Stimmen und Stimmungen im Park - Zum ästhetischen Umgang mit einem Bilderbuch in der vierten Klasse
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Alexandra Ritter: Stimmen und Stimmungen im Park Alexandra Ritter Stimmen und Stimmungen im Park Zum ästhetischen Umgang mit einem Bilderbuch in der vierten Klasse Bilderbücher scheinen auf den ersten Blick wenig Berührungspunkte mit der Grundschule zu haben, sondern eher der literarischen Vorschulbildung vorbehalten zu sein und wenn überhaupt ihren Platz im Anfangsunterricht zu finden. Dass es neue Tendenzen im Genre ‚Bilderbuch’ gibt, die das Medium verändert haben und es so zum vielfältigen Einsatz in der Grundschule, gerade für die ästhetische Bildung der Kinder, gewinnbringend erscheinen lassen, soll in diesem Beitrag anhand des Bilderbuches „Stimmen im Park“ von Anthony Browne deutlich gemacht werden. Das Bilderbuch „Stimmen im Park“ entdecken Die Geschichte, die das Buch erzählt, ist einfach. Zwei Erwachsene und zwei Kinder treffen bei einem Spaziergang im Park zufällig aufeinander. Die Frau ist wohlhabend, hochmütig und sie kontrolliert ihren Sohn Charles in extremem Maße. Der Mann ist ein arbeitsloser Vater mit seiner aufgeweckten und immer fröhlichen Tochter „Sonnenschein“. Die Protagonisten und im besonderen Maße die Kinder sind starke Identifikationsfiguren für die Leser. Die erste Irritation, die dabei ins Auge fällt ist, dass die Figuren zwar mit menschlichen Körpern dargestellt sind, aber die Köpfe von Affen haben. Dies mildert wiederum eine zu starke Identifikation und schafft eine gewisse Distanz. Die nur scheinbar banale Geschichte erhält ihren besonderen Reiz aus der dramaturgischen Gestaltung des Buches. So wird die Geschichte vier Mal erzählt, jedoch immer aus der Perspektive einer anderen der vier Hauptpersonen. Während die Erwachsenen kaum Notiz von einander nehmen, freunden sich die Kinder allmählich an und spielen gemeinsam. Stimmen im Park handelt jedoch nicht nur davon, was im Park geschieht, sondern lebt davon, wie die Geschichte erzählt wird. Browne setzt Schauplätze, Sprache und bildnerische Gestaltung in einzigartiger Weise so ein, dass sie ein Ganzes ergeben. Hier wird nicht nur mithilfe des Textes erzählt. Schon allein durch die unterschiedliche Gestaltung der Schrifttypen, die er jeder Person zuweist, bekommt man einen Einblick in das Wesen der einzelnen Figuren, sei es nun die klassische, 1
Alexandra Ritter: Stimmen und Stimmungen im Park serifenbetonte Antiquaschrift der Mutter oder die einfache und nüchterne Groteskschrift des Vaters. Begleitet werden die Einheiten des Textes von einer Sequenz von Bildern, die einen jeweils spezifischen Stil haben. 1 In diesen Bildern wird nicht nur die Handlung bildlich umgesetzt, sondern es werden symbolisch verarbeitete Elemente der Gefühlswelt der Protagonisten dargestellt. So erscheint die Geschichte aus der Sicht des Mädchens Sonnenschein ganz bunt, die Bäume sind Früchte oder Tiere und alles wirkt verspielt und fröhlich. Jede Person im Buch nimmt den Spaziergang anders wahr, was symbolisch dadurch ausgedrückt wird, dass der Park zu unterschiedlichen Jahreszeiten dargestellt wird. Bei der Mutter ist Herbst. Der Vater und Charles befinden sich im Winter, wobei sich nach der Begegnung mit Sonnenschein bei Charles der Frühling einstellt und Sonnenschein erlebt den Park im Sommer. Gerade in dieser vieldimensionalen Darstellung der Figuren liegt der besondere Reiz und ästhetische Anspruch des Buches. Durch die verschiedenen Ebenen von Schrift, Bild und Inhalt wird für den Leser ein ganzheitliches Charakterbild der Figuren entwickelt und somit komplexes ästhetisches Wahrnehmen möglich. Durch die Diskontinuität in der Abfolge von Erzählung und Bildern bleibt viel Raum für den Rezipienten, eigene Vorstellungen zu entwickeln und die Bruchstücke der Geschichte zu einem Gesamtbild zusammen zu fügen. Ästhetische Erfahrungen regt Browne auch durch die Häufung der Kunst- oder Selbstzitate im Buch an, vor allen Dingen, indem er bekannte Werke des Malers René Magritte aufgreift. „Mit dem genauen Blick auf den Alltag und dem fremden Blick auf das Vertraute hat er [Anthony Browne; A.R.] Zwischenwelten geschaffen, die sich zwischen realen und imaginierten Orten, zwischen Innen- und Außenwelten ansiedeln, in denen sich realistische und surrealistische Blicke kreuzen und in denen sich Kind und Kunst berühren.“ 2 Das Buch bietet dadurch sowohl Kindern, als auch Erwachsenen unendlich viel zu entdecken und wahrzunehmen. Man kann das Buch zwanzig Mal gelesen und betrachtet haben und entdeckt trotzdem beim erneuten Hinschauen ein anderes Detail, das Browne in seinem Spiel mit den Möglichkeiten der Geschichte versteckt hat. Gerade deshalb scheint sich dieses Buch besonders gut dafür zu eignen, die Wahrnehmung der Kinder zu sensibilisieren und ihnen ästhetische Erfahrungen zu ermöglichen. 1 Vgl. Kretschmer 2003, S. 59; Doonan 2003, S. 144 2 Thiele 2000; zit. n.: Kretschmer 2003, S. 58 2
Alexandra Ritter: Stimmen und Stimmungen im Park Die dritte Stimme – Charles Die vierte Stimme - Sonnenschein Didaktisch-methodische Bausteine zum Umgang mit dem Bilderbuch „Stimmen im Park“ Das Bilderbuch als ästhetisches Produkt kann Ausgangspunkt zu vielfältiger handlungs- und produktionsorientierter Arbeit 3 werden. An dieser Stelle sollen vor allem ästhetische und rational-analytische Zugangsweisen zum Unterrichtsgegenstand in Form von Bausteinen vorgestellt werden, die aber unbedingt miteinander verknüpft werden sollten, um den Kindern so vielfältige Lernprozesse zu ermöglichen. Es soll ein Raum für die Entwicklung von Phantasien vor dem Hintergrund der individuellen Gefühls- und Erlebniswelt der Kinder eröffnet werden in dem sich die Kinder schließlich in unterschiedlichen produktiven Tätigkeiten artikulieren können. Baustein 1 – Erstbegegnung mit „Stimmen im Park“ 4 Auf einem Spaziergang im Park können Gegenstände gesammelt werden die von den Kindern dann im Kreis ertastet werden sollen. So kommt man über den sinnlichen Einstieg leicht ins Gespräch über individuelle Erlebnisse bei Parkspaziergängen mit Eltern oder Freunden. Im Folgenden wird als eine Möglichkeit der Erstbegegnung mit dem Buch die erste Stimme (der Mutter) vorgelesen, ohne dabei jedoch die Bilder zu zeigen. Allein anhand des Ausdrucks der Sprache können die Kinder antizipieren und charakterisieren, um was für eine Person es sich handeln könnte. Im Anschluss daran bietet sich die Betrachtung des Buches als Partner- oder Einzelarbeit an. An dieser Stelle sollte die Lehrkraft genug Zeit für 3 vgl. Haas u.a. 1994 4 Vorgestellt werden im Folgenden didaktisch-methodische Anregungen, die ich im Rahmen einer Unterrichtseinheit zu dem Bilderbuch konkret durchgeführt und erprobt habe. 3
Alexandra Ritter: Stimmen und Stimmungen im Park die Entdeckung des Bilderbuchs einplanen. Die wiederholende Struktur des Buches und die vielen Details machen dies notwendig. Gleichzeitig können aber von den Kindern Fragen und erste Eindrücke zum Buch notiert werden. Beschäftigt sich eine Klasse über mehrere Stunden mit dem Bilderbuch, so hat sich das Führen eines Lesetagebuchs 5 als gewinnbringend herausgestellt. Ergebnisse und Eindrücke sollten anschließend ausgetauscht und besprochen werden. Baustein 2 – Was die Stimmen verraten – Analyse der Stimmen Eine wichtige Voraussetzung für die weiterführende und vertiefende Bearbeitung des Buches ist, dass die SchülerInnen die Charaktere und Eigenarten der einzelnen Stimmen herausfinden und die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Sequenzen erfassen können. Die Sozialform der Gruppenarbeit erscheint hierfür besonders geeignet, da der Austausch mit Anderen und die Diskussion über das Dargestellte zu tieferen Einsichten führen kann. Jeweils eine Gruppe beschäftigt sich über einen längeren Zeitraum, z.B. eine Unterrichtsstunde, mit einer Stimme. Sie untersucht die Stimmen unter verschiedenen Gesichtspunkten. Der erste Eindruck zu der jeweiligen Stimme kann als Cluster festgehalten werden. Anschließend wird diskutiert, wie die Person dargestellt wird. Differenziert für leistungsstarke SchülerInnen kann nach den einzelnen bildnerischen und sprachlichen Darstellungsebenen gefragt werden. Durch anregende Fragen können die SchülerInnen weiterhin für die Gefühle anderer sensibilisiert werden. 6 Wie fühlt die Figur sich während der Geschichte? Was denkt sie? Was wünscht sie sich? Stellt die Lehrkraft die Bilder des Buches als Kopien zur Verfügung, so können Plakate in den Gruppen erstellt und präsentiert werden. Dieser Austausch über die einzelnen Stimmen ist sehr wichtig zur Verständigung über die Metazusammenhänge des Buches. Baustein 3 – Mit Schrift gestalten Ausgangspunkt dieses Bausteins ist die Typographie des Buches, die zum Anlass für eigene Gestaltungen von Schrift benutzt wird. Die SchülerInnen sollen den Zusammenhang der Schriftgestaltung mit den Charakteren der Personen erkennen können. Fragen wie: „Habt ihr etwas Besonderes am Gebrauch der Sprache bemerkt?“, „Sind euch Formulierungen oder Wörter aufgefallen?“ und „Ist euch irgendein Unterschied aufgefallen in der Art und Weise, wie der Text gedruckt ist?“ können das einleitende Unterrichtsgespräch anregen. Es wird konstatiert, dass jeder Figur eine eigene Schriftart zugeordnet ist, die etwas über ihren Charakter aussagt. Wort- und Schriftgestaltungen können demnach schon Charaktere und Stimmungen deutlich machen, so die hier gemachte Beobachtung. Von diesem Gedanken 5 vgl. Block 2004: Das Lesetagebuch wird hier als Buch mit leeren z.T. linierten Seiten verstanden, das während der gesamten Bearbeitung des Bilderbuches von den Kindern mit eigenen Gedanken oder Gruppenarbeitsergebnissen ergänzt wird. 6 vgl. Kultusministerium Sachsen-Anhalt: Fachlehrplan Deutsch 2007, S. 7 4
Alexandra Ritter: Stimmen und Stimmungen im Park ausgehend können die Kinder nach dem Sammeln verschiedener Adjektive, die Gefühle beschreiben, eigene Wortbilder gestalten. Auf Karten schreiben und gestalten sie das Wort entsprechend des Gefühls, das es benennt. Bei abstrakteren Wörter wie „mutig“ oder „aufgeregt“ erscheint das nicht immer einfach. Diese Tätigkeiten sind ästhetisch anspruchsvoll und anregend. Die SchülerInnen können eigene Ideen entwickeln, ausprobieren, abwägen und annehmen oder auch wieder verwerfen. Die Wortkarten können abschließend an der Tafel oder in der Kreismitte präsentiert und in einer Wörterkiste für „Gefühlswörter“ gesammelt und aufgehoben werden. Auf die Gefühlswörter können die SchülerInnen auch zu späteren Zeitpunkten noch zurückgreifen. Baustein 4 – Gefühle zeigen – Schreiben eines Gefühlsgedichts Gerade die Gestaltung der Gefühlswörter kann eine wichtige Vorarbeit für das Schreiben eines Gefühlsgedichtes sein. Die Kinder sollen durch diese Gedichte die Möglichkeit bekommen für ihre Gefühle eigene Ausdrucksmöglichkeiten zu finden. „Wer eine Sprache für seine Gefühle hat, kann sich und andere einschätzen, kann sich dem anderen erklären; 5
Alexandra Ritter: Stimmen und Stimmungen im Park eigene und fremde Gefühle wahrzunehmen und zu benennen ist die Bedingung dafür, nicht jeden Streit in Gewalt münden zu lassen. Ein bewusster Umgang mit den eigenen Gefühlen ist die Bedingung für Selbstbewusstsein, Kommunikations- und Konfliktfähigkeit.“ 7 Zum Schreiben dient an dieser Stelle ein Baumuster für Gefühlsgedichte 8 , das als „Geschichtengrammatik“ 9 oder hier als „Gedichtgrammatik“ den Kindern einen Rahmen vorgibt, der offen für eigene Gedanken ist und hilft über eigene Gefühle nachzudenken und diese zum Ausdruck zu bringen. Beschreibe dein Gefühl als: Farbe Geschmack Geruch Aussehen oder Form Ton oder Klang Erlebnis Hier bietet sich eine geeignete Form, Gefühle als Gedicht zum Ausdruck zu bringen. Der ganzheitliche Anspruch des Baumusters entspricht wiederum der Ganzheitlichkeit des Bilderbuches. Stellt man den Kindern ein Gedichtbeispiel vor, so sind sie durchaus in der Lage das Baumuster selbst zu erkennen. Anschließend können sie die Wörter aus der Gefühlswörterkiste nutzen (vgl. Baustein 3) um eigene Gefühlsgedichte zu schreiben. Diese sollten nach dem Schreiben auch durch eine Lesung oder Ausstellung gewürdigt werden. Glücklich Wütend Gelb wie die Sonne Feuerrot wie der Teufel, Süß wie Obstsalat Scharf wie Pfeffer, Riecht nach Frühlingsblumen Riecht nach Feuer, Bunt wie der Sommer Wütend wie ein Bär Klingt nach Vogelstimmen Laut wie ein Gewitter. Es ist einfach schön. Ich bin wütend. Lara 10 Justin Diese Gedichte von Kindern der vierten Klasse zeigen, dass sie in der Lage sind vielfältige Sprachbilder für Gefühle zu finden. Interessant wirkt der letzte Satz der beiden Gedichte. Während im ersten Gedicht das Mädchen als Betrachter und passiver Teilnehmer seiner Umwelt auftritt, enthält der zweite Text stärker subjektive Färbungen. Mit dem Satz „Ich bin wütend.“ versetzt sich der Junge selbst in eine Situation, in der er wütend war und reflektiert dabei unbewusst über sein Verhalten. 7 Czisch 2005, S. 107 8 vgl. Kaul 2001, S. 20 9 Kohl 2007 10 Die Namen der Kinder wurden aus datenschutzrechtlichen Gründen verändert. 6
Alexandra Ritter: Stimmen und Stimmungen im Park Sehr interessant wirken auch die nachfolgenden Texte eines Jungen, der in seiner Klasse als Außenseiter Schwierigkeiten hatte. Er konnte sich schlecht in Gruppen eingliedern, wollte dort durch sein Verhalten auffallen und im Mittelpunkt stehen, wurde aber von seinen Mitschülern ausgegrenzt. Hinzu kamen feinmotorische und orthografische Schwierigkeiten beim Schreiben und eine mangelnde Aufmerksamkeitsfähigkeit. Ungewöhnlich war aber, dass er sich stark von den ästhetischen Tätigkeiten zum Bilderbuch ansprechen ließ und so diese Texte verfasste. Traurig Schwarz wie die Nacht, ein Sauregen prasselt gegens Fenster ich bin allein keine Menschenseele ist draußen ich bin traurig Traurig Schwarz, wie die Nacht, bitter, wie Kaffee, riecht nach Einsamkeit, sieht aus, als ob jemand Menschen gefangen hält, ich höre, dass der Regen gegen das Fenster prasselt, meine Eltern sind nicht da. Max Max hat sich zwar formal nicht an das Baumuster gehalten, aber in seinen Gedichten eine tiefe Empfindung des Gefühls ‚Traurigkeit’ verarbeitet. Er benutzt das literarische Muster des Buches, indem er eine ähnliche Situation beschreibt, wie die Einführung von Charles in die Geschichte. Er steht allein am Fenster und schaut hinaus. Der Wechsel der Zeichenstile im Buch vom farbig-flächenhaften zum eher graphischen und schraffierten Zeichnen könnte z.B. auch die Assoziation des Regens ausgelöst haben. Aber Max geht noch weiter. Er verweilt nicht bei der literarischen Vorlage, sondern bringt sich als lyrisches Ich mit in das Gedicht ein. Dabei tritt das eigentliche Baumuster des Gedichtes in den Hintergrund. Er benötigt es nicht zum Schreiben. Der zweite Text geht stärker vom Baumuster aus. Aber auch hier zeigt sich wieder die eigene Verarbeitung von Gefühlen, indem er in der drittletzten Zeile wieder das lyrische Ich einbringt und dieses mit einem konkreten Erlebnis aus seiner Erfahrungswelt, dem Alleinsein ohne Eltern, verbindet. In den Texten als Schnittstellen zwischen Buch und Leser werden zum einen die Anregungen durch das Buch als Gegenstand des literarischen Lernens und zum anderen die persönlich bedeutsamen Ausdrucksformen, die zeigen, dass das Kind die 7
Alexandra Ritter: Stimmen und Stimmungen im Park literarischen Angebote aufgegriffen und mit eigenen Erfahrungen in Verbindung gebracht hat, deutlich. Baustein 5 – Stimmungsbilder gestalten Es sind in Brownes Buch vor allem die Bilder, die die Leser fesseln. Sie strotzen nur so vor Anspielungen, Bildzitaten und spielerischen Verfremdungen. Die Bilder bieten ausreichend Stoff für ein anregendes Unterrichtsgespräch. Leitfragen können dabei sein: Kannst du ein Bild zeigen, in dem mehr erzählt wird, als im Text steht? Gibt es Bilder in denen etwas anderes ausgedrückt wird, als der Text beschreibt? Welche Wirkung hat das? Warum benutzt Anthony Browne Affen als Hauptpersonen? Die SchülerInnen lieben diese Art der Arbeit mit dem Buch. Sie fühlen sich herausgefordert durch die Fragen und können gut Bild- und Textzusammenhänge erkennen. Es zeigt sich, dass die Bilder viel mehr erzählen, als der Text. Sie machen auch die Stimmungen der Protagonisten deutlich. Anschaulich wird das bei der ersten Stimme, der Mutter. Sie ist wütend auf ihren Sohn, der mit einem kleinen „schmuddeligen“ Mädchen gespielt hat. Als letztes Bild sieht man die Mutter mit strengem Gesicht und ihren Sohn den Park verlassen. Im Hintergrund brennt noch ein Baum, der die Stimmung der Mutter, die äußerlich so beherrscht wirkt zum Ausdruck bringt. Diese eher analytische Betrachtung der Bilder stellt die Vorbereitung für das eigene Gestalten eines Stimmungsbildes dar. Ausgangspunkt sollte allerdings ein Unterrichtsgang in einen angrenzenden Park darstellen. Die SchülerInnen sollten sich Zeit nehmen, den Park mit allen Sinnen zu erleben. Sie können, angeregt durch die Lehrkraft, bewusst auf die Geräusche hören, Dinge erfühlen, Personen im Park beobachten. Ihre Lesetagebücher eignen sich hervorragend zur Dokumentation dieser Parkerlebnisse. Die Kinder können sich auch Skizzen vom Park machen, um diese dann als Vorlage für ihr Stimmungsbild zu verwenden. Wieder in der Klasse überlegen sich die SchülerInnen ein Gefühl, das sie entweder mit dem eigenen Spaziergang im Park verbunden oder aus der Gefühlswörterkiste 8
Alexandra Ritter: Stimmen und Stimmungen im Park gezogen haben. Sie sollen nun ihre Parkskizze so verfremden, dass die gefühlte Stimmung zum Ausdruck kommt. Zum besseren Verständnis kann sich gegebenenfalls noch einmal über die Möglichkeiten der Verfremdung im Buch ausgetauscht werden. Eine Zusammenarbeit mit dem Fach Gestalten zur Umsetzung des Stimmungsbildes mit Wasserfarben bietet sich hier an. Sollte dies nicht möglich sein, kann alternativ, wie im Beispiel von Leon, auch mit Buntstiften gearbeitet werden. Zur Zwischenbilanzierung können auch gelungene Verfremdungen der Kinder vorgestellt werden, die für die anderen SchülerInnen noch einmal neue Impulse zur Gestaltung geben können. Nach der Gestaltung sollten die Bilder ausgestellt und gegebenenfalls von den Kindern dokumentiert werden. Das Stimmungsbild von Leon Baustein 6 – Eine Stimme darstellen Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Buch können abschließend die einzelnen Stimmen mit ihrer ganz besonderen Sichtweise des Spaziergangs im Park als szenisches Spiel dargestellt werden. Vier Gruppen beschäftigen sich jeweils mit einer Stimme. Je nach zeitlichem Rahmen können die SchülerInnen die Dialoge selbst sprechen oder eine ErzählerIn wählen, die vorliest, während die anderen Gruppenmitglieder die Szene darstellen. Sollten viele Kinder in einer Gruppe sein, besteht auch die Möglichkeit die Szenen mittels Orffinstrumenten noch zu untermalen. Die Klasse kann gemeinsam überlegen, welche Punkte notwendig für die szenische Darstellung einer Figur sind. Hinweise wie „sich den Ablauf überlegen, Spieler auswählen, musikalische Gestaltung bedenken, Szene mehrmals durchspielen und ggf. Kulissen und Kostüme gestalten“ können helfen die Gruppenarbeit zu strukturieren. Eine öffentliche Aufführung der Szenen, zu der auch Eltern und Freunde eingeladen werden können, wäre als Abschluss einer ganzen Einheit zu diesem Bilderbuch denkbar. Vorher sollten die Szenen aber schon der Klasse gezeigt 9
Alexandra Ritter: Stimmen und Stimmungen im Park worden sein. Die SchülerInnen können gegenseitig einschätzen, ob die Stimmung der einzelnen Personen richtig vermittelt wurde und ggf. noch Tipps für die weitere Arbeit geben. Fazit Das Bilderbuch „Stimmen im Park“ hat mehr zu bieten, als die bloße Vermittlung einer Handlung in Texten und Bildern. Es herrscht ein spannungsreicher Bild-Text- Zusammenhang 11 , der eine gesonderte Betrachtung der Bilder oder des Textes nicht möglich macht. Beide sind miteinander verwoben. Dadurch wird das Bilderbuch zu einem anspruchsvollen, ganzheitlich erfahrbaren literarischen Werk, das die imaginäre Grenze des Genre ‚Bilderbuch’ als Erstlesemedium überschritten hat. Es bietet viele Anknüpfungspunkte, die für eine dritte oder vierte Klasse interessant und anregend sein können. Dabei lohnt es sich den Kindern unterschiedliche Zugänge zum Bilderbuch anzubieten. Es sollten rational-analysierende und ästhetische Umgangsformen eine Rolle spielen. Auch im neuen Lehrplan Deutsch der Grundschule in Sachsen-Anhalt wird in den prozessbezogenen Kompetenzen des Fachlehrplans Deutsch dieser Anspruch deutlich. Dort finden sich die Kompetenzen des ‚Reflektierens’ des ‚Vorstellungen bildens’ 12 . Im ‚Reflektieren’, welches immer mit dem Analysieren einhergeht, sollen die Kinder Begründungen finden. Sie fragen nach dem Warum. Im ‚Vorstellungen bilden’ wiederum sollen die Schüler die ästhetisch- ganzheitliche Seite der Sprache entdecken. Sie sollen sinnlich wahrnehmen, sich kreativ entfalten und sich in andere hineinversetzen. Genau diese beiden Zugriffsweisen der Kinder werden in den vorgestellten Bausteinen aufgegriffen und können, wie z.B. am Text von Max deutlich geworden, auch zu persönlich bedeutsamen Schrift- und Leseerfahrungen werden. Literatur: Block, Iris: Lesetagebücher im 2. Schuljahr. Beobachtungen zur Leseförderung und zum frühen literarischen Lernen. In: Grundschulunterricht 2004, H. 11, S. 27-34 Browne, Anthony: Stimmen im Park, übersetzt von Peter Baumann. Oldenburg: Lappan Verlag, 1998 Doonan, Jane: Stimmen im Park und Stimmen im Schulzimmer. Rezeptionsbezogene Analyse von Anthony Brownes „Stimmen im Park“ (1998). In: Thiele, Jens: Das Bilderbuch. Ästhetik – Theorie – Analyse – Didaktik – Rezeption. 2. erw. Aufl., Oldenburg: Isensee, 2003, S. 142-156 Haas, Gerhard; Menzel Wolfgang; Spinner, Kaspar H.: Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht. Basisartikel. In: Praxis Deutsch, 1994, H. 123, S. 17-25 Kaul, Maria: Unser Seelenvogel möchte unser Begleiter und Helfer sein. Wie ein Kinderbuch das freie Schreiben anregte. In: Grundschulunterricht 2001, H. 7-8, S. 17-21 Kohl, Eva-Maria: Geschichtengrammatik. Oder: Wenn Geschichten über sich selbst sprechen. In: Die Grundschulzeitschrift 204/2007, S. 22-25 Kretschmer, Christine: Bilderbücher in der Grundschule. Berlin: Volk und Wissen Verlag, 2003 Kultusministerium Sachsen-Anhalt: Lehrplan Grundschule. Fachlehrplan Deutsch 2007 Thiele, Jens: Das Bilderbuch. Ästhetik – Theorie – Analyse – Didaktik – Rezeption. 2. erw. Aufl., Oldenburg: Isensee, 2003 Quelle: Stimmen und Stimmungen im Park. Zum ästhetischen Umgang mit einem Bilderbuch in der vierten Klasse. In: Landesinstitut für Lehrerfortbildung, Lehrerweiterbildung und Unterrichtsforschung in Sachsen-Anhalt LISA: Lesefutter 2008. Literatur aus Sachsen-Anhalt. Halle/Saale: 2008 11 vgl. Thiele 2003, S. 42 ff. 12 vgl. Kultusministerium Sachsen-Anhalt: Fachlehrplan Deutsch, S. 7 10
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