared Decision Making sent» oder «informierte Zustimmung». Mit diesem Um die Umsetzung des SDM in der klinischen Praxis wird die rechtliche Autorisation von Patienten zur zu erleichtern, haben Charles et al. [16] und Elwyn Durchführung einer Behandlung bezeichnet, wel- et al. [25] Prozessmodelle entwickelt. Diese Modelle che an gewisse Bedingungen wie die Urteilsfähigkeit unterscheiden vier Phasen des SDM: Einführung, In- des Patienten und verständliche Aufklärung zu Risi- formationsaustausch, Abwägungsprozess, Entschei- ken und Chancen einer Behandlung geknüpft ist. dung. Der Arzt schlägt eine Behandlung vor und infor- miert über allfällige alternative Behandlungsmög- 1. Einführung lichkeiten, aus welchen der Patient auswählen kann. In dieser Phase wird den Patienten vermittelt, was Dabei wird die Zustimmung des Patienten zur das medizinische Problem ist und welche Behand- Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2014;95: 50 1885
DDQ FMH lungsmöglichkeiten es gibt – inklusive der Mög lungsschritte (z. B. regelmässige Medikamentenein- lichkeit abzuwarten und zu beobachten. Ausserdem nahme) erfolgreich durchzuführen. Viele Patienten erklärt der Arzt den Patienten, wie die Entschei- wollen die Meinung ihres sozialen Umfeldes in den dungsfindung abläuft und welche Rollen beide ha- Entscheidungsprozess miteinbeziehen und die Mei- ben. Dabei vermittelt er ihnen, dass die Entschei- nung von weiteren beteiligten Ärzten und Gesund- dung gemeinsam getroffen wird, so dass er sich mit heitsfachpersonen hören. Im Gegensatz zum Infor- der schwierigen Entscheidung nicht allein gelassen med Decision Modell beschränkt sich die Rolle des fühlt [25, 35]. Arztes nicht auf das neutrale Vermitteln von Fach- wissen. Der Arzt legt ebenfalls die eigene Sichtweise 2. Informationsaustausch zu den verschiedenen Optionen dar und kann Emp- In einer nächsten Phase informiert der Arzt über die fehlungen geben. Dies bedeutet aber nicht, dass Ärz- Erkrankung, die Behandlungsoptionen, die dazuge- tinnen und Ärzte einfach versuchen, Patienten von hörigen Risiken und Nutzen in Bezug auf die Ge- ihrer bereits getroffenen Entscheidung zu überzeu- sundheit, das physische und psychische Wohlbefin- gen (vgl. Karnieli-Miller und Eisikovits [38]). Da zwi- den und die sozialen Lebensumstände der Patienten. schen den Beteiligten ein Machtungleichgewicht Er bringt auf diese Weise medizinische Evidenz in besteht, muss für Patienten eine Atmosphäre ge- die klinische Konsultation mit ein und überprüft schaffen werden, in welcher sie sich sicher fühlen gleichzeitig, ob die Patienten alles richtig verstanden und frei äussern können [16, 17, 25, 39]. haben. Dabei werden Befürchtungen und subjektive Krankheitstheorien der Patienten sowie allfällige 4. Behandlungsentscheidung fällen Vorschläge für weitere Optionen miteinbezogen. Viele Patienten brauchen Zeit, um sich die Entschei- Patienten bringen ausserdem ihr Wissen zu ihrer dung zu überlegen, weshalb Entscheidungen ver- Person in die Konsultation ein wie beispielsweise schoben und Folgekonsultationen vereinbart werden. ihre Krankengeschichte, Lebenssituation und Werte Gemäss dem SDM-Modell treffen Arzt und Patient [16, 17, 21, 25]. Der Arzt unterstützt Patienten, sich gemeinsam eine Entscheidung. Es kann aber vor- mittels Broschüren oder geeigneter Webseiten selbst kommen, dass sich die Beteiligten trotz gemeinsamer Wissen anzueignen und dieses zu interpretieren [5]. Diskussion nicht einig werden. Wenn der Arzt die Zusätzlich werden in dieser Phase auch sogenannte bevorzugte Behandlungsoption des Patienten nicht Decision Aids (Entscheidungshilfen) verwendet. Diese umsetzen will, kann sich dieser an einen anderen Broschüren, Videos oder webbasierte Programme in- Arzt wenden. Umgekehrt hat der Patient jederzeit formieren Patienten in standardisierter Weise über das Recht, eine bestimmte Behandlungsoption abzu- die Erkrankung und die Behandlungsoptionen mit lehnen. Das zeigt, dass beide Beteiligte Einschränkun- den dazugehörigen Risiken, stellen Wahrscheinlich- gen unterworfen sind und nicht eine Person alleine keiten verständlich dar und unterstützen Patienten, entscheiden kann [16, 17, 25]. ihre Präferenzen herauszufinden [35–37]. Auch wei- Die Entscheidungsfindung im klinischen Kon- tere Hilfsmittel wie graphische Darstellungen von text ist ein dynamischer Prozess – die beschriebenen Wahrscheinlichkeiten oder von Optionen mit ihren Phasen gehen fliessend ineinander über. Innerhalb Vor- und Nachteilen (Option grids) können hilfreich einer Konsultationsphase kann sich das Entschei- sein [21]. Diese verschiedenen Hilfsmittel dienen da dungsfindungsmodell (Tabelle 1) ändern oder Ele- zu, den Informationsaustausch (und Abwägungspro- mente verschiedener Modelle werden kombiniert. zess) systematisch und standardisiert durchzuführen Beispielsweise beginnt ein Arzt eine Konsultation und fördern den aktiven Einbezug von Patienten. Sie mit dem SDM-Modell, wechselt aber schliesslich zum sind aber kein zwingender Bestandteil eines SDM- Interpretativen Modell, wenn der Patient wünscht, Prozesses und ihr Einsatz garantiert noch keine Ent- dass der Arzt die Behandlungsentscheidung für ihn scheidungsfindung gemäss dem SDM-Modell. trifft. Die Anwendung der verschiedenen Modelle der Entscheidungsfindung wird von der klinischen 3. Abwägungsprozess Situation und den Bedürfnissen des Patienten beein- Nach der gemeinsamen Informationsaustausch- flusst und erfordert deshalb Flexibilität [16]. phase erfolgt ein Abwägungsprozess der verschiede- nen Vor- und Nachteile der zur Wahl stehenden Be- Anwendung in verschiedenen Fachbereichen handlungsoptionen. Dazu erfragt der Arzt die Erwar- Die bekannteste Definition des SDM-Modells [3] tungen, Werte, Sorgen und Ideen der Patienten und wurde für den Kontext einer potenziell lebensbe- unterstützt sie darin, die eigenen Präferenzen her- drohlichen Krankheit wie etwa eine Krebserkran- auszufinden und zu gewichten. Die Entscheidung kung entwickelt, für welche es mehrere Behand- für eine Behandlungsoption wird auch von der lungsalternativen mit verschiedenen möglichen, Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Auswirkun- mit Unsicherheit behafteten Folgen gibt (vgl. An- gen einer Behandlung und der Selbstwirksamkeitser- wendung in der Onkologie: Politi et al. 2012 [40]). wartung der Patienten beeinflusst. Mit Letzterem ist Das SDM-Modell wird auch in anderen Bereichen gemeint, ob sich Patienten zutrauen, nötige Behand- angewendet, z. B. in der Intensivmedizin bei Ent- Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2014;95: 50 1886
DDQ FMH scheidungen zu lebenserhaltenden Massnahmen Warum Shared Decision Making? [41], in der Rehabilitation [42] oder in der Psychiatrie In der Einleitung wurde festgestellt, dass SDM als [43]. ideales Modell der klinischen Entscheidungsfindung Das Modell von Charles et al. [3] aus dem Bereich gilt. Im Folgenden sollen die Gründe für diese Posi- der Onkologie wurde für den Kontext der medizini- tion aufgeführt und mit wissenschaftlichen Ergeb- schen Grundversorgung [5] und der Behandlung nissen und Diskussionspunkten ergänzt werden. von chronisch kranken Patientinnen und Patienten [31] erweitert. Gemäss Murray und Kollegen [5] Bedürfnis der Patienten zeichnet sich die Konsultation in der Grundversor- Patienten sind im Vergleich zu früher skeptischer ge- gung durch undifferenzierte Symptome und teil- genüber Ärztinnen und Ärzten und sind sich ihrer weise durch multiple Diagnosen und Probleme aus, Rechte als Patienten bewusster. Viele Patienten in- welche auch durch psychische und soziale Faktoren formieren sich über das Internet zu Gesundheitsthe- beeinflusst werden. Im Modell von Charles et al. [3] men und verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten hingegen liegt eine klare Diagnose vor, welche bei- und wollen demzufolge auch bei medizinischen Ent- den Parteien bekannt ist, bevor SDM angewendet scheidungen mitreden [20, 22]. Befragungen zeigen, wird. Für die Praxis der medizinischen Grundversor- dass sich eine Mehrheit an medizinischen Entschei- gung ist es deshalb wichtig, dass SDM bereits zu Be- dungen beteiligen möchte. Andererseits gibt es auch ginn der Konsultation bei der Auftragsklärung be- eine Minderheit, welche die Entscheidung lieber ginnt. Arzt und Patient müssen sich darauf einigen, dem Arzt überlassen möchte [26, 45]. So gaben in welche Probleme besprochen werden, ob sie jetzt einer Bevölkerungsbefragung in Deutschland 57% oder zu einem späteren Zeitpunkt besprochen der Personen an, dass medizinische Entscheidungen werden und ob der Arzt überhaupt die richtige An- gemeinsam mit dem Arzt getroffen werden sollten, sprechperson ist. In der medizinischen Grundversor- für weitere 17% sollten Patienten alleine entschei- gung müssen häufig mehrere Entscheidungen ge- den und nur 23 % meinten, der Arzt solle alleine ent- troffen werden, die aber weniger akute Auswirkun scheiden [46]. Dabei hat die Präferenz für eine aktive gen auf die Patienten haben und laufend revidiert Beteiligung an Entscheidungen in den 2000er-Jah- werden können. Wichtig ist deshalb auch eine ge- ren zugenommen [45]. Der Wunsch nach einer Be- meinsame Evaluation von Entscheidungen. teiligung an medizinischen Entscheidungen hängt Im Gegensatz zu einer akuten Erkrankung wie im vom Land respektive von der Kultur [47], der Patien- Modell von Charles et al. [3] ist bei der Behandlung tengruppe [11, 20, 45, 46], der Befragungsmethode von chronisch kranken Patienten oder in der Ge- [22, 45] sowie der Frageformulierung und Definition sundheitsförderung und Prävention die Rolle des [45] ab. So möchten fast alle Patienten mehr Infor- Arztes weniger auf das Vermitteln von Expertenwis- mationen zur Erkrankung und zu den Behandlungs- sen als auf die Umsetzung einer Entscheidung ausge- möglichkeiten, aber nur ein Teil möchte sich an der richtet. Elwyn und Kollegen [19, 44] sprechen des- Entscheidung beteiligen. An der Diagnosestellung halb von Interventionen zur Verhaltensänderung in und Festlegung der Behandlungsalternativen möchte Abgrenzung zu Interventionen zur Entscheidungs- sich dagegen kaum jemand beteiligen [20, 22, 26]. unterstützung. Ein Beispiel für eine Behandlungs- Eine aktive Involvierung wird häufiger von Frauen, entscheidung zur Verhaltensänderung ist, ob ein Personen mit einem höheren Bildungsabschluss, aus an Diabetes erkrankter Patient regelmässig Medi einer höheren sozioökonomischen Schicht, von In- kamente einnimmt oder seine Essgewohnheiten än- ländern und von jüngeren Personen gewünscht, dert. Da sich in diesen Interventionen die Konse- wobei soziodemographische Angaben im Einzelfall quenzen der getroffenen Entscheidung häufig erst keine zuverlässige Indikatoren für Partizipationsprä- längerfristig zeigen, macht dies die Umsetzung einer ferenzen sind [11, 46]. Insgesamt werden nur rund Entscheidung zu einer Herausforderung. Deshalb ist 60 % der Patienten ihren Wünschen entsprechend es besonders wichtig, dass die Selbstwirksamkeit der in die Entscheidungsfindung einbezogen [4]; SDM Patienten zur Umsetzung von Behandlungsmass- wird in der Praxis eher selten angewandt [48]. Viele nahmen und die Unterstützung durch ihr soziales Ärztinnen und Ärzte unterschätzen vermutlich das Umfeld in die Entscheidung miteinbezogen werden Bedürfnis nach Informationen und Mitentscheidung: sowie die Patienten die Entscheidung mittragen Sie handeln häufig gemäss den von ihnen wahr (siehe auch Motivational Interviewing [44]). Bei der genommenen Erwartungen der Patienten anstatt die Behandlung chronisch kranker Patienten besteht Präferenzen direkt zu erfragen [22, 26, 49]. häufig eine langfristige Beziehung zwischen Patient und Arzt, respektive Patient und weiteren wichtigen Ethische Überlegungen Gesundheitsfachpersonen. Dies ist eine ideale Vor- Indem die Autorisation von Patienten zur Durchfüh- aussetzung für eine der wichtigsten Grundlagen für rung einer Behandlung (informed consent) ethisch SDM: eine Partnerschaft zwischen Arzt und Patient und rechtlich als Patientenrecht etabliert ist, wird [5, 31, 42]. auch ein Minimum an SDM nötig. Ausserdem erhal- ten Patienten durch SDM mehr Informationen, ihre Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2014;95: 50 1887
DDQ FMH Autonomie wird gestärkt und sie erhalten ein Gefühl ebenfalls unklar und deuten höchstens auf einen der Kontrolle über ihre Behandlung. Mit SDM wer- kleinen Effekt hin [37, 50, 51]. den die Patienten aber nicht mit der Entscheidung alleine gelassen, sondern der Arzt ist verpflichtet, Auswirkung auf das Gesundheitssystem seine Expertise einzubringen und sie im Entschei- Nachgewiesen wurden regionale Unterschiede in der dungsprozess zu begleiten. Aus einer ethischen Sicht- Häufigkeiten von Behandlungen innerhalb eines weise wird deshalb eine geteilte Entscheidung für Landes, die nicht durch die Krankheit oder die Präfe- wünschenswert angesehen [3, 22]. renzen der Patienten erklärt werden können, son- dern vermutlich durch sich unterscheidende lokale Auswirkung auf die Gesundheit ärztliche Meinungen [53]. Solche Unterschiede in Es wird angenommen, dass SDM durch das systema- der Behandlung könnten durch den konsequenten tische Abwägen aller Optionen die medizinische Einbezug der Präferenzen von Patienten durch SDM Qualität erhöht, unnötige Behandlungen verhin- vermindert werden. Es gibt Hinweise, dass SDM un- dert, bei Patienten mit chronischen Krankheiten für nötige Behandlungen verhindert, welche keinen sich genommen therapeutisch wirkt sowie die Ad Nutzen oder beträchtliche Risiken und Nebenwir- härenz (Compliance oder Therapietreue) erhöht und kungen mit sich bringen [21]. Durch den Einsatz so positive Auswirkungen auf den Gesundheitszu- von Entscheidungshilfen werden häufiger konserva- stand der Patienten hat [20, 35, 39, 50]. Andererseits tive Behandlungen anstatt grössere Operationen ge- ist durch SDM nicht ein allgemein besserer Gesund- wählt [37]. Nach einem Training von Hausärzten in heitszustand zu erwarten. Patienten erreichen aber SDM setzten diese seltener Antibiotika für die Be- eher die gewünschten Behandlungsergebnisse bzw. handlung von Patienten mit akuten respiratorischen diejenigen Ergebnisse treten nicht ein, welche sie Infektionen ein [54]. vermeiden wollten [37]. In der Tat weisen Studien Häufig wird befürchtet, dass durch SDM die Kon- keine klare Verbesserung des Gesundheitszustandes sultationszeit zunimmt und damit die Kosten für Ge- und der allgemeinen Lebensqualität nach [37, 50–52]. sundheitsleistungen steigen. Mangelnde Zeit ist in Tendenziell finden sich eher Effekte sowohl für Stu- der Tat das von Ärzten am häufigsten genannte Hin- dien mit chronisch kranken Patienten, in welchen dernis für die Umsetzung von SDM [16, 22, 49, 55] eine längerfristig Arzt-Patient-Beziehung besteht, als und wird auch von Patienten als Barriere für SDM auch in Situationen, in welchen SDM während meh- wahrgenommen [27]. Zwei Cochrane Reviews [37, reren Konsultationen stattfand und ein Training des 50] zeigen allerdings, dass die Konsultationen mit Arztes in SDM durchgeführt wurde [51]. Gemäss der durchschnittlich nur drei Minuten mehr kaum län- aktuellen Evidenz hat SDM also weder klar positive ger dauern. Dennoch sind eher positive Auswirkun- noch negative Auswirkungen auf den Gesundheits- gen von SDM zu erwarten, wenn mehr Zeit für die zustand. Gesicherte Aussagen zur Wirksamkeit von Konsultationen zur Verfügung steht [56]. SDM können allerdings nur mit Vorsicht gemacht Ob SDM zu einer Reduktion der Gesundheitskos- werden. Denn es gibt nur eine geringe Anzahl von ten beitragen kann oder diese im Gegenteil weiter er- qualitativ hochwertigen Studien und in diesen wer- höht, kann aufgrund kaum vorhandener Studien den verschiedene Arten von SDM-Interventionen nicht beantwortet werden. Die wenigen Studien wei- bei sehr unterschiedlichen Patientengruppen analy- sen darauf hin, dass SDM vermutlich keinen grossen siert. Ausserdem fehlt in den Studien häufig eine Einfluss auf die Kosten hat [37]. Kontrolle der Qualität der Implementierung von SDM. Schlussfolgerungen SDM ist kein Wundermittel. Wenn sogenannte Ent- Aktuelle Auswirkung auf die Beteiligung scheidungshilfen eingesetzt werden, erhöht es das Forumthemen und Zufriedenheit Wissen der Patienten über die Erkrankung, fördert SDM erhöht nachweislich das Wissen der Patienten deren aktiven Einbezug und hilft ihnen, Präferenzen Diskutieren Sie mit! über ihre Erkrankung, insbesondere wenn Entschei- zu reflektieren. Es gibt Hinweise, dass durch SDM un- Im Forum präsentieren wir dungshilfen verwendet werden [37, 50, 51]. Wenn nötige Behandlungen verhindern werden können. regelmässig brisante Entscheidungshilfen verwendet werden, sind sich die SDM hat aber gemäss der aktuellen Evidenz weder Themen aus Politik, Öko Patienten über ihre eigenen Werte klarer und fühlen klar positive noch negative Auswirkungen auf Ge- nomie und Wissen sich seltener unentschlossen. Mehr Arzt- Pa tient- sundheitszustand, Wohlbefinden und Zufriedenheit schaft, die das Schwei zer Gesundheitswesen be Kommunikation über die Entscheidung findet statt, der Patienten und erhöht laut Studien die Konsulta- treffen. Bringen Sie Ihre und die Patienten sind aktiver. Allerdings entschei- tionszeit nicht wesentlich. Viele Fragen zu seiner Meinung ein oder kom den die Patienten in Studien zu Entscheidungshilfen Wirksamkeit bleiben aber noch offen. Es gibt zwar mentieren Sie die Äusse häufiger alleine (Informed Decision Modell), während sehr viele Studien zu Entscheidungshilfen, aber nur rungen Ihrer Kolleginnen SDM nicht häufiger stattfindet [37]. Ob SDM wie ver- wenige zu SDM. Dabei bleibt unklar, ob eine grössere und Kollegen. Das Forum mutet die Adhärenz erhöhen kann, ist aufgrund der Wirksamkeit bei einer hohen Qualität der Imple- finden Sie unter: www.saez.ch/forum/ geringen Anzahl von Studien unklar [37, 50, 51]. In mentierung oder für bestimmte Patientengruppen Bezug auf die Zufriedenheit sind die Ergebnisse erreicht werden kann. Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2014;95: 50 1888
DDQ FMH Ob SDM umgesetzt wird, hängt auch von den atientenpräferenzen in Guidelines explizit mit ver- P Einstellungen und Erwartungen der Ärztinnen und schiedenen Optionen verknüpft werden. Damit Ärzte ab. Ein Wissensaustausch alleine reicht nicht SDM überhaupt möglich ist, dürfen Ärztinnen und aus, sondern es ist auch nötig, den Patienten zu einer Ärzten nicht so enge Vorgaben gemacht werden, Beteiligung zu ermutigen und eine gemeinsame Ent- dass diese unterschiedliche Patientenpräferenzen scheidung treffen zu wollen. Eine Barriere für die nicht mehr berücksichtigen können [2, 5]. Umsetzung von SDM kann die Angst der Ärzte vor Aus ethischen Gründen erscheint SDM ein sehr möglichen Haftpflichtansprüchen oder Schaden sinnvolles Modell der klinischen Entscheidungsfin- ersatzforderungen sein, wenn ein Patient etwa die dung zu sein. Unumstritten ist das Modell bei präfe- Lebensqualität höher gewichtet als die Lebensdauer. renzsensitiven Entscheidungen, für welche mehrere, Wichtig ist deshalb auch bei einer gemeinsamen aus ärztlicher Sicht gleichwertige Optionen vorhan- Entscheidung, dass die Ärzte ihre Patienten nach- den sind. SDM ermöglicht die von vielen Patienten weisbar korrekt aufklären. Fehlende Kompetenzen, gewünschte aktive Beteiligung, ohne dass die Patien- Wissen und Vorbilder in Bezug auf SDM bezeichnen ten dabei allein gelassen und überfordert sind. Wich- Ärzte häufig als weitere Hürde [49] – diese erwiesen tig ist dabei, dass SDM flexibel gehandhabt wird, da sich in einer Studie mit Ernährungsberatern gar als sich die Bedürfnisse der Patienten mit der Zeit än- die entscheidenden Faktoren [55]. Obwohl es zahl- dern können und sich von Patient zu Patient unter- reiche SDM-Trainingsprogramme in verschiedenen scheiden. Wie stark Patienten in die Entscheidung Ländern gibt, unter anderem auch der Schweiz [57], einbezogen werden, sollte an deren Bedürfnis ange- fehlen Forschungsergebnisse, welche Art von Trai- passt werden. ningsprogrammen effektiv ist. Zuletzt ist auch das Fehlen von evidenzbasierten und verständlichen In- ..... ...... ------- Interaktiver Artikel .... -------- ------ formationen und Entscheidungshilfen von hoher ------- Qualität in vielen Bereichen hinderlich [22, 27, 49]. Eine Übersicht über bestehende Entscheidungs Wollen Sie diesen Artikel kommentieren? Nutzen Sie dafür die Kommentarfunktion in der Online- hilfen und Hinweise für die Beurteilung von deren Version oder sehen Sie nach, was Ihre Kolleginnen Qualität findet sich bei Lenz et al. 2012 [36] und und Kollegen bereits geschrieben haben: Stacey et al. 2014 [37]. Hilfreich für die Umsetzung www.saez.ch/aktuelle-ausgabe/interaktive-beitraege/ von SDM ist ausserdem, wenn unterschiedliche Wissen, was läuft. Das News-Paket der FMH. Schweizerische Ärztezeitung, Today’s Press, FMH-Flash. Für Mitglieder kostenlos. ehr Jetz t m auf n erfahre h.ch www.fm Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2014;95: 50 1889
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