Social Media trüben das Vertrauen - Universität Bern
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Social Media trüben das Vertrauen Von rechtspopulistischen Inhalten bis hin zu Covid-19- Verschwörungstheorien – im Internet findet sich eine Vielzahl an Kanälen mit fragwürdigen Inhalten. Doch wer nutzt diese Plattformen und mit welchen Konse- quenzen? Von Julia Konstantinidis Silke Adam, Direktorin des Instituts für Kommunikations- und 3,5 MILLIONEN WEBSITES REGISTRIERT Medienwissenschaften der Universität Bern (ikmb), unter- sucht mit ihrem Team in Zusammenarbeit mit der Univer- «Für die Datenerhebung haben wir eine spezielle Software sität Koblenz-Landau, wie sich politische Einstellungen entwickelt, die uns Informationen darüber lieferte, welche in digitalen Informationsumgebungen entwickeln. Dafür Inhalte die Studienteilnehmenden im Internet aufrufen», wurden 2020 Daten erhoben, die jetzt analysiert werden. so Makhortykh. Die Kohorte setzte sich aus etwa 1000 Das Projekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds und Personen aus der Schweiz und der doppelten Anzahl aus der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert. «Mit der Deutschland zusammen, die gemäss bevölkerungsrepräsen- Studie möchten wir herausfinden, wie Menschen mit popu- tativer Quoten ausgewählt wurden. listischen, rechtsradikalen Einstellungen zu ihren Informati- onen kommen und wie sie sich online verhalten – vor allem Unter Einhaltung strenger Datenschutzbestimmungen auch, ob sie verstärkt Medien konsumieren, die ihre Vorein- verfolgten die Forschenden im Frühling und Herbst während stellungen bestätigen», erklärt Assistent Mykola Makhor- jeweils mehrerer Wochen, wer welche Websites nutzt. tykh, der an der Studie mit dem Titel «Populist radical-right Berücksichtigt wurden öffentliche Beiträge von Social- attitudes and political behaviour» beteiligt ist. Media-Kanälen wie Facebook oder Twitter sowie Online- Medien, Nachschlagewerke oder Suchmaschinen. Insgesamt Dass sich die Forschungskooperation auf politisch rechtes wurden 19 624 Zugriffe auf Nachrichtenseiten analysiert. Gedankengut konzentriert, ist auch der Tatsache zuzu- Nur eine geringe Zahl von 103 Treffern – 0,5 Prozent – entfiel schreiben, dass Organisationen und Interessengruppen auf alternative Nachrichtenplattformen; Seiten, die eher dieser Gesinnung im Netz sehr aktiv sind. So spricht etwa die rechtspopulistisches Gedankengut fördern. rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD) ihre Wählerinnen und Wähler zu einem grossen Teil via DER WEG FÜHRT ÜBER SOCIAL MEDIA Social Media an. Ein anderes internationales Beispiel für die bevorzugte Nutzung von Facebook, Telegram und ähnlichen Ernesto de León, Assistent an der Uni Bern, analysiert derzeit Kanälen durch Politiker mit rechtspopulistischem Hinter- die erhobenen Daten: «Unter anderem möchten wir wissen, grund ist Donald Trump. Der ehemalige Präsident der USA wie die Nutzerinnen und Nutzer zu den alternativen, gegen äusserte sich in seinem letzten Amtsjahr durchschnittlich den Mainstream gerichteten Sites gelangen.» Die Vermu- 36 Mal pro Tag auf Twitter. Er prägte zudem den Begriff der tung war, dass ein grosser Teil der User über Social Media Fake News, die angeblich von den «Mainstream-Medien» auf die Plattformen stösst. Die eigens entwickelte Software verbreitet werden. machte es möglich, die digitalen Wege des Zugriffs zurück- 18 UniPress 182/2022 Schwerpunkt
Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in die Politik vor Lockdown 2020 während Lockdown 2020 Vertrauen in die Vertrauen in Politik die Politik 5 5 4 4 3 3 2 2 1 1 200 100 100 200 Anzahl Nennungen Anders als vielleicht angenommen nahm das Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in die Politik während des Lockdowns 2020 zu (rechte Balken) gegenüber der Zeit vor dem Lockdown (linke Balken). Lesebeispiel: Die Zahl der Befragten, die ein tiefes Vertrauen von weniger als 3 auf der Skala haben, sank während des Lockdowns. Quelle: ikmb Schwerpunkt UniPress 182/2022 19
Besuchte News-Websites Kommerzielle Medien-Website Öffentlich-rechtliche Medien-Website Ideologische News-Plattform 0 5000 10 000 15 000 20 000 Anzahl besuchte Websites Nur gut 100 der insgesamt 19 600 ange- wählten Websites entfielen auf ideologische News-Plattformen, knapp 1800 auf Sites von öffentlich-rechtlichen Medien. Der Rest betraf kommerzielle Medien-Websites. Zugang zu News-Websites Direkte Websuche Social Link Anwahl Media in Mail Kommerzielle Medien-Website Öffentlich-rechtliche Medien-Website Ideologische News-Plattform 0 25 50 75 100 Prozent der Besuche Websites von kommerziellen und öffentlich- rechtlichen Medien werden überwiegend direkt angesteuert, während ideologische News-Plattformen mehrheitlich via Posts auf Social Media angewählt werden. Quelle: ikmb 20 UniPress 182/2022 Schwerpunkt
zuverfolgen. Die Auswertungen der erhobenen Daten bestätigten die bisherige Vermutung, so de León: «Alterna- tive News werden zu 39 Prozent indirekt aufgerufen, also über Posts in Social Media.» Doch was lösen die Informationen aus? Um dies zu beant- worten, werden die Mediennutzungsdaten mit Befragungs- © KEYSTONE/Christian Beutler daten, bei denen die Studienteilnehmenden einen Fragebo- gen ausfüllen, zusammengeführt. Obwohl die Analysen hier noch ganz am Anfang stehen, zeichnen sich erste Befunde ab. So kann gezeigt werden, dass eine verstärkte Nutzung von alternativen, gegen den Mainstream gerichteten Nach- richtenplattformen einhergeht mit einem Vertrauensver- lust in die Politik während der Pandemie. Zudem betrifft dieser Vertrauensverlust vor allem jene, die Covid-19 nicht als Bedrohung ihrer Gesundheit wahrnehmen. Nur eine Minderheit bezieht in der Schweiz Nachrichten über Social Media. Interessanterweise gibt es bei denjenigen, die alterna- tive Kanäle nutzen, kaum Unterschiede, was Alter oder Geschlecht angeht. Die Studie weist jedoch auch eindrück- lich darauf hin, dass nur eine Minderheit in der Schweiz überhaupt Nachrichten über Social Media bezieht. Ernesto de León: «Die meisten der befragten Personen gehen direkt auf bekannte Informationsplattformen des Service public oder etablierter Zeitungen.» Allerdings, so der Forscher, benutzten die Studienteilnehmenden Desktop-Computer. Die Daten ihrer Mobiltelefone seien nicht erhoben worden. «Es ist gut möglich, dass es einen Unterschied macht, ob © KEYSTONE/Gaetan Bally man mit dem PC oder dem Handy online ist», gibt de Leóns Kollege Makhortykh zu bedenken. TECHUNTERNEHMEN IN DIE PFLICHT NEHMEN Diese ersten Befunde zeigen, wie wichtig es ist, zu untersu- chen, über welche Kanäle sich Bürgerinnen und Bürger im digitalen Zeitalter informieren. Eine solche Untersuchung ist jedoch schwierig, da viele der heutigen Plattformbetreiber ihre Daten nur spärlich publizieren und so die Forschenden selbst aufwendige Infrastrukturen aufbauen müssen. «Es ist wichtig, noch mehr Daten von diesen Infrastrukturbe- treibern zu erhalten. So deklarieren sie oft nicht klar, wie sie Algorithmen einsetzen, oder sie unterbinden den Zugang zu solchen Informationen», sagt Analyst de León. Weiter sei es wichtig, bei der Medienkompetenz der User anzuset- zen, insbesondere bei der jungen Generation. «Man sollte die Bevölkerung besser darüber aufklären, wie diese Kanäle funktionieren.» Denn vielen Usern sei nicht bewusst, dass ihr Nutzungsverhalten von Algorithmen gesteuert wird bezie- hungsweise wie sie unwahre Nachrichten erkennen können. Ebenso wichtig sei die Einführung von Regulatorien, um Transparenz einzufordern und fragwürdige oder gefährliche Inhalte strafrechtlich verfolgen zu können. De León ist über- zeugt: «Es braucht Druck auf diese Unternehmen.» Kontakt Dr. Mykola Makhortykh und Ernesto de León Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft (ikmb) mykola.makhortykh@unibe.ch ernesto.deleon@unibe.ch Schwerpunkt UniPress 182/2022 21
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