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WEITERE BEITRÄGE TIERethik 13. Jahrgang 2021/1 Heft 22, S. 115–136 Florian Hartnack Tiere im Sport? Definitionsversuche und das Gebot (sport-)ethischer Diskussion Zusammenfassung Der Beitrag möchte zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Tie- ren im Sport anregen. Anhand von Definitionsversuchen zum tierbe- zogenen Sport sollen tier- und sportethische Überlegungen zum Ver- hältnis von Sport, Mensch und Tier beschrieben und schließlich der Legitimierungsbedarf tierbezogener Sportarten herausgearbeitet werden. Aus dieser Perspektive heraus werden unter ethischen Ge- sichtspunkten interdisziplinäre Anknüpfungsmöglichkeiten des Sports mit Tieren für die Sportwissenschaft exemplarisch veran- schaulicht, um die Notwendigkeit einer intensiveren sportwissen- schaftlichen (und tierethischen) Betrachtung dieses Themenfelds in- haltlich zu begründen. Schlüsselwörter: Tiere, Sport, Definition, Ethik, Pferdesport, Jagd, Moral Animals in Sports? Attempts at a Definition and the Need for Discussion from a (Sports) Ethical Perspective Summary This paper aims to spark a critical debate on the use of animals in sports. Building on definitions of sports involving animals, it reflects on the relationship between sports, humans and animals from an an- imal ethics and sport ethics perspective and assesses the need for legitimising animal-related sports. Drawing on ethical criteria, it WEITERE BEITRÄGE TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) | 115 |
| Florian Hartnack then moves on to highlight some of the interdisciplinary intersections of sports science with animal-related sports in order to argue that sports science (and animal ethics) ought to contribute more to re- solve the issues raised. Keywords: animals, sports, definition, ethics, equestrianism, hunt- ing, morality 1 Einleitung: Wozu benötigen wir eine Definition? Dieser Beitrag beginnt mit einer Tautologie: Der Sportbegriff ist ein auf menschlichen Vorstellungen, Werten und Normen basierendes Konstrukt des Menschen und erhält seine Bedeutung erst über Zu- schreibungen des Menschen. Diese Aussage ist so wichtig wie sie logisch immer wahr ist, denn Tiere können damit weder Sport ge- stalten noch an Zielsetzungen und Zwecksetzungen des Sports aktiv partizipieren. Dennoch sind sie Teil des Sports und gerade deshalb gesondert zu betrachten. In unserer Kultur dienen Tiere der Unterhaltung. Ob in Zoos, im Zirkus, in Nationalparks oder im Fernsehen – die Differenz zwischen Mensch und Tier ist deutlich wahrnehmbar; zugleich ist der Sport mit Tieren auf der ganzen Welt bekannt und verbreitet. Allein in Deutschland zählt die Deutsche Reiterliche Vereinigung weit über 600.000 Mitglieder und findet sich somit unter den zehn mitglieder- stärksten Spitzenverbänden im DOSB-Ranking wieder (DOSB, 2018). Unterdessen erscheint „der Problemkreis um das Tier in der Mo- ral des Sports“ als „ein Desiderat der Sportethik“, wie Segets (2002, S. 179) feststellt.1 Tiere spielen in der sportwissenschaftlichen Aus- einandersetzung bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Ebenso in an- deren interdisziplinär angelegten Wissenschaften wie den Human- Animal Studies (vgl. Kompatscher, Spannring & Schachinger, 2017) 1 So existieren zwar ethische Leitlinien zum Umgang mit Tieren im Sport; diese setzen jedoch zumeist das Tier als ein für den Sport zu instrumentalisierendes Subjekt voraus und vermeiden eine grundlegende tierethische Auseinanderset- zung (vgl. u.a. Deutsche Reiterliche Vereinigung, 2017). | 116 | TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) WEITERE BEITRÄGE
Tiere im Sport? | oder philosophischen Texten zur Tierethik (vgl. Schmitz, 2014) ist der Sport höchstens als Randnotiz zu finden. Doch ist der tierbezogene Sport überhaupt ein Thema für die Sportwissenschaften? Für die Inhalte der Sportwissenschaften schei- nen „zwei Aspekte […] relativ unstrittig: Sportwissenschaft handelt von menschlichen Bewegungen und sie handelt von menschlichen Körpern“ (Schürmann, 2018, S. 211). Der Mensch2 – nicht das Tier – steht damit im Mittelpunkt der Betrachtungen, denn „Tiere treiben keinen Sport, weil Tiere zurzeit nicht zu den Personen zählen“ (ebd., S. 135). Rücken demnach Tiere in den Fokus sportwissenschaftli- cher Betrachtungen, so können diese immer lediglich auf das (ge- meinsame) Tun mit dem Menschen gerichtet sein. Bereits hier zeigt sich der dringende Definitionsbedarf tierbezogenen Sports. Nachfolgend sollen anhand von Definitionsversuchen zum tier- bezogenen Sport tier- und sportethische Überlegungen zum Verhält- nis von Sport, Mensch und Tier beschrieben und schließlich der Le- gitimierungsbedarf tierbezogener Sportarten herausgearbeitet wer- den. Aus dieser Perspektive heraus werden unter ethischen Gesichts- punkten interdisziplinäre Anknüpfungsmöglichkeiten des Sports mit Tieren für die Sportwissenschaften exemplarisch veranschaulicht, um die Notwendigkeit einer intensiveren sportwissenschaftlichen (und tierethischen) Betrachtung dieses Themenfelds inhaltlich zu be- gründen. 2 Sportbegriff und die Schwierigkeit von Definitionen Nach Holzhäuser, Bagger & Schenk (2016) ist der Sportbegriff noch immer nicht einheitlich definiert. Eine lexikalische Definition scheint schwierig; der Begriff des Sports bestimmt sich vielmehr „über eine typologische Gesamtbetrachtung im jeweiligen konkreten Kontext seiner Anwendung“ (ebd., S. 94). Tradierte Sportarten mit Tieren sind zumeist als Wettkämpfe or- ganisiert mit eindeutig definierten und messbaren Zielen im Kontext 2 „Mensch“ meint hier den Begriff der Person, als „Bewussthaber mit Fähigkeit zur Selbstzuschreibung“ (Schmitz, 2015, S. 45). WEITERE BEITRÄGE TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) | 117 |
| Florian Hartnack eines Regelwerks. Sie entsprechen damit einem engen Sportver- ständnis (vgl. Wopp, 2006). Zugleich existieren Spiel- und Bewe- gungsformen mit Tieren in unterschiedlichen Organisationsformen, wobei die menschlichen Akteure ebendiese Bewegungen für sich als sportiv wahrnehmen. Damit scheint sich der Sport mit Tieren nicht bloß auf ein enges Sportverständnis im Kontext tradierter Sportarten (wie dem Pferdesport) zu beziehen, sondern entspricht zudem einem weiten, die Innenperspektive der menschlichen Akteure berücksich- tigenden Sportverständnis (vgl. ebd.). Bereits hier zeigt sich die Not- wendigkeit des Versuchs einer Definition von Sport im Kontext die- ses Beitrags, um auf dieser Grundlage die moralisch-ethischen Grundsätze des Einsatzes von Tieren diskutieren zu können. Eine Definition erscheint brauchbar, „wenn sie Unterscheidungen zulässt und möglichst viele theoretische und praktische Konsequenzen er- möglicht“ (Volkamer, 2003, S. 19) und somit individuelle Vorver- ständnisse und Sinngebungen zum Sport eingrenzt. So geht dieser Beitrag im Folgenden von einigen grundlegenden Annahmen bezüglich des Sportbegriffs aus, wohl wissend um die Schwierigkeit, Unvollständigkeit und ggf. auch Unmöglichkeit einer einheitlich-universell gültigen Definition: x Der Mensch ist als sich bewegender Akteur aktiv beteiligt, wobei der Selbstzweck der Betätigung im Mittelpunkt steht (vgl. DOSB, 2014). x Willkürlich erschaffene Reglements werden über körperliche Aktivität gelöst, wobei sich die Akteure im Rahmen des Wettkampfsports über diese Lösungswege und Rahmenbe- dingungen verständigen müssen (vgl. Volkamer, 1984). x Sport entspricht dem Spiel3 in Form der Wiederholbarkeit. Im agonalen Aufeinandertreffen müssen die Beteiligten die 3 Hier sei auf kontroverse Auffassungen in der Unterscheidung von Sport und Spiel verwiesen. Während bei Guttmann (1979) der Sport eine Ausformung des Spiels darstellt, unterscheidet Suits (1988) zwischen game, play und sports | 118 | TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) WEITERE BEITRÄGE
Tiere im Sport? | Situation unversehrt wiederholen können (vgl. Brunn, 2014).4 Diese Annahmen grenzen den Sportbegriff gewiss sehr ein und zeichnen einen anspruchsvollen Sportbegriff. Auf den DOSB wird verwiesen, da organisierter Sport in Deutschland, wie in Form der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, in eben diesem Organ organi- siert ist und damit den Voraussetzungen dieser Organisation genü- gen muss. Auf Meinhart Volkamers kontrovers diskutierte, aber den- noch eindeutige Begriffsbestimmung wird insbesondere aufgrund der körperlichen Aktivität und des Aspekts der Verständigung ver- wiesen. Das Prinzip der Wiederholbarkeit zeichnet den Sport zudem als Spiel aus, um eine Ernsthaftigkeit im Sport insbesondere im Hin- blick auf den Aspekt von Leben und Tod in tierbezogenen Bewe- gungsfeldern zu verdeutlichen. Ausgehend von diesen eingrenzenden Grundannahmen zum Sport wird deutlich, dass bestimmte tierbezogene „Sport-“ bzw. Be- wegungsformen zumindest kritisch auf ihren sportiven Gehalt hin überprüft werden müssen. Der Mensch möchte gewinnen, der Mensch möchte sich messen und vergleichen, der Mensch möchte Geld verdienen, der Mensch möchte Unterhaltung usw. Der Mensch wird damit zum obligatori- schen Partizipanten des Sports – sei es als Spekulant*in, Konstruk- teur*in, sich bewegende*r Akteur*in, Zuschauer*in, Organisator*in usw. Damit ist eine Unterscheidung zwischen Mensch und beteilig- tem Tier dem Sport bereits inhärent.5 Nimmt der Mensch als Sport- und beschreibt deren Verwandtschaft. Dabei könne der Sport sich mit den an- deren Zuschreibungen überschneiden, aber ebenso völlig autark und gelöst von spielerischen Elementen erscheinen. 4 Dies kann auch Grundlage für eine gewisse zeitliche Konstanz sein, wie sie Suits (1988) als Merkmal des Sports beschreibt. 5 Die besondere Stellung des tierbezogenen Sports ergibt sich erst aus der be- grifflichen Unterscheidung von Mensch und Tier, die den Menschen zwar als aus der Natur stammend annimmt, ihn zugleich allerdings von ebendieser Na- tur abgrenzt. Im Laufe der Menschheitsgeschichte scheint die Kluft zwischen WEITERE BEITRÄGE TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) | 119 |
| Florian Hartnack ler*in am Wettkampf teil, so ist das Tier von dem bzw. der Sport- ler*in abhängig, allerdings in einer Sonderstellung, da es selbst kei- nen Sport als Sportler ausführt. Der hier verwendete Sportbegriff be- zieht sich somit auf den Sport treibenden Menschen, der wiederholt und mit reflexivem Einverständnis mit den Rahmenbedingungen mithilfe des Tiers am Sport partizipieren kann. Damit sind gewisse, tradiert als Tiersportarten bezeichnete Bewegungsfelder bereits aus- geschlossen. Die im Kontext von Tieren im Sport existierenden Be- wegungsformen sollen nachfolgend aufgegriffen werden. 3 Tiere und Sport – ein erster Definitionsversuch In sportwissenschaftlichen Veröffentlichungen werden zumeist drei Formen tierbezogenen Sports unterschieden (vgl. u.a. Müller, 2001; Jönsson, 2016): 1. Menschen mit Tieren gegen Menschen mit Tieren (u.a. Polo, Pferderennen, Rodeo), 2. Menschen (ggf. mit Tieren) gegen Tiere (u.a. Jagd, Stier- kampf, Angeln),6 3. Tiere gegen Tiere (u.a. Hunderennen, Hahnenkämpfe). Diese Formen tierbezogenen Sports lassen folgende erste zusam- menfassende Bestimmung des Begriffs „tierbezogener Sport“ zu: Mensch und Natur zu wachsen, nicht zuletzt durch die technisch-digitale Op- timierung des Menschen, durch Massentierhaltung oder genetisch manipu- lierte Natur. So ist das cartesische Weltbild der seelen- und gefühllosen Tiere zwar weitgehend überwunden, wie zuletzt die Aufnahme des Schutzes von Tieren in das Grundgesetz (Art. 20a GG) zeigt; dennoch scheint eine unüber- windbare Kluft zwischen moralisch-ethischer Beurteilung des Mensch-Tier- Verhältnisses und der gelebten Praxis des Umgangs mit Tieren (nicht nur im Sport) zu herrschen. 6 Der Vollständigkeit halber sei auf die die Erscheinungsform „Tiere gegen Menschen“, wie sie in römischen Arenen zu finden war, verwiesen. Diese wird hier allerdings aufgrund der fehlenden Relevanz nicht weiter aufgegriffen und kann als Sonderform unter Punkt 2 gefasst werden. | 120 | TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) WEITERE BEITRÄGE
Tiere im Sport? | Tierbezogener Sport (vorläufige Definition 1): Sport mit Tieren bedeutet, ausgehend von einem eng oder weit ge- fassten Sportbegriff, dass von Menschen willkürlich geschaffene Aufgaben über Bewegung von Tieren mit oder ohne Menschen gelöst werden. Der aktiv partizipierende Mensch handelt dabei mit dem Tier oder gegen das Tier gerichtet. Die über Bewegung zu lösenden Aufgaben sind in ihrem Reglement von Menschen vorgegeben, wobei die Tiere notwendige Akteure zu deren Lösung darstellen. Nachfolgend soll geprüft werden, ob sich der Sportbegriff stimmig auf alle Erscheinungsformen tierbezogenen Sports übertragen lässt, um die Definition des tierbezogenen Sports präziser einzugrenzen. Dazu sollen alle drei Kategorien aus einem moralisch-ethisch bewer- tenden Blickwinkel in ihrem Verhältnis zum Sport betrachtet wer- den. 3.1 Agonale Sportformen: Menschen (ggf. mit Tieren) gegen Tiere Menschen treten in unterschiedlichen Kontexten gegen Tiere an (Ro- deo, Stierkampf, Angeln, Jagd o.Ä.). Ausgehend von heterogenen Sportverständnissen kann es sich für den Menschen dabei – trotz Schädigung des Tiers – grundsätzlich um Sport handeln, da der Mensch als handelnde*r Akteur*in nach entsprechenden Richtlinien direkt involviert ist. Die menschlichen Sportler*innen konkurrieren vergleichend untereinander.7 Während die Jagd zur reinen Nahrungsversorgung oder die not- wendige Verteidigung zum eigenen Schutz gegen Tiere Beispiele wären, denen keine gesonderte Rolle im Kontext des Sports mit Tie- ren zukommen kann, so wäre u.a. die organisierte (Treib-)Jagd zum Sportvergnügen auf ihren Sportcharakter hin zu überprüfen, da es 7 Ein Sonderfall dieser agonalen Mensch-Tier-Relation besteht bei der Jagd: Hier steht der Mensch in einem kooperativen Verhältnis zu den Jagdhunden. Das Verhältnis von gejagtem Tier und jagenden Hunden und Menschen ist jedoch ebenfalls als agonal zu beschreiben. WEITERE BEITRÄGE TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) | 121 |
| Florian Hartnack sich hierbei zwar um agonale, aber willkürliche und von Menschen organisierte Aufgaben handelt. Dass Menschen gegen Tiere im Kontext agonaler tierbezogener Sportformen nicht dem hier verwendeten engeren Sportbegriff ent- sprechen, soll exemplarisch an der Jagd und dem Stierkampf ver- deutlicht werden. 3.1.1 Exkurs 1: Die Jagd Viele Tiere werden noch immer zum Freizeitvergnügen und mit der Rechtfertigung gejagt, es handele sich um Sport. Als vermeintlich dominante Spezies aufgrund ihrer aristotelischen Rationalität scheint der Mensch ein stillschweigendes und natürliches Recht zu besitzen, Tiere in freier Wildbahn zu töten und damit Eigentümer dieses selbst erlegten Tiers zu werden.8 Ausgehend von den Annahmen zum Sportbegriff (vgl. Kap. 2) ist die Jagd als Sport zumindest zu diskutieren, da sie im Wechselwir- ken der direkt beteiligten Partizipant*innen (Mensch–Tier) nicht den Prinzipien agonistischer Sportarten entspricht. Wäre die Jagd ein sportlicher Wettkampf,9 so müssten mindestens zwei menschliche Spieler*innen als Jäger*innen und Gejagte involviert sein. Agonis- tische Sportarten gründen auf von deren Erfinder*innen festgelegten Regeln, mit denen die beteiligten Spieler*innen einverstanden sind. Ein Reglement, das für die Jagd entwickelt wurde, genügt dieser De- finition nicht. Tiere können auch ohne Reglement gejagt werden; der 8 Die Dominanz der menschlichen Spezies verdeutlicht sich in der technisch- wissenschaftlichen Entwicklung, die den Menschen immer unabhängiger von der Natur werden lässt. Ein anthropozentrisches Weltbild wird jedoch in eben- dieser Annahme deutlich, die menschliche Vernunft belangreicher zu bewerten als andere evolutionsbedingte Fähigkeiten wie das Atmen unter Wasser, das Fliegen ohne technische Hilfsmittel oder den Kälteschutz durch Fell. 9 So gilt insbesondere im angloamerikanischen Raum der Wettkampf bzw. Wettstreit als konstitutives Merkmal des Sports (vgl. u.a. Güldenpfennig, 2004). | 122 | TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) WEITERE BEITRÄGE
Tiere im Sport? | Wegfall der Regeln ändert nichts an der ungleichen Stellung zwi- schen (menschlichen) Jäger*innen und (tierischen) Gejagten.10 Zudem ist eine zustimmende Teilnahme der partizipierenden Tiere, die gefangen oder getötet werden, zu hinterfragen.11 Die Jagd ist damit nicht in sportlichen Kontexten zu rechtfertigen, denn „die Tötungsfrage ist und bleibt ein zentraler Punkt bei der Jagd“ (Win- kelmayer, 2014, S. 54), womit auch die Wiederholbarkeit durch Un- versehrtheit der Partizipanten als Merkmal sportiven Handelns nicht erfüllt ist. Lediglich der Vergleich bzw. Wettbewerb zwischen den Jä- ger*innen könnte die Jagd als Sport legitimieren, wenn von den wei- teren, in diesem Beitrag durchaus eng gefassten Aspekten (Unver- sehrtheit der Tiere als Partizipanten/Wiederholbarkeit) abgesehen wird bzw. die Tiere ausschließlich als Mittel zum Zweck des Ver- gleichs genutzt bzw. getötet werden (und nicht als eine Art sportli- che Kontrahenten). 3.1.2 Exkurs 2: Der Stierkampf Der Stierkampf nimmt als kulturell geformtes Relikt eine Sonder- stellung ein. Das Tier wird zum unberechenbaren Objekt; symbo- lisch repräsentiert es die zu beherrschende Natur. Der Reiz liegt stets in der Ungewissheit, wie ein Wettkampf ausgehen wird, aufgrund der stets ungewissen Konstante des Tiers (vgl. Rosenberger & Kunz- mann, 2012). Mit dem Tod oder der Verwundung endet die Wieder- holbarkeit für den Sport als „Spiel“. Die Tiere können als aktive und notwendige Partizipanten das agonale Aufeinandertreffen mit dem 10 In direkter Auseinandersetzung mit dem Tier limitieren die Regeln die menschlichen Partizipant*innen, womit ein Moment scheinbarer Spannung aufrechterhalten werden soll. Stierkämpfer nutzen ausschließlich ein Cape und keine weitere Schutzausrüstung; Jäger*innen verwenden keine Granaten oder automatischen Schnellschusswaffen. Diese Spannung entsteht aus der Heraus- forderung und der vermeintlichen Fairness, aus der vordergründig eine ge- wisse Ergebnisoffenheit resultiert. 11 Bereits die Teilnahme von Jagdhunden ist hierbei kritisch zu betrachten, wenn deren Teilnahme vom Menschen mit Spaß der Hunde assoziiert und dies wie- derum als eine Art freiwillige Zustimmung bewertet wird. WEITERE BEITRÄGE TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) | 123 |
| Florian Hartnack Menschen nicht als Spiel erleben, da sie es nicht unversehrt wieder- holen können (vgl. Brunn, 2014), womit auch der Stierkampf nicht den Merkmalen des hier verwendeten Sportbegriffs entspricht. 3.2 Tiere gegen Tiere In agonalen Auseinandersetzungen kämpfen die Tiere gegeneinan- der um ihr Leben; die Menschen sind dabei Zuschauer*innen und nicht direkt in den Sport involviert. Wird von Sport als einer aus- schließlich menschlichen Tätigkeitsform ausgegangen (vgl. Segets, 2002; Schürmann, 2018), die ohne eine direkte Beteiligung des Men- schen nicht möglich ist, wäre diese Form des Zweikampfs von Tie- ren kein Sport, zumal zumeist kein festes Reglement existiert und das Kriterium der Wiederholbarkeit nicht gewährleistet ist. Dies trifft ebenso auf weitere agonale Strukturen ohne das Ziel der kör- perlichen Beeinträchtigung zu, in denen die Tiere sich in ihren ath- letischen Fähigkeiten messen (Hunderennen o.Ä.), da auch diese Formen des Wettkampfs ohne direkte Beteiligung des Menschen nicht als Sport beschrieben werden können. Der Sportbegriff spielt auch hier eine besondere Rolle. Die Kri- terien der Wiederholbarkeit (und damit verbundenen Unversehrtheit des Tiers) und der reflexiven Teilnahme an Reglements als Sportler am Sport schließen wie dargestellt agonale Formen, in denen Men- schen gegen Tiere und auch Tiere gegen Tiere ohne Beteiligung des Menschen antreten, aus. Wird Sport entsprechend den soziokulturel- len Rahmenbedingungen anders gedeutet und definiert, sind diese tierbezogenen Formen zwar nicht auszuschließen, aber scheinen dennoch diskussionsbedürftig. Im vorliegenden Beitrag scheinen lediglich hybride Bewegungs- formen, in denen Menschen mit Tieren gegen Menschen mit Tieren antreten, zur Diskussion als tierbezogene Sportarten geeignet. Ent- sprechend wird die Definition tierbezogenen Sports wie folgt ange- passt: | 124 | TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) WEITERE BEITRÄGE
Tiere im Sport? | Tierbezogener Sport (vorläufige Definition 2): Tierbezogener Sport bedeutet, ausgehend von einem eng oder weit gefassten Sportbegriff, dass von Menschen willkürlich geschaffene Aufgaben über Bewegung von Menschen mithilfe von Tieren gelöst werden. Die über Bewegung zu lösenden Aufgaben sind in ihrem Reglement von Menschen vorgegeben, wobei die Tiere notwendige Akteure zu deren Lösung darstellen. 4 Ethische Betrachtungen hybrider Sportformen: Mensch mit Tier gegen Mensch mit Tier 4.1 Tiere als Sportgeräte? Instrumentalisierung des Tiers Hybride tierbezogene Sportformen unterscheiden sich in der Ver- hältnisstruktur Mensch–Tier von den oben genannten Beispielen. Nach Segets (2002) steht hierbei die Kooperation anstatt der Kon- kurrenz im Vordergrund: Menschen und Tiere kooperieren als Ge- spanne im Dressur- oder Springreiten, wobei gelegentlich auch Tiere untereinander kooperieren können (wie im Hunderennen).12 Im Kontext des Sports ist der Begriff der Kooperation zwischen Mensch und Tier allerdings zu hinterfragen. Ob Tiere mit Menschen in Situationen kollektiver Handlungen, die als wesentliches Merk- mal von Kooperation angesehen werden (vgl. Searle, 1990; Tu- omela, 2000), eintreten können, ist aufgrund des dem Begriff der Kooperation inhärenten zweckgerichteten Zusammenwirkens auf ein gemeinsames Ziel hin schwierig zu beantworten. Damit wären tierbezogen-sportliche Mensch-Tier-Interaktionen als Formen ein- seitiger Kooperation ohne kollektive Handlung mit gemeinsamer Absicht zu beschreiben (vgl. Arielli, 2005). So scheint das Spring- reiten äußerlich als ein kooperatives Moment zwischen Reiter*in 12 Der menschliche Begriff der Kooperation wird hier mit dem Tier in Verbin- dung gebracht, da im tierbezogenen Sport stets auf eine derartige Verbindung rekurriert wird. Der Zirkelschluss, dass das Tier mit einem menschlichen Be- griff wie der Kooperation nicht fassbar ist, verdeutlicht die schwierige Über- tragung menschlicher Absichten im Sport in Bezug auf die Tiere. WEITERE BEITRÄGE TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) | 125 |
| Florian Hartnack und Pferd. Allerdings ist nicht nachvollziehbar, ob beide Partizi- pant*innen gemeinsame Absichten und (im Rahmen des Sports vom Menschen vorgegebene) Ziele verfolgen oder vielmehr „Erwartun- gen“ des Gegenübers erfüllt und situationsspezifische Handlungs- muster ausgeführt werden. Wird davon ausgegangen, dass die Tiere nicht zweckgerichtet und damit im Hinblick auf die Ziele und Regeln einer Sportart nicht reflexiv in ein kooperatives Verhältnis zum Menschen treten, ist die Rolle des Tiers als sportlicher Akteur insgesamt zu hinterfragen. Er- füllt das Pferd lediglich Erwartungen des Reiters bzw. der Reiterin, ist es kein Sport treibendes Pferd, sondern ein von der bzw. dem menschlichen Sportler*in instrumentalisiertes Lebewesen. In den genormten Wettkämpfen des Sports treten die Eigenschaften, Wün- sche und Absichten des Tiers in den Hintergrund; die vom Menschen festgelegte „Leistung“ bzw. der richtige Umgang des Sportlers bzw. der Sportlerin mit seinem/ihrem Pferd zählt – das Pferd wird somit zu einem Sportgerät bzw. Sportobjekt. In diesem Zusammenhang wird die Problematik des Sporttreibens mit nicht menschlichen Le- bewesen besonders deutlich. Die unfreiwillige Teilnahme der Tiere scheint eine gewichtige Rolle in der moralischen Bewertung des Tiersports zu spielen. Dass diese Tiere oftmals für den Leistungssport gezüchtet werden, scheint ein Argument für den Einsatz von Tieren im Sport zu sein (vgl. Sche- rer, 1995). So sind viele Tiere nur aufgrund ihres vom Menschen zugedachten Einsatzes am Leben, und es stellt sich die daran an- schließende Frage, ob Züchter*innen auch die Rechte über ihre Züchtungen zustehen. Dem lässt sich entgegenhalten, dass Leben zwar generell höher zu bewerten ist als Nichtexistenz, dies allerdings noch kein Urteil über die Qualität des Lebens (Vermeidung von Leid etc.) darstellt. Es lässt sich schwerlich eine objektive Grenze ziehen, wann und ob ein schlechteres Leben besser ist als gar keine Existenz. Ebenso lässt sich die Frage nach der moralischen Verantwortung der Züchter*innen für ein gezüchtetes Tier aufwerfen. Hier dominiert schnell eine objektivierende Perspektive auf die Tiere als Eigentum des Menschen (wie sie auch in der Massentierhaltung gegeben ist). | 126 | TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) WEITERE BEITRÄGE
Tiere im Sport? | Neben einer psychischen oder physischen Schädigung der Tiere ist damit ebenso eine symbolische Schädigung denkbar (vgl. Jönsson, 2016), da die Tiere als eine dem Menschen scheinbar nicht ebenbür- tige Spezies gezüchtet, unterworfen und für die menschlichen Inte- ressen genutzt werden. Denn selbst wenn die Tiere explizit als Ath- leten wahrgenommen werden, so haben sie sich diese Rolle nicht freiwillig ausgesucht, sondern wurden von Menschen für menschli- che Interessen in diese Rolle versetzt. Tiere sind somit in tierbezogenen Sportarten per Definition ge- nötigt, ein Teil dieser Sportarten zu sein, und dabei den Entscheidun- gen und Regeln der Menschen unterworfen. Spezifische Bedürfnisse der Tiere kreuzen sich dabei zunehmend mit den Interessen der mächtigeren Menschen, da Besitzer*innen, Trainer*innen, (mensch- liche) Athlet*innen, Vereinigungen und Regierungen Interesse an ei- nem (oftmals möglichst zuschauerfreundlichen und somit spektaku- lären) Fortbestand der Sportarten haben.13 „Die Frage lautet daher nicht, ob das Tier im Sport instrumenta- lisiert wird, sondern ob das Tier ausschließlich in einem instrumen- talisierten Verständnis betrachtet wird“ (Segets, 2002, S. 191). Wer- den die Tiere artgerecht und mit Respekt behandelt, scheint dies das gravierendste moralische Problem zu sein: Ihre Rechte werden ver- letzt, indem sie vermutlich unfreiwillig14 zu einem Teil des kompe- titiven Sports gemacht werden, denn „[i]f humans believe that a certain horse would be a perfect competitor, humans will force him or her to the race track“ (Jönsson, 2016, S. 406). Doch verhält sich 13 Die symbolische Unterwerfung der nicht menschlichen Spezies durch die Spe- zies Mensch ist nach Jönsson (2016) nicht harmlos, sondern Folge einer mas- kulinen Sportkultur, die Männlichkeitskonstruktionen symbolisch repräsen- tiert und mit Unterwerfung und Dominanz spielt, wie Jagdsport, Sportangeln oder Stierkampf in drastischer Weise veranschaulichen. 14 Die freiwillige Teilnahme richtet sich hierbei auf das Akzeptieren des sporti- ven Rahmens. Die generelle Freiwilligkeit in der Teilnahme von Tieren scheint (auch aufgrund des menschlichen Begriffskonstukts) schwierig zu be- urteilen. WEITERE BEITRÄGE TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) | 127 |
| Florian Hartnack die Auffassung eines respektvollen Umgangs nicht konträr zur In- strumentalisierung des Tiers im (Leistungs-)Sport? Und ist eine art- gerechte Haltung von Sporttieren überhaupt möglich? 4.2 Neminem Laedere – Leid, Tod und artgerechte Haltung Sporttreibende Individuen, welche, wie gezeigt, immer nur Men- schen sein können, lassen sich aufgrund der offensichtlichen und vielfältigen Unterschiede zu nichtmenschlichen Lebewesen nicht gleich wie diese behandeln, womit menschliche und nichtmenschli- che Lebewesen auch im Sport nicht miteinander zu vergleichen wä- ren. Singer (2013, 2018) führt aus, dass sich dennoch verschiedene Arten gleich berücksichtigen lassen, wenn sie unterschiedlich behan- delt und mit unterschiedlichen Rechten ausgestattet werden. Ange- lehnt an die utilitaristischen Überlegungen Jeremy Benthams be- schreibt Singer „die Fähigkeit zu leiden als die wesentliche Eigen- schaft, die einem Lebewesen das Recht auf gleiche Berücksichti- gung seiner Interessen verleiht“ (Singer, 2018, S. 34). Ausgehend von dieser Annahme, dass die Empfindungsfähigkeit als Vorausset- zung gilt, eigene Interessen zu haben, muss es falsch sein, Tieren grundlos Schmerzen zuzufügen. Lediglich Speziesist*innen könnten sich demnach dagegen aussprechen, das Prinzip der gleichen Inte- ressenabwägung nicht über die menschliche Spezies hinaus zu er- weitern (vgl. Singer, 2013). Neben der Instrumentalisierung des Tiers spielt die Einhaltung des Tierwohls im Sinne der Vermeidung von Schmerz, Leiden und Schäden ohne vernünftigen Grund (gemäß Art. 1 TSchG) somit eine gewichtige Rolle in der ethischen Bewertung tierbezogenen Sports, da es fraglich scheint, ob Sport als ein vernünftiger Grund angeführt werden kann. Sportliches Vergnügen reicht als Grund nicht aus. Ein lebensnotwendiger Zweck lässt sich im Sport mit Tieren ebenso nicht erkennen. Gegebenenfalls rechtfertigen kulturelle und zivilisa- torische Begründungen tierbezogenen Sport, wobei ein Begriffskon- strukt wie die Kultur als normativer Begriff im Kontext des Sports stets neu hinterfragt werden sollte. | 128 | TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) WEITERE BEITRÄGE
Tiere im Sport? | Die unterschiedlichen Formen des tierbezogenen Sports implizieren zugleich die Legitimation einer differenten moralischen Bewertung. Auch in hybriden Sportformen, in denen der Mensch mit dem Tier gemeinsam auf ein Ziel hinarbeitet, werden regelmäßig Tiere ver- letzt und einem gesundheitlichen Risiko ausgesetzt – trotz Pflege durch Veterinärmediziner*innen, ausgebildete Trainer*innen und entsprechende Dopingkontrollen etc. Im Anschluss an Wolf (1990) schlägt Segets (2002) vor, im Einzelfall zu ermitteln, ob und in wel- chem (zeitlichen) Umfang physisches oder psychisches Leiden das Leben der Tiere beeinflusst. Welche Verantwortung dem Menschen gegenüber dem Tier dabei zukommt, sei zudem am Grad der jewei- ligen Domestikation zu prüfen. Inwieweit es uns allerdings jemals möglich sein wird, animalische Erfahrungen nachzuvollziehen, ist fraglich und rein spekulativ. Entscheidend ist jedoch, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nur vermuten und nicht wissen können, wie es sich für die Tiere anfühlt, Sport zu treiben, und inwieweit menschli- che Gefühle wie Leid, Zorn, Schmerz, Freude und Stolz auf Tiere in Wettkämpfen übertragen werden können (vgl. Caplan & Parent, 2017). 5 Diskussion und ein (erneuter) Definitionsversuch Ein Problemfeld in der ethisch-moralischen Bewertung tierbezoge- nen Sports liegt in der (wahrscheinlich) unfreiwilligen bzw. unbe- wussten Teilnahme der Tiere am Sport als Sport. Können Tiere in bestimmten Situationen „die Teilnahme am Sport ,verweigern‘, z.B. ein Springpferd vor einem Hindernis“ (Segets, 2002, S. 191), so ist dies noch nicht eine Verweigerung gegenüber der Sportart, sondern kann ebenso situativ als Verweigerung einer bestimmten Handlung in dem konkreten Kontext verstanden werden. Da sich die Tiere nicht bewusst für den Sport entscheiden können, entscheiden sie sich allerdings auch nicht gegen ihn, womit der Einsatz der Tiere im Sport „nicht a priori abzulehnen“ sei (ebd., S. 192). Wie gezeigt, werden die Instrumentalisierung des Tiers und das Tierwohl damit zu den Maßstäben, an denen sich die sportethische Diskussion zu orientierten hat. Dies führt zu einem dritten – vorerst finalen – Defi- nitionsversuch: WEITERE BEITRÄGE TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) | 129 |
| Florian Hartnack Tierbezogener Sport (finale Definition 3): „Tierbezogener Sport bedeutet, ausgehend von einem eng oder weit gefassten Sportbegriff, dass von Menschen willkürlich geschaffene Aufgaben über Bewegung von Menschen mithilfe von Tieren gelöst werden. Die zu lösenden Aufgaben sind in ihrem Reglement von Menschen vorgegeben, wobei die Tiere notwendige Mittel zu deren Lösung darstellen. Voraussetzung für Tiere in sportlichen Aktivitä- ten sind artgerecht zu lösende Aufgaben, eine artgerechte Haltung und die möglichst vollständige Vermeidung von Schmerz, Leiden und Tod der Tiere“ (Hartnack, 2020, S. 39). Hier setzt die Aufgabe der Sportwissenschaften an. Es bestehen große Beurteilungsschwierigkeiten, ob und ab wann ein Tier unter Belastungen im Sport leidet, zumal subjektive Empfindungen des Tiers dem Menschen zumindest in mitfühlender Anteilnahme ver- schlossen bleiben. Den Sportwissenschaften bleibt die Aufgabe der Vermittlung sportethischer und tierethischer Perspektiven. Insbe- sondere soll der Umgang mit Tieren auf Basis von Erkenntnissen der Sportmedizin oder Trainingswissenschaften und unter stetiger sport- ethischer Diskussion ständig hinterfragt werden. Der Sport als be- sondere Situation in der Mensch-Tier-Beziehung muss dafür stärke- ren Eingang in die tierethischen Diskussionen finden, und tierethi- sche Erkenntnisse müssen in den sportwissenschaftlichen Diszipli- nen verstärkt wahrgenommen, aufgenommen und umgesetzt wer- den.15 Fragestellungen rund um den tierbezogenen Sport bedingen zu- dem immer auch ein Fragen nach dem Sportbegriff. Auch hier zeigt sich die Problematik einer Sportdefinition, da ein weit gefasster Sportbegriff auch jede Form von Bewegung mit (oder gegen) Tiere aufgreifen kann. 15 Müller (2001) betrachtet hierbei insbesondere den Leistungssport kritisch, wenn das Tier entsprechend intensiv belastet wird und ein partnerschaftliches Verhältnis von Mensch und Tier in den Hintergrund rückt. | 130 | TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) WEITERE BEITRÄGE
Tiere im Sport? | 6 Tiere – (k)ein Thema für die Sportwissenschaften? Ein Fazit Wie Wolf (2012) anmerkt, verleihen die Menschen als freie, ratio- nale Akteur*innen den Tieren erst einen moralischen Status, wobei sich die moralischen Normen bei verschiedenartigen Lebewesen je nach Ausstattung unterscheiden können, ohne dabei den Wert oder Status der Lebewesen zu differenzieren. Doch moralische Normen sind stets auch kulturell eingebettet und verschieden, wie nicht zu- letzt der Stierkampf offenbart. Für die Sportwissenschaften gilt es, den Sport immer im historisch-kulturell gewachsenen Kontext zu be- trachten und darauf aufbauend ethisch-moralisch zu beschreiben. Treten Mensch und Tier in eine dialogisch-partnerschaftliche Be- ziehung zueinander, kann diese Begegnung als ein durch reziproke erzieherische Prozesse gekennzeichneter pädagogischer Kontext be- schrieben werden. Dies ist lediglich in einem harmonischen und res- pektvollen Umgang miteinander möglich, der entsprechende tier- physiologische und tierpsychologische Kenntnisse sowie eine empa- thische Grundhaltung des Menschen voraussetzt. Ob ein menschli- ches Konstrukt wie der Sport für ein derartiges Verhältnis förderlich ist, scheint, wie beschrieben, fraglich. Da der Sport (und hier insbe- sondere der Leistungssport) durch Leistung, Wettbewerb und öko- nomische Interessen gesteuert wird, verhält er sich in vielen Fällen konträr oder ist zumindest schwierig mit dem Ansatz in Einklang zu bringen, das Tier „als Ganzes, als autonomes Subjekt mit Integrität und Würde“ (Kunzmann & Schmidt, 2012, S. 58; Hervorh. i.O.) zu begreifen. Ausgehend von den hier grundlegenden Annahmen zum Sport (vgl. Kap. 2) erscheint es schlüssig, eine intensive Diskussion über Tiere im Kontext des Sports anzuregen. Sport als normativ-kul- turelles Produkt, als Unterhaltung für den Menschen, rechtfertigt noch kein mögliches Leid oder Schmerzen eines Tiers, das vom Menschen auferlegte Hindernisse überwinden muss. Doch ist die Sportwissenschaft mit dieser theoretischen Überlegung noch nicht vom Thema Tiere befreit, denn in praxi werden Tiere nicht nur im Leistungssport, sondern auch im Privatem als Sporttiere in ihren je- weiligen Sportarten wahrgenommen. In diesem Beitrag wurden in- sofern Potemkinsche Dörfer aufgebaut, als dass der Sportbegriff WEITERE BEITRÄGE TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) | 131 |
| Florian Hartnack recht eng definiert wurde und damit die Rolle der Tiere kritisch hin- terfragt werden konnte. Andere Sportdefinitionen können durchaus mehr Platz für Tiere im Sport bieten. Doch werden auch Kriterien wie die Wiederholbarkeit o.ä. ausgelassen, so bleiben dennoch die Instrumentalisierung und das potenzielle Leid der Tiere zumindest diskussionswürdig. Das bewusste Einreißen dieser Potemkinschen Dörfer in dem vorliegenden Beitrag möchte jedoch ebendiese Dis- kussion – um die (ethischen) Fragen: Was ist Sport? Was darf Sport? Was kann die Gesellschaft oder das partizipierende Individuum ver- treten? Welche Rolle soll den Tieren zukommen? usw. – anregen und die Notwendigkeit weiterer Betrachtungen von Sport und Tier- wohl verdeutlichen. So ist neben dieser grundlegenden ethisch-moralischen Frage- stellung zur Stellung des Tiers im Sport der tierbezogene Sport in seinen Anknüpfungspunkten für die einzelnen sportwissenschaftli- chen Disziplinen zu beleuchten. Damit können Beiträge für eine art- gerechte Tierhaltung und Pflege durch die Trainingswissenschaften sowie die (Veterinär-)Sportmedizin aufbereitet werden.16 Auch mögliche positive Effekte des tierbezogenen Sports können disku- tiert werden.17 Für die Sportpädagogik ist u.a. der Einsatz tierge- stützter Therapieformen aus einer ethischen Perspektive heraus zu beschreiben, und normativ-kulturelle Aspekte des tierbezogenen Sports scheinen im Kontext historisch-politischer Ereignisse und 16 So zeigen Dauerbelastungen des Herz-Kreislauf-Systems, beispielsweise beim Langstreckenflug im Brieftaubensport mit Herzschlagfrequenzen von bis zu 700 Schlägen pro Minute, oder die erheblichen Anforderungen an die Skelett- muskulatur, wie sie bei Hundeschlittenrennen mit einer Distanz bis zu 1.000 km auftreten können (Krzywanek, 2000), Beispiele, welche erhebliche Anforderungen an das Tier stellen. Entsprechend den psychophysischen Her- ausforderungen für die Tiere ist es ebenfalls die Aufgabe der Trainingswissen- schaft, unter sportethischen Aspekten Empfehlungen für ein artgerechtes Trai- ning zu geben. 17 So merkt Brunn (2014) an, dass der tierbezogene Sport den Athlet*innen viel- fältige kommunikative Erfahrungen im Umgang mit ebendiesen Tieren, wel- che in den heutigen Gesellschaften zunehmend seltener werden, ermöglicht. Zudem ist die ästhetische Darstellung des Tieres ein zentrales Moment des Sports und zugleich kultureller Ausdruck. | 132 | TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) WEITERE BEITRÄGE
Tiere im Sport? | Epochen für die Sportgeschichte interessant. Nicht zuletzt ist der Einsatz von Dopingmitteln im tierbezogenen Sport aus einer sport- ethischen Perspektive heraus kritisch zu diskutieren. Es zeigt sich, dass die Betrachtung des tierbezogenen Sports viel- fältige interdisziplinäre Anknüpfungsmöglichkeiten bietet und einer wissenschaftlichen Betrachtung über die Grenzen der Sportwissen- schaften hinaus bedarf. Inwieweit Bewegungsweisen abseits der di- rekten Interaktion mit dem Menschen dem Begriff des Sports ge- recht werden, ob für die Sportwissenschaften ausschließlich das ge- meinsame Sporttreiben von Mensch und Tier relevant ist oder ob Tieren kein Platz im Sport zukommen kann (bzw. sollte), ist ebenso unter sportethischen Fragestellungen aufzuarbeiten wie die für die- ses Themenfeld spezifisch notwendigen Forschungsmethoden, wei- teren Eingrenzungen und näheren Bestimmungen des konkreten For- schungsbereichs. In Deutschland stellt der Pferdesport sicherlich den Mittelpunkt des Forschungsinteresses dar; allerdings scheinen auch weitere Sportarten besonders im Hinblick auf sportethische Frage- stellungen von erheblicher Bedeutung für künftige Betrachtungen dieses Forschungsfelds. Ein Blick auf die Tier-Mensch-Beziehung im Sport impliziert mit ihrem anthrozoologischen Fokus dabei im- mer auch Annahmen über die eigene Existenz: „Und doch kann die- ser Blick mehr leisten als reflexive Selbstkontextualisierung. Denn wer ein Tier anblickt, riskiert den Blick zurück, einen Blickwechsel“ (Wiedenmann, 2009, S. 407; Hervorh. i.O.). Für die Sportwissen- schaften ist es an der Zeit, einen Blick zu riskieren – aus allen Per- spektiven. Literatur Arielli, E. (2005). Unkooperative Kommunikation. Eine handlungstheore- tische Untersuchung. Münster: LIT. Brunn, F.M. (2014). Sportethik: Theologische Grundlegung und exempla- rische Ausführung (Theologische Bibliothek Töpelmann, 169). Berlin & Boston, MA: Walter de Gruyter. Caplan, A.L., & Parent, B. (2017). What about Animals? In A.L. Caplan & B. Parent (Hrsg.), The Ethics of Sport. Essential Readings (S. 399– 400). New York: Oxford University Press. WEITERE BEITRÄGE TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) | 133 |
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Tiere im Sport? | Rosenberger, M., & Kunzmann, P. (2012). Ethik der Jagd und Fischerei. In H. Grimm & C. Otterstedt (Hrsg.), Das Tier an sich. Disziplinüber- greifende Perspektiven für neue Wege im wissenschaftsbasierten Tier- schutz (S. 297–314). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Scherer, D. (1995). Existence, Breeding, and Rights: the Use of Animals in Sports. Between the Species, (Summer), 132–137. Schmitz, F. (Hrsg.). (2014). Tierethik. Grundlagentexte (Suhrkamp-Ta- schenbuch Wissenschaft, Bd. 2082). Berlin: Suhrkamp. Schmitz, H. (2015). Selbst sein. Über Identität, Subjektivität und Persona- lität. Freiburg i.Br. & München: Karl Alber. Schürmann, V. (2018). Grundlagen der Sportphilosophie (Reflexive Sportwissenschaft, Bd. 8). Berlin: Lehmanns Media. Searle, J.R. (1990). Collective Intentions and Actions. In P.R. Cohen, J. Morgan & M. Pollack (Hrsg.), Intentions in Communication (S. 401– 415). Cambridge, MA: MIT Press. Segets, M. (2002). Ökologische Aspekte der Sportethik. Zur Entwicklung einer umweltbezogenen Fairneßethik im Sport. Butzbach-Griedel: Afra. Singer, P. (2013). Praktische Ethik (3., korr. u. erw. Aufl.). Ditzingen: Rec- lam. Singer, P. (2018). Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere (Tierrechte – Menschenpflichten, Bd. 18) (3. Aufl.). Erlangen: Harald Fischer. Suits, B. (1988). The Elements of Sport. In W.J. Morgan und K.V. Meier (Hrsg.), Philosophic Inquiry in Sport (S. 39–48). Champaign, IL: Hu- man Kinetics Publishers. Tuomela, R. (2000). Cooperation. A Philosophical Study (Philosophical Studies Series, Bd. 82). Dordrecht: Springer Science & Business Me- dia. Volkamer, M. (1984). Zur Definition des Begriffs Sport. Sportwissen- schaft, 14 (2), 195–203. Volkamer, M. (2003). Sportpädagogisches Kaleidoskop. Texte, Episoden und Skizzen zu sportpädagogischen Problemen. Ein Lesebuch (Sport- wissenschaft und Sportpraxis, Bd. 129). Hamburg: Czwalina. Wiedenmann, R.E. (2009). Tiere, Moral und Gesellschaft. Elemente und Ebenen humanimalischer Sozialität. Wiesbaden: VS. Winkelmayer, R. (2014). Ein Beitrag zur Jagdethik. Wien: Österreichi- scher Jagd- und Fischerei-Verlag. Wolf, U. (1990). Das Tier in der Moral. Frankfurt a.M.: Klostermann. Wolf, U. (2012). Ethik der Mensch-Tier-Beziehung. Frankfurt a.M.: Klos- termann. WEITERE BEITRÄGE TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) | 135 |
| Florian Hartnack Wopp, C. (2006). Handbuch zur Trendforschung im Sport. Welchen Sport treiben wir morgen? Aachen: Meyer und Meyer. Angaben zum Interessenkonflikt Der korrespondierende Autor gibt für sich an, dass kein Interessen- konflikt besteht. Zur Person Dr. phil. Florian Hartnack ist Sportwissenschaftler mit den For- schungsschwerpunkten Phänomenologische Sozialforschung, Spor- tethik, Leibliches Lehren und Lernen, Pädagogik des Zweikämpfens. Zurzeit arbeitet er als Lehrer im Raum Göttingen und ist Lehrbeauf- tragter an der Georg-August-Universität Göttingen. Korrespondenzadresse Dr. Florian Hartnack Georg-August-Universität Göttingen Institut für Sportwissenschaften Sprangerweg 2 37075 Göttingen E-Mail: fhartnac@uos.de Beitragsinformationen Zitationshinweis: Hartnack, F. (2021). Tiere im Sport? Definitionsversuche und das Gebot (sport-)ethischer Diskussion. TIERethik, 13 (1), 115–136. https://www.tierethik.net/. Online verfügbar: 15.04.2021 ISSN: 2698–9905 (Print); 2698–9921 (Online) © Die Autor*innen 2021. Dieser Artikel ist freigegeben unter der Cre- ative-Commons-Lizenz Namensnennung, Weitergabe unter gleichen Bedingungen, Version 4.0 Deutschland (CC BY-SA 4.0 de). URL: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/de/legalcode | 136 | TIERethik, 13. Jg. 22(2021/1) WEITERE BEITRÄGE
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