Tiere als Mitgeschöpfe - Tiere als Mitgeschöpfe

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TIERethik
                                                   13. Jahrgang 2021/1
                                                     Heft 22, S. 14–33

Bernd Kappes

Tiere als Mitgeschöpfe
Die Perspektive der Theologischen Zoologie
Zusammenfassung
Das Interesse der Theologischen Zoologie ist die theologische Wür-
digung der Tiere als Mitgeschöpfe. In theologischer Perspektive ha-
ben Tiere als Geschöpfe Gottes einen eigenen Wert und eine eigene
Würde. Die Theologische Zoologie stellt eine Erweiterung einer
weitgehend auf Leben und Heil des Menschen konzentrierten Theo-
logie dar. Als „Theologie mit dem Gesicht zum Tier“ teilt sie Anlie-
gen der philosophisch-säkularen Tierethik. Sie will aber nicht nur
ethische Fragen des Umgangs des Menschen mit Tieren thematisie-
ren, sondern auch die Bedeutung klären, die das Verhältnis des Men-
schen zu den Tieren für sein Selbstverständnis als Mensch im Ge-
samtzusammenhang der Schöpfung hat. Die Theologische Zoologie,
so wie sie durch das Institut für Theologische Zoologie (www.theo
logische-zoologie.de) in Münster profiliert wird, verfolgt einen in-
terdisziplinären Ansatz und bringt theologische und naturwissen-
schaftliche Perspektiven miteinander ins Gespräch, insbesondere die
Erkenntnisse der Evolutionsbiologie (1) und der modernen Verhal-
tensbiologie (2). Sie arbeitet an einer Wiederentdeckung der Wert-
schätzung der Tiere, wie sie durchaus auch in biblischen Texten zum
Ausdruck kommt (3). So kann eine Theologie der Tiere schließlich
das Mensch-Tier-Verhältnis neu bestimmen (4) und für eine Kultur
und Spiritualität der Mitgeschöpflichkeit plädieren (5).
Schlüsselwörter: Evolution, Verhaltensbiologie, Biblische Theolo-
gie, Tierrechte, Mitgeschöpflichkeit

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Tiere als Mitgeschöpfe |

Animals as Fellow Creatures
The Perspective of Theological Zoology
Summary
The interest of theological zoology is the theological appreciation of
animals as fellow creatures. From a theological perspective, ani-
mals as creatures of God have their own value and dignity. Theolog-
ical zoology represents an extension of a theology that is largely fo-
cused on life and salvation of the human species.
As “theology facing the animal”, it shares the concerns of philo-
sophical-secular animal ethics. However, it does not want to address
only the ethical questions of human interactions with animals, but
also to clarify the importance that the relationship between humans
and animals has for our self-image as human beings in the overall
context of creation.
Theological zoology, as profiled by the Institute for Theological Zo-
ology (www.theologische-zoologie.de) in Münster, pursues an inter-
disciplinary approach and brings together the perspectives of theol-
ogy and natural science, in particular the findings of evolutionary
biology (1) and modern behavioral biology (2). It is working towards
a rediscovery of an appreciation of animals, as it is also expressed
in Biblical texts (3). Thus, a theology of animals can redefine the
human-animal relationship (4) and advocate a culture and spiritu-
ality of creature and fellow creature (5).
Keywords: evolution, behavioral biology, biblical theology, animal
rights, fellow creatures

1 Nahe und ferne Verwandte – Evolutionsbiologie
Eine Bekannte musste im vergangenen Jahr am Hals operiert wer-
den. Anfangs wollte sie nicht mit der Sprache heraus: Da müsse et-
was weggemacht werden. Später erzählte sie doch: Es waren die Kie-
men, die für Probleme sorgten. Die Kiemen? Meine Bekannte – ein
Fisch?

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Tatsächlich: Der Fisch in uns (vgl. Shubin, 2015). Das Reptil in uns.
Der Affe in uns. Dabei hat es nur die evolutionäre Verwandtschaft
mit den Affen in unser Allgemeinbewusstsein geschafft. Das Steiß-
bein, an dem einmal ein Schwanz hing, erinnert uns manchmal
schmerzhaft daran. Doch auch die Fische und Reptilien gehören zu
unserem Stammbaum. Und LUCA kann uns erklären, warum das so
ist. LUCA ist unser aller „Last Universal Common Ancestor“, der
letzte gemeinsame universelle Vorfahr. Dabei handelt es sich um den
berühmten ersten Einzeller, der vor etwa 3,5 Milliarden Jahren im
Wasser entstanden ist. Alles Leben auf der Erde stammt von dieser
Uropa-Uroma-Zelle ab: Tiere, Pflanzen, Menschen. Aus dem Ein-
zeller wurden Vielzeller, aus denen sich schließlich Meerestiere und
Wasserpflanzen entwickelten. Noch viel später, vor etwa 370 Milli-
onen Jahren, gingen die Meerestiere an Land. Flossen wurden zu
Beinen. In der Geschichte der Evolution entwickelten sich die Kie-
menbögen zu unserem Unterkiefer, zu den Knochen des Mittelohrs
und zum Stimmapparat (Kehlkopf). Davon merken wir meistens
nichts. Doch bei manchen Menschen macht sich am Hals das Erbe
der Kiemenbögen eben plötzlich bemerkbar oder ist als winziges
Loch am Rand der Ohrmuschel schon immer zu sehen.
    Und was das Reptil in uns betrifft: In den ersten Wochen der
Schwangerschaft wird erkennbar, dass unsere Vorfahren Eier legten.
Zu Beginn des Embryonalstadiums ist beim Ultraschall ein Dotter-
sack sichtbar. Dotter gibt es allerdings nicht mehr, und auch die ent-
sprechenden Gene sind nicht mehr aktiv. Ebenso ist auch die Schutz-
haut aus toten Zellen auf der Oberseite unserer Epidermis ein evolu-
tionäres Überbleibsel, das uns an unsere Verwandtschaft mit den
Reptilien erinnert.
    „Verwandtschaft“ ist das Stichwort: Als Menschen sind wir nicht
nur mit anderen Menschen verwandt. Als Menschen sind wir nicht
nur Nachfahren von Adam und Eva, sondern auch von LUCA, der
ersten Zelle, von der alles Leben auf der Erde abstammt. Darum sind
wir mit allem verwandt, was lebt. Auch Pflanzen, Tiere, Pilze und
Bakterien gehören zu unseren – näheren und entfernteren – Ver-
wandten.

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Von den Schildkröten, die an der Pazifikküste in El Salvador zum
Eierlegen an den Strand kommen, stammen wir zwar nicht ab, wir
sind aber mit ihnen verwandt, denn spätestens „Tiktaalik“ ist unser
gemeinsamer Vorfahr – das Darwin noch nicht bekannte und von
ihm als „Urzeitwesen“ bezeichnete Übergangstier zwischen Fisch
und Landlebewesen, das vor langer Zeit aus dem Wasser an Land
gekrochen ist (vgl. Shubin, 2015, S. 47ff.).
   Über den Zusammenhang zwischen dem einen gemeinsamen Ur-
sprung allen Lebens und der wunderbaren Vielgestaltigkeit des Le-
bens staunte schon Darwin in seinem Schlusssatz der Entstehung der
Arten (On the Origin of Species, 1859, S. 490):
  “There is grandeur in this view of life, with its several powers, hav-
  ing been originally breathed into a few forms or into one; and that
  […] from so simple a beginning endless forms most beautiful and
  most wonderful have been, and are being, evolved.”
Was ist der Mensch? Was ist der Mensch – im Verhältnis zum Tier?
Evolutionsbiologisch betrachtet sind wir Menschen am Baum des
Lebens nicht die Krone, sondern nur ein kleines Ästchen. Von den
Tieren sind wir nicht durch einen großen Graben getrennt – bei Men-
schen und Tieren handelt es sich nur um zwei (bzw. um viele) Äste
desselben Baums. Tiere (und Pflanzen) gehören zu unserer Ver-
wandtschaft. Der Mensch ist nicht nur ein soziales Wesen, sondern
ein „biosoziales“ Wesen (Rasmussen, 2015, S. 12). Menschen sind
eine (ganz spezielle) Spezies unter anderen (ganz speziellen) Spe-
zies.
   Im Prinzip wissen wir das alles.
  „Aber wo ist die Erinnerung an die tierliche Herkunft des Menschen
  in der Kulturgeschichte geblieben? Haben die Menschen ihr evolu-
  tionäres Gedächtnis verloren? Haben sie ihre tierliche Vergangen-
  heit verdrängt?“ (Ruster, 2018, S. 119)
Obwohl wir eigentlich um die Nähe und Verwandtschaft aller Spe-
zies „wissen“, scheinen wir kulturell doch eher die Unterscheidung
und das Gegenüber der beiden Großkategorien „Mensch“ und „Tier“
(bzw. „Natur“) zu pflegen.

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2 Menschen und andere Tiere – Verhaltensbiologie
Im wissenschaftlichen Tierbild ist es in den vergangenen Jahrzehn-
ten zu einem fundamentalen Wandel gekommen. Das große Wort
vom „Paradigmenwechsel“ ist hier angemessen. Der Graben zwi-
schen Mensch und Tier hat sich immer weiter verringert. Norbert
Sachser, Verhaltensforscher an der Universität Münster und Mit-
glied im Kuratorium des Instituts für Theologische Zoologie, sieht
nicht nur das „Tier im Mensch“, sondern auch viel mehr „Mensch
im Tier“, als wir bisher dachten. Drei entscheidende Dogmen des
wissenschaftlichen Tierbilds sind laut Sachser ins Wanken geraten
und eingestürzt (zu den im Folgenden dargestellten Erkenntnissen
der modernen Verhaltensbiologie vgl. Sachser, 2018):
    1. Dogma: Über die Emotionen von Tieren können keine Aus-
        sagen getroffen werden.
    2. Dogma: Tiere können nicht denken.
    3. Dogma: Tiere verhalten sich zum Wohle der Art.

2.1 Gefühle
Tiere haben Gefühle. Wissenschaftliche Aussagen von Verhaltens-
biolog*innen über die Gefühle von Tieren stützen sich zum einen auf
die Messung von Stresshormonen, zum anderen auf Beobachtungen
des Verhaltens.
   Als Verhaltensindikatoren für das Unwohlsein von Tieren gelten
mangelnde Nahrungsaufnahme, Apathie, Vernachlässigung der Kör-
perpflege, Leerlaufbewegungen, Bewegungsstereotypien. In be-
drohlichen Situationen zeigen unterschiedliche Arten von Säugetie-
ren sogar identische Angst-Reaktionen: Herzrasen, tiefere Atmung,
Stresshormone, Furchtgesicht.
   Als Indikatoren des Wohlbefindens können wechselseitiges Le-
cken, Kraulen und Kuscheln beobachtet werden. Aber auch Laute,
die Tiere von sich geben, sind Zeichen ihres Wohlbefindens. Ratten
etwa „lachen“ bzw. pfeifen, wenn sie gekitzelt werden, und lassen
sich gerne kitzeln. Alle Säugetiere spielen gern, auch viele Vogelar-
ten, auch einige Fische, und sogar auch einige wirbellose Tiere, z.B.
Feldwespen.

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Die Beobachtungen der Verhaltensbiologie finden ihre Bestätigung
in den Erkenntnissen der Evolutionsbiologie: Emotionen werden im
limbischen System erzeugt, also in einer der ältesten Gehirnstruktu-
ren, die bei allen Säugetieren vorhanden ist. Ob sich ein Kind freut
oder ein Ferkel: Es werden die gleichen Nervenbahnen, die gleichen
Botenstoffe und die gleichen Gene aktiviert.

2.2 Denken
Schon Aristoteles war der Auffassung: Tieren fehlt die Vernunft. Die
Annahme, dass nur der Mensch über Logos/Vernunft verfüge, be-
trachtete Aristoteles als das wesentliche Unterscheidungsmerkmal
zwischen Menschen und anderen Lebewesen. Demgegenüber geht
die moderne Kognitionsbiologie davon aus, dass alle Tiere lernen,
viele denken und manche über Ich-Bewusstsein verfügen:
    Alle Tiere lernen, d.h., sie verändern ihr Verhalten aufgrund von
eigenen Erfahrungen oder sie lernen von anderen: Bei Makaken
wurde beobachtet, wie sie voneinander die „Kultur“ des Kartoffel-
waschens lernten. „Kulturell“ bedingt ist auch das Bauen von Son-
nendächern bei Orang-Utans oder die Verwendung von Blättern als
Handschuhe. Viele Tiere denken, d.h., sie lösen Probleme nicht nur
durch Versuch und Irrtum, sondern auch durch Einsicht, Erkenntnis
und Plan: So verwenden etwa nicht nur Menschenaffen Werkzeuge,
sondern auch Seeotter und Delfine, auch Raben und Papageien.
Manche Tiere haben ein Bewusstsein ihrer selbst, d.h., sie können
sich z.B. im Spiegel erkennen: Menschenaffen, Elefanten, Delfine,
Elstern.

2.3 Verhalten
Descartes betrachtete Tiere als Automaten, deren Verhalten durch
feste Reiz-Reaktions-Reflexe bestimmt wird. Im selben 17. Jahrhun-
dert und aufgrund derselben Annahmen wurden Hunde bei lebendi-
gem Leib seziert. Demgegenüber spricht die Verhaltensbiologie
heute von „Tierpersönlichkeiten“, deren Verhalten durch Gene, Um-
welt, Sozialisation und soziale Erfahrungen geprägt wird.
   Wie beim Menschen auch sind für die Ausbildung der jeweiligen
Tierpersönlichkeiten die pränatale Phase, die Kindheit (Tierkinder
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brauchen ein soziales Umfeld, die Befriedigung materieller Bedürf-
nisse reicht nicht) und die Adoleszenz (mit den hier stattfindenden
hormonellen Veränderungen und sozialen Erfahrungen der Heran-
wachsenden) entscheidend.
   Die Pointe der Forschung: Die Individualität der einzelnen Tiere
rückt ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Denn die so neu wahrge-
nommenen Tierpersönlichkeiten mit ihren individuellen Charakte-
ren zeigen dauerhaft unterscheidbares Verhalten – und dies gilt nicht
nur für Schimpansen, Elefanten und Delfine, sondern auch für Sing-
vögel, Fische, Reptilien und Insekten. Blattkäfer sind etwa unter-
schiedlich mutig oder zögerlich, wenn eine neue Umgebung erkun-
det werden muss.

2.4 Fazit
Tiere verfügen über viele Eigenschaften und Fähigkeiten, die bis vor
kurzem noch als typisch menschlich angesehen wurden. Das gilt,
wie dargestellt, für Gefühle, Denken und Verhalten. Es gilt aber
auch, auch darauf weist Sachser hin, für den Egoismus der Tiere:
Auch unter Tieren gibt es Gewalt, Vergewaltigung, Kindstötung
(Löwen) und Kriege (Schimpansen). Der Mensch im Tier – das be-
deutet auch: „Die ‚besseren Menschen‘ sind die Tiere nicht!“ (Sach-
ser, 2018, S. 246)
    Als Gemeinsamkeiten aller Säugetiere können festgehalten wer-
den: gleiche Gene (die Übereinstimmung zwischen Menschen und
Schimpansen beträgt 98,5 %, d.h., Menschen und Schimpansen sind
so nah verwandt wie Pferd und Esel; vgl. Precht, 2018, S. 101), glei-
che Gehirnstruktur (Übereinstimmungen bis in kleinste Details, z.B.
identische neuronale Prozesse, etwa bei Angst) und gleiche Hor-
mone (Sexualhormone und Stresshormone kommen bei Menschen,
Fledermäusen, Nashörnern und Delfinen in gleicher Form vor).
    Was aber unterscheidet dann den Menschen vom Tier? „Zweifel-
los besitzt der Mensch von allen Lebewesen die höchsten kognitiven
Fähigkeiten.“ (Sachser, 2018, S. 243) Aber handelt es sich um einen
graduellen oder oder um einen kategorischen Unterschied zwischen
Mensch und Tier?

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   „Einerseits komponiert kein Tier eine Symphonie, schreibt einen
   Roman, baut eine Kathedrale oder formuliert ein Aktionsprogramm
   gegen den Klimawandel. Andererseits sind Tiere zu kognitiven
   Leistungen fähig, zu denen zwei-, drei- oder vierjährige Kinder un-
   serer eigenen Spezies nicht in der Lage sind.“ (Sachser, 2018,
   S. 244)
Im Abschnitt „Der Mensch – Krone der Schöpfung?“ werden wir auf
die Frage nach der Sonderstellung des Menschen noch einmal zu-
rückkommen.

3 Die Dritten im Bunde – Biblische Theologie
Kann man von einer biblischen Kultur der Wertschätzung der Tiere
sprechen? Kulturen gibt es immer nur im Plural, und nicht ohne
Grund trägt ein grundlegender Sammelband zu den Tieren in der Le-
benswelt des alten Israel den Titel Gefährten und Feinde des Men-
schen (Janowski, Neumann-Gorsolke & Gleßmer, 1993).
   Tatsächlich wäre es unangemessen, „der Tiervergessenheit der
christlichen Tradition eine angeblich durchgehend tierfreundliche
Haltung der Bibel entgegenzuhalten.“ (Horstmann et al., 2018,
S. 148) Erinnert sei hier nur an die Worte aus Gen 9,2:
   „Doch Angst vor euch und Schrecken vor euch komme über alle
   Tiere des Landes und über alle Vögel des Himmels, über alles, was
   auf der Erde kriecht, und über alle Fische des Meeres: In eure Ge-
   walt sind sie gegeben.“
Das erklärte Interesse ist es an dieser Stelle gleichwohl, einigen zent-
ralen biblischen Überlieferungen Aufmerksamkeit zu schenken,
welche die Verbundenheit und Gemeinschaft von Mensch und Tier
sowie von Gott und Tier zum Ausdruck bringen.

3.1 Bileams Eselin
Für eine biblische Theologie der Tiere kann die Erzählung von
Bileams Eselin das Portal sein, um den Raum der biblischen Über-
lieferungen zum Mensch-Tier-Verhältnis zu betreten. Die Tierethik,
die Partnerschaft von Mensch und Tier sowie die Beziehung der

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Tiere zu Gott geraten hier in den Blick (vgl. Hagencord, 2009,
S. 185ff.):
Numeri 22, 21–34
„21 So stand Bileam am Morgen auf, sattelte seine Eselin und zog
zusammen mit den Obersten Moabs mit. 22 Da entzündete sich der
Zorn Gottes, weil er ging, und der Engel Gottes stellte sich in den
Weg als sein Widersacher, während er auf seiner Eselin ritt und mit
ihm zwei Reitknechte. 23 Aber die Eselin sah den Engel Gottes auf
dem Weg stehen – mit dem gezogenen Schwert in seiner Hand. Da
wich sie vom Weg ab und ging in das Feld. Daraufhin schlug Bileam
die Eselin, um sie wieder auf den Weg zu drängen.
   24 Dann stellte sich der Engel Gottes in einen Engpass zwischen
Weinberghänge, der auf beiden Seiten von Mauern begrenzt war.
25 Die Eselin sah den Engel Gottes, drückte sich an die Mauer und
drückte den Fuß Bileams an die Mauer. Da schlug er sie wieder.
   26 Sodann ging der Engel Gottes weiter und stellte sich an eine
enge Stelle, an der man weder rechts noch links ausweichen konnte.
27 Als die Eselin den Engel Gottes sah, ging sie unter Bileam in die
Knie. Dadurch entzündete sich sein Zorn, und er schlug die Eselin
mit der Reitgerte.
   28 Da öffnete Gott der Eselin den Mund und sie sagte zu Bileam:
,Was habe ich dir getan, dass du mich nun dreimal geschlagen hast?‘
29 Bileam sagte zur Eselin: ,Weil du mir das antust! Wäre doch ein
Schwert in meiner Hand! Ja, dann würde ich dich totschlagen!‘
30 Die Eselin sagte zu Bileam: ,Bin ich denn nicht deine Eselin? Auf
mir bist du doch geritten, seit jeher bis zu diesem Tag? War es je
meine Gewohnheit, mit dir so umzugehen?‘ Und er sagte: ,Nein.‘
   31 Da öffnete Gott Bileams Augen, und er sah den Engel Gottes
auf dem Weg stehen – mit dem gezückten Schwert in seiner Hand.
Sofort warf er sich nieder und kniete zu Boden. 32 Der Engel Gottes
sagte ihm: ,Warum hast du deine Eselin dreimal geschlagen?! Ver-
stehe: Ich selbst bin ausgezogen, um dir ein Widersacher zu sein,
denn der Weg stürzt dich vor mir ins Verderben. 33 Doch die Eselin
hat mich gesehen und ist dreimal vor mir ausgewichen. Wenn sie vor
mir nicht ausgewichen wäre, ja, dann hätte ich dich getötet, sie aber
am Leben gelassen.‘ 34 Bileam sagte zum Engel Gottes: ,Ich bin
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fehlgegangen. Denn ich wusste nicht, dass du dich mir in den Weg
gestellt hattest. Und nun: Wenn es in deiner Sicht böse ist, will ich
umdrehen.‘“
Was sagt die Erzählung über das Verhältnis von Tier, Mensch und
Gott? Welche Fragen im Blick auf Tierethik, Konvivenz zwischen
Mensch und Tier und tierliche Gottesbeziehung wirft die Geschichte
auf?
    „Was habe ich dir getan, dass du mich nun dreimal geschlagen
hast?” Bileam schlägt seine Eselin, er schlägt sie wieder, beim drit-
ten Mal schlägt er sie mit der Reitgerte. Hier wird die tierethische
Frage nach der Gewalt im Umgang von Menschen mit Tieren for-
muliert. Haben Menschen das Recht, direkte und strukturelle Gewalt
gegen Tiere anzuwenden? Dürfen wir Tiere „schlagen“?
    „Bin ich denn nicht deine Eselin?“ Das Possessivpronomen
scheint hier weniger ein Ausdruck von Besitzverhältnissen als von
Vertrauen und Beziehung zu sein. Tier und Mensch, Bileam und
„seine“ Eselin sind gemeinsam auf dem Weg, „seit jeher bis zu die-
sem Tag“. Hier geht es um die Partnerschaft zwischen Mensch und
Tier, um die gemeinsame Geschichte und Weggemeinschaft und um
die wechselseitige Angewiesenheit der Weggefährten. Der Mensch
braucht das Tier, wird getragen vom Tier, lebt ein Leben „auf dem
Rücken der Tiere“ (Hagencord, 2009, S. 185). Die Erzählung betont
Nähe, Verbundenheit und Miteinander von Mensch und Tier.
    „Die Eselin sah den Engel Gottes auf dem Weg stehen.“ Die Ese-
lin sah den Engel Gottes – der Seher sah ihn nicht. Das Tier hat of-
fenbar eine eigene Beziehung zum Göttlichen. Es verfügt über Sinne
und Erkenntniswege, die dem Menschen nicht zugänglich sind.
Mehr noch: Das Tier hilft hier dem Menschen bei der Wahrnehmung
des Göttlichen in den Lebenszusammenhängen des Alltags.

3.2 Schöpfung
Jürgen Moltmann unterscheidet zwei Lesarten der biblischen Schöp-
fungserzählungen (Gen 1–3):
   „Nach der modernen Lesart ist der Mensch die ‚Krone der Schöp-
   fung‘. Allein der Mensch ist zum Bild Gottes geschaffen und zur

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   Herrschaft über die Erde und alle Erdgeschöpfe bestimmt. […] Nach
   dem zweiten Schöpfungsbericht soll er eher wie ein Gärtner Gottes
   Garten Eden ‚bebauen und bewahren‘. Das klingt milder und acht-
   samer, gleichwohl ist der Mensch in beiden Schöpfungsgeschichten
   das Subjekt und die Erde samt aller ihrer anderen Bewohner ist sein
   Objekt […].
   Nach der neuen ökologischen Lesart derselben Schöpfungsge-
   schichten der Bibel ist der Mensch das letzte Geschöpf Gottes und
   damit das abhängigste Geschöpf. Der Mensch ist für sein Leben auf
   der Erde auf die Existenz der Tiere und Pflanzen, der Luft und des
   Wassers, des Lichtes und der Tages- und Nachtzeiten, auf die Sonne
   und den Mond und die Sterne angewiesen und kann ohne diese nicht
   leben. Es gibt den Menschen nur, weil es alle diese anderen Ge-
   schöpfe gibt. Sie alle können ohne den Menschen existieren, aber
   die Menschen nicht ohne sie. […] der Mensch ist zuerst ein Ge-
   schöpf in der großen Schöpfungsgemeinschaft und ‚ein Teil der Na-
   tur‘. […] Nach den biblischen Traditionen hat Gott nicht nur dem
   Menschen seinen göttlichen Geist eingehaucht, sondern allen seinen
   Geschöpfen.“ (Moltmann, 2014, S. 217ff.)
Ich folge der ökologischen Lesart und ergänze: Der Schöpfungsse-
gen gilt nicht nur den Menschen, sondern auch den Tieren, ja die
Tiere sind „die zuerst Gesegneten“ (Hagencord, 2011, S. 123). Die
Landtiere werden wie der Mensch am sechsten Schöpfungstag ge-
schaffen und stehen dem Menschen am nächsten. Biblische Schöp-
fungstheologie versteht Menschen und Tiere als Geschöpfe und Mit-
geschöpfe in der Lebensgemeinschaft alles Geschaffenen.

3.3 Bund
Menschen und Tiere gehen gemeinsam in der Sintflut zugrunde und
werden gemeinsam in der Arche gerettet. In der Erzählung von der
Sintflut ist bemerkenswert, dass nicht nur die „Niedlichen und die
Nützlichen“ (Hagencord, 2009, S. 44) in der Arche aufgenommen
werden, also nicht nur die Haustiere und die „Nutztiere“, sondern
alle Tiere. Kriterium für die Bewahrung der Arten ist hier also nicht
der Nutzen für den Menschen, sondern Lebenswille und Lebensrecht
aller Lebewesen.

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Nach der Sintflut schließt Gott einen Bund – nicht nur mit den Men-
schen, sondern auch mit den Tieren. Gott verpflichtet sich
   „gegenüber allen Lebewesen, die bei euch sind, gegenüber Vögeln
   und Vieh und allen Tieren, die mit euch auf der Erde sind, gegenüber
   allen, die aus dem Kasten gegangen sind, gegenüber allem Leben
   auf der Erde.“ (Genesis 9,9f.)
In der Theologie des Bundes sind auch die Tiere Gottes Bündnis-
partner – die Dritten im Bunde!

3.4 Weisheit
Die Gottesreden im Hiobbuch (Hiob 38–41) bringen zum Ausdruck,
dass der Mensch nicht allein im Zentrum der göttlichen Aufmerk-
samkeit steht: „Weißt du die Zeit, wann die Gemsen gebären?“
(Hiob 39,1) „Wer hat dem Wildesel die Freiheit gegeben?“ (Hiob
39,5) Der Mensch steht in dieser göttlichen Einladung zu Integration
und Demut nicht im Mittelpunkt der Schöpfung, er ist vielmehr Teil
eines größeren Lebenszusammenhangs. Die Tiere haben eigene Le-
bensräume, eigene Bedürfnisse und eigene Rhythmen.
    „Aller Augen warten auf Dich, Herre, und Du gibest ihnen ihre
Speise zu seiner Zeit. Du tust Deine milde Hand auf und sättigest
alles, was da lebet, mit Wohlgefallen.“ Wie bewusst ist uns, dass mit
diesen von Heinrich Schütz vertonten Worten aus Psalm 104 nicht
nur die Menschen gemeint sind, sondern eben „alles, was da lebet“,
also auch die Tiere und Pflanzen? Der Mensch ist in diesem Psalm
Teil der Schöpfung und wird ernährt wie „andere“ auch: „Du lässt
Gras wachsen für das Vieh […]“ (Ps 104,14). „Satt werden die
Bäume der Einen […]“ (Ps 104,16). Von einer Sonderstellung oder
gar Herrschaft oder auch nur gärtnernden Aufgabe des Menschen ist
in diesem Psalm nicht die Rede.
    In diesen Texten weisheitlicher Theologie haben die Tiere ein ei-
genes, vom Menschen unabhängiges Lebensrecht. Gottes Aufmerk-
samkeit und Fürsorge gilt auch den Tieren, nicht nur den Menschen.
Nicht ohne Grund gehört der „Eigenwert eines jeden Geschöpfes“
zu den zentralen Motiven der Enzyklika Laudato sí von Papst Fran-
ziskus (vgl. Franziskus, 2015).

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| Bernd Kappes

4 Der Mensch – Krone der Schöpfung?
Was ist der Ort des Menschen in der Schöpfung? Was ist der Mensch
– im Gegenüber zum Tier? Ist der Mensch die Krone der Schöpfung?
    Die Erkenntnisse der Evolutionsbiologie zeigen, dass die Evolu-
tion nicht auf den Menschen zuläuft. Der Mensch ist, in evolutionä-
rer Perspektive, eine Spielart des Lebens unter anderen. Die moderne
Verhaltensbiologie beschreibt die Nähe von Mensch und Tier im
Blick auf Gefühle, Denken und Verhalten. Und auch in biblischer
Perspektive ist nicht der Mensch, sondern der Sabbat die Krone der
Schöpfung.
    Wie aber ist es dann zur faktischen Sonderstellung des Menschen
gekommen? Wie ist es dazu gekommen, dass eine Art de facto alle
anderen Arten dominiert, was sich in Domestizierung, Ausrottung
oder Zuweisung von Reservaten ausdrücken kann? „Die Menschheit
hat sich die Erde tatsächlich untertan gemacht“ (Harari, 2015,
S. 428), stellt Yuval Noah Harari nüchtern fest.
   „Vor 70.000 Jahren war der Homo Sapiens ein unbedeutendes Tier,
   das in einer abgelegenen Ecke Afrikas seinem Leben nachging. In
   den folgenden Jahrtausenden stieg es zum Herrscher des gesamten
   Planeten auf und wurde zum Schrecken des Ökosystems. […] Wie-
   der und wieder bedeuteten die massiven Machtzuwächse der
   Menschheit keine Verbesserung für die einzelnen Menschen und im-
   menses Leid für andere Lebewesen.“ (Harari, 2015, S. 507)
Ist die Sprache das Erfolgsgeheimnis des Menschen? War es die
Sprache, die der Spezies Mensch nahezu absolute Macht über alle
anderen Spezies verliehen hat? Was aber ist neu und besonders an
der menschlichen Sprache? Viele Tiere haben Sprachen, auch wenn
wir vieles gar nicht wahrnehmen oder verstehen können. Was sehen,
hören und verstehen wir mit unseren eingeschränkten Sinnen über-
haupt? Das Lachen der Ratten und der Gesang der Wale bleiben der
allgemeinen menschlichen Wahrnehmung entzogen.
    Harari sieht in der Fähigkeit des Menschen zur „fiktiven Spra-
che“ (Harari, 2015, S. 37) den entscheidenden Unterschied: Wir
können uns über Dinge austauschen, die es gar nicht gibt. Mehr
noch: Wir können uns fiktive Dinge sogar gemeinsam vorstellen. So

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Tiere als Mitgeschöpfe |

entstehen kollektive Vorstellungswelten, die Harari „erfundene Ord-
nungen“ nennt: Nationen, Geld, Menschenrechte, Gesetze, Unter-
nehmen, Götter – Größen, auf die wir uns intersubjektiv verständigt
haben (vgl. Harari, 2015, S. 148ff.). Durch die „erfundenen Ordnun-
gen“ wird effektive Kooperation zwischen Menschen möglich, die
sich noch nie begegnet sind. Menschen in Puebla und Baunatal glau-
ben an die Existenz desselben Konzerns und folgen den gleichen Re-
geln – am Ende läuft ein VW Golf vom Band. Das kann nur der
Mensch. Die erfundenen, aber sehr wirkmächtigen Ordnungen sor-
gen also für die Fähigkeit des Menschen, flexibel und in großen
Gruppen zusammenzuarbeiten. Manche dieser erfundenen Ordnun-
gen funktionieren für eine bestimmte Zeit weitgehend geräuschlos
aufgrund allgemein geteilter Überzeugungen, z.B. die Vorstellung
vom Privatbesitz. Andere Ordnungen werden mit Zwang und Gewalt
durchgesetzt und aufrechterhalten, in unserer Zeit z.B. der „Schutz“
der Grenzen.
   Wie machtvoll Ideen, Narrative und Mythen sein können, ver-
deutlicht Harari am Beispiel der Französischen Revolution: Gestern
glaubten die Menschen noch an die Herrschaft des Königs, heute
glauben sie an Herrschaft des Volkes und fegen die Monarchie hin-
weg. Harari schlussfolgert:
   „Als einzelne und selbst als kleine Gruppen sind wir den Schimpan-
   sen derart ähnlich, dass es schon fast peinlich ist. Deutliche Unter-
   schiede ergeben sich erst, wenn wir die magische Grenze von 150
   Individuen überschreiten.“ (Harari, 2015, S. 54) Und:
   „Menschen sind relative schwache Tiere, deren Stärke vor allem da-
   rin besteht, dass sie in großen Gruppen kommunizieren und koope-
   rieren können.“ (Harari, 2015, S. 197)
Keine gute Nachricht also für all die anderen Arten, die zu dieser Art
von Kommunikation und Kooperation nicht fähig sind und unter
dem Herrschaftsanspruch und der Machtfülle der Spezies Mensch zu
leiden haben. Die gute Nachricht aber: Erfundene Ordnungen kön-
nen hinterfragt und verändert bzw. durch neue erfundene Ordnungen
ersetzt werden. Nur Menschen können die Idee der Monarchie durch

TIERE IN CHRISTLICHER THEOLOGIE TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) | 27 |
| Bernd Kappes

die Idee der Demokratie ersetzen. Ja, nur Menschen schreiben Ro-
mane und bauen Kathedralen, aber auch nur Menschen gründen
Frauenbewegungen (nachdem sie zuvor über Jahrhunderte von pat-
riarchalen Ordnungsvorstellungen überzeugt waren).
    Keine kollektive Ordnungsvorstellung ist vom Himmel gefallen:
Apartheid, Kastensystem, Kolonialismus, Sklaverei, Patriarchat, die
Hierarchie von Arm und Reich – alles ist kontingent, veränderbar,
Gegenstand von Kämpfen um Macht, Interessen und Befreiung.
    Dies gilt natürlich auch für unsere Ordnungsvorstellungen vom
Mensch-Tier-Verhältnis. Auch bei der Kategorisierung „Mensch vs.
Tier“ handelt es sich um eine erfundene Ordnung. Es ist
   „absurd, eine Teilung des Tierreichs in zwei Kategorien vorzuneh-
   men – in eine menschliche und eine nichtmenschliche Kategorie.
   Denn die Kluft ist zunächst einmal – wie alles andere auch – eine
   von Menschen gemachte begriffliche Unterscheidung und nicht von
   der Natur vorgegeben.“ (Precht, 2018, S. 51f.)
Auch wir Menschen sind Tiere: Menschentiere. Was bedeutet das
für die Frage nach den Rechten von Menschen und Tieren? „Der
homo sapiens hat genauso wenig natürliche Rechte wie Spinnen, Hy-
änen und Schimpansen.“ (Harari, 2015, S. 141) Positiv gesprochen:
So wie die Menschenrechte als Rechte für alle Menschen erkämpft
und schließlich intersubjektiv anerkannt und kodifiziert wurden, so
können wir uns auch auf Rechte für Spinnen, Hyänen und Schim-
pansen verständigen. Welche Rechte für wen gelten sollen, das wird
immer wieder neu erstritten, verhandelt, als normal betrachtet und
gesetzlich geregelt.
    Zu unseren Analysen von Macht und Herrschaft muss neben
Rasse, Gender und Klasse auch die Frage der Spezies hinzukommen,
wenn wir unseren immer noch selbstverständlichen Speziesismus
(also das prinzipielle Vorziehen der menschlichen Spezies gegen-
über anderen Spezies) überwinden wollen. Zu unseren kollektiven
Ordnungsvorstellungen sollten künftig auch die Rechte der Tiere ge-
hören, mit denen wir als Menschen die Erde als Haus allen Lebens
gemeinsam bewohnen und teilen (vgl. Ladwig, 2020).

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Tiere als Mitgeschöpfe |

Dabei ist auch klar: „Tieren Rechte zuzusprechen, bedeutet nicht, sie
wie Menschen zu behandeln.“ (Precht, 2018, S. 235) Ein Wahlrecht
für Fledermäuse würde keinen Sinn ergeben. „Diese Rechte können
nur formuliert werden durch eine möglichst angemessene Einschät-
zung der Bedürfnisse von Tieren durch Menschen.“ (Horstmann et
al., 2018, S. 35)
    Wir werden uns also intersubjektiv darüber verständigen müssen,
welche Rechte für welche Arten gelten sollen. Bei jeder Grenzzie-
hung und Hierarchisierung wird es sich dabei um „erfundene Ord-
nungen“ handeln, die idealerweise nicht willkürlich sind, wohl aber
menschliche Setzungen bleiben. Das Minimalziel sollte dabei die
Überwindung eines instrumentellen und verobjektivierenden Ver-
ständnisses sein, das Tiere lediglich unter der Perspektive des
menschlichen Nutzens als Sachen und Rohstofflieferanten für die so-
genannte „Fleischproduktion“ betrachtet.
    Aber auch diese neuen Vorstellungswelten fallen nicht vom Him-
mel, sondern müssen erstritten werden. Die Theologische Zoologie
ist ein (diskursiver) Beitrag dazu, indem sie das Mensch-Tier-Ver-
hältnis als ein Verhältnis von Geschöpf und Mitgeschöpf beschreibt
und für eine Kultur und Spiritualität der Mitgeschöpflichkeit wirbt.
Oder um es mit der theologischen Ordnungsvorstellung vom Bund
Gottes mit Menschen und Tieren auszudrücken: „Aus diesem Bund
‚mit uns‘ folgen die grundlegenden Menschenrechte. […] Aus die-
sem Bund ‚mit […] allen lebendigen Wesen‘ folgen die Rechte der
Natur.“ (Moltmann, 1995, S. 53)

5 Menschen und Tiere – Eine Spiritualität der
  Mitgeschöpflichkeit
Die Enzyklika Laudato sí trägt den Untertitel Über die Sorge für das
gemeinsame Haus. Das Bild von der Erde als gemeinsamem Haus
des Lebens ist eine vertraute Metapher aus der ökumenischen Bewe-
gung, die sozial wie ökologisch gleichermaßen anschlussfähig ist:
Als Menschen sind wir verbunden mit Menschen aus anderen Erd-
teilen, anderen Kulturen, anderen Konfessionen, anderen Religio-
nen. Wir bewohnen zusammen das gemeinsame „Haus“ (oikos), wir
teilen die „bewohnte Erde“ (oikoumene) miteinander.

TIERE IN CHRISTLICHER THEOLOGIE TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) | 29 |
| Bernd Kappes

Doch wir teilen die Erde als Haus des Lebens nicht nur mit anderen
Menschen, sondern auch mit den Tieren (und Pflanzen). Zu unseren
Mitbewohner*innen in der großen Wohngemeinschaft des Lebens
gehören auch die Gemsen und Wildesel. Dass Konflikte zum Leben
in der Wohngemeinschaft dazugehören, ist dabei ebenso selbstver-
ständlich. Die Überwindung einer anthropozentrisch geprägten
Ethik forderte vor rund 100 Jahren erstmals Albert Schweitzer:
   „Der große Fehler aller bisherigen Ethik ist, daß sie es nur mit dem
   Verhalten des Menschen zum Menschen zu tun zu haben glaubte. In
   Wirklichkeit aber handelt es sich darum, wie er sich zur Welt und
   allem Leben, das in seinen Bereich tritt, verhält. Ethisch ist er nur,
   wenn ihm das Leben als solches, das der Pflanze und des Tieres wie
   das des Menschen, heilig ist.“ (Steffahn, 1984, S. 173)
In einer solchen ökumenisch-ökologischen Vision erfahren unsere
sozial geprägten Leitbilder eine ökologische Erweiterung: Gemein-
schaft nicht nur als Gemeinschaft von Menschen, sondern als Ge-
meinschaft allen Lebens; Gerechtigkeit auch als ökologische Ge-
rechtigkeit; Verringerung der Gewalt auch als Verringerung der Ge-
walt gegen Tiere (und Natur); Frieden als Frieden mit den Tieren
(und mit der Erde); Nächstenliebe auch als Liebe zu den Tieren. In-
nerhalb dieser Vision einer „friedlichen und freundschaftlichen
Koexistenz“ (Horstmann et al., 2018, S. 16) sollte als tierethische
Faustregel gelten, „dort, wo kein unmittelbarer Zwang zum Töten
vorliegt, Tieren möglichst gewaltfrei entgegenzutreten.“ (Precht,
2018, S. 304)
   Wie verhält sich diese Vision aber zu der Tatsache, dass allein in
Deutschland jedes Jahr rund 600 Millionen Hühner, 60 Millionen
Schweine, 40 Millionen Puten und 25 Millionen Enten geschlachtet
werden? Für Jonathan Safran Foer ist „Krieg genau das richtige
Wort“, um unsere Beziehung zu den Tieren zu beschreiben: „Wir
führen einen Krieg gegen alle Tiere, die wir essen.“ (Foer, 2009,
S. 45)
   Warum gelten für Schweine andere Standards für Empathie,
Ethik und Haltungsbedingungen als für Hunde? Würden wir einen
Hund ein Leben lang in einen Kleiderschrank einsperren (vgl. Foer,
2009, S. 225)? Von unserem Umgang mit den Haustieren könnten

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Tiere als Mitgeschöpfe |

wir viel lernen für unseren Umgang mit den sogenannten Nutztieren.
Und wie verhält sich die Vision von der Gemeinschaft und Verbun-
denheit allen Lebens zu dem dramatischen Artensterben, das wir ge-
genwärtig erleben? Eine Million Tier- und Pflanzenarten sind in den
kommenden Jahrzehnten vom Aussterben bedroht. Die entscheiden-
den Gründe dafür sind Landwirtschaft, Fischerei, Klimawandel und
Umweltverschmutzung – also die ökologischen Folgen unserer in-
dustrialisierten Lebensweise. In Afrika könnte bis 2100 die Hälfte
aller Säugetier- und Vogelarten verschwunden sein. In Europa hat
die Zahl der Insekten bereits dramatisch abgenommen. Der Bericht
des Weltbiodiversitätsrats IPBES, der Anfang Mai 2019 in Paris der
Weltöffentlichkeit vorgestellt wurde, macht deutlich, dass der Ver-
lust der Biodiversität eine ebenso große Bedrohung für die Zukunft
des Lebens darstellt wie der Klimawandel.
    In unserer Gegenwart werden wir Zeug*innen des Verschwin-
dens der Tiere – durch das anthropogene Artensterben sowie durch
sogenannte „moderne“ Formen der Tierhaltung, welche Haltung und
Schlachtung einer gigantischen Zahl von Tieren weitgehend vor un-
seren Augen verbirgt. Gleichzeitig kommen uns die Tiere wieder nä-
her – durch Umbrüche in der Verhaltensbiologie, in unseren Ernäh-
rungsgewohnheiten und Wertvorstellungen sowie zunehmend auch
in Theologie und Spiritualität.
    Von den Tieren zu reden bedeutet, von uns Menschen zu reden:
Was ist der Ort des Menschen in der Schöpfung? Was ist der Mensch
– im Verhältnis zum Tier? Friedrich Schorlemmer bringt es auf die
Formel: „Menschlichkeit als Mitmenschlichkeit und als Mitge-
schöpflichkeit.“ (Schorlemmer, 2016, S. 156) Mit anderen Worten:
Die Idee des Humanismus bezog sich bisher darauf, Menschen nicht
wie Dinge zu behandeln. Wir müssen diese Idee heute dahingehend
erweitern, auch Tiere nicht wie Dinge zu behandeln.

TIERE IN CHRISTLICHER THEOLOGIE TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) | 31 |
| Bernd Kappes

Literatur
Darwin, C. (1859). The Origin of Species by Means of Natural Selection:
   or the Preservation of Favored Races in the Struggle for Life. London:
   Murray.
Foer, J.S. (2009). Tiere essen. Köln: Fischer.
Franziskus. (2015). Laudato sí. Über die Sorge für das gemeinsame Haus.
   Freiburg i.Br., Basel & Wien: Herder.
Hagencord, R. (2009). Diesseits von Eden. Verhaltensbiologische und the-
   ologische Argumente für eine neue Sicht der Tiere (4. Aufl.). Regens-
   burg: Pustet.
Hagencord, R. (2011). Die Würde der Tiere. Eine religiöse Wertschätzung.
   Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.
Harari, Y.N. (2015). Eine kurze Geschichte der Menschheit (23. Aufl.).
   München: Pantheon.
Horstmann, S., Ruster, T., & Taxacher, G. (2018). Alles, was atmet. Eine
   Theologie der Tiere. Regensburg: Pustet.
Janowski, B., Neumann-Gorsolke, U., & Gleßmer, U. (Hrsg.). (1993). Ge-
   fährten und Feinde des Menschen. Das Tier in der Lebenswelt des alten
   Israel. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag.
Ladwig, B. (2020). Politische Philosophie der Tierrechte. Berlin: Suhr-
   kamp.
Moltmann, J. (1995). Wiederentdeckung der Erde – Neue Spiritualität.
   Deutsches Pfarrerblatt, 95 (2), 51–54.
Moltmann, J. (2014). Die Hoffnung der Erde. Die ökologische Wende der
   christlichen Theologie und der christlichen Spiritualität. Evangelische
   Theologie, 74, 216–226.
Precht, R.D. (2018). Tiere denken. Vom Recht der Tiere und den Grenzen
   des Menschen. München: Goldmann.
Rasmussen, L. (2015). Earth-Honoring Faith. Religious Ethics in a New
   Key. New York: Oxford University Press.
Sachser, N. (2018). Der Mensch im Tier. Warum Tiere uns im Denken,
   Fühlen und Verhalten oft so ähnlich sind (2. Aufl.). Reinbek: Rowohlt.
Schorlemmer, F. (2016). Unsere Erde ist zu retten. Haltungen, die wir jetzt
   brauchen. Freiburg i.Br., Basel & Wien: Herder.
Shubin, N. (2015). Der Fisch in uns. Eine Reise durch die 3,5 Milliarden
   Jahre alte Geschichte unseres Körpers (6. Aufl.). Frankfurt a.M.: Fi-
   scher.
Steffahn, H. (Hrsg.). (1984). Albert Schweitzer. Lesebuch. München: Beck.

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Tiere als Mitgeschöpfe |

Zur Person
Bernd Kappes ist Mitglied im Kuratorium des Instituts für Theolo-
gische Zoologie. Der Theologe hat bei der Menschenrechtsorganisa-
tion FIAN in Mittelamerika und bei Brot für die Welt gearbeitet. An
der Ev. Akademie Hofgeismar war er als Studienleiter für Nachhal-
tige Entwicklung und Agrarpolitik zuständig.
Publikationen:
     x     Michael Biehl, Bernd Kappes & Bärbel Wartenberg-Potter (Hrsg.).
           (2017). Grüne Reformation – Ökologische Theologie. Hamburg: Missi-
           onshilfe.
     x     Bernd Kappes (2018). Krone der Schöpfung? Es ist Zeit für eine Grüne
           Reformation. Publik Forum, (7), 26–30.
     x     Bernd Kappes (2019). The Third Party in the Covenant. A Theology of
           Animals. In Louk Andrianos, M. Biehl, R. Gütter, J. Motte, A. Parlin-
           dungan, T. Sandner et al. (Hrsg.), Kairos for Creation. Confessing Hope
           for the Earth (S. 203–211). Solingen: foedus.

Korrespondenzadresse
Pfr. Bernd Kappes
Wilhelmshöher Allee 330
34131 Kassel
E-Mail: bernd.kappes@ekkw.de

Beitragsinformationen
 Zitationshinweis:
 Kappes, B. (2021). Tiere als Mitgeschöpfe. Die Perspektive der Theologischen Zoologie.
 TIERethik, 13 (1), 14–33. https://www.tierethik.net/.

 Online verfügbar: 15.04.2021

 ISSN: 2698–9905 (Print); 2698–9921 (Online)

                                © Die Autor*innen 2021. Dieser Artikel ist freigegeben unter der Cre-
                                ative-Commons-Lizenz Namensnennung, Weitergabe unter gleichen
                                Bedingungen, Version 4.0 Deutschland (CC BY-SA 4.0 de).
                                URL: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/de/legalcode

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