Vernooij, Monika A. Ada Sasse: Sonderschüler und Sonderschulen im ländlichen Bereich. Zwischen Tradition und Moderne. Bad Heilbrunn: Klinkhardt ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Vernooij, Monika A. Ada Sasse: Sonderschüler und Sonderschulen im ländlichen Bereich. Zwischen Tradition und Moderne. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2005. 207 S., 28,00 EUR [Rezension] Zeitschrift für Pädagogik 52 (2006) 6, S. 908-912 urn:nbn:de:0111-opus-50134 in Kooperation mit / in cooperation with: http://www.beltz.de Nutzungsbedingungen / conditions of use Gewährt wird ein nicht exklusives, nicht übertragbares, persönliches und beschränktes Recht auf Nutzung dieses Dokuments. Dieses Dokument ist ausschließlich für den persönlichen, nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt. Die Nutzung stellt keine Übertragung des Eigentumsrechts an diesem Dokument dar und gilt vorbehaltlich der folgenden Einschränkungen: Auf sämtlichen Kopien dieses Dokuments müssen alle Urheberrechtshinweise und sonstigen Hinweise auf gesetzlichen Schutz beibehalten werden. Sie dürfen dieses Dokument nicht in irgendeiner Weise abändern, noch dürfen Sie dieses Dokument für öffentliche oder kommerzielle Zwecke vervielfältigen, öffentlich ausstellen, aufführen, vertreiben oder anderweitig nutzen. We grant a non-exclusive, non-transferable, individual and limited right to using this document. This document is solely intended for your personal, non-commercial use. Use of this document does not include any transfer of property rights and it is conditional to the following limitations: All of the copies of this documents must retain all copyright information and other information regarding legal protection. You are not allowed to alter this document in any way, to copy it for public or commercial purposes, to exhibit the document in public, to perform, distribute or otherwise use the document in public. Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die Nutzungsbedingungen an. By using this particular document, you accept the above-stated conditions of use. Kontakt / Contact: peDOCS Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft Informationszentrum (IZ) Bildung Schloßstr. 29, D-60486 Frankfurt am Main E-Mail: pedocs@dipf.de Internet: www.pedocs.de
Jahrgang 52 – Heft 6 November/Dezember 2006 Inhaltsverzeichnis Thementeil: Videogestützte Unterrichtsforschung Eckhard Klieme Empirische Unterrichtsforschung: Aktuelle Entwicklungen, theoretische Grundlagen und fachspezifische Befunde. Einleitung in den Thementeil ............... 765 Christine Pauli/Kurt Reusser Von international vergleichenden Video Surveys zur videobasierten Unterrichtsforschung und -entwicklung ................................................................... 774 Tina Seidel/Manfred Prenzel/Rolf Rimmele/Inger Marie Dalehefte/ Constanze Herweg/Mareike Kobarg/Katharina Schwindt Blicke auf den Physikunterricht. Ergebnisse der IPN Videostudie .......................... 798 Katrin Rakoczy Motivationsunterstützung im Mathematikunterricht: Zur Bedeutung von Unterrichtsmerkmalen für die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler ....... 822 Deutscher Bildunsgserver Linktipps zum Thema Unterrichtsqualität .................................................................. 844 Allgemeiner Teil Katharina Maag Merki Risikosubstanzenkonsum und somatische Beschwerden. Ergebnisse einer Längsschnittstudie bei Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufe ... 855 Dokumentation 1 Eckhard Klieme/Detlev Leutner Kompetenzmodelle zur Erfassung individueller Lernergebnisse und zur Bilanzierung von Bildungsprozessen ............................................................. 876 I
Besprechungen Norbert Ricken Klaus Prange: Die Zeigestruktur der Erziehung. Grundriss der Operativen Pädagogik .................................................................................................................... 904 Monika A. Vernooij Ada Sasse: Sonderschüler und Sonderschulen im ländlichen Bereich ...................... 908 Günther Deegener Barbara Kavemann/Ulrike Kreyssig (Hrsg.): Handbuch Kinder und häusliche Gewalt .......................................................................................................... 912 Dokumentation 2 Pädagogische Neuerscheinungen ............................................................................... 916 Beilagenhinweis: Dieser Ausgabe der ZfPäd liegt das Jahresinhaltsverzeichnis 2006 bei. II
908 Besprechungen Ein letztes Wort: Klaus Prange ist mit sei- Prange, K. (2002): Zeigend sich zeigen. Zum nem ‚Grundriss der Operativen Pädagogik‘ Verhältnis von Professionalität und Enga- nicht nur ein produktiver Beitrag zum seit ei- gement im Lehrerberuf. In: Hansel, T. nigen Jahren zunehmenden Diskurs über die (Hrsg.): Lehrerbildungsreform. Leitbilder Form der Pädagogik (vgl. exemplarisch Te- einer alltagstauglichen Lehrerbildung. north 2003 wie jüngst wiederum Pran- Herbolzheim: Centaurus. ge/Strobel-Eisele 2006) gelungen; vielmehr Prange, K. (2004a): Art. Form. In: Benner, D./ stellen seine Überlegungen in zweifacher Wei- Oelkers, J. (Hrsg.): Historisches Wörter- se einen überaus wichtigen allgemeinpädago- buch der Pädagogik. Weinheim/Basel: gischen Beitrag zur Klärung und Präzisierung Beltz, S. 393-408. des Erziehungsbegriffs dar: zum einen, den Prange, K. (2004b): Über die Kunst des Rezen- vielfältigen Schwierigkeiten des Erziehungs- sierens. In: Zeitschrift für Pädagogik, 50. begriffs nicht einfach auszuweichen, sondern Jg., Heft 4, S. 606-612. über die operative Form – und damit weder Prange, K./Strobel-Eisele, G. (2006): Die For- über Intention oder Funktion noch bloß ge- men des pädagogischen Handelns: eine genstandstheoretische Markierungen wie Einführung. Stuttgart: Kohlhammer. ‚Kind‘, ‚Schule‘ oder ‚Unterricht‘ – zu entgeg- Tenorth, H.-E. (2003) (Hrsg.): Form der Bil- nen; und zum anderen, die Form der Erzie- dung – Bildung der Form, Weinheim/Ba- hung mit der Figur des Zeigens zu präzisieren sel: Beltz. und so neue Denk- und Resonanzräume – bis hin zu einer interdisziplinären ‚Theorie des Prof. Dr. Norbert Ricken Zeigens‘ – zu eröffnen. Damit aber löst Prange Universität Bremen, FB Erziehungs- und Bil- ein, was seit Herbart als offene Problematik dungswissenschaften, Bibliothekstraße 1–3, einer ‚einheimischen Begrifflichkeit‘ diskutiert 28359 Bremen wird: die Spezifik des Pädagogischen zu kenn- E-Mail: ricken@uni-bremen.de zeichnen und gegen andere Handlungsformen abzugrenzen. Auch wenn kritische Rückfragen – sei es nun nach inhaltlicher Vertiefung man- Ada Sasse: Sonderschüler und Sonderschulen cher Passagen, sei es nach ausführlicheren bib- im ländlichen Bereich. Zwischen Tradition und liographischen Kontextangaben oder sei es Moderne. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2005. schließlich grundsätzlich, ob denn die Figur 207 S., 28,00 EUR. des Zeigens nicht selbst wiederum auch ‚bloß’ metaphorisch ist – sich immer stellen lassen, Ausgehend von einer Benachteiligung von unbestreitbar scheint mir: dass „mein Vor- Sonderschülern in eher ländlichen Gebieten schlag: das Zeigen“ (Prange 2005, 65) so zu („Pendelexistenz“) wird zunächst klargestellt, überzeugen vermag, hängt nicht nur an der dass die einseitige Ausrichtung auf sozio- sprachlichen Exzellenz des Dargestellten; sie kulturell deprivierende Bedingungen in der verdankt sich vielmehr einer besonderen sys- Herkunftsfamilie nicht ausreicht, der Situation tematischen Kraft und argumentativen Be- von Sonderschülern im ländlichen Raum ge- harrlichkeit, die Klaus Prange – nicht immer recht zu werden. Neben der weitgehenden Ig- zur Freude aller Beteiligten – so auszeichnen. norierung von neueren soziologischen Model- len sozialer Ungleichheit (Milieu- und Lage- Literatur modelle), werden, so die Autorin, Schüler erst Prange, K. (1970): Form und Sinn. Untersu- „ab der Haltestelle des Schulbusses vor der chung zur Auseinandersetzung Heideggers Sonderschule“ (S. 8) von Sonderschullehrern und Ryles mit der cartesisch-dualistischen betrachtet. Fahrzeiten, Erlebnisse und Erfah- Ontologie. Dissertation an der Philosophi- rungen auf dem Schulweg entziehen sich ihrer schen Fakultät der Universität Kiel. Kenntnis. Sie konstatiert einen „infrastruktu- Prange, K. (2000): Plädoyer für Erziehung. rellen Reformbedarf“, dem weniger angebots- Baltmannsweiler: Schneider Verlag Ho- bezogen, sondern nutzerorientiert zu entspre- hengehren. chen ist. Vom eher Zentralen zum Dezentralen
Besprechungen 909 sollte die Veränderung der Infrastruktur sich torin ausgemacht, die zusammenfassend fol- entwickeln. Aus den KMK-Empfehlungen von gendermaßen charakterisiert werden können: 1994 ergibt sich die Forderung einer möglichst Kinder und Jugendliche ohne institutionali- wohnortnahen sonderpädagogischen Hilfe siertes Kulturkapital, d.h. ohne spezifische nicht. Als Konsequenz aus dieser Situations- Bildungsmöglichkeiten und damit auch analyse, historisch und aktuell (Teil IV/V), ohne nennenswertes Sozialkapital. Hier ist kann die Forderung nach Nutzerorientierung insbesondere die Gruppe der schwerer be- untermauert und eine Verbesserung der Situa- hinderten Kinder angesprochen. tion, z.B. durch wohnortnahe Förderung, in Kinder und Jugendliche mit geringem Kul- den Blick genommen werden. Nach einer kri- turkapital (wenig gegliederte Dorfschu- tischen Umschreibung dessen, was heute als len), d.h. Schüler, die zwar anwesend sind, „ländlicher Raum“ gelten kann (Teil II), wer- aber nicht bedürfnisadäquat gefördert den historisierend unterschiedliche Raum- werden. Das mögliche Sozialkapital muss konzepte vorgestellt. Zunächst erfolgt eine als sehr eingeschränkt betrachtet werden. Unterscheidung von euklidischem (mathema- In diesen Gruppen finden sich wesentlich tischem) Raum und Erlebnisraum. Etwa ab Kinder mit Sprachauffälligkeiten sowie sol- der Reformpädagogik findet das Erleben im che mit leichteren intellektuellen, körperli- Raum, d.h. der individuell-subjektive Aspekt, chen und/oder Sinnesbeeinträchtigungen. in der Pädagogik Beachtung (Abs. III/1). Das Kinder und Jugendliche mit institutiona- Verschwinden der Schulen im ländlichen lisiertem Kulturkapital, d.h. mit spezifi- Raum wird anschließend wissenschaftlich so- scher schulischer Bildung und Förderung lide aufgezeigt (Abs. III/2). Ausgehend vom (schwach befähigte Kinder). Aufgrund des „sozialen Raum“ (Bourdieu 1985) werden die geringen sozialen Ansehens der Hilfsschu- verschiedenen Aspekte (ökonomisches Kapital, len ist die Umwandlung dieses kulturellen kulturelles Kapital, soziales Kapital) in ihrer Kapitals in soziales Kapital zumindest Wechselseitigkeit beschrieben und teilweise schwierig. auf Schüler bezogen. Der Anschluss an die Pä- Kinder und Jugendliche mit einem ausge- dagogik wird (Abs. III/4) unter dem Aspekt prägten institutionalisierten Kulturkapital, der Benachteiligung von Sonderschülern in aber mit außerordentlich geringem Sozial- ländlichen Regionen hergestellt. kapital im Herkunftsort. Hier handelt es Auf der Basis gut recherchierter histori- sich um eine Gruppe, die der unter Punkt scher Schriften wird in Teil IV die Entwick- 1 entspricht, also schwer behinderte Kin- lung der sonderpädagogischen Förderung von der, die aber im Gegensatz zu denen in Kindern und Jugendlichen im ländlichen Gruppe 1 in verschiedenen Anstalten mit Raum dargestellt. Der Bogen spannt sich von pädagogischer und medizinischer Betreu- der „wenig gegliederten Dorfschule“ über die ung untergebracht waren. dezentrale Hilfsschule bis hin zu zentralisier- ten Institutionen für unterschiedliche Behin- Letztlich zeigt sich bei dieser Analyse, dass der derungsgruppen. Grad der Behinderung und die Infrastruktur Der Zusammenhang von Zentralisierung am Wohnort zu sehr unterschiedlichen Situa- und Professionalisierung bzw. eher Kompe- tionen für Kinder und Jugendliche im ländli- tenzbündelung ist sicherlich noch heute relativ chen Raum führten, wobei ein gutes kulturel- ausgeprägt vorhanden (IV/5). Die „soziale les Kapital vielfach nicht auch einen Zuwachs Stellung von Kindern und Jugendlichen mit an sozialem Kapital bedeutet. Behinderungen“ zu Beginn des 20. Jahrhun- Als Kernstück des Buches kann die empiri- derts, als sich das Recht auf schulische Bildung sche Untersuchung der gegenwärtigen Infra- für alle Kinder langsam zu konstituieren be- strukturen im ländlichen Raum angesehen gann, wird anhand der Analyse vorhandener werden. Theoretisch eingebettet ist sie in eine Varianten (sonder-)schulischer Infrastruktu- gründliche, theoretisch mehrperspektivische ren im ländlichen Raum differenziert heraus- Betrachtung gesellschaftlicher Entwicklungen, gearbeitet. Vier Positionen werden von der Au- von der archaischen über die hochkulturelle
910 Besprechungen bis hin zur heutigen modernen Gesellschaft, in die Schulwegezeit bei Regelschulen ein der sich zwangsläufig veränderte Strukturen Kriterium der Landesbildungspolitik ist aufzeigen lassen, da die sozial- und bildungs- (z.B. max. 60 Minuten), bei Sonderschulen politischen Entwicklungen auf der Basis pro- jedoch außer Acht gelassen wird; grammatischer staatlicher Aktivitäten erfolgen der Umfang schulischer Integration je (vgl. V, 1). nach Behinderungsart sehr unterschied- Die Untersuchung ist einerseits angebots- lich, am geringsten bei Schülern mit intel- orientiert (Bildungsangebote – kulturelles Ka- lektueller Beeinträchtigung ist. pital), andererseits nutzerorientiert (soziales Kapital) angelegt. Ländliche Räume sind keine Die Organisation des kulturellen Kapitals, d.h. homogenen Regionen, ihr Charakter ist ab- die Zentralisierung der Bildungsangebote im hängig vom Grad der Industrialisierung und ländlichen Raum, erschwert für Kinder und damit einer mehr oder weniger ausgeprägten Jugendliche mit Behinderung die Gewinnung Urbanisierung sowie von der Besiedlungsdich- sozialen Kapitals. Der enge Bezug zum Wohn- te. Von klaren Stadt-Land-Unterscheidungen ort und damit zu den dort lebenden Men- kann heute nicht mehr ausgegangen werden. schen (Verwandte, Nachbarn, Vereine) wird Exemplarisch für ein Bundesland, in dem es durch die häufige und umfängliche Abwesen- „periphere Regionen, aber auch größere Städte heit auf lange Sicht gefährdet – im Sinne einer sowie Verdichtungszentren“ gibt (S. 103), wur- Entwicklung zur Isolation. de Mecklenburg-Vorpommern ausgewählt. Das Ausmaß der Heterogenität der Schü- Die Datenbasis wird gebildet durch ler-Herkunftsorte an Sonderschulen wird in die amtliche Schulstatistik des Landes Tab. 11 erfasst: Die Zahlen bewegen sich zwi- Mecklenburg-Vorpommern, schen 6 und 37 Herkunftsgemeinden, je nach den Sonderschülerjahrgang 1998/99 in Sonderschultyp. Die unausgewogene Zentrali- Mecklenburg-Vorpommern, sierungsstruktur wird in Tab. 12 nochmals Gemeindedaten des Statistischen Landes- sehr deutlich. Schulen für Sprachbehinderung, amtes Mecklenburg-Vorpommern 1999 für Körperbehinderung und für Verhaltens- und störung finden sich beispielsweise nur (je 3) in Daten zur Raumordnung/Landesplanung sog. Oberzentren (ab ca. 100.000 Einwohner), Mecklenburg-Vorpommern 1994. Schulen für Sinnesbehinderungen nur je einmal (Sehbehinderte/Blinde; Gehörlose; Aufbereitet werden diese Daten, im Sinne ei- Schwerhörige) im gesamten Bundesland, häu- ner deskriptiven Statistik, vor dem Hinter- fig an den Orten ihrer frühen Gründung, d.h. grund der Luhmann’schen Dimensionen nicht unbedingt in Städten. Der prozentuale (1973) zur Kennzeichnung unterschiedlicher Anteil der Fahrschüler (Tab. 13) erstreckt sich Gesellschaftsformen. Dass diese Dimensionen von 19% (V) bis 94% (Sehbehinderte/Blinde). nicht klar voneinander abzugrenzen sind, wird Die durchschnittliche Entfernung Schule – auch in der Untersuchung deutlich. Wohnort (Tab. 14) liegt je nach Sonderschul- Die Verteilungsentwicklung sonderpäda- typ zwischen 14 (LB) und 83 (GH) km. gogischer Angebote wird durch einen Karten- Informativ wäre es in dieser Tabelle, eben- vergleich im Abstand von 70 Jahren verdeut- so wie in den Tabellen 8 und 15, gewesen, die licht (1928/29–1998/99). Die infrastrukturelle Schulwegezeit mit anzugeben. Die Abb. 23a-f und die bildungspolitische Geschichte des verdeutlichen mittels Säulendiagrammen die Landes in dieser Zeit wird sachkundig und Entfernungen differenziert nach Sonderschul- kritisch dargestellt. typen, teilweise unterschieden nach Primar- Die bildungspolitischen Interventionen und Sekundarstufe. Auffallend ist dabei, dass seit 1990 leiten über zu den Ergebnissen der der größte Teil der Schüler mit Lernbeein- Untersuchung. Die Tabellen 7–10 zeigen, dass trächtigungen Schulwege zwischen 20 und der Einzugsbereich von Sonderschulen er- 40 km, ein Großteil der Schüler mit Sinnesbe- heblich größer ist, als derjenige für Regel- hinderungen Schulwege von 100 und mehr schulen; Kilometern zu bewältigen hat (jeweils täglich
Besprechungen 911 Hin- und Rückweg). Unabhängig von der Art eine Schwankungsbreite zwischen 1,2 (GH) der Beförderung (Schulbusse, Behinderten- und 7,2 (V). Dies bedeutet, dass das Vorhan- fahrdienste) wird sowohl die physische als densein von bestimmten Behinderungen in auch die psychische Belastung für die Schüler ländlichen Ortschaften nicht als „ortsüblich“ als sehr hoch eingeschätzt. Die Trennung von angesehen wird, was für die betroffenen Kin- Schul- und Wohnort führe zu erhöhter An- der und ihre Familien problematische soziale spannung auf dem Schulweg oder zu starker Folgen haben kann. Die Gefahr der Vereinze- psychischer Belastung bei Internatsunterbrin- lung der Schüler wird ausführlich besprochen, gung. Eine kleine Pilotstudie zur Einstellung wobei der Aspekt der Stigmatisierung und der „Fahrschüler“ zu den langen Schulwegen Ausgrenzung nur relativ knapp gestreift wird. hätte diese Einschätzung sinnvoll ergänzen Hinsichtlich der sozialen Stellung von Sonder- können. schülern heute im ländlichen Raum kommt Tab. 16 verdeutlicht die Schulwegzeiten, die Autorin zu dem Schluss, dass Kinder und differenziert nach Sonderschultyp. Dabei zeigt Jugendliche mit Behinderungen sich nicht sich, dass das Gros der Sonderschüler Fahrzei- mehr unterscheiden – bezogen auf das kultu- ten zwischen 30 und 90 Minuten pro Tag zu relle Kapital. Dass aber aufgrund der vorherr- bewältigen hat. Im Zusammenhang mit der schenden ländlichen Infrastrukturen ihr sozia- kritischen Anmerkung, dass die Ergebnisse les Kapital an den Herkunftsorten bedroht ist. zeigen, dass weniger eine flächendeckende Unterscheidungen ergeben sich dabei infolge sonderpädagogische schulische Versorgung der „geographischen und sozialen Distanz zum von Schülern mit Behinderungen, sondern institutionalisierten Kulturkapital“ (S. 183). eher ein flächendeckendes Angebot des Schü- Dabei bilden diejenigen Schüler, die im Inter- lertransports im ländlichen Raum gegeben ist, nat wohnen (aufgrund zu großer Distanz von wird die „einschlägige“ Qualifikation der Leh- Wohnort und Schulort) eine bezogen auf das rer an den vorhandenen Sonderschulen über- Sozialkapital am Herkunftsort besonders ge- prüft. Dabei zeigt sich, dass zwischen 22 und fährdete Gruppe. „Im Extremfall beschränken 81% der Lehrer einschlägig qualifiziert sind, sich ihre Möglichkeiten der Gewinnung von d.h. dass sie diejenige sonderpädagogische sozialem Kapital auf den Rahmen ihres insti- Fachrichtung studiert haben, die an der jewei- tutionalisierten Kulturkapitals“ (S. 184). Die ligen Sonderschule gefragt ist (z.B. Lernbehin- soziale Position von Kindern und Jugendli- dertenpädagogik/Schule zur Lernförderung). chen mit Behinderungen im ländlichen Raum Die Zentralisierung von Sonderschulen in der ist also stark abhängig vom Ausmaß der Dis- Landesfläche hat demnach nicht zu einer tanz zwischen Lebens- und Wohnort. Je grö- Kompetenzbündelung geführt. Konstatieren ßer diese Distanz, desto stärker gefährdet ist lässt sich nach diesen Ausführungen, dass – in der Erwerb von Sozialkapital. der Diktion der Autorin – Schülern mit Be- Andiskutiert werden in Teil VI Konse- hinderungen im ländlichen Raum das kultu- quenzen bezogen auf eine wohnortnahe För- relle Kapital teilweise nur unter erschwerten derung, die nur durch eine Ankoppelung an Bedingungen zugänglich ist, bei mutmaßlich die Regelschule realisierbar scheint, in Form erheblicher Beeinträchtigung des sozialen Ka- von kooperativen oder integrativen Angebo- pitals. ten, unter Erhaltung der Qualität sonderpäda- Am Ende der Untersuchung (Abs. V, 3.4) gogischer Förderung. Eine Neuorientierung wird die Merkmaldimension „Individuelle Be- der Angebotsstruktur sonderpädagogischer dürfnisse und Hilfeprozesse“ näher beleuchtet. Förderung (insbesondere im ländlichen Nach einer theoretischen Fundierung im Zu- Raum) erfordert einerseits ein Umdenken in- sammenhang mit „sozialer Kontrolle und nerhalb der Disziplin Sonderpädagogik in Konformitätsaspekten“ zeigt Tab. 19 die Richtung Angebotsorientierung. durchschnittliche Anzahl von Sonderschülern Andererseits sind unter dem Aspekt der in den Herkunftsgemeinden. Wie zu erwarten Nutzerorientierung die Lebensbedingungen liegt diese Anzahl, differenziert nach Sonder- von Kindern mit Behinderungen im ländli- schultyp, durchgängig unter 10. Es ergibt sich chen Raum stärker zu beachten. Kritisch be-
912 Besprechungen leuchtet die Autorin die aktuelle Situation, in gen bei häuslicher Gewalt (12 Beiträge); V. der die Feststellung, dass jedes Kind mit son- Modelle der Unterstützung für Mütter bei derpädagogischem Förderbedarf Zugang zu häuslicher Gewalt (2 Beiträge); VI. Die Folgen institutionalisierten kulturellen Ressourcen für die Kinder als Thema in der Täterarbeit hat, nicht mehr als „besonderer bildungspoli- (2 Beiträge); VII. Konsequenzen und Perspek- tischer Fortschritt“ einzustufen sei. In der Ge- tiven (3 Beiträge). Ein Sachregister findet sich genwart, so Ada Sasse, bestehe „die besondere – leider – nicht. professionelle Herausforderung darin, bei Er- Zu diesen Themen des Handbuchs wurde haltung dieses kulturellen Kapitals das soziale in den letzten Jahren von verschiedenen Fach- Kapital der Schüler mit Behinderungen zu gebieten in Forschung und Praxis zunehmend, stärken“ (S. 194). aber eher noch puzzleartig und zu wenig in- Insgesamt eine hervorragende wissen- terdisziplinär, die Not-Situation der Kinder bei schaftliche Arbeit, zu einem bisher in der Son- häuslicher Gewalt beachtet. Zwar haben u.a. derpädagogik wenig beachteten Problem. Eine die Herausgeberinnen schon seit langem – wie Bestandsaufnahme, in der noch ein umfängli- sie im Vorwort betonen – sich bemüht anzu- ches Forschungspotential enthalten ist. Die regen, „sich über bestehende, historisch ge- Gesamtdarstellung hätte allerdings etwas le- wachsene, fachliche Abgrenzungen und per- serfreundlicher gestaltet werden können. sönliche Gräben hinweg gemeinsam der Herausforderung zu stellen, die hier unver- Prof. Dr. Monika A. Vernooij meidlichen Konflikte und Widersprüche zu Universität Würzburg, Institut für Sonder- bearbeiten“ (S. 11), aber mit dem vorliegen- pädagogik, Lehrstuhl Sonderpädagogik I, den Handbuch ist ihnen nun ein Meilenstein Wittelsbacherplatz 1, 97074 Würzburg gelungen. Die Freude und Erleichterung dar- E-Mail: monika.vernooij@mail.uni- über ist bei Thomas Meysen vom Deutschen wuerzburg.de Institut für Jugendhilfe und Familienrecht deutlich spürbar und nachvollziehbar, wenn er zu dem Handbuch schreibt: „Endlich! Frauen- Barbara Kavemann/Ulrike Kreyssig (Hrsg.): parteiliche Hilfe und Kinder- und Jugendhilfe Handbuch Kinder und häusliche Gewalt. Wies- sind im Gespräch, hören sich gegenseitig zu, baden: VS Verlag für Sozialwissenschaften versuchen die jeweils ‚andere Seite’ zu verste- 2006. 475 Seiten, EUR 39,90. hen und wollen voneinander lernen. Gemein- sam mit den Professionellen aus männerpar- Zur Einordnung der weiteren Ausführungen teilicher Hilfe, Polizei und Justiz sind Fach- sei eine knappe Inhaltsübersicht des Hand- kräfte auf einem viel versprechenden Weg zu buchs vorangestellt: 46 AutorInnen bzw. Ex- einer hilfreichen Zusammenarbeit“. pertInnen haben 35 Beiträge geschrieben, die Allerdings verbleibt ein bitterer Nachge- folgenden sieben Teilen zugeordnet sind (wo- schmack über die offensichtliche Tatsache, bei die angeführte Anzahl von Beiträgen je dass z.B. ‚sich gegenseitig zuhören‘ oder ‚von- Kapitel aufzeigt, dass ein besonderer Schwer- einander lernen wollen‘ als häufig vermisste punkt – von den Herausgeberinnen berechtigt ‚Primär-Tugenden‘ in HelferInnen-Szene und als Herzstück des Bandes bezeichnet – auf die Fachwelt anzusehen sind, und es stellt sich die Darstellung von Best-Practice-Modellen zur Frage, warum dies so ist, warum also die Unterstützung der betroffenen Kinder gelegt Schwächen, Nachteile, Scheuklappen, blinden wird): I. Zusammenhänge zwischen Gewalt Flecke usw. der eigenen Person und Institution gegen Frauen und Gewalt gegen Kinder – Der häufig zu wenig erkannt werden und dadurch Blick der Forschung (7 Beiträge); II. Fort- der vorurteilsfreie Blick auf die Stärken, Vor- schritte und Stagnation – Ein kritischer Blick teile, Weitsichtigkeiten, neuen Erfahrungen auf die (familien-)rechtlichen Rahmenbedin- usw. von anderen Personen und Institutionen gungen (5 Beiträge); III. Herausforderung an verbaut wird. die soziale und pädagogische Arbeit (4 Beiträ- Ulrike Kreyssig versucht hierzu Antworten ge); IV. Unterstützung für Mädchen und Jun- zu finden in ihrem Beitrag über „Institutionel-
Sie können auch lesen