The principles between us - Kollegiale ethische Fallreflexion für die Kinder- und Jugendhilfe

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Prof. Dr. Tobias Nickel-Schampier*

The principles between us – Kollegiale ethische Fallreflexion
für die Kinder- und Jugendhilfe
Der Kinder- und Jugendhilfe kommt im Kontext der Hilfen          wusst an fachliche Akteurinnen der Kinder- und Jugendhilfe
zur Erziehung eine enorme interventionelle Expertise zu, die     und insbesondere an diejenigen, die im interventionsreichen
mit einer besonderen Sorgfaltspflicht einhergeht:                Kontext der Hilfen zur Erziehung (HzE) tätig sind. Es geht
Sie hat nach innen dafür Sorge zu tragen, dass die ethisch mo-   einerseits darum, aufzuzeigen, warum die regelmäßige Im-
ralische Integrität sozialarbeiterischen Tuns durch die sorg-    plementierung einer dezidiert ethischen kollegialen Fallbe-
same kollegiale Reflexion und Prüfung etwaiger Entscheidun-      ratung für diesen Kontext so bedeutsam ist, und andererseits
gen und Maßnahmen regelmäßig gewährleistet wird. Diese           darum, ein konkretes Schema kollegialer ethischer Fallbera-
Forderung wird auch durch die Studie von Como-Zipfel ua,         tung vorzustellen, das Sozialarbeiterinnen bei Herausforde-
unterstrichen, die einen ausgeprägten Bedarf an einer ethi-      rungen und konflikthaften Bewertungsprozessen als rahmen-
schen Beratschlagung im beruflichen Alltag feststellt. Auf-      de Reflexionsfolie kollegialen Austauschs dienen soll. Auf
grund der immensen Bedeutung von ethischen Problemla-            die Genese der die kollegiale Fallberatung rahmenden ethi-
gen und deren Thematisierung ist der Umstand zu beklagen,        schen Prinzipien mittlerer Reichweite kann im Rahmen des
dass ethische Fallbesprechungen in der Praxis selten regel-      Beitrags nur verkürzt und skizzenhaft eingegangen werden.
haft implementiert sind.                                         Weiterführende und vertiefende Literatur, auf die im Beitrag
                                                                 hingewiesen wird, wird für eine kritische Reflexion und ge-
Der vorliegende Beitrag möchte aufzeigen, warum regelmä-         lingende Aneignung dringend empfohlen.
ßige ethische kollegiale Fallberatungen wichtig sind, und ein
konkretes Schema kollegialer ethischer Fallberatung vorstel-
                                                                 II. Relevanz ethischer Fragen in der Praxis
len, das Sozialarbeiterinnen (m/w/d**) als stützende Reflexi-
onsfolie kollegialen Austauschs dienen soll.                     Wenn Sozialarbeiterinnen in eine Arbeitsbeziehung mit den Ad-
                                                                 ressatinnen treten, nehmen sie häufig weitreichenden Einfluss
I. Einleitung                                                    auf deren Lebenslage. Die Privatsphäre, Bedürfnisse, Rechte,
                                                                 Interessen und Einstellungen der Adressatinnen werden regel-
Sozialarbeiterinnen kommt im Rahmen ihrer Berufsausübung
                                                                 mäßig tangiert, wenn Sozialarbeiterinnen bspw. im Rahmen
ein immens hohes Maß an Verantwortung zu:
                                                                 von HzE Hausbesuche durchführen, pragmatische Unterstüt-
Sie sind aufgefordert, Verhaltensweisen zu beobachten und zu     zung bei der Alltagsbewältigung leisten oder gar Einstellun-
diagnostizieren, sie bewerten Einstellungen, prognostizieren     gen zu beruflichen Zielen oder der Erziehung infrage stellen.2
Entwicklungsaussichten und intervenieren in zuvor als gefähr-
                                                                 Soziale Arbeit ist in diese Bestimmungs- und Deutungspro-
dend beurteilte Lebenslagen. Die Trag- und Reichweite der
interventionellen Expertise Sozialer Arbeit ist also immens.1    zesse – exemplarisch sei für den Kontext der HzE auf das
                                                                 Hilfeplanverfahren des SGB VIII verwiesen – obligatorisch
Dies gilt in besonderem Maß für Sozialarbeiterinnen im Be-       eingebunden.
reich der Kinder- und Jugendhilfe. Denn zu den og Heraus-
forderungen kommen empirische Ungewissheiten hinzu, die          Coester weist diesbezüglich auf die normative Relevanz hin,
zu erheblichen Unsicherheiten auf der normativen Ebene füh-      die mit der enormen interventionellen Reichweite fachlicher
ren. In empirischer Hinsicht ist es entsprechend vergleichs-     Akteurinnen der Kinder- und Jugendhilfe einhergeht. Ihm zu-
weise unsicher, zu welchem zukünftigen Wesen sich der ge-        folge ist eine der zentralen Herausforderungen im Zuge von
genwärtige junge Mensch hin entwickeln wird. Vor dem Hin-        Gefährdungseinschätzungen, dass diese im Einzelfall nicht oh-
tergrund dieser prognostischen Unsicherheiten ist es in nor-     ne Werturteil zu bestimmen sind, in das neben gesellschaftli-
mativer Hinsicht bspw. fraglich, welche Art und Reichweite       chem Auffassungswandel vor allem subjektive Vorverständ-
sozialarbeiterischer Intervention verhältnismäßig, dh geeig-     nisse einfließen.3
net, erforderlich und angemessen ist.
Aus diesen Gründen ist es wichtig, die im Rahmen von Ein-        *    Der Verf. lehrt Ethik der Sozialen Arbeit und weitere Module an der Hoch-
schätzungs-, Wertungs- und Deutungsprozessen herausgefor-        **
                                                                      schule Fresenius, Studiengang Soziale Arbeit, Standort Hamburg.
                                                                      Alle Geschlechter sind gemeint. Zugunsten der besseren Lesbarkeit wird den
derten ethischen Reflexionsinstrumente von Sozialarbeiterin-          Veröffentlichungsvorgaben der Zeitschrift entsprechend jeweils in einem
nen der Kinder- und Jugendhilfe sowohl prinzipiell als auch           Beitrag durchgängig entweder nur die männliche oder nur die weibliche Form
konkret zu fördern und zu festigen.                                   verwendet.
                                                                 1    Nickel-Schampier neue praxis 2020, 75.
Der vorliegende Beitrag sucht der Relevanz konkreter Förde-      2    Nickel-Schampier neue praxis 2020, 75 (76 f.).
rung der ethischen Sensibilität und Reflexionskompetenz von      3    Coester JAmt 2008, 1 (4); Vgl. hierzu auch von Spiegel Methodisches Han-
                                                                      deln in der Sozialen Arbeit, 2018, 61. Einen Überblick zum Forschungsstand
Sozialarbeiterinnen der Kinder- und Jugendhilfe mehr diskur-          der Urteils- und Entscheidungsfindung, der auch die Wirkmächtigkeit sub-
sive Zuwendung einzuräumen und ist von dem Verständnis                jektiver Vorverständnisse umfasst, geben Freres ua für den Bereich des Kin-
getragen, die pragmatischen Nöte von Sozialarbeiterinnen an           derschutzes (Freres ua neue praxis 2019,140). Insbesondere Thiesen hat
                                                                      diesbzgl. eindrücklich in Erinnerung gerufen, wie wichtig es ist, dass Sozial-
den Ausgangspunkt moralphilosophischer Überlegungen zu                arbeiterinnen ihre eigene Herkunft und deren Einfluss auf den eigenen sozi-
stellen. Entsprechend wendet sich der Fachartikel ganz be-            alberuflichen Habitus kritisch reflektieren (Thiesen Soziale Arbeit 2019, 82).

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NICKEL-SCHAMPIER, KOLLEGIALE ETHISCHE FALLREFLEXION FÜR DIE KINDER- UND JUGENDHILFE

1. Notwendigkeit und Bedarf an ethischer Reflexion                  III. Mittlere ethische Prinzipien
   in der Praxis                                                    Mittlere ethische Prinzipien können als moralische Leitsät-
Die Verantwortung, die Sozialarbeiterinnen in Ansehung der          ze verstanden werden. Ihre Anerkennung ist kulturunabhän-
oben beschriebenen Einflussnahme und Bewertungsprozesse             gig gefordert und sie lassen sich zugleich moralphilosophisch
innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe zukommt, weist nach-          plausibel begründen.
drücklich auf die ethisch-moralische Dimension sozialarbeite-       Ein berufsethisches Konzept, das auf mittlere ethische Prin-
rischen Handelns hin. Diese wird von Sozialarbeiterinnen auch       zipien gründet, hat seit dessen Veröffentlichung nachhaltig
durchaus wahrgenommen, wie die kürzlich von Como-Zipfel             medizinische Moraldebatten befruchtet. Mit dem von Beau-
ua 2019 veröffentlichte Studie belegt.4 Die befragten Fach-         champ/Childress unter dem Titel „Principles of Biomedical
kräfte der Sozialarbeit meldeten zurück, dass ethische Fragen       Ethics“ im Jahre 1979 vorgelegten und mittlerweile in der
und Konflikte nicht nur ausnahmsweise oder hin und wieder           achten Aufl. veröffentlichten Konzept gelang es, den Pro-
vorkämen, sondern einen genuinen Teil des beruflichen All-          zess der ethisch-moralischen Entscheidungsfindung in ärztli-
tags ausmachten.5                                                   chen Handlungssituationen systematisch reflexiv zu rahmen.

Um diese im Rahmen der sozialberuflichen Tätigkeit obliga-          Die von Beauchamp/Childress ausgewiesenen grundsätzli-
                                                                    chen Forderungen an ärztliches Handeln, nämlich der
torisch auftretenden Konflikte bewältigen zu können, ist es
meines Erachtens erforderlich, Sozialarbeiterinnen nicht bloß       •    Respekt vor der Autonomie,
kontinuierlich für die grundsätzliche Reichweite der eigenen        •    das Gebot des Wohltuns,
interventionellen Expertise zu sensibilisieren, sondern sie in      •    die Verpflichtung zum Nicht-Schaden und
ihren ethischen Reflexionskompetenzen konkret zu fördern.           •    die Forderung, Gerechtigkeit walten zu lassen,
Ohne eine entsprechende Kompetenz und zeitliche Ressour-            sind Leitsätze, die sich als systematische Reflexionsfolie kon-
cen für die Reflexion verblieben ethisch relevante Entschei-        flikthafter Fallkonstellationen konkretisieren lassen.
dungsprozesse – und solche sind für die sozialarbeiterische         Kaminsky hat – zusätzlich zu den von Beauchamp/Childress
Praxis obligatorisch – im zufälligen Bereich.6                      formulierten – spezifische Aspekte für die sozialarbeiteri-
                                                                    sche Praxis formuliert, die inzwischen auch Eingang in den
Wie hilfreich und notwendig kollegiale Reflexionen ethischer
                                                                    Ethos-Kodex des Deutschen Berufsverbands für Soziale Ar-
Fragen von Sozialarbeiterinnen erachtet werden, verdeutli-          beit (DBSA) gefunden haben:11
chen die empirischen Ergebnisse der Studie von Como-Zipfel
ua. Das Vorhandensein einer ausformulierten Professionsethik
                                                                    4  Im Rahmen einer Online-Befragung, die sich an Sozialarbeiterinnen mit ab-
und von Leitbildern wird als nicht ausreichend beschrieben.            geschlossener qualifizierter Ausbildung richtete, wurden zwischen dem
Vielmehr gibt es einen ausgeprägten Bedarf an einer ethischen          8.10.2017 und dem 31.1.2018 von weit überwiegend in Deutschland (51,5 %)
Beratschlagung im beruflichen Alltag, um das Konfliktpoten-            und Österreich (47,4 %) arbeitenden Personen 1.314 Fragebögen ausgefüllt.
                                                                       Im Zentrum des von den Autoren entwickelten Fragbogen standen dabei Fra-
zial ethischer Herausforderungen abzumildern.7                         gen 1. nach der Relevanz von Ethik im Berufsalltag, 2. nach der Verbreitung
                                                                       institutionalisierter Formen von ethischen Reflexionen und 3. danach, wie
2. Verbreitung ethischer Reflexion                                     sehr diese bei der Klärung ethischer Fragen in der Praxis helfen können
                                                                       (Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e. V. (DV)/Como-
In Ansehung der immensen Bedeutung von ethischen Prob-                 Zipfel ua Welche Bedeutung hat Ethik für die Soziale Arbeit?, 2019, 23 f.).
lemlagen und deren Thematisierung ist der Umstand zu be-            5 DV/Como-Zipfel ua 43 f., 55 (Fn. 4). Nach vorherrschendem Verständnis wer-
                                                                       den obligatorische Konflikte in der (potenziellen) Konfliktlinie divergierender
klagen, dass ethische Fallbesprechungen in der Praxis selten           Interessen zwischen staatlichem Auftraggeber, Adressatinnen und Sozialarbei-
regelhaft implementiert sind.8                                         terinnen bestimmt. Der bezeichnende Terminus Doppelmandat wurde in den
                                                                       Diskursen Sozialer Arbeit in den 1970er-Jahren verwendet und geht ursprüng-
Auch der jüngst veröffentlichte internationale Forschungs-             lich auf Böhnisch/Lösch zurück (Otto/Schneider/Böhnisch/Lösch Gesellschaft-
überblick von Freres ua konstatiert, dass dezidiert ethisch-           liche Perspektiven der Sozialarbeit, Bd. 2, 1973, 21) zurück. Er bezeichnet ein
                                                                       zentrales Spannungsfeld Sozialer Arbeit, wenn sie potenziell widerstreitende
moralische Reflexionen selten regelhaft stattfinden sowie we-          gesellschaftliche und Adressatinnen bezogene Interessen balancieren soll.
nig reflexiv und kaum ergebnisoffen sind.9                          6 Nickel-Schampier neue praxis 2020, 75 (79).
                                                                    7 Vgl. DV/Como-Zipfel ua 43 f., 55 (56) (Fn. 4).
Diesbezüglich ist zu fordern, ethisch-moralische Reflexionen        8 S. DV/Como-Zipfel ua 43, 44 bis 47 (Fn. 4).
anhand moralischer Prinzipien regelmäßig in kollegiale Be-          9 Freres ua neue praxis 2019,140; in der ermangelnden Adressierung und
                                                                       Sichtbarmachung ethischer Konflikte im Rahmen der Urteils- und Entschei-
ratungssettings zu verstetigen, um fachliche Akteurinnen ent-          dungsfindung besteht im Übrigen mE auch ein Manko in der Forschung (ex-
sprechend sensibilisieren zu können.                                   emplarisch dafür Albrecht ua neue praxis 2016, 107).
                                                                    10 Viele der konzipierten und von einigen Trägern Sozialer Arbeit implementier-
Ethische Reflexionsinstrumente sind dabei mit zwei wichti-             ten Handreichungen oder Modelle, wie zB die Reckahner Reflexionen oder der
gen Anforderungen:                                                     7-Schritte-Dialog von Baumann-Hölzle sind diesbzgl. kritisch zu betrachten.
                                                                       Denn oftmals bleibt es entweder mirakulös, wie ihre Genese zustande kommt
Sie müssen praxistauglich, dh in den Berufsalltag integrierbar,        (Reckahner Reflexionen) oder sie sind derart komplex konzipiert (7-Schritte-
                                                                       Dialog), dass sie sich nur schwerlich in den von Handlungs- und Zeitdruck ge-
sein, um konkrete wie situative ethische Orientierung bieten           prägten Arbeitsalltag regelhaft integrieren lassen (vgl. Deutsches Institut für
zu können. Darüber hinaus muss ihre Genese intersubjektiv              Menschenrechte e. V./Deutsches Jugendinstitut e. V. (DJI)/MenschenRechts-
nachzuvollziehen sein, um die Legitimität etwaiger Reflexi-            Zentrum an der Universität Potsdam/Rochow-Museum und Akademie für bil-
                                                                       dungsgeschichtliche und zeitdiagnostische Forschung e. V. an der Universität
ons- und Entscheidungsprozesse zu gewährleisten.10                     Potsdam Reckahner Reflexionen, 2017, abrufbar unter www.institut-fuer-men-
                                                                       schenrechte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/Weitere_Publikationen/
Aus diesen Gründen wird für die Implementierung eines Refle-           Reckahner_Reflexionen.pdf und Baumann-Hölzle 7-Schritte-Dialog, 2015, ab-
xionsmodells votiert, das auf mittleren ethischen Prinzipien fußt      rufbar unter www.dialog-ethik.ch/medien/alle-downloads/ethische-entschei-
und dafür Sorge tragen soll, etwaige Reflexionsprozesse ethischer      dungsfindung/34-7-schritte-dialog/file, Abruf: jew. 29.6.2021.
                                                                    11 Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e. V. (DBSH) Berufsethik des
Konflikte auch unter realen Bedingungen der Beschleunigung             DBSH, abrufbar unter www.dbsh.de/profession/berufsethik/berufsethik-des-
und Verdichtung von Aufgaben und Anforderungen anzuregen.              dbsh.html, Abruf: 29.6.2021.

Heft 9 / 2021 JAmt                                                                                                                              435
NICKEL-SCHAMPIER, KOLLEGIALE ETHISCHE FALLREFLEXION FÜR DIE KINDER- UND JUGENDHILFE

•     Das Solidaritätsprinzip, das dazu verpflichtet, sich soli-     nen bspw. Sozial-, Kranken- und Rentenversicherungsträger,
      darisch für die Interessen der Adressat*innen einzuset-        öffentliche Institutionen und Kooperationspartnerinnen an-
      zen sowie                                                      derer Professionen sein. Die Interessen, die im Rahmen der
      die Notwendigkeit, die eigene Vorgehensweise trans-            Interaktionen mit Dritten verhandelt werden, können einan-
      parent und nachprüfbar zu machen, also intersubjekti-          der widersprechen und konfligieren. Mit dem Schlagwort des
      ve Nachvollziehbarkeit und Widerspruchsfreiheit (Kohä-         Doppelmandats wurden diese potenziell widerstreitenden In-
      renz) zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang geht            teressen verbegrifflicht und problematisiert, dass im Fall kon-
      es mE insbesondere darum, den Aspekt der Effektivität,         fligierender Interessen zwischen Dritten und Adressatinnen
      den Kaminsky anführt, zu erweitern und bezüglich der           den Interessen Dritter regelmäßig mehr Gewicht beigemessen
•     Verhältnismäßigkeit etwaiger Entscheidungen kritisch zu        wird. Um die moralische Integrität Sozialer Arbeit zu wah-
      prüfen,                                                        ren, ist im Rahmen des Solidaritätsprinzips anzuerkennen und
      wie die Wirkungsfolgen der zur Option stehenden Ent-           zu fordern, dass sich fachliche Akteurinnen mit der gebote-
      scheidungen hinsichtlich                                       nen Vehemenz für die Interessen der Adressatinnen einsetzen.
      ihrer Erforderlichkeit, Geeignetheit und Angemessenheit        •    Verhältnismäßigkeitsprinzip
      zu bewerten sind.12                                                 Sozialarbeiterinnen sind verpflichtet, die Wirkungsfol-
Im Überblick können die Prinzipien wie folgt pointiert werden:13          gen der zur Option stehenden Entscheidungen hinsicht-
                                                                          lich ihrer Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemes-
•     Autonomieprinzip
                                                                          senheit sorgfältig abzuwägen.
      Sozialarbeiterinnen sind verpflichtet, die Selbstbestim-
      mung der Adressatinnen zu achten und ihre Autonomie            Entscheidungen und Maßnahmen, die in die selbstbestimmte
      zu fördern.                                                    Lebensführung der Adressatinnen eingreifen, müssen – was
                                                                     ja auch rechtlich gefordert ist – in besonderer Weise dahinge-
Das Prinzip beinhaltet die Verpflichtung von fachlichen Ak-
                                                                     hend geprüft werden, ob die infrage stehende Entscheidung
teurinnenn, die Fähigkeit von Adressatinnen zu selbstbe-
                                                                     oder Maßnahme ein Mittel ist, das zur Erreichung des ange-
stimmtem Agieren anzuerkennen und zu fördern. Es schließt
                                                                     strebten Zwecks tauglich ist (Geeignetheit). Es ist ferner zu
also sowohl das Verbot, eigenständige Entscheidungsprozesse
                                                                     prüfen, ob der Zweck nicht auch durch eine gleich geeignete,
der Adressatinnen zu behindern oder zu übergehen, als auch
                                                                     aber weniger belastende Maßnahme erreicht werden könnte
das Gebot ein, Adressatinnen in ihrem selbstbestimmten Agie-
                                                                     (Erforderlichkeit). Darüber hinaus ist zu prüfen, ob der Zweck
ren zu fördern und zu unterstützen.
                                                                     der infrage stehenden Maßnahme und die mit der Maßnah-
•     Prinzip des Nichtschadens                                      me einhergehenden Auswirkungen in einem zu rechtfertigen-
      Sozialarbeiterinnen dürfen Adressatinnen kein Übel zu-         den Verhältnis stehen. Je intensiver eine Maßnahme und de-
      fügen und die Schädigung ihrer berechtigten Interessen         ren Auswirkungen die Lebensführung tangieren, umso ge-
      nicht in Kauf nehmen.                                          wichtiger und dringlicher muss der Zweck sein, der dadurch
Das Prinzip beinhaltet die negative Verpflichtung – also das         gefördert oder geschützt werden soll (Verhältnismäßigkeit).
Verbot –, Rechte oder berechtigte Interessen der Adressatin-
                                                                     1. Mittlere ethische Prinzipien in der Anwendung
nen zu verletzen bzw. zu missachten. Im Rahmen ihrer Berufs-
ausübung haben fachliche Akteurinnen ferner auch die infol-          Wenn Konflikte und schwierige Situationen in der Berufspra-
ge der asymmetrischen Rollenverteilung besondere Verwund-            xis auftreten, wie zB in Form konfligierender Interessen zwi-
barkeit der Adressatinnen zu berücksichtigen. Entsprechend           schen staatlichem Auftraggeber, Adressatinnen und Sozialar-
haben sie zu beachten, dass ihr Wirken keine zusätzlichen Ir-        beiterinnen, kann unter Bezugnahme auf die weiter oben an-
ritationen, Ängste oder Verunsicherungen auslöst.                    geführten empirischen Befunde von einem dringenden Be-
                                                                     darf an ethischer Reflexion und nach kollegialem Austausch
•     Fürsorglichkeitsprinzip                                        ausgegangen werden.14
      Sozialarbeiterinnen sind verpflichtet, im wohlverstande-
      nen Interesse der Adressatinnen zu handeln.                    Exemplarisch für solche Konflikte lässt sich die Beauftragung
                                                                     von Sozialarbeiterinnen eines freien Trägers anführen, unan-
Fachliche Akteurinnen werden mit diesem Gebot positiv dazu           gekündigte Hausbesuche im Rahmen einer Sozialpädagogi-
verpflichtet, Handlungen und Maßnahmen durchzuführen, die            schen Familienhilfe (SPFH) zur Feststellung bzw. Verhinde-
den wohlverstandenen Interessen, insbesondere konkreteren            rung einer vermuteten Kindeswohlgefährdung durchzuführen.
Gütern der individuellen sozialen Lebensführung und Exis-
                                                                     Derlei Kontexte stellen eine erhebliche ethisch-moralische
tenzsicherung, förderlich sind. Das Fürsorglichkeitsprinzip er-
                                                                     Herausforderung dar, denn neben der offenkundigen Beein-
gänzt insbesondere das Autonomieprinzip dahingehend, dass
die Orientierung an objektivierbaren Gütern des Wohls dann
                                                                     12 Kaminsky Soziale Arbeit – normative Theorie und Professionsethik, 2018,
geboten ist, wenn subjektive Präferenzen gegenwärtig nicht
                                                                        188 f.; s.a. Nickel-Schampier EthikJournal 2015, 1.; es geht also, das Effek-
mehr (zB im Fall demenzieller Erkrankungen) oder noch nicht             tivitätsprinzip von Kaminsky erweiternd, um eine kritische Bezugnahme auf
(zB bei jungen Kindern) eingeholt werden können.                        den Aspekt der Wirkung pädagogischer Handlungen. Dessen Anwendung
                                                                        sollte von einem Verständnis getragen sein, dass es Beweise für allgemeine
•     Solidaritätsprinzip                                               Wirkzusammenhänge sozialarbeiterischen Handelns nicht geben kann. Der
      Sozialarbeiterinnen sind verpflichtet, sich solidarisch für       Anspruch an Wirkungsforschung wäre daher eher, sich an eine (bis dato) be-
                                                                        währte sozialarbeiterische Praxis anzunähern (Thaler neue praxis 2019,165
      die Interessen ihrer Adressatinnen einzusetzen.                   [176]).
Das Solidaritätsprinzip weist auf die Besonderheit des sozi-         13 S.a. Kaminsky 186 ff. (Fn. 12).
                                                                     14 Vgl. Kohlfürst Die moralische Landschaft in der Sozialen Arbeit – eine em-
alberuflichen Kontexts hin, der darin besteht, sowohl mit den           pirische Analyse der Umsetzung von Werten und Normen im beruflichen All-
Adressatinnen als auch mit Dritten zu interagieren. Dritte kön-         tag, 2016, 108 f.

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NICKEL-SCHAMPIER, KOLLEGIALE ETHISCHE FALLREFLEXION FÜR DIE KINDER- UND JUGENDHILFE

trächtigung elterlicher Autonomie und Privatsphäre besteht         3. Aufbau und Ablauf der kollegialen ethischen
die Herausforderung eines erschwerten Vertrauensaufbaus,              Fallreflexion
der in entsprechend interventionsreichen hard-to-reach-Kon-
texten ohnehin besonders fragil ist.15                             a) Fallanalyse
Eine prinzipienbasierte ethische Fallbesprechung sollte in sol-    Zu Beginn der Reflexion werden die og Prinzipien den teilneh-
chen Situationen sowohl den kritisch-reflexiven Austausch          menden Fachkräften zugeordnet (bestenfalls eines pro Fach-
fördern als auch konkrete ethische Orientierung bieten.            kraft), die gewissermaßen als Stellvertreterinnen der jeweili-
                                                                   gen Prinzipien während des Reflexionsprozesses fungieren.
2. Kollegiale ethische Fallreflexion                               Demgemäß nimmt eine Fachkraft, die das Autonomieprinzip
Eine kollegiale ethische Fallreflexion kann vor diesem Hin-        vertritt, durchgehend eine autonomiebasierte Perspektive ein
tergrund sinnvoll so strukturiert werden, dass nach einer ein-     und formuliert entsprechende Positionen und Fragestellungen.
leitenden Fallvorstellung die relevanten Fallinformationen         Nach einer prägnanten Fallvorstellung der fallführenden Fach-
im Licht der Prinzipien spezifiziert und anschließend etwa-        kraft, die auch die zentrale ethische Fragestellung enthält, kön-
ige Tendenzen abwägend reflektiert und gewichtet werden.           nen Rückfragen an die fallvorstellende Fachkraft gestellt wer-
Der mE unbestreitbare Vorteil einer prinzipienbasierten ethi-      den. In dem exemplarischen Fall unangekündigter Hausbesu-
schen Fallreflexion liegt darin, dass – im Zuge der Spezifi-       che im Rahmen einer vermuteten Kindeswohlgefährdung lie-
zierung – die jeweiligen gleichrangigen Prinzipien mit fall-       ße sich bspw. die zentrale ethische Frage formulieren, wie der
spezifischen Informationen angereichert werden und auf die-        vorrangige Schutz des Kindes und der Respekt der elterlichen
se Weise situativ konkretisiert werden können.                     und familialen Autonomie im Einzelfall miteinander abgewo-
Im Mittelpunkt des Modells steht folglich die ethische Re-         gen werden (können)? Erforderlich ist es aus fachlicher wie
flexion und Argumentation der an einem Entscheidungspro-           ethischer Sicht, die betroffenen Adressatinnen in die Vorberei-
zess Beteiligten.                                                  tung der Reflexion einzubeziehen und ihre Perspektiven einzu-
Johnson hat diesbezüglich darauf hingewiesen, dass in die-         holen, damit diese angemessen in den Reflexionsprozess ein-
sem Prozess genau genommen keine Prinzipien abgewogen              gebracht werden können. Dies gilt gleichwohl nicht für Kons-
werden, sondern die jeweiligen Fallumstände.16                     tellationen, in denen eine adäquate Vorbereitung aufgrund der
Bildlich gesprochen werden mit Rauprich also nicht die Prin-       Dringlichkeit nicht möglich ist oder die Reflexion darauf ab-
zipien in die Waagschalen einer Entscheidungsfindung ge-           zielt, eine angemessene Kontaktgestaltung auszuloten.
worfen, sondern sie stellen die Waagschalen dar, auf denen         b) Spezifizierung der Prinzipien
die konkreten fallspezifischen Umstände reflexiv abgewogen         In diesem Prozessschritt geht es – an die Fallvorstellung an-
werden.17 Lindenau/Meier Kressig verstehen diesen Reflexi-         knüpfend – um die fallspezifische und prinzipienbasierte An-
onsprozess unter Bezugnahme auf das Überlegungsgleich-
                                                                   reicherung von ethischen wie fachlichen Gesichtspunkten. Da-
gewicht von Rawls als ein „Hin- und Hergehen“ zwischen a)
                                                                   für bringen die Kolleginnen ihre Perspektive zu den vorlie-
erfahrungsgesättigter Urteilskraft und b) fachlichen Kennt-
                                                                   genden Fallinformationen ein, die vom Verständnis ihres je-
nissen vor dem Hintergrund von c) ethischen Prinzipien.18
                                                                   weiligen Prinzips getragen ist. Für das exemplarische Beispiel
Wendet man diese Lesart auf die prinzipienbasierte Fallre-
                                                                   ließe sich aus Sicht des Autonomieprinzips bspw. formulie-
flexion an, kommt mittleren ethischen Prinzipien die Funk-
                                                                   ren, dass ungekündigte Hausbesuche aus elterlicher Sicht als
tion einer verknüpfenden Folie zwischen den unterschiedli-
                                                                   weitreichende Eingriffe aufgefasst, als Vertrauensbruch ge-
chen Wissenssorten zu.
                                                                   wertet und mit vehementem Widerstand beantwortet werden
Nach meinem Dafürhalten bietet das Überlegungsgleichge-            könnten. Diesbezüglich ist nochmals das Erfordernis zu be-
wicht im Kontext der HzE immense Potenziale für teambe-            tonen, die Perspektiven der betroffenen Adressatinnen einzu-
zogene Beratschlagungsprozesse.                                    holen und unter Bezugnahme auf das Autonomieprinzip ein-
Entsprechend lässt sich das Überlegungsgleichgewicht als ei-       zubringen. Die Perspektive des Nichtschadensprinzip ließe
ne „Sache der gegenseitigen Stützung vieler Erwägungen, des        den Fokus auf unterschiedliche Schadensdimensionen richten
Zusammenstimmens zu einer einheitlichen Auffassung“19 be-          und problematisieren, welche potenziellen Schäden und Scha-
schreiben. Es geht im Rahmen der ethischen Fallreflexion al-       densgrößen von der Durchführung unangekündigter Hausbe-
so sowohl um ein individuelles als auch ein kollektives Über-      suche für die verschiedenen Familienmitglieder, die konkre-
legungsgleichgewicht, die kontinuierlich miteinander interfe-      te Hilfebeziehung und das Verhältnis zwischen Familie und
rieren (sollen). Denn eine gemeinsam getragene Entscheidung
bedarf – darin folge ich Lindenau/Meier Kressig – einer vor-       15 Insbesondere in dem von Huxoll/Kotthaus hrsg. Band wurden die empiri-
gängigen Deliberation, in der die Präferenzen der Beteiligten         schen wie ethischen Implikationen von Zwangskontexten in der Kinder- und
veränderbar sind, sich also einander annähern und dissoziie-          Jugendhilfe in den Blick genommen und diskutiert (Huxoll/Kotthaus Macht
                                                                      und Zwang in der Kinder- und Jugendhilfe, 2012).
ren.20 Dass im Rahmen eines solchen Verfahrens kollegialer
                                                                   16 Johnson zit. nach Rauprich/Steger/Rauprich Prinzipienethik in der Biome-
Reflexions- und Entscheidungsprozesse gruppendynamische               dizin, 2005, 11 (24).
und Machteinwirkungen eine Rolle spielen, ist derlei Settings      17 Rauprich/Steger/Rauprich 11 (25) (Fn. 16).
immanent. Der vorliegende Entwurf eines ethischen Reflexi-         18 Lindenau/Meier Kressig knüpfen die Legitimität „wohlerwogener Urteile“
                                                                      an notwendige Bedingungen wie zB deren Fallbezogenheit und intersubjek-
onsmodells ist diesbezüglich von dem Verständnis getragen,            tive Überprüfbarkeit. Die fachlichen Kenntnisse, die Lindenau/Meier Kres-
Teams im alltäglichen Praxisvollzug in die Lage zu versetzen,         sig als nichtmoralische Hintergrundannahmen bezeichnen, korrespondieren
divergierende Auffassungen zu konfligierenden Situationen und         mit dem jeweiligen Kontext und der konkreten Fallkonstellation (Lindenau/
                                                                      Meier Kressig Zeitschrift für praktische Philosophie 2019, 117 (129 f.).
Fallkonstellationen kritisch-reflexiv thematisieren zu können
                                                                   19 Rawls Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979, 628.
und als bereichernd zu verstehen, um auf diese Weise zu sorgfäl-   20 Vgl. Lindenau/Meier Kressig Zeitschrift für praktische Philosophie 2019, 117
tigeren und ethisch tragfähigeren Entscheidungen zu kommen.           (132).

Heft 9 / 2021 JAmt                                                                                                                           437
NICKEL-SCHAMPIER, KOLLEGIALE ETHISCHE FALLREFLEXION FÜR DIE KINDER- UND JUGENDHILFE

dem institutionalisierten Gefüge der Kinder- und Jugendhil-          ale Beratungssettings einbezogen werden, um fachliche Ak-
fe einhergehen.                                                      teurinnen entsprechend sensibilisieren zu können.
c) Ethische Fallreflexion                                            Ohne die Implementierung obligatorischer kollegialer ethi-
Um in der gebotenen Kürze zumindest anzudeuten, welche               scher Reflexionsinstrumente ist diese zentrale Herausforde-
Reflexionsräume eine kollegiale ethische Fallreflexion eröff-        rung einer inneren ethisch-normativen Rahmung der Kinder-
net, soll auch hier auf das oben angeführte Beispiel zurück-         und Jugendhilfe nicht zu bewältigen.
gegriffen werden. Entsprechend ließe sich unter Bezugnahme           Die im Rahmen dieses Artikels vorgestellte kollegiale ethische
auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip bspw. reflektieren, ob die       Fallreflexion legt den Fokus nicht lediglich auf die (selbst-)kri-
erwartbaren günstigen Wirkungen unangekündigter Hausbe-              tische Reflexion von Sozialarbeiterinnen, sondern darüber hin-
suche in dem konkreten Fall zB für den Schutz des Kindes-            aus auf die ethische Begründbarkeit sozialarbeiterischen Tuns.
wohls – (Nichtschadens- und Fürsorglichkeitsprinzip) in ei-          Für eine moralisch integre Kinder- und Jugendhilfe braucht
nem angemessenen Verhältnis zu den negativen Wirkungen               es beide Dimensionen:
zB hinsichtlich der elterlichen Autonomie und des potenziell
                                                                     Sowohl die ethische Begründbarkeit für die Legitimation
beschädigten Vertrauens der Hilfebeziehung – stehen (Auto-
                                                                     als auch eine selbstkritisch-reflexive Beratschlagung fach-
nomie-, Nichtschadensprinzip) und nicht geeignetere, weni-
                                                                     licher Akteurinnen für die Glaubwürdigkeit sozialarbeiteri-
ger invasive Maßnahmen denkbar seien.
                                                                     schen Tuns.
Darüber hinaus böte die prinzipienbasierte Fallreflexion auch
                                                                     Die kollegiale ethische Fallreflexion besitzt das Potenzial, die
die Möglichkeit zu reflektieren, wie als notwendig erachtete
                                                                     dafür nötige kritisch-reflexive Prüfung eigener Bewertungen
unangekündigte Hausbesuche durchgeführt werden sollten,              und der zugrundeliegenden professionellen Haltung zu stüt-
um die zweifelsohne tangierte elterliche Autonomie zu achten         zen und zu rahmen.
(zB durch größtmögliche Transparenz bzgl. der kollegialen
Beratschlagung und über Art und Dauer etwaiger Handlungs-
                                                                       Anhang
schritte sowie die Vermittlung an etwaige Ombudsstellen).
Die Vorteile der gemeinsamen ethischen Fallreflexion liegen            Kollegiale ethische Fallreflexion
also insbesondere darin, auf substanzieller Ebene die Ent-             I. Schema
scheidung über die Intervention selbst zu überprüfen – im Bei-
                                                                       1. Fallanalyse/Intro (ca. 15 Min.)
spiel hieße das ua zu beratschlagen, ob es auch andere mildere         • Zuteilung der Prinzipien (Pro Prinzip eine Prinzipexpertin)
Möglichkeiten gibt, das Kind zu schützen? – Und auf instru-            • Fallvorstellung der fallverantwortlichen Fachkraft und
menteller Ebene reflektieren zu können, wie im Fall einer In-             Frageformulierung
tervention zum Schutz des Kindeswohls mit den Familienmit-             • Fallbezogene Rückfragen
gliedern umgegangen werden sollte – also zu eruieren, welche
                                                                       2. Spezifizierung der Prinzipien (ca. 20 Min.)
konkreten Handlungsschritte und Settings angemessen wären?
                                                                       • Anreicherung der Prinzipien mit den fallspezifischen In-
Die reflexive Bezugnahme auf moralische Prinzipien Sozialer               formationen
Arbeit soll jedenfalls die habituell intendierte ethische Refle-       • Perspektivwechsel: Austausch über die jeweiligen prinzi-
xions- und Entscheidungskompetenz fachlicher Akteurinnen                  pienbezogenen Perspektiven auf den Fall (durch die Prin-
anregen, rahmen und die Plausibilität entsprechender Argu-                zipexpertinnen)
mente und Begründungen begünstigen.                                    3. Ethische Fallreflexion (ca. 25 Min.)
Die Qualität ethisch-moralischer Reflexionen hängt demzu-              • Prinzipienorientierte Fallreflexion und abwägende Ge-
folge in erheblichem Maß davon ab, ob und inwiefern diese                 wichtung von Entscheidungsoptionen bzw. -tendenzen
regelmäßiger Bestandteil kollegialer Beratungsprozesse sind.           • Ausblick: Optionen des weiteren Vorgehens

                                                                       II. Kurzüberblick Prinzipien
IV. Fazit
                                                                       •   Autonomieprinzip
Die Kinder- und Jugendhilfe sieht sich in Ansehung ihrer weit-             Sozialarbeiterinnen sind verpflichtet, die Selbstbestim-
reichenden interventionellen Befugnisse im Kontext der Hil-                mung der Adressatinnen zu achten und ihre Autonomie zu
fen zur Erziehung mit einer zentralen – vornehmlich ethisch-               fördern.
normativen – Herausforderung konfrontiert:
                                                                       •   Prinzip des Nichtschadens
Sie hat nach innen dafür Sorge zu tragen, dass die ethisch mo-             Sozialarbeiterinnen dürfen Adressatinnen kein Übel zufü-
ralische Integrität sozialarbeiterischen Tuns durch die sorgsa-            gen und die Schädigung ihrer berechtigten Interessen
me kollegiale Reflexion und Prüfung etwaiger Entscheidun-                  nicht in Kauf nehmen.
gen und Maßnahmen regelmäßig gewährleistet wird.                       •   Fürsorglichkeitsprinzip
Diese Forderung bestätigt die Studie von Como-Zipfel ua, die               Sozialarbeiterinnen sind verpflichtet, im wohlverstande-
einen ausgeprägten Bedarf an einer ethischen Beratschlagung                nen Interesse der Adressatinnen zu handeln.
im beruflichen Alltag feststellt.                                      •   Solidaritätsprinzip
                                                                           Sozialarbeiterinnen sind verpflichtet, sich solidarisch für
In Ansehung der immensen Bedeutung von ethischen Prob-                     die Interessen ihrer Adressatinnen einzusetzen.
lemlagen und deren Thematisierung ist der Umstand zu be-
                                                                       •   Verhältnismäßigkeitsprinzip
klagen, dass ethische Fallbesprechungen in der Praxis selten
                                                                           Sozialarbeiterinnen sind verpflichtet, die Wirkungsfolgen
regelhaft implementiert sind.
                                                                           der zur Option stehenden Entscheidungen hinsichtlich ih-
Diesbezüglich ist zu fordern, dass ethisch-moralische Refle-               rer Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit
xionen anhand moralischer Prinzipien regelmäßig in kollegi-                sorgfältig abzuwägen.

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